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Wahnsinn

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Angelo Bronzino, Allegorie des Triumphes der Venus (1540/45)

Mit Wahnsinn werden bestimmte Verhaltens- oder Denkmuster bezeichnet, die nicht der akzeptierten sozialen Norm entsprechen. Dabei kann der Begriff für bloße Abweichungen von den Konventionen, über geistige Störungen, bei der ein Mensch bei vergleichsweise normaler Verstandesfunktion an krankhaften Einbildungen leidet, bis hin zur Kennzeichnung völlig bizarrer und (selbst-)zerstörerischer Handlungen verwendet werden. Synonym gebrauchte Begriffe sind „Verrücktheit“ und „Irrsinn“ („Irresein“), eng verwandt sind Besessenheit und Wahn.

Historisch wurde der Begriff auch in der Fachsprache der Psychopathologie verwendet, bis er im 19. Jahrhundert durch den Terminus Geisteskrankheit abgelöst wurde. Obwohl als Krankheitsbezeichnung in den Fachwissenschaften heute ohne Bedeutung, hat der Wahnsinn als äußerst vielgestaltiges Phänomen in der Geschichte der Menschheit von Anfang an eine wichtige Rolle gespielt. Auch in Kunst und Literatur wurde der Wahnsinn thematisiert und dargestellt.

Heute werden die Wörter „Wahnsinn“ und „wahnsinnig“ im allgemeinen Sprachgebrauch neben ihrer alten Bedeutung auch im übertragenenen Sinn sowohl in positiver als auch in negativer Weise zur Bezeichnung außergewöhnlicher, extremer Zustände benutzt. Die modernen nosolgischen Termini können in aller Regel nicht auf die historischen Ausprägungen von Wahnsinn angewendet werden.

Das Wort „Wahnsinn“ ist eine Rückbildung des 18. Jahrhunderts aus dem Adjektiv „wahnsinnig“, welches schon im 15. Jahrhundert nachweisbar ist. Vorbild war das Wort „wahnwitzig“, welches auf das althochdeutsche wanwizzi zurückgeht. Dabei bedeutet ahd. wan (ie. *(e)uə-no „leer“) ursprünglich „leer, mangelhaft“ (vgl. engl. waning). „Wahnwitz“ bzw. „Wahnsinn“ bedeuteten also etwa soviel wie „ohne Sinn und Verstand“. Dadurch, daß wan und Wahn (ahd. wân „Hoffnung, Erwartung“) sprachgeschichtlich zusammengefallen sind, haben sich die Bedeutungen gegenseitig beeinflusst: „Wahn“ wurde zur falschen, eingebildeten Hoffnung, der alte Wortbestandteil wan wird heute als das etymologisch nicht verwandte „Wahn“ wahrgenommen.

Geschichte des Wahnsinns

Frühgeschichte

Entfernung des „Wahnsinnssteins“ aus dem Schädel eines Patienten

Bohrungen (Trepanationen) an steinzeitlichen Schädeln können als erste historisch fassbare Hinweise gelten, die auf eine Auseinandersetzung mit dem Wahnsinn hindeuten. Paläopathologen vermuten, dass es sich hierbei um den Versuche einer chirurgischen Behandlung von Geisteskranken gehandelt haben könnte.

Bei den Babyloniern (ca. 19. - 6. Jahrhundert v. Chr.]]) und Sumerern (ca. 2800 v. Chr. bis 2400 v. Chr) galt Wahnsinn als durch Besessenheit, Zauberei, dämonische Bosheit, den Bösen Blick oder durch das Brechen eines Tabus verursacht (vgl. Porter, S. 12).

Antike

Im homerischen Epos bedeutete das griech. Μαινεται (mainesthai) „rasen“, „toben“ oder „von Sinnen sein“. Es bezeichnet ein Verhalten ausserhalb der Normen, das in der Regel durch mangelnde Affektkontrolle bedingt war. Auch in der Attischen Tragödie wird der Wahnsinn als Verlust des Selbst gesehen, der katastrophale Folgen für den Betroffenen und die Gemeinschaft haben kann.

