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das Böse

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Die Massenvernichtung von Menschen durch Menschen gilt als die Manifestation des Bösen (hier im industriellen Stil in Konzentrationslagern KZ Nordhausen, 1945)

Das Böse (ahd. bôsi, von vordeutsch *bausja- „gering, schlecht“, genaue Etymologie unklar)[1] ist in der Philosophie das, was ethisch falsch ist, was abzulehnen und schlecht ist. Es ist also das Gegenteil des moralisch Guten. Die Begriffe „gut“ und „böse“ sind normative, präskriptive Begriffe: wer sie benutzt, beschreibt im Allgemeinen nicht nur, sondern wertet und hätte gerne, dass andere ebenso werten und entsprechend diesen Werturteilen handeln.

Im allgemeinen Sprachgebrauch sind die Begriffe „böse“ und „schlecht“ nicht scharf getrennt.

Gut und Böse werden oft als Gegenpole betrachtet, zwischen denen es viele Abstufungen gibt.

Bezug auf den Standpunkt

Erfahrungsgemäß hängt die konkrete Beurteilung, was gut und böse ist, häufig vom jeweiligen Kontext der Situation und den Beurteilenden ab. Ein extremes Beispiel: des Einen Terrorist ist des Andern Freiheitskämpfer. Auch sind unsere Intuitionen oft unklar, wenn wir zu wenig über den Kontext wissen.

Einige philosophische Positionen vertreten, dass diese Standpunktabhängigkeit für ethische Urteile prinzipiell wesentlich ist. Dies vertreten besonders verschiedene Positionen, die man unter dem Begriff des moralischen Relativismus zusammenfasst, sowie einige Positionen des Pragmatismus und „Subjektivismus”. Die Kontextabhängigkeit wird dabei freilich unterschiedlich stark betont.

Benedict de Spinoza beispielsweise kennzeichnete das Böse in seinem Werk „Ethica ordine geometrico demonstrata” (deutsch: „Ethik in geometrischer Ordnung dargestellt”) als individuelle Kategorie: das was die Selbstbehauptung des Einzelnen hemme, nenne der Betreffende „böse” (entsprechend umgekehrt gilt dies ihm zufolge ebenso für den Begriff „gut”).

Demgegenüber vertreten zahlreiche andere ethische Positionen, dass es etwa feste moralische Wahrheiten, kontextunabhängig bestehende moralische Werte und Güter gibt. Auch diese Positionen beanspruchen natürlich, ihrer eigenen grundlegenden moralischen Intuitionen gerecht zu werden. Dennoch werden besonders einige ethische Theorien, besonders deontologische Theorien, als rigoristisch kritisiert. So etwa, wenn Kant entschieden den Grundsatz „Sollen setzt Können voraus” ablehnt.

Auch in zahlreichen Gesellschaften und deren Teilsystemen, insbesondere in vielen Religionen, existieren Übereinkünfte, welche die ethische Bewertung der meisten Typen von Taten regeln. Welchen Stellenwert diese Konventionen für die Begründung und Gültigkeit moralischer Urteile haben, wird jedoch ganz unterschiedlich bewertet. Besonders bekannt ist beispielsweise Kants Unterscheidung zwischen öffentlichem und institutionsgebundenem Gebrauch auch praktischer Vernunft (in „Was ist Aufklärung?”). In seiner Eigenschaft als Wissenschaftler müsse auch etwa ein Prediger die Geltungsbedingungen seiner religiösen Konventionen einklammern, so Kant dort, in seiner Eigenschaft als Glied seiner Kirche sei er jedoch darin gerechtfertigt, sich an diese zu halten.

Andere Zwischenpositionen haben die zahlreichen Entwürfe der theologischen Ethik ausgearbeitet. So vertritt etwa Alfons Auer: ethische Urteile beziehen ihren Motivationshorizont aus religiösen Überzeugungen, sind aber autonom zu begründen. Nach der Erschließung von Werteinsichten hat die Begründung normativer Aussagen zu erfolgen. Erstere sind daher Bedingungskontext von Normbegründungen. Damit sind theologische Aussagen interpretierender Kontext einer in sich selbständigen ethischen Argumentation.

