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Norman Finkelstein

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Norman G. Finkelstein (* 1953 in Brooklyn, New York City) ist ein amerikanischer Politologe und Autor von vier Büchern. Er trat in den USA als Antizionist hervor und wurde in Deutschland vor allem mit seinem Buch Die Holocaust-Industrie bekannt. Dieses löste im Jahr 2000 eine Debatte um die Singularität des Holocaust, das Gedenken an dieses Ereignis und Entschädigungen für NS-Zwangsarbeiter aus.

Die Vorgeschichte

Ausbildung und antizionistische Veröffentlichungen

Finkelstein promovierte am Department of Politics der Universität Princeton über eine Theorie des Zionismus. Er wurde erstmals bekannt, als er Joan Peters's From Time Immemorial, eine pro-israelische Darstellung der Geschichte Israels, als „monumentalen Schwindel“ bezeichnete.

Danach trat er mit einer Darstellung des israelisch-palästinensischen Konflikts hervor, die antizionistische Positionen bezog. Er unterstützt das Recht der Palästinenser auf gewaltfreien Widerstand und verglich die Politik Israels gegenüber den Palästinensern mit den Methoden der Gestapo. Daraufhin warfen ihm jüdische Organisationen Antisemitismus vor.

Als Jude und Sohn von Holocaust-Überlebenden nennt Finkelstein diese Bezeichnung absurd. Er sieht sich als Verfechter universeller Menschenrechte und kritisiert deshalb sowohl die USA als auch Israel für ihre Menschenrechtsverletzungen.

Finkelsteins Goldhagen-Kritik

1998 erschien seine Replik auf Daniel Goldhagens Buch „Hitlers willige Vollstrecker“ mit dem Titel „Eine Nation auf dem Prüfstand. Goldhagens These und die historische Wahrheit“. Er warf Goldhagen vor, historische Sachverhalte zu verfälschen und mit seiner Erklärung des deutschen „eliminatorischen“ Antisemitismus rassistische Denkmuster zu übernehmen.

Da Goldhagen einen Zusammenhang zwischen dem sadistischen Verhalten des Personals der Konzentrationslager und dem Judenhass sah, warf Finkelstein ihm deswegen die Erfindung eines neuen Genres, des „Holoporn“ (aus „Holocaust“ und „Pornographie“ zusammengesetzt) vor.

Durch ein langes Interview im Spiegel wurde Finkelstein nun auch in Deutschland bekannt und als jüdischer Antipode zu Goldhagen aufgebaut. Er warf ihm öffentlich vor, die Deutschen genauso als Volk auf die Anklagebank zu setzen wie diese es mit den Juden getan hätten. Er verbiete damit das öffentliche Nachdenken darüber, was die Juden selber zum Antisemitismus der Nazis beigetragen haben könnten.

Diese provozierende Polemik stieß in Deutschland überwiegend auf Ablehnung. Sie wurde allerdings oft von Rechtsextremisten aufgegriffen.

Angriffe Finkelsteins auf die Jewish Claims Conference

Im Januar 2000 - parallel zur Holocaustkonferenz in Stockholm und nachdem der Bundestag gerade 10 Milliarden DM für die Stiftung für NS-Zwangsarbeiter beschlossen hatte - gab Finkelstein in Deutschland Interviews. In der Berliner Zeitung vom 29. Januar 2000 behauptete er unter der Überschrift „Die Ausbeutung jüdischen Leidens“:

  • Die Jewish Claims Conference (im Folgenden: JCC) habe schon in den frühen 50er Jahren ein Abkommen für NS-Sklavenarbeiter mit der Bundesrepublik Deutschland getroffen. Darin sei eine kleine Rente für erlittene Haftzeiten, eine lebenslange Rente für Gesundheitsschäden aus dieser Zeit vorgesehen gewesen.
  • Heute würden die „gleichen Verhandlungen mit den gleichen Leuten“ neu aufgelegt.
  • Nach dem Eintreffen der ersten Gelder habe die JCC deren Verwendungszweck neu definiert.
  • Nicht die Richtlinien der Bundesrepublik, sondern allein die JCC sei verantwortlich dafür, dass viele Opfer, auch die Sklavenarbeiter, nie entschädigt wurden.
  • Die JCC würde die eigenen detaillierten Dokumente aus den 50er Jahren jetzt am liebsten verschwinden lassen.
  • Auch die Gedenkstätte Yad Vashem sei von Geldern, die eigentlich für individuelle Holocaustopfer vorgesehen gewesen seien, finanziert worden.
  • Saul Friedländer habe die Zahl der überlebenden KZ-Häftlinge und Sklavenarbeiter auf 100.000 geschätzt; davon seien höchstens noch 25.000 am Leben. Die JCC verhandele dagegen über angebliche 135.000 noch lebende ehemalige NS-Sklavenarbeiter.
  • Sie habe auch die Entschädigungsforderungen bewusst überhöht, damit sie die Hälfte davon - 5 Mrd. DM - für sich behalten könne. Davon beabsichtige sie, höchstens 30 Millionen DM an die Opfer zu verteilen.