Die Rachgöttin mit der Fackel des Wahnsinns, Kupferstich, 18 Jh. von Bernard Picart

Die alten Griechen verstanden unter Wahnsinn die Beeinträchtigung oder Ausschaltung des nüchternen Verstandes, z.B. durch Schmerz. Auch Ekstase galt als Wahnsinn, insbesondere die dionysische Raserei. Dichterische Inspiration und das Sehertum können ebenfalls Formen des Wahnsinns darstellen. Im Altgriechischen ist μανία, manía „die Raserei“ verwandt mit dem sehr ähnliche griech. μαντις, mantis, das ist „der Seher“, „der Prophet“. Auch Trunkenheit galt in Griechenland als Form des Wahnsinns. Pathologischer Wahnsinn galt jedoch zumeist als von einer göttlichen Macht geschickt. Die volkstümliche Auffassungen ging von einer „Besessenheit durch böse Geister“ aus, die Medizin erklärte ihn durch „Überfluß an schwarzer Galle“ (griech.: χολή μελανοία, chole melanoia). Diese humoralpathologische Auffassung wird in der Renaissance in modifizierter Form wieder aufgenommen.

Platon lieferte im „Phaidros“ den ersten komplexeren Begriff von Wahnsinn. Er unterscheidet zwei Hauptformen: jenen Wahnsinn, der durch menschliche Krankheit, und jenen, der durch göttliche Gabe verursacht ist. Während die somatisch bedingte Krankheit der Seele, wie Platon im „Timaios“ ausführt, von Übel ist, führt der göttliche Wahnsinn zu wahrem Wissen und ist somit positiv besetzt. Platon unterscheidet vier Formen des produktiven Wahnsinns: den mantischen, mystischen, poetischen und erotischen Wahnsinn.

Altes und Neues Testament

William Blake (1757-1827), "Nebukadnezar" (1795)

Auch im Alten Testament ist der Wahnsinn eine Strafe, die auf göttliches Eingreifen zurückzuführen ist, in Dtn 28,28 heißt es: „Der Herr schlägt dich mit Wahnsinn, Blindheit und Irresein.“.

Im Neuen Testament finden sich Fälle von Wahnsinn, ein Beispiel wäre die Heilung des Besessenen von Gerasa durch Jesu (Mt 8,28-34; Mk 5,1-20, Lk 8,26-40), aber auch die Apostel waren fähig, Wahnsinn zu heilen (Apg 5,16).

Mittelalter

Bis zum Hochmittelalter

Im Mittelalter wurde der Wahnsinn in der Regel auf das Einwirken Gottes zurückgeführt. Eine Möglichkeit der Hilfe für die Betroffenen stand während der gesamten Epoche nicht zur Verfügung. Die Betroffenen wurden sich selbst überlassen, solange sie nicht für gefährlich gehalten wurden, und gegebenenfalls durch ein Narrenkleid ausgezeichnet. Die Familien der Wahnsinnigen waren versorgungs- und Regresspflichtig. Fremde wurden aus den eigenen Gebieten vertrieben. Stellten Betroffene eine öffentliche Gefahr dar, schloss man sie in Stadttürme oder zuhause ein, bisweilen auch in Narrenkisten außerhalb der Stadtmauern.

Spätmittelalter

Im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit wurde die Vorstellung des Kampfes um die Seele, Psychomachie (siehe auch: Prudentius) wichtig. Die Mächte Gottes und des Teufels kämpfen um die Seele des Menschen, was zu geistiger Verwirrtheit führen kann. Auch sanktionierten "Wahnsinn" gab es in dieser Zeit, der sich etwa in geistlicher Extase, Verzückung und Visionen manifestieren konnte. Auch Heilige konnten von gutem Wahnsinn besessen sein.

