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Entnazifizierung

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Datei:Entnazifizierungsgesetz axb01.jpg
Das Entnazifizierungsgesetz

Die Entnazifizierung war eine Initiative der Alliierten nach ihrem Sieg über das nationalsozialistische Deutschland ab Mitte 1945. Bekräftigt durch das Potsdamer Abkommen sollte eine Säuberung der deutschen und österreichischen Gesellschaft, Kultur, Presse, Ökonomie, Jurisdiktion und Politik von allen Einflüssen des Nationalsozialismus erfolgen.

Für Deutschland verabschiedete der Alliierte Kontrollrat in Berlin ab Januar 1946 eine Vielzahl an Entnazifizierungsdirektiven, mittels denen man bestimmte Personengruppen definierte und anschließend einer gerichtlichen Untersuchung zuführte.

Umsetzung in den deutschen Besatzungszonen

Die Entnazifizierung wurde entgegen den Beschlüssen von Potsdam in den einzelnen Besatzungszonen mit unterschiedlicher Härte und verschiedenen Grundschemata durchgesetzt. Sie begann mit Massenverhaftungen. Insgesamt zählte man allein in den drei westlichen Besatzungszonen ca. 182000 Internierte, von denen bis zum 1. Januar 1947 allerdings ca. 86000 aus den Lagern entlassen wurden. Bis 1947 waren inhaftiert [1]:

  • Britische Zone 64.500 Personen (entlassen 34.000=53%)
  • Amerikanische Zone 95.250 (entlassen 44.244=46%)
  • Französische Zone 18.963 (entlassen 8.040=42%)
  • Sowjetische Zone 67.179 (entlassen 8.214=12%)

In den westlichen Zonen kam es zu 5025 Verurteilungen. Davon waren 806 Todesurteile, von denen 486 vollstreckt wurden.


Amerikanische Zone

Die Amerikaner betrieben in ihrer Besatzungszone zunächst selbst eine engagierte, aber auch sehr bürokratische Entnazifizierung. In 545 regional zuständigen Laiengerichten, den so genannten Spruchkammern, wurde unter Aufsicht der amerikanischen Militärregierung über mehr als 900.000 Fälle individuell zu Gericht gesessen. Zudem ließen die Amerikaner auch die von ihnen mit 131 verschiedenen Fragen erstellten Bögen ausfüllen, um die Menschen in die folgenden fünf Gruppen einzuteilen: Hauptschuldige, Belastete, Minderbelastete, Mitläufer und Entlastete. Grundlage für die Eingruppierung war das am 1. April 1946 in Kraft getretene "Gesetz Nr. 104 zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus", das die praktische Durchführung der Entnazifizierung an deutsche Behörden übertrug. Unter den deutschen Politikern engagierte sich insbesondere der württemberg-badische "Entnazifizierungsminister" Gottlob Kamm in dieser Aufgabe.

Im Laufe des Jahres 1948 ließ das Interesse der Amerikaner an einer konsequenten Entnazifizierung spürbar nach, da der Kalte Krieg mit dem Ostblock mehr und mehr in das Blickfeld rückte. Es wurden, um die Sache zum Abschluss zu bringen, Schnellverfahren eingeführt. Dies führte zu vielen fragwürdigen Urteilen (Persilschein, 131er).

Sowjetisch Besetzte Zone (SBZ)

Die Entnazifizierung in der Sowjetischen Besatzungszone war mit einem grundlegenden sozialistischen Umbau verbunden und wurde am schnellsten und konsequentesten durchgeführt.

Funktionsträger der NSDAP und ihrer Organisationen wurden irreversibel aus Ämtern entfernt und teilweise in Speziallagern interniert. Die Gesamtaufsicht für die Entnazifizierung in der SBZ lag direkt beim sowjetischen Geheimdienst. Die Entnazifizierung in der SBZ kostete mindestens 42000 Menschen das Leben.

Nazis erkannten schnell, dass sie in den westlichen Besatzungszonen weniger zu befürchten hatten. Viele sahen (berechtigterweise) ihre einzige Chance darin sich im Westen, mit antikommunistischen Argumenten zu entlasten, was im Osten naturgemäß nicht ging. Auch die späteren Machthaber der SBZ waren häufig direkt vom NS-Regime Verfolgte und bewerteten dementsprechend schon die bloße Mitgliedschaft in der NSDAP als Vergehen.[1][2]

In Einzelfällen konnten auch im Osten nach dem Zusammenbruch des Hitlerregimes Altnazis Karriere machen. Die Chancen waren hier aber im Vergleich zum Westem äußerst gering.

