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Large Hadron Collider

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Large Hadron Collider
(LHC)
Anordnung der verschiedenen Beschleuniger und Detektoren des LHCVorlage:Infobox/Wartung/Bild

Vorbeschleuniger des LHC
p und Pb Linearbeschleuniger für Protonen (Linac 2) bzw. Bleiionen (Linac 3)
(nicht beschriftet) Proton Synchrotron Booster
PS Proton Synchrotron
SPS Super Proton Synchrotron

Der Large Hadron Collider (LHC, deutsche Bezeichnung Großer Hadronen-Speicherring) ist ein ringförmiger Teilchenbeschleuniger für Hadronen am Europäischen Kernforschungszentrum CERN bei Genf. Er ging am 10. September 2008 in Betrieb und löste das Tevatron als stärksten Beschleuniger der Welt ab.

Im LHC werden in Vakuumröhren Hadronen gegenläufig auf nahezu Lichtgeschwindigkeit beschleunigt und zur Kollision gebracht, um unterschiedliche Elementarteilchen zu erzeugen. Insbesondere erhoffen sich die Wissenschaftler durch die Entstehung besonders massereicher Elementarteilchen den experimentellen Nachweis des bislang nur hypothetischen Higgs-Bosons.

Die Kosten des LHC beliefen sich auf über drei Milliarden Euro, wozu Deutschland etwa 800 Millionen Euro beitrug. Die Gesamtfinanzierung wurde über den Etat des CERN von den 20 Mitgliedstaaten gedeckt.[1]

Aufbau

Tunnel des LHC vor Einbau der Magneten
Tunnel des LHC in fertigem Zustand

Der LHC wurde in einem bereits vorhandenen Tunnel der Europäischen Kernforschungsanlage Conseil Européen pour la Recherche Nucléaire (CERN) nahe Genf mit 26.659 m Umfang installiert. Bis zu seiner Stilllegung im Jahr 2000 beherbergte der Tunnel den Large Electron-Positron Collider (LEP).

Während im LEP Elektronen und Antielektronen (Positronen) zur Kollision gebracht wurden, werden am LHC je nach Betriebsmodus entweder Protonen oder Bleiionen beschleunigt und zur Kollision gebracht. Da diese Hadronen eine viel größere Masse als Elektronen haben, verlieren sie weniger Energie durch Synchrotronstrahlung und können eine weitaus größere Schwerpunktsenergie erreichen. Neben der gegenüber älteren Experimenten höheren Schwerpunktsenergie, die die Erforschung neuer Energiebereiche ermöglicht, ist auch die hohe Luminosität, die prinzipiell eine bessere Statistik in kürzerer Zeit ermöglicht, ein herausragendes Merkmal des LHC.

Der LHC-Tunnel enthält zwei benachbarte Strahlröhren, in denen zwei Hadronenstrahlen jeweils in entgegengesetzter Richtung umlaufen. Die Strahlröhren kreuzen sich an vier Punkten des Rings, um die Kollision der Hadronen zu ermöglichen.

Für den Protonenmodus ist im LHC ist eine Schwerpunktsenergie von 14 TeV vorgesehen. Dies entspricht 99.9999991% der Lichtgeschwindigkeit. Um solche Energien zu erreichen, werden die Protonen nacheinander durch eine Reihe von Systemen beschleunigt: Erzeugt werden die Protonen in einem Linearbeschleuniger mit einer Energie von 50 MeV. Danach werden sie mittels der bereits vor dem Bau des LHC existierenden Ringe des Proton Synchrotron Booster, des Proton Synchrotron und des Super Proton Synchrotron auf 450 GeV beschleunigt, bis sie schließlich in den Hauptring des LHC eingefädelt werden und dort ihre endgültige Energie von 7 TeV erreichen. Die hochenergetischen Protonen werden durch 1200 supraleitende Dipolmagnete, die ein Feld von 8,6 Tesla erzeugen, in der Bahn gehalten. Außerdem kommen fast 400 ebenfalls supraleitende Quadrupolmagnete zum Einsatz, um die Protonenstrahlen fokussiert zu halten und damit die Kollisionsrate bei der Kreuzung der beiden Strahlen zu erhöhen. Für die Kühlung der Magnete auf ihre Betriebstemperatur von 1,9 Kelvin sind etwa 96 Tonnen flüssiges Helium notwendig.