Daraufhin stellte Karl Brozik, Direktor der JCC Frankfurt, jeden einzelnen dieser Vorwürfe im Detail in mehreren Zeitungen richtig:

  • Es habe 1952 und später kein Abkommen zu den NS-Sklavenarbeitern gegeben.
  • Die heutigen Verhandlungsführer der JCC seien bis auf eine Person nicht mit den damaligen identisch.
  • Die Bundesrepublik sei letztlich verantwortlich für die Auszahlung, da die JCC vertragsgemäß nicht gegen ihre Richtlinien verstoßen dürfe.
  • Die JCC habe soeben erst die Dokumentation der damaligen und heutigen Verhandlungen in Auftrag gegeben und zusätzlich Arbeiten der Historiker Ronald Zweig und Nana Sagi dazu ins deutsche übersetzen lassen.
  • Für Individualentschädigungen bestimmte Gelder seien von der JCC zu keinem Zeitpunkt zweckentfremdet worden.
  • Die Zahlen der überlebenden Zwangsarbeiter von etwa 135.000 beruhten auf den zuverlässigsten und besten verfügbaren Quellen dazu.
  • Die JCC werde nur einen sehr geringen Bruchteil der genannten 5 Milliarden überhaupt zur Verfügung gestellt bekommen und diesen vollständig auszahlen.

Doch diese detaillierte Gegendarstellung wurde in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen und überprüft. Stattdessen erlaubten weitere Blätter wie die Neue Revue Finkelstein, seine Vorwürfe unwidersprochen zu wiederholen.

Wolfgang Benz gab der Berliner Zeitung am 4. Februar 2000 ebenfalls ein Interview und stellte darin fest:

  • Im Luxemburger Abkommen von 1952 sei es nicht um individuellen, sondern um globale Rückerstattung von enteignetem jüdischen Besitz („Arisierung“), Entschädigung für jüdische KZ-Opfer und Aufbauhilfe für den Staat Israel gegangen.
  • Die JCC sei dabei nur als Interessenvertretung der nicht in Israel lebenden Juden aufgetreten. Die nachträgliche Entlohnung und Entschädigung für NS-Zwangsarbeiter sei damals nicht Thema gewesen.
  • Nur in der Bundesrepublik oder im westlichen Ausland lebende ehemalige Zwangsarbeiter seien nach dem Bundesentschädigungsgesetz für Haft oder Gesundheitsschäden während der KZ-Haft entschädigt worden, und zwar nicht gesondert von anderen KZ-Häftlingen.
  • Ein nachträglicher Lohn für ihre Zwangsarbeit sei dabei nicht eingeplant worden, und die überlebenden KZ-Häftlinge Osteuropas seien ganz leer ausgegangen. Diese „schreiende Ungerechtigkeit“ sei nicht mehr reparabel.
  • Dies habe am Kalten Krieg gelegen: Die Bundesrepublik wurde gegenüber dem Westen in die Pflicht genommen, die Sowjetunion sollte sich an die DDR und ehemaligen deutschen Ostgebiete halten.
  • Die von der JCC genannte Zahl von 500.000 überlebenden KZ-Häftlingen für 1945 sei anhand von belegten Zahlen für „displaced persons“ nachweislich eher noch zu tief veranschlagt. Jedoch liege die Zahl der davon im Jahr 2000 noch Lebenden wohl in der Mitte zwischen 25.000 (Finkelstein) und 135.000 (JCC).
  • Der JCC müsse als Interessenverband gegenüber Staatsregierungen offensiv auftreten, um überhaupt etwas zu bewegen. Die Kritik an seinen Funktionärsgehältern falle in dieselbe Kategorie wie die an zu hohen Politiker-Gehältern u.ä.; sie seien aber nötig, damit die Vertreter der Opfer gegenüber denen der Täter auf gleicher Augenhöhe verhandeln könnten.
  • Er glaube nicht, dass der JCC, der einen soliden Ruf genieße, Gelder der Pauschalentschädigung von 1952 umgewidmet habe. Wenn Geld für den Aufbau Israels auch für Yad Vashem abgezweigt worden sei, so sei dies legitim und vernünftig gewesen im Interesse der Gesamterinnerung des Judentums. Er warte auf Finkelsteins Belege für seine Behauptung, die JCC habe Individualentschädigungen zweckentfremdet.
  • Die Geschichte der Entschädigungen sei allerdings unzureichend transparent. Dies könne und dürfe die deutschen Verhandlungen über einen Entschädigungsfonds für ehemalige NS-Zwangsarbeiter aber nicht beeinflussen, da es hier zu 90% um nichtjüdische Zwangsarbeiter gehe, von denen damals keine Rede war und die der JCC auch nicht vertreten habe.

