Barfüßerkloster (Frankfurt am Main)
Das Barfüßerkloster, ein Franziskanerkloster in Frankfurt am Main, bestand seit den 1230er-Jahren bis zur Reformation. Der Frankfurter Konvent des Franziskanerordens (ordo fratrum minorum, „Orden der Minderbrüder“, auch Barfüßer, Discalceaten („Unbeschuhte“) oder Minoriten genannt) gehörte zur Oberdeutschen (Straßburger) Ordensprovinz, der Provincia Argentina.
Nach Aufhebung des Klosters um die Mitte des 16. Jahrhunderts im Zuge der Reformation wurde die Klosterkirche, die gotische Barfüßerkirche, zur evangelischen Hauptkirche Frankfurts. 1786/87 wurde sie wegen Baufälligkeit abgerissen und ab 1789 durch einen klassizistischen Neubau ersetzt, der seit seiner Einweihung 1833 nach dem Apostel Paulus den Namen Paulskirche trägt. Die Paulskirche war 1848/49 der erste Sitz der Frankfurter Nationalversammlung und wird heute als Ausstellungs-, Gedenk- und Versammlungsort genutzt.
Geschichte des Klosters
Gründung, Aufgaben und Entwicklung
1270 wurde das Frankfurter Barfüßer- oder Franziskanerkloster erstmals urkundlich erwähnt. Möglicherweise war es jedoch bereits einige Jahrzehnte älter. Der Frankfurter Patrizier Achilles Augustus von Lersner berichtete in seiner 1706 erschienenen Chronik, dass die Barfüßerkirche bereits 1238 bestanden haben müsse, wie aus einer (nicht erhaltenen) Grabinschrift des Stifters Henrich Knoblauch an der Kirche hervorginge.[1] Die Angabe erscheint plausibel, da ab 1221 zahlreiche Niederlassungen des 1210 gegründeten Franziskanerordens in allen wichtigen deutschen Städten entstanden. 1255 beglaubigte der Franziskaner-Guardian von Frankfurt zusammen mit dem Prior des Dominikanerklosters eine Urkunde.[2] Allerdings stammten die von Lersner erwähnten Denkmäler vermutlich erst aus dem 15. Jahrhundert.[3]
1293 tagte das Provinzkapitel der Straßburger Ordensprovinz Argentina in Frankfurt, so dass das Kloster bereits eine gewisse Größe gehabt haben muss.
Die Barfüßer übernahmen zahlreiche seelsorgerliche Aufgaben in Frankfurt, dessen Bevölkerung im 13. Jahrhundert rasch anwuchs. Die Pfarreirechte für die gesamte Stadtbevölkerung lagen jedoch weiterhin ausschließlich beim kaiserlichen Stift St. Bartholomäus. Die Ordensbrüder hatten in der Bürgerschaft ein hohes Ansehen, und ihnen wurden wiederholt Stiftungen und Vermächtnisse zugewandt. Da viele Bürger bei den Franziskanern beerdigt werden wollten, kam es zu Beginn des 14. Jahrhunderts – wie auch in anderen Städten – zu einem Konflikt der Bettelorden mit den Diözesanpriestern, die ihre Rechte und Einkünfte dadurch geschmälert sahen; Pfarrer Siegfried wandte sich sogar mehrfach an den Papst. Die Franziskaner und Dominikaner behielten zwar das Recht zu beerdigen, mussten aber einen Anteil der Vergütung an den Pfarrer abtreten.[4]
1314 löste die Wahl Ludwigs IV. zum König einen Konflikt mit dem Papst aus, in dessen Verlauf die Stadt Frankfurt zeitweise mit dem Interdikt belegt wurde. Während dieser Zeit spaltete sich auch der Frankfurter Klerus in Kaiserliche und Päpstliche. Der Historiker Johann Georg Battonn berichtete in seiner Oertlichen Beschreibung der Stadt Frankfurt am Main (1866), dass das Kloster zwischen dem 3. September 1330 und dem 30. Oktober 1350 geschlossen war[5]; trotzdem fanden auch während des Interdikts zumindest vereinzelt Gottesdienste statt, die wohl von kaisertreuen Ordensbrüdern gehalten wurden. König Ludwig dankte 1339 dem Rat der Stadt dafür, dass die Franziskaner – namentlich Guardian Niclaus – weiter Gottesdienst hielten. 1350 bekam der Frankfurter Lektor Hertwig von Babenhausen den Auftrag, den Dekan, den Pfarrer und andere Geistliche der Bartholomäusgemeinde von den Kirchenstrafen loszusprechen, die sie sich durch ihre Parteinahme für den König zugezogen hatten.[6]