Auch etwa Ringeling betont: Das Christentum hat eine bestimmte Kulturerfahrung und prägt von dieser her seine Rezeption neuer Erfahrungen. Integrierung dieser Erfahrungen sei aber auch als disfunktional zu herrschenden Kommunikationstrends aufzufassen.

Dietmar Mieth etwa unterscheidet wie folgt:

  • Soziale Normen sind nicht durch Einsicht in Gründe begründet, sondern aufgrund sozialer Beziehung und entlasten den Menschen von einer Dauerreflexion des Verhaltens.
  • Sittliche Normen dagegen integrieren und überbieten biologische oder jurischen Normverständnisse in Richtung auf eine freie Orientierung menschlichen Handelns und sind Wertvorzugsurteile, also Abwägungen von Werten unter vorgegebenen Bedingungen, generelle oder relative Vorrangregeln im Falle des Wertkonflikts. Von Normen ist daher erst dann zu sprechen, wenn die Klausel der Anwendung eindeutig geklärt ist.
  • Deontologische Normen sind Normen, die immer gebieten oder verbieten (etwa: die Wahrheit sagen und die Lüge meiden)
  • Teleologische Normen gebieten oder verbieten im Hinblick auf die Wirkungen des Handelns und geben daher genau die Umstände an (etwa: die direkte Tötung eines unschuldigen Lebens ist nicht erlaubt).

Wer nicht an die Existenz (standpunktunabhängiger) deontologischer Normen glaubt, kann diese immerhin darin gerechtfertigt sehen, allgemeine Werteinsichten mit höchster Dringlichkeit einzuschärfen. Normative Ethik hat, so Mieth, ihre Stärke in der Abgrenzung des Bösen und damit im Gewinn eines Rahmens für das Gute und ist demnach entweder formal oder kasuistisch. Als Vermeidungsimperative verstandene Normen bennen also das Nicht-Mehr-Gute (Böse), lassen damit aber das Gute als das material Sittliche offen. Für konkrete Urteile sind Erfahrungskontexte , wie für Auer, entscheidend: auf einfachen Werteinsichten ruhen komplexere Werturteile auf, die aus dem Wertkonflikt erst entstehen – aber auch einfache Werteinsichten sind schon keineswegs selbstverständlich. Die dafür nötige Kompetenz beruht auf Erfahrung als integrierender Aneignung (nicht als Empirie, sondern als Experienz, die durch symbolische Muster vermittelt wird). Ein Ethos bildet sich demnach aus dem Zusammenwirken von Werteinsichten. Letztlich steht nicht die Frage nach den richtigen Normen, sondern nach der personalen Aneignung der Sittlichkeit („Wie soll ich sein? Was kann ich tun?“) im Vordergrund. Dies bedingt nicht nur eine normative, sondern auch haltungspädagogische Behandlung ethischer Probleme.

Bezug auf die Entscheidungsweise

Karl Jaspers[2] stellt für das Verhältnis zwischen Gut und Böse drei Stufen vor, auf denen der Mensch Alternativen hat und damit zur Entscheidung gefordert ist.

  1. Moralisches Verhältnis: Dieses Verhältnis steht im kantschen Sinn zwischen Pflicht und Neigung. Böse ist, sich von den unmittelbaren Antrieben leiten zu lassen. Dem gegenüber steht die Beherrschung der unmittelbaren Antriebe durch den sittlichen Gesetzen folgenden Willen. Wie auf den anderen Stufen entscheidet nicht das konkrete Handlungsergebnis darüber, ob der handelnde Mensch böse sei, sondern die Auswahl seines Antriebs.
  2. Ethisches Verhältnis: Das Verhältnis wird von der Wahrhaftigkeit der Motive bestimmt. In der Realität des Handelns sowohl unter Bedingtem wie auch Unbedingtem macht das Unbedingte vom Bedingten abhängig. Er nimmt sich selbst seine Wahlfreiheit und entzieht sich somit seiner Verantwortung. Böse ist hier Schwäche, die der Neigung nachgibt. Böse ist sogar die Scheingüte als Luxus glücklicher Verhältnisse. Alternativlosigkeit wird instrumentiert, um dem Handelnden den Konflikt zu ersparen.
  3. Methaphysisches Verhältnis: Hier bestimmt das Verhältnis zwischen zum Sein drängender Liebe und zum Nichtsein drängender Haß das Verhältnis zwischen Gut und Böse. Böse ist der Wille zum Bösen (auch ausgedrückt in der Entschuldigung des Bösen), der hier ein Wille zur Zerstörung ist.

