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„François-Marie Arouet“ – Versionsunterschied

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'''Voltaire''' [{{IPA|vɔlˈtɛːʀ}}], eigentlich '''François-Marie Arouet''' [{{IPA|fʀɑ̃ˈswa maˈʀi aˈʀwɛ}}] (* [[21. November]] [[1694]] in [[Paris]]; † [[30. Mai]] [[1778]] in Paris) war einer der einflussreichsten Autoren der europäischen [[Aufklärung]] und gilt als wichtiger Vertreter des [[Deismus]]. In Frankreich hielt man ihn schon zu Lebzeiten für so bedeutend, dass man das ganze 18. Jahrhundert dort gern als „le siècle de Voltaire“ („das Zeitalter Voltaires“) bezeichnet. Mit seiner Kritik an den Missständen des [[Absolutismus]] und der [[Feudalherrschaft]] sowie auch am Deutungs- und Machtmonopol der [[Katholische Kirche|katholischen Kirche]] war er ein Wegbereiter der [[Französische Revolution|Französischen Revolution]]. Seine wichtigsten Waffen im Kampf gegen seine ideologischen Gegner waren ein präziser und gemeinverständlicher Stil, Sarkasmus und Ironie.

__TOC__

== Leben und Werk ==
=== Jugend ===
Voltaire war das jüngste Kind eines vermögenden bürgerlichen Notars, der auf dem Höhepunkt seiner Karriere zum königlichen Gerichtsgebühreneinnehmer avancierte. Bereits mit sechs verlor er seine Mutter. Im [[Jesuiten]]kolleg Louis-le-Grand (heute Lycée Louis-le-Grand) erwarb er eine solide [[Humanismus|humanistische]] Bildung in lateinischer und griechischer Literatur, Mathematik, Geschichte und Religion. Schon als Schüler verfasste er Gedichte und auch seine Theaterbegeisterung nahm in dieser Zeit ihren Anfang. Zudem gewann er einige Freunde unter seinen überwiegend adeligen Mitschülern, darunter die Brüder d'Argenson, die später hohe Ämter bekleideten. Allerdings lernte er so früh auch die Ständegesellschaft des [[Ancien Régime]]s kennen. Manche Schüler glaubten allein aufgrund ihrer adeligen Herkunft auf ihn herab sehen zu können.

Auf Drängen des strengen Vaters, der dem [[Jansenismus]] nahestand, absolvierte er ein Rechtsstudium an der Pariser juristischen Hochschule (1711-1713). Zugleich führte ihn sein Patenonkel, der Abbé de Châteauneuf, in verschiedene schöngeistige und literarische Zirkel ein. So verkehrte er im [[Epikur|epikuräisch]]-[[freidenker]]ischen Kreis um Philippe de Vendôme, den Chef des [[Malteserorden]]s, und wurde hier für seine eleganten und geistreichen Verse bewundert. Nach Beendigung des ungeliebten Studiums gab er dem Druck des Vaters nach und arbeitete für kurze Zeit in einem Notariat in [[Caen]]. Anschließend begleitete er einen Bruder seines Patenonkels als Privatsekretär nach [[Den Haag]], wo jener in diplomatischer Mission zu tun hatte. Als er eine Liebschaft mit einer jungen Französin begann, beschwerte sich deren Mutter bei seinem Vater. Dieser erwog daraufhin, ihn zu enterben und nach Amerika deportieren zu lassen.

=== Erste Veröffentlichungen ===
[[Bild:Voltaire.jpg|thumb|250px||''Voltaire'']]
Voltaire kam nach Paris zurück und arbeitete nochmals für kurze Zeit in einer Anwaltskanzlei. Er verkehrte jetzt nicht nur in literarisch-schöngeistigen Zirkeln, sondern zunehmend auch in adeligen Häusern, wo man ihn als Autor witziger, häufig spöttischer Gedichte schätzte. Auch beteiligte er sich an den Diskussionen und Streitereien der Pariser Literaten. Z. B. attackierte er 1714 mit einer Verssatire den arrivierten Autor und Literaturtheoretiker [[Houdar de la Motte]], der für die vorrangige Verwendung der Prosa- statt der Versform in den erzählenden Gattungen plädiert hatte - eine Ansicht, die Voltaire später durchaus akzeptieren sollte.

Die 1715 entstandene Ode ''Le vrai Dieu'' ist vielleicht sein erster philosophischer Text.