Der "gewöhnliche Wahnsinn" wurde in er Vorstellung der Menschen allerdings vom Teufel gemacht beziehungsweise durch Hexen verbreitet. Besonders unkontrolliertes Sprachsprechen (Glossolalie) und unkontrollierte Handlungen wurden als teuflisch (lat.: maleficum) angesehen. Eine Heilung war für Katholiken durch Exorzismen, Pilgerfahrten zu besonderen Stätten oder das Lesenlassen von Messen möglich. Bei den Protestanten wurde Beten, Beratung und Bibelstudium favorisiert.

Charles Bell, Der Verrückte (1806), Kupferstich

Schon im dem 13. Jahrhundert - so Michel Foucault - beginnt sich das Verständnis des Wahnsinns zu wandeln. Er reiht sich in die Liste der Laster ein, die von Unmoral und Unvernunft des Betroffenen künden. Im 15. Jahrhundert steht Wahnsinn dann nicht mehr unbedingt in einem dämonischen Kontext. Stattdessen wird nun oftmals die individuelle menschliche Schwäche der betroffenen Person ins Zentrum gerückt: Torheit und Narrheit liegen in der Verantwortung des Einzelnen, der seine Zucht- und Maßlosigkeit nicht zu zügeln vermag. Durch falsches Verhalten äußert sich ein Wahnsinn, der als Gebrechen und Fehlerhaftigkeit seines Trägers aufgefaßt zum Stigma wird. Entsprechend wird der Narr in Kunst und Literatur der Lächerlichkeit preisgegeben.

Neuzeit

Frühe Neuzeit

Datei:Melencolia I.jpg
Melancholie (Albrecht Dürer)

Eine andere Form des „Wahnsinns“ wird bei den Gebildeten als „Modekrankheit“ populär: die Krankheit Melancholie. Der Konstitutionstyp des Melancholikers im Mittelalter galt eigentlich als der am wenigsten erstrebenswerteste, da dieser mit dürftigem Körperbau, unattraktivem Erscheinungsbild und unerfreulichen charakterlichen und geistigen Eigenschaften veranlagt war. Doch lag in der Melancholie als Krankheit eine bereits bei Aristoteles und Cicero angedeutete Möglichkeit der Selbstgenialisierung verborgen, die im Humanismus nun in einem "Melancholie-Kult" gepflegt wird. Der kreative Künstler und Denker bewegte sich dieser Vorstelling nach stets zwischen Genie und Wahnsinn. Noch Schelling fußt auf der alten Lehre, als er behauptets, daß nur Menschen, die ein wenig wahnsinnig sind, kreativ sein können (nullum magnum ingenium sine quadam dementia). Diese Form der Selbststiliserung wurde erst im 19. Jarhundert allmählich unpopulär.

Francisco Goya, „Haus der Verrückten“ (1815-19) (Ausschnitt)

Im Absolutismus und Merkantilismus wird der Wahnsinnige zusammen mit anderen Randgruppen, die nicht den geltenden Verhaltensnormen entsprachen oder sich nicht an die Regeln hielten, aus dem öffentlichen Bewusstsein entfernt und in Internierungsstätten (England: „Workhouses“, Frankreich: „Hôpital général“, Deutschland: „Zucht-, Arbeits- und Tollhäuser“) eingeschlossen und damit „unschädlich“ gemacht. Durch Zucht und Arbeit sollte ihrer „Unvernunft“ gegengewirkt werden. In einigen Asylen konnten die angeketteten Kranken als „Monstrositäten“ zur Abschreckung und Befriedigung der Schaulust gegen Eintritt durch die vergitterten Fenster betrachtet werden.

Aufklärung

Eine Irrenanstalt im 18. Jahrhundert, William Hogarth (1697-1764)

Am Ende des 18. Jahrhunderts befreite die Aufklärung die „Irren“ zumindest aus ihren physischen Ketten. Er erkannte sie prinzipiell als heilunsbedürftige Kranke an, wenngleich der Arzt vornehmlich damit beauftragt war, den Wahnsinnigen „zu seinem eigenen Wohle“ weiterhin zu isolieren und jegliche Disziplinierungstechnik, allen voran die „moralische Behandlung“, therapeutisch zu rechtfertigen.