Dieser Ansatz ist eine Herausforderung sowohl einerseits an die Gruppe Relativismus, Pragmatismus und Subjektivismus, die den Raum für Alternativen durch ergebnisorientierte Vorwertungen einschränkt, wie auch andererseits an den Fundamentalismus, der Alternativlosigkeit hart konstruiert.

Der Bezug auf die Entscheidungsweise - auf den Weg - anstelle eines Bezugs auf Handlungsergebnisse - auf das Ziel - hat auch Gemeinsamkeiten mit urbuddhistischen Auffassungen, in denen nicht Ergebnisse bewertet und göttliche Vorgaben befolgt werden, sondern Getriebenheit durch Gier und fehlenden Bemühen um Erkenntnis zu bösem Handeln führt.

Auffassung des Bösen in Theologie und Religion

Mittelalterliche Vorstellung der Entstehung des Bösen: der Engel Luzifer stürzt; er wird zum „bösen Gegenprinzip“ Gottes (Les Très Riches Heures des Grafen von Berry, fol. 64v, 1412/16)

Religionswissenschaftlich lassen sich zwei Formen des Bösen unterscheiden: einerseits Böses in der menschlichen Sphäre (der Gegenpol des sittlich Guten), andererseits böse 'göttliche' bzw. geistige Mächte oder Kräfte, die in schädlicher Weise wirken oder denen in ethischer Hinsicht schlechte Einflüsse zueigen sind, das „numinose Böse“[3]

In vielen Religionen (das typische Beispiel Manichäismus wird in jüngeren Forschungen oft differenzierter beurteilt), tendenziell auch in Phasen und Teilen des Christentums oder des Islam, gibt es Strömungen, die die Welt als Schauplatz eines Kampfes zwischen „Gut“ und „Böse“ betrachten. Die guten Elemente (Götter/Engel) bekämpfen die bösen Elemente (Götter/Dämonen). In diesem Konzept hat jeder Mensch die Wahl, sich entweder für die gute oder die böse Seite zu entscheiden.

Von zahlreichen Philosophen und Theologen (z. B. bei Augustinus und fast durchweg im Mittelalter) wird das Böse als substanzlos charakterisiert. Es ist ein bloßer Mangel des Guten (ein Privativum). Als Privation wird beispielsweise auch die Blindheit analysiert: Blindheit sei keine positive Qualität, sondern schlicht Mangel an Sehfähigkeit. Das Böse sei dem menschlichen Wesen innewohnend und wesentlich (vgl. Immanenz) postuliert Immanuel Kant 1793 in seiner religionsphilosophischen Schrift „Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft“.

Personifikationen

Es gibt in den verschiedenen Kulturen verschiedene Personifikationen des Bösen, wie etwa den jüdisch-christlichen Teufel, aber auch heidnische Götter wie der germanische Loki, bestimmte Arten arabischer Dschinnies oder auch die Dämonen des Hinduismus. Ihnen allen ist – ihrer bösen Natur gemäß – gemeinsam, dass sie Unglück und Verderben bringen.

Im Laufe der Geschichte wechselten die personifizierten Mächte durch den Wechsel der Religion bisweilen vom Guten zum Bösen, so wandelte sich z. B. der griechische Hirtengott Pan in Folge der christlichen Missionierung zu einer heute weit verbreiteten Darstellung des Teufels (eine solche Umdeutung ist ein Fall von interpretatio christiana).