Die Finkelstein-Debatte in der Bundesrepublik Deutschland

Die Grundthesen des Buches „Die Holocaust-Industrie“

Das Buch The Holocaust Industry - Reflections on the Exploitation of Jewish Suffering erschien in den USA im Juli 2000 in einem kleinen linksliberalen Verlag. Mehrere große US-Tageszeitungen lehnten einen Vorabdruck ab. Sie begründeten dies u.a. damit, dass es sich um einen unwissenschaftlichen Essay handele. Finkelstein genießt in den USA keinen besonderen Ruf als Holocaust-Experte.

In der New York Times erschien unmittelbar nach der Veröffentlichung eine vernichtende Kritik von Omer Bartov: Das Buch sei eine Verschwörungstheorie, die wie immer in solchen Fällen ein paar Gramm Wahrheit enthalte, diese aber in eine fanatische Gesamtschau einbaue und damit entwerte. Weitere Reaktionen löste das Buch in den USA nicht aus.

Die deutsche Übersetzung Die Holocaust-Industrie erschien auf Deutsch im August 2000. In dem Buch behauptet Finkelstein unter anderem,

  • das amerikanische Judentum habe sich weder im Zweiter Weltkrieg noch danach um den Holocaust gekümmert. Es habe erst seit dem Sechstagekrieg 1967 entdeckt, dass sich daraus Kapital schlagen lasse.
  • Es habe dann eine „Holocaustindustrie“ geschaffen, um sich am Holocaust-Gedenken zu bereichern und damit immer weitere Unterstützung für Israel im Nahostkonflikt zu erpressen.
  • Um den Holocaust systematisch zu vermarkten, sei die Behauptung seiner „Singularität“ geschaffen und die jüdischen Opferzahlen übertrieben worden.
  • Ein Großteil des als Entschädigung für die Holocaust-Opfer vorgesehenen Geldes sei von der JCC für andere Zwecke verwendet worden; insbesondere jüdische Organisationen in den USA würden davon profitieren.

Die Quellen, die Finkelstein für seine Behauptungen angab, gingen nicht über die schon in den Interviews vom Januar genannten Verweise hinaus.

Er ließ eine persönliche Betroffenheit erkennen und hob mehrfach hervor: Seine inzwischen verstorbene Mutter, eine Holocaust-Überlebende, sei von der JCC zu gering entschädigt worden. Sie habe nur 3.500 Dollar erhalten, während andere Opfer („und viele, die in Wirklichkeit gar keine Opfer waren“) dagegen lebenslange Pensionen von mehreren Hunderttausend Dollar erhalten hätten (S. 85).

Häufig griff er auch bestimmte - meist jüdische - Personen, die er als Vertreter der „Holocaust-Industrie“ betrachtet, persönlich an: so z.B. Elie Wiesel, der sich an seinen Holocaust-Vorträgen bereichere, Simon Wiesenthal, Edgar Bronfman oder Lawrence Eagleburger.

Erste Reaktionen der deutschen Presselandschaft

Die erste deutsche Rezension schrieb Rafael Seligmann in der Welt am Sonntag vom 23. Juli 2000. Er stellte zunächst einige Fakten klar:

  • Die JCC habe nicht mit überhöhten Opferzahlen argumentiert,
  • das Holocaustgedenken in den USA sei keine bewusste Strategie übermächtiger Akteure, sondern eine allmählich gewachsene „Ersatzhandlung“ für eine immer stärker säkularisierte jüdische Gemeinschaft,
  • amerikanische Juden hätten seit 1933 sehr wohl Druck auf die US-Regierung auszuüben versucht, um den verfolgten Juden Europas zu helfen,
  • die US-Regierungen übten sehr wohl später auch auf Israel Druck aus (z.B. Henry Kissinger im Yom-Kippur-Krieg),
  • ohne den Druck amerikanisch-jüdischer Organisationen wäre es erst gar nicht zur Entschädigung der osteuropäischen Zwangsarbeiter gekommen.

