Geschichte der Sozialversicherung in Deutschland
Dieser Artikel beschäftigt sich mit der Entwicklung der Sozialgesetzgebung in Deutschland
Ursprünge der Sozialversicherungen
Die berufsspezifischen Versorgungssysteme der Zünfte und Gilden des Bergbaus sind als die Vorläufer der heutigen Sozialversicherungen zu sehen.
Deutsches Reich
Staatliche Systeme entstanden im Deutschen Reich erst am Ende des 19. Jahrhunderts.
Kaiserliche Botschaft 17.11.1881
Anläßlich des wachsenden Einflusses der Sozialdemokratie sah sich Kaiser Wilhelm auf Anraten des Reichskanzlers Otto von Bismarck veranlaßt, seine Auffassung vorzutragen. Der Reichstag sollte Gesetzte zum Schutze der Arbeiter gegen Krankheit, Unfall, Invalidität und Alter beschließen.
Daher sandte der deutsche Kaiser Wilhelm I. (Deutsches Reich)folgende, auf den damaligen Reichskanzler Otto von Bismarck zurückgehende Botschaft zur Eröffnung des deutschen Reichstages am 17. November 1881. In den folgenden Sitzungsperioden beschloss der Reichstag verschiedene Gesetze zur sozialen Sicherung.
- Schon im Februar d.J. haben Wir Unsere Überzeugung aussprechen lassen, daß die Heilung der sozialen Schäden nicht ausschließlich im Wege der Repression sozialdemokratischer Ausschreitungen, sondern gleichmäßig auf dem der positiven Förderung des Wohles der Arbeiter zu suchen sei werde. Wir halten es für Unsere Kaiserliche Pflicht, dem Reichstage diese Aufgabe von Neuem ans Herz zu legen, und würden Wir mit um so größerer Befriedigung auf alle Erfolge, mit denen Gott Unsere Regierung sichtlich gesegnet hat, zurückblicken, wenn es Uns gelänge, dereinst das Bewußtsein mitzunehmen, dem Vaterlande neue und dauernde Bürgschaften seines inneren Friedens und den Hilfsbedürftigen größere Sicherheit und Ergiebigkeit des Beistandes, auf den sie Anspruch haben, zu hinterlassen. In Unseren darauf gerichteten Bestrebungen sind Wir der Zustimmung aller ver-bündeten Regierungen gewiß und vertrauen auf die Unterstützung des Reichstages ohne Unterschied der Parteistellungen.
- In diesem Sinne wird zunächst der von den verbündeten Regierungen in der vorigen Session vorgelegte Entwurf eines Gesetzes über die Versicherung der Arbeiter gegen Betriebsunfälle mit Rücksicht auf die Reichstage stattgehabten Verhand-lungen über denselben einer Umarbeitung unterzogen, um die erneute Beratung desselben vorzubereiten. Ergänzend wird ihm eine Vorlage zur Seite treten, welche sich eine gleichmäßige Organisation des gewerblichen Krankenkassenwesens zur Aufgabe stellt. Aber auch diejenigen, welche durch Alter oder Invalidität erwerbsunfähig werden, haben der Gesamtheit gegenüber begründeten Anspruch auf ein höheres Maß staatlicher Fürsorge, als ihnen bisher hat zu Teil werden können.
- Für diese Fürsorge die rechten Mittel und Wege zu finden, ist eine schwierige, aber auch eine der höchsten Aufgaben jedes Gemeinwesens, welches auf den sittlichen Fundamenten des christlichen Volkslebens steht. Der engere Anschluß an die realen Kräfte dieses Volkslebens und das Zusammenfassen der letzteren in der Form korporativer Genossenschaften unter staatlichem Schutz und staatlicher Förderung werden, wie Wir hoffen, die Lösung auch von Aufgaben möglich machen, denen die Staatsgewalt allein in gleichem Umfange nicht gewachsen sein würde. Immerhin aber wird auch auf diesem Wege das Ziel nicht ohne die Aufwendung erheblicher Mittel zu erreichen sein.
Krankenversicherungsgesetz 1883
Das Gesetz betreffend die Krankenversicherung der Arbeiter (KGV) wurde am 15. Juni 1883 vom Reichstag beschlossen und trat ab dem 1. Dezember 1884 in Kraft. Für die Versicherten wurden folgende Leistungen eingeführt:
- Krankengeld ab dem 3. Tag, 50% bis zu 26 Wochen
- ärztliche Behandlung, Arznei und Hilfsmittel
- Krankenhausbehandlung
- Sterbegeld
- Wöchnerinnenunterstützung (Mutterschaftshilfe)
Die Beiträge trugen der Arbeitgeber zu 1/3 und Arbeitnehmer zu 2/3. Für beide Zahlungen wurde eine Beitragsbemessungsgrenze festgelegt. Träger wurden die
- Ortskrankenkassen (OK),
- Innungskrankenkassen (IKK),
- Gemeindekrankenkassen,
- Hilfskrankenkassen,
- Betriebskrankenkassen und
- Baukrankenkassen.
