Zum Inhalt springen

Zabern-Affäre

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 27. Mai 2005 um 13:32 Uhr durch .Manu. (Diskussion | Beiträge) (Proteste in ganz Deutschland). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.

Die Zabern-Affäre war eine innenpolitische Krise, die sich Ende 1913 im Deutschen Kaiserreich ereignete und das Verhältnis zwischen Deutschland und dem Reichsland Elsaß-Lothringen schwer belastete. Ihre Ursache waren Unruhen im elsässischen Zabern (frz. Saverne), das Standort des preußischen Infanterieregiments 99 war.

Anlass

Leutnant Forstner beleidigt die Elsässer

Zaberner Altstadt heute

Der 20-jährige Leutnant Günter Freiherr von Forstner hatte sich während einer Truppeneinweisung in Zabern am 28. Oktober in abfälliger, diskriminierender Weise gegenüber den Einwohnern geäußert. Zu seinen Soldaten sagte er:

Wenn Sie angegriffen werden, dann machen Sie von Ihrer Waffe Gebrauch; wenn Sie dabei so einen Wackes (Anm.: abwertende Bezeichnung für Elsässer) niederstechen, dann bekommen Sie von mir noch zehn Mark.

Zudem warnte er seine Männer mit einer in ihren Ohren sehr aggressiv klingenden Sprache vor französischen Auslandsagenten, die sie für die Fremdenlegion abwerben wöllten.

Öffentliche Entrüstung und unnachgiebige Militärs

Am 6. November wurde die Öffentlichkeit von den beiden Lokalzeitungen Elsässer und Zaberner Anzeiger über diese Ereignisse informiert. Die Bevölkerung protestierte in den nächsten Tagen entschieden gegen diese Behandlung durch das deutsche Militär. Bei den Verantwortlichen stieß man jedoch auf taube Ohren. Die amtliche Stellungnahme der deutschen Behörden in Straßburg am 11. November spielte den Vorfall herunter und interpretierte "Wackes" als allgemeine Bezeichnung für streitsüchtige Personen. Elf Tage später verhaftete man zehn Angehörige der fünften Kompanie des Infanterieregimentes 99, denen vorgeworfen wurde, geheime Tatsachen über die Zabern-Affäre an die Presse weitergegeben zu haben.

Die Demonstranten blieben davon unbeeindruckt. Oberst Adolf von Reuter bat den Vorsitzenden der lokalen Zivilverwaltung, Direktor Mahler, die Ordnung mit Hilfe der Polizei wiederherzustellen, anderenfalls müsse er selbst Maßnahmen ergreifen. Als Elsässer sympathisierte Mahler mit der Bevölkerung und wies die Bitte zurück, da die Protestierenden sich friedlich verhielten und bisher keine Gesetzesverstöße begangen hatten.

Die Situation eskaliert

Am 28. November versammelte sich erneut eine große Menschenmenge vor der Militärkaserne, was diemal zu einer unangemessenen Gegenreaktion der deutschen Truppen führte. Von Reuter wies Leutnant Schad, der zu diesem Zeitpunkt die Kommandogewalt über die Wachposten hatte, an, die Menschenmenge aufzulösen. Dieser rief die Wachen zu den Waffen und forderte die Massen dreimal auf, auseinanderzugehen und ihre Versammlung zu beenden. Die Soldaten trieben die Menge unter Androhung von Waffengewalt über den Kasernenhof in eine Seitenstraße und verhafteten ohne jede Rechtsgrundlage 27 Personen.

Unter den Gefangenen waren auch der Präsident, zwei Richter und ein Staatsanwalt des Zaberner Gerichts, die beim Verlassen des Gerichtsgebäudes zufällig in die Menge gerieten. Sie wurden wenig später wieder freigelassen, alle anderen mussten die Nacht im Keller der Kaserne verbringen. Über die Stadt wurde der Belagerungszustand verhängt und in den Straßen ließ man Maschinengewehre aufstellen.

Verlauf

Die Konferenz von Donaueschingen

Datei:Porträt Wilhelm II.jpg
Porträt Wilhelms II.

Kaiser Wilhelm II. vergnügte sich währenddessen auf dem Gut seines Freundes Prinz Fürstenberg in Donaueschingen. Obwohl diese Reise schon lange vor den Ereignissen in Zabern organisiert wurde, hinterließ das Desinteresse Wilhelms einen mehr als schlechten Eindruck. Gerüchten zufolge hatte Kaiserin Auguste Viktoria sogar einen Zug angefordert, mit dem sie zu ihrem Ehegatten fahren und ihn zu einer Rückkehr nach Berlin bewegen wollte.

