Kirchensteuer (Deutschland)
Die Kirchensteuer ist eine Steuer, die Religionsgemeinschaften von ihren Mitgliedern zur Finanzierung der Ausgaben der Gemeinschaft erheben. In der Bundesrepublik Deutschland wird die Kirchenlohnsteuer von den Finanzämtern der jeweiligen Bundesländer eingezogen, die dafür eine Aufwandsentschädigung einbehalten.
Nach Artikel 140 des Grundgesetzes in Verbindung mit Artikel 137 der Weimarer Verfassung sind diejenigen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, die eine Körperschaft des öffentlichen Rechts sind, berechtigt, Steuern zu erheben.
Die Bemessungsgrundlagen für die Kirchensteuern sind die Einkommensteuer bzw. Lohnsteuer (Kircheneinkommensteuer, Kirchenlohnsteuer) und die Grundsteuer A (Kirchengrundsteuer). Rechtlich möglich ist auch die Erhebung der Kirchensteuer als Zuschlag zur Vermögensteuer sowie zum Solidaritätszuschlag; die Kirchen in Deutschland haben auf diese beiden Möglichkeiten bisher verzichtet. Das Kirchgeld in glaubensverschiedener Ehe, ebenfalls eine Kirchensteuer, knüpft an den „Lebensführungsaufwand“ einer Ehe an. In einigen Bundesländern wird eine Mindestbetrags-Kirchensteuer eingezogen. Die Höhe der Kirchensteuer wird von den Kirchenleitungen festgesetzt. Rechtskraft erhalten die kirchlichen Festsetzungen durch die Zustimmung der jeweiligen Landesparlamente zu ihren Kirchensteuergesetzen.
Die Kirchensteuer ihrer Mitglieder macht ungefähr 70 % des Einkommens der Kirchen aus. [1]
Der staatliche Steuereinzug für Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften ist eine deutsche Besonderheit; er ist nicht durch das Grundgesetz, sondern nur in Landesgesetzen geregelt.
Im Folgenden ist nur von der Kirchensteuer die Rede, die an die Lohn- und Einkommensteuer anknüpft (Annexsteuer).
Geschichtliches: Auf dem Weg zur Kirchensteuer
Von einer Kirchensteuer im heutigen Verständnis kann ansatzweise erst seit Beginn des 19. Jahrhunderts gesprochen werden. Durch den Reichsdeputationshauptschluss von 1803 wurde den weltlichen Fürsten des Reiches eine Entschädigung für die im Frieden mit Frankreich (Luneville 1801) besiegelte Abtretung ihrer linksrheinischen Gebiete (an Frankreich) zugesichert. Im Zug dieser Entschädigung wurden fast alle rechtsrheinischen reichsunmittelbaren geistlichen Gebiete auf die zu entschädigenden Territorialherren aufgeteilt (Ausnahme unter anderem das Bistum Regensburg). Ferner wurde diesen zugestanden, auch die Güter der in ihren Ländern gelegenen fundierten Stifte, Abteien und Klöster einzuziehen. Davon machten alle außer den Habsburgern Gebrauch.
Das gesamte Vermögen in der Hand der Kirchen, geistlicher und religiöser Institutionen, das die öffentliche Funktion der Kirche betraf, wurde von der öffentlichen Gewalt beansprucht. Das für die Seelsorge, Caritas und unter Umständen noch Unterricht vorhandene Vermögen wurde nicht nur von der Säkularisation ausgenommen, sondern auch ausdrücklich vor jeder Zweckentfremdung geschützt. Nach 1803 gab es also nur noch das der Seelsorge dienende „eigentümliche Kirchengut“. Es befand sich fast ausschließlich bei den einzelnen Gemeinden und umfasste drei Arten von Vermögensträgern: zunächst die Pfründe, darunter versteht man die Vermögensmasse, aus deren Ertrag die Versorgung des jeweiligen Stelleninhabers bestritten wird; dann die Kirchenstiftung, jenes Erwerbsvermögen, mit dem sowohl die Unterhaltungskosten für die der Seelsorge dienenden Gebäude als auch alle Auslagen für den Gottesdienst zu bestreiten sind; schließlich noch Stiftungen für Arme, Kranke und u. U. für Schulen, soweit Stiftungen solcher Zielsetzung in einzelnen Gemeinden vorhanden waren.
In vielen konkreten Fällen blieb auch dem säkularisierenden Staat weiterhin die Sorge für den Unterhalt von Kirche und Pfarre. Mit der damals allen staatlichen Behörden eigenen umsichtigen Sparsamkeit begannen diese nach 1803, die kirchlichen Bedürfnisse zu befriedigen. Für einige Zeit kamen sie auch leidlich damit zurecht. Doch die finanziellen Aufgaben der Kirche wuchsen: Die Bevölkerungszunahme, die beginnende Industrialisierung und das Entstehen großer Städte stehen dahinter. Außerdem setzte langsam eine Binnenwanderung ein. In den wichtigsten industriellen Ballungsräumen wurde durch Zuwanderung die bisherige konfessionelle Geschlossenheit aufgebrochen. Es entstanden Diasporagemeinden. Die politischen Gemeinden konnten zur Finanzierung dieser Aufgaben nicht mehr angehalten werden. Denn zu der gleichen Zeit vollzog sich die langsame Trennung von politischer und kirchlicher Gemeinde. Es kamen weitere Beeinträchtigungen der Kirchen hinzu: Im Gefolge der revolutionären Bewegungen von 1848 fielen viele am Grundbesitz haftenden dinglichen und persönlichen Leistungen, also Zehnt und andere Abgaben in Geld und Naturalien sowie persönliche Handdienste weg. Den kirchlichen Vermögensträgern wurde für diese Ertragsminderung des Vermögens keine Entschädigung geleistet. Angesichts dieser und anderer Einnahmeminderungen wurde den Kirchen das Besteuerungsrecht anfangs aufgezwungen, um sich staatlicherseits zu entlasten. Vgl. Erwin Gatz
So beginnt 1827 in Lippe-Detmold die Einführung der Kirchensteuer, nachdem sie 1808 in Preußen noch gescheitert war. Es folgen 1831 Oldenburg, 1835 die preußischen Provinzen Rheinland und Westfalen durch die rheinisch-westfälische Kirchenordnung, 1838 Sachsen, 1875 Hessen, 1888 Baden, 1892 Bayern und 1905/1906 Preußen.
Das staatliche Hoheitsrecht wurde zunächst nicht allen Kirchengemeinden gegeben und sollte auch kein Recht auf Dauer sein. Die Einrichtung der Kirchensteuer erfolgte also auf Initiative des Staates und war von ihrem Ursprung her nur als zusätzliche Hilfsquelle für besondere Aufgaben einer einzelnen Gemeinde gedacht.
Der Staat wachte streng über dieses von ihm geliehene Hoheitsrecht. Steuern durften grundsätzlich nur für Bedürfnisse der eigenen Gemeinde erhoben werden. Waren diese Bedürfnisse hoch, dann konnte vor der staatlichen Behörde ein entsprechend hoher Hebesatz beantragt werden. So kam es dazu, dass in der einen Gemeinde überhaupt keine Kirchensteuer erhoben wurde, in einer zweiten dagegen eine Steuer mit einem Hebesatz von 4 Prozent und in einer dritten eine mit einem Hebesatz von 22 Prozent. Reichere Gemeinden durften ihren ärmeren Schwestergemeinden nicht ausgleichend zur Hilfe kommen. Allerdings sah der staatliche Gesetzgeber den Zusammenschluss mehrerer Gemeinden zu einem Kirchensteuerverband vor. In Berlin schlossen sich etwa nach 1895 alle protestantischen Gemeinden zu einem Ortskirchensteuerverband zusammen. Damit gab die Einzelgemeinde das ihr vom Staat verliehene Hoheitsrecht an den Ortsverband ab. Doch bei weitem nicht alle Städte akzeptierten derartige Zusammenlegungen. Viele fürchteten um ihre finanzielle Autonomie. Die staatliche Kirchensteuergesetzgebung war demnach ein fast vollständig auf die einzelne Ortsgemeinde zugeschnittenes Gesetz. Mit dem Ziel, zu einer Selbstfinanzierung der Kirchen und dementsprechend zu größeren Entflechtung von Staat und Kirche zu kommen, wurden landesweit Kirchensteuern eingeführt, etwa 1875 in Preußen 1887 in Württemberg und 1912 im Königreich Bayern eingeführt.