Beim Magdalenenhochwasser am 22. Juli 1342 stand das Wasser des Main vier Fuß hoch in der Kirche. Im April 1352 zerstörte ein Feuer das Refektorium und die Klosterzellen der Franziskaner, während die Kirche nicht betroffen war. Bereits 1354 konnte jedoch wieder ein Provinzkapitel der Provincia Argentina in Frankfurt tagen, was auf einen schnellen Wiederaufbau des Klosters hindeutet. Wie viele Brüder des Frankfurter Konvents bei der Pestwelle zur selben Zeit starben, ist nicht überliefert; die Straßburger Franziskanerprovinz verlor jedoch durch die Seuche 800 ihrer 1200 Brüder.[7]
Im 14. und 15. Jahrhundert zeigte das Franziskanerkloster eine besondere Nähe zum Rat der Stadt. Die Kirche und die anderen Einrichtungen des Klosters standen den Bürgern bereitwillig zur Verfügung, wenn die Stadt – zum Beispiel während der Messen oder bei der Kaiserwahl – von Fremden überfüllt war. Auch als Rathaus dienten die Klosteranlagen zeitweise, bis der Rat 1405 mit dem Römer ein genügend großes Rathaus ankaufte.
1454 predigte in Frankfurt der italienische Franziskaner Johannes Capistranus und rief zum Kreuzzug gegen die Türken auf.[8] Der Armutsstreit im Franziskanerorden wirkte sich im Frankfurter Kloster im 15. Jahrhundert aus. Im Gegensatz zur Ordensregel des heiligen Franziskus sammelten die Brüder im Laufe der Zeit erhebliche Besitztümer an. Auf Anweisung von Papst Paul II. reformierte Erzbischof Adolf die Klöster der Mendikanten im Bistum Mainz und so auch die Frankfurter Klöster. Die Franziskaner erklärten sich 1469 bereit, die Martinianischen Statuten mit ihrer gemäßigten Auslegung des Armutsgelübdes für ihren Konvent einzuführen, um so eine Übernahme des Klosters durch die Brüder der strengen Observanz zu verhindern. Nach diesen Statuten war den einzelnen Brüdern und dem Konvent insgesamt der Besitz von Eigentum zwar nicht erlaubt, so dass alles Klostereigentum dem Stadtrat von Frankfurt übergeben und von diesem verwaltet wurde; die Erträge kamen aber weiterhin dem Kloster zugute. Es zeigte sich jedoch, dass nicht alle Brüder willens oder in der Lage waren, im Sinne der Reform zu leben, so dass die Ordensprovinz wiederholt bis in das 16. Jahrhundert hinein auf die Bitte des Rates hin neue Brüder „zur Erhaltung seines guten Wesens“ ins dortige Kloster schickte, was zu Spannungen innerhalb des Konvents führte. Der Stadtrat war an guten Predigern und gebildeten Brüdern interessiert, die einen regen Zulauf von Zuhörern für die Barfüßerkirche brachten; 1498 erbat der Rat in einem Schreiben an das Provinzkapitel in Hagenau einen guten Nachfolger für den verstorbenen Guardian Peter Fischer.[9]
In dieser Zeit lebten im Frankfurter Barfüßerkloster stets nicht mehr als ungefähr zehn Ordensmänner. Unter den Mitgliedern des Frankfurter Konvents ist Thomas Murner besonders hervorzuheben, der von 1510 bis 1513 dort Lektor war; er war Dichter, Satiriker und Humanist und trat in der frühen Reformationszeit als Kontroverstheologe auf. Leonhard Mertz, auch Magister Leonhardus genannt, der 1470 zum Guardian des Barfüßerkonvents gewählt wurde, war einer der bedeutendsten Orgelbauer seiner Zeit und schuf auch in Frankfurt nachweislich mehrere Instrumente, so für St. Bartholomäus, die Liebfrauenkirche und die Weißfrauenkirche.
Als der Franziskanerorden 1517 von Papst Leo X. in die (strengeren) Franziskaner und die (in der Armutsfrage sehr gemäßigten) Minoriten oder Konventualen geteilt wurde, kam der Frankfurter Konvent zum Minoritenorden und gehörte zur Straßburger Minoritenprovinz.
Reformation und Aufhebung des Klosters
1522 hielt der Marburger Franziskaner Hartmann Ibach in der Katharinenkirche die erste reformatorische Predigt in Frankfurt. Nach dem Frankfurter Zunftaufstand im April 1525 begann sich die Reformation in der Frankfurter Bürgerschaft durchzusetzen. Die bevorstehende Klosterschließung kündigte sich durch eine Inventarisierung des Klosters an, die eine Ratskommission unter Führung des Gerichtsschreibers Johann Eichart am 24. April 1525 vornahm.[10] Der katholische Stadtpfarrer Peter Meyer verließ die Stadt, an seiner Stelle berief der Rat die beiden evangelischen Prädikanten Dionysius Melander und Johann Bernhard gegen den Widerstand des Mainzer Erzbischofs Albrecht von Brandenburg. Den von ihm ernannten neuen Stadtpfarrer Friedrich Nausea pfiffen die Bürger bei seiner Antrittspredigt am 26. Februar 1526 in der Bartholomäuskirche aus; am selben Tag hielt Melander die erste evangelische Predigt in der Barfüßerkirche.[11] Der Erzbischof forderte daraufhin den Rat ultimativ auf, die Reformation zu unterdrücken und drohte mit dem Entzug der Messeprivilegien. Um den Konflikt zu beruhigen, ordnete der Rat an, in der Bartholomäuskirche und der Barfüßerkirche nur im Kirchenschiff nach der evangelischen Lehre und in deutscher Sprache zu predigen, während der Chor weiterhin der katholischen Messe in Latein vorbehalten bleiben sollte. Am 18. März 1528, dem Sonntag Reminiscere, wurde das Abendmahl erstmals unter beiderlei Gestalten gereicht.[12]
Am 3. Juni 1529 wandten sich sechs der verbliebenen acht Mitglieder des Franziskanerkonvents mit einer Bittschrift an den Rat. Darin baten sie um die Übernahme des Klosters durch den Rat und die Aussetzung einer Leibrente für den Unterhalt der Ordensbrüder. In ihrer Begründung sprachen sie vom Ordensleben als „Blindheit“ und baten um Erlösung „aus diesem Babylonischen Gefängnis und aus dem, Schlund und Rachen des höllischen Feindes“. Auf Einwendungen der Nachfahren von Stiftern (etwa aus dem Patriziergeschlecht Knoblauch) zur Zweckentfremdung der Stiftungsgelder und -ziele erklärten sie, „das Geld der Knoblauche und anderer sei längst durch die vielen Seelenmessen usw., die dafür gehalten wurden, abverdient“, und sie fühlten sich vom Evangelium angetrieben, das Kloster nun „zum allgemeinen Nutzen der Obrigkeit zu übergeben“.[13] Eine Kommission des Rats unter Hamman von Holzhausen verhandelte mit den Bittstellern. Am 9. Juni 1529 wurde das Kloster an die Stadt übergeben. Bald danach heirateten mehrere der ehemaligen Franziskaner. Ihr letzter Guardian Peter Pfeiffer, genannt Comberger, hatte als führender Kopf des Konventes die Annäherung an den neuen Glauben betrieben. Er predigte am 12. Juli 1529 in weltlicher Kleidung und widerrief öffentlich seinen alten Glauben. Bald danach wurde er vom Rat als dritter evangelischer Prediger eingestellt. Er erhielt allerdings wegen seiner ungenügenden theologischen Kenntnisse nur 40 Gulden Jahresgehalt aus der Stadtkasse, während die beiden anderen 100 Gulden bekamen.[14]
Ein siebtes Mitglied des Konventes, Jakob von Kelsterbach, gab nachträglich seine Zustimmung zu der Übergabe. Der achte, Bruder Werner Sartoris, protestierte jedoch gegen den Vertrag und wies darauf hin, dass die sechs keineswegs die rechtmäßigen Inhaber des Klosters seien, sondern dass dieses der Straßburger Ordensprovinz zugehörig sei und nicht ohne deren Zustimmung und die Genehmigung der Ordensleitung in Rom sowie des Heiligen Stuhls veräußert werden könne. Auch der Erzbischof von Mainz legte Protest ein. Dies hinderte die Stadt Frankfurt jedoch nicht, die Klostergebäude zu säkularisieren und zu nutzen.
Die Barfüßerkirche wurde zu einer evangelischen Kirche. In den Klostergebäuden wurden 1530 im westlichen Innenhof der Allgemeine Almosenkasten, das Kastenamt und die Stadtbibliothek untergebracht. Zu Messezeiten konnten die Räume von Händlern gemietet werden, während der Rat dem Buchdrucker Christian Egenolff sein Gesuch abschlug, seine Werkstatt in das Kloster Zu verlegen.
1542 belegte die städtische Lateinschule weitere Räume des ehemaligen Klosters, wo sie bis zu deren Abriss 1839 blieb.[15]
Nach der „vorläufigen Suspendierung“ der katholischen Messfeier durch den Rat (23. April 1533) fanden in Frankfurt bis auf weiteres keine katholischen Gottesdienste mehr statt. Als größte und bedeutendste Kirche blieb die Bartholomäuskirche das Zentrum des evangelischen kirchlichen Lebens, zumal der Rat die bisherige kirchliche Verfassung der Stadt unangetastet ließ. Alle Bürger der Stadt gehörten weiterhin zu einer Pfarrei, wie schon seit dem Mittelalter.
Nach dem Schmalkaldischen Krieg sah sich der Rat gezwungen, das Augsburger Interim anzunehmen, um die wichtigen Privilegien der Stadt, vor allem die Messe und die Kaiserwahl, zu sichern. Er gab am 14. Oktober 1548 sechs katholische Stifts- und Ordenskirchen, darunter auch St. Bartholomäus, an ihre Orden bzw. Stiftsgeistlichen zurück. Den evangelischen Christen der Stadt, inzwischen rund 98 % der Bürgerschaft, blieben die Barfüßer-, Katharinen-, Weißfrauen-, Peters-, Dreikönigskirche und die Kirche des Hospitals zum Heiligen Geist.
Der Provinzial der Straßburger Minoritenprovinz, Heinrich Stollysen, verlangte das Barfüßerkloster für seine Ordensprovinz zurück. Der Rat lud ihn zu einem Gespräch nach Frankfurt ein, das am 15. Oktober 1550 stattfand und in dem sich der Rat dem Ansinnen verweigerte; der frühere Franziskaner Peter Komberg beriet die Ratsherren und nannte als Argumente die Armut der Brüder und ihr seinerzeitiges Unvermögen, das Kloster ordentlich zu führen. Der Provinzial erklärte daraufhin am 21. November 1550, er werde den Rechtsweg einschlagen. Die Stadt Frankfurt beauftragte nun die Anwälte Johann Fichard und Lucas Landsrass, in Augsburg mit dem päpstlichen Nuntius Sebastian Pighinus zu verhandeln. Dieser bestätigte die Übergabeurkunde des Klosters an die Stadt unter der Bedingung, dass die Stadt den baulichen Zustand der Kirche erhalte und dass an Sonn- und Feiertagen eine heilige Messe gelesen werde. Da die Stadt mit Rücksicht auf zu erwartenden Widerstand der evangelischen Bürger die Auflage, das Messelesen sicherzustellen, nicht erfüllte, erhielt die Bestätigung des Nuntius faktisch keine Rechtskraft. Der Augsburger Religionsfrieden von 1555 sicherte jedoch dann den status quo und ließ die fehlende rechtliche Bestätigung in Vergessenheit geraten. Kloster und Kirche blieben für die Ordensprovinz und die Katholiken verloren.[16]
Die Barfüßerkirche und die Klostergebäude
Kloster und Klosterkirche
Architektonisch entsprach die Klosterkirche des Barfüßerklosters dem Typ einer zunächst einschiffigen, ab 1350 zweischiffigen Bettelordenskirche im gotischen Stil, die geostet war; um das Jahr 1300 erhielt sie vermutlich den ersten Dachreiter mit einer kleinen Glocke statt eines Kirchturms. Die Konventsgebäude waren südlich an die Kirche angebaut und umschlossen wahrscheinlich zunächst einen Innenhof, im Lauf der Baugeschichte zwei Innenhöfe.
Kirche und Kloster lagen am vicus dividens, der „teilenden Straße“, wo die Altstadt in eine östliche („Oberstadt“) und eine westliche („Unterstadt“) geteilt war; der vicus wurde seit dem 14. Jahrhundert volkstümlich Neue Kräme genannt. Die Gasse zwischen Neuer Kräme im Osten und dem Barfüßerplätzchen vor der Kirche, entlang ihrer Nordseite, hieß Barfüßergasse (vicus minorum oder vicus fratrum minorum, „Minderbrüdergasse“). Sie knickte an der Nordwestseite der Kirche nach Süden ab und lief dann weiter in westlicher Richtung zum Kornmarkt. Die kleine Gasse, die von Norden von der Großen Sandgasse zum Barfüßerplätzchen verlief, hieß Barfüßergäßchen.
Noch im 15. Jahrhundert begann eine großzügige Erneuerung des Klosters. Die Franziskaner erhielten hierfür Stiftungen und Spenden aus der Bevölkerung, und sie verkauften mehrere Liegenschaften. Wiederholt musste der Stadtrat die Brüder darin unterstützen, säumige Zahler zu ermahnen. 1482 erwirkten sie von Papst Sixtus IV. die Genehmigung zur Vergrößerung des Klosters, die dieser in einer Bulle gewährte: indulget fratribus Minoribus conventus Francofordiae, ut possint alienare quamdam petiam terrae „er gewährt den Minderbrüdern des Konvents in Frankfurt, dass sie ein Stück Land weggeben können“. 1477 hatte der Papst, der selber aus dem Franziskanerorden stammte, den Frankfurter Brüdern einen Ablass gewährt, mit dem sie leichter Almosen erreichen konnten.[17] 1478 errichtete oder erneuerte man den Kreuzgang, ab 1485 wurde die Kirche – vor allem der Lettner und die Gewölbe – ausgebaut, aus dem Jahr 1489 stammt die Kanzel. 1491 gab der Stadtrat die Genehmigung zum Bau einer unterirdischen Entwässerung in den Stadtgraben. 1500 bis 1510 wurde der Chor und darauf ein Dachreiter neu gebaut. Kurz vor der Vollendung des Chors stürzte das neuerrichtete Gewölbe im Frühjahr 1510 ein, wobei aber niemand verletzt oder getötet wurde. Baumeister Arnold Hirt floh, und die Brüder beauftragten Hans von Bingen mit der Fertigstellung. Der Schaden wurde rasch behoben und der Neubau bis Ende 1510 fertiggestellt. Wegen des Baus gab es Konflikte und Grenzstreitigkeiten mit den Nachbarn.[18]
Das Kloster genoss nach den Reformbestrebungen im 15. Jahrhundert wieder höheres Ansehen bei der Bürgerschaft und erlebte die Bestattung angesehener Bürger; so stiftete Ort zum Jungen 1477 ein Erbbegräbnis für seine Familie in der Kapelle Unserer Lieben Frau in der Barfüßerkirche, wofür ihn die Franziskaner in ihre Bruderschaft aufnahmen; seine Frau Katharina von Heringen wurde 1486 dort beigesetzt, er selber 1519.[19] Mehrfach nahmen verfolgte Straftäter das Asylrecht des Klosters in Anspruch.[20]
Wann die erste Orgel in der Barfüßerkirche entstand, ist nicht bekannt. Bereits seit dem 14. Jahrhundert waren stets ein oder mehrere Orgelbauer in Frankfurt ansässig. 1466 werden zwei Orgeln in der Barfüßerkirche erwähnt;[21] es kann vermutet werden, dass zumindest eine davon damals schon länger bestand. Die zweite stammte wahrscheinlich von dem Frankfurter Orgelbauer und Franziskaner Leonhard Mertz.
Evangelische Hauptkirche Frankfurts

Die Barfüßerkirche wurde im Lauf der 1520er-Jahre evangelisch. Nachdem die größere Bartholomäuskirche und andere Kirchen ab 1548 wieder katholisch geworden war, wurde die Barfüßerkirche als größte der Frankfurter evangelischen Kirchen jetzt zur Hauptkirche. 1599 bis 1604 wurde eine neue Orgel mit 10 Registern von den Brüdern Grorock eingebaut. Damals hatte es schon lange keinen Organisten mehr an der Kirche gegeben, so dass vermutlich keine der älteren Orgeln mehr in Gebrauch gewesen war. Das neue, von dem Maler Philipp Uffenbach ausgeschmückte, Werk kostete 1000 Gulden und galt als ein herrlich gut Werk.[22] Auf dem Holzschnitt von 1653 sieht man es auf der rechten Seite als „Schwalbennestorgel“ an der südlichen Langhauswand in Höhe der Empore. Die Grorock-Orgel bestand über 100 Jahre und wurde immer wieder erneuert, so etwa 1624 durch Nikolaus Grünwald aus Nürnberg und 1671.
Ebenfalls wurde zwischen 1599 und 1604 eine Empore für die Männer im Seitenschiff eingebaut. Mit der auf diese Weise vergrößerten Kapazität genügte die Kirche lange Zeit den Anforderungen der Bürgerschaft. Die zwölf evangelischen Geistlichen der Stadt bildeten das evangelische Predigerministerium, dessen Vorsitzender, der Senior, zugleich erster Prediger der Barfüßerkirche war. Nach der Lersnerschen Chronik fanden neben den täglichen Gottesdiensten (werktags einmal, sonn- und feiertags zweimal, darunter einmal mit Abendmahlsfeier) in der Barfüßerkirche montags und dienstags auch Trauungen sowie sonntags, dienstags und donnerstags nachmittags Taufen statt.

