Frau von Luttra

Die Frau von Luttra[1] (schwedisch: Hallonflickan, auf deutsch: Himbeermädchen) ist eine jungsteinzeitliche Moorleiche, die 1943 in einem Moor der Gemeinde Falköping, Provinz Västra Götaland, in Schweden gefunden wurde. Aufgrund der Himbeeren, ihrer letzten Mahlzeit, erhielt die junge Frau den Spitznamen Hallonflickan, auf deutsch Himbeermädchen. Sie befindet sich seit 1994 im Ausstellungsteil Falbygdens Vorzeit der Dauerausstellung des Falbygdens Museum.
Fund


Der Bauer Carl Vilhelmsson stieß Ende Mai 1943 beim Torfstechen im Hochmoor Rogestorpamossen in einer Tiefe von 120 cm unterhalb der Oberfläche auf die Hand einer skelettierten Leiche. Das Rogestorpamossen ist Teil des Mönarpa mossar und befindet sich in der Nähe des Kirchspiels Luttra socken in der Gemeinde Falköping. Der Fundplatz liegt etwa 50 m östlich der ehemaligen Eisenbahngleisstrecke zwischen Falkirk und Ulricehamn, die jetzt als Fahrradweg genutzt wird. Vilhelmsson informierte den lokalen Vertreter des Reichsantiquaramts, Oberlehrer Hilding Svensson aus Falköping, der den Fund am nächsten Tag besichtigte und die Fundmeldung an das Reichsantiquaramt weiterleitete. Der herbeigerufene Experte, der Archäologe Karl Esaias Sahlström von der Schwedischen Geologie-Behörde, befand, dass eine Untersuchung des Fundes an Ort und Stelle nicht sinnvoll erschien. Er barg den Fund mit dem ihn umgebenden Torfschichten und sandte ihn per Eisenbahn nach Stockholm.
Befunde