In der Moderne werden auch reale Menschen oft zu Personifikationen des Bösen stilisiert. Prominente Personen, die in einigen Kulturen „das Böse“ verkörpern, sind Josef Stalin, Mao Zedong, Adolf Hitler, Pol Pot, Osama bin Laden, Rasputin u. a. Schwarzweiß-Denken ist in einigen modernen Gesellschaften weit verbreitet und findet seinen Ausdruck darin, dass ein Gegner als das „Reich des Bösen“ bezeichnet wird. Solche vereinfachten Weltbilder gestalten auch zahlreiche Fantasy-Bücher und -Filme.

Nach einigen Auffassungen wird das Böse auch als eigenständige Urkraft betrachtet, die sich manchmal in Dämonen personalisiert, manchmal aber auch eigenständig auftritt als das Absolut Böse (z. B. im Cthulhu-Mythos). Die Entwicklung der Gesellschaft verläuft nach Auffassung einiger in Zyklen zwischen Zeitaltern des Guten (Goldene Zeitalter) und Zeitaltern des Bösen (Dunkle Zeitalter).

Symbole

Datei:Anti-pentalpha.png
Drudenfuß

Ein prominentes Beispiel für ein Symbol des Bösen ist der auf der Spitze stehende Drudenfuß (gestürztes Pentagramm). Aber auch Totenköpfe oder – in Auseinandersetzung mit den Zeichen des Christentums – umgedrehte Kreuze (sog. Petruskreuz) werden heute als Symbole des Bösen verwendet.

Hier ist allerdings anzumerken, dass diese Symbole erst in der Neuzeit zu Zeichen des Bösen verklärt wurden und es in ihrer ursprünglichen Bedeutung nicht waren und sogar an alten Kirchen zu finden sind.

Literatur

  • Hannah Arendt: Über das Böse
  • Roy F. Baumeister: Evil: Inside Human Violence and Cruelty. W. H. Freeman / Owl Book, New York 1997
  • Karl Heinz Bohrer: Imaginationen des Bösen. Für eine ästhetische Kategorie. – Hanser, München u. a. 2004, ISBN 3-446-20494-6
  • Peter Knopp und Vincent von Wroblewsky: Der Lauf des Bösen – (Carnets Jean-Paul Sartre), Peter Lang Verlag, Frankfurt/M., 2006. ISBN 3-631-55050-2
  • Hermann Kochanek (Hrsg.): Die Antwort von Religionen und Weltanschauungen: Wozu das Leid? Wozu das Böse? – Bonifatius, Paderborn 2002, ISBN 3-89710-163-7
  • Susan Neiman: Das Böse denken: Eine andere Geschichte der Philosophie, 2006, ISBN 3-518-45753-5, engl.: Evil in modern thought. An Alternative History of Philosophy, 2002
  • Werner H. Ritter, Jörg A. Schlumberger: Das Böse in der Geschichte. – Röll, Dettelbach 2003, ISBN 3-89754-209-9 (Bayreuther Historische Kolloquien Bd. 16)
  • Werner H. Ritter (Hrsg.): Okkulte Faszination. Symbole des Bösen und Perspektiven der Entzauberung. Theologische, religionssoziologische und religionspädagogische Annäherungen. – Neukirchener, Neukirchen-Vluyn 1997, ISBN 3-7887-1655-X
  • Rüdiger Safranski: Das Böse oder das Drama der Freiheit – Fischer Taschenbuch, 6. Auflage 2004, ISBN 3-596-14298-9

Siehe auch

Quellen

  1. Vgl. Stichwort böse, in: Kluge, Etymologisches Wörterbuch, 24. Aufl. sowie den Wiktionary-Eintrag böse
  2. Karl Jaspers: Einführung in die Philosophie, letzter Abschnitt Gut und Böse im Kapitel 5 Die unbedingte Forderung, 1953, ISBN 3-492-04667-3
  3. Vgl. Artikel ‚Böse, das‘, in: RGG, 3. Aufl., Bd. 1, Sp. 1343f