Dennoch wollte Seligmann Finkelsteins Buch nicht als „destruktive Polemik“ abtun, sondern sah sie als „notwendig wie ein Reinigungsmittel“ an.

Die Zeitung Die Woche präsentierte lange Auszüge aus dem Buch und wohlwollende Kommentare, u.a. von Noam Chomsky und Ernst Nolte. Ablehnende Kurzkommentare brachte sie danach u.a. von Salomon Korn, Elie Wiesel, Simon Wiesenthal und Paul Spiegel. Die Auswahl erweckte den Eindruck, nur Juden lehnten Finkelsteins Buch ab. Als einziger nichtjüdischer Kritiker wurde Hans Mommsen erwähnt. Es folgte ein langes Finkelstein-Interview und ein Artikel zu der Holocaust-Überlebenden Gizella Weisshaus, die sich ebenfalls von der JCC betrogen fühlte.

In der Zeit plädierte Tobias Dürr dafür, Finkelsteins Einwände souverän zu prüfen. In der Süddeutschen Zeitung (SZ) konnte der Autor sein Buch am 11. August selbst vorstellen. Die Redaktion gab dazu seine Homepage an. Petra Steinberger stellte ihn am Folgetag als polarisierenden Wissenschaftler dar, um dessen Thesen es eine „fachliche Auseinandersetzung“ geben müsse.

In den ARD-Tagesthemen vom selben Tag schloss Gerald Baars seine Finkelstein-Reportage mit den Worten: Das Buch enthält vielleicht Fehler, aber auch begründete Kritik.

Lorenz Jäger von der FAZ fand keine Fehler, sondern meinte, Polemik müsse zuspitzen, um die Wahrheit zu treffen. Finkelstein verkenne bloß Israels realpolitische Lage.

Bis Ende August 2000 verwies keine der deutschen Rezensionen darauf, dass viele Thesen des Buches schlicht falsch waren, obwohl Karl Brozik dies schon vor seinem Erscheinen und Rafael Seligmann kurz danach klar belegt hatten. Salomon Korn kritisierte dies: Nicht Finkelsteins Thesen, sondern die Bereitschaft deutscher Medien, sie unbesehen zu glauben, sei das eigentliche Problem.

Konsens der deutschen Presse unter der Meinungsführerschaft der SZ war bis dahin, dass Finkelsteins Thesen wissenschaftlichen Rang hätten und daher offen und breit debattiert werden müssten. Dies werde, so Eva Schweitzer in der Berliner Zeitung, von der „Holocaust-Industrie“ in den USA skrupellos unterbunden. Damit hatten wichtige deutsche Medien Finkelsteins Grundthese bereits übernommen und hoffähig gemacht.

Nur Brigitte Werneburg von der Berliner taz kommentierte:

Letzendlich ist Finkelsteins Buch ein der Entschädigungsfrage ganz und gar unangemessenes Pamphlet, das dem Ressentiment und nicht der Aufklärung zuarbeitet.

Fachliche Reaktionen

Der Harvard-Historiker Charles S. Maier antwortete ab Mitte August 2000 in der „Süddeutschen Zeitung“ auf Finkelstein und verwies auf den eigentlichen Kontext, der schon aus dem Zeitpunkt der Buchveröffentlichung ersichtlich sei:

In welchem Umfang und wie lange lässt die Verantwortung einer Nation für die in ihrem Namen begangenen Gräuel die Forderung nach Wiedergutmachung zu? Die bequeme, aber unwürdige Antwort, die man aus Finkelsteins Thesen herauslesen wird, lautet: 'Jetzt reicht es.'

Damit schade Finkelstein der sachlichen Debatte um die Entschädigungszahlungen, der wissenschaftlichen - nicht exkulpatorischen - Holocausterforschung und der Suche nach angemessenen Formen des Holocaust-Gedenkens. Er benutze eine fahrlässige Sprache, die am Ende Vorurteile und Gewalt begünstigen könne.