Unfallversicherungsgesetz 1885
Das Unfallversicherungsgesetz wurde am 6. Juli 1884 vom Reichstag beschlossen trat ab dem 1. Oktober 1885 in Kraft. Für die Versicherten wurden folgende Leistungen eingeführt:
- Unfallrenten ab der 14. Woche (Verdienstabhängig)
- Medizinische Heilbehandlung
- Unfallverhütung: Beweispflicht des Verunglückten entfiel
Der Arbeitgeber zahlte zu 100% die Beiträge. Träger wurden die Gewerbliche, Bau-, See-, land- und forstwirtschaftliche Berufsgenossenschaften
Invaliditäts- und Alterssicherung 1889
Das Gesetz betreffend der Invaliditäts- und Altersversicherung wurde am 22. Juni 1889 vom Reichstag beschlossen und trat ab dem 1. Januar 1891 in Kraft. Folgende Leistungen wurden festgelegt:
- Übergangsgeld während medizinischer Heilbehandlung
- Altersrenten ab dem 70. Lebensjahr
- Invaliditätsrenten
Die Beiträge kamen zu gleichen Teilen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Zusätzlich gab es einen Reichszuschuss. Träger wurden Regionale Versicherungsanstalten für Arbeiter (siehe Landesversicherungsanstalt.
Reichversicherungsordnung (RVO)
Am 19. Juni 1911 wurde die Reichsversicherungsordnung (RVO) verabschiedet, die von 1914 bis in die 1990-er Jahre hauptsächlich die deutsche Sozialversicherung regelte und inzwischen weitestgehend im Sozialgesetzbuch aufgegangen ist. In ihr wurden die früheren Gesetze zusammengefasst und weiterentwickelt. Die wichtigste Neuerung umfaßte die Einführung der Hinterbliebenenrenten. Die Voraussetzungen für eine Leistung waren entweder die Invalidität der Witwe oder die Bedürftigkeit des Witwers. Zudem mussten die Hilfskrankenkassen eine Zulassung als Ersatzkasse beantragen und dazu mindestens 1.000 Versicherte vorweisen.
Weimarer Republik
- 16. Juli 1927 - Gesetz über die Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) (in Kraft ab 1. Oktober 1927)
Nationalsozialismus
- 1936 durften die Ersatzkassen keine Freiwillig Versicherte mehr aufnehmen und überführten diese in ausgegründete Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit. Dies war der Beginn mehrerer Unternehmen der privaten Krankenversicherung.
- 1939 Einführung des Handwerker - Versorgungs - Gesetzes (HVG). Dies beinhaltete die Versicherungspflicht für selbständige Handwerker.
- 1941 wurden alle Rentner in die Krankenversicherung übernommen und sind seitdem automatisch krankenversichert - nach Beobachtungen des SS-Sicherheitsdienstes löste diese Maßnahme "sichtbare Befriedigung und große Freude" unter den Senioren aus.
Siehe Sozialpolitik im Nationalsozialismus und Götz Aly.
Bundesrepublik Deutschland
- 1953 erste Sozialwahl zur Besetzung der Selbstverwaltungsorgane der Versicherungsträger
- 01.01.1957 Rentenreform Sie hatte eine grundlegende Bedeutung. Die Rentenversicherung wurde zu einem auf dem Generationenvertrag beruhenden lohnbezogenen und beitragsbezogenen Versicherungssystem ausgebaut. Das Kernstück der Reform war die Einführung der Dynamik. Die neue Rentenformel beruhte auf dem Grundsatz: "Die Renten folgen den Bruttolöhnen"
- 1958 Zulassung von Ersatzkassen in West-Berlin
- 1960 Zulassung von Ersatzkassen im Saarland
- 1975 Beginn der schrittweisen Erarbeitung des Sozialgesetzbuchs
- 1988 Regelung der Krankenversicherung nach SGB V
- 1990 Erstreckung der Sozialversicherung auf die neuen Bundesländer
- 1992 Regelung der Rentenversicherung nach SGB IV
- 1994 Einführung des Risikostrukturausgleichs in der Krankenversicherung in Vorbereitung auf die Wahlfreiheit für alle Krankenkassen
- 26. Mai 1994 - Gesetz zur Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit (in Kraft ab 1. Januar 1995) und Regelung der Pflegeversicherung nach SGB XI
- 1996 Wahlfreiheit für (fast) alle Krankenkassen, Öffnungsrecht für Betriebskrankenkassen
- 1997 Regelung der Unfallversicherung nach SGB VII