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Kubismus

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Juan Gris: Mann im Café, 1914, Öl und Klebebild.

Kubismus ist eine in der Kunstgeschichte gebräuchliche Sammelbezeichnung für eine zentrale Bewegung der französischen Avantgarde, die sich in der Malerei entwickelte und in den Werken Pablo Picassos und Georges Braques ab 1907 hervortrat, jedoch auch auf die Plastik übergriff. Man unterscheidet - vom so bezeichneten Frühkubismus ausgehend - weitere Phasen, so den analytischen, den synthetischen und den orphischen Kubismus. Der Kubismus löste in Frankreich den Fauvismus ab und lässt sich in Analogie zu diesem weder einem fest umrissenen Programm noch einer Schule zuordnen.

Aus heutiger Sicht stellt der Kubismus die revolutionärste Neuerung in der Kunst des 20. Jahrhunderts dar. Die Bibliographie zum Kubismus ist umfangreicher als zu jeder anderen Stilrichtung in der modernen Kunst. So ist der Einfluss kubistischer Werke auf die nachfolgenden Stilrichtungen beispiellos.[1]

Der Kubismus kann auf zweierlei Art und Weise gelesen werden: als endgültiger Bruch, indem er der scheinbaren Welt bestimmte Schemata überstülpt, um in eindeutiger Weise dem Problem der Gliederung des Werks bezogen auf den ihm zugestandenen Raum Vorrang zu geben, unter Berücksichtigung der Werte- und Kräfteverteilungen, die innerhalb des kubistischen Bildraums in Einklang gebracht werden sollen, oder aber er wird als konzeptioneller Bruch mit den seit der Renaissance vorherrschenden Regeln gesehen: Ausschaltung des traditionellen Chiaroscuro, der Perspektive und des geschickten, handwerklichen Pinselstrichs.[2]

Die Entwicklung des Kubismus wird in vielen kunsthistorischen Rezensionen als das größte Abenteuer der Kunst des 20.Jahrhunderts bezeichnet. Seit Rembrandt hat keine Malerei mit ähnlicher Intensität die Nuancen menschlichen Bewußtseins, die komplexe Anatomie des Denkens, den paradoxen Charakter von Wissen erfasst.[3] In dieser dynamischen Entwicklung und Verkettung von Einsichten und Entdeckungen schälte sich allmählich eine visuelle Dialektik für die Kunst des 20. Jahrhunderts heraus. Das wichtige Vermächtnis für die nachfolgenden Generationen liegt in der Umsetzung der Definition der Malerei Leonardos als 'cosa mentale' [4] in das 20. Jahrhundert.

Weitere maßgebliche Vertreter des Kubismus sind Juan Gris, Fernand Léger und Robert Delaunay.

Der Kubismus in der Malerei

Das Wort „Kubismus“, abgeleitet von frz. cube bzw. lat. cubus, zurückgehend auf altgriech. kybos[5] für Würfel (Kubus), wurde bereits als kunstwissenschaftlicher Terminus 1909 durch Louis Vauxcelles etabliert, der in einem Bericht über den Salon des Indépendants den Begriff cubisme prägte. Von nun an wurden die jüngsten Gemälde Pablo Picassos und Georges Braques der neu geschaffenen Stilrichtung zugeschlagen, ohne dass beide Künstler bei der Begriffsbildung eine aktive Rolle gespielt hätten.

Nach Angaben von Guillaume Apollinaire hingegen hatte zuerst Henri Matisse bei der Betrachtung eines Landschaftsbildes von Braque spöttisch von „petits cubes“ gesprochen, was dieser später allerdings bestritt. Im Oktober 1911 nannte Apollinaire in der Pariser Tageszeitung L'Intransigeant jedoch Picasso als den Urheber des Kubismus: „Das Publikum glaubt im allgemeinen, Kubismus sei die Malerei in Form von Kuben. Das ist er nicht. 1908 sahen wir mehrere Bilder von Picasso [...], die der Öffentlichkeit den Eindruck von Kuben vermittelten, und so entstand die Bezeichnung der neuesten Richtung der Malerei.“

Kunsthistorische Eingliederung

Seit der Mitte des 18. Jahrhunderts überdachte man, allen voran Theoretiker wie Gotthold Ephraim Lessing und Denis Diderot, den Sinn und die Aufgaben der Malerei und versuchte diese neu zu bestimmen. Seit der Renaissance war sie inhaltlich-funktional motiviert und diente dazu, im visuellen Medium Mitteilungen vorzutragen. Die Nachahmung der Natur, die Illusion natürlicher Erscheinungen, war die Form, sie verständlich zu machen. Das änderte sich im 18. Jahrhundert entscheidend. Man definierte die Grenze der Malerei neu und nahm ihr die erzählende Funktion. Sie durfte nun nur noch abbilden. Schon sehr bald wurde auch die Abbildungsleistung fragwürdig, da sie auf illusionären, im Grunde rein technischen und unzuverlässigen Mechanismen beruht. Ausgehend von der Philosophie Immanuel Kants, Georg Wilhelm Friedrich Hegels und Arthur Schopenhauers verabsolutierte man die ästhetische Wirkung der Malerei und erkannte die Selbständigkeit ihrer Mittel Zeichnung und Farbe an.

