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Kosmopolitismus

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Kosmopolitismus (von griech. kosmos und politês), zu deutsch Weltbürgertum, ist ein philosophisch-politischer, weltanschaulich-ideologischer Standpunkt, der den ganzen Erdkreis als Heimat betrachtet und alle Menschen als Mitbürger und Geschwister ansieht. Er gilt zum Teil als die polare Ergänzung, zum Teil als der widersprechende Gegensatz zum Nationalismus, je nachdem, ob man den Kosmopolitismus als irreal oder notwendig, positiv oder negativ einschätzt.

So wie er in seinen Anfängen in der griechisch-hellenischen Ideengeschichte zu finden ist, ist der Kosmopolitismus zunächst eine mehr individualistische Lebens-Philosophie. In der Philosophenschule der Stoiker (Zenon und andere) wird er auch zu einer Ethik weiterentwickelt.

Einen mächtigen Schub bekommt diese Philosophie im Zeitalter des Renaissance-Humanismus und der Aufklärung. Viele der damals zeitgenössisch großen Denker und Schriftsteller schreiben über dieses Ideal, so zum Beispiel der Weimarer Prinzenerzieher Christoph Martin Wieland in seinem Werk Das Geheimnis des Kosmopolitenordens. Auch Lessing schreibt über Die Erziehung des Menschengeschlechts. Dem schließt sich Johann Gottfried Herder mit seinem Werk Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit an. Heute wird meist nur noch aus Immanuel Kants Essay Zum ewigen Frieden zitiert, da dieser die kosmopolitische Idee in eine Rechtsphilosophie verwandelt.

Im postkolonialen Kontext hat sich ab den 1980er Jahren, geprägt vor allem durch Literatur-, Kultur- und Sozialwissenschaftler wie Bruce Robbins, Timothy Brennan, Kwame Anthony Appiah, Arjun Appadurai, James Clifford und Ulrich Beck, ein "neuer" Diskurs des Kosmopolitismus entfaltet, der nicht mehr allein der Vorstellung von einer geeinten Menschheit folgt, sondern versucht, eine Synthese aus partikularistischen und universellen Motivationen zu erreichen. Bezeichnend dafür sind scheinbar paradoxe Begriffsbildungen wie "patriotischer Kosmopolitismus", "verwurzelter Kosmopolitismus" oder "nationaler Kosmopolitismus".

Im 20. Jahrhundert, am 6. November 1956, wurde der damalige UNO-Generalsekretär Dag Hammarskjöld in einem Artikel von Die Zeit als „Kosmopolitiker Hammarskjöld“ bezeichnet. Der Artikel beschreibt wie Hammarskjöld die Ideen des Kosmopolitismus in Kosmopolitik (Weltordnungspolitik) umsetzt. Dieser neue Bezug auf Kosmopolitismus wurde ermöglicht unter anderem durch die Aktionen des staatenlosen Weltbürgers Garry Davis von 1948 bis 1951 (unter anderem Besetzung der UNO durch Weltbürgeraktivisten, darunter auch Albert Camus und Andre Breton).

Der Begriff des "Kosmopolitismus" in der UdSSR, DDR und anderen realsozialistischen Staaten

Nach Ansicht von Thomas Leusink wurde in der UdSSR, DDR und anderen realsozialistischen Staaten das Wort "Kosmopolit" von der SED bzw. von den jeweiligen kommunistischen Parteien synonym für "Jude" verwandt. Kosmopolitismus galt als anstößige jüdische Ideologie. Bereits in der Volksfront-Ideologie der KPD-Führung in der Zeit des Nationalsozialismus war nach Birgit Schmidt "kosmopolitisch" negativ mit Fiktionen des "Jüdischen" besetzte. Nach Birgit Schmidt war der Antikosmopolitismus der antisemitischen Verfolgungswelle in allen stalinistischen Staaten Anfang der 1950er-Jahre in der DDR auch ein Thema der Literatur. Der Prager Slansky-Prozess firmierte auch in der DDR unter antikosmopolitischem Vokabular: "Prozeß gegen die Leitung des staatsfeindlichen Verschwörerzentrums mit Rudolf Slansky an der Spitze". Der Vorwurf des "Kosmopolitismus", so Schmidt, richtete sich noch vor dem Vorwurf des "Zionismus" "eindeutig gegen jüdische Intellektuelle", die "sich in westlichen Exilländern aufgehalten hatten".

Im Meyers Neues Lexikon der DDR hieß es: Kosmopolitismus: 1. unwissenschaftliche, äußerst reaktionäre Ideologie der imperialistischen Bourgeoisie, die in verschiedenen Spielarten auftritt. Der K. verlangt den Verzicht auf das Recht der Nationen auf Selbstbestimmung, auf staatliche Unabhängigkeit und Souveränität ... Er wird bes. vom amerikanischen ... Imperialismus propagiert, deren Expansions bestrebungen er apologetisch mit "allgemein menschlichen Interessen" zu verschleiern sucht. Der K. ist eine demagogische, historisch unwahre Kritik der angeblich "überlebten" und "egoistischen" Ideen der nationalen Souveränität ... Die Kehrseite des K. ist der bürgerliche Nationalismus. K. und Nationalismus sind dem proletarisch-sozialistischen Internationalismus und Patriotismus völlig entgegengesetzt ... (Quelle: Meyers Neues Lexikon, VEB Bibliograph. Institut Leipzig, 1963)

Siehe auch: Wurzelloser Kosmopolit

Literatur

  • Andrea Albrecht: Kosmopolitismus. Gruyter, 2005. ISBN 3-110-18198-3.
  • Kwame Anthony Appiah: Cosmopolitanism: Ethics in a world of strangers. W. W. Norton and Co, New York 2006.
  • Ulrich Beck: Der kosmopolitische Blick. Suhrkamp, 2004. ISBN 3-518-41608-1.
  • Ulrich Beck und Edgar Grande: Kosmopolitisches Europa. Frankfurt am Main 2004. ISBN 3-51841647-2.
  • Norbert Bolz (Hrsg.) u. a.: Weltbürgertum und Globalisierung. München 2000. ISBN 3-770-53510-3.
  • Timothy Brennan: At Home in the World: Cosmopolitanism Now. Harvard University Press, Cambridge 1997.
  • Pheng Cheah/Bruce Robbins (Herausgeber): Cosmopolitics. Thinking and Feeling Beyond the Nation. University of Minnesota Press, Minneapolis 1998.
  • Peter Coulmas: Weltbürger – Geschichte einer Menschheitssehnsucht. Rowohlt Verlag.
  • Immanuel Kant: Entwurf zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht. 1784.
  • Benedikt Köhler: Soziologie des Neuen Kosmopolitismus. Wiesbaden 2006. ISBN 3-531-15125-8.
  • Stephan Mögle-Stadel: Die Unteilbarkeit der Erde – Globale Krise, Weltbürgertum und Weltföderation. Bouvier Verlag, 1996. ISBN 3-416-02565-2.
  • Sigrid Thielking: Weltbürgertum. 2000. ISBN 3-770-53530-8.
  • Birgit Schmidt: Kein Licht auf dem Galgen. Ein Beitrag zur Diskussion um KPD/SED und Antisemitismus. Münster 2005. ISBN 3-89771-436-1.
  • Birgit Schmidt: Wenn die Partei das Volk entdeckt. Anna Seghers, Bodo Uhse, Ludwig Renn u.a. Ein kritischer Beitrag zur Volksfrontideologie und ihrer Literatur. Münster 2004. ISBN 3-89771-412-4.
  • Daniele Archibugi und David Held (Herausgeber): Cosmopolitan Democracy. An Agenda for a New World Order. Polity Press, Cambridge 1995. ISBN 978-0745613819.