Der Freiburger Experte zu NS-Zwangsarbeit Ulrich Herbert bestritt zentrale Thesen Finkelsteins:

  • Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Holocaustgedenken und Nahostpolitik der USA bestehe objektiv nicht; dies sei verschwörungstheoretisches Denken,
  • die Singularitätsthese werde tatsächlich bisweilen zu einer Art „Heiligtum“ aufgebauscht. Dies sei jedoch nicht in der Fachwelt der Fall, die Finkelstein ebenfalls angegriffen hatte,
  • Finkelsteins eigene Quellenangaben widerlegten größtenteils bereits den Vorwurf, die JCC habe Entschädigungsgelder veruntreut,
  • in Bezug auf die Überlebenden-Zahlen habe er schlicht keine Ahnung von den Tatsachen,
  • er verschweige, dass nur wegen des Drucks amerikanisch-jüdischer Organisationen die größtenteils nichtjüdischen Zwangsarbeiter Osteuropas nun entschädigt würden.

Auch Julius H. Schoeps äußerte sich in der FAZ und betonte, dass Finkelstein eigentlich die Nahostpolitik der USA angreifen wollte. Seine Kritik an jüdischen Opferverbänden wirke im deutschen Kontext ganz anders als im amerikanischen.

Der Deutschlandexperte der New York Times, Jacob Heilbrunn, nannte Finkelstein einen „neurotischen Extremisten, der sich als Held stilisiert und eine künstliche Kontroverse anzetteln will“, um selbst daraus Profit zu schlagen, da er in den USA ein „Nobody“ sei.

Peter Longerich, Holocaust-Experte der Universität London, kritisierte in der Frankfurter Rundschau die wohlwollende Aufnahme des Buches im deutschen Blätterwald, die seiner schlechten Qualität nicht gemäß sei. Das Buch komme einem „weitverbreiteten, amorphen Gefühl des 'endlich genug' entgegen“. Das gefährde die deutsche Demokratie, für die das Holocaust-Gedenken eine Überlebensfrage bedeute. Gerade das Holocaust Memorial Museum in Washington (D.C.) habe die Singularität des Holocaust nicht als Tabu aufgerichtet, sondern als Ergebnis nüchtern vergleichender Genozidforschung festgestellt: Es gebe dazu die wichtigste internationale Fachzeitschrift heraus.

Marica Pally, Professor an der New York University, erklärte, das Buch sei in den USA unbedeutender Teil einer Fachdebatte um Essentialisten wie Elie Wiesel und Kontextualisten wie Peter Novick. Finkelstein gehöre nicht zur Fachelite und verschaffe sich als Ersatz dazu in Europa Aufmerksamkeit.

Novick, auf dessen Buch The Holocaust in American Life sich Finkelstein streckenweise berief, wies sein Buch in der Welt vom 4. September 2000 als „besessene Tirade“ zurück und widersprach dem Autor in zentralen Punkten: Die jüdische Elite in den USA sei heterogen und gerade auch im Blick auf die Singularität des Holocaust verschiedener Meinungen.

Der niederländische Autor Leon de Winter, Sohn von Holocaustüberlebenden, analysierte Finkelsteins Bezug auf seine Mutter, die sich von der JCC betrogen fühlte: Er könne gar nicht die Wahrheit schreiben, da er besessen sei von der Idee, die Ansichten seiner verstorbenen Mutter zu rechtfertigen. Er sei damit in einer Therapie besser als in der Weltpresse aufgehoben. Doch diese nehme sein Buch begeistert auf, weil ein Jude es ihr gestatte, einen alten antisemitischen Gedanken neu zu formulieren: dass Juden sich am schlechten Weltgewissen bereicherten.

Der slowenische Philosoph Slavoj Zizek verteidigte nach Peter Longerich die Singularitätsthese: Der Holocaust könne nicht erzählerisch dargestellt werden, weil er das Nichts markiert, die Implosion des (erzählbaren) Universums. So gleicht jeder Versuch,ihn in seinem Kontext zu analysieren, der antisemitischen Negation seiner Einzigartigkeit. Jedoch könne auch diese Feststellung benutzt werden für aktuelle politische Interessen. So werde heute angesichts des absolut Bösen, dass der Holocaust bedeute, das akute Leiden in der Dritten Welt zur Nebensache herabgestuft und ein „Denkverbot gegen jede radikale politische Einbildungskraft“, nämlich die mögliche Überwindung der Not, bekräftigt.

