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„Neuraltherapie“ – Versionsunterschied

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[[Datei:Hautquaddeln in der Segmentneuraltherapie.jpeg|gerahmt|Hautquaddeln in der Segmenttherapie]]
Die '''Neuraltherapie''' ist die gezielte Anwendung eines [[Lokalanästhetikum]]s zur Beeinflussung des [[vegetatives Nervensystem|vegetativen Nervensystems]]. Entwickelt wurde dieses Verfahren maßgeblich durch den Arzt [[Ferdinand Huneke]] in den 1920er Jahren.
Die '''Neuraltherapie''' (auch '''Therapeutische Lokalanästhesie''', oder '''Heilanästhesie'''<ref>{{Internetquelle |autor=Frank Antwerpes, Pia Müller, Bijan Fink |url=https://flexikon.doccheck.com/de/Neuraltherapie |titel=Neuraltherapie nach Huneke |werk=DocCheck Flexikon |hrsg=DocCheck Medical Services GmbH |datum=01.06.2006 |sprache=de |abruf=11.03.2022}}</ref>) ist ein wissenschaftlich nicht anerkanntes Verfahren aus dem Bereich der [[Alternativmedizin|Komplementärmedizin]] zur Behandlung chronischer Schmerzen oder Krankheiten.<ref>{{Literatur |Autor=W. John Diamond |Titel=The Clinical Practice of Complementary, Alternative, and Western Medicine |Verlag=CRC Press |Datum=2000-09-26 |Sprache=en |ISBN=978-0-8493-1399-8 |Seiten=228}}</ref>

Durch Anwendung eines [[Lokalanästhetikum]]s soll das [[Vegetatives Nervensystem|vegetative Nervensystem]] beeinflusst werden und im Gegensatz zu wissenschaftlich anerkannten [[Lokalanästhesie]]verfahren „Fernwirkungen“ entfalten.<ref name=":0">{{Literatur |Autor=[[Edzard Ernst]] |Titel=Heilung oder Humbug?: 150 alternativmedizinische Verfahren von Akupunktur bis Yoga |Auflage=1 |Verlag=Springer |Ort=Berlin |Datum=2020 |ISBN=978-3-662-61708-3 |Seiten=282-284 |DOI=10.1007/978-3-662-61709-0}}</ref> Die Neuraltherapie stützt sich auf zwei Therapiezweige: Die Segmenttherapie am Ort des Schmerzes oder dem Bereich der Beschwerden und die „Störfeldtherapie“, bei der die Neuraltherapeuten sogenannte „Störfelder“ wie z.&nbsp;B. Narben behandeln, die selbst unauffällig sind und keine Beschwerden verursachen, aber an ganz anderen Körperregionen Schmerzen hervorrufen. In beiden Fällen werden [[quaddel]]bildende [[intradermal]]e Injektionen mit einem Lokalanästhetikum verabreicht.

Weder ist der postulierte Mechanismus nachgewiesen, noch liegen Evidenzen zur therapeutischen Wirksamkeit vor.


== Geschichte ==
== Geschichte ==
[[Datei:Ferdinand Huneke kl.jpg|mini|Ferdinand Huneke]]
[[Datei:Walter-Huneke kl.jpg|mini|Walter Huneke]]
Entwickelt wurde die Neuraltherapie maßgeblich durch die Brüder [[Ferdinand Huneke|Ferdinand]] und Walter Huneke.<ref name=":0" /> Im Jahre 1925 injizierte Ferdinand Huneke seiner an chronischer [[Migräne]] leidenden Schwester intravenös versehentlich ein [[procain]]haltiges Präparat anstelle der procainfreien Variante. Die intravenöse Applikation von Procain war zum damaligen Zeitpunkt unüblich, da man eine tödliche Hirnlähmung befürchtete. Ferdinand Huneke gab jedoch an, in diesem Fall eine schlagartige und bleibende Heilwirkung beobachtet zu haben, sodass er gemeinsam mit seinem Bruder Walter die therapeutische Anwendung von Procain weiter erforschte. Zunächst entstand daraus die sogenannte ''Segmenttherapie'' als Teil der Neuraltherapie.


Im Jahre 1940 behandelte Ferdinand Huneke eine an einer schweren [[Arthritis|Schulterperiarthritis]] leidenden Frau im Bereich einer Beinwunde ([[Osteomyelitis]]),<ref name="sz-767298" /> nachdem er bereits zuvor mehrfach erfolglos die Segmenttherapie durchgeführt hatte. Nach der Behandlung am Bein soll binnen Sekunden eine deutliche Besserung im Bereich der Schulter eingetreten sein. Er postulierte die Existenz sogenannter „Störfelder“; dabei soll es sich um chronische Entzündungszustände handeln, die den Gesamtorganismus „energetisch“ schwächen und Beschwerden in anderen Bereichen des Körpers hervorrufen können. Ihre Existenz konnte nie nachgewiesen werden. Huneke glaubte, dass es sich bei dem von ihm ''Sekundenphänomen-Heilung'' genannten Phänomen um eine Heilung von Krankheitsherden handele, die eine „Fernstörung“ verursacht haben. Einwände, nach denen es sich um Suggestionen handeln könne, wies er entrüstet zurück. Daraus entwickelte er die sogenannte ''Störfeldtherapie'', die von seinen Schülern bis heute beibehalten wird.<ref>E. Ernst: ''Neural Therapy, Complementary Therapies for Pain Management/An Evidence-based Approach.'' Elsevier, 2007, ISBN 0-7234-3400-X, S. 149.</ref>
Huneke entwickelte die Neuraltherapie eher durch einen Zufall. Im Jahre 1925 injizierte er seiner an chronischer [[Migräne]] leidenden Schwester ein [[procain]]haltiges [[Antirheumatikum]] (Atofanyl) aufgrund einer falschen Applikationsform [[intravenös]]. Derartige Applikationen galten damals als [[Kunstfehler]], da man davon ausging, dass die Injektion eines lokalen Betäubungsmittels in die Vene zu einem [[Koma]] führen würde. Die schlagartige und bleibende Heilwirkung war allerdings so verblüffend, dass er gemeinsam mit seinem Bruder die therapeutische Anwendung von Lokalanästhetika weiter erforschte.