Eine der vornehmsten Adressen Voltaires war der Hof eines unehelichen, aber legitimierten Sohnes von [[Ludwig XIV.]], des Duc du Maine. Dieser war von seinem sterbenden Vater testamentarisch zum Regenten für den kleinen [[Ludwig XV.]] bestimmt worden, wurde aber zu seinem Ärger verdrängt von seinem Cousin, [[Philipp II., Herzog von Orléans|Herzog Philipp von Orléans]]. Bei Maine trug Voltaire 1716 ein satirisches Gedicht auf Philipp vor, in dem er dessen mutmaßliches inzestuöses Verhältnis zu seiner Tochter andeutete. Natürlich erfuhr Philipp davon und verbannte Voltaire für mehrere Monate aus Paris, die er größtenteils als Gast auf dem Schloss des Duc de Sully verbrachte. Nach einem Huldigungs- und Bittgedicht an Philipp konnte er zurück, verfasste aber bald eine neue Satire auf ihn. Diesmal war die Reaktion schärfer: Voltaire wurde im Mai 1717 in der [[Bastille]] inhaftiert.

Hier stellte er seine mit [[Sophokles]] und [[Corneille]] wetteifernde erste Tragödie ''Œdipe'' (Ödipus) fertig und begann unter dem Titel ''La Ligue'' ein Epos über die Religionskriege und ihre Beendigung durch [[Heinrich IV. (Frankreich)|Heinrich IV.]], der seines Erachtens ein vorbildlicher König gewesen war. Dank der Fürsprache hochstehender Gönner wurde er nach elf Monaten aus der Haft entlassen und nannte sich fortan „Voltaire“ - ein [[Anagramm]] aus den Buchstaben seines Namens A-R-O-V-E-T- (mit v statt u) L-I (d.h. le jeune, mit i statt j).

Die erfolgreiche Aufführung von ''Œdipe'' machte ihn im Herbst 1718 schlagartig berühmt.

Wieder verkehrte er in literarischen Salons und war auch gerngesehener Gast in den Landschlössern des Hochadels rund um Paris. Hierbei lernte er den im Exil lebenden Politiker [[:en:Henry St John, 1st Viscount Bolingbroke|Lord Bolingbroke]] kennen, der ihm England näher brachte. In dieser Zeit entstanden die Tragödie ''Artémire'' (1720) und die ''Épître à Uranie'' (1722). Außerdem arbeitete er weiter an ''La Ligue''.

Als sein Vater 1722 starb, erbte Voltaire seinen Anteil an dessen Vermögen. Da er im gleichen Jahr vom Regenten eine „pension“ (jährliche Gratifikation) aus der königlichen Schatulle zugesprochen bekam, war er finanziell in Zukunft abgesichert. Eine Liaison mit der verheirateten Adeligen Madame de Bernières krönte seine erfreuliche Situation.

1723 brachte zwei Misserfolge: Voltaire machte erstmals mit der Zensur Bekanntschaft, als ihm die Druckerlaubnis für ''La Ligue, ou Henri le Grand'' verweigert wurde, obwohl er darum ersucht hatte, das Werk dem König widmen zu dürfen. Er publizierte es deshalb anonym in der Stadtrepublik [[Genf]]. Überdies fiel seine Tragödie ''Hérode et Mariamne'' durch.

1725 war hingegen ein Jahr des Erfolgs. Die Herodes-Tragödie wurde in einer überarbeiteten Version gut aufgenommen. Außerdem erhielt er Zutritt zum Hof dank der einflussreichen Marquise de Prie, der Geliebten des Ersten Ministers, des Duc de Bourbon, die ihn mit der Organisation von Theateraufführungen zur Hochzeit Ludwigs XV. beauftragen ließ. Dies trug ihm eine zweite "pension" ein, nunmehr aus der Schatulle der jungen Königin. Als einer der gefragtesten Dramaturgen und Dichter Frankreichs schien er nun bestens in das herrschende System integriert.

=== Voltaire in England ===
1726 ließ ihn der Chevalier de Rohan, Spross eines alten französischen Adelsgeschlechts, von seinen Dienern verprügeln. Voltaire hatte auf die spöttische Frage Rohans, wie er denn zu seinem Namen komme, sarkastisch geantwortet: "Je commence mon nom, monsieur, vous finnissez le vôtre" (etwa: Ich bin der erste meines Namen, Sie nur der letzte). Der über die Prügel empörte Voltaire nahm Fechtunterricht, um den Chevalier zum Duell herauszufordern. Die Rohans erwirkten jedoch einen königlichen Haftbefehl gegen ihn, und wieder kam er in die [[Bastille]]. Da er inzwischen berühmt war, bot ihm der König die Freiheit an unter der Bedingung, dass er Frankreich verließ.

