Zum Inhalt springen

Nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 16. Juni 2008 um 07:58 Uhr durch DorisAntony (Diskussion | Beiträge). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.

In dem Gedicht Todesfuge von Paul Celan werden Geschehnisse in einem Konzentrationslager geschildert.

Inhalt

Das Gedicht beginnt mit einem Oxymoron, nämlich mit den Worten: „Schwarze Milch“. Es wird spekuliert, dass sich Celan hier auf die Klagelieder des Jeremia im Alten Testament bezieht. Da heißt es: „Ihre Fürsten waren reiner denn Schnee und klarer denn Milch. […] nun ist ihre Gestalt so dunkel von Schwärze.“ (Klgl 4,7f EU) Jedoch ist es auch möglich, dass es sich um eine Anspielung auf den damaligen Schwarzmarkthandel handelt.

Die letzten Zeilen, dein goldenes Haar Margarete und dein aschenes Haar Sulamith, können als Gegenüberstellung von deutscher und jüdischer Begrifflichkeit gedeutet werden. Margarete ist ein deutscher Name, und kann in diesem Zusammenhang auch als Anspielung auf „Gretchen“ aus Goethes Faust gedeutet werden, ein typisches von der deutschen Kultur geprägtes Werk. Goldenes, also blondes, Haar ist ein Merkmal der „Arier“. Im Gegensatz dazu steht der Name Sulamith, dieser bezieht sich vermutlich auf die weibliche Hauptperson des Hohen Lieds, eines Buches aus dem jüdischen Tanach (entspricht etwa dem Alten Testament der christlichen Bibel). „Aschenes Haar“ kann als Andeutung auf die Krematorien von KZs interpretiert werden.

Peter von Matt weist in seiner Interpretation darauf hin[1], dass es in dem Gedicht nur einen einzigen Reim gibt: sein Auge ist blau … er trifft dich genau. Celan spielt hier gleichzeitig auf den Tod seiner Mutter an, die von den Deutschen erschossen wurde, und auf ihre Liebe zu den deutschen Dichtern.

Fugenartigkeit des Gedichts

Das Gedicht heißt „Todesfuge“, weil die einzