Islamismus
Islamischer Fundamentalismus (auch Islamismus) bezeichnet eine politische Bewegung innerhalb der islamischen Welt, die die Errichtung eines islamischen Staatswesens, die Einführung der Schari'a (islamisches Recht), und die Besinnung auf die Normen des islamischen Propheten Mohammed und der ersten vier Kalifen (Sunna) anstrebt. Viele Vertreter dieses radikalen Islam sind bekennende Antisemiten die sich offen für eine Vernichtung Israels aussprechen. Das Voranschreiten der Säkularisierung wird als Existenzbedrohung wahrgenommen. Das islamistische Menschenbild ist mit den Werten die im Zuge von Aufklärung und Französischer Revolution entstanden sind, unvereinbar.
Seit den Anschlägen vom 11. September 2001 werden "Hassprediger" und radikale muslimische Gruppen (wie in Deutschland beispielsweise der "Kalifatstaat" von Metin Kaplan) intensiv von Polizei und Geheimdiensten beobachtet, da ihnen vorgeworfen wird mit Terroristen zu sympathisieren oder sogar in terroristische Aktivitäten verwickelt zu sein.
Der Begriff
Den Islamisten war anfangs der ursprünglich westliche Begriff "Fundamentalisten" fremd, heute bezeichnen sie sich selbst als Fundamentalisten. (arab. الأصولية الإسلامية al-uṣūliyya al-islāmiyya, von أصول uṣūl "Wurzeln", "Fundament"). Den Begriff "Fundamentalist" (usuli) gibt es im Islam schon seit Jahrhunderten, das Wort bezeichnet traditionell jedoch die Gelehrten der ilm al-usul, der Wissenschaft, die sich mit dem Studium der Fundamente des islamischen Rechts befasst.
Der angloamerikanische Islamwissenschaftler Bernard Lewis bezeichnet den Begriff des Fundamentalismus bezogen auf den Islam als unglücklich und irreführend, da er ursprünglich auf das Christentum angewendet wurde. Dort bezeichnet er zumeist protestantische Strömungen, die den göttlichen Ursprung und die Unfehlbarkeit der Bibel verfechten. Lewis weist darauf hin, dass es im Islam (bisher) niemanden gibt, der am göttlichen Ursprung des Koran zweifelt, und von daher jeder Muslim, also jeder Anhänger des Islam dem Wortsinne nach ein Fundamentalist sei.
Das Phänomen des Islamismus entstand im 20. Jahrhundert. 1928 gründete Hasan al-Banna die Muslimbrüder in Ägypten gegen den als dekadent geltenden Einfluss des Westens, dem sie durch islamische Erziehung und ein soziales Netz entgegenzuwirken suchten. Man nahm den Westen als Kolonialismus, "Kreuzfahrertum", christliche Mission, ein fremdes Erziehungssystem wahr, kurz - als "kulturelle Invasion" - und vermutete eine "globale Verschwörung gegen den Islam". Mitunter galten Politiker und Machthaber islamischer Länder islamistischen Gruppen als westliche und östliche Agenten des Imperialismus.
Eine Debatte um die Frage eines islamischen Staates vor allem zwischen Ali Abdarraziq und Rasid Rida endete - wesentlich bedingt durch die Auswirkungen der Kolonialherrschaft - zugunsten der Muslimbrüder.
In den 1960er Jahren gewannen radikale Islamisten (z.B. Saiyid Qutb) Einfluss, die die Gegenwart als "Dschahiliya" (Zeit der Unwissenheit) verstanden, welcher durch den Dschihad zur Gottesherrschaft in den islamischen Staaten verholfen werden müsse.
In den 1980er Jahren versuchten islamistische Gruppen zunehmend, ihre Ziele gewaltsam durch Attentate und Entführungen zu erreichen.
Der Islamismus bedient sich unterschiedlicher Mittel: auch innerhalb der Familie durch ein an islamischen Grundsätzen orientiertes Leben, mittels Werbung für den Islam (da'wa), durch das Streben nach allen rechtlichen Möglichkeiten für den Islam, durch Literaturverbreitung, durch den Unterhalt sozialer Einrichtungen oder den Bau von Moscheen.
Nach dem Niedergang von Sozialismus, Monarchie und des panarabischen Nationalismus entstanden neben den Muslimbrüdern neue islamistische Gruppen.
Der niederländische Schriftsteller Leon de Winter bezeichnete den Islamismus als den Faschismus des 21. Jahrhunderts, da er dem Totalitarismus der Sowjets und Nazis nahestünde. Solche Thesen, die insbesondere seit den Anschlägen vom 11. September 2001 Verbreitung finden, kommen in dem kontroversen Neologismus Islamfaschismus zum Ausdruck.
Islamischer Fundamentalismus in Deutschland
Die bekannteste in Deutschland aktive islamistische Vereinigung mit dem Namen "Der Kalifatstaat" wurde im Dezember 2001 verboten. Ihr Führer, der so genannte "Kalif von Köln" Metin Kaplan, forderte die Wiedereinführung der islamischen Rechtsordnung in der Türkei. Im Jahr 2000 wurde Metin Kaplan wegen eines Mordaufrufs in Deutschland zu einer vierjährigen Haftstrafe verurteilt und am 12. Oktober 2004 nach langer Diskussion in die Türkei abgeschoben, wo er seitdem eine lebenslange Haftstrafe verbüßt. Hätte Deutschland keine besondere Abmachung mit der Türkei bei der Auslieferung abgeschlossen, wäre auch die Todesstrafe für ihn in Frage gekommen.
Nach Expertenschätzungen ist ein Großteil der rund 31.000 islamistischen Extremisten in Deutschland dazu bereit, ihre Vorstellung einer in ihrem Sinne idealen Gesellschaft auch außerhalb des Grundgesetzes durchzusetzen. Allerdings gibt es unter ihnen deutliche Unterschiede in der Gewaltbereitschaft. Dennoch steigen seit Jahren die politisch motivierten Gewalttaten aus dieser Szene kontinuierlich an. In den Jahren 2002 und 2003 hat sich die Zahl der politischen Straftaten aller extremistischen Ausländer, darunter die der Islamisten, in Deutschland nahezu verdreifacht. Die Gewalttaten nahmen in diesem Zeitraum ebenfalls zu: 88 mal verletzten ausländische Extremisten andere Menschen, erpressten, raubten, nahmen gefangen oder vergewaltigten aus "politischen" Motiven. Allerdings rechnet das Bundeskriminalamt nur acht dieser Taten Islamisten zu.
Islamischer Fundamentalismus in Großbritannien
Bei einer Gesamtbevölkerung von 60 Millionen Einwohnern stellte ein muslimischer Anteil von ca. 2 Millionen an sich kein gesellschaftliches Problem dar, wenn nicht der geringere Teil bevorzugt in bestimmten Ballungsgebieten des Nordens (Bradford, Oldham, Burnley) und den Midlands (Birmingham), der bei weitem größte Teil (1,6 Millionen Muslimische Einwohner) jedoch in der Hauptstadt Grossbritanniens London angesiedelt wären. Die Behörden praktizieren traditionell große Toleranz in Fragen der Freiheit der Meinungsäußerung, auch wenn diese als Aufforderung zu Fanatismus und Hass daherkommt. Der islamistische Radikalismus profitiert davon beständig. So empfiehlt beispielsweise der Londoner Imam Omar Bakri, Anführer der radikalen Sekte Al Muhajiroum als einzige Auseinandersetzungsart mit nichtmuslimischen Gesellschaften weiterhin den Dschihad. Lange Zeit durfte auch der an der Nord-Finsbury-Park-Moschee predigende Scheich Abu Hamza al-Masri etlichen später als Terroristen und Al-Kaida-Kader entlarvten Islamisten Anweisungen für ihre Missionen geben. Später wurde er auf Druck der USA hin festgenommen.
Islamischer Fundamentalismus in Frankreich
Frankreich musste ab 2000 vermehrt Erfahrungen mit antisemitischen Übergriffen, Grabschändungen, Bombenanschlägen und terroristischen Verschwörungen machen. In Frankreich leben annähernd sechs Millionen überwiegend aus Nordafrika stammende Moslems, von denen die große Mehrheit sich friedlich verhält und radikal-islamistische Ideen ablehnt. Der französische Verfassungsschutz geht jedoch davon aus, daß in sozial explosiven Ballungsgebieten wie im Großraum Paris radikale Moslems auf dem Vormarsch sind. Besonders gefährdet seien "aus dem Gleichgewicht geratene Jugendliche", die leicht von Extremisten radikalisiert werden könnten.
Ende 2005 bekam die Diskussion um den islamischen Fundamentalismus durch die Unruhen in Frankfreich eine neue Brisanz.
Islamischer Fundamentalismus in Italien
Italien und der Vatikan gehören nach Ansicht der Geheimdienste seit langem zu den Hauptzielen islamistischer Terroristen. In Italien leben etwa 700.000 Muslime. Dem aus Libyen stammenden italienischen Journalisten Fahrid Adli zufolge, besuchen etwa fünf Prozent davon regelmäßig Moscheen; nur ein Bruchteil dieser Gruppe sei zu religiös motivierter Gewalt bereit. Ex-Innenminister Enzo Bianco berichtete Anfang 2004, daß bereits 1997, 2000 und 2001 moslemische Gruppen ausgehoben worden seien, die in Verbindung mit islamischen Terroristen gestanden hätten. Seit den Madrid-Attentaten vom März 2004 und der Ermordung von zwei italienischen Geiseln im September 2004 im Irak ist ein wachsendes Misstrauen der Bevölkerung gegen die moslemische Minderheit spürbar. Angesichts dieser Entwicklung hat sich Staatspräsident Carlo Azeglio Ciampi besorgt über das antiislamische Klima in Italien geäußert und Innenminister Giuseppe Pisanu hat zum Dialog mit den Moslems Italiens aufgerufen.