1919 wird die Kirchensteuer in der Weimarer Reichsverfassung verankert. In Artikel 137, Absatz 6 heißt es: „Die Religionsgesellschaften, welche Körperschaften des öffentlichen Rechtes sind, sind berechtigt, auf Grund der bürgerlichen Steuerlisten nach Maßgabe der landesrechtlichen Bestimmungen Steuern zu erheben.“ Das Reichskonkordat von 1933 zwischen Hitler und dem Hl. Stuhl sicherte den Kirchen weiterhin das Recht auf Erhebung von Kirchensteuern zu (Schlussprotokoll zu Artikel 13). Während im nationalsozialistischen Deutschland die Bestrebungen eher dahin gingen, regimefeindliche Religionen zu unterdrücken, blieb die Kirchensteuer unangetastet, und die Lohnsteuerkarte wurde erweitert um den Eintrag „Konfession“. Erst zum 1. Dezember 1941 beschloss die Reichsregierung per Gesetz, die staatliche Mithilfe bei der Erhebung der Kirchensteuer zu verweigern, beließ jedoch den Eintrag auf der Lohnsteuerkarte. Das führte 1943 beispielsweise in Bayern dazu, die Kirchensteuer wieder durch eigene Kirchensteuerämter einzutreiben. Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland übernahm 1949 durch seinem Artikel 140 die Weimarer Regelung. Es heißt dort: „Die Bestimmungen der Artikel 136, 137, 138, 139 und 141 der deutschen Verfassung vom 11. August 1919 sind Bestandteil dieses Grundgesetzes.“
Zur gegenwärtigen Situation
Rechtsgrundlagen für die Erhebung von Steuern der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften
Zu den rechtlichen Voraussetzungen der Erhebung von Steuern für Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften zählen:
- die Anerkennung einer Religions- und Weltanschauungsgemeinschaft/-organisation als Körperschaft des öffentlichen Rechts
- Steuerbeschlüsse der zuständigen Leitungsgremien (z.B. in der Evangelischen Kirche im Rheinland die Presbyterien, in der Protestantischen Landeskirche der Pfalz die Landessynode), in der katholischen Kirche die Kirchensteuerräte der jeweiligen (Erz-)Bistümer), Vorstand einer Weltanschauungsgemeinschaft
- die Zustimmung der jeweiligen Parlamente der Bundesländer zu den Steuergesetzen der entspr. Gemeinschaften / Organisationen und schließlich,
- die Steuerpflichtigkeit des Mitglieds. Diese beginnt bei christlichen Kirchen grundsätzlich mit der Taufe. Durch die Kirchenaustrittserklärung, je nach Bundesland vor dem Amtsgericht oder dem Standesamt, erlischt diese Verpflichtung.
Steuersätze
Entsprechend den derzeit geltenden Kirchensteuergesetzen werden in Baden-Württemberg und Bayern 8 %, in den übrigen Bundesländern 9 % der Lohn- und Einkommensteuer als Kirchensteuer eingezogen.