Raul Hilberg merkte an, dass Finkelstein die US-Amerikanische jüdische Gemeinschaft als Außenseiter („Outsider“) kritisiere und stellte fest, dass der Schock etwa in der Schweiz über die Forderungen des World Jewish Congress der Unkenntnis über das amerikanische System von Sammelklagen geschuldet sei. Die Entschädigungsgelder würden wegen der noch laufenden komplizierten Gerichtsverfahren verzögert ausgezahlt, deswegen werde inzwischen auch gegen amerikanische und israelische Banken geklagt. Edgar Bronfman könne jedoch die Armut unter Holocaustüberlebenden aus seinem Privatvermögen über Nacht beseitigen. Die „Holocaust Studies“ seien oft ein Profilierungsgebiet für angehende Historiker ohne Qualitätskontrolle. Hilberg faßt seine Gedanken dahingehend zusammen, dass er mit vielen von Finkelsteins Thesen übereinstimme.

Salomon Korn kritisierte am 31. August in der „Jüdischen Allgemeinen Wochenzeitung“ den Piperverlag für die Entscheidung, das Buch auf Deutsch herauszubringen:

Der Piper Verlag weiß sehr wohl, dass dies ein spekulatives Buch ist, das gewisse Erwartungshaltungen in bezug auf judenfeindliche antisemitische Stereotype auflagenfördernd bedient. Zudem spekuliert er darauf, dass man endlich mal die Juden nicht nur in der Opferrolle, sondern auch in der Täterrolle sehen möchte - vor allem hier in Deutschland. Der Piper Verlag hätte besser daran getan, dieses Buch erst einmal gründlich zu prüfen [...] Wenn es um wirkliche Aufklärung ginge, dann hätte der Piper Verlag ein solches Buch eigentlich nicht veröffentlichen dürfen. Hier geht Kasse vor Klasse.

Ernst Piper selbst kritisierte die heutige Politik seines ehemaligen Verlages: Zur Herausgabe von Ernst Noltes „Historische Existenz“ und Horst MöllersRoter Holocaust“ geselle sich nun Finkelsteins Buch als „Trio Infernale“. Dies könne man nicht unterbinden, aber ebensowenig die Kritik daran verbieten. Er gab daraufhin ein Taschenbuch mit gesammelten Aufsätzen über Finkelstein heraus (siehe Literatur).

Außer Ulrich Herbert hatten sich bis dahin nur ausländische und jüdische Fachhistoriker geäußert. Hans Mommsen („ungewöhnlich triviale Untersuchung“) und Ernst Nolte hatten bestellte Kurzkommentare in der „Woche“, Reinhard Rürup in der „Zeit“ abgegeben. Wolfgang Benz, Johannes Fried und Eberhard Jäckel lehnten eine öffentliche Erörterung des Buchs aus Anlass des deutschen Historikertags in Aachen ab, um es nicht als Fachbuch aufzuwerten. Dies brandmarkte Michael Wolffsohn in der Presse als „Tabuisierung“ des Themas, die Antisemitismus fördere. Lorenz Jäger von der FAZ und Petra Steinberger von der SZ pflichteten ihm bei.

Finkelstein verteidigte sich in der SZ vom 9. September 2000 unter dem Titel „Der Bote ist der Schuldige“: Er betreibe keine Verschwörungstheorie, aber es gäbe Personen und Institutionen, die Intrigen und Ränke schmieden. Er nannte dazu die CIA und bekräftigte, der Holocaust werde nur für US-Interessen, nicht aber für deren Opfer verallgemeinert. Ulrich Herbert sei der einzige ihm bekannte Historiker, der bestreite, dass das Thema Holocaust erst seit 1967 in den USA aufgetaucht sei. Er sah sich nun selbst als Opfer der „Holocaust-Industrie“, die „ihre Kritiker unbarmherzig aufs Korn nehme.“

Für die Zahl der jüdischen Holocaustüberlebenden verwies er auf die niedrigen Schätzungen der deutschen Verhandlungsdelegation beim Zwangsarbeiterfonds, ohne deren Quellen zu prüfen. Seine Kritik an den Entschädigungszahlungen sah er durch den US-Anwalt Gabriel Schoenfeld bestätigt, der die Form der Kampagnen und zu langsame Auszahlungen kritisiert hatte. Zu weiteren Tatsachenbehauptungen nahm er nicht Stellung.

Am 13. September erschien dann Gabriel Schoenfelds Artikel für die angesehene Commentary, eine Zeitung des American Jewish Commitee, auf Deutsch in der SZ. Er warf darin amerikanisch-jüdischen Organisationen vor, sie führten Entschädigungskampagnen gegen israelfreundliche Staaten für kurzfristige Vorteile, gefährdeten damit aber langfristig Israels Sicherheit. Zudem würde zuviel Geld für teure Holocaust-Museen statt für verarmte Holocaustopfer ausgegeben. Damit erleichterten sie Antisemiten aus allen Lagern, zu behaupten, es sei wie bei allem, was Juden betreffe, letztlich doch nur um Geld gegangen.