Durch diese grundlegende Umwälzung - so mussten zuvor Inhalt und Form, Botschaft und Aussehen übereinstimmen - verlagerte sich der Maßstab zur Dominanz der Form; Form wurde nun Inhalt. Ausgehend von der philosophischen Überzeugung, dass Anschauung, Begriffe und Erkenntnis zusammengehören, gelangte man zu einer Auffassung vom geistigen Gehalt der Malerei als reiner Anschauungsform. Zwangsläufig musste sie so ihren Nachahmungscharakter verlieren und sich aus der Abhängigkeit von Vorbildern befreien. Sowohl die französische Kunst des 19. Jahrhunderts als auch die damit nicht gleichlaufende nordische Kunst seit der deutschen Romantik drängten zu einer immer größeren Autonomie des Bildes.[6]

Naturwissenschaftliche Untersuchungen des 19. Jahrhunderts zu den Mechanismen der menschlichen Sinnesogane zum einen und den Prinzipien der Wahrnehmung zum anderen ergaben deren physiologische Eigenständigkeit. Experimente der französischen Forscher Joseph Plateau und Eugène Chevreul über das Farbsehen beeinflußten Maler von Eugène Delacroix bis zu Georges Seurat. Großen Eindruck machten ebenfalls die Untersuchungen von Hermann Helmholtz und Wilhelm Wundt über Physiologische Optik und Physiologische Psychologie, die in französischen Ausgaben weitverbreitet waren.[6]

Große Bedeutung in diesem Zusammenhang hat das Werk Paul Cézannes. Der freiere Umgang Cézannes mit dem Naturvorbild, mit Form und Farbperspektive wurde Bezugspunkt des Umbruchs von 1907. Es führt eine direkte Entwicklungslinie von seinen Badenden zu Matisse' Blauer Akt", Erinnerung an Briska und Derains Badende bis schließlich zu Les Demoiselles d'Avignon. So ist es bezeichnend, dass die Neuformulierung der Kunst nun einem von Grund auf akademischen geprägten Maler wie Picasso gelang.[6]

Die Studien Picassos

„Der Kubismus hat plastische Ziele. Wir sehen darin nur ein Mittel, das auszudrücken, was wir mit dem Auge und dem Geist wahrnehmen, unter Ausnützung der ganzen Möglichkeiten, die in den wesenhaften Eigenschaften von Zeichnung und Farbe liegen.“

Pablo Picasso [7]

So unterschiedlich die Darstellungen zum Ursprung des Kubismus auch überliefert sind, besteht doch Einigkeit darüber, dass Pablo Picasso mit seinem großformatigen Gemälde Les Demoiselles d’Avignon (1906–1907) den Grundstein des kubistischen Denkens legte. Einem Donnerschlage gleich missachtete Picasso mit seinem Werk als erster Künstler die Regeln einer erfahrbaren Räumlichkeit, einer naturalistischen Farbgebung sowie einer Wiedergabe der Körper in natürlichen Proportionen. [1] Die Illusion von Räumlichkeit und Plastizität tritt hinter die Frage der Darstellung und Aufgliederung von Formen zurück.

Entwicklung

Picassos Arbeiten seit dem Winter 1905/06 sind eine einzige Kette von Formexperimenten. Am Ende dieses Weges steht der Durchbruch zur ersten wirklich modernen Kunstsprache.[6] Es ist bezeichnend für Picasso, dass er die Entwicklung durch Rückgriffe vorantreibt, durch eine überlegte und sehr vielschichtige Auseinandersetzung mit der Tradition. Zur inneren Gestimmtheit des Künstlers traten eine Reihe äußerer Anlässe hinzu. Im Salon des Indépendants 1905 machten die Fauves mit ihrer ersten Gemeinschaftsausstellung auf sich aufmerksam. Picasso lernte 1906 durch Vermittlung von Gertrude Stein die wichtigsten Exponenten dieser Richtung kennen, Henri Matisse und André Derain.[6] Ebenso setzte er sich mit dem Werk Jean-Auguste-Dominique Ingres' und Paul Cézannes auseinander. Im Salon 1905 wurden so nicht nur die Werke der Fauves und ihre damals revolutionär wirkende Autonomisierung der Farbe gezeigt, sondern auch eine Ingres-Retrospektive und eine kleine Schau von zehn Cézanne-Bildern.[6] Ingres' akademischer Klassizismus führte ihm in vollendeter Gestalt die hohe Schule einer aus Zeichnung entwickelten Formgebung vor.

Seine in diesen Jahren betriebenen Vorstöße gegen die 'natürliche' Proportion und Gestaltformung nimmt Picasso nicht nur bewusst in Kauf, sondern betont dadurch geradezu den eigenständigen Charakter des Malens.[6] In einer langen Kette von Studien finden diese Vorstöße mit dem berühmten Bild Les Demoiselles d'Avignon im Sommer des Jahres 1907 ihren vorläufigen Abschluss. Trotz des Umstandes dass die Vorstudien Picassos - es sind nicht weniger als 809! - zu diesem Werk aus dessen Nachlass vorliegen, ist die Reihe der Skizzen und Studien wesensgemäß und chronologisch heterogen. Das begründet die Schwierigkeit, die Entwicklung und Zusammenhänge im Detail genau zu erfassen.[8]

In seinen Studien verdeutlichte sich Picasso die Prinzipien der Gegenstandsnachbildung in der Zeichnung. Generell wird eine Linie so geformt, dass sie die Kontur eines Objektes nachbildet. Bei diesem Prozess wirken somit drei Instanzen zusammen, die keineswegs zusammengehören: die Vorstellung, die Linie und die Hand. So ist eine Linie an sich inhaltsfrei und hat keine Bezeichnungsfunktion. Aus diesem Grund kann man mit einzelnen Strichen lineare Figurationen erzeugen, die überhaupt kein Abbild sind und dennoch ein Bild ergeben. Picassos Erkenntnisgewinn lag darin, sich klarzumachen, wie sich alle Abbildlichkeit zwischen zwei Polen bewegt: einerseits der idealen Übereinstimmung von Gegenstand und Nachformung und andererseits dem völligen Fehlen solch abbildlicher Bedeutung. Jede Zeichnung, die ein Objekt nachbildet, enthält Elemente beider Extreme. Picasso gelangte zu der Schlussfolgerung, dass das naturnachahmende Abbild eine Verbindung von Elementen darstellt, die an sich nicht zusammengehören. Ihre Verbindung ist willkürlich. Aus diesem Grunde muss es möglich sein, jene Elemente auch auf eine andere Art und Weise zusammenzusetzen, Formen hervorzubringen, die immer noch als Abbildungen verstanden, jedoch nicht mehr als Imitation der Natur gelesen werden, sondern vielmehr als reine, autonome Kunstgebilde. Die neue Formensprache muss somit so viel Naturnachahmendes enthalten wie nötig, um sie abschließend verständlich zu machen, und so viel eigenständige bildnerische Mittel wie möglich, ohne gänzlich 'abstrakt' zu werden. [6]