Voltaire akzeptierte und ging für zweieinhalb Jahre nach England, das dabei war, in die [[industrielle Revolution]] einzutreten. Er war fasziniert von der intellektuellen und wirtschaftlichen Aufbruchstimmung sowie von der relativ großen geistigen Freiheit und sozialen Mobilität in dieser multikonfessionellen Gesellschaft, in der die Religion Privatangelegenheit war und die Macht des Königs und die Privilegien des Adels eingeschränkt waren. Besonders beeindruckten ihn das parlamentarische System und der Schutz der Bürger vor staatlicher Willkür. Lord Bolingbroke führte ihn in die besten gesellschaftlichen und intellektuellen Kreise Londons ein und auch dem König wurde er vorgestellt. Eine überarbeitete Fassung von ''La Ligue'', die er 1728 als ''La Henriade'' druckte, durfte er der Königin widmen.

Für einen Franzosen damals durchaus nicht selbstverständlich erlernte er die englische Sprache und trieb intensive Lektüre. So studierte er die Werke des englischen [[Empirismus|Empiristen]] und Theoretiker des „common sense“ [[John Locke]]. Auch las er die die Dramen [[Shakespeare]]s im Original. Außerdem befasste er sich mit den revolutionären Theorien des Physikers und Astronomen [[Isaac Newton|Newton]] sowie auch mit den neuesten naturwissenschaftlichen Erkenntnissen.

In seinen hier verfassten, aber erst später veröffentlichten "philosophischen Briefen" (''Lettres anglaises'' oder ''Lettres philosophiques'') stellte er England seinen Landsleuten als leuchtendes Vorbild vor Augen. 1729 ging er nach Paris zurück, den Koffer voller fertiger und angefangener Manuskripte, darunter die historiographischen Werke ''Histoire de Charles XII, roi de Suède'' (=[[Karl XII.]] von Schweden, 1731) und ''Le Siècle de Louis XIV'' ("Das Jahrhundert Ludwigs XIV.", fertiggestellt erst 1751), oder die Tragödien ''Brutus'' und ''Zaïre'', die 1730 und 1732 erfolgreich aufgeführt wurden. Nebenher vermehrte er mit Hilfe der Brüder d'Argenson geschickt sein Vermögen, so dass er bald mehr als nur wohlhabend war.

=== Die Jahre mit Émilie du Châtelet ===
Als 1730 die Leiche [[Adrienne Lecouvreur]]s, einer befreundeten jungen Schauspielerin, auf den [[Schindanger]] geworfen wurde, empörte sich Voltaire mit der ''Ode sur la mort de Mademoiselle Lecouvreur''. Er war entrüstet, dass einer beliebten und bewunderten Persönlichkeit eine würdige Bestattung verwehrt wurde, nur weil sie den traditionell verachteten und vom Klerus angefeindeten Beruf einer Schauspielerin ausgeübt hatte.

1734 erschienen zugleich in London und Paris die ''Lettres philosophiques'', die von den Herrschenden in Frankreich erwartungsgemäß als Affront empfunden wurden. Besonders verärgert waren die meist jansenistisch-frommen Hohen Richter des Pariser Parlaments. Sie stießen sich an einer [[Diatribe]] gegen den [[Anthropologischer Pessimismus|anthropologischen Pessimismus]] des [[Jansenismus|Jansenisten]] [[Blaise Pascal]], die an die Briefe angehängt war. Das Parlament erließ einen Haftbefehl und das Buch wurde verboten. Seiner Verbreitung tat dies jedoch keinen Abbruch.

Voltaire zog sich mit seiner neuen Geliebten [[Émilie du Châtelet]] auf das Schlösschen ihres Mannes in [[Cirey]] zurück, von wo aus er notfalls schnell ins nahe [[Lothringen]] fliehen konnte, das bis 1738 de jure noch zum deutschen Reich gehörte. In den nächsten Jahren führte er ein unstetes Wanderleben. Er hielt sich in Paris auf, wenn es ihm verstattet war; er ging nach Cirey, wenn es zu gefährlich wurde. Längere Zeit verbrachte er auch in Brüssel und in Holland, das zur „Druckerei Europas“ aufgestiegen war und wo er viele seiner Werke veröffentlichte.

Madame du Châtelet war Autorin philosophischer Werke und Naturforscherin und arbeitete u. a. an einer kommentierten Übersetzung von [[Isaac Newton|Newtons]] ''Philosophiae naturalis principia mathematica''. Auch ihrem Einfluss ist es wohl zu verdanken, dass sich Voltaire vertieft mit den Naturwissenschaften befasste. In der Abhandlung ''Éléments (=Grundzüge) de la philosophie de Newton'' stellte er die bahnbrechenden, in Frankreich noch wenig bekannten Theorien des englischen Physikers und Astronomen vor. Mit naturphilosophischen und theologischen Fragestellungen setzte er sich 1734 im ''Traité de métaphysique'' (= Abhandlung zur Metaphysik) auseinander.