Französische und britische Zone

Franzosen und Briten legten im Gegensatz zu den Amerikanern in ihren Zonen eine gemäßigtere Gangart an den Tag. Eine Entnazifizierung fand hier nur in sehr begrenztem Umfang statt und konzentrierte sich hauptsächlich auf die schnelle Auswechslung der Eliten.

Umsetzung in Österreich

Von der provisorischen Regierung 1945 wurde das Verbots- und Kriegsverbrechergesetz verabschiedet, nachdem die NSDAP und alle damit in Verbindung stehenden Organisationen verboten wurden. Auf Grund dieses Gesetzes mussten sich alle, die zwischen 1933 und 1945 bei der Partei oder einer ihrer Organisationen, wie SS oder SA waren, registrieren lassen. Sie waren bei der Nationalratswahl 1945 von der Wahl ausgeschlossen.

In einem Folgegesetz von 1946 wurden diese Personen in drei Gruppen, nämlich:

  • Kriegsverbrecher
  • Belastete und
  • Minderbelastete, eingeteilt.

Im Gegensatz zu Deutschland wurden die beiden ersten Gruppen nicht der alliierten, sondern der österreichischen Gerichtsbarkeit zugeführt. Von den so genannten Volksgerichten wurden insgesamt 43 Todesurteile verhängt, wovon 30 auch ausgeführt wurden, aber auch lange Haftstrafen. Insgesamt wurden von den 137.000 untersuchten Fällen 23.000 Urteile verkündet.

Die Mitläufer, wie die Minderbelasteten auch bezeichnet wurden, wurden meist zu Geldstrafen, Entlassungen, Wahlrechtsverlust oder Berufsverbot verurteilt. Da unter diesen Personen aber auch viele Fachkräfte waren, die für den Wiederaufbau notwendig waren, versuchten die beiden damaligen Großparteien ÖVP und SPÖ eine Lockerung der Bestimmungen bei den Besatzungsmächten vor allem für die Mitläufer zu erreichen.

Die Mitläufer waren bei den ersten Wahlen 1945 nicht wahlberechtigt. Aber bereits bei den nächsten Wahlen 1948 wurde von allen Parteien um fast eine halbe Million Wähler vor allem im bürgerlichen Lager gebuhlt. Aus dieser Situation entstand die VdU, der Vorgängerpartei der FPÖ, die einen großen Teil der ehemaligen Nazi als Wähler gewinnen konnte.

Durch Amnestien in den Folgejahren wurden vor allem die Folgen für die Mitläufer wesentlich reduziert.

Die Volksgerichte wurden 1955 mit dem Staatsvertrag abgeschafft. Die Verfahren, die später nach diesen Gesetzen anhängig waren und sind, werden von den ordentlichen Geschworenengerichten abgehandelt.

Siehe auch: Besetztes Nachkriegsösterreich


Übriges Europa

Die Entnazifizierung in den Staaten Europas, die von deutschen Truppen besetzt oder mit dem 3. Reich verbündet gewesen waren, lief weitgehend auf eine Abrechnung mit den Kollaborateuren hinaus. Die Zahl der Urteile gegen Nationalsozialisten wird auf 50000 - 60000 gsechätzt.

Siehe auch

Quellen

  • [1] Dieter Schenk Auf dem rechten Auge blind, Köln 2001
  • [2] Ralf Giordano Die zweite Schuld, Köln 2000
  • [3] Manfred Görtemaker, Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Fischer 2004

Literatur

  • Frei, Norbert: Vergangenheitspolitik. Die Anfaenge der Bundesrepublik und die NS-Vergangenheit, Muenchen 1996.
  • Kamm, Bertold/Mayer, Wolfgang: Der Befreiungsminister - Gottlob Kamm und die Entnazifizierung in Württemberg-Baden, Silberburg Verlag/Tübingen 2005, 250 Seiten, ISBN 3-87407-655-5.
  • Niethammer, Lutz: Die Mitlaeuferfabrik. Die Entnazifizierung am Beispiel Bayerns, 2. Auf., Bonn 1982.
  • Schuster, Armin: Die Entnazifizierung in Hessen 1945-1954. Vergangenheitspolitik in der Nachkriegszeit, (Veroeffentlichungen der Historischen Kommission fuer Nassau, 66), (Vorgeschichte und Geschichte des Parlamentarismus in Hessen, 29), Wiesbaden: Historische Kommission fuer Nassau 1999, X, 438 S., ISBN 3-930221-06-3.
  • Vollnhals, Clemens (Hrsg.), Entnazifizierung. Politische Säuberung und Rehabilitierung in den vier Besatzungszonen 1945- 1949, München 1991.
  • Weinke, Annette: Die Verfolgung von NS-Tätern im geteilten Deutschland, Paderborn 2002.
  • Wille, Manfred: Entnazifizierung in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands 1945-48, Magdeburg 1993.