Der Einfluss Cézannes
Paul Cézanne: Stillleben mit Äpfel, 1893–1894

„Um 1906 überschwemmte der Einfluss Cézannes allmählich alles, und die Kenntnis des Komponierens, der Polarität der Formen und des Rhythmus der Farben war allen zugänglich.“

Anregungen erhielt Picasso auch durch das Werk Paul Cézannes, dem innerhalb der Entwicklung des Kubismus eine Schlüsselrolle zugesprochen wird. So zeigt bereits das in den Jahren 1906 bis 1907 entstandene 'Grundlagenbild', Les Demoiselles d'Avignon, des Kubismus im Vergleich zu den Badenden Cézannes mehrere überraschende Parallelen.[1]

Picasso begegnete Cézannes Bildern erstmals bei Henri Matisse, der 1899 das Bild Drei Badende (Les trois baigneuses) von Cézanne erworben hatte. Cézannes Äußerung gegenüber Émile Bernard im Jahr 1904, die in einer Schrift Bernards im Jahre 1907 publiziert wurde, „alle Formen der Natur lassen sich auf Kugel, Kegel und Zylinder zurückführen. Man muß mit diesen einfachen Grundelementen beginnen, dann wird man alles machen können, was man will. Man muß die Natur nicht reproduzieren, sondern repräsentieren, durch was? Durch gestaltende farbige Äquivalente.“, wird in diesem Zusammenhang aus kunsthistorischer Sicht gerne als ein anregendes Element zur Entwicklung des Kubismus angesehen.

Jedoch weist der Kunsthistoriker Götz Adriani auf Missdeutungen hin, die in diesem Zusammenhang entstanden seien. Cézanne habe mit diesem Zitat keine Umdeutung der Naturerfahrung im Sinne einer Orientierung an kubische abstrakte Formelemente bezweckt, vielmehr hatte er im Gegensatz zur kubistischen Loslösung der Bildautonomie von den Vorgaben der Natur versucht, diese ohne wesentliche Abstriche in das Werk unter verschiedenen Aspekten einzubringen.[9]

Betrachtet man hierzu die Darlegungen Picassos, so wird ersichtlich, dass dieser die Polarität der Formen hervorhebt (siehe hierzu auch → Matisse' Bildauffassung). Picasso unterscheidet die Beobachtung der positiven Form eines Gegenstandes - des Vollen - von der Beobachtung des den Gegenstand umgebenden Raumes und stellt heraus, dass beim Erfassen der positiven Form der Raum ringsum fast zu nichts zusammenschrumpft. Befasst man sich dagegen mit dem Raum, der den Gegenstand umgibt, so ist das Objekt auf fast nichts reduziert. Welche Betonung ist nun bedeutsamer, das Äußere oder das Innere einer Form? Diese Sichtweise (Perspektive) führt Picasso dazu, dem Zusammenstoß des Raumes mit der positiven Form mehr Bedeutung zu schenken. Die Form selbst ist nur ein leerer Umfang, auf den sich der Druck des umgebenden Raumes auswirkt, sodass die Erscheinung eines Gegenstandes entsteht, obwohl er in Wirklichkeit nicht existiert; was zählt, ist das rhythmische Aufprallen des Raumes auf die Form.[7]

Studien „archaischer“ Kunst
Modigliani, Picasso und André Salmon vor dem Café de la Rotonde, Paris.

Bereits die Künstler des Fauvismus entdeckten in den Jahren 1905 und 1906 die Zeugnisse afrikanischer Stammeskunst. De Vlaminck spricht von einer regelrechten „Jagd auf Negerkunst“, die bei den avantgardistischen Künstlern eingesetzt habe. Paris – Hauptstadt der Kolonialmacht Frankreich – war zu dieser Zeit ein gutes Jagdrevier. So entdeckte Picasso die afrikanische Stammeskunst für die Malerei. In seiner im Winter 1906/07 angefertigten Studie Frau im Profil (Femme de profil) werden diese Bezüge deutlich.[1] Max Jacob erinnert sich, dass Picasso im Atelier von Henri Matisse die afrikanische Skulptur für sich entdeckt habe. Am folgenden Tag seien daraufhin in Picassos Atelier Zeichnungen von Frauenköpfen mit beispielsweise nur einem Auge oder langer Nase anstelle des Mundes entstanden und Max Jacob konstatierte: „Der Kubismus war geboren.“

Neben der afrikanischen Skulptur befasste sich Picasso auch mit der frühgeschichtlichen iberischen Plastik, nachdem er im März 1906 eine Ausstellung neuer Ausgrabungsfunde im Museé du Louvre besucht hatte und darauf zwei vorchristliche iberische Statuetten erwarb. Während eines anschließenden Aufenthaltes im spanischen Gosol vertiefte er sein Wissen über die „archaische“ Plastik der iberischen Halbinsel.[1] So erschien Picassos Atelier Besuchern in diesen Jahren wie eine Wunderkammer. Den Eindruck, den sein Studio am Boulevard de Clichy vermittelte, beschreibt André Salmon in einem Artikel über den Künstler: „Auf allen Möbeln schneiden seltsame Holzfiguren, die zu den erlesensten Stücken afrikanischer und polynesischer Skulptur gehören, Grimassen. Lange bevor Picasso einem seine eigenen Werke zeigt, lässt er einen diese primitiven Wunderwerke bestaunen.“

Picasso und Braque - die Geburt des Kubismus

„Tatsächlich, die Kunst ist eine Verzauberung, etwas Geheimnisvolles, das uns umschließt. Weil unser Gefühl weit mehr von der Logik als vom Unbewussten, das die Welt beherrscht, geformt ist, entgeht uns die Zauberkraft der Kunst.“