Am 30. November trafen der preußische Kriegsminister Erich von Falkenhayn, General Berthold Deimling und einige andere ranghohe Offiziere in Donaueschingen ein, womit sechstägige Beratungen begannen. Die Öffentlichkeit wurde dadurch zusätzlich aufgebracht, da der Kaiser offenbar nur die Sichtweise des Militärs hören wollte. Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg, der völlig übergangen wurde und immer mehr unter Druck geriet, trat der Konferenz kurz vor ihrem Ende bei. Das Ergebnis war aus Sicht kritischer Bevölkerungsschichten ernüchternd, der Kaiser billigte das Verhalten der Militäroffiziere und sah keine Anhaltspunkte dafür, dass sie ihre Befugnisse überschritten hätten.

Forstners zweiter Fehltritt

Am 2. Dezember fand in Zabern eine Militärübung statt. Die Szenerie wurde u.a. von einem Schuster vor seinem Laden beobachtet, der beim Anblick des jungen, herausgeputzten Forstner in Gelächter ausbrach, dem sich einige umstehende Einwohner anschlossen. Der Leutnant verlor daraufhin die Beherrschung und streckte den Schuster mit seinem Säbel nieder, wodurch dieser an Ort und Stelle starb. Jener neuerliche Akt des Militarismus spitzte die Affäre weiter zu.

Forstner wurde von einem Militärgericht in erster Instanz zu lediglich 43 Tagen Arrest verurteilt, die zweite Instanz hob das Urteil sogar ganz auf. Obwohl ihn fünf schwerbewaffnete Soldaten begleitet hatten und der Schuster unbewaffnet sowie halbseitig gelähmt war, interpretierten die Richter sein Handeln als Notwehr, da der Schuhmacher sich der Majestätsbeleidigung schuldig gemacht hatte. In Militärkreisen erhielt Forstner Zuspruch, da er mit seiner Gewalttat die Ehre der Armee verteidigt hatte.

Misstrauensvotum gegen Bethmann Hollweg

Datei:Theobald von Bethmann Hollweg.jpg
Theobald von Bethmann Hollweg

Die Ereignisse in Zabern lösten auch im Reichstag zahlreiche Debatten aus, in denen insbesondere die SPD den Rücktritt Bethmann Hollwegs forderte. Nach einer Anfrage der empörten Presse machte das Parlament am 4. Dezember zum ersten Mal in der Geschichte des Kaiserreichs von der Möglichkeit eines Misstrauensvotums Gebrauch, die ihm seit 1910 zustand. Mit 293 Stimmen bei 4 Enthaltungen und 54 Gegenstimmen, welche ausschließlich aus den Reihen der Konservativen kamen, missbilligte es das "nicht den Anschauungen des Reichstages entsprechende" Verhalten der Regierung.

Das Votum hatte keinerlei Auswirkungen, weshalb die Zabern-Affäre als eindrucksvolles Beispiel für die wahren Machtverhältnisse im Deutschland des frühen 20. Jahrhunderts dient. Reichstag und Parteien waren quasi eine unbedeutende Nebenerscheinung und konnten gemäß der Verfassung keinen Einfluss auf den Reichskanzler nehmen. Allein der Kaiser konnte das Amt des Reichskanzlers neu besetzen, wollte die Entscheidung des Reichstages jedoch nicht befolgen, da er sich mit aller Kraft sowie der Unterstützung des Militärs gegen eine Parlamentarisierung Deutschlands wehrte.

Proteste in ganz Deutschland

Deutschlandweit kam es zu Protesten, es herrschte Entsetzen über die Vorgehensweise des Militärs. Am 3. Dezember rief der Parteivorstand der SPD alle Organisationen der Partei zu Protestversammlungen auf. Vier Tage später fanden in siebzehn deutschen Städten, u.a. in Berlin, Breslau, Chemnitz, Duisburg, Düsseldorf, Elberfeld, Köln, Leipzig, Mülheim an der Ruhr, München, Solingen und Straßburg, machtvolle Kundgebungen statt, auf denen Sozialdemokraten gegen die Willkürherrschaft der Militärs demonstrierten und Bethmann Hollweg sowie Falkenhayn zum Rücktritt aufforderten. An den Ereignissen in Zabern entzündete sich eine Volksbewegung gegen den Militarismus und für die Verteidigung der Rechte der nationalen Minderheiten in Deutschland.

Ein Einlenken der politischen Machthaber war jedoch nicht zu erkennen. Um weiteren Problemen vorerst aus dem Weg zu gehen, ordnete der Kaiser von Donaueschingen aus am 5. Dezember eine vorübergehende Verlegung der Zaberner Einheiten an. In den nächsten beiden Tagen zogen die Soldaten auf die Truppenübungsplätze Oberhofen (bei Hagenau) und Bitsch um.