Die Kirchensteuergesetzgebung der meisten Bundesländer (Ausnahme: Bayern) und die entsprechenden Regelungen der meisten evangelischen Landeskirchen und der römisch-katholischen (Erz-)Bistümer ermöglichen Kirchenmitgliedern eine „Kappung“ der Kirchensteuer. Diese führt bei hohen Einkommen, die über der so genannten Kappungsschwelle liegen, zur Absenkung der Kirchensteuer auf 2,75 bis 3,5 Prozent des zu versteuernden Einkommens. In der Mehrzahl der Bundesländer erfolgt die Kappung von Amts wegen: Das Finanzamt wählt den für den Kirchensteuerpflichtigen günstigsten Modus. In Berlin, Baden-Württemberg, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Saarland wird die Kappung nur auf Antrag gewährt. Es gibt keinen einklagbaren Rechtsanspruch auf Kappung gegenüber der Kirche, denn die steuererhebende Kirche ist „autonomer Gesetzgeber“.
In einigen Regionen wird Kirchensteuer vom Grundbesitz (zum Beispiel 10 % des Grundsteuermessbetrages) erhoben. Daneben gibt es lokal das allgemeine Kirchgeld für Personen, die keine inländischen Steuern zahlen und das besondere Kirchgeld bei gemeinsamer Veranlagung mit einem nicht kirchensteuerpflichtigen Ehepartner.
Kirchensteuer bei nicht-ganzjähriger Kirchenmitgliedschaft
Nach einem Kirchenaustritt endet die Kirchensteuerpflicht am Ende des Austrittsmonats oder einen Monat später, je nach Bundesland. Trotzdem kann das gesamte Einkommen eines Jahres, in dem man irgendwann einmal einer Kirche angehört hat, zur Pflicht von Kirchensteuerzahlungen führen. Lediglich die Höhe der fälligen Kirchensteuer hängt davon ab, wie lange man im betreffenden Jahr kirchensteuerpflichtig war.
Das ist dadurch zu erklären, dass die Kirchensteuer aus der Einkommensteuer errechnet wird. Die Einkommensteuer wird nun nicht Monat für Monat berechnet, sondern jeweils für ein volles Jahr. Für den Steuerpflichtigen ist das in aller Regel günstiger als eine Berechnung Monat für Monat. Bei jährlicher Berechnung macht sich die Steuerprogression weniger bemerkbar, wenn in bestimmten Monaten das Einkommen besonders hoch ist, wie durch Weihnachtsgeld.
Aus dieser – für ein volles Jahr berechneten – Einkommensteuer wird die Kirchensteuer im Austrittsjahr so berechnet, wie es im Kirchensteuergesetz des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen beschrieben ist:
„Besteht die Kirchensteuerpflicht nicht während des ganzen Kalenderjahres, wird für jeden Kalendermonat, in dem die Kirchensteuerpflicht gegeben ist, je ein Zwölftel des Betrages erhoben, der sich bei ganzjähriger Kirchensteuerpflicht als Jahressteuerschuld ergeben würde.“
Das bedeutet: Es kommt überhaupt nicht darauf an, ob jemand in dem Monat, in dem er ein Einkommen erzielt hat, kirchensteuerpflichtig war oder nicht. Es kann vorkommen, dass jemand in der Zeit der Kirchensteuerpflicht keinerlei Einkommen hatte und trotzdem Kirchensteuer zahlen muss, weil er nach Beendigung der Kirchensteuerpflicht in demselben Jahr noch einkommensteuerpflichtiges Einkommen erzielt hat.
Kirchensteuereinzug durch den Staat
Derzeit nutzen die Möglichkeit des Kirchensteuereinzugs durch staatliche Organe:
- die evangelischen Landeskirchen und ihre Gemeinden in der EKD
- die Bistümer der Römisch-Katholischen Kirche
- das Katholische Bistum der Alt-Katholiken in Deutschland
- die Freireligiösen Gemeinden (Landesgemeinden Baden, Mainz, Offenbach und Pfalz)
- die Unitarische Religionsgemeinschaft Freie Protestanten
- die jüdischen Gemeinden („Kultussteuer“)
Dagegen erheben unter anderen die folgenden Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, die Körperschaften des öffentlichen Rechts sind und deshalb das Recht zur Erhebung der Kirchensteuer haben, keine Kirchensteuer:
- die evangelischen Freikirchen
- die orthodoxen Kirchen
- die Zeugen Jehovas
- die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage (Mormonen)
- die Christian Science
- die Neuapostolische Kirche
- die Christengemeinschaft
- der Bund für Geistesfreiheit
- der Humanistische Verband Nordrhein-Westfalen
- die Freien Humanisten Niedersachsen
- Die Humanisten Württemberg.
Die evangelischen Freikirchen halten die Kirchensteuer für unvereinbar mit der Trennung von Kirche und Staat. Sie finanzieren ihre Arbeit durch freiwillige Mitgliedsbeiträge, die in der Regel höher sind als die Kirchensteuer.
Die Länder behalten als Entgelt für den Einzug der Kirchensteuer je nach Bundesland unterschiedlich 2 % (Bayern) bis 4,5 % (im Saarland) des Kirchensteueraufkommens ein, in der Regel 3 %.
Kirchensteuer als Sonderausgabe
Die gezahlte Kirchensteuer ist gemäß EStG § 10 Abs. 1 Nr. 4 als Sonderausgabe absetzbar. Das Bundesministerium der Finanzen hat die dadurch verursachten Steuermindereinnahmen für das Jahr 2004 mit 3,750 Mrd € prognostiziert, (19. Subventionsbericht, Bundestagsdrucksache 1. Oktober 2003).
Umfang der Kirchensteuereinnahmen und deren Bedeutung für den kirchlichen Haushalt in Deutschland
Im Jahr 2004 betrug das Kirchensteueraufkommen in Deutschland:
- Katholische Kirche 4,158 Mrd. Euro
- Evangelische Kirche 3,689 Mrd. Euro
- Gesamt 7,847 Mrd. Euro
Je nach Landeskirche bzw. (Erz-)Bistum machen die Kirchensteuereinnahmen zwischen 60 und 85 % des jeweiligen Haushalts aus.
In ihren jeweiligen Haushalten weisen die Landeskirchen bzw. (Erz-Bistümer) folgende Ausgabenposten auf (Angaben gerundet):
- Katholische Kirche:
- Personalkosten: etwa 60 %
- Sachkosten, Verwaltung: etwa 10 %
- Kirchenbauten: etwa 10 %
- Schule und Bildung: etwa 10 %
- Soziales und Karitatives: etwa 10 %
- Evangelische Kirche:
- Personalkosten: etwa 70 %
- Sachkosten, Verwaltung: etwa 10 %
- Kirchenbauten: etwa 10 %
- Schule, Bildung, Soziales und Karitatives: etwa 10 %
Die Kirchensteuer in der Kritik
Die Kirchensteuer (als Annexsteuer), die bekannteste Form der Kirchenfinanzierung, wird aus unterschiedlichen Perspektiven kritisiert. Die Kritik bezieht sich sowohl auf die Steuer als Instrument der Kirchenfinanzierung an sich als auch auf eine Reihe ihrer Auswirkungen und die Folgen ihrer Handhabung in den staatlichen und kirchlichen Raum hinein.
Kritik aus staatskirchenrechtlicher Perspektive
In der Bundesrepublik Deutschland geriet die Kirchensteuer 1973 in Folge der „Freiburger Thesen“ Freie Kirche im Freien Staat, des sogenannten „Kirchen-Papiers“ der FDP, in die Diskussion, da von der Partei die Trennung von Staat und Kirche und damit die Ersetzung des staatlichen Kirchensteuereinzugs durch ein kircheneigenes Beitragssystem gefordert wurde. In abgeschwächter Form finden sich diese Forderungen auch heute noch im Programm der FDP. Ähnliche Positionen wurden früher außerdem von der Partei „Die Grünen“ formuliert. Auch die Linkspartei lehnt sowohl die grundgesetzliche Verankerung der Kirchensteuer als auch deren staatlichen Einzug ab. Außerhalb der Politik vertreten unter anderem der Internationale Bund der Konfessionslosen und Atheisten e.V. (IBKA), die Humanistische Union sowie der Humanistische Verband Deutschlands eine Ablehnung der Kirchensteuer:
- Das Kirchensteuerprivileg widerspreche trotz seiner grundgesetzlichen Verankerung der ebenfalls grundgesetzlich festgelegten Trennung von Staat und Kirche, also der weltanschaulichen Neutralität des Staates.
- Das Hoheitsrecht der Kirchen, als Körperschaften des öffentlichen Rechts Steuern zu erheben, diskriminiere andere Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, die diesen Status entweder nicht erwerben können oder aus Glaubensgründen nicht erwerben wollen.
- Die Anbindung der Kirchensteuer an die Lohn- und Einkommensteuer fordert von allen abhängig Beschäftigten, auf der Lohnsteuerkarte ihren Konfessionsstatus anzugeben. Darin wird ein Verstoß gegen die negative Religionsfreiheit gesehen.
- § 10 Abs.1 Nr. 4 EStG gestattet die unbegrenzte steuerliche Absetzbarkeit der gezahlten Kirchensteuer als Sonderausgabe. Laut Subventionsbericht der Bundesregierung hat dies die „Begünstigung anerkannter Religionsgesellschaften und ihnen gleichgestellter Religionsgemeinschaften aus kirchenpolitischen und sozialpolitischen Erwägungen“ zum Ziel. Diese Regelung bevorzugt solche Religionsgemeinschaften, die Kirchensteuern erheben gegenüber allen anderen gesellschaftlichen Gruppen, deren Relevanz ebenfalls grundgesetzlich verankert ist, z.B. Parteien und Gewerkschaften.
- Diese Abzugsfähigkeit der Kirchensteuer und der dadurch verbundene Steuerverzicht des Staates stellt außerdem eine erhebliche Subvention der Kirchen dar, für 2002 zum Beispiel in Höhe von fast 40 % des Kirchensteueraufkommens.
- Zahlen für 2002:
- Kirchensteueraufkommen in Deutschland Gesamt: 8,4 Mrd Euro
- davon von Kirchenmitgliedern getragen: 5,05 Mrd. Euro (60,1 %)
- davon durch Verringerung der Einkommensteuer von allgemeinen Steuergeldern getragen: 3,35 Mrd. Euro (39,9 %)
- Die „fiktive“ Kirchensteuer: Bis zum Jahr 2004 wurde bei allen, auch den konfessionslosen Beziehern von Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe, des Vorruhestands- und Unterhaltsgeldes sowie des Kurzarbeiter- und Schlechtwettergeldes ein Abschlag in Höhe der „fiktiv“ anfallenden Kirchensteuer vom Arbeitslosengeld vorgenommen; der Betrag kam den Kirchen nicht zugute. Die Kritik sah darin eine „Verquickung von Staat und Kirche“, denn die „einbehaltene Kirchensteuer“ wurde als „gewöhnlich anfallender Entgeltabzug“ bezeichnet. Erst mit der Neuregelung von ALG II ab 1. Januar 2005 ist diese Regelung weggefallen. Zur Frage Rechtmäßigkeit dieser bis einschließlich 2004 geltenden Regelung ist noch ein Rechtsstreit beim Europäischen Gerichtshof anhängig.
Kritik aus kirchlich-theologischer Perspektive
Von kirchen-reformerischen Gruppen werden zusätzlich folgende Kritikpunkte u.a. angeführt:
- Der Steuer-Charakter dieser Kirchenfinanzquelle verschleiert, dass es sich bei ihr um den ganz persönlichen Mitgliedsbeitrag bei einer Glaubensgemeinschaft handelt.
- Der staatliche Einzug der Kirchensteuer, der auch die Möglichkeit der Zwangseintreibung einschließt, lässt die Kirchen als staatliche Einrichtungen erscheinen.
- Die Anbindung der Kirchensteuer an die Lohn- und Einkommensteuer lässt die Kirchensteuer teilhaben an den Ungerechtigkeiten und Verwerfungen dieser Steuerart. Des weiteren werden die Kirchen abhängig von der jeweiligen Wirtschafts-, Steuer- und Arbeitsmarktpolitik des Staates und den Tarifpartnern.
- Nur ungefähr 30 Prozent der Kirchenmitglieder tragen per Kirchensteuer zur Finanzierung der Kirchen bei.
- Das sogenannte „Kirchgeld in glaubensverschiedener Ehe“ ist eine echte Kirchensteuer. Sie wird von einigen katholischen Bistümern, wie in Nordrhein-Westfalen, nicht erhoben, weil eine größere Austrittswelle befürchtet wird.
- Der staatliche Kirchensteuereinzug begünstigt und verfestigt bestimmte Kirchenstrukturen: die Entmündigung der Gemeinden und die Etablierung und Wucherung der Kirchenbürokratie.
- Die Nichtzahlung von Kirchensteuern wird mit der härtesten Kirchenstrafe, der Exkommunikation, geahndet, obwohl dieses Delikt im Kirchlichen Gesetzbuch nicht existiert. Da jedoch ein Kirchenaustritt zur Vermeidung der Kirchensteuer nötig ist, handelt es sich nach dem Kirchenrecht um einen offenen Glaubensabfall.
- Die Verquickung von staatlich verpflichtender Steuerzahlung und individueller Kirchenmitgliedschaft führt dazu, dass die Kirchen dogmatisch falsche Aussagen verbreiten: Die Kirchen bezeichnen den standesamtlich oder amtsgerichtlich beurkundeten „staatlichen Kirchenaustritt“ ihrerseits auch als Kirchenaustritt. Einen Kirchenaustritt aber kennt die katholische Kirche nicht, auch nicht als Straftatbestand im Kirchlichen Gesetzbuch (CIC von 1983). Die durch die Taufe begonnene Kirchenmitgliedschaft ist nach katholischer Lehre unumkehrbar (Lehre vom unauslöschlichen Siegel). Dem entsprechend ist die Kennzeichnung „Wiedereintritt in die Kirche“ im Fall, dass per Eintrag auf der Lohnsteuerkarte wieder Kirchensteuer gezahlt wird, unzutreffend.
- Die Einrichtung der Kirchensteuerkappung stellt strukturell eine Option für die Reichen und Großverdiener dar.
Mit Hinweisen auf die stetigen großen Zuwächse des Kirchensteueraufkommens in den letzten 50 Jahren konnten die Kirchensteuerkirchen jegliche theologische Kritik an der Kirchensteuer abblocken und unterdrücken. Die Kirchentagsleitungen beider Konfessionen z.B. schlossen Diskussionen um die Kirchensteuer auf ihren Veranstaltungen kategorisch aus. Lediglich nach 1990 gab es in der Evangelischen Kirche in Deutschland kurzfristig eine nennenswerte Diskussion, angestoßen von den Landeskirchen im Bereich der früheren DDR. Auf Grund ihrer Geschichte in der DDR forderten sie eine größere Distanz zum Staat, was teilweise in die Forderung einmündete, die staatliche Kirchensteuer ganz abzuschaffen.
Die Kritik aus kirchlich-theologischer Perspektive wurde katholischerseits von einzelnen Theologen (H. Mynarek, Horst Herrmann, in neuerer Zeit Paul Zulehner) und von verschiedenen kirchen-kritischen Gruppen vorgetragen, dem „Bensberger Kreis“, dem „Verein zur Umwidmung von Kirchensteuern e. V.“, der „Initiative Kirche von unten“, Ikvu, dem „Arbeitskreis Halle“ und der „Kirchenvolksbewegung“ bzw. „Wir sind Kirche“.
Auf evangelischer Seite war es z.B. der „Bund gegen Kirchensteuermißbrauch e. V. Bremen“. Der Dietrich Bonhoeffer-Verein hat in den letzten Jahren einen Reformvorschlag erarbeitet („Kultursteuer und Sozialsteuer statt staatlicher Kirchensteuereinzug“), Karl Martin hat diesen Vorschlag in seiner Publikation „Abschied von der Kirchensteuer“ vorgestellt. Bereits 1972 hatte der Kirchenkritiker Horst Herrmann eine Alternative vorgestellt, die später z.B. in Italien und Spanien eingeführt wurde (mit Zustimmung des Vatikans), und gegenwärtig in weiteren europäischen Ländern diskutiert wird, die so genannte Mandatssteuer.
Siehe auch:
Literatur
- Gerhard Czermak: Kirchensteuerrecht in kritischer Sicht in: Kritische Justiz, 2006, S. 418;
- Evangelische Kirche im Rheinland: Handbuch Gemeinde & Presbyterium. Kirche und Finanzen; Düsseldorf: Medienverband der Evangelischen Kirche im Rheinland, 2005; ISBN 3-87645-106-X
- Frerk, Carsten: Finanzen und Vermögen der Kirchen in Deutschland; Aschaffenburg: Alibri-Verlag, 2002; ISBN 3-932710-39-8
- Frerk, Carsten: Caritas und Diakonie in Deutschland; Aschaffenburg: Alibri-Verlag, 2005; ISBN 3-865690-00-9
- Gatz, Erwin: Geschichte des kirchlichen Lebens; Bd.VI Kirchenfinanzen; Freiburg: Herder Verlag, 2000; ISBN 3-451-23668-0
- Herrmann, Horst: Kirche, Kapital, Klerus. Hintergründe einer deutschen Allianz; Münster: LIT, 2003; ISBN 3-8258-6862-1
- Herrmann, Horst: Die Kirche und unser Geld. Daten, Fakten, Hintergründe; Hamburg: Rasch und Röhring, 1990; ISBN 3-89136-301-X
- Herrmann, Horst: Kirchensteuer als Mandat? Eine Anfrage an Staat und Kirche; in: Stimmen der Zeit 97 (1972), S. 398-400
- 19. Subventionsbericht, Bundestagsdrucksache vom 1. Oktober 2003, S. 113 2003
- Literatur zur Kirchensteuer im Online-Katalog der Deutschen Bibliothek
- Messerer, Richard Boorberg Verlag GmbH & Co KG, 2007, Unternehmensteuerreform 2008, ISBN 978-3-415-03956-8
Weblinks
Geschichtliche Entwicklung
- Gerhard Hartmann: Artikel Kirchensteuer; in: Historisches Lexikon Bayerns
Zahlen und Fakten
- Gesetzestexte und Gerichtsurteile etc. zum Kirchenrecht betreut vom Institut für Kirchenrecht und Rheinische Kirchenrechtsgeschichte der Universität zu Köln
- EKD: Statistik mit Zahlen zu Kirchensteuer und kirchlichen Finanzen
- Erzbistum Köln Kirchensteuer-Website
- Informationsplattform zum Kirchensteuerrecht, u.a. mit allen Bestimmungen
Kritik an der Kirchensteuer
- Bund gegen Anpassung: Prozess gegen „fiktive“ Kirchensteuer vor dem Europäischen Gericht für Menschenrechte
- Verein zur Umwidmung von Kirchensteuern e.V., Kritik aus innerkirchlicher und staatskirchenrechtlicher Sicht