Vermutlich Ende November oder Anfang Dezember 1907 begleitete Georges Braque, der sich zuvor dem Fauvismus zugewandt hatte, Apollinaire in Picassos Atelier im Bateau-Lavoir. Braques Reaktion auf Picassos Bild Les Demoiselles d'Avignon war zuerst ablehnend. Er konnte das Gesehene zunächst nicht verarbeiten. Dies änderte sich jedoch recht bald, denn Braques Gemälde zeugen fortan von der Kenntnis und dem tiefen Verständnis der jüngsten Bilder Picassos.[1] So wurde Braques Gemälde Häuser in L'Estaque, 1908, als erstes Bild von Louis Vauxcelles mit den „cubes“ in Verbindung gebracht.[10]

Zwischen beiden Malern entwickelte sich eine enge Freundschaft. In ihren Arbeiten wird die Farbe als ein Hilfsmittel zur Formgebung und Gestaltung von Hell- und Dunkelwerten eingesetzt oder mit Picassos Worten gesagt: „Kubismus ist nie etwas anderes gewesen als dies: Malen um der Malerei willen, unter Ausschluss aller Begriffe von nicht wesentlicher Wirklichkeit. Die Farbe spielt eine Rolle in dem Sinn, dass sie zur Darstellung der Volumen hilft.“[7]

In seinem grundlegenden Werk Der Weg zum Kubismus aus dem Jahre 1920 hebt Daniel-Henry Kahnweiler die Bedeutung der beiden Maler für die Entwicklung des Kubismus deutlich heraus. Die Verdienste beider seien „eng verschlungen“ und „oft kaum zu unterscheiden.“

Analytischer Kubismus

Während der Phase des so bezeichneten Analytischen Kubismus, etwa 1909/10 – 1912, bleiben weiterhin die Werke von Pablo Picasso und Georges Braque stilprägend. Andere Autoren wiederum - so etwa Warncke - bezeichnen den gesamten Zeitraum von 1907 bis 1912 als Analytischen Kubismus, unterscheiden somit innerhalb der Entwicklungsgeschichte nicht namentlich zwischen einem frühen und einem analytischen Kubismus, sondern verweisen auf die inneren Zusammenhänge.[6]
So werden die Bildmotive weiterhin aus verschiedenen Perspektiven gleichzeitig dargestellt, jedoch feiner untergliedert bzw. zerlegt. Die Farbgebung dient, wie schon im 'frühen Kubimus', erstrangig der formalen Gestaltung des Bildes, die differenzierenden Hell-Dunkel-Zonen zur Darstellung der Plastizität.

Die 'kubistische' Darstellungsweise ermöglicht es, die Bildgegenstände gleichzeitig (simultan) aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten (polyvalente Perspektive). Der Begriff der Simultaneität ist so in der kunsthistorischen Rezension zu einem Leitwort des Kubismus erwachsen. Oft erscheinen manche Bildteile transparent, wodurch simultan mehrere Ebenen sichtbar sind.

Synthetischer Kubismus

Juan Gris: Teetassen, 1914, Öl, Kohle, Klebebild.

Der synthetische Kubismus (etwa 1912–1914) baut im Wesentlichen auf die von Pablo Picasso, Georges Braque, später gleichermaßen von Juan Gris, praktizierte Collagetechnik, dem papier collé auf. Zu den papier collés, die als Grundlage aller nachfolgenden Collage-Techniken bis hin zum Ready-made zu sehen ist, wurden Braque und Picasso durch ihre zuvor entstanden dreidimensionalen Konstruktionen, den Papierplastiken angeregt, die sie aus Papier und Karton, Picasso später aus Blech, fertigten.[3] Mit Braques Bild Obstschale und Glas (Compotier et verre) entsteht das erste papier collé. Von nun an tauchen Papier, Zeitung, Tapete, imitierte Holzmaserung, Sägespäne, Sand und ähnliche Materialien in den Bildern der Kubisten auf. Die Grenzen zwischen gemaltem und realem Gegenstand bis hin zum Objekt gehen fließend ineinander über. Die in dieser Weise bearbeiteten Bilder bekommen einen dinghaften, materiellen Charakter, der eine neue Realität des Bildes schafft.[1]

Apollinaire hält im Januar 1913 anlässlich einer Ausstellung von Robert Delaunay in der Galerie Der Sturm in Berlin einen Vortrag, der später unter dem Titel Die moderne Malerei in der Zeitschrift Der Sturm veröffentlicht wird. Hier findet sich einer der frühesten Hinweise auf das neue Verfahren des papier collé und der Collage, die Braque und Picasso 1912 entwickelt hatten.[1]

So bemühen sich die Maler im synthetischen Kubismus nach der „Zerlegung“ wieder um den „Aufbau“ des Gegenstandes, allerdings unter Wahrung der errungenen Freiheit der Bildgestaltung. Sie bauen hierbei ihre Bilder aus größeren Flächen auf, mit strengen klaren Umrissen und einer intensiveren Farbgebung. Durch Überschneidung der Flächen und durch knappe Schattenangaben deuten sie Körperlichkeit an, ohne jedoch den Eindruck von der Gebundenheit der Gegenstände an die Zweidimensionalität der Fläche zu verwischen.