In den 1940er Jahren wurde der Fund unter Leitung von Prof. Nils-Gustaf Gejvall untersucht. Die Leiche lag nahezu parallel in Richtung Nordnordwest - Südsüdost, mit dem Kopf gegen Norden. Von der Leiche sind lediglich Teile des Skeletts erhalten. Die Weichteile waren vollständig vergangen; einige Knochen des Skeletts, vor allem zwischen Schädel und Becken, fehlen. Der Schädel selbst war sehr gut erhalten, lediglich die innere Nasenregion war etwas stärker vergangen. Der Erhaltungszustand der übrigen Knochen war weniger gut.[2] Die anthropologische Untersuchung der Überreste zeigte, dass es sich zweifelsfrei um eine sehr grazile, junge Frau handelt, die mit einer Körpergröße von 145 cm auch zu ihren Lebzeiten auffallend kleinwüchsig war. So waren gleichaltrige Frauen der Jungsteinzeit dieser Region durchschnittlich zwischen 153 und 163 cm groß.[3] Ihre Beine lagen in einer extrem engen Hockstellung, so dass ihre Waden direkt an den Oberschenkeln anlagen. Möglicherweise waren die Beine mit einer Verschnürung versehen worden, die sich im Moor nicht erhalten hat. In der Torfschicht, in der das Skelett eingebettet lag, wurde im Bereich des Magens eine außerordentlich große Ansammlung von Himbeersamen gefunden, die aufgrund der eindeutigen Lage als Teil des ehemaligen Mageninhalts identifiziert werden konnten. Offenbar hatte die junge Frau die Früchte kurz vor ihrem Tod verzehrt. Da frische Himbeeren in der Jungsteinzeit nicht über einen längeren Zeitraum gelagert werden konnten, musste die Frau sie frisch verspeist haben. Folglich dürfte sie im Spätsommer, etwa in den Monaten Juli oder August, verstorben sein.[4] Dies stellt insofern einen Sonderfall dar, als alle bisher in Schweden bekannt gewordenen Moorleichen in den Wintermonaten verstorben sind. Aufgrund der Pollenanalyse des Torfprofils wurde zunächst ein Alter der Leiche von mehr als 4000 Jahren angenommen.
In den 1990er Jahren wurde das Himbeermädchen erneut von Sabine Sten und Torbjörn Ahlström untersucht. Dabei wurde festgestellt, dass die Himbeersamen von verschiedenen Himbeersorten stammten. Während in den 1940er Jahren das Lebensalter der Frau mit 18-20 Jahren ermittelt wurde[5], geht man nach den neueren Untersuchungen von einem Alter zwischen 20-25 Jahren aus[6].
Eine 14C-Untersuchung ergab, dass die Frau 1000 Jahre früher als vermutet im Jungneolithikum, etwa im Zeitraum zwischen 3105 bis 2935 v. Chr., verstorben war. Bei der Untersuchung der Torfproben konnten Überreste von etwa 2 bis 3 mm langen Süßwasserschnecken nachgewiesen werden, die andeuten, dass die Frau in einem damals noch offenen Gewässer versenkt worden war, das erst später verlandete. Diese Theorie wird ebenfalls durch die fehlenden Knochen unterstützt, die nach Verwesung der Weichteile im Wasser verlagert worden sein konnten. Möglicherweise versank ihre Leiche auch im schlammigen Grund des Gewässers. Die genaue Todesursache ließ sich nicht klären. Aufgrund der Fundlage in Hockstellung wurde ein Unfall oder Ertrinken ausgeschlossen, als wahrscheinliche Möglichkeit wird ein Tötungsdelikt angenommen.
Deutungsversuche
Drei Jahre vor dem Fund der Frau von Luttra wurde nur sechs Meter entfernt eine in der derselben Tiefe liegende Pfeilspitze aus Feuerstein gefunden. Diese führte zu der Vermutung, dass die Frau durch Pfeilschüsse getötet wurde und anschließend in das Gewässer gelangte. Die Forscher vermuteten, dass diese Pfeilspitze die Frau verfehlt hatte und sie durch einen zweiten Pfeilschuss getötet wurde. Jedoch konnten bei den weiteren Ausgrabungen weder eine zweite Pfeilspize gefunden noch Spuren eines Treffers an den Knochen beobachtet werden. Mit hoher Wahrscheinlichkeit steht die Pfeilspitze in keiner Verbindung zu der Frau.[7]
Die enganliegende Hockstellung der Beine wurde von einigen Wissenschaftlern als Indiz für eine Opferung angesehen. Jedoch starb die Frau höchstwahrscheinlich im Spätsommer, was eher gegen die Theorie als Opfer an eine Fruchtbarkeitsgottheit spräche, da Fruchtbarkeitsopfer üblicherweise im Frühjahr dargebracht wurden. Es käme aber auch eine Opferung aus anderen Gründen in Betracht. Weiter ist es möglich, dass sie Opfer eines Verbrechens wurde oder selbst als Verbrecherin hingerichtet wurde.
Literatur
- Wijnand van der Sanden: Mumien aus dem Moor. Die vor- und frühgeschichtlichen Moorleichen aus Nordwesteuropa. Batavian Lion International, Amsterdam 1996, ISBN 90-6707-416-0, S. 85 (niederländisch, Originaltitel: Vereeuwigd in het veen. Übersetzt von Henning Stilke).
- Per Persson, Karl-Göran Sjögren: Falbygdens gånggrifter. Undersökningar 1985-1998. 2001, ISBN 91-85952-31-1 (schwedisch).
- Torbjörn Ahlström, Sabine Sten: Hallonflickan. In: Curry Heimann (Hrsg.): Forntid på Falbygden, en bok till basutställningen. Falbygdens museum, Falköping 1995, ISBN 91-630-3620-7, S. 22–25 (schwedisch).
- N. G. Gejvall, C. H. Hjortsjö, K. E. Sahlström: Stenålderskvinnan från Luttra i svensk antropologisk. 1952, ISBN 91-630-3620-7, S. 410–426 (schwedisch).
- Maria Vretemark: Färgstarka västgötska kvinnor. In: Västergötlands fornminnesförenings tidskrift. 1997/1998, ISBN 91-85884-94-4 (schwedisch).
- Gunnar Creutz: In: Falbygden. Nr. 57, 2003, ISSN 0347-2833, S. 39–45 (schwedisch).
- Louise Cederschiöld, Elisabeth Iregren: Hallonflickan. In: Brottstycken: Notiser om arkeologiskt och kulturhistoriskt detektivarbete. Statens Historiska Museum, Stockholm 1982, S. 29–32 (schwedisch).
- Axel Bagge: Ett märkligt skelettfynd från gånggriftstiden. In: Fornvännen. Nr. 42, 1947, S. 248–249 (fornvannen.se [PDF; abgerufen am 1. November 2010] schwedisch).
Einzelnachweise
- ↑ Wijnand A. B. van der Sanden: Mumien aus dem Moor, S. 85.
- ↑ N. G. Gejvall, C. H. Hjortsjö, K. E. Sahlström: Stenålderskvinnan från Luttra i svensk antropologisk belysning. S. 415.
- ↑ N. G. Gejvall, C. H. Hjortsjö, K. E. Sahlström: Stenålderskvinnan från Luttra i svensk antropologisk belysning. S. 419–420.
- ↑ N. G. Gejvall, C. H. Hjortsjö, K. E. Sahlström: Stenålderskvinnan från Luttra i svensk antropologisk belysning. S. 411.
- ↑ N. G. Gejvall, C. H. Hjortsjö, K. E. Sahlström: Stenålderskvinnan från Luttra i svensk antropologisk belysning. S. 417.
- ↑ Torbjörn Ahlström, Sabine Sten: Hallonflickan. In: Curry Heimann (Hrsg.): Forntid på Falbygden, en bok till basutställningen. S. 22–25.
- ↑ Gunnar Creutz: 60 år sedan Hallonflickan hittades. In: Falbygden. Nr. 57, 2003, S. 39–45.
Weblinks
- Wadbring.com (schwedisch)
- Falköping.se (schwedisch)
- falbygdensmuseum.se (schwedisch)
Koordinaten: 58° 6′ 49″ N, 13° 31′ 12,7″ O
| Personendaten | |
|---|---|
| NAME | Frau von Luttra |
| ALTERNATIVNAMEN | Himbeermädchen; Hallonflickan (schwedisch) |
| KURZBESCHREIBUNG | Moorleiche |
| GEBURTSDATUM | zwischen 3125 v. Chr. und 2953 v. Chr. |
| STERBEDATUM | zwischen 3105 v. Chr. und 2935 v. Chr. |
| STERBEORT | bei Falköping |