Die Protonen werden in den Strahlröhren in Pakete mit einem Durchmesser von etwa 16 µm und einer Länge von etwa 8 cm gebündelt. Jedes Paket enthält etwa 115 Billionen Protonen. Im Vollbetrieb soll der LHC mit etwa 2800 Paketen gefüllt werden, die mit einer Frequenz von 11 kHz umlaufen. Werden die Strahlen gekreuzt, entspricht dies einer Kollision alle 30 Nanosekunden. Damit erreicht der LHC eine Luminosität von 1034 cm-2s-1. [2]

Der CMS-Detektor des LHC im Februar 2008

Die Kollision der Protonen durch Kreuzung der beiden Protonenstrahlen erfolgt in verschiedenen Kammern entlang des Beschleunigerringes. In den Kammern befinden sich die Teilchendetektoren ATLAS, CMS, LHCb, LHCf und TOTEM, mittels derer die teilchenphysikalischen Messungen durchgeführt werden. Die im Diagramm nicht eingezeichneten Detektoren LHCf und TOTEM befinden sich in den Kammern der vergleichsweise großen Experimente ATLAS beziehungsweise CMS.

Die Verwendung von Protonenkollisionen stellt für die angeschlossenen Experimente eine Herausforderung dar, da die aufzuzeichnenden Wechselwirkungen aufgrund der inneren Struktur der hadronischen Protonen aus Quarks und Gluonen vielfältiger sind. Aufgrund der Schwierigkeit Präzisionsmessungen an Hadronbeschleunigern durchzuführen wurde für solche Messungen an am LHC möglicherweise neu entdeckten Teilchen bereits ein Nachfolgeexperiment geplant, der Leptonenbeschleuniger International Linear Collider (ILC).

Für die Bleikerne ist eine Schwerpunktsenergie von 1146 TeV vorgesehen. Die Bleikerne werden hauptsächlich im ALICE-Detektor zur Kollision gebracht, der eigens für die Messung von Bleikern-Kollisionen gebaut wurde. In geringerem Umfang sind allerdings auch ATLAS und CMS für Untersuchungen von Schwerionen-Kollisionen vorgesehen.

Kosten

Die unmittelbaren Kosten für das Projekt belaufen sich auf etwa 3 Milliarden Euro. Bei der Bewilligung der Konstruktion im Jahr 1995 wurde ein Budget von 2,6 Milliarden SFr (etwa 1,6 Milliarden Euro) für den Bau des LHC und der unterirdischen Hallen für die Detektoren veranschlagt. Jedoch wurden 2001 zusätzliche Kosten von 480 Mio. SFr. (etwa 300 Mio. Euro) für den Beschleuniger festgestellt. [3] Allein die supraleitenden Magnete waren für einen Anstieg von 180 Mio. SFr (120 Mio. Euro) verantwortlich. Außerdem gab es technische Schwierigkeiten beim Bau der unterirdischen Halle für den Compact Muon Solenoid, teilweise aufgrund von defekten Teilen, die von den Partnerlaborien Argonne National Laboratory, Fermilab und KEK zur Verfügung gestellt wurden.[4]

Physik am LHC

ATLAS, 2004
Feynman-Diagramm der Vektorbosonfusion, einem prominenten Prozess zur Erzeugung von Higgs-Bosonen

ATLAS und CMS sind so genannte Mehrzweck-Experimente. Vorrangig wird in ihnen der experimentelle Nachweis des Higgs-Bosons angestrebt, des einzigen noch nicht nachgewiesenen Teilchens des Standardmodells. Darüber hinaus wird die Entdeckung bislang noch unbekannter Elementarteilchen nicht ausgeschlossen.

Auch existiert die Hoffnung, Hinweise auf mögliche Erweiterungen des Standardmodells zu finden, beispielsweise durch Nachweis supersymmetrischer Teilchen oder bislang unbekannter Raumdimensionen durch verstärkte Wechselwirkung mit Gravitonen[5] oder durch die Erzeugung kurzlebiger schwarzer Löcher[6]. Weiterhin könnte der LHC Aufschluss über die Zusammensetzung der Dunklen Materie liefern.

Beim LHCb-Experiment werden Bottom-Quarks enthaltende Hadronen untersucht, um Elemente der CKM-Matrix genauer zu bestimmen (B-Physik).

Der im Vergleich zu Protonenkollisionen seltener angewandte Betriebsmodus der Kollision von Bleikernen soll dazu dienen, kurzzeitig ein sehr hochenergetisches Plasma quasifreier Quarks und Gluonen zu erzeugen (Quark-Gluon-Plasma). Am Detektor ALICE sollen auf diese Weise die Bedingungen sehr früher Phasen des Universums nachgebildet und untersucht werden.

Computing am LHC

Für die Simulation der Teilchenbahnen im LHC gibt es das LHC@Home-Projekt, das mit verteiltem Rechnen auch normale Computerbesitzer einbezieht. Dabei wird simuliert, wie sich die Teilchen auf dem Weg durch die Röhre verhalten und ob es durch fehlerhafte Magnetablenkungen zu Schäden kommen kann.[7]

Die Simulation der eigentlichen Teilchenkollisionen, wie sie in den Detektoren gemessen werden, verursacht gewaltige Datenmengen und verbraucht viele Stunden Rechenzeit. Auch die Analyse von echten Daten verlangt die schnelle Analyse von Gigabytes an Daten. Daher lässt sich dieser Teil nicht verteilt auf Heimrechnern durchführern (analog zu Seti@Home), sondern es werden große Cluster benötigt. Um die Effizienz zu erhöhen wurden weltweit hunderte Cluster in einem Grid vernetzt - dem LHC Computing Grid (LCG).