Juan Gris

Amedeo Modigliani: Porträt Juan Gris, 1915

Der aus Spanien stammende Juan Gris (eigentlich José Victoriano González) kam nach seinem Studium der Malerei und Grafik in Madrid im Jahr 1906 nach Paris. Dort schloss er sich, etwa 1908, im Alter von 21 Jahren Pablo Picasso an, dessen Ateliernachbar er wurde. 1913 gehörte er bereits zu den von Daniel-Henry Kahnweiler vertretenen Kubisten.
Sein frühes Œuvre belegt beispielhaft die ungeheure Wirkung des Kubismus auf jüngere Künstler der Zeit, deren Schaffen dem späten Kubismus neue Impulse verlieh. Gris intellektuelle Fähigkeiten gaben dem Kubismus eine bis dahin nicht formulierte theoretische Grundlage. So gilt er nach Picasso und Georges Braque als einer der Hauptvertreter des Kubismus. Seine Leistung liegt in der Weiterführung des Analytischen zum Synthetischen Kubismus, in dem er die neu entwickelten Gestaltungsprinzipien in ein rationales System einfügt.[1]

Gris entwickelte unter seinen Freunden die reinste Version des Synthetischen Kubismus. Er ging von ungegenständlichen Bildelementen aus Formen und Farben aus und gelangte mit diesen Mitteln zur Darstellung begrifflich benennbarer Gegenstände.
Der Kunsthistoriker Werner Hofmann formuliert: „Das Problem, alle Bildzonen gleichwertig zu machen, also den formalen und gegenständlichen Rangunterschied zwischen den 'gemeinten' Formen und den dazwischen liegenden Intervallen zu beseitigen, dieses Problem wird von nun an den analytischen Kubismus beschäftigen und erst im Schaffen von Juan Gris seine Lösung erfahren.“

Gris war Zeit seines Schaffens bemüht, sein künstlerisches Vorgehen auch theoretisch zu vermitteln. Rückblickend veröffentlichte er in L'Esprit nouveau vom Februar 1921: „Cézanne macht aus einer Flasche einen Zylinder, ich hingegen gehe von einem Zylinder aus, um ein Einzelding von einem besonderen Typus zu schaffen; aus einem Zylinder mache ich eine Flasche, eine bestimmte Flasche. Cézanne geht auf das Architektoniche zu, ich hingegen gehe von ihnen aus. Deshalb komponiere ich mit abstrakten Elementen (Farben) und ordne erst dann das Gegenständliche an, wenn die Farben zu Gegenständen geworden sind. Ich komponiere z.B. mit einem Weiß und einem Schwarz und komme erst zur Anordnung, wenn dieses Weiß zu einem Papier geworden ist und jenes Schwarz ein Schatten. Ich will damit sagen: ich ordne das Weiß so an, um es zu einem Papier werden zu lassen. Diese Malerei verhält sich zu der bisherigen wie die Poesie zur Prosa.“

Juan Gris: Sitzende Frau, Colección Carmen Thyssen-Bornemisza, 1917

Die Salonkubisten

„Picasso wehrt sich vor allem dagegen, als Vater des Kubismus bezeichnet zu werden, den er nur angeregt hat.“

Die Arbeiten der übrigen uns heute so vertrauten Kubisten werden erst seit 1910 auf Ausstellungen gezeigt. Albert Gleizes, Fernand Léger und Jean Metzinger präsentierten vom 18. März bis zum 15. Mai 1910 ihre aktuellen Arbeiten im Salon des Indépendants. Ihren öffentlichen Durchbruch als Gruppe kubistisch arbeitender Künstler erlebten sie 1911 im Salon des Indépendants zusammen mit Robert Delaunay und Henri Le Fauconnier. Seit jener Präsentation werden die Kubisten in zwei Gruppen unterteilt: Den in der Ausstellung genannten Salonkubisten standen die Galeriekubisten Braque und Picasso gegenüber. Braque schloss sich der Entscheidung Picassos an, von nun an nicht mehr im Salon auszustellen. Die Arbeiten Picassos und Braques waren nur noch in den Galerieausstellungen bei Kahnweiler und Vollard zu sehen. Der Zutritt zu den Ateliers von Braque und Picasso blieb den Salonkubisten verwehrt. Die Distanzierung Picassos zu den Arbeiten der Salonkubisten wird auch in der Rezension der Picasso-Ausstellung in der Galerie Vollard (20. Dezember bis Februar 1911) von André Salmon im Paris-Journal deutlich: „Picasso hat keine Anhänger, und wir müssen die Unverfrorenheit derjenigen aushalten, die in Manifesten öffentlich behaupten, seine Anhänger zu sein, und andere leichtfertige Seelen in die Irre führen.“
Für die Schilderung der Ereignisse stellt die von Judith Cousins erarbeitete vergleichende biografische Chronologie zu Picasso und Braque eine unersetzliche Quelle dar. Sie ist in William Rubins Buch anlässlich der Ausstellung „Picasso und Braque. Die Geburt des Kubismus“ im Museum of Modern Art, New York, und im Kunstmuseum Basel (1989/90) erschienen.
Erst 1920, als sich Picasso bereits vom Kubismus abgewandt hatte, revidierte Braque seinen einst mit Picasso gefassten Entschluss und beteiligte sich wieder an den Ausstellungen im Salon.[1]

Fernand Léger und Robert Delaunay

Fernand Léger lässt sich bereits 1908 in La Ruche, der Künstlerkolonie am Montparnasse, nieder. 1910 wird er gemeinsam mit seinem Freund Robert Delaunay und von den mit ihm befreundeten Publizisten Max Jacob und Guillaume Apollinaire in die Galerie Kahnweiler eingeführt, wo er erstmals die kubistischen Arbeiten von Picasso und Braque kennenlernt.

