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Kladistik

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
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Die Kladistik oder auch phylogenetische Systematik ist eine Methode innerhalb der Evolutionsbiologie. Sie wurde von dem deutschen Zoologen Willi Hennig in den 1950ern umrissen und in seinem Lehrbuch "Phylogenetic Systematics" 1966 beschrieben.

Sie klassifiziert Arten anhand bestimmter Merkmale, die der zeitlichen Reihenfolge ihrer Entstehung entsprechen sollen. Diese Merkmale gelten als Knotenpunkte von Abzweigungen, die in Schwesterngruppen resultieren. Diese Schwesterngruppen werden geordnet und anhand der Merkmale wird dann auf eine Hierarchie in der Stammesgeschichte - eine zeitliche Abfolge von Evolutionswegen - geschlossen.

Die Kladistik widerspricht einem so genannten "Fortschrittsvorurteil", das eine Entwicklung "von den Wirbellosen zu den Menschen" festzustellen meint. Sie ist eine ausschließlich an der Stammesgeschichte orientierte Klassifikation, ohne auf (offensichtliche oder auch vermeintliche) Ähnlichkeiten in Funktion oder biologischer Stellung Rücksicht zu nehmen. Ihr werden bilderstürmerische Qualitäten zugeordnet, da der Mensch nicht mehr am Ende einer Entwicklung steht, die vom Einfachen zum Komplexen verlaufe.

Kladogramme

Die Darstellung der zeitlichen Reihenfolge erfolgt in so genannten Kladogrammen. Diese unterscheiden sich von evolutionären Stammbäumen in den folgenden zwei Punkten

  • Bei einer Verzweigung gibt es immer nur zwei Äste (dichotome Verzweigung).
  • Die Verzweigungen werden nicht gewichtet, man hat also kein Maß für die Änderung, um es in einem Kladogramm darzustellen. (In evolutionären Stammbäumen kann man ein solches Maß in unterschiedlichen Steckenlänge für Abzweigungen darstellen, siehe auch Divergenz).

Kladogramme bilden die Voraussetzung für die Erstellung von vollständigen Stammbäumen.


Jeder Abzweigungspunkt in einem Kladogramm steht für ein Merkmal. Was dieses Merkmal jeweils sein soll, ist Gegenstand der Forschung. So kann man z.B. Säugetiere von Nicht-Säugetieren anhand des Merkmals Haare trennen.

 Säugetier  Nicht-Säugetier
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          \/ Merkmal Haare
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   Beispieldiagramm eines Kladogramms

Weitere Merkmale, die Säugetiere von anderen Wirbeltieren unterscheiden, sind nebst den Haaren übrigens das Vorhandensein von

Wo aber hat der Delphin nun seine Haare? Reste von Schnurrhaaren sind z.B. an der Schnauze neugeborener Delfinbabys vorhanden, die bei der Geburt jedoch meistens abbrechen und nicht mehr nachwachsen, sodass nur noch die Poren sichtbar bleiben. Und der Amazonasdelphin besitzt auf seinem Rostrum einige steife Haare, die als Tastsinn dienen sollen.


Mensch, Gorilla und Schimpanse

Darwin nahm an, dass zwischen den unten aufgeführten Arten die näheste Verwandtschaft zwischen Gorilla und Schimpansen bestünde und der Mensch eine Sonderstellung habe. Stephen Jay Gould sieht Indizien dafür, dass Menschen und Schimpansen sich am nächsten stehen, und sich die Gorillas in der Entwicklungsgeschichte früher abgespaltet haben.

andere 
Menschenaffen Gorilla Menschen Schimpansen  
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            Diagramm nach Mark Abraham


Die Schwestergruppen von Kladogrammen (hier z.B. Fliegen und Schmetterlinge) entsprechen nicht immer den bisher gebräuchlichen Einteilungseinheiten (Taxa) der biologischen Klassifikation. Man bezeichnet Taxa nach ihrer tatsächlichen Verwandtschaft als:

  • monophyletisch - die Gruppe hat eine gemeinsame Stammform und umfasst auch alle Untergruppen, die sich von dieser Stammform herleiten
    • holophyletisch - xxxxx
  • paraphyletisch - die Gruppe (das Taxon) hat zwar eine gemeinsame Stammform, enthält aber nicht alle Gruppen eines Monophylums - Beispiel: Die Reptilien sind paraphyletisch im Hinblick auf die Vögel, da sich letztere aus einem Seitenzweig der Dinosaurier herleiten.
  • polyphyletisch - die Gruppe hat keine gemeinsame Stammform - Beispiel: Die "Würmer" im alten Sinn umfassen verwandtschaftlich völlig unterschiedliche Gruppen.

biologische Systematik

Die biologische Systematik versteht sich heute als eine Wissenschaft, die Lebewesen anhand ihrer Abstammung klassifiziert. Daher ist die Kladistik eine ihrer Arbeitsmethoden.

Bei der Erstellung eines Kladogramms werden Eigenschaften der betrachteten Lebewesen verglichen. Es werden oft, aber nicht ausschließlich, morphologische Merkmale, Charakteristika des Stoffwechsels und genetische Informationen benutzt.

Danach werden eine Vielzahl von Kladogrammen erstellt. Dasjenige Kladogramm mit der geringsten Anzahl von notwendigen Veränderungen innerhalb des angenommenen Evolutionsverlaufes gilt als das wahrscheinlichste. Oft ist es bei der Angabe eines Kladogramms von Interesse, andere Kladogramme, die mit einer sehr ähnlichen Anzahl von Veränderungen konstruiert sind, ebenfalls zu betrachten.

Die Bioinformatik bedient sich für die Rekonstruktion von Kladogrammen diverser Standard-Softwarepackages, die multipler Sequenzalignments und die Variabilität einzelner Reste auswerten, wie z.B. Phylip.

Die traditionelle Namensgebung in der Biologie kann die baumartige Struktur der evolutionären Entwicklung nicht fassen. Daher wird eine phylogenetische Namensgebung, Phylocode genannt, diskutiert.


Kritik

Kladogramme folgen der Theorie der Kladistik und können demgemäß die Wirklichkeit nur eingeschränkt darstellen. In Kladogrammen gibt es keinen Platz für einzigartige Entwicklungen innerhalb von Verzweigungsgruppen (Autamorphien), z.B. die Entwicklungs des Zahnes beim Säbelzahntigers.

siehe auch: Synapomorphie, Teleologie, Frankfurter Organismus -und Evolutionstheorie

Quellen

Der Amazonasdelfin
Delfine