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Vernehmung

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Vernehmung ist im allgemeinen die Wahrnehmung bzw. Einvernahme eines Sachverhaltes. Man spricht von Einvernehmlichkeit, wenn man einen Konsens über eine gemeinsam zu beantwortende Frage erzielt hat.

Rechtswissenschaft

In der Rechtswissenschaft bezeichnet Vernehmung (in der Schweiz Einvernahme) das Befragen durch ein staatliches Organ zu einem Untersuchungsgegenstand und das Fixieren dessen Verlaufs in einer Aussagenaufnahme. Vernehmungen sind gängig in Bußgeld- und Strafverfahren (veraltete Bezeichnung: Verhör) und in den Untersuchungsausschüssen von Parlamenten sowie in jedem anderen Gerichtsverfahren, das Beweis durch Personenbefragung zulässt.

Die Befragung von Zeugen, Sachverständigen sowie des Beschuldigten (im Ordnungswidrigkeitenverfahrensrecht: Betroffenen), Angeschuldigten bzw. Angeklagten ist eine Art der Beweiserhebung, die letztlich der Wahrheitsfindung dient.

Vernehmungen werden üblichweise als Interview geführt und anschließend schriftlich niedergelegt. Es ist jedoch auch in manchen Polizeien und Jurisdiktionen bei einfach gelagerten Fällen üblich, dass sich Beschuldigte bzw. Betroffene ohne des Beiseins eines Vernehmenden schriftlich äußern. In größeren Fällen wird die Vernehmung - nach Einverständnis - auf Tonträger aufgenommen oder durch den Vernehmenden protokolliert. Dies verflüssigt das Gespräch (weil nicht dauernd für die Protokollierung pausiert werden muss). Vor Gericht können Zeugen verpflichtet werden, unter Eid auszusagen. Eidliche und uneidliche Falschaussagen sind strafbewehrt.

Jede Vernehmung besteht aus der Vernehmung zur Person und der Vernehmung zur Sache.

Personenkreis

Vernommen werden kann jeder, der etwas als Beschuldigter, Angeschuldigter, Angeklagter oder Betroffene oder Zeuge zur Aufklärung einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit beitragen kann. Eine Person wird nicht vernommen, sondern angehört, wenn sie nicht strafmündig ist. Als Auskunftsperson bezeichnet man einen Menschen, der nebensächliche Informationen zur Aufklärung einer Tat geben kann (z.B. gewöhnlicher Aufenthaltsort, Bekanntenkreis und Telefon-Nummer).

Beschuldigten- und Betroffenenvernehmung

Vernehmung

In Deutschland gelten für Vernehmungen im Buß- und Strafverfahrensrecht die Strafprozessordnung (StPO), als Transformationsvorschrift bei Ordnungswidrigkeiten auch das Ordnungswidrigkeitengesetz (OWiG) und als befugnisnormergänzende Vorschrift die Europäische Menschenrechtskonvention. Die Aussage bei Vernehmungen stellt später im Gerichtsverfahren einen Personenbeweis dar, des Weiteren gibt er kriminalistische Ermittlungsansätze.

In der Beschuldigten- beziehungsweise Betroffenenvernehmung ist der Beschuldigte bzw. Betroffene nach § 136 der Strafprozessordnung über seine Rechte zu belehren. Diese Belehrungen sind:

  • Eröffnung des Tatvorwurfs und Nennung entspr. Strafvorschriften (kriminologische Bezeichnung oder einschlägiger Paragraph und Gesetz), §§ 163a Abs. 4, 136 Abs. 1 S. 1 StPO
  • Aussageverweigerungsrecht (Wahl der Äußerung oder Nichtäußerung), § 136 Abs 1 S. 2 StPO
  • Jederzeitige Befragung eines selbst gewählten Verteidigers, § 136 Abs. 1 S. 2 StPO
  • Stellung von entlastenden Beweisanträgen, § 136 Abs. 1 S. 3 StPO

Unterblieben diese Belehrungen, so wäre die Aussage für das Gericht unverwertbar. Dies kann durch die sog. quallifizierte Belehrung geheilt werden. Hier muss der Beschuldigte darüber aufgeklärt werden, dass seine bisherigen Aussagen nicht verwertet werden können, eine Belehrung muss erfolgen und der Beschuldigte in Kenntnis der Nichtverwertbarkeit eine erneute Aussage machen.

Dem Beschuldigten soll Gelegenheit gegeben werden, Verdachtsgründe auszuräumen und die zu seinen Gunsten sprechenden Tatsachen geltend zu machen und selbst einen Beweisantrag zu stellen. Die einzige Pflicht eines Beschuldigten ist die Angabe der vollständigen und wahrheitsgemäßigen Personalien, hierfür ist jedoch keine gesetzliche Vorschrift für eine Belehrung vorhanden. Vorsätzliche oder fahrlässige Verstöße sind mit Bußgeld bewehrt, § 111 OWiG.

Der Vernommene hat kein Recht darauf, das schriftlich Protokollierte in Kopie für sich zu erhalten, allerdings kann er als Beschuldigter oder Betroffener über einen Rechtsbeistand oder einen Verteidiger Akteneinsicht nehmen, wenn die Ermittlungen abgeschlossen sind. Der Rechtsanwalt oder Rechtsbeistand erhält jedoch bereits im laufenden Verfahren Akteneinsicht, um sich von den Vorwürfen und der Aussicht (Beweislage) ein Bild machen zu können und im Ermittlungs- oder Gerichtsverfahren argumentieren zu können.

Die Vorschriften des § 136 StPO gelten ebenso für Vernehmungen durch Staatsanwälte und Polizeivollzugsbeamte (§ 163 a Abs. 3 und 4 StPO) und in ähnlicher Form für Vernehmungen in der Hauptverhandlung (§ 243 Abs. 4 StPO).

Bei der Vernehmung sind durch den Vernehmenden die beweiserheblichen Tatbestände herauszuarbeiten, die Täterschaft und Teilnahme zu erforschen sowie die Vorbereitungs- und Vollendungshandlungen zu erschließen. Bei mittleren oder schwerwiegenden sprachlichen Verständnisschwierigkeiten ist ein Dolmetscher hinzuzuziehen. Jeder hat das Recht, sich ausschließlich schriftlich zu äußern. Eine Zeugenvernehmung vor Gericht (zur Person und Sache) und eine Vernehmung eines Angeschuldigten/Betroffenen (nur zur Sache) ist jedoch außer in im Falle einer Aussageverweigerungsrecht oder Vernehmungsunfähigkeit Pflicht.

Die Freiheit der Willensentschließung und Selbstbestimmung des Beschuldigten darf nicht durch Drohungen, Misshandlungen, Ermüdung, körperlichen Eingriff, Verabreichung von medikamentösen (bewusstseinstrübenden) Mitteln, Täuschung oder Hypnose beeinträchtigt werden - vgl. verbotene Vernehmungsmethoden (§ 136a StPO).

Die Drohung mit einer unzulässigen Maßnahme und das Versprechen eines gesetzlich nicht vorgesehenen Vorteils sind ausdrücklich verboten; nicht gestattet sind auch Maßnahmen, die absehbar das Erinnerungsvermögen oder die Einsichtsfähigkeit des Beschuldigten beeinträchtigen würden. Aussagen, die unter Verletzung dieser Verbote zustande gekommen sind, dürfen auch dann nicht verwertet werden, wenn der Beschuldigte der Verwertung zustimmte (§ 136 a StPO).

Zeugenvernehmung

Zeugenvernehmungen sind die Befragung von Zeugen zu ihren Wahrnehmungen und Kenntnissen zum Untersuchungsgegenstand. Bei der Zeugenvernehmung sollen Fragen nach entehrenden Tatsachen, nach Vorstrafen oder Umständen aus dem persönlichen Lebensbereich des Zeugen oder seiner Angehörigen nur gestellt werden, wenn sie unerlässlich sind (§ 68 a StPO). Auch kann zum Schutz der Privatsphäre des Zeugen die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden (§ 171 b Gerichtsverfassungsgesetz). Eine Gegenüberstellung mit anderen Zeugen oder mit dem Beschuldigten im Vorverfahren ist allerdings zulässig, falls es für das weitere Verfahren geboten erscheint (§ 58 Abs. 2 StPO).

Dokumentation

Vernehmungen werden auf Grundlage eines Gesprächs niedergeschrieben. Hierdurch entsteht eine Vernehmungsniederschrift. In Ausnahmefällen werden Vernehmungen auch per Videokonferenz durchgeführt. In speziellen Fällen kann eine Vernehmung auch videografiert werden. Vernehmungen werden der Ermittlungsakte beigegeben. Bei sehr belastenden Ereignissen eines Geschädigten (Status: Zeuge) kann auf eine erneute Einvernahme vor Gericht verzichtet werden, wenn erschöpfende Vernehmungsergebnisse vorliegen. Diese können dann per Beschluss in die Entscheidung mit einfließen, als wären die Vernehmungen vor Gericht getätigt.