Der Begriff „Neuraltherapie“ wurde geprägt von dem niedergelassenen Arzt [[Kurt Rüdiger von Roques]], einem der Wegbereiter der [[Manuelle Medizin|Manuellen Medizin]].<ref>Florian G. Mildenberger: ''Arzt, Autor, Außenseiter: Kurt Rüdiger v. Roques (1890–1966).'' In: ''Medizinhistorische Mitteilungen. Zeitschrift für Wissenschaftsgeschichte und Fachprosaforschung.'' Band 36/37, 2017/2018 (2021), S. 135–146, hier: S. 141 f.</ref> Die „Internationale medizinische Gesellschaft für Neuraltherapie nach Huneke e.&nbsp;V.“ (IGNH) wurde 1958 gegründet mit dem Ziel, die Neuraltherapie zu fördern und zu verbreiten. Von dieser Vereinigung spaltete sich 1981 die ''Deutsche Akademie für Neuraltherapie und [[Akupunktur]] e.&nbsp;V.'' ab, die die Neuraltherapie seitdem als Zusatztherapie im Sinne der diagnostisch-therapeutischen Lokalanästhesie versteht.<ref name="oepen 1986">[[Irmgard Oepen]]: ''Neuraltherapie- „Zauberspritze“ oder diagnostisch-therapeutische Lokalanästhesie?'' In: ''Außenseitermethoden in der Medizin. Ursprünge, Gefahren, Konsequenzen.'' Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1986, ISBN 3-534-01736-6.</ref> 1971 erfolgte für das Gebiet der DDR – zunächst als Arbeitsgemeinschaft Reflexmedizin in der Gesellschaft für Innere Medizin – die Gründung der „Deutschen Gesellschaft für Akupunktur und Neuraltherapie“ (DGfAN e.&nbsp;V.).
Über mehrere Jahre entstand durch diese Forschung zunächst die sogenannte ''Segmenttherapie'' als Teil der Neuraltherapie. Dabei wird ein lokales Betäubungsmittel in einem betroffenen Segment in Form von Quaddeln oder auch an [[Ganglion (Nervensystem)|Ganglien]] (Nervenknoten) und im Bereich der entsprechenden "Head`schen" Zonen der inneren Organe injiziert. Es wirkt über das vegetative Nervensystem in Form einer Regulation. In der Segment- und Ganglientherapie wirkt es über vegetative Verschaltungen im betroffenen Segment.


== Behandlungsformen ==
Die ''Störfeldtherapie'' entdeckte Ferdinand Huneke im Jahre 1940. Er behandelte eine an [[Migräne]] und Gelenkbeschwerden in der Schulter leidende Frau im Bereich einer Beinwunde (Osteomyelitis), nachdem er bereits zuvor mehrfach erfolglos die Segmenttherapie durchgeführt hatte. Nach der Behandlung am Bein trat binnen Sekunden eine deutliche Besserung im Bereich der Schulter ein. Damit waren die ''Störfeldtherapie'' und das so genannte ''Sekundenphänomen nach Huneke'' entdeckt. Häufige Störfelder sind [[Mandel (Organ)|Mandeln]], [[Schilddrüse]] und Narben. Das Sekundenphänomen wird definiert als sofortiges Verschwinden der Beschwerden bei Injektion in das vermutete Störfeld, sofern diese Wirkung mindestens 20 Stunden anhält (bei Zahnbehandlung: mindestens 8 Stunden) und das Phänomen wiederholbar ist.
=== Segmenttherapie ===
Bei der ''Segmenttherapie'' wird ein Lokalanästhetikum in der Regel [[Procain]], aber auch [[Lidocain]], [[Mepivacain]] oder [[Prilocain]] in Form von Hautquaddeln im Bereich der entsprechenden [[Dermatom (Anatomie)|Headschen Zonen]] der inneren Organe intracutan oder an vegetative [[Ganglion (Nervensystem)|Ganglien]] injiziert. Dabei soll die Wirkung über das vegetative Nervensystem im betroffenen Segment vermittelt werden.<ref name="onmeda">[https://www.onmeda.de/behandlung/neuraltherapie-durchfuehrung-3596-3.html onmeda.de]</ref> Andere therapeutische Mittel zur Segmenttherapie sind unter anderem auch [[Cantharidenpflaster]], Saugpfröpfe und [[Schwarzer Senf#Verwendung als Heilpflanze|Senfwickel]] (vgl. [[Senfpflaster]]).<ref>[[Günter Clauser]]: ''Vegetative Störungen und klinische Psychotherapie.'' In: [[Ludwig Heilmeyer]] (Hrsg.): ''Lehrbuch der Inneren Medizin.'' Springer-Verlag, Berlin/Göttingen/Heidelberg 1955; 2. Auflage ebenda 1961, S. 1218–1297, hier: S. 1295 (''Die Segmenttherapie'').</ref>


=== Störfeldtherapie ===
Die Störfeldtherapie soll ebenfalls über das vegetative Nervensystem wirken. Im Gegensatz zur oben genannten Segmenttherapie sollen dabei jedoch elektomechanische Störsignale ausgeschaltet werden, welche über das vegetative Nervensystem Erkrankungen an jedem Ort des Körpers auslösen können. Die Störfelder sind quantenphysikalische Phänomene, welche mit den Störsignalen eines Handys in Flugzeugen oder Krankenhäusern zu vergleichen sind.
Nach Huneke soll es sich bei „Störfeldern“ um chronische Entzündungszustände handeln, die den Gesamtorganismus „energetisch“ schwächen und Beschwerden in anderen Bereichen des Körpers erzeugen können. Die häufigsten „Störfelder“ sollen sich in den [[Tonsille|Mandeln]], Nasennebenhöhlen, der Zahn-Kiefer-Region, [[Schilddrüse]] und in Narben befinden.


Huneke ging dabei von folgenden drei Grundsätzen aus:
== Grundsätze ==
# Jede chronische Erkrankung kann störfeldbedingt sein.
# Jede Stelle des Körpers kann zu einem Störfeld werden.
# Jede Störfelderkrankung ist nur durch Ausschaltung des Störfeldes heilbar.
„Störfelder“ sollen „Manifestationen einer Zellmembraninstabilität sein“, was zu abnormen Reaktionen des autonomen Nervensystems führt.<ref name=":0" /> Dies manifestiert sich dann teilweise oder vollständig in Symptome, die mit den vom autonomen Nervensystem gesteuerten Körperfunktionen zusammenhängen (beispielsweise [[Palpitation|Herzklopfen]], [[Bronchospasmus]], [[Verdauungsstörung]]en, [[Obstipation|Verstopfung]], [[Sexuelle Dysfunktion|sexuelle Funktionsstörungen]], [[Menstruationsbeschwerden]] oder sogar kalte Hände oder Füße). Durch gezielte Befragung und Untersuchung wird versucht, das Störfeld zu finden und durch [[Injektion (Medizin)|Injektion]] eines Lokalanästhetikums die Störwirkung zu unterbrechen.<ref name=":0" /> Die Befürworter der Neuraltherapie behaupten, dass eine einzige Injektion dann eine unmittelbare Wirkung auf einen entfernen Körperteil entfalte; dies hatte Hueke als „Sekundenphänomen“ bezeichnet.<ref name=":0" />


Falls die Reaktion auf die Neuraltherapie sich nicht dauerhaft einstellt, empfehlen Neuraltherapeuten eine Therapie.
Die Neuraltherapie umfasst die Segmenttherapie, also die lokale Behandlung des betroffenen Körpersegments und die Störfeldtherapie. Huneke ging dabei von folgenden drei Grundsätzen aus.
# jede chronische Erkrankung kann störfeldbedingt sein
# jede Stelle des Körpers kann zu einem Störfeld werden
# jede Störfelderkrankung ist nur durch Ausschaltung des Störfeldes heilbar


== Andere Behandlungsformen ==
Es liegt eine Vielzahl von Studien zur Wirksamkeit und zu den theoretischen Grundlagen der Störfeldtherapie vor. Als eine Domäne der Neuraltherapie gelten u.&nbsp;a. folgende Leiden:
Bei der ''Therapeutischen Lokalanästhesie'' (TLA) werden gereizte [[Nervenwurzel]]n, etwa im Bereich der [[Lendenwirbelsäule]], mit einem Lokalanästhetikum infiltriert. Teilweise werden auch Sakralanästhesien oder [[Periduralanästhesie]]n nur zu therapeutischen Zwecken eingesetzt. Ein weiteres Verfahren ist die ''Reischauer-Blockade'', die bei starken Ischias-Reizungen angewendet wird. Die ''Sympathikusblockade'' wird bei [[Algodystrophie]]n verwendet, um Störungen der lokalen Durchblutung zu behandeln.
* funktionelle Störfelder&nbsp;– noch nicht primär organisch manifestierte Leiden
* neurale Störfelder&nbsp;– primär nicht metabolische Leiden


Eine weitere Variante der Neuraltherapie ist die ''Funktionelle Neuraltherapie'' (FNT). Bei der FNT sind an der Körpervorderseite subkutan Punkte definiert, die mit einzelnen inneren Organen „funktionell“ in Verbindung stehen. Bei Erkrankungen dieser Organe sollen auch die jeweils zugeordneten Punkte deutlich druckschmerzhaft und als Knoten tastbar sein. Durch Injektion eines Lokalanästhetikums in diese Punkte soll nicht nur die Übermittlung von Schmerzsignalen aus den funktionell zugeordneten Punkten, sondern auch aus den erkrankten inneren Organen unterbrochen werden. Mittels wiederholter Anwendung soll so der Heilungsprozess initiiert werden.
Im Rahmen der Schmerzbehandlung wird die Neuraltherapie bereits von den Krankenkassen erstattet. Alle Mitglieder der Internationalen medizinischen Gesellschaft für Neuraltherapie nach Huneke (IGNH) sind Ärzte. Sie müssen zehn Kurse für Neuraltherapie mit jeweils zwölf Stunden sowie eine mündliche Prüfung nach Abschluss der 2-jährigen Ausbildung absolvieren.
Es gibt natürlich auch andere Gesellschaften, die diese Behandlungsmethoden lehren. Auch Ärzte, die nicht diesen Gesellschaften angehören, können sehr erfolgreich mit der Huneke-Neuraltherapie behandeln.
Eine Ausbildung und Zertifizierung ist für den Patienten jedoch ein wichtiger Anhaltspunkt für die korrekte Behandlung durch den Arzt.


Bei der ''[[Mesotherapie]]'' – einer Kombination von Elementen der Akupunktur, Neuraltherapie, Reflexzonen und Homöopathie – werden verschiedene verdünnte Wirkstoffe gespritzt.


== Ausbildung und Kassenzulassung ==
[http://www.dr-zinecker.de www.dr-zinecker.de] allgemeinärztliche Praxis für Schmerztherapie, u. A. auch mit der Neuraltherapie nach Huneke
Die Neuraltherapie wird durch ausgebildete Ärzte angeboten, die nach einer Fortbildung von 120–150&nbsp;Stunden und abschließender Prüfung diese Behandlungsform durchführen. Es existiert keine einheitliche Weiterbildungsordnung; die einzelnen existierenden Zertifikate werden von den medizinischen Fachgesellschaften unter unterschiedlichen Voraussetzungen vergeben. Die Vermittlung der Grundlagen der Neuraltherapie gehört zur Ausbildung für die Zusatzbezeichnung „Naturheilverfahren“ und ist dadurch in Deutschland von den jeweiligen Landesärztekammern anerkannt.<ref>{{Webarchiv|url=http://www.laek-thueringen.de/wcms/DocsID/0280F32F4BFCADC9C1257FA2004575FB/$file/Weiterbildungsordnung%20vom%2014.%20Juli%202011%2C%20zuletzt%20ge%C3%A4ndert%20am%2025.%20September%202014%20.pdf |wayback=20160706181433 |text=Weiterbildungsordnung der LÄK Thüringen }}</ref>


Bis zum 1. April 2006 führten die Neuraltherapie auch [[Heilpraktiker]] nach spezieller Ausbildung durch. Seit dem 1. April 2006 wurden die für die Anwendung verwendeten Lokalanästhetika, vorwiegend Procain und Lidocain, unter [[Verschreibungspflicht]] gestellt und somit die Neuraltherapie für den Heilpraktikerberuf beschnitten. Einzige Ausnahme ist die Anwendung von Lidocain und Procain bis zwei Prozent und intracutane Injektion (i.&nbsp;c. – die sog. Quaddel) in die gesunde Haut. Die Quaddelbehandlung gehört zu den einfachen neuraltherapeutischen Injektionen im Segment.
== Weiterentwicklungen: Funktionelle Neuraltherapie (FNT) ==
Eine wesentliche Weiterentwicklung der Neuraltherapie nach Huneke ist die von Siegfried Zinecker in Nürnberg ab 1984 entwickelte neue "Funktionelle Neuraltherapie (FNT)". Charakteristisch dafür sind die an der Körpervorderseite gelegenen , inneren Organen funktionell zugeordneten FNT-Punkte. Sie stehen in einem funktionellen Zusammenhang mit inneren Organen. Sind diese nicht optimal gesund, sind diese Punkte deutlich druckschmerzhaft. Die Therapie erfolgt über die Lokalanästhesie dieser Punkte mit einer sehr geringen Menge eines Lokalanästhetikums. Die von dort fortgeleiten Schmerzen (in der Regel in die bekannten Head'schen Zonen) werden damit zunächst sofort unterbrochen. Durch wiederholte FNT-Behandlungen lassen sich Behandlungserfolge erzielen, die mit der konventionellen NT nicht möglich sind.
Die Behandlungsverläufe der FNT unterscheiden sich z. T erheblich von der NT nach Huneke, ebenso das theoretische Verständnis der ablaufenden Heilungsvorgänge. Mit der NT nach Huneke ist es nicht möglich, die FNT zu erklären, jedoch erlaubt das Verständnis der in der FNT ablaufenden Heilungsvorgänge, auch die Huneke-Mechanismen zu erklären.


Die Neuraltherapie wurde in der Schweiz hinsichtlich der Kriterien der Wirksamkeit, Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit (WZW) über mehrere Jahre hinweg evaluiert. Das [[Eidgenössisches Departement des Innern|Eidgenössische Departement des Inneren]] schreibt dazu 2016 in den vorgesehenen Änderungen zur Verordnung des EDI über Leistungen in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung: „Die [...] Eidgenössische Kommission für allgemeine Leistungen und Grundsatzkommission (ELGK) erachtete die WZW-Kriterien für vier der fünf Fachrichtungen [der Komplementärmedizin] (Ausnahme: Teilgebiete der Neuraltherapie) nach wie vor als nicht erfüllt; im Falle der Neuraltherapie machte sie einen Unterschied zwischen der (der Komplementärmedizin zuzuordnenden) Neuraltherapie nach Huneke oder Störfeldtherapie, für welche sie den WZW-Nachweis als nicht erbracht hielt und der (der konventionellen Medizin zuzuordnenden und unbestrittenen) lokalen und segmentalen Neuraltherapie“.<ref>{{Internetquelle |autor=Bundesamt für Gesundheit BAG |url=https://www.bag.admin.ch/dam/bag/de/dokumente/kuv-leistungen/leistungen-und-tarife/aerztliche-leistungen/Komplement%C3%A4rmedizin/erlaeuterungen-aenderungen-kvv-klv-komplementaermedizin.pdf |titel=Erläuterungen zu den Änderungen der Verordnung des EDI vom 29. September 1995 über Leistungen in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (Krankenpflege-Leistungsversicherung, KLV) |werk= |hrsg= |datum= |abruf=2019-01-31 |format=PDF}}</ref>
== Weiterentwicklungen: therapeutische Lokalanästhesie (TLA) ==


Injektionen im Rahmen einer „Störfeldtherapie“ werden in Deutschland von verschiedenen [[Krankenkasse]]n nicht bezahlt, es handelt sich um eine Selbstzahler-Leistung. Die [[Techniker Krankenkasse]] führt hierbei an, dass die Wirkung als wissenschaftlich nicht belegt gilt.<ref>{{Internetquelle |autor=Katrin von Bechtolsheim |url=https://www.tk.de/techniker/gesundheit-und-medizin/behandlungen-und-medizin/alternativ-heilen/neuraltherapie-nadel-mit-grosser-wirkung-2016246 |titel=Neuraltherapie: Nadel mit großer Wirkung? |werk= |hrsg=[[Techniker Krankenkasse]] |datum=2017-10-09 |abruf=2019-09-06}}</ref>
Es gibt auch noch einen schulmedizinischen Ableger, die [[therapeutische Lokalanästhesie]] (TLA). Gereizte [[Nervenwurzel]]n, etwa im Bereich der [[Lendenwirbelsäule]] werden mit einem Lokalanästhetikum infiltiert, es werden auch schonmal Sakralanästhesien oder Periduralanästhesien nur zu therapeutischen Zwecken eingesetzt. Ein übliches Verfahren ist die Reischauer- Blockade, die bei starken Ischias- Reizungen angewendet wird. Die Sympathikusblockade wird Bei [[Algodystrophie]]n verwendet, auch um Störungen der lokalen Durchblutung zu behandeln.


Es gibt mittlerweile weltweit 21 medizinisch-wissenschaftliche Fachgesellschaften in 19 Ländern, die Ausbildungen für Neuraltherapie anbieten. Der internationale Dachverband (IFMANT) schließt die einzelnen nationalen Neuraltherapie-Gesellschaften zusammen.
== Kontraindikationen ==
Für das Curriculum Neuraltherapie sollen die vorhandenen nationalen Ausbildungsgrundlagen aneinander angeglichen werden, sodass in jedem Land vergleichbare Verhältnisse vorliegen.
* [[Hämophilie|Blutgerinnungsstörungen]]
* [[Allergie]] gegen das verwendete Lokalanästhetikum
* [[Herzrhythmusstörung|Herzrhythmus]]- und Überleitungsstörungen (Jedoch können Herzrhythmusstörungen auch eine Indikation für die Neuraltherapie sein!)
* [[Herzinsuffizienz]]
* [[Myasthenia gravis]]
* ablehnende Haltung des Patienten


== Nebenwirkungen und Komplikationen ==
== Nebenwirkungen und Komplikationen ==
Wie bei jedem anderen invasiven Verfahren kann es bei der Durchführung der Neuraltherapie nach Huneke zu Verletzungen der Patienten kommen.<ref name="oepen 1986" /><ref name="sz-767298" /> Mögliche Komplikationen und Fälle, die zum Teil von Huneke selbst, zum Teil von anderen beschrieben wurden, sind:
Bei Beachtung aller Kontraindikationen sowie guter Kenntnis der Anatomie, der Injektionstechniken und Einhaltung der Höchstdosen ist die Neuraltherapie nebenwirkungsarm. Allergien gegen das meist verwendete Procain (Lokalanästhetikum) sind selten. Vereinzelt auftretende Überempfindlichkeitsreaktionen sind oft auf Konservierungsstoffe zurückzuführen. Der Therapeut sollte aus diesem Grunde Procain ohne Konservierungsstoffe verwenden.

Bei Überdosierung wirken Lokalanästhetika kreislauf- und atemdepressiv. Durch die Injektion können bei unsachgemäßer Durchführung Gefäße, Gewebe (insbesondere Nerven mit nachfolgenden Lähmungserscheinungen) und Organe verletzt werden. Symptome wie Schwitzen, Zittern, die Empfindung eines metallischen Geschmacks sowie Herzklopfen sind unbedenklich und verschwinden ebenso wie ein allgemeines Wärmegefühl nach einigen Minuten wieder.


* Verletzung nach [[Ganglion stellatum|Stellatum]]-Injektion
Das haupsächliche Risiko der Neuraltherapie nach Huneke liegt in der Stichtechnik. Injektionen an die grossen Ganglien im Oberbauch können bei unsachgemäßem Vorgehenzu Verletzungen der Nieren und der Bauchschlagader (Aorta) führen und im schlimmsten Falle tödlich enden. Eine unkorrekt durchgeführte Operation führt natürlich auch zum Tode. Die korrekt durchgeführte Injektion in die Nähe des Ganglion coeliacum ("grosse Ganglien im Oberbauch") kommt nicht zur Aorta. Daher ist eine entsprechende Ausbildung des anwendenden Arztes entscheidend. Zudem sind die verwendeten Nadeln deutlich dünner als Punktionsnadeln. Eine diagnostische Nierenpunktion führt auch nicht konsequenterweise zum Tode.
* Hirnblutung nach Injektion in die [[Arteria vertebralis]]
* Verletzung der [[Bauchspeicheldrüse]]
* Perforation des [[Augapfel]]s
* Allergische Reaktionen bzw. Überempfindlichkeit gegenüber Procain


Stöhr und Mayer (1976) und andere Autoren berichteten über fünf Patienten, die Nervenwurzelläsionen nach paravertebraler Injektion von Neuraltherapeutika erlitten hatten.<ref>M. Stöhr, K. Mayer: ''Nerve-root damage from local injections.'' In: ''Dtsch Med Wochenschr.'' 101, Nr. 33, 13. August 1976, S. 1218–1220.</ref><ref>W. Mattig, W. Buchholz, H. Schulz: ''Severe iatrogenic lesions caused by Huneke's neural therapy.'' In: ''Z Gesamte Inn Med.'' 34, Nr. 5, 1. März 1979, S. 143–147.</ref> In einem Falle kam es zu einer lebensbedrohlichen Hirnblutung nach Neuraltherapie.<ref>U. Heyll, D. J. Ziegenhagen: ''Subarachnoid hemorrhage as life-threatening complication of neural therapy. Case report.'' In: ''Versicherungsmedizin.'' 52, Nr. 1, 1. März 2000, S. 33–36.</ref>
Wiederholte Injektionen in das Ganglion Stellatum können zur Zerstörung dieses führen. Ein geübter Neuraltherapeut erlernt, niemals "in" ein Gnglion, sondern nur an dessen nervale Ausläufer zu injizieren. Daher kommt es zu keiner Schädigung des Ganlions selbst.


In der Neuraltherapie kommt dem [[Lokalanästhetikum]] [[Procain]] traditionellerweise eine herausgehobene Rolle zu. In der klinischen [[Anästhesie]] hat diese Substanz jedoch an Bedeutung verloren, da sie einige ungünstige Eigenschaften besitzt. Zum einen breitet sie sich im Vergleich zu anderen Lokalanästhetika schlecht im Gewebe aus, darüber hinaus gehört sie zur Gruppe der [[Ester|Aminoester]], bei deren Abbau durch die ubiquitär vorkommende [[Pseudocholinesterase]] [[Paraaminobenzoesäure]] entsteht. Auf dieses Abbauprodukt reagieren einige Patienten allergisch. Aus diesem Grund wird vor der Therapie eine probeweise Gabe des Procains empfohlen. Zusätzlich können bei Anwendung von Procain (wie bei jedem anderen Lokalanästhetikum) die typischen Nebenwirkungen dieser Substanzgruppe wie [[Herzrhythmusstörung]]en und [[Zentralnervensystem|ZNS-Symptome]] bis hin zum generalisierten [[Krampfanfall]] auftreten.<ref>Larsen: ''Anästhesie.'' 7. Auflage.</ref>
Bei Procain besteht das Risiko allergischer Reaktionen. Die chemische Struktur von Procain enthält so genannte "Paragruppen" und kann über Kreuzallergien auch u. Umständen eine allergische Reaktion bei den gefürchteten Paragruppenallergien auslösen. Risikoärmer ist Lidocain in niedriger Dosierung bei gleicher Wirksamkeit. Auf Grund der höheren Lipophilie ist Lidocain sogar noch besser gewebegängig, hat auch nicht die kreislaufdepressive Wirkung der Abbauprodukte von Procain.


== Wirksamkeit und Forschung ==
Gerade jedoch die Abbauprodukte des Procain sind es, die nach Überzeugung der Neuraltherapeuten wesentlich zum heilsamen Effekt der Therapie beitragen. Es gibt wohl kaum eine andere Richtung in der Medizin, die sich so um exakt ein Medikament herum kristallisiert hat. Huneke selber nannte es "das königliche Medikament", und im März 2005 gab es in Jena eine recht große Feier mit etwa 1000 Ärzten zum einhunderjährigen Bestehen des Procains.
Weder Wirksamkeit und Wirkmechanismus der Neuraltherapie noch die Existenz der von ihr postulierten „Störfelder“ sind wissenschaftlich belegt.<ref>[[Süddeutsche Zeitung]]: ''[https://www.sueddeutsche.de/gesundheit/alternativmedizin-weissbrot-gegen-krebs-1.2349722 Weißbrot gegen Krebs]'', vom 16. Februar 2015</ref><ref>[[Onmeda]]: [https://www.onmeda.de/behandlung/neuraltherapie.html Neuraltherapie], abgerufen am 16. Februar 2015</ref> Auch die Existenz des „Sekundenphänomens“ ist wissenschaftlich nicht nachgewiesen.<ref name="sz-767298">{{Internetquelle |url=https://www.sueddeutsche.de/wissen/teil-25-neuraltherapie-stechen-gegen-stoerungen-1.767298 |titel=Neuraltherapie – Stechen gegen Störungen |autor=Colin Goldner |werk=[[Süddeutsche Zeitung|sueddeutsche.de]] |datum=2010-06-08 |abruf=2016-07-24}}</ref>


Das [[Universitätsklinikum Heidelberg]] bietet die therapeutische Lokalanästhesie (TLA/Neuraltherapie) als Wahlfach für Medizinstudenten an.
Neuraltherapie wirkt ebenso gut auch mit anderen Lokalanästhetika. Die Verwendung von Procain ist historisch bedingt, da damals kein anderes Lokalanästhetikum zur Verfügung stand. Die Verknüpfung eines einzig damals zugänglichen Lokalanästhetikums mit einer Therapie zeigt in deren Ausschliesslichkeit religiöse Züge.


== Literatur ==
Leider handelt es sich um die oben dargelegten Äußerungen um eine subjektive Einzelmeinung. Es existiert wahrlich keine religiös anmutende Verknüpfung der Neuraltherapie nach Huneke mit dem Procain! Die Äusserungen von Ferdinand Huneke sind korrekt und wie oben dargelegt darauf zurückzuführen, dass es zunächst nur das Procain als lokales Betäubungsmittel gab.
* G. Badtke, I. Mudra: ''Neuraltherapie. Lehrbuch und Atlas.'' 2. Aufl., München 1998, ISBN 3-86126-104-9.
Die Behandlungserfolge der Neuraltherapie sind mit allen anderen lokalen Betäubungsmitteln wie z.B. Lidocain gleichwertig zu erzielen. Die Behandlungserfolge sind keineswegs auf die Abbauprodukte des Procain zurückzuführen. Einige Vorteile des Procain:
* H. Barop: ''Lehrbuch und Atlas Neuraltherapie nach Huneke.'' Hippokrates-Verlag, Stuttgart 1996.
* es belastet weder Niere noch Leber, da es über die ubiquitär im Körper vorhandene Pseudocholinesterase abgebaut wird
* E. Ernst: ''Neural Therapy, Complementary Therapies for Pain Management/An Evidence-based Approach.'' Elsevier, 2007, ISBN 0-7234-3400-X, S. 149.
* es hat als einziges Lokalanasthätikum eine lokal durchblutungssteigernde Wirkung
* L. Fischer: ''Neuraltherapie nach Huneke. Neurophysiologie, Injektionstechnik und Therapievorschläge.'' Haug, 4. Auflage. Stuttgart 2014, ISBN 978-3-8304-7493-7.
* kurze Wirkdauer von 20 - 30 Minuten (besonders für den Patienten angenehm)
* J. D. Hahn-Godeffroy: ''Neuraltherapie nach Huneke – Störfeldtherapie – ein regulationsmedizinisches Verfahren unter Verwendung von Procain.'' 2. Auflage. Uelzen 2004, ISBN 3-88136-223-1.
* Stefan Weinschenk (Hrsg.): '' Handbuch Neuraltherapie. Diagnostik und Therapie mit Lokalanästhetika.'' Urban & Fischer, München 2010.


== Weblinks ==
Daher ist die bevorzugte Anwendung des Procain nach Aussschluss aller Gegenanzeigen, (z.B. selten auftretender Allergie) durch eine Probequaddel, nur verständlich.
{{Commonscat|Neural therapy|Neuraltherapie}}
{{Wiktionary}}


== Links ==
== Einzelnachweise ==
<references />
* http://www.ignh.de/ Internationale medizinische Gesellschaft für Neuraltherapie nach Huneke Regulationstherapie e.V
* http://www.hahn-godeffroy.de/neuraltherapie/
* http://www.plischko.de '''Praxis für Neuraltherapie München'''
* http://www.neuraltherapie-stuttgart.de
* http://www.neuraltherapieschweiz.ch
* http://www.heilanaesthesie.de
* http://www.ganzheitsmedizin.at/neural.htm
* http://www.m-ww.de/enzyklopaedie/diagnosen_therapien/neuraltherapie.html
* http://www.dr-zinecker.de Informationen zur neuen Funktionellen Neuraltherapie (FNT) von Dr. med. S. Zinecker
* http://www.schmerztherapieseminar.de Kurse zum Erlernen der neuen Funktionellen Neuraltherapie (FNT)
* http://www.biomedicus.de/krankheit/stoerfel.htm


{{Gesundheitshinweis}}
{{Gesundheitshinweis}}
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[[Kategorie:Alternativmedizin]]
[[Kategorie:Therapeutisches Verfahren in der Alternativmedizin]]
[[Kategorie:Injektion und Infusion]]
[[Kategorie:Medizinisches Fachgebiet]]
[[Kategorie:Physikalische und Rehabilitative Medizin]]

Aktuelle Version vom 1. April 2025, 22:36 Uhr

Hautquaddeln in der Segmenttherapie

Die Neuraltherapie (auch Therapeutische Lokalanästhesie, oder Heilanästhesie[1]) ist ein wissenschaftlich nicht anerkanntes Verfahren aus dem Bereich der Komplementärmedizin zur Behandlung chronischer Schmerzen oder Krankheiten.[2]

Durch Anwendung eines Lokalanästhetikums soll das vegetative Nervensystem beeinflusst werden und im Gegensatz zu wissenschaftlich anerkannten Lokalanästhesieverfahren „Fernwirkungen“ entfalten.[3] Die Neuraltherapie stützt sich auf zwei Therapiezweige: Die Segmenttherapie am Ort des Schmerzes oder dem Bereich der Beschwerden und die „Störfeldtherapie“, bei der die Neuraltherapeuten sogenannte „Störfelder“ wie z. B. Narben behandeln, die selbst unauffällig sind und keine Beschwerden verursachen, aber an ganz anderen Körperregionen Schmerzen hervorrufen. In beiden Fällen werden quaddelbildende intradermale Injektionen mit einem Lokalanästhetikum verabreicht.

Weder ist der postulierte Mechanismus nachgewiesen, noch liegen Evidenzen zur therapeutischen Wirksamkeit vor.

Ferdinand Huneke
Walter Huneke

Entwickelt wurde die Neuraltherapie maßgeblich durch die Brüder Ferdinand und Walter Huneke.[3] Im Jahre 1925 injizierte Ferdinand Huneke seiner an chronischer Migräne leidenden Schwester intravenös versehentlich ein procainhaltiges Präparat anstelle der procainfreien Variante. Die intravenöse Applikation von Procain war zum damaligen Zeitpunkt unüblich, da man eine tödliche Hirnlähmung befürchtete. Ferdinand Huneke gab jedoch an, in diesem Fall eine schlagartige und bleibende Heilwirkung beobachtet zu haben, sodass er gemeinsam mit seinem Bruder Walter die therapeutische Anwendung von Procain weiter erforschte. Zunächst entstand daraus die sogenannte Segmenttherapie als Teil der Neuraltherapie.

Im Jahre 1940 behandelte Ferdinand Huneke eine an einer schweren Schulterperiarthritis leidenden Frau im Bereich einer Beinwunde (Osteomyelitis),[4] nachdem er bereits zuvor mehrfach erfolglos die Segmenttherapie durchgeführt hatte. Nach der Behandlung am Bein soll binnen Sekunden eine deutliche Besserung im Bereich der Schulter eingetreten sein. Er postulierte die Existenz sogenannter „Störfelder“; dabei soll es sich um chronische Entzündungszustände handeln, die den Gesamtorganismus „energetisch“ schwächen und Beschwerden in anderen Bereichen des Körpers hervorrufen können. Ihre Existenz konnte nie nachgewiesen werden. Huneke glaubte, dass es sich bei dem von ihm Sekundenphänomen-Heilung genannten Phänomen um eine Heilung von Krankheitsherden handele, die eine „Fernstörung“ verursacht haben. Einwände, nach denen es sich um Suggestionen handeln könne, wies er entrüstet zurück. Daraus entwickelte er die sogenannte Störfeldtherapie, die von seinen Schülern bis heute beibehalten wird.[5]

Der Begriff „Neuraltherapie“ wurde geprägt von dem niedergelassenen Arzt Kurt Rüdiger von Roques, einem der Wegbereiter der Manuellen Medizin.[6] Die „Internationale medizinische Gesellschaft für Neuraltherapie nach Huneke e. V.“ (IGNH) wurde 1958 gegründet mit dem Ziel, die Neuraltherapie zu fördern und zu verbreiten. Von dieser Vereinigung spaltete sich 1981 die Deutsche Akademie für Neuraltherapie und Akupunktur e. V. ab, die die Neuraltherapie seitdem als Zusatztherapie im Sinne der diagnostisch-therapeutischen Lokalanästhesie versteht.[7] 1971 erfolgte für das Gebiet der DDR – zunächst als Arbeitsgemeinschaft Reflexmedizin in der Gesellschaft für Innere Medizin – die Gründung der „Deutschen Gesellschaft für Akupunktur und Neuraltherapie“ (DGfAN e. V.).