Als Léger im Salon des Indépendants von 1911 das Bild Akte im Wald (Nus dans la forêt) ausstellte, sprach der Kunstkritiker Louis Vauxcelles im Zusammenhang mit Légers Kunst nicht mehr von Kubismus, sondern von Tubismus (Röhrenkunst). Picasso äußerte nach der Ausstellung gegenüber seinem Galeristen Daniel-Henry Kahnweiler: „Sehen sie, dieser Junge bringt etwas Neues, man nennt ihn auch schon anders als uns.“
Der Kunsthistoriker Werner Spies vergleicht das Werk Légers in diesem Zusammenhang mit einem „taktilen Abtasten des neuen, Cézannschen Bildraums.“ So ist Légers Umgang mit der Farbe durchaus als singulär innerhalb des kubistischen Bildraumes zu bezeichnen. In seinem gegenüber den anderen Kubisten konträren Einsatz der Farbe fühlte er sich nicht unbedingt sicher.[1] Auf Grund des überschaubaren Formenvokabulars, mit dem Léger gearbeitet hatte, stellte die farbige Fassung der Formen für ihn ein außerordentlich wichtiges Gestaltungsmittel dar. Er betonte: „Die Farbe war für mich ein notwendiges Steigerungsmittel. In diesem Punkt unterscheiden wir, Delaunay und ich, uns stark von den anderen (Kubisten).“

Léger nimmt eine gesonderte Stellung innerhalb des Kubismus ein. Er erweiterte die einfachen Bildthemen des Kubismus durch eine neue und aktuelle Thematik: die Beziehung zwischen Mensch, Maschine und Technik. Léger stand der urbanen Industriegesellschaft offen und positiv gegenüber und machte diese Thematik noch vor den dynamischen Arbeiten der Futuristen publik.

Durchaus vergleichbar mit dem Werk Légers entschloss sich Delaunay zu einer reinen Farbarchitektur, für die Guillaume Apollinaire den Begriff Orphischer Kubismus und später Orphismus geprägt hat. Delaunay definierte die neue Richtung wie folgt: Im Orphismus seien Farbbeziehungen als autonome Konstruktionsmittel eingesetzt, sie „bilden die Grundlage einer nicht mehr imitativen Malerei.“

Als die Kubisten im Salon des Indépendants 1911 für Aufsehen sorgten, beteiligte sich Delaunay mit drei Gemälden an der ersten Ausstellung des Blauen Reiters in München. Auch danach wurde Delaunay ein wichtiger Multiplikator für die Verbreitung kubistischer Ideen: 1912 besuchten ihn Paul Klee, Franz Marc, August Macke und Hans Arp im Atelier. Delaunay und Apollinaire trafen wiederum Macke in Bonn. Daneben trugen Ausstellungsbeteiligungen im Ausland zur internationalen Verbreitung kubistischer Ideen bei.[1]

Orphischer Kubismus
Hauptartikel: Orphischer Kubismus

Die von Robert Delaunay und Fernand Léger um 1911 entstandenen Arbeiten führten dazu, dass in einer Reihe von Abhandlungen über den Kubismus hier noch einmal der Orphische Kubismus unterschieden wird. Die in diesem Kreis entstandenen Arbeiten bedienen sich in besonderer Weise der Gestaltungsprinzipien Farbe, Licht und Dynamik und wurden von Apollinaire 1912 mit der Namensgebung Orphismus versehen.

Jean Metzinger und Albert Gleizes

Jean Metzinger studierte um 1900 in seiner Heimatstadt Nantes an der örtlichen Kunstakademie. Metzinger stand bereits während seiner Studienzeit den neuen Strömungen in der Malerei offen gegenüber. 1903 zog Metzinger nach Paris. Zu dieser Zeit widmete er sich der neo-impressionistsichen Malweise. Bereits 1906 lernte er Picasso, Georges Braque und Juan Gris kennen und schloss sich 1908 der kubistischen Bewegung an. 1910 schrieb Metzinger in seinen Bemerkungen über die Malerei, dass ihm Picasso das wirkliche Gesicht der Malerei enthüllt habe. Er betonte die Reinheit der Malerei, die er in Picassos Werk wahrnahm.

In Zusammenarbeit mit dem als Maler, Illustrator und Kunstschriftsteller tätigen Albert Gleizes verfasst er 1912 die theoretische Abhandlung Du cubisme (Über den Kubismus), die im Verlag Figuière in Paris erschien. Beide betonen in dieser Schrift den Unterschied zwischen den so genannten Salon- und Galeriekubisten. So werden als Vertreter des Kubismus nur Le Fauconnier, Fernand Léger, Robert Delaunay, Jean Metzinger und Albert Gleizes genannt. Im selben Jahr schlossen sich 31 Künstler unter dem Namen Section d’Or zu einer kubistischen Ausstellungsgemeinschft zusammen. Dazu zählten beispielsweise Roger de La Fresnaye, Albert Gleizes, Juan Gris, Auguste Herbin, Fernand Léger, André Lhote, Jacques Villon und Jean Metzinger. Picasso und Georges Braque beteiligten sich nicht an der Bewegung.

Obwohl ihre Bildsprache meist weniger radikal war als die der so genannten Galeriekubisten, sahen sich Metzinger und Gleizes immer wieder veranlasst, ihre Kunst zu verteidigen. In diesem Zusammenhang hoben sie hervor, dass sie in ihrer Schrift Du cubisme der allgemeinen Meinung nachgaben und Cézanne an den Anfang dieser Art zu malen stellten.

Die Bilder Gleizes zeigen deutlich, dass die kubistisch arbeitenden Künstler zu sehr unterschiedlichen Stilmitteln gefunden haben. Seine theoretischen Aussagen verweisen auf eine analytische Herangehensweise bei der Erstellung eines Bildes, die nicht immer dem Verständnis des Kubismus förderlich war.[1]

Neben diesen beiden Malern ist noch der kubistisch arbeitende Henri Le Fauconnier zu nennen, der zwischen 1909 und 1911 Mitglied der Neuen Künstlervereinigung München war, als diese drei wichtige Ausstellungen in der Münchner Galerie Thannhäuser veranstaltet hatte.