Rechtsradikale Reaktionen

Die Junge Freiheit und die National-Zeitung hatten Finkelsteins Buch schon Anfang Juli begeistert begrüßt. Letztere brachte wochenlang ausführliche Zitate daraus. Zudem verlangte die „Junge Freiheit“ bereits am 28. Juli 2000 unter dem Titel „Der Milliardenpoker“, Finkelsteins Buch müsse unverzüglich ins Deutsche übersetzt werden.

Hilbergs Aussagen fasste sie dann als Unterstützung für alle Thesen Finkelsteins auf: Hilberg habe nicht den geringsten Anlass gesehen, sich davon zu distanzieren, sondern fühle sich in seiner eigenen Kritik am WJC dadurch bestätigt.

Obwohl das Buch längst abgedruckt war und breit diskutiert wurde, erklärte Peter Sichrovsky, Generalsekretär der FPÖ, in der Jungen Freiheit am 8. September 2000:

Nur ein paar Weise sollten in Deutschland bestimmen, was die Blöden lesen und nicht lesen dürfen? Vielleicht können Salomon Korn und all die anderen Hetzer, die den Deutschen das Buch vorenthalten wollen, uns einfachen Menschen erklären, wie man so ein Weiser wird?

Hier wurde Korn als Vertreter einer überheblichen Minderheit, die als heimliche Strippenzieher die deutsche Öffentlichkeit manipulieren wolle, dargestellt. Dass Korn für seine Kritik keine Unterstützung in der deutschen Presse fand, wurde übergangen. Mit der Gegenüberstellung weniger jüdischer „Weiser“ gegenüber den verdummten Deutschen griff der Autor des Kommentars auf ein altes antisemitisches Muster zurück, das an die „Protokolle der Weisen von Zion“ erinnert.

Viele Kommentatoren der Regionalpresse übernahmen dieses Muster: Die „Kritik an Juden“, wie die Verbreitung falscher Informationen oft genannt wurde, dürfe nicht „zensiert“ werden. Die das Buch ablehnten und kritisierten, seien Helfer des Antisemitismus.

Auch Martin Hohmann begrüßte das Buch. Da Finkelstein sich darin auch positiv auf den Holocaustleugner David Irving bezog, fragte Michael Brenner, Professor für Jüdische Geschichte und Kultur an der Ludwig-Maximilians-Universität München:

Müssen aber etablierte Wissenschaftler und angesehene Journalisten sich auf einen Dialog mit dem Autor eines derartigen Pamphlets einlassen, oder sollte man ihn nicht Seinesgleichen überlassen? [...] Ist es nicht wirksamer, wenn ihm vor laufender Kamera einer der sachkundigen revisionistischen Kollegen während seines Deutschlandaufenthalts die Adresse der Weisen vom Zion nennt? (Piper S. 206f)

Einzeläußerungen über Finkelstein

  • Die Welt schreibt über ihn: „Dort, wo Finkelstein Recht hat, sagt er nichts Neues; dort, wo er Neues sagt, hat er Unrecht.“
  • Die Zeit meinte: „Über Norman Finkelsteins Pamphlet lohnt der Streit nicht, wohl aber über das wichtige Buch von Peter Novick.“
  • Michael Brenner schreibt: „The Holocaust Industry ist eine grandiose pathologische Studie - über ihren Autor.“ (siehe die Aufsatzsammlung unten)
  • Henryk M. Broder meint: „Interessant an Finkelstein ist nicht, was er sagt, sondern welches Bedürfnis er befriedigt.“
  • Rafael Seligmann, WamS, schreibt: „Finkelstein ist Agent provocateur, Gaukler und Aufklärer zugleich. Sein Buch ist verletzend. Er selbst ist verletzlich. Es wäre falsch, seine Kritik als destruktive Polemik abzutun. Sie ist anregend. Vor allem aber notwendig wie ein Reinigungsmittel.“ 1

Die Finkelsteindebatte als Teil deutscher Erinnerungskultur

Verlauf und Inhalt der deutschen Debatte um Finkelsteins Buch wurden von verschiedenen zeitkritischen Beobachtern als Zeichen für einen allmählichen Wandel im Umgang mit der NS-Vergangenheit gedeutet.