Seine Domänen blieben jedoch die Geschichtsschreibung und die philosophisch inspirierte, d.h. aufklärerische Literatur, beispielsweise in Gestalt der Tragödien ''Adélaïde du Guesclin'' (1734) ''La Mort de César'' (1735) und ''Alzire'' (1736). Die Tragödie ''Mahomet'' wurde trotz einer Widmung an den Papst nach der dritten Aufführung 1742 abgesetzt, da die Darstellung des Religionsgründers [[Mohammed]] vom katholischen Klerus ganz richtig als Kritik an Priestertum und religiösem Fanatismus überhaupt verstanden wurde. Daneben schrieb er das spöttisch-burleske Epos ''La Pucelle'' über die (1920 heiliggesprochene) Kriegsheldin [[Jeanne d'Arc]], das er lange nur in privaten Abschriften zirkulieren ließ.

===Versailles===
Dank d'Argenson, aber auch dank der [[Madame de Pompadour|Marquise de Pompadour]], der einflussreichen [[Mätresse]] Ludwigs XV., durfte er nun an den Hof zurückkehren, obwohl ihn der König nicht mochte. Anlässlich der Hochzeit des [[Dauphin]] wurde 1745 seine Ballettkomödie ''La Princesse de Navarre'' und etwas später das Singspiel ''Le Temple de la Gloire'' (=der Ruhmestempel, Musik von [[Jean-Philippe Rameau]]) zur Aufführung gebracht. Darüber hinaus wurde er zum Königlichen Chronisten (historiographe du roi) ernannt sowie zum Königlichen Kammerherrn (gentilhomme de la chambre), womit er offiziell in den Adelstand erhoben war. 1746 wurde er Mitglied der [[Académie française]] und im gleichen Jahr ließ er eine sechsbändige Gesamtausgabe seiner Werke drucken. Einmal mehr schien er bestens etabliert.

Er fiel jedoch 1749 in Ungnade, als er auf Englisch Madame du Châtelet am Spieltisch der Königin vor hochadeligen Falschspielern warnte. Nachdem er sich außerdem am Hof darüber beschwert hatte, dass man seinen Konkurrenten [[Crébillon]] bevorzuge, wurde der König seiner überdrüssig und auch Madame Pompadour, seine bisherige Fürsprecherin und Beschützerin, distanzierte sich von ihm. Voltaire zog sich auf Schloss Sceaux, zur Duchesse du Maine, zurück und unterhielt diese mit seinen ersten erzählenden Werken, u.a. dem Kurzroman ''Memnon'', dem späteren ''Zadig''.

1748/49 lebte er zusammen mit Madame du Châtelet sowie seiner verwitweten Nichte (und neuen Geliebten) Madame Denis meistens im Schloss von Lunéville/Lothringen, der Residenz des polnischen Ex-Königs [[Stanislaus I. Leszczynski]]. Hier verliebte sich Madame du Châtelet in den Offizier, Höfling und Dichter Saint-Lambert und starb Ende 1749 nach der Geburt eines Kindes.

=== Der Aufenthalt am Hof Friedrichs von Preußen ===
[[Image:Adolph-von-Menzel-Tafelrunde.jpg|thumb|right|291px|<small>[[Adolph von Menzel]]: ''Tafelrunde'' König [[Friedrich II. (Preußen)|Friedrich II.]] (mitte) in [[Sanssouci]] mit Voltaire (rechts) und den führenden Köpfen der [[Brandenburgische Akademie der Wissenschaften|Berliner Akademie]], 1850, ehemals [[Nationalgalerie (Berlin)|Nationalgalerie]], Berlin, 1945 im [[Flakturm]] [[Berlin-Friedrichshain|Friedrichshain]] verbrannt.</small>]]
Im Sommer 1750 folgte Voltaire endlich der Einladung [[Friedrich II. von Preußen|Friedrichs II. von Preußen]], der ihn in einem regen Briefwechsel schon seit 1736 umwarb. Nach der Thronbesteigung des rund zwanzig Jahre jüngeren Friedrichs (1740) war Voltaire außerdem mehrfach von seinem Schulfreund, Kriegsminister d'Argenson, in diplomatischer Mission nach [[Preußen]] geschickt worden, das im [[österreichischer Erbfolgekrieg|österreichischen Erbfolgekrieg]] mit Frankreich verbündet gewesen, dann aber aus der Koalition ausgetreten war.
In Potsdam hatten schon mehrere französische Literaten und Gelehrte Hofämter inne und Voltaire erhielt den Titel eines Königlichen Kammerherrn samt zugehörigem Gehalt. Er wurde behandelt wie ein fürstlicher Gast und konnte relativ frei arbeiten. 1751 brachte er in Berlin sein ''Siècle de Louis XIV'' heraus, eine Darstellung der französischen Geschichte des 17. Jahrhunderts. Darin wies er der Kulturgeschichte eine zentrale Rolle zu und setzte so der Geschichtsschreibung neue Maßstäbe. Seine kulturhistorische Ausrichtung wurde noch deutlicher im ''Abrégé de l'Histoire universelle'' (=Abriss der Universalgeschichte), der 1750/51 abschnittweise im ''Mercure de France'' erschien. Ebenfalls 1751 kam eine dritte, elf Bände umfassende Gesamtausgabe seiner Werke heraus.