Die kubistische Plastik

Als nicht ausgebildeter Bildhauer schuf Picasso zwischen den Jahren 1909 und 1930 Skulpturen, die einen großen Einfluss auf die Bildhauerei des 20. Jahrhunderts haben sollten. Dreidimensionale Arbeiten begleiteten sein ganzes Werk und dienten ihm als Experimentierfeld für sein malerisches Schaffen. Seine Innovationen verfolgte er nicht weiter, sie dienten jedoch zeitgenössischen Bildhauern als Anregung wie beispielsweise den Futuristen, den Dadaisten und den Konstruktivisten.[11]

In der kubistischen Plastik wird zunächst der Einfluss afrikanischer und ozeanischer Volkskunst deutlich. Picasso setzte sich ab 1905 mit afrikanischer Fetischkunst und archaischen Votivgaben auseinander und übernahm deren vereinfachte blockhafte Konzeption. In Abkehr von Rodins detailliert ausgearbeiteten Figuren verzichteten die Kubisten weitgehend auf eine naturgetreue Abbildung und gelangten zu einer starken Vereinfachung der Gestalt.

Diese facettierte, vielschichtige Gestaltung inspirierte den italienischen Futuristen Umberto Boccioni, der 1912 die neuen Skulpturen der Kubisten bei Atelierbesuchen in Paris gesehen hatte. Boccioni erweiterte das Gestaltungsprinzip der kubistischen „Vielperspektivik“ um den Faktor der Dynamik.

Der dem Kubismus nahestehende rumänische Bildhauer Constantin Brâncuși reduzierte die Ausgestaltung seiner Skulpturen auf das Äußerste und experimentierte in der Proportionierung mit dem Gleichgewicht, wobei er seinen Objekten einen „metaphorischen Verweis“ verlieh.[12] Hans Arp, am Kubismus und Futurismus orientiert, übertrug dieses Prinzip später auf organische Grundformen. Picasso wandte das Prinzip der Simultaneität, das er in der Malerei in geschachtelten Farbfeldern gefunden hatte, in der facettenhaften Strukturierung seiner Objektkunst an. In der Folgezeit übernahmen beispielsweise Alexander Archipenko, Raymond Duchamp-Villon oder Otto Freundlich eine ähnlich aufgefächerte Oberflächengestaltung.

In späteren Jahren arbeiteten Künstler wie beispielsweise Alberto Giacometti, Willem de Kooning oder Henry Moore mit plastischen Methoden, die sich an den im Kubismus begründeten Gestaltungsprinzipien der Vielperspektivik und Dynamik orientieren.[12]

Auswirkungen des Kubismus

Rückblickend nahm der Kubismus wesentlichen Einfluss auf die späteren großen künstlerischen Bewegungen des 20. Jahrhunderts, insbesondere den italienischen Futurismus, den Rayonismus und Suprematismus in Russland, den französischen Orphismus und Purismus, den Blauen Reiter in Deutschland, die De-Stijl-Bewegung in den Niederlanden und schließlich den international verbreiteten Dadaismus sowie auf die gesamte konstruktive Kunst, etwa den Kubofuturismus und den Konstruktivismus. Fast alle führenden Künstler der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sind in ihrer frühen Schaffensphase vom Kubismus beeinflusst und ihre Arbeiten von dessen Erfindungen und Bildformen geprägt.[1]

Alexander Archipenko resümiert 1922 in einem Artikel in der Internationalen Rundschau der Kunst der Gegenwart: „Man kann sagen, daß der Kubismus eine neue Denkordnung gegenüber dem Bild geschaffen hat. Der Betrachter ergötzt sich nicht länger, der Betrachter ist selbst schöpferisch tätig, sinnt und schafft ein Bild, indem er sich auf die plastischen Merkmale jener Gegenstände stützt, die als Formen skizziert sind […]“

Die Section d’Or (Goldener Schnitt) wurde 1912 als französische Künstlervereinigung gegründet. Sie steht dem Kubismus sehr nahe, unterscheidet sich gleichwohl durch die stärkere Farbgebung. Die Künstler der Section d’Or orientierten sich vor allem am Goldenen Schnitt und versuchten, dessen Harmonie wissenschaftlich zu begründen.

In Russland entwickelte sich um 1912/13 mit dem Kubofuturismus eine vereinfachte Form des Kubismus, der zugleich dynamische Elemente des Futurismus rezipierte. Charakteristisch ist hierbei eine Zerlegung der Figuren in zylindrische, teilweise industriell wirkende Elemente. Der Kubofuturismus leitete den russischen Konstruktivismus ein. Zeitweise Vertreter waren Kasimir Malewitsch, Iwan Puni und Ljubow Sergejewna Popowa.

In den Vereinigten Staaten erfuhr der Kubismus als Folge der Armory Show eine kurzfristige Nachlese durch regionale Künstler, die zu einer „kuborealistischen“ Bildsprache fanden, wie beispielsweise Charles Demuth oder Alfred H. Maurer. Demuth fand in seiner strengen Formsprache mit industriellen Sujets zu einer eigenständigen Ausdrucksform, die im sogenannten Präzisionismus den Amerikanischen Realismus (American Scene) als erste von Europa losgelöste Bewegung ankündigte.[13] Maurer blieb indes eher dem akademischen Tafelbild in der Tradition der europäischen Schulen verhaftet, um letztlich zu ähnlich monochromen Arrangements, wie sie im Kubismus zu finden sind, zurückzukehren.

Architektur

Kubistisches Café und Museum in Prag.

Im Anschluss an den Kubismus entwickelte sich ab 1917 eine an der Architektur orientierte Stilrichtung, die 1918 mit dem Manifest Après le cubisme (Nach dem Kubismus) von den Künstlern Amédée Ozenfant und Charles-Edouard Jeanneret (Le Corbusier) als Purismus proklamiert wurde. Ozenfant hatte bereits 1915 in der selbstverlegten Zeitschrift L'Elan erste Gedanken zu einer reinen, „puren“ Kunstform dargelegt, die einfach, funktional und ohne dekorative Elemente daherkommen sollte. Damit lieferten die Puristen einen ideologischen Ansatz, der die Entfernung von der Gegenständlichkeit weiterführte und im Suprematismus, Konstruktivismus und im Bauhaus umgesetzt wurde und in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts Einfluss auf die minimalistische Kunst und Architektur hatte.

