The Memoirs of Naim Bey
The Memoirs of Naim Bey: Turkish Official Documents Relating to the Deportation and the Massacres of Armenians ist eine 1920 erstmals in London bei Hodder & Stoughton[1] erschienene Buchpublikation von Aram Andonian, die mehrere Dokumente auflistet, bei denen es sich angeblich um offizielle Dokumente der jungtürkischen Führung des Osmanischen Reichs handelt, die die Vernichtung der Armenier während der Deportation im Jahre 1915 anordnen. Die in dieser und in den kurz darauf folgenden französischen und armenischen Publikationen enthaltenen Faksimile und Übersetzungen ohne Faksimile werden umgangssprachlich Andonian-Dokumente oder Naim-Andonian-Dokumente genannt. Die "eigentlichen" Andonian-Dokumente (also die Originale) sind vermutlich in den 1960er Jahren von der Nubar-Bibliothek in Paris, in der Andonian bis zu seinem Tod 1951 als Kustos arbeitete, in die Armenische SSR transferiert worden. Seitdem gelten die Originale als verloren.
Bedeutung
Die Andonian-Dokumente würden bei Wiederauftauchen und bei Authentizität zweifelsfrei eine zentrale, staatliche Planung des Völkermords an den Armeniern aus erster Hand beweisen, da sie als Völkermordanweisungen direkt der jungtürkischen Führung zugesprochen werden. Sie waren lange Zeit das einzige Beweismaterial, das eine zentrale Planung des Völkermords an den Armeniern zu beweisen schien.[2] Es gibt zwar Augenzeugenberichte von armenischen Überlebenden, deutschen, schweizerischen und amerikanischen Missionaren, von deutschen und amerikanischen Konsuln in Provinzen, von deutschen und amerikanischen Botschaftern in Istanbul sowie Zeugenaussagen deutscher und österreichischer Offiziere. Laut Vahakn N. Dadrian bestätigen diese Einzelteile zusammengenommen, dass die Deportation eine Zerstörungsmaßnahme war, geben aber keinen spezifischen Aufschluss darüber, was die darunterliegenden Mechanismen der Maßnahmen der osmanischen Administration (Jungtürken) waren. Es fehlen spezifische Dokumentationen über die Verwicklung der Schlüsselfiguren unter den Machthabern sowie über die Hierarchie unter den untergeordneten lokalen Offizieren. Die Unterlagen der Türkischen Militärgerichte von 1919/1920 hätten diesen Mangel laut Dadrian nur etwas abgemildert, da sie nur Fragmente aus einer Fülle von geheimen Archiven wiedergegeben hätten und nach den Prozessen eventuell vernichtet worden seien. Aus diesem Grund seien die Andonian-Dokumente als Primärquelle über die geheime Verwicklung der Zentralregierung ein außerordentlich wichtiges Beweisstück.[3]
Geschichte
Nach Angaben von Andonian wurden ihm diese Dokumente von einem türkischen Beamten in Aleppo namens Naim Sefa (Naim Bey) verkauft. [4][5] Die Andoniandokumente wurden vom Armenischen Nationalrat in Tiflis gekauft und sollten den armenischen Eigenstaatlichkeitsbemühungen während der Pariser Vorortverträge behilflich sein.[6][5]
Die Andonian-Dokumente wurden in drei Editionen publiziert. In den Editionen handelt es sich um Faksimile (Fotografien) oder um Übersetzungen ohne Faksimile, die die vermutlich in den 1960er Jahren verlorengegangenen Andonian-Dokumente darstellen würden. Die Faksimile und die Übersetzungen stellen der jungtürkischen Führung zugesprochene chiffrierte Telegramme oder dechiffrierte Telegramme und zwei Briefe dar. Sie sind in den Text gestreut. 1920 erschien in London die englische Edition unter dem Titel The Memoirs of Naim Bey: Turkish Official Documents Relating to the Deportation and the Massacres of Armenians. Die französische Edition erschien im selben Jahr in Paris unter dem Titel Documents officiels concernant les massacres arméniens. Die armenische Edition erschien 1921 in Boston unter dem Titel Medz Vodjiru (de: Das große Verbrechen).