Islamischer Fundamentalismus in Spanien
Von den etwa drei Millionen Ausländern in Spanien sind knapp 15 Prozent Marokkaner, weitere fünf Prozent stammen aus Algerien, Tunesien und anderen moslemischen Ländern Afrikas. Ende 2004 gab es eine Verhaftungswelle und eine Terrorzelle wurde ausgehoben, die einen Anschlag auf Richter Baltasar Garzón verüben wollte. Die spanischen Behörden nehmen das Problem islamistischer Bedrohung sehr ernst. Ende 2004 wurde bekannt gegeben, dass sich mehr als 100 radikale Islamisten im Gefängnis befänden - in keinem anderen EU-Land wurden 2004 so viele Extremisten festgenommen. Die Haftanstalten sind hoffnungslos überfüllt, was Europol-Direktor Mariano Simancas als "Nährboden des Extremismus" bezeichnete. Untersuchungen zeigen, dass gewaltbereite Islamisten ihre Anhänger unter kleinkriminellen Glaubensbrüdern rekrutieren. Nachschubprobleme gibt es dabei nicht, da in Spaniens Haftanstalten etwa 6000 Nordafrikaner, zumeist aus Marokko und Algerien einsitzen.
Islamischer Fundamentalismus in der übrigen Welt
Seit dem 11. September 2001 mit dem Terroranschlag auf das World Trade Center und den Anschlägen in Madrid und London hat der islamische Fundamentalismus eine neue Dimension bekommen, denn das Netzwerk El Kaida ist weltweit aktiv.
Islamische Gruppen und Organisationen
- Muslimbruderschaft (Ägypten, Jordanien...)
- Wahhabiten (Saudi Arabien)
Militante islamistische Bewegungen
- FIS (Algerien)
- Hisbollah (Libanon)
- Hamas (Palästina)
- Al-Qaida (Afghanistan)
- Taliban (Afghanistan)
- IMK (Kurdische Autonome Region)
- Islamischer Dschihad
- Ansar al-Islam (Kurdische Autonome Region)
- Jemaah Islamiyah (Indonesien)
- Groupe Islamique Armé (Algerien)
- Abu Sayyaf (Philippinen)
- Qaidat al-Dschihad fi Bilad ar-Rafidain (Irak)
- Gerakan Aceh Merdeka (indonesische Provinz Aceh)
- Al Ittihad al Islamija (Somalia)
- Al-Dschama'a al-Islamiyya (Ägypten)
- Asbat al-Ansar (Libanon)
- Abu Theeb (Irak)
- Harakat ul-Mujahidin (Kaschmir)
- Jaish e-Mohammed (Kaschmir)
- Lashkar e-Toiba (Kaschmir)
- GICM (Marokko)
- IBDA-C (Türkei)
- IMU (Usbekistan)
- Jaish Ansar al-Sunna (Irak)
- GSPC (Algerien)
- Moro Islamic Liberation Front (Philippinen)
- Hizb-ut-Tahrir
- Al-Tauhid
Siehe auch
Eurabien, Islamistischer Terrorismus, Achse des Bösen, Radikalismus und Extremismus, Islamischer Extremist, Islamischer Faschismus
Literatur
- Hans-Peter Raddatz: Von Allah zum Terror? Der Djihad und die Deformierung des Westens. Herbig, München 2002, ISBN 3-7766-2289-X
- Udo Ulfkotte: Der Krieg in unseren Städten. Wie radikale Islamisten Deutschland unterwandern. Eichborn, Frankfurt 2003, ISBN 3-8218-3978-3 (Leseprobe)
- Gilles Kepel: Das Schwarzbuch des Dschihad. Piper, München 2002
- Matthias Küntzel: Djihad und Judenhass. ca ira, Freiburg 2002
- Beverley Milton-Edwards: Islamic fundamentalism since 1945. Routledge, London 2005, ISBN 0-415-30172-6
- Bernard Lewis: Die politische Sprache des Islam. Rotbuch, Berlin 1991 (Originalausgabe: The Political Language of Islam. University of Chicago, 1988)
- Bernhard Schmid: Algerien - Frontstaat im globalen Krieg? Neoliberalismus, soziale Bewegungen und islamistische Ideologie in einem nordafrikanischen Land. ISBN 3-89771-019-6
- Babette Bonn: Märtyrer und kein Ende?. Der religiöse Hintergrund der islamischen Selbstmordattentäter. Herbert Utz Verlag, München 2003, ISBN 3-8316-1100-9
Weblinks
- Salman Rushdie: Sexuelle Angst der Männer vor Frauen ist eine Ursache für islamistischen Terror ("Stern", 18.01.2006 - vgl. [1])
- Gerd Koenen, In der Terrorfalle (Spiegel Online, 11.01.2006 - Essay über den "metaphysischen Schrecken" des islamistischen Terrors und die Hysterie des Westens)
- Umfangreiches NZZ-Dossier
- Militante religiöse und politische Gruppierungen in der islamischen Welt
- Die vielen Gesichter des Islamismus (Bundeszentrale für politische Bildung)
- Islamkatalog der Uni-Leipzig
- Ex-Oriente-Lux-Website mit Forum über den Orient
- Islam und Islamismus
- Fundamentalismus und religiöser Fanatismus in der Welt von heute - Bund für Geistesfreiheit und Humanistisches Bildungswerk Bayern