Bedeutung hat der Kubismus zudem durch seinen Einfluss auf das Design und die Architektur. Bedeutende „kubistische“ Architektur findet sich vor allem in Prag, hier sind vornehmlich Josef Chochol, Josef Gočár oder Pavel Janák zu nennen.

Musik

Obwohl die Übertragung von Begriffen der Bildenden Kunst auf andere Künste und insbesondere auf die Musik problematisch ist und vielfach kritisiert wird, gelten vor allem zwei zeitgenössische Kompositionen ebenfalls als kubistische Werke: Die beiden Ballette Le sacre du printemps von Igor Strawinsky (1911/13) und Parade von Erik Satie (1917). Letzteres war von Picasso mit Bühnenbildern und Kostümen in kubistischem Stil ausgestattet worden. Abgesehen von der geistigen Nähe der Komponisten zu den Ideen des Kubismus sprechen dafür vor allem das Aufbrechen herkömmlicher Kompositionsmethoden und das Zusammenfügen eines Kunstwerks durch die Aneinanderreihung von sperrigen, weitestgehend unveränderten, nicht selten heterogenen Einzelelementen.

Künstler des Kubismus

Diese Liste ist in der alphabetischer Reihenfolge der Nachnamen sortiert und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

Weitere Künstler, die zeitweise dem Kubismus zugeordnet werden oder ihm nahe standen, finden sich hier.

Literatur

  • Pierre Assouline: Der Mann, der Picasso verkaufte  –  Daniel-Henry Kahnweiler und seine Künstler. Gustav Lübbe Verlag, Bergisch-Gladbach 1990, ISBN 3-7857-0579-4
  • David Cottington: Kubismus. Hatje Cantz, Ostfildern-Ruit 2002, ISBN 3-7757-1151-1
  • Pierre Daix, Joan Rosselet: Picasso - The Cubist Years 1907-1916, Thames and Hudson Ltd., London 1979, aus dem franz. Le Cubisme de Picasso, Catalogue raisonné de l'œuvre übersetzt von Dorothy S. Blair, ISBN 0-500-09134-X
  • Hajo Düchting: Die Kunst und der Kubismus. Belser, Stuttgart 2007, ISBN 978-3-7630-2477-3
  • Josep Palau i Fabre: Picasso - der Kubismus, Könemann Verlagsgesellschaft mbH, Köln 1998, aus dem Katalanischen übersetzt von Wolfgang J. Wegscheider, ISBN 3-8290-1450-3
  • Anne Ganteführer-Trier, Uta Grosenick (Hrsg.): Kubismus, Benedikt Taschen Verlag GmbH, Taschen 25th anniversary special edition, 2. Auflage 2007, ISBN 978-3-8228-2955-4
  • Albert Gleizes/Jean Metzinger: Du cubisme, on cubism, über den Kubismus. Fischer, Frankfurt/M. 1993, ISBN 3-89406-728-4
  • Ludger Hagedorn und Heinke Fabritius (Hrsg.): Frühling in Prag oder Wege des Kubismus (Tschechische Bibliothek) München, Deutsche Verlagsanstalt 2005, ISBN 3-421-05261-1
  • Daniel-Henry Kahnweiler: Der Weg zum Kubismus, Delphin, München 1920
  • Michail Lifschitz: Krise des Häßlichen. Vom Kubismus zur Pop-Art. VEB Verlag der Kunst, Dresden 1972
  • William Rubin: Picasso und Braque. Die Geburt des Kubismus, Prestel Verlag München, München 1990, ISBN 3-7913-1046-1
  • Katharina Schmidt (Hrsg.): Ein Haus für den Kubismus. Die Sammlung Raoul LaRoche. Hatje Cantz, Ostfildern-Ruit 1998, ISBN 3-7757-0754-9 (Ausstellungskatalog)
  • Carsten-Peter Warncke, Ingo F.Walther (Hrsg.): Pablo Picasso, Benedikt Taschen Verlag GmbH, Köln 1991, ISBN 3-8228-0425-8

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Einzelnachweise

  1. a b c d e f g h i j k l m n o p Anne Ganteführer-Trier, Uta Grosenick (Hrsg.): Kubismus, Verlag Taschen, Taschen 25th anniversary special edition, S. 6 - 25.
  2. Josep Palau i Fabre: Picasso - Der Kubismus, Könemann Verlagsgesellschaft mbH, Köln 1998, S. 24 ff.
  3. a b William Rubin: Picasso und Braque - Die Geburt des Kubismus, Prestel Verlag München, München 1990, S. 9 ff.
  4. Angelegenheit des Geistes
  5. Kubismus, www.g26.ch, abgerufen am 27. Januar 2011
  6. a b c d e f g h i Carsten-Peter Warncke, Ingo F. Walther (Hrsg.): Pablo Picasso, Benedikt Taschen Verlag, Köln 1991, S. 143 ff.
  7. a b c d Picasso: Über Kunst, Diogenes Verlag AG Zürich, 1988, ISBN 3-257-216742
  8. Les Demoiselles d'Avignon (AK). Musée Picasso, Paris, 2Bde., Paris 1988
  9. nach Götz Adriani: Paul Cézanne. Leben und Werk, S. 115 f. C. H. Beck, München 2006, ISBN 978-3-406-54690-7
  10. Karl Bertsch: Braque: Häuser in L'Estaque (1908). kunst.gymszbad.de 2006, abgerufen am 22. November 2008.
  11. Gabriele Kopp-Schmidt: Picasso und die Folgen: der Maler als „Bildhauer“, S. 1 f. Deutscher Verlag für Kunst, Theorie und Praxis, abgerufen am 29. Januar 2010.
  12. a b zitiert nach Karin Thomas: Bis Heute – Stilrichtungen der bildenden Kunst im 20. Jahrhundert. DuMont, Köln 1986, ISBN 3-7701-1939-8, S. 84 ff.
  13. vgl. auch: Karin Thomas: Bis Heute – Stilgeschichte der bildenden Kunst im 20. Jahrhundert. DuMont Buchverlag, Köln, 1986, S. 182f