Das "Zeitalter der Vernunft" bildete die Bedeutung des Wahnsinns als Fehlfunktion einer ursprünglich gesunden Vernunft aus. Wahnsinn wird als der defekte Modus einer normativen Vernünftigkeit begriffen: Das komplementäre Begriffspaar begrenzt und bedingt sich gegenseitig. Diese aufklärerische Abgrenzung der Vernunft von seiner Folie - dem Wahnsinn -, die zur Konstitutierung des Vernunftbegriffes notwendig war, hält Michel Foucault auch verantwortlich für die parallel stattfindende Ausgrenzung des Wahnsinns und der Wahnsinnigen aus der Gesellschaft.

Datei:Goya4.jpg
Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer

So nimmt Immanuel Kant in seiner Anthropologie in pragmatischer Hinsicht (1798) eine auf der Dichotomie Vernunft-Unvernunft basierende, wegweisende Einteilung der Geisteskranken vor. Diejenigen, die er als "Verrückte" kategorisiert, teilt er die Krankheitsformen "Wahnsinn", "Wahnwitz" und "Aberwitz" zu. Seine Charakterisierung des Wahnsinns als "methodische Verrückung", die sich durch "selbstgemachte Vorstellungen einer falsch dichtenden Einbildungkraft" auszeichnet, wird zur klassischen Definition des Wahnsinns im 18. und 19. Jahrhundert. Wahnwitz ist für Kant hingegen eine systematische, wenngleich nur teilweise Störung der Vernunft, die sich als "positive Unvernunft" äußere, da die Betroffenen andere Vernunftregeln gebrauchen als die Gesunden. Geimein ist allen Formen des Wahnsinns nur der Verlust des Gemeinsinns (sensus communis), der durch einen logischen Eigensinn (sensus privatus) ersetzt wird.

Auch für Schopenhauer sind Vernunft und Wahnsinn zwei Seiten einer Medaille, so weist er darauf hin, daß Tiere des Wahnsinns nicht fähig sind.

Übergang zur Moderne

Im Jahr 1793 wird der Mediziner und Philanthrop Philippe Pinel (1745-1826) Leiter der Pariser Kranken- und Irren- und Besserungsanstalten zuerst in Bicêtre, dann in Salpêtrière. Er führt humanere Behandlungsmethoden und klassifiziert die Insassen, wobei er sie soweit möglich an andere Instutionen überweist, die Wahnsinnigen aber nach Symptomen in eigene Bereiche trennt. Wahnsinn wird isoliert und nun mit empirisch-naturwissenschaftlichen Methoden untersucht: die äußerlichen Symptome, die Pinel akribisch beobachtet und mit der individuellen Biographie des Kranken verknüpft, werden entscheidend für die Klassifikation des Wahnsinns (Nosographie philosophique 1801...).

Für den Arzt Franz Joseph Gall (1758-1828) zählte das Irresein zu den Krankheiten, die grundsätzlich materielle Ursachen hatten. In seiner Wiener Praxis beginnt er nach 1785 die Anatomie des Gehirns und neurologische Grundfragen zwischen Organstruktur und -funktion zu untersuchen. Er kommt zu dem Ergebnis, daß das Gehirn aus vielen einzelnen Einheiten besteht, deren individuelles Versagen zu spezifischen Formen des Wahnsinns führen können. Damit begründete er die Phrenologie (gr. "phren", das Zwerchfell, als Sitz der Seele in der gr. Antike), deren Verbindung mit der "Kraniologie" (griech. kranion Schädel) versprach, durch einfaches Abmessen der Schädelform die Bestimmung von Intelligenz, Charakter und moralischer Verfaßtheit eines Menschen zu ermöglichen.

Die positivistische Psychiatrie erhob den Anspruch, daß alle Erscheinungen des Wahnsinns nicht nur auf eine nachvollziehbar-kausale, körperliche Ursache zurückzuführen, sondern auch zu beheben sein werde. Der Geist, die Seele wurde zur bloßen Marionette des Hirnorgans. Diese naturwissenschaftlich-anatomisch fundierte Psychiatrie setzte sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts endgültig durch. Das psychiatrische Paradigma lautet: Krankheiten des Geistes sind Krankheiten des Gehirns. In der Folge wird der Begriff „Wahnsinn“ als nosologischer Fachterminus obsolet und wird durch Geisteskrankheit, später auch Psychose und Neurose bzw. Devianz abglöst.