Walter Rössler, der deutsche Konsul während des Genozids in Aleppo, hat die französische Publikation Andonians auf Bitten von Johannes Lepsius[7] kritisch gelesen und befand, dass "die Dokumente dem Gang der Dinge entsprachen und absolut wahrscheinlich" seien. Er merkte an, dass die Authentizität der Dokumente "sehr schwer festzustellen" sei, doch habe er keines gefunden, das "als solches wenig wahrscheinlich" erschien. Nach Ansicht Rösslers könnten "die Dokumente [...] sehr wohl authentisch sein."[8] Auch unter den Telegrammen, die Naim Bey aus dem Gedächtnis niedergeschrieben hätte, war Rössler kein innerlich unwahrscheinliches begegnet. Über die Authentizität des außerordentlich wichtigen, allen Verschickungen vorangehenden Briefes des jungtürkischen Komitees an Cemal Pascha, den Vertreter in Adana, vom 18. Februar 1915, sowie über die übrigen Briefe des jungtürkischen Komitees, gab Rössler an, dass er "keinen Weg" wüsste, "wie ihre Echtheit nachzuprüfen wäre".[9]
Die Frage nach der Authentizität
Fünf Originaldokumente wurden 1921 von der Verteidigung beim Tehlirian-Prozess vorgelegt, jedoch nicht als Beweismittel zugelassen. Beim Unionistenprozess in Istanbul bestätigte das Gericht laut Ternon die Echtheit der Dokumente. [10] Ende 1983 untersuchten zwei türkische Forscher, Şinasi Orel und Süreyya Yuca, die französische und englische Ausgabe Andonians. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass es sich bei den in Faksimile veröffentlichten und auch bei den nur in Übersetzung vorliegenden Dokumenten um Fälschungen handelte, insbesondere da es Unstimmigkeiten bei den Datumsangaben gibt. Die Datumsfehler rührten daher, da im Osmanischen Reich der Rumi-Kalender galt und der Jahreswechsel nicht beim 1. Januar sondern beim 1. März lag. Der Ersteller der Andoniandokumente müsste laut Orel/Yuca mit der Tatsache über den Jahreswechsel im März, der erst per Gesetz vom Februar 1917 auf den Januar vorverlegt wurde, nicht vertraut gewesen sein. So kam es vor, dass bei einem Brief, der vermeintlich auf einen zuvorgehenden Bezug nimmt, die umgerechnete Datumangabe nicht aufeinanderfolgt und dass ein weiterer Brief ein Datum angab, das umgerechnet nach dem Völkermord an den Armeniern lag. Orel und Yuca gaben des Weiteren an, dass es Diskrepanzen zwischen offiziellen osmanischen Originaldokumenten aus dieser Zeit und den Andoniandokumenten gäbe. Auch wurde das Fehlen von Originalen der Andoniandokumente sowie widersprüchliche Angaben von Andonian in den verschiedenen Auflagen problematisiert. Darüber hinaus gaben Orel und Yuca an, dass die osmanischen Archive keinerlei Hinweis auf die Existenz eines Beamten Naim Sefa geben würden.[11][12][5]
Der armenische Forscher Vahakn N. Dadrian akzeptierte die Datumunstimmigkeiten, aber gab an, dass sich die beiden türkischen Forscher an manchen Stellen selbst bei der Datumumrechnung geirrt hätten. Dadrian gab an, dass sich die Unstimmigkeiten in den Andoniandokumenten größtenteils aufklären ließen. Die Datumunstimmigkeiten erklärte er als journalistische Ungenauigkeiten.[13] Dadrian argumentierte, dass gerade die leichte Feststellung der Fehler den Vorwurf der Fälschung entschärfen würde, da "kein Fälscher dermaßen mangelhafte und mit krassen Imperfektionen beschädigte Dokumente produzieren" würde.[14]
Heutige Funktion