Nach zwei Jahren kühlte sich seine Beziehung zu Friedrich jedoch ab. Voltaire stieg in die Niederungen des Berliner Wirtschaftslebens hinab und betätigte sich als Wertpapierspekulant. Er lieh sich bei einem Bankier eine hohe Summe und kaufte unterbewertete Wertpapiere des sächsischen Kurfürsten, sog. Steuerantizipationsscheine. Tatsächlich stieg der Kurs zur Zeit der Steuereintreibung. Als der Bankier bemerkte, dass Voltaire einen stattlichen Gewinn erzielt hatte, beanspruchte er einen Anteil daran und zog vor Gericht. Die überforderten Richter verstanden die Natur der Transaktion nicht und waren geneigt, dem Bankier recht zu geben. Protokollant war ein junger Autor namens [[Lessing]], der die Sache zwar auch nicht begriff, aber ein kleines Spottgedicht ad hoc verfasste. König Friedrich zeigte ebenfalls wenig Verständnis für Voltaires prosaische Freizeitaktivitäten.

Gespannt war auch das Verhältnis Voltaires zum Akademie-Präsidenten [[Maupertuis]], über den er die spöttische ''Diatribe du Docteur Akakia'' verfasste. Als er sie entgegen einer Bitte Friedrichs drucken ließ, war dessen Geduld erschöpft und er äußerte sich in verletzender Weise über ihn mit dem Satz „On presse l'orange et on jette l'écorce“ (Man presst die Orange aus und man wirft die Schale weg). Voltaire bat nun um seine Entlassung, wurde aber zunächst nur beurlaubt. In Leipzig äußerte er sich nochmals abfällig über Maupertuis und wurde daraufhin in Unehren entlassen. Bei einem Aufenthalt in Frankfurt wurde er auf Friedrichs Gesuch sogar kurz festgesetzt und sein Gepäck durchwühlt. Erst Jahre später versöhnten sich die beiden Männer und wechselten wieder Briefe.

=== Neuerliche Wanderjahre ===
Nach Aufenthalten an kleineren deutschen Höfen (Gotha, Kassel, Mainz, Mannheim) wartete Voltaire in den elsässischen Städten [[Straßburg]] und [[Colmar]] vergeblich auf die Erlaubnis, in Ehren nach Paris und an den französischen Hof zurückzukehren. 1755 schließlich erwarb er in der Stadtrepublik [[Genf]] ein Anwesen und gedachte sich dort niederzulassen. Doch während in Paris mit Erfolg sein neues Stück ''L'Orphelin de la Chine'' (das Waisenkind aus China) aufgeführt wurde, bekam er in Genf ersten Ärger mit dem theaterfeindlichen [[Calvinismus|calvinistischen]] Kirchenrat, weil er private Aufführungen in seinem Haus organisierte.

In seinem berühmten, 1756 verfassten Gedicht über das [[Erdbeben von Lissabon]] (''Poème sur le désastre de Lisbonne'') setzt er sich mit dem naiven Optimismus des Schriftstellers [[Alexander Pope]] und vieler seiner Zeitgenossen auseinander, wonach alles was ist, gut und recht ist („Whatever is, is right“). Im selben Jahr veröffentlichte er seinen ''Essai sur l'histoire générale et sur les mœurs et l'esprit des nations'' (= Versuch über die allgemeine Geschichte und die Sitten und den Geist der Nationen), eine Universalgeschichte der Menschheit, die er insgesamt auf dem Weg des Fortschritts sieht.