Erscheinen

Ladungen der Staatsanwaltschaft und des Gerichtes ist Folge zu leisten, dies gilt nicht für Ladungen zur Polizei. Es empfiehlt sich jedoch der ladenden Polizeidienststelle mitzuteilen, dass man keine Angaben machen will und nicht kommen wird.

Wahrheitsgehalt

Ein Beschuldigter oder Zeuge der vor Gericht, der Staatsanwaltschaft oder vor der Polizei lügt kann deshalb bestraft werden, wenn er dadurch eine Begünstigung i.S.v. § 257 StGB, das Vortäuschen einer Straftat i.S.v. § 145d StGB oder eine Falsche Verdächtigung i.S.v. § 164 StGB begeht. Führt die falsche Aussage für den Zeugen oder Beschuldigten vorhersehbar zur Festnahme einer Person, so macht er sich der Freiheitsberaubung (§ 239 StGB) durch mittelbare Täterschaft (§ 25 Abs. I 2. Alt. StGB).

Sagt ein Zeuge vor Gericht falsch aus so macht er sich zudem einer Falschen uneidlichen Aussage (§ 153 StGB) oder im Falle der Vereidigung eines Meineids (§ 154 StGB) strafbar. Im Falle der Vereidigung ist auch die fahrlässige Falschaussage (§ 163 StGB) strafbar. Vor der Polizei kann sich der Zeuge auch wegen eine Strafvereitelung i. S. v. § 258 StGB.

Beim Beschuldigten der Wahrheitsgemäß aussagt wirkt sich dies auf die Strafzumessung aus, insbesondere wenn er damit zur Aufklärung der Tat beiträgt, vgl. § 46 II StPO - Verhalten nach der Tat.

Bei Straftaten nach dem BtMG kann das Gericht von Strafe absehen oder die Strafe mildern wenn der Beschuldigte dazu beigetragen hat die Tat über seinen Tatbeitrag hinaus aufzuklären oder freiwillig sein Wissen so rechtzeitig einer Dienststelle offenbart, dass Straftaten nach § 29 Abs. 3, § 29a Abs. 1, § 30 Abs. 1, § 30a Abs. 1 BtMG von deren Planung er weiß, noch verhindert werden können.

Praxis

Vernehmungen sind in der Regel von anderen Beteiligten getrennt durchzuführen, um eine eigenständige und unmanipulierte Aussage zu erhalten. Bei widersprüchlichen Aussagen von Beschuldigten, kann eine gemeinsame Vernehmung der Personen zur Ermittlung der Wahrheit führen. Vernehmungen sollten zeitnah zur Tatzeit erfolgen, damit keine Gedächtnislücken entstehen und das Ergebnis für weitere Ermittlungen zur Verfügung steht. Für Vernehmungen ist in vielen Polizeidienststellen ein bestimmter Vernehmungsraum eingerichtet, in dem ungestört gearbeiten werden kann. In besonderen Fällen, z.B. beim sexuellen Missbrauch von Kindern, werden oft Vernehmungsspielzimmer mit Videoaufzeichnung vorgehalten.

Literatur

  • Claudia Brockmann und Reinhard Chedor: Vernehmung. Hilfen für den Praktiker, Polizei, Psychologie, 120 S., Verlag Deutsche Polizeiliteratur, Hilden 1999. ISBN 3-8011-0405-2
  • Max Hermanutz, Sven Max Litzcke und Ottmar Kroll: Polizeiliche Vernehmung und Glaubhaftigkeit. Ein Trainingsleitfaden. 162 Seiten, Stuttgart München Richard Boorberg Verlag, 2005, ISBN 3415035549

Siehe auch

Untersuchungsausschuss

Deutsche Untersuchungsausschüsse können jeden Beteiligten oder Zeugen vorladen und vernehmen. Hierbei kann die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden. Das Untersuchungsausschussgesetz (PUAG) inkludiert hier häufig die Regelung aus dem Strafverfahren, z.B. §§ 23, 24 PUAG.

Verwaltungsrecht

Auch im Verwaltungsrecht gibt es verschiedene Vernehmungen, z.B. § 94 Abgabenordnung.

Sonstige gerichtliche Vernehmungen

Des Weiteren gibt es zahlreiche Vernehmungen bei Gericht, die spezialgesetzlich geregelt sind: Die Eidliche Vernehmung von Zeugen gem. § 398 Zivilprozessordnung, die Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer gem. § 20 Zivildienstgesetz und die Vernehmung eines gesuchten Straftäters gem. § 28 Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen.

Siehe auch