Liederkreis op. 39 (Schumann)
Robert Schumanns Liederkreis Op. 39 ist ein Zyklus aus zwölf Vertonungen von Gedichten Joseph von Eichendorffs für Singstimme und Klavier und erschien im Jahr 1840.
Schumann und Eichendorff


Insgesamt 21 Eichendorff-Gedichte sind der Nachwelt in Vertonungen von Robert Schumann erhalten und zwischen der Ästhetik der beiden Künstler lassen sich auch einige Parallelen ziehen: Beide verstanden es als Aufgabe des Künstlers, hinter und unter die Oberfläche der Dinge zu blicken und diese Perspektive an ihr Publikum weiterzugeben, wie Eichendorff es in seinem berühmten Gedicht Wünschelrute beschreibt. Schumann schätzte den 22 Jahre Älteren als Vertreter einer neuen Generation von Dichtern, durch deren Werke ein neuartiges Kunstlied erst ermöglicht wurde.
Die Faszination der Eichendorffschen Lyrik lag für den Komponisten sicher in ihrem einfachen und bildhaften Ausdruck, dessen starke Assoziationen sich durch die musikalische Ebene gut darstellen und auch verstärken ließen. So bezeichnete er den Zyklus in einem Brief an Clara auch als sein „aller Romantischstes.“ Im Gegenzug dazu äußerte Eichendorff 1847 bei einem Zusammentreffen in Wien Clara gegenüber, Schumanns Musik hätte seinen „Liedern erst Leben gegeben.“
Die Entstehung des Liederkreises op. 39
Das Jahr 1840 ging als sogenanntes „Liederjahr“ in die Biographie von Robert Schumann ein, in diesem Jahr komponierte er etwa die Hälfte seines gesamten Liedschaffens. Davor hatte er fast ausschließlich Klaviermusik verfasst: Als moderner „deutscher Geist“ hatte Schumann ja der absoluten Musik zunächst den Vorzug gegeben und die Vokalmusik „unter die Instrumentalmusik gesetzt und nie für eine große Kunst gehalten.“, wie er 1839 an den Geiger und Komponisten Hermann Hirschbach schrieb. Der Zusatz „Doch sagen Sie niemand davon.“ im selben Brief gibt jedoch Zeugnis von seinem Sinneswandel zu dieser Zeit. Zugleich aber konnte der Komponist nur durch die zuvor erfolgte Entwicklung seines Klavierstils (in dem er übrigens sehr wohl auch Programmmusik verfasste) zu einem gleichermaßen persönlichen Liedstil finden, der den schon erprobten ausdrucksstarken Klaviersatz mit klaren Gesangsmelodien verbindet.
Die Niederschrift des Liederkreises erfolgte zwischen 1. und 22. Mai 1840, zuvor war Schumann in Berlin einen Monat bei seiner Verlobten Clara zu Besuch gewesen und hatte ihr und Felix Mendelssohn Bartholdy einige der Vertonungen gezeigt. Die Einzellieder dürften also zum Teil noch vor April 1840 entstanden sein und wurden möglicherweise erst später von Schumann zu einem Zyklus zusammengefasst. Mendelssohn, dessen Liedschaffen für Schumann bestimmt auch Vorbildwirkung hatte, sang die Lieder selbst und wurde dabei von Clara am Klavier begleitet. Als er sieben Jahre später verstarb, griff Schumann die Melodie des zweiten Liedes, Intermezzo, im Klavierstück Erinnerung aus dem Album für die Jugend wieder auf. Dieses „Lied ohne Worte“ erhält dadurch in Verbindung mit der Aussage des Originaltextes eine besondere Bedeutung.
Der Aufbau des Zyklus
Auswahl der Gedichte
Alle Lieder des Zyklus, von denen die eine Hälfte aus Romanen wie Ahnung und Gegenwart und die andere aus der 1837 in Berlin erschienenen Lyrik-Gesamtausgabe stammen, finden sich in einem handgeschriebenen Heft mit Gedichten zur Komposition. Diese Sammlung wurde vor allem von Clara gepflegt und regelmäßig durch neue zur Vertonung geeignete Lyrik ergänzt, was ein Hinweis darauf sein kann, dass die Auswahl nicht durch Schumann selbst erfolgte, sondern auf seine Verlobte zurückgeht. Fast alle Themenbereiche des Eichendorffschen Schaffens sind vertreten, lediglich Studentenlieder und solche mit stark religiösem Inhalt fehlen.
An einigen Stellen finden sich Änderungen in den von Schumann vertonten Texten, die vielleicht auf Abschreibfehler zurückgehen, zum Teil aber auch absichtliche Retuschen sein könnten, um die Aussage eines Liedes in eine bestimmte Richtung zu verstärken.
Anordnung der Lieder
Die ursprüngliche Fassung des Zyklus wies noch eine andere Anordnung der Lieder auf, in der der düstere Charakter vorherrschte: Waldesgespräch – In der Fremde („Aus der Heimat“) – Mondnacht – Intermezzo – Schöne Fremde – In der Fremde („Ich hör’“) – Wehmut – Frühlingsnacht – Die Stille – Zwielicht – Im Walde – Auf einer Burg. Diese Auswahl könnte durch Schumanns damalige Lebenssituation begründet sein, in der seine Beziehung mit Clara von ihrem Vater missbilligt wurde. Der alte Ritter im Lied Auf einer Burg kann hier auch als Portrait des unerbittlichen Friedrich Wieck verstanden werden. Nachdem aber ein Gerichtsentscheid die Ehe der beiden für rechtens erklärt hatte, reihte der Komponist den Zyklus um: Er teilte die zwölf Lieder in zwei mal sechs, wobei er in die erste Hälfte hauptsächlich die positiven und in der zweiten die dunkleren Inhalte stellte. Am Ende beider Hälften positionierte er aber die beiden optimistischen Lieder Schöne Fremde und Frühlingsnacht. Die letzte Zeile des Liederkreises in dieser Anordnung, der triumphale Ausruf „Sie ist Deine, sie ist dein!“ macht den autobiographischen Zusammenhang deutlich.
Das Zusammenwirken von Tonarten, Taktarten, Tempi und ausgedrückten Emotionen in den einzelnen Liedern und im Gesamtzyklus ist in der folgenden Tabelle dargestellt:
Titel | Takt | Tempo | Tonart | |
---|---|---|---|---|
1. | In der Fremde | C | Nicht schnell | fis |
2. | Intermezzo | 2/4 | Langsam | A |
3. | Waldesgespräch | 3/4 | Ziemlich rasch | E |
4. | Die Stille | 6/8 | Nicht schnell | G |
5. | Mondnacht | 3/8 | Zart, heimlich | E |
6. | Schöne Fremde | C | Innig, bewegt | H |
7. | Auf einer Burg | C | Adagio | e/a |
8. | In der Fremde | 2/4 | Zart, heimlich | a |
9. | Wehmut | 3/4 | Sehr langsam | E |
10. | Zwielicht | C | Langsam | e |
11. | Im Walde | 6/8 | Ziemlich lebendig | A |
12. | Frühlingsnacht | 2/4 | Ziemlich rasch | Fis |
Musikalischer Überblick
(Anm: Die Aufteilung des Zyklus in zwei Teile geht nicht auf Schumann selbst zurück, wird aber allgemein angewandt und dient hier der größeren Übersichtlichkeit)
Erster Teil
Der Zyklus wird mit dem Lied In der Fremde eröffnet, das in Eichendorffs Erzählung Viel Lärmen um nichts zur Gitarre gesungen wird. Dieses Detail findet sich in Schumanns arpeggierter Klavierbegleitung wieder. Im zweiten Vers des Liedes, nach den Worten „Wie bald“ tritt im Klavier zum ersten die aufsteigende Quinte auf, die ein wichtiges wiederkehrendes Motiv des Liederkreises ist und stets positive Inhalte transportiert. Hier symbolisiert es Hoffnung, wenngleich es die Hoffnung auf den Tod ist.
Doch schon im nächsten Stück, dem Intermezzo, das in der Liebestonart A-Dur steht, folgt das Quintmotiv dem Wort „wunderselig“. Dieses zweite Lied basiert auf einem Gedicht, das Eichendorff 1810, wohl für seine Verlobte Luise von Larisch, verfasst hatte. Den wunderbaren, „auf Metaphern schwebenden“ Text setzt der Komponist mit ebenso schwebenden Synkopen in der Begleitung um.
Das darauf folgende Waldesgespräch steht in Dialogform, im Roman Ahnung und Gegenwart wird es auch als Wechselgespräch vorgetragen. Die beiden Personen werden von Schumann in zwei verschiedenen musikalischen Sphären dargestellt: Während die Worte des Reiter mit forschen punktierten Rhythmen und Hornquinten unterlegt sind, wird die Hexe Loreley zunächst mit harfenartigen Akkorden auf einem Orgelpunkt, später mit dramatischen alterierten Akkorden begleitet. Besonders in diesem Lied zeigt sich auch die Musikalität der Eichendorffschen Vorlage, wenn der Mann kurze, konsonantenreiche Worte, die Hexe aber solche mit langen und dunklen Vokale bevorzugt.
Das nächste Lied, Die Stille, ist zwar aus dem gleichen Roman wie das Waldesgespräch, führt jedoch in eine ganz andere Stimmung: Es handelt von unterdrückter, aber innerlich explodierender Liebe. So vertont Schumann es als glücklich wiegenden 6/8-Takt in G-dur, dämpft den Ausdruck aber durch die Vortragsbezeichnung Nicht schnell, immer sehr leise und durch die anfangs kurzen, gehauchten Noten der Singstimme. Erst bei den Worten „Ich wünscht', ich wäre ein Vöglein“ beginnt ein melodisch ausdrucksstarker Bogen, der jedoch kurz darauf wieder unterdrückt wird, indem Schumann die Vorlage verändert und die erste Strophe des Gedichts zum Schluss wieder aufnimmt.
Die Mondnacht ist wohl das bekannteste Lied des Zyklus und eine der populärsten Schöpfungen Schumanns überhaupt, weil Musik und Dichtung sich hier auf eine einzigartige Weise ergänzen: Der Text besticht durch betont schlichten, aber tiefe Assoziationen weckenden Ausdruck und führt gleich zu Beginn mit einem Konjunktiv in eine Art Traumsituation. Musikalisch wird diese Idee durch dominantische Akkorde, wie dem Nonenakkord gleich zu Beginn (Noten- und Hörbeispiel) und die pulsierende Wiederholung einzelner Töne oder Intervalle, die harmonisch umgedeutet werden, umgesetzt. Während die ersten vier Halbverse stets mit der gleichen Melodie gesungen werden, wird bei der Zeile „Und meine Seele spannte...“ harmonisch und melodisch ein neuer Weg eingeschlagen, was den Abflug der Seele hör- und spürbar macht.
Abgeschlossen wird der erste Teil des Liederkreises durch das Lied Schöne Fremde. Auch in diesem Gedicht treffen wir auf eine typische Eichendorffsche Nachtsituation, die zunächst unsicher und gefährlich erscheint, schließlich aber in einer Voraussage von „großem Glück“ gipfelt. Diese Klimax vertont Schumann, indem er die Harmonik zu Beginn eher diffus gestaltet und noch keine klare Tonika etabliert - erst am Ende des Liedes wird H-Dur als Grundtonart klar erkennbar. In dieser letzten Strophe wird auch die Quint, die zuvor eine wichtige Rolle gespielt hat, zur Sexte erweitert, die auch im Klaviernachspiel das wichtigste Intervall darstellt.
Zweiter Teil
Literatur
- Dietrich Fischer Dieskau. Robert Schumann. Das Vokalwerk. dtv, München 1985 ISBN 3423104236
- Reinhold Brinkmann. Schumann und Eichendorff: Studien zum Liederkreis opus 39. Ed. Text+Kritik, München 1997 ISBN 3883775223