1669 machten Risse im Gewölbe eine umfangreiche Innen- und Außenrenovierung des Kirchengebäudes erforderlich. Auch die Innenausstattung wurde ergänzt, so dass sich ihr Stil allmählich von der Gotik zum Barock veränderte. 1671 erhielt die Kirche eine neue Kanzel, einen neuen Altar und eine zweite Empore mit einer weiteren Orgel. Im Sommer 1685 wurde schließlich das alte, kleine Türmchen abgebrochen und ein größerer Dachreiter aufgesetzt, in dem drei Glocken Platz fanden, die von dem Glockengießer Benedict Schneidewind geliefert wurden. Die große Glocke wurde 1830 als „Barfüßerglocke“ in das neue Geläut der Paulskirche integriert.
1736 bis 1740 ließ der Rat die Kirche nochmals aufwändig renovieren. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts machte sich jedoch allmählich die Baufälligkeit der alten Barfüßerkirche bemerkbar. Vor allem nahm man aber zunehmend Anstoß an der beengten Lage der Kirche.[23] Am 21. Februar 1782 fand der letzte Gottesdienst in der Barfüßerkirche statt. Weil sich Risse im Gewölbe zeigten, verfügte der Rat die Schließung der Kirche. Im August 1786 begann ihr Abbruch, der Anfang 1787 abgeschlossen war.
Das Nachfolgerbauwerk: Die Frankfurter Paulskirche
1789 begann der Neubau einer Kirche an der Stelle der alten. Sie wurde Anfang des 19. Jahrhunderts fertiggestellt und 1833 vom lutherischen Konsistorium der Stadt, nach dem Apostel Paulus, dem Apostel des sola fide, benannt. Die Paulskirche war dann 1848/49 Sitz des ersten gesamtdeutschen Parlaments.
Literatur
- Roman Fischer (Hrsg.): Von der Barfüßerkirche zur Paulskirche Studien zur Frankfurter Geschichte. Bd. 44. Verlag Waldemar Kramer, Frankfurt am Main 2000. ISBN 3-7829-0502-4
- Frankfurter Historische Kommission (Hrsg.): Frankfurt am Main – Die Geschichte der Stadt in neun Beiträgen. (= Veröffentlichungen der Frankfurter Historischen Kommission. Band XVII). Jan Thorbecke, Sigmaringen 1991, ISBN 3-7995-4158-6.
- Sigfrid Grän: Frankfurt am Main. Franziskaner-Konventualen. In: Alemania Franciscana Antiqua. Ehemalige franziskanische Männer- und Frauenklöster im Bereich der Oberdeutschen oder Straßburger Franziskaner-Provinz. Band VI, Komm.-Verlag August Späth, Ulm 1960, S. 120–179.
Weblinks
- Barfüßerkloster Frankfurt. Klöster und Orden (Stand: LAGIS: Fehlerhaftes datum=>>22. Januar 2019<<). In: Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen (LAGIS). Hessisches Institut für Landesgeschichte, abgerufen am 3. April 2019.
Einzelnachweise
- ↑ Achilles August von Lersner, Florian Gebhard: Der weit-berühmten Freyen Reichs-, Wahl- und Handels-Stadt Franckfurt am Mayn Chronica […]. Zweites Buch, Kap. XVII, S. 60, Franckfurt am Mayn 1706 (online, PDF 27507 kB)
- ↑ Sigfrid Grän: Frankfurt am Main. Franziskaner-Konventualen. In: Alemania Franciscana Antiqua. Band VI, Ulm 1960, S. 120–179, hier S. 122.
- ↑ Carl Wolff, Rudolf Jung: Die Baudenkmäler in Frankfurt am Main. Bd. I. Kirchenbauten. Frankfurt am Main 1896, S. 274f. (online, PDF 50273 kB)
- ↑ Sigfrid Grän: Frankfurt am Main. Franziskaner-Konventualen. In: Alemania Franciscana Antiqua. Band VI, Ulm 1960, S. 120–179, hier S. 123f.