Jedwede Bestrebungen, sich gegen den Militarismus aufzulehnen, wurden schonungslos unterdrückt. Das Kriegsgericht in Straßburg verurteilte am 11. Dezember zwei Rekruten aus Zabern zu drei bzw. sechs Wochen Militärarrest, weil sie die beleidigenden Äußerungen Forstners öffentlich bestätigt hatten. Eine Schallplatte, hergestellt von der Grammophonfirma Cromer und Schrack, konfiszierte die Straßburger Polizei auf Antrag des dort ansässigen deutschen Militärgeneralkommandos am 17. Dezember. Diese offenbarte in Dialogen, die mit Trommelwirbel untermalt waren, die Geschehnisse im Rahmen der Zabern-Affäre. Zudem stellten die Militärs Strafantrag wegen der Beleidigung deutscher Offiziere.

Folgen

Der Prozess gegen von Reuter und Schadt

Die vom 5. bis 8. Januar 1914 vor dem deutschen Kriegsgericht in Straßburg erfolgte Gerichtsverhandlung sprach die beiden Hauptverantwortlichen Oberst von Reuter und Leutnant Schadt am 10. Januar vom Vorwurf frei, sich unrechtmäßig Zivilpolizeigewalt angeeignet zu haben. Das Gericht entschuldigte sich zwar für die Übergriffe der Soldaten, sprach die Schuld aber den Zivilbehörden zu, deren Aufgabe es gewesen wäre, für Ordnung zu sorgen. Es verwies dabei auf eine Kabinettsorder aus dem Jahre 1820. Während viele liberale Bürger, die den Prozess interessiert verfolgt hatten, nun bitter enttäuscht waren, machte sich unter den anwesenden Militärs großer Jubel über das Urteil breit, noch im Gerichtssaal gratulierten sie den Angeklagten. Auch Wilhelm II. zeigte sich sichtlich erfreut und verlieh von Reuter gar postwendend einen Orden. Das Militär verließ die Bühne als starker und selbstbewusster Sieger, hatte sich doch seine Unantastbarkeit im Kaiserreich bestätigt, denn weder die Monarchie noch die Justiz vermochten es, ihm in einer vom Militarismus geprägten Gesellschaft Grenzen aufzuzeigen.

Beschlüsse des Reichstags

Am 14. Januar beschloss der Reichstag zumindest, einen Ausschuss einzusetzen, der die Rechte des Militärs gegenüber der Zivilgewalt gesetzlich regeln sollte. Das Ergebnis, die "Vorschrift über den Waffengebrauch des Militärs und seiner Mitwirkung zur Unterdrückung innerer Unruhen", erließ der Kaiser am 19. März. Sie untersagte es der preußischen Armee, eigenmächtig in die Kompetenz ziviler Behörden einzuschreiten, war jedoch unverbindlich. Das Gesetz hatte bis zum 17. Januar 1936 Bestand, als die nationalsozialistische "Verordnung über den Waffengebrauch der Wehrmacht" es aufhob.

Reaktionen in Elsass-Lothringen

Das Verhältnis zwischen Deutschland und Elsass-Lothringen wurde merklich in Mitleidenschaft gezogen. Die zweite Kammer des elsass-lothringischen Parlaments äußerte sich in einer Resolution am 14. Januar zu den Vorfällen. Während sie das Verhalten der Zivilbehörde verteidigte, verurteilte sie die Aktion des deutschen Militärs sowie den Freispruch des Kommandanten von Reuter. Sie zog aus den Ereignissen entsprechende Konsequenzen und erließ am 16. Juni eine Verordnung, nach der zukünftig alle Wehrpflichtigen den Dienst nur außerhalb des deutschen Reichslandes ableisten sollen.

Verarbeitung in Literatur und Sprache

Der Schriftsteller Heinrich Mann verarbeitete die Zabern-Affäre in seinem Roman Der Untertan. In Anlehnung an das Verhalten des Militärs fand der Begriff zabernism als Bezeichnung für den Missbrauch militärischer Gewalt oder für tyrannisches, aggressives Verhalten im Allgemeinen Eingang in die englische Sprache.

Zeitgenössische Zitate

  • Immer feste druff! (Wilhelm von Hohenzollern, der Sohn des Kaisers, in einem Telegramm zum Jahreswechsel)
  • Leben wir in einer südamerikanischen Republik, wo jeder Oberst den Gerichtsbehörden das Gesetz diktieren darf, und hängen bei uns Leben und Freiheit der Bürger von den Entschlüssen einer Kasinogesellschaft ab? (Theodor Wolff, Publizist und Schriftsteller)
  • Und ist nicht das Morden und das Verstümmeln im Kriege der eigentliche Beruf und die wahre Natur jener 'Militärbehörden', deren gekränkte Autorität in Zabern die Zähne gezeigt hat? (Rosa Luxemburg in einer Reichstagsrede)

Literatur

Rainer Nitsche (Hrsg.): Durchfall in Zabern: Eine Militärdemontage. Transit Buchverlag Berlin 1982, ISBN 3887470109
Richard William Mackey: The Zabern Affair, 1913-1914. University Press of America 1991, ISBN 81918408X