Am Ende des 19. Jahrhunderts rückt der Zusammenhang zwischen Wahnsinn und Sexualität in den Mittelpunkt des Interesses. Basierend auf dem antagonistisch gedachten Gegensatzpaar Natur - Kultur spielt die Geschlechtszugehörigkeit nun eine wichtige Rolle. Wilde, Angehörige der Unterschicht und Frauen gehörten dem Bereich des Triebhaften an, Männer der bürgerlichen Zivilisation. Frauen galten aufgrund der "Pathogenität des weiblichen Unterleibs" und der "Inferiorität der weiblichen Nerven" als besonders vulnerabel: Pubertät, Menstruation, Geburt und Menopause galten als gefährlich; geistige Gesundheit wurde bei Frauen teilweise nur als Unterbechung der Krankheitsphase betrachtet.

Im medizinisch-naturwissenschaftlichen Paradigma der Moderne - im Grunde sogar eit der Aufklärung - ist die Gesundheit der Maßstab des Konzeptes von Normalität. In der Folge wird automatisch alles, was annormal ist, als krank angesehen, was „geheilt“ und „reintegriert“ werden muß. Dazu kann alles gehören, was nicht den kulturellen, gesellschaftlichen, moralischen oder juristischen Vorstellungen von akzeptiertem Verhalten entspricht. Aus Abgrenzungsgründen bildet sich ein Stereotyp des Gesunden aus.

Mimik, Gestik, Körperhaltung

Die Darstellung des Wahnsinns ist in der Geschichte der Kunst immer auch von Voyeurismus geprägt gewesen. Das Sujet ermöglichte es außerdem, das Subjektive, Symbolische, Phantastische und Irrationale zu gestalten. Träume, Ängste und vor allem das Häßliche werden bildwürdig.

Ikonographie

Eine Ikonographie des Wahnsinns kann nur auf Grundlage eines gesellschaftlichen Fundus der Vorstellungen seiner Erscheinungsformen entstehen. Die konkretem künstlerischen Darstellungen wirken dann natürlich wieder auf die Erwartungen des Publikums zurück, d.h. es ist grundsätzlich eine gegenseitige Bedingtheit stereotyper Modelle zu erwarten. Sowohl das äthetische, als auch das medizinisch-diagnostische Krankheits-Bild sind oftmals Projektionen, die wenig mit der Realität zu tun haben. Der Wahnsinn, der das Selbst gefährdet, wird als bedrohlich wahrgenommen und daher - vielleicht manchmal unbewußt abwehrend - möglichst drastisch von der Norm abweichend dargestellt.

Ikonographisch äußert sich der Wahnsinn in der Regel durch verzerrte Mimik oder „ver-rückte“ Körperhaltung bzw. Gestik, durch absurde Handlungen, Darstellung von Halluzinationen oder einfach nur unter Zuhilfenahme der Physiognomie. Hierbei ergeben sich Probleme der Abgrenzung zu Narrendarstellungen und zu medizinischen Illustrationen.

"Halluzinationen"

Mimik und Physiognomie

Gestik und Körperhaltung

Halluzinationen und Visionen

Sonstiges

Motive

In der bildenden Kunst ist das Thema „Wahnsinn“ vergleichsweise selten dargestellt worden. Beliebte Sujets sind der Wahnsinn als Strafe oder Rache Gottes bzw. der Götter, die Heilung Besessener durch Jesus, die Apostel oder die Heiligen; ab dem 16. Jahrhundert auch Repräsentationen von Wahnsinnigen und Portraits, ab dem 18. Jahrhundert auch Darstellungen aus Irrenanstalten.