- ↑ Johann Georg Battonn, Ludwig Heinrich Euler: Oertliche Beschreibung der Stadt Frankfurt am Main: Band 4 – Die Beschreibung der Altstadt und zwar des letzten Theils der Oberstadt und des Anfangs der Niederstadt, Frankfurt am Main 1866, S. 302 (Digitalisat)
- ↑ Sigfrid Grän: Frankfurt am Main. Franziskaner-Konventualen. In: Alemania Franciscana Antiqua. Band VI, Ulm 1960, S. 120–179, hier S. 126.
- ↑ Sigfrid Grän: Frankfurt am Main. Franziskaner-Konventualen. In: Alemania Franciscana Antiqua. Band VI, Ulm 1960, S. 120–179, hier S. 127.
- ↑ Sigfrid Grän: Frankfurt am Main. Franziskaner-Konventualen. In: Alemania Franciscana Antiqua. Band VI, Ulm 1960, S. 120–179, hier S. 132.
- ↑ Sigfrid Grän: Frankfurt am Main. Franziskaner-Konventualen. In: Alemania Franciscana Antiqua. Band VI, Ulm 1960, S. 120–179, hier S. 134–138.140ff.
- ↑ Sigfrid Grän: Frankfurt am Main. Franziskaner-Konventualen. In: Alemania Franciscana Antiqua. Band VI, Ulm 1960, S. 120–179, hier S. 152 (Inventur).157 (Laienkelch).
- ↑ Hermann Dechent: Kirchengeschichte von Frankfurt am Main seit der Reformation. I. Band, Kesselringsche Hofbuchhandlung, Leipzig und Frankfurt 1913, S. 119
- ↑ Dechent, Kirchengeschichte, S. 126
- ↑ Sigfrid Grän: Frankfurt am Main. Franziskaner-Konventualen. In: Alemania Franciscana Antiqua. Band VI, Ulm 1960, S. 120–179, hier S. 155.
- ↑ Dechent, Kirchengeschichte, S. 129
- ↑ Sigfrid Grän: Frankfurt am Main. Franziskaner-Konventualen. In: Alemania Franciscana Antiqua. Band VI, Ulm 1960, S. 120–179, hier S. 153ff.156ff.
- ↑ Sigfrid Grän: Frankfurt am Main. Franziskaner-Konventualen. In: Alemania Franciscana Antiqua. Band VI, Ulm 1960, S. 120–179, hier S. 158–164.
- ↑ Sigfrid Grän: Frankfurt am Main. Franziskaner-Konventualen. In: Alemania Franciscana Antiqua. Band VI, Ulm 1960, S. 120–179, hier S. 138–140.143.
- ↑ Sigfrid Grän: Frankfurt am Main. Franziskaner-Konventualen. In: Alemania Franciscana Antiqua. Band VI, Ulm 1960, S. 120–179, hier S. 138–140.143.
- ↑ Sigfrid Grän: Frankfurt am Main. Franziskaner-Konventualen. In: Alemania Franciscana Antiqua. Band VI, Ulm 1960, S. 120–179, hier S. 138–141.143f.
- ↑ Sigfrid Grän: Frankfurt am Main. Franziskaner-Konventualen. In: Alemania Franciscana Antiqua. Band VI, Ulm 1960, S. 120–179, hier S. 149f.
- ↑ Carl Wolff, Rudolf Jung: Die Baudenkmäler in Frankfurt am Main. Bd. I. Kirchenbauten. Frankfurt am Main 1896, S. 277. (online, PDF 50273 kB)
- ↑ Carl Wolff, Rudolf Jung: Die Baudenkmäler in Frankfurt am Main. Bd. I. Kirchenbauten. Frankfurt am Main 1896, S. 279. (online, PDF 50273 kB)
- ↑ Carl Wolff, Rudolf Jung: Die Baudenkmäler in Frankfurt am Main. Bd. I. Kirchenbauten. Frankfurt am Main 1896, S. 284. (online, PDF 50273 kB)
Koordinaten: 50° 6′ 40″ N, 8° 40′ 51″ O