Pearl (Gedicht)
Pearl ist ein mittelenglisches, stabreimendes Gedicht aus dem 14. Jahrhundert das von einem unbekannten Autor verfasst wurde. Es gehört stofflich zur zeitgenössischen, populären Gattung der Artusdichtung und innerhalb dieser zu den Gawain-Romanzen.
Hintergrund
Pearl ist eines von vier Werken, das in der Handschrift Cotton Nero A.x. (Art.3) annonym überliefert wurde, die sich im British Museum in London befindet. Auf Pearl folgen die Gedichte Purity und Patience sowie die Romanze Sir Gawain and the Green Knight, die an die Artussage angelehnt ist.
Inhalt
Der Dichter erzählt davon, wie er in seinem Garten seine kostbare weiße Perle verlor, immer wieder begab er sich an diesen Platz, an dem sie ihm aus den Fingern glitt. An einem Tag im August schlief er, eingelullt vom Duft der Kräuter und Blumen, auf einem kleinen Hügel ein. Er träumte, dass er sich an einem fernen unbekannten Gestade befand. Es war eine Welt mit kristallenen Klippen, weiten Waldflächen und Stränden, übersät mit kostbaren Kieselsteinen. Dieser Anblick ließ ihn all seinen Kummer vergessen und er wanderte, bis er an einen Fluss gelangte, an dessen gegenüberliegendem Ufer er das Paradies oder Neu Jerusalem vermutete. Dort nun erblickte er am Fuß der Klippen ein Mädchen, dessen Kleid aus weißen Perlen zu bestehen schien. Er erkannte sie und fragte, ob sie seine Perle sei, die er verloren habe. Er erkannte nun, dass seine Perle nicht verloren war, da sie mit zahllosen anderen an diesem wundervollen Ort leben durfte. Doch als er versuchte, den Fluss zu überqueren und zu ihr zu gelangen, erwachte er. Angefüllt mit einer spirituellen Kraft erhob er sich nun von dem Hügel.[1]
Rezeption
Bei dem Gedicht handelt es sich nach Meinung einiger Wissenschaftler um eine Elegie auf den Tod der Tochter des Dichters. Erstmals wurde es nach der Entdeckung der Texte 1904 von William Henry Schofield in eine andere Richtung interpretiert, indem er das Mädchen als eine allegorische Figur einstufte, die einer Personifizierung der Unschuld und Jungfräulichkeit gleichkomme.[1] In dem Gedicht werden die Gefühle der Trauer und des Schmerzes angesichts des Todes eines zweijährigen Kindes beschrieben. Die darin wiedergegebene fast bildliche Darstellung endet schließlich in einem tiefgreifenden Gefühl des Gottvertrauens und der Marienverehrung.[2] Die beiden Professoren J. R. R. Tolkien und E. V. Gordon hatten die mittelalterliche Ritterromanze Sir Gawain and the Green Knight neu interpretiert. Gordon gab im Jahr 1953 eine Rezeption des Gedichtes Pearl heraus, in der Tolkien ein Kapitel Form and Purpose zu „Form und Zweck“ des Gedichts verfasste.[3] David Scott Kastan vermutet, dass das Gedicht Pearl einen Einfluss auf die Beschreibung der Elbin Galadriel in der Mythologie Tolkiens hatte.[4]
Literatur
Ausgaben
- Israel Gollancz, British Library: Pearl, Cleanness, Patience and Sir Gawain: A facsimile of British Museum MS Cotton Nero A.x. Oxford University Press, London/ Toronto/ Rochester, N.Y. 2007, ISBN 978-01-9722162-4. (Reproduktion)
Forschungsliteratur
- William Henry Schofield: The nature and fabric of the Pearl. With an appendix concerning the source of the poem. The Modern Language Association of America, 1904, OCLC 26406707.
- Charles Grosvenor Osgood: The pearl, a middle English poem. D.C. Heath & Co., Boston/ London 1906, OCLC 352031.
- Eric Valentine Gordon: Pearl. Clarendon Press, Oxford 1953, OCLC 234699.
- John Ronald Reuel Tolkien: Sir Gawain and the Green Knight, Pearl, and Sir Orfeo. Allen & Unwin, London 1975, ISBN 0-04-821035-8. (Übersetzung in modernes Englisch)
- Ewald Standop, Edgar Mertens: Englische Literaturgeschichte. 3. erweiterte Auflage, Quelle & Meyer Verlag, Heidelberg 1976, S. 103ff.
Weblinks
- Pearl by J. R. R. Tolkien auf allpoetry.com (Tolkiens Version)
- Karen A. Sylvia: Living with Dying: Grief and Consolation in the Middle English Pearl. auf digitalcommons.ric.edu
Einzelnachweise
- ↑ a b Albert C. Baugh, Kemp Malone: The Literary History of England. Band 1: The Middle Ages. Routledge, London 1994, ISBN 0-415-04557-6. (online, Ausgabe 2003, S. 233–235.)
- ↑ Books by J.R.R.Tolkien – Pearl auf tolkienlibrary.com
- ↑ Michael D. C. Drout: J.R.R. Tolkien Encyclopedia: Scholarship and Critical Assessment. Routledge, New York 2007, ISBN 0-415-96942-5, S. 504 (online).
- ↑ David Scott Kastan: The Oxford Encyclopedia of British Literature. Oxford University Press, Oxford/ New York 2006, ISBN 0-19-516921-2, S. 202. (online)