So bemerkte Jacob Heilbrunn, ähnlich wie nach der umstrittenen Rede Martin Walsers sei Kritik anfangs nur von Vertretern deutscher Juden - damals Ignatz Bubis, nun Rafael Seligmann und Salomon Korn - gekommen. Im folgenden Jahr habe dasselbe Publikum dann Fritz Stern, einen US-Juden, für eine völlig konträre Position beklatscht. So sei auf Daniel Goldhagen Finkelstein gefolgt, der, anders als in den USA, hierzulande zum Fachbuchautor hochgeschrieben worden sei. Deutsche Debatten um den Umgang mit dem Holocaust würden offenbar nur als US-Importe und heuchlerisch geführt. Der „Unterhaltungswert“ Finkelsteins sei „unschlagbar“:

Ein amerikanischer Jude, der Reparationszahlungen und die Ausbeutung des Holocaust anprangert - das muss besser sein als ein Porno.

Während einige Rezensenten die Analogien von Finkelsteins Polemik zu revisionistischer Holocaust-Relativierung herausstellten und feststellten, dass auch Judesein vor Torheit gewiss nicht schützt (Brenner), riet Harry Nutt in der Frankfurter Rundschau zu einem gelassenen Umgang damit. Es handele sich um einen „nachhaltigen Normalisierungsprozess“ der Vergangenheitsbewältigung:

Bei der Sorge um eine Argumentzufuhr für die rechte Szene sollte man sich der allmählich historisch werdenden Debatte um das Mahnmal für die ermordeten Juden Europas vergewissern, [...] die ein selbstbewusstes Monument der Polyphonie des Sprechens über das Undarstellbare darstellt.

Für den Berliner Politologen Arne Behrensen dagegen ist diese „Normalisierung“ äußerst problematisch:

Dahinter steht die Sehnsucht nach einem von Auschwitz nicht (mehr) belasteten Nationalstolz [von Rechten wie Linken]. Gemeinsam ist ihnen aber der Wunsch, 'tabulose', 'selbstbewusste' und 'offene' Debatten über die deutsche Vergangenheit und deren Konsequenzen zu führen.

Während die meisten Rezensenten sich von dieser offenen Debatte um das Buch einen Gewinn an Aufklärung versprachen und meist nur „Übertreibungen“ kritisierten, fand eine Überprüfung seiner Faktenbehauptungen und Quellen kaum statt. Einzelne wie Salomon Korn, die darauf bestanden, erschienen dann in der Rolle eines unversöhnlichen hysterischen Zensors - ein jüdischer Spielverderber (Behrensen). Dass die Zwangsarbeiter-Entschädigung maßgeblich durch Lobbyarbeit des JCC und deutscher, nichtjüdischer Historiker wie Ulrich Herbert durchgesetzt worden war, wurde nicht thematisiert.

Im Ergebnis der Mediendebatte um Finkelsteins Buch wurden für Zeitbeobachter wie Behrensen jüdische Organisationen, die sich seit Jahrzehnten für jüdische und nichtjüdische Holocaustopfer einsetzten, mit dem Verdacht behaftet, gierig und unredlich zu sein. Das Image des JCC sei auf Jahre hinaus stark beschädigt worden. Dies sei u.a. ein deutliches Zeichen, wie weit der „sekundäre“ Antisemitismus, der Juden nicht trotz, sondern wegen Auschwitz ablehnt, inzwischen die Mitte der Gesellschaft erreicht habe.

Siehe auch

Literatur

  • Norman G. Finkelstein: Die Holocaustindustrie. Piper Verl., München 2001, ISBN 349204316X
  • englisch: The Holocaust Industry: Reflections on the Exploitation of Jewish Suffering. Verso, 2003, ISBN 185984488X
  • Peter Novick: The Holocaust in American Life. Deutsch: Nach dem Holocaust. ISBN 3421054797 (Hauptquelle für Finkelstein)
  • Ernst Piper (Hrsg.): Gibt es wirklich eine Holocaust-Industrie? Pendo Verlag, Zürich 2001, ISBN 385842403X (sammelt Rezensionen vieler im Artikel genannter Autoren)
  • Petra Steinberger: Die Finkelstein-Debatte. ISBN 3492043283. (Artikel und Interviews der Süddeutschen Zeitung)
  • Martin Dietzsch / Alfred Schobert: Ein »jüdischer David Irving«? Norman G. Finkelstein im Diskurs der Rechten - Erinnerungsabwehr und Antizionismus. Duisburg, ISBN 3927388769
  • Ruth Bettina Birn: A Nation on Trial: The Goldhagen Thesis and Historical Truth. Henry Holt and Co., 1998, ISBN 0805058729 (Quelle Finkelsteins für seine Goldhagenkritik)