Biblische Motive

Wahnsinn in der mittelalterlichen christlichen Kunst findet ihren Ausdruck in der Bearbeitung der Sujets des schwermütigen Saul, der David auf der Harfe spielen läßt, dem von David vorhergesagten Wahnsinn des Königs Nebukadnezar, der 7 Jahre lang wie ein Tier leben und Gras fressen muß, und Jesu „spektakulärer“ Heilung des Besessenen von Gerasa, wobei letzteres Thema relativ häufig gestaltet wird.

Mythologische Motive

Beliebte antike Sujets umfassen Herkules, der im Wahnsinn seine Kinder tötet, Ajax, der eine Schafherde niederschlachtet, Lykurg, der sich selbst die Beine abschneidet und Melampus, der eine Kastration an sich vornimmt. Wenn die Götter den Wahnsinn schicken, führt dies in den antiken Mythen fast immer zur Selbstzerstörung und zur Tötung Unschuldiger, zumeist von Familienmitglieder. In griechisch-römischer Zeit sind Darstellungen von Wahnsinn jedoch nur vereinzelt zu finden.

Typisierungen

Irrenhäuser

Portraits

Sonstige

Wahnsinn als Literarisches Motiv

dô wart sîn riuwe alsô grôz
daz im in daz hirne schôz
ein zorn unde ein tobesuht,
er brach sîne site und sîne zuht
und zarte abe sîn gewant,
daz er wart blôz sam ein hant.
sus lief er über gevilde
nacket nâch der wilde.

(Hartmann von Aue, Iwein, vv. 3231-3238)

Literatur / Quellen

Kulturgeschichte

  • Roy Porter: Wahnsinn. Eine kleine Kulturgeschichte. Dörlemann, Zürich 2005, ISBN 3-908777-06-2
  • Michel Foucault: Wahnsinn und Gesellschaft. Eine Geschichte des Wahns im Zeitalter der Vernunft. 14. Aufl. Suhrkamp, Frankfurt a.M. 2001, ISBN 3-518-27639-5
  • Hühn, H.: 'Wahnsinn'. In: Joachim Ritter, Karlfried Gründer (Hrsg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie. Bd. 12, Sp. 36-42.

Literatur

  • Josef Mattes: Der Wahnsinn im griechischen Mythos und in der Dichtung bis zum Drama des fünften Jahrhunderts. Winter, Heidelberg 1970, ISBN 3-533-02116-5 / ISBN 3-533-02117-3
  • Allen Thiher: Revels in madness. Insanity in medicine and literature. Univ. of Michigan Press, Ann Arbor, Mich. 1999, ISBN 0-472-11035-7
  • 'Wahnsinn'. In: Horst S. Daemmrich, Ingrid G. Daemmrich: Themen und Motive in der Literatur. Ein Handbuch. 2. Aufl. Francke, Tübingen u.a. 1995, S. 333-336. ISBN 3-8252-8034-9 / ISBN 3-7720-1734-7

Bildende Kunst

  • Franciscus Joseph Maria Schmidt, Axel Hinrich Murken: Die Darstellung des Geisteskranken in der bildenden Kunst. Ausgewählte Beispiele aus der europäischen Kunst mit besonderer Berücksichtigung der Niederlande. Murken-Altrogge, Herzogenrath 1991, ISBN 3-921801-58-3
  • Birgit Zilch-Purucker: Die Darstellung der geisteskranken Frau in der bildenden Kunst des 19. Jahrhunderts am Beispiel der Melancholie und Hysterie. Murken-Altrogge, Herzogenrath 2001, ISBN 3-935791-01-1
  • Fritz Laupichler: 'Madness'. In: Helene E. Roberts (Hrsg.): The encyclopedia of comparative iconography. Themes depicted in works of art., Bd. 2, S. 537-544.

Zur Wortgeschichte

  • Friedrich Kluge: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. 23. Aufl. De Gruyter, Berlin u.a. 1995, ISBN 3-11-012922-1
  • Deutsches Wörterbuch. Begründet von Jacob u. Wilhelm Grimm. 33 Bde. Leipzig 1854-1971.