Schwung (Schrift)

Mit dem Begriff Schwung (englisch: swash) werden in der Kalligrafie und Typografie bestimmte dekorative Verzierungen an Buchstaben bzw. Glyphen bezeichnet, die dem Schriftbild besondere Dynamik oder Eleganz verleihen sollen.
Allgemeines
Schwünge sind stets mit Buchstaben bzw. Glyphen verbundene Linien. Unverbundene dekorative Zierlinien werden nicht als Schwünge bezeichnet.[1] Grundsätzlich kann jeder Strich einer Glyphe zu einem Schwung verlängert, vergrößert oder sonst wie verändert werden: Auf- und Abstriche, Schäfte, Diagonalen, Querstriche, Schwänze. Außerdem können für Schwünge auch zusätzliche Striche hinzugefügt werden. Schwünge können auch zwei Buchstaben verbinden, wobei diese nicht notwendigerweise (wie in Schreibschriften oder in typografischen Ligaturen) benachbart sein müssen, sondern weit entfernt sein und sogar zu verschiedenen Wörtern oder Zeilen gehören können.
Bei Schwüngen überschreiten Buchstaben oft ihren gewöhnlichen Raum. In der Kalligrafie kann die Raumüberschreitung extrem sein. In der Typografie ist sie meistens gemäßigter, etwa indem eine Glyphe breiter wird oder eine Unterlänge erhält, die sie sonst nicht hat.
Schwünge gibt es insbesondere bei Großbuchstaben,[2] jedoch auch bei Kleinbuchstaben.
Schwünge in der Handschrift

Schwünge entstammen der Handschrift. Sie finden sich bereits sehr früh, etwa in der Unterschrift Pippins des Jüngeren (714–768).
In der Kalligrafie sind Schwünge Stilelemente, die der Schreiber nach gestalterischem Ermessen einsetzt oder unterlässt. Sie erfordern Übung und Geschick, um trotz schneller und schwungvoller Bewegung der Schreibfeder (oder eines anderen Schreibgeräts) die nötige Präzision zu erreichen.
Große Schwünge können sehr dominant sein und das gesamte Schriftbild beherrschen. Schwünge, die Raum einnehmen, erfordern, dass der Buchstabe in seiner Umgebung den nötigen freien Raum hat. Besonders oft finden sie sich deshalb in Überschriften, am Satzanfang, am Satzende, in der ersten Zeile eines Absatzes (nach oben) oder in der letzten Zeile eines Absatzes (nach unten). Auch in Unterschriften sind Schwünge sehr beliebt. Manche Unterschriften bestehen fast nur aus Schwüngen.
Schwünge gibt es in gebrochenen Handschriften (etwa der Bastarda und der deutschen Kurrentschrift) genauso wie in der lateinischen Schreibschrift. In der Kalligrafie begann dieses Stilmerkmal ab der Mitte des 17. Jahrhunderts auszuufern: die Schwünge wurden immer virtuoser und verselbständigten sich nicht selten zu opulenten Federspielen[3].
Schwünge in spiraligen oder anderweitig komplexen Formen werden im Deutschen auch Schnörkel genannt (das Wort bedeutet „Schnecke“). Die Verwendung von Schnörkeln gilt zum einen als kunstvoll, zum andern ist sie aber auch negativ konnotiert und wird dann als „Schnörkelei“ bezeichnet. Das Adjektiv „schnörkellos“ beschreibt metaphorisch die Beschränkung auf das Wesentliche.
Schwünge in der Typografie


Von der Handschrift fanden Schwünge auch ihren Weg in die Typografie. In Satzschriften sind Schwünge spätestens seit dem 16. Jahrhundert belegt. Man findet sie beispielsweise in Ludovico Vicentino degli Arrighis La Operina aus dem Jahr 1522.[4] Arrighis Stil beeinflusste Schriftschneider in Italien und insbesondere in Frankreich.[5]
In der frühen Typografie wurden große Schwünge manchmal nach dem Druck von Hand ergänzt, um dem Buch noch stärker das Aussehen einer wertvollen Handschrift zu geben, etwa im Theuerdank (1517).
Ansonsten wurden von den Schriftschneidern eigene Schriftschnitte für Schwungbuchstaben[6] (auch Zierbuchstaben)[7] (englisch: swash letters) angefertigt, die gegenüber ihrer gewöhnlichen Form ein oder mehrere der folgenden Veränderungsmerkmale aufweisen:
- Striche werden vergrößert oder verlängert ausgeführt,
- es werden zusätzliche Zierstriche hinzugefügt, die an Serifen ansetzen,
- Striche der Glyphe werden kurviger und schreibschriftähnlicher ausgeführt, wobei dabei Serifen entfallen können.
Diese Art von Schwungbuchstaben werden auch heute in Zeiten der digitalen Typografie verwendet. Grundsätzlich ist der Schriftsetzer bei Schwungbuchstaben weitaus weniger flexibel als der Kalligraf. Man verwendet diese Schwungbuchstaben nur für Anfangs- und Endbuchstaben von Wörtern oder Sätzen, niemals im Wortinneren, das wäre ein Stilfehler.[8]
Während Schwungbuchstaben besondere Varianten sind, können außerdem auch die gewöhnlichen Versionen von Buchstaben einer Schriftart Schwungformen aufweisen, etwa einen kurvigen, weit nach rechts unten ausladenden „Schwanz“ beim Q. Weit verbreitet sind auch Schwungformen in den Versalien gebrochener Schriften oder Schreibschriften.
Schriftarten (Beispiele)
Serifenschriften
Schwünge findet man oft in Serifenschriften. Innerhalb einer Schriftfamilie gibt es sie meistens nur als Varianten für den Kursivschnitt, seltener auch für den nichtkursiven Normalschnitt. Bei OpenType-Fonts kann man Schwünge per Menüsteuerung aktivieren.[8]
Schriften mit Schwungvarianten gibt es beispielsweise:
- in der Klasse französische Renaissance-Antiqua:
- in der Klasse Barock-Antiqua:
- Varianten der Caslon
- Baskerville (Baskervilles Originalschrift enthielt Schwünge beim J, N, Q und T. Einige Nachschnitte haben diese entfernt, während andere Nachschnitte weitere Schwünge hinzugefügt haben. Mrs Eaves hat eine besonders große Anzahl.[9])
- in der Klasse klassizistische Antiqua:
Gebrochene Schriften

In gebrochenen Schriften sind Schwünge vor allem bei Großbuchstaben ein beliebtes Zierelement. Sie finden sich in den Standardformen der Versalien. Zum Beispiel ist ein bestimmter Schwung namens „Elefantenrüssel“ ein typisches Zierelement in der Frakturschrift.
Groteskschriften
Bei den serifenlosen Schriften sind Schwungbuchstaben seltener. Beispiele sind:
- Semplicità (um 1928)
- Tempo (1930)
- Helvetica Flair (ein besonders heftig kritisierter Entwurf, der die sehr nüchterne Helvetica mit pompösen Schwüngen im Stil der 1970er Jahre kombinierte, ein Aufeinanderprallen konträrer Elemente)
- Mr Eaves, eine serifenlose Variante der Mrs Eaves
Schreibschriften

In typografischen Schreibschriften sind Schwünge oft zu finden. In kalligrafisch inspirierten Schreibschriften haben die Großbuchstaben bereits oft im regulären Schnitt die Form von Schwungbuchstaben. Das ist deshalb gut möglich, weil die Auszeichnungsform Versalschrift selten in Verbindung mit Schreibschriften verwendet wird und deshalb die Großbuchstaben im Regelfall nur am Wortanfang stehen. Darüber hinaus gibt es auch typografische Schreibschriften mit speziellen Schwungbuchstaben. Beispiele dafür sind die Zapf Chancery und Zapfino von Hermann Zapf.
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Edwardian Script ITC
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Letraset Gravura
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Monotype Corsiva
Schwünge in Logos

Schwünge werden auch in den Schriftzügen von Logos verwendet. Dabei kann der Grafiker die Grenzen des Schriftsetzers überschreiten und sich frei an kalligrafischen Schwungmöglichkeiten orientieren. Beliebt sind Schwünge bei Anfangs- und Endbuchstaben, sowie bei beliebigen Buchstaben (auch im Wortinneren), die eine Ober- oder Unterlänge besitzen. Sie eignen sich gut, um leeren Raum zu füllen oder den Markennamen zu unter- oder überstreichen. Sie können Dynamik, Verspieltheit oder Eleganz vermitteln.
Das wahrscheinlich weltweit bekannteste Beispiel ist das Logo von Coca-Cola, das in den beiden Buchstaben C jeweils einen markanten Schwung enthält.
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Chaturbate
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Los Angeles Dodgers
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Graeter's Ice Cream
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Hart, aber herzlich
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New England Patriots
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Queen Anne’s
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UCLA Bruins
Literatur
- Dan X. Solo: Swash Letter Alphabets: 100 Complete Fonts. Courier Corporation, 1996, ISBN 978-0-486-29332-5 (books.google.de).
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ Daniel Palacios: Tips for Adding Ligatures and Swashes to Your Lettering. In: highpulp.com. 2016, abgerufen am 17. Juli 2020 (amerikanisches Englisch).
- ↑ Gavin Ambrose, Paul Harris: The Fundamentals of Typography. Bloomsbury Publishing, 2006, ISBN 978-2-940439-97-3, S. 96 (books.google.de).
- ↑ Lucas Materot: Les œvre. Avignon 1608. (Im digitalen Angebot der Bibliothèque nationale de France, département Réserve des livres rares)
- ↑ Adobe Type Library Reference Book. 3. Auflage. Adobe Systems, 2007 (google.co.uk).
- ↑ Alexander Lawson: Anatomy of a Typeface. David R. Godine, 1990, ISBN 978-0-87923-333-4, S. 91 (google.co.uk).
- ↑ Schwungbuchstaben. In: typografie.info. Typografie.info, abgerufen am 17. Juli 2020 (deutsch).
- ↑ Ulrike Seeberger: Routledge German Dictionary of Information Technology. Psychology Press, 1996, ISBN 978-0-415-08646-2, S. 205 (books.google.de).
- ↑ a b Schwungbuchstaben. In: typografie.info. Typografie.info, abgerufen am 16. Juli 2020 (deutsch).
- ↑ Andrew Wolson: Baskerville. In: Font Slate. Abgerufen am 1. September 2014.