Ebenfalls 1756 begann er seine Mitarbeit an dem 1746 von [[Denis Diderot|Diderot]] und [[Jean Le Rond d'Alembert|d'Alembert]] initiierten Groß-Lexikon, der ''[[Encyclopédie]]''. 1757 brachte ihm d'Alemberts kritischer Encyclopédie-Artikel „Genève“ neuen Ärger in Genf, obwohl er ihn nur als Informant beeinflusst hatte. Wieder ging er auf Reisen und schrieb 1758 die heute als sein bestes Werk geltende philosophische Erzählung ''Candide ou l'optimisme'' (teilweise verfasst im Schloss von [[Schwetzingen]]). Hierin führt er in einer turbulenten Handlung sarkastisch-ironisch den ihm als unhaltbar erscheinenden Naturoptimismus à la [[Jean-Jacques Rousseau|Rousseau]] und auch den Optimismus à la [[Gottfried Wilhelm Leibniz|Leibniz]] („Unsere Welt ist die beste aller möglichen Welten“) ad absurdum.

=== Sesshaftwerdung und erfüllte letzte Jahre ===
Im Alter von 64 Jahren erwarb Voltaire die landwirtschaftlichen Güter Ferney und Tourney im französischen Grenzgebiet nahe Genf, die er zum Wohl seiner Tagelöhner und Pächter innovativ und effizient bewirtschaftete. Zusammen mit Madame Denis verbrachte er hier seine letzten zwei Lebensjahrzehnte, die den Zenith seiner Karriere bedeuten sollten.

Nicht nur schrieb und publizierte der „Patriarch von Ferney“ weiterhin fleißig, sondern er empfing als führende Persönlichkeit der Aufklärung Besucher aus ganz Europa und pflegte einen regen Briefwechsel mit vielen herausragenden Geistern seiner Zeit. Vor allem aber kämpfte er mit der Macht seiner stetig wachsenden Autorität gegen staatliche Willkür und religiösen [[Obskurantismus]], so z. B. anlässlich des Justizmordes an Jean Calas, einem Protestanten, der beschuldigt worden war, er habe seinen Sohn ermordet, um ihn vom Übertritt zum Katholizismus abzuhalten. Dieser war erhängt auf dem Dachboden gefunden worden. Calas wurde daraufhin verhaftet, gefoltert, ohne Beweise zum [[Rädern|Tod auf dem Rad]] verurteilt und am 9. Mai 1762 hingerichtet. Vieles deutete daraufhin, dass der katholische Klerus das willkürliche gebilligt hatte. Als Voltaire davon hörte, startete er eine publizistische Kampagne, in der er u.a. 1763 die Schrift ''Traité sur la tolérance'' (Abhandlung über die Toleranz) veröffentlichte. Unter dem Beifall des gesamten aufgeklärten Europas wurde Calas am 9. März 1765 [[posthum]] rehabilitiert.

Nach dem Erfolg von ''Candide'' veröffentlichte Voltaire weitere Erzählungen, so den meisterhaften empfindsamen Kurzroman ''L'Ingénu'' (=der Unbedarfte, 1767). Außerdem erschien 1760 und 1763 die ''Histoire de l'Empire de Russie sous Pierre le Grand'' (=Geschichte des russischen Reiches unter Peter dem Großen). Er verfasste aber auch philosophische Werke wie das sehr erfolgreiche, seine Bibel- und Religionskritik auf den Punkt bringende ''Dictionnaire philosophique portatif'' (1764). Voltaire versorgte damit die Sympathisanten der Aufklärung mit Argumenten und kreierte zugleich den Typ des „tragbaren“ einbändigen Konversationslexikons. Noch im 19. Jahrhundert diente das Lexikon der [[Laizismus|laizistischen]] französischen [[Bourgeoisie]] als wichtige Informationsquelle zur Aufdeckung von Widersprüchen und Paradoxien in den Lehren der [[Katholische Kirche|Katholischen Kirche]].

Im Februar 1778 reiste Voltaire nach Paris, um der Uraufführung seines neuen Stücks ''Irène'' beizuwohnen. Er wurde wie in einem Triumphzug empfangen und konnte sich der Ehrungen und Einladungen kaum erwehren. So wurde er am 7. April in die Pariser [[Freimaurerei|Freimaurerloge]] „Les Neuf Sœurs“ aufgenommen. Stuhlmeister der Loge war zu dieser Zeit der Astronom [[Jérome Lalande]]. Voltaires Bürge war der Historiker [[Abbé Cordier de St. Firmin]] und Graf [[Stroganow]] bereitete ihn auf die Aufnahme vor. In Gegenwart von etwa 250 Freimaurern, unter ihnen sein Freund [[Elie de Beaumaunt]], führte ihn [[Benjamin Franklin]] in den Tempel.

Einen Monat später brach Voltaire entkräftet zusammen und starb. Erst nach seinem Tod wurde nach und nach seine umfängliche Korrespondenz publiziert. Sie umfasst mehr als 22.000 Briefe und erscheint nachträglich als ein bedeutender Teil seines Schaffens.