Behandlungsformen

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Segmenttherapie

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Bei der Segmenttherapie wird ein Lokalanästhetikum in der Regel Procain, aber auch Lidocain, Mepivacain oder Prilocain in Form von Hautquaddeln im Bereich der entsprechenden Headschen Zonen der inneren Organe intracutan oder an vegetative Ganglien injiziert. Dabei soll die Wirkung über das vegetative Nervensystem im betroffenen Segment vermittelt werden.[8] Andere therapeutische Mittel zur Segmenttherapie sind unter anderem auch Cantharidenpflaster, Saugpfröpfe und Senfwickel (vgl. Senfpflaster).[9]

Störfeldtherapie

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Nach Huneke soll es sich bei „Störfeldern“ um chronische Entzündungszustände handeln, die den Gesamtorganismus „energetisch“ schwächen und Beschwerden in anderen Bereichen des Körpers erzeugen können. Die häufigsten „Störfelder“ sollen sich in den Mandeln, Nasennebenhöhlen, der Zahn-Kiefer-Region, Schilddrüse und in Narben befinden.

Huneke ging dabei von folgenden drei Grundsätzen aus:

  1. Jede chronische Erkrankung kann störfeldbedingt sein.
  2. Jede Stelle des Körpers kann zu einem Störfeld werden.
  3. Jede Störfelderkrankung ist nur durch Ausschaltung des Störfeldes heilbar.

„Störfelder“ sollen „Manifestationen einer Zellmembraninstabilität sein“, was zu abnormen Reaktionen des autonomen Nervensystems führt.[3] Dies manifestiert sich dann teilweise oder vollständig in Symptome, die mit den vom autonomen Nervensystem gesteuerten Körperfunktionen zusammenhängen (beispielsweise Herzklopfen, Bronchospasmus, Verdauungsstörungen, Verstopfung, sexuelle Funktionsstörungen, Menstruationsbeschwerden oder sogar kalte Hände oder Füße). Durch gezielte Befragung und Untersuchung wird versucht, das Störfeld zu finden und durch Injektion eines Lokalanästhetikums die Störwirkung zu unterbrechen.[3] Die Befürworter der Neuraltherapie behaupten, dass eine einzige Injektion dann eine unmittelbare Wirkung auf einen entfernen Körperteil entfalte; dies hatte Hueke als „Sekundenphänomen“ bezeichnet.[3]

Falls die Reaktion auf die Neuraltherapie sich nicht dauerhaft einstellt, empfehlen Neuraltherapeuten eine Therapie.

Andere Behandlungsformen

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Bei der Therapeutischen Lokalanästhesie (TLA) werden gereizte Nervenwurzeln, etwa im Bereich der Lendenwirbelsäule, mit einem Lokalanästhetikum infiltriert. Teilweise werden auch Sakralanästhesien oder Periduralanästhesien nur zu therapeutischen Zwecken eingesetzt. Ein weiteres Verfahren ist die Reischauer-Blockade, die bei starken Ischias-Reizungen angewendet wird. Die Sympathikusblockade wird bei Algodystrophien verwendet, um Störungen der lokalen Durchblutung zu behandeln.

Eine weitere Variante der Neuraltherapie ist die Funktionelle Neuraltherapie (FNT). Bei der FNT sind an der Körpervorderseite subkutan Punkte definiert, die mit einzelnen inneren Organen „funktionell“ in Verbindung stehen. Bei Erkrankungen dieser Organe sollen auch die jeweils zugeordneten Punkte deutlich druckschmerzhaft und als Knoten tastbar sein. Durch Injektion eines Lokalanästhetikums in diese Punkte soll nicht nur die Übermittlung von Schmerzsignalen aus den funktionell zugeordneten Punkten, sondern auch aus den erkrankten inneren Organen unterbrochen werden. Mittels wiederholter Anwendung soll so der Heilungsprozess initiiert werden.

Bei der Mesotherapie – einer Kombination von Elementen der Akupunktur, Neuraltherapie, Reflexzonen und Homöopathie – werden verschiedene verdünnte Wirkstoffe gespritzt.

Ausbildung und Kassenzulassung

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Die Neuraltherapie wird durch ausgebildete Ärzte angeboten, die nach einer Fortbildung von 120–150 Stunden und abschließender Prüfung diese Behandlungsform durchführen. Es existiert keine einheitliche Weiterbildungsordnung; die einzelnen existierenden Zertifikate werden von den medizinischen Fachgesellschaften unter unterschiedlichen Voraussetzungen vergeben. Die Vermittlung der Grundlagen der Neuraltherapie gehört zur Ausbildung für die Zusatzbezeichnung „Naturheilverfahren“ und ist dadurch in Deutschland von den jeweiligen Landesärztekammern anerkannt.[10]

Bis zum 1. April 2006 führten die Neuraltherapie auch Heilpraktiker nach spezieller Ausbildung durch. Seit dem 1. April 2006 wurden die für die Anwendung verwendeten Lokalanästhetika, vorwiegend Procain und Lidocain, unter Verschreibungspflicht gestellt und somit die Neuraltherapie für den Heilpraktikerberuf beschnitten. Einzige Ausnahme ist die Anwendung von Lidocain und Procain bis zwei Prozent und intracutane Injektion (i. c. – die sog. Quaddel) in die gesunde Haut. Die Quaddelbehandlung gehört zu den einfachen neuraltherapeutischen Injektionen im Segment.

Die Neuraltherapie wurde in der Schweiz hinsichtlich der Kriterien der Wirksamkeit, Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit (WZW) über mehrere Jahre hinweg evaluiert. Das Eidgenössische Departement des Inneren schreibt dazu 2016 in den vorgesehenen Änderungen zur Verordnung des EDI über Leistungen in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung: „Die [...] Eidgenössische Kommission für allgemeine Leistungen und Grundsatzkommission (ELGK) erachtete die WZW-Kriterien für vier der fünf Fachrichtungen [der Komplementärmedizin] (Ausnahme: Teilgebiete der Neuraltherapie) nach wie vor als nicht erfüllt; im Falle der Neuraltherapie machte sie einen Unterschied zwischen der (der Komplementärmedizin zuzuordnenden) Neuraltherapie nach Huneke oder Störfeldtherapie, für welche sie den WZW-Nachweis als nicht erbracht hielt und der (der konventionellen Medizin zuzuordnenden und unbestrittenen) lokalen und segmentalen Neuraltherapie“.[11]

Injektionen im Rahmen einer „Störfeldtherapie“ werden in Deutschland von verschiedenen Krankenkassen nicht bezahlt, es handelt sich um eine Selbstzahler-Leistung. Die Techniker Krankenkasse führt hierbei an, dass die Wirkung als wissenschaftlich nicht belegt gilt.[12]

Es gibt mittlerweile weltweit 21 medizinisch-wissenschaftliche Fachgesellschaften in 19 Ländern, die Ausbildungen für Neuraltherapie anbieten. Der internationale Dachverband (IFMANT) schließt die einzelnen nationalen Neuraltherapie-Gesellschaften zusammen. Für das Curriculum Neuraltherapie sollen die vorhandenen nationalen Ausbildungsgrundlagen aneinander angeglichen werden, sodass in jedem Land vergleichbare Verhältnisse vorliegen.