Gegner

Da am LHC eventuell schwarze Mini-Löcher[8] oder seltsame Materie erzeugt werden könnten, gibt es Warnungen vor möglichen Risiken der LHC-Experimente.[9] Vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg [10] wurde eine Klage gegen die geplante Inbetriebnahme des LHC von einer Gruppe um Otto Rössler eingereicht. Am 29. August 2008 wies der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte den dort gestellten Eilantrag gegen die Inbetriebnahme des LHC ab.[11] Das Hauptsachverfahren steht noch aus. Fachwissenschaftler stellen wiederholt fest, dass vom LHC und anderen Teilchenbeschleunigern keine Gefahren ausgehen. Ein tragendes Argument ist hierbei die Tatsache, dass die im LHC nachgebildeten Prozesse in der Natur allgegenwärtig sind.[12]

Einzelnachweise

  1. Spektrumdirekt: Bilderbuchstart für größte Forschungsmaschine der Welt, Ausgabe vom 11. September 2008
  2. LHC design report
  3. Luciano Maiani: LHC Cost Review to Completion. CERN, 16. Oktober 2001, abgerufen am 15. Januar 2001.
  4. Toni Feder: CERN Grapples with LHC Cost Hike. In: Physics Today. 54. Jahrgang, Nr. 12, Dezember 2001, S. 21, doi:10.1063/1.1445534 (aip.org [abgerufen am 15. Januar 2007]).
  5. Siehe beispielsweise: Hagiwara et al.: Graviton production with 2 jets at the LHC in large extra dimensions, hep-ph/
  6. Harris et al.: Exploring Higher Dimensional Black Holes at the Large Hadron Collider, hep-ph/0411022
  7. Offizielle Homepage von LHC@Home
  8. Savas Dimopoulos, Greg Landsberg: Black Holes at the LHC, Phys. Rev. Lett. 87:161602, 2001 (englisch)
  9. Adrian Kent: A critical look at risk assessments for global catastrophes, Risk Anal. 24, 2004, S. 157–168 (englisch)
    Adam A. Helfer: „Do black holes radiate?“, Rept.Prog.Phys. 66 (2003), S. 943–1008 (englisch
    Otto Rössler (27.9.2007): „Abraham-Solution to Schwarzschild Metric Implies That CERN Miniblack Holes Pose a Planetary Risk“. (englisch)
    Rainer Plaga (10.8.2008): On the potential catastrophic risk from metastable quantum-black holes produced at particle colliders. (englisch)
    Dennis Overbye: Asking a Judge to Save the World, and Maybe a Whole Lot More, The New York Times, 29. März 2008 (englisch)
    Felix Knoke: Angst vor Weltuntergang – Amerikaner klagt gegen Teilchenbeschleuniger, Spiegel Online, 31. März 2008
  10. Homepage der Klageführer
  11. Der Spiegel: Gericht weist Eilantrag gegen Superbeschleuniger ab
  12. Jean-Paul Blaizot, John Iliopoulos, Jes Madsen, Graham G. Ross, Peter Sonderegger, Hans-Joachim Specht: Study of potentially dangerous events during heavy-ion collisions at the LHC, CERN Scientific Information Service, Genf 2003
    Arnon Dar, Alvaro De Rújula, Ulrich Heinz: Will relativistic heavy-ion colliders destroy our planet?, Phys. Lett. B470, 1999, S. 142–148 (englisch)
    W. Busza, Robert L. Jaffe, J. Sandweiss, Frank Wilczek: Review of speculative „disaster scenarios“ at RHIC, Rev. Mod. Phys. 72, 2000, S. 1125–1140 (englisch)
    Safety at the LHC, CERN 2007 (englisch)
    Auszüge aus dem „Safety at the LHC“-Review auf Deutsch
    Steven B. Giddings/Michelangelo L. Mangano (20.6.2008): „Astrophysical implications of hypothetical stable TeV-scale black holes“ (englisch)
    Stellungnahme zu den Behauptungen von Prof. Rössler, Komitee für ElementarTeilchenphysik (KET)
    IOP (Institute of Physics): LHC switch-on fears are completely unfounded<
    J. Ellis et al.: Review of the Safety of LHC Collisions. arXiv:0806.3414v1 (hep-ph) Preprint
Commons: Large Hadron Collider – Album mit Bildern, Videos und Audiodateien

Koordinaten: 46° 14′ 0″ N, 6° 3′ 0″ O; CH1903: 492881 / 121160