== Leistungen ==
Voltaire war kein systematischer Denker, sondern ein „philosophe“ im französischen Sinn, d. h. ein Autor, der sowohl philosophische, als auch belletristische, historische und naturwissenschaftliche Schriften verfasste sowie publizistisch tätig war. Typisch für ihn sind literarische Texte, die philosophische Gedankengänge auf unterhaltsame Weise nahebringen. Er selbst hielt sich vermutlich in erster Linie für einen bedeutenden Dramatiker aufgrund seiner rund vierzig, teilweise sehr erfolgreichen Stücke. Auch seine Zeitgenossen sahen ihn als Nachfolger von Tragödiendichtern wie [[Sophokles]], [[Seneca]], [[Racine]] und [[Corneille]]. Heute schätzt man vor ihn vor allem als Erzähler sowie als Begründer einer kulturhistorisch orientierten Geschichtsschreibung. Wissenschaftlich ambitioniert und gemeinverständlich geschrieben, eröffneten seine historischen Studien eine Tradition, die noch heute in Frankreich lebendig ist.

== Voltaire und die Bibel ==
Voltaire übte nicht nur an den politischen Missständen, sondern auch an den institutionellen Formen der [[Religion]] seiner Zeit pointierte Kritik. Außerdem betrachtete er die unkritische Rezeption und Verehrung der [[Bibel|Scriptura Sacra]] als [[Regression|regressiv]]: ''„In hundert Jahren wird die Bibel ein vergessenes und unbekanntes Buch sein, sie wird nur noch als Rarität in den Rumpelkammern und Altertumssammlungen als Zeuge der Torheit früherer Geschlechter zu finden sein.“'' Bedeutungsvoll in diesem Zusammenhang: Hundert Jahre später kaufte die [[Genf|Genfer]] Bibelgesellschaft Voltaires Haus und Druckerpresse und begann dort Bibeln zu drucken. Heute befindet sich hier eine christliche Buchhandlung, in der auch Bibeln verkauft werden.

== Stilmittel ==
Nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern mit Humor, (Selbst-)Ironie und Sarkasmus kritisiert Voltaire die Missstände seiner Zeit. Dazu dienen ihm vor allem, groteske Namen und Begebenheiten, viele rhetorische Mittel (vor allem der [[Euphemismus]], das [[Oxymoron]] und die [[Antiphrase]]), aber auch die Anhäufung einer Vielzahl von Naturkatastrophen in einer Erzählung, so in seiner berühmten Erzählung „Candide“. Hier lässt er die Protagonisten des öfteren scheinbar wieder auferstehen. Auch die [[Hyperbel]] ist ihm ein willkommenes Mittel. Hierbei scheint ihm nichts heilig gewesen zu sein. Kirche und Staat verschont er ebenso wenig wie seine Gegner.

== Werke ==
*[[1718]]: Tragödie: ''Oedipus'' (''Œdipe'')
*[[1723]]: Epos über Heinrich IV.: ''La Henriade''
*[[1731]]: ''Philosophische Briefe'' (''Lettres philosophiques ou lettres anglaises'')
*[[1732]]: Tragödie: ''Zaïre''
*[[1742]]: Tragödie: ''Mahomet'' (deutsch von [[Goethe]] [[1802]])
*[[1747]]: Erzählung: ''[[Zadig|Zadig, ou la destinée]]''
*[[1751]]: ''Die Zeiten [[Ludwig XIV.|Ludwigs XIV.]]'' (''[http://www.voltaire-integral.com/Html/00Table/14Loui14_chap.html Le siècle de Louis XIV]'')
*[[1756]]: ''Poème sur le désastre de Lisbonne'' (Gedicht ueber die Katastrophe von Lissabon, d.h. das Erdbeben von 1755)
*[[1756]]: ''[http://www.voltaire-integral.com/Html/00Table/11_chap.html Essai sur les moeurs]''
*[[1759]]: ''[[Candide oder der Optimismus]]'' (''[http://www.voltaire-integral.com/VOLTAIRE/Candide.htm Candide, ou l'optimisme]'')
*[[1763]]: ''Geschichte des russischen Reiches unter der Regierung Peters des Großen'' (''[http://www.voltaire-integral.com/Html/00Table/16russie_chap.htm Histoire de l'Empire de Russie sous Pierre le Grand]'')
*1763: ''[http://www.voltaire-integral.com/VOLTAIRE/Traite.htm Traité sur la tolérance]''
*[[1764]]: ''Philosophisches Wörterbuch'' (''[http://www.voltaire-integral.com/00Table/table.htm Dictionnaire philosophique portatif]'') eine Zusammenfassung seines antikirchlichen Denkens
*[[1767]]: Kurzroman: ''[http://www.susannealbers.de/03philosophie-literatur-Voltaire1.html Der Freimütige]'' (''L'Ingénu'': ''Das Naturkind'')