Nebenwirkungen und Komplikationen

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Wie bei jedem anderen invasiven Verfahren kann es bei der Durchführung der Neuraltherapie nach Huneke zu Verletzungen der Patienten kommen.[7][4] Mögliche Komplikationen und Fälle, die zum Teil von Huneke selbst, zum Teil von anderen beschrieben wurden, sind:

Stöhr und Mayer (1976) und andere Autoren berichteten über fünf Patienten, die Nervenwurzelläsionen nach paravertebraler Injektion von Neuraltherapeutika erlitten hatten.[13][14] In einem Falle kam es zu einer lebensbedrohlichen Hirnblutung nach Neuraltherapie.[15]

In der Neuraltherapie kommt dem Lokalanästhetikum Procain traditionellerweise eine herausgehobene Rolle zu. In der klinischen Anästhesie hat diese Substanz jedoch an Bedeutung verloren, da sie einige ungünstige Eigenschaften besitzt. Zum einen breitet sie sich im Vergleich zu anderen Lokalanästhetika schlecht im Gewebe aus, darüber hinaus gehört sie zur Gruppe der Aminoester, bei deren Abbau durch die ubiquitär vorkommende Pseudocholinesterase Paraaminobenzoesäure entsteht. Auf dieses Abbauprodukt reagieren einige Patienten allergisch. Aus diesem Grund wird vor der Therapie eine probeweise Gabe des Procains empfohlen. Zusätzlich können bei Anwendung von Procain (wie bei jedem anderen Lokalanästhetikum) die typischen Nebenwirkungen dieser Substanzgruppe wie Herzrhythmusstörungen und ZNS-Symptome bis hin zum generalisierten Krampfanfall auftreten.[16]

Wirksamkeit und Forschung

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Weder Wirksamkeit und Wirkmechanismus der Neuraltherapie noch die Existenz der von ihr postulierten „Störfelder“ sind wissenschaftlich belegt.[17][18] Auch die Existenz des „Sekundenphänomens“ ist wissenschaftlich nicht nachgewiesen.[4]

Das Universitätsklinikum Heidelberg bietet die therapeutische Lokalanästhesie (TLA/Neuraltherapie) als Wahlfach für Medizinstudenten an.

  • G. Badtke, I. Mudra: Neuraltherapie. Lehrbuch und Atlas. 2. Aufl., München 1998, ISBN 3-86126-104-9.
  • H. Barop: Lehrbuch und Atlas Neuraltherapie nach Huneke. Hippokrates-Verlag, Stuttgart 1996.
  • E. Ernst: Neural Therapy, Complementary Therapies for Pain Management/An Evidence-based Approach. Elsevier, 2007, ISBN 0-7234-3400-X, S. 149.
  • L. Fischer: Neuraltherapie nach Huneke. Neurophysiologie, Injektionstechnik und Therapievorschläge. Haug, 4. Auflage. Stuttgart 2014, ISBN 978-3-8304-7493-7.
  • J. D. Hahn-Godeffroy: Neuraltherapie nach Huneke – Störfeldtherapie – ein regulationsmedizinisches Verfahren unter Verwendung von Procain. 2. Auflage. Uelzen 2004, ISBN 3-88136-223-1.
  • Stefan Weinschenk (Hrsg.): Handbuch Neuraltherapie. Diagnostik und Therapie mit Lokalanästhetika. Urban & Fischer, München 2010.
Commons: Neuraltherapie – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wiktionary: Neuraltherapie – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

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  1. Frank Antwerpes, Pia Müller, Bijan Fink: Neuraltherapie nach Huneke. In: DocCheck Flexikon. DocCheck Medical Services GmbH, 1. Juni 2006, abgerufen am 11. März 2022.
  2. W. John Diamond: The Clinical Practice of Complementary, Alternative, and Western Medicine. CRC Press, 2000, ISBN 978-0-8493-1399-8, S. 228 (englisch).
  3. a b c d e Edzard Ernst: Heilung oder Humbug?: 150 alternativmedizinische Verfahren von Akupunktur bis Yoga. 1. Auflage. Springer, Berlin 2020, ISBN 978-3-662-61708-3, S. 282–284, doi:10.1007/978-3-662-61709-0.
  4. a b c Colin Goldner: Neuraltherapie – Stechen gegen Störungen. In: sueddeutsche.de. 8. Juni 2010, abgerufen am 24. Juli 2016.
  5. E. Ernst: Neural Therapy, Complementary Therapies for Pain Management/An Evidence-based Approach. Elsevier, 2007, ISBN 0-7234-3400-X, S. 149.
  6. Florian G. Mildenberger: Arzt, Autor, Außenseiter: Kurt Rüdiger v. Roques (1890–1966). In: Medizinhistorische Mitteilungen. Zeitschrift für Wissenschaftsgeschichte und Fachprosaforschung. Band 36/37, 2017/2018 (2021), S. 135–146, hier: S. 141 f.
  7. a b Irmgard Oepen: Neuraltherapie- „Zauberspritze“ oder diagnostisch-therapeutische Lokalanästhesie? In: Außenseitermethoden in der Medizin. Ursprünge, Gefahren, Konsequenzen. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1986, ISBN 3-534-01736-6.
  8. onmeda.de
  9. Günter Clauser: Vegetative Störungen und klinische Psychotherapie. In: Ludwig Heilmeyer (Hrsg.): Lehrbuch der Inneren Medizin. Springer-Verlag, Berlin/Göttingen/Heidelberg 1955; 2. Auflage ebenda 1961, S. 1218–1297, hier: S. 1295 (Die Segmenttherapie).
  10. Weiterbildungsordnung der LÄK Thüringen (Memento vom 6. Juli 2016 im Internet Archive)
  11. Bundesamt für Gesundheit BAG: Erläuterungen zu den Änderungen der Verordnung des EDI vom 29. September 1995 über Leistungen in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (Krankenpflege-Leistungsversicherung, KLV). (PDF) Abgerufen am 31. Januar 2019.
  12. Katrin von Bechtolsheim: Neuraltherapie: Nadel mit großer Wirkung? Techniker Krankenkasse, 9. Oktober 2017, abgerufen am 6. September 2019.
  13. M. Stöhr, K. Mayer: Nerve-root damage from local injections. In: Dtsch Med Wochenschr. 101, Nr. 33, 13. August 1976, S. 1218–1220.
  14. W. Mattig, W. Buchholz, H. Schulz: Severe iatrogenic lesions caused by Huneke's neural therapy. In: Z Gesamte Inn Med. 34, Nr. 5, 1. März 1979, S. 143–147.
  15. U. Heyll, D. J. Ziegenhagen: Subarachnoid hemorrhage as life-threatening complication of neural therapy. Case report. In: Versicherungsmedizin. 52, Nr. 1, 1. März 2000, S. 33–36.
  16. Larsen: Anästhesie. 7. Auflage.
  17. Süddeutsche Zeitung: Weißbrot gegen Krebs, vom 16. Februar 2015
  18. Onmeda: Neuraltherapie, abgerufen am 16. Februar 2015