Heute werden die Andonian-Dokumente aufgrund ihrer Diskrepanzen weitestgehend nicht mehr als Beweismaterial für einen Genozid eingesetzt. Dabei herrscht in der Wissenschaft weiterhin keine Einigkeit darüber, ob sie trotz der Diskrepanzen authentisch sind. Nach Angaben von Guenter Lewy werden sie von den meisten Historikern schlimmstenfalls als Fälschungen, bestenfalls als unverifizierbar und problematisch abgelehnt.[5] Yves Ternon gibt an, dass die Historiker die Andonian-Dokumente nicht mehr als Beweis für einen Genozid einsetzen, dass aber die Dokumente wahrscheinlich dennoch authentisch sind.[15]
Siehe auch
Quellen
- ↑ Armenian Genocide Bibliography
- ↑ Wolfgang Gust ''Der Völkermord an den Armeniern - die Tragödie des ältesten Christenvolkes der Welt, München 1993, Seite 246
- ↑ Vahakn Dadrian The Naim-Andonian Documents on the World War I Destruction of Ottoman Armenians: The Anatomy of a Genocide, International Journal of Middle East Studies, Cambridge University Press. Vol. 18. 1986, Einleitung
- ↑ Wolfgang Gust Der Völkermord an den Armeniern - die Tragödie des ältesten Christenvolkes der Welt, München 1993, Seite 245
- ↑ a b c d Guenter Lewy The Armenian Massacres in Ottoman Turkey: A Disputed Genocide
- ↑ Aram Andonian The Memoirs of Naim Bey. Turkish Official Documents Relating to the Deportation and the Massacres of Armenians
- ↑ Der Brief von Lepsius an Rössler, 13. April 1921
- ↑ Wolfgang Gust Der Völkermord an den Armeniern - die Tragödie des ältesten Christenvolkes der Welt, München 1993, Seite 246
- ↑ Antwort von Rössler, 25. April 1921
- ↑ Yves Ternon: Tabu Armenien. Geschichte eines Völkermordes. Frankfurt a. M., Berlin 1988, S. 165. Ternon verweist als Beleg auf Mikrofilmaufnahmen der türkischsprachigen Prozessprotokolle in der Kongressbibliothek Washington.
- ↑ Şinasi Orel, Süreyya Yuca The Talat Pasha "telegrams"
- ↑ Wolfgang Gust Der Völkermord an den Armeniern - die Tragödie des ältesten Christenvolkes der Welt, München 1993, Seite 246ff.
- ↑ Wolfgang Gust Der Völkermord an den Armeniern - die Tragödie des ältesten Christenvolkes der Welt, München 1993, Seite 248
- ↑ Vahakn Dadrian The Naim-Andonian Documents on the World War I Destruction of Ottoman Armenians: The Anatomy of a Genocide, International Journal of Middle East Studies, Cambridge University Press. Vol. 18. 1986, Abschnitt Conclusion
- ↑ Yves Ternon Enquête sur la négation d'un génocide, Kapitel La qualité de la preuve - A propos des documents Andonian et de la petite phrase d'Hitler - [...]Les historiens du génocide arménien ne présentent plus ces documents comme des preuves du génocide, mais il est important de dire pourquoi ils ne sont pas recevables alors qu'ils sont probablement authentiques. [...]
Literatur
- Aram Andonian The Memoirs of Naim Bey. Turkish Official Documents Relating to the Deportation and the Massacres of Armenians. With an Introduction by Viscount Gladstone, London 1920, Hodder and Stoughton
- Guenter Lewy The Armenian Massacres in Ottoman Turkey: A Disputed Genocide, University of Utah Press 2005, ISBN 0-87480-849-9, [1]
- Wolfgang Gust Der Völkermord an den Armeniern - die Tragödie des ältesten Christenvolkes der Welt, München 1993, ISBN 3446173730
- Vahakn N. Dadrian The Naim-Andonian Documents on the World War I Destruction of Ottoman Armenians: The Anatomy of a Genocide, International Journal of Middle East Studies, Cambridge University Press. Vol. 18. 1986.
- Yves Ternon Enquête sur la négation d'un génocide, Marseille 1989, ISBN 2863640526 [2]
- Şinasi Orel, Süreyya Yuca The Talaât Pasha "telegrams" : Historical fact or Armenian fiction?, Nikosia 1983, ISBN 9963-565-07-7, ISBN 2-85809-139-0, [3]