== Literatur ==
* [[Alfred Jules Ayer|Alfred J. Ayer]]: ''Voltaire, eine intellektuelle Biographie.'' Athenäum-Verlag 1987. ISBN 3-610-09223-8
* Georg Holmsten: ''Voltaire.'' 14. Aufl., Rowohlt, 2002, ISBN 3-499-50173-2
* Jean Orieux: ''Das Leben des Voltaire''. Insel-Verlag, 1978, ISBN 3-458-05954-7


== Weblinks ==
{{Wikiquote1|Voltaire}}
{{Commons1|Voltaire}}

=== Biografien und Gesamtwürdigungen ===
* [http://www.pinkernell.de/romanistikstudium Gert Pinkernell: ''Namen, Titel und Daten der französischen Literatur. Ein chronologisches Repertorium wichtiger Autoren und Texte von 842 bis ca. 1960''] (Word-Datei, Quelle)
* [http://www.klassiker-der-weltliteratur.de/voltaire.htm Illustrierte Biographie Voltaires]
* [http://www.km-regensburg.de/kmr/projekt/projekt2000/Candide/voltaire.htm François Marie Arouet - genannt Voltaire (1694-1778)]
* [http://www.pompadour.historicum.net/themen/biographien/voltaire.html Madame de Pompadour und ihre Zeit: François-Marie Arouet (Voltaire)]
* [http://www.textlog.de/6278.html Voltaire (aus: ''Karl Vorländer, Geschichte der Philosophie, 1902'')]
* [http://www.biblioweb.org/-VOLTAIRE-.html Biografie, Bibliografie, Analyse] (französisch)

=== Organisationen ===
* [http://www.voltaire.ox.ac.uk/ The Voltaire Foundation] (eng., frz.)
* [http://www.ville-ge.ch/imv/ Institut et Musée Voltaire, Genf]

=== Candide ===
* [http://www.klassiker-der-weltliteratur.de/candide.htm Illustrierte Zusammenfassung des Candide ]
* [http://ub-dok.uni-trier.de/candide.htm Bibliographie illustrierter Candide-Ausgaben und Materialien zur Rezeptionsgeschichte und Verbreitung des Romans]
* [http://gutenberg.spiegel.de/voltaire/kandide/kandide.htm Candide] (Der Text beim Projekt Gutenberg)

=== Sonstiges ===
* [http://www.preussen.de/de/geschichte/1740_friedrich_ii./voltaire.html Voltaire und Friedrich II.]
* [http://www.gkpn.de/voltaire.htm Voltaires Tod]

== Siehe auch ==
* [[College Louis le Grand]]
* [[Cabaret Voltaire]]

[[Kategorie:Philosoph (18. Jh.)]]
[[Kategorie:Religionskritiker]]
[[Kategorie:Autor]]
[[Kategorie:Weimarer Klassik (Literatur)]]
[[Kategorie:Literatur (18. Jh.)]]
[[Kategorie:Literatur (Französisch)]]
[[Kategorie:Lyrik]]
[[Kategorie:Sachliteratur]]
[[Kategorie:Pour le Mérite (Militärorden)]]
[[Kategorie:Freimaurer]]
[[Kategorie:Aufklärer]]
[[Kategorie:Académie française]]
[[Kategorie:Franzose]]
[[Kategorie:Mann]]
[[Kategorie:Geboren 1694]]
[[Kategorie:Gestorben 1778]]
{{Personendaten|
NAME=Arouet, François-Marie
|ALTERNATIVNAMEN=Voltaire
|KURZBESCHREIBUNG=französischer Schriftsteller und Philosoph der Aufklärung, Freidenker und Freimaurer
|GEBURTSDATUM=21. November 1694
|GEBURTSORT=Paris
|STERBEDATUM=30. Mai 1778
|STERBEORT=Paris
}}

[[ar:فولتير]]
[[bg:Волтер]]
[[cs:Voltaire]]
[[cy:Voltaire]]
[[da:Voltaire]]
[[en:Voltaire]]
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[[nl:Voltaire]]
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[[pt:Voltaire]]
[[ro:Voltaire]]
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[[tr:François Voltaire]]
[[uk:Вольтер]]
[[zh:伏爾泰]]

Aktuelle Version vom 9. Dezember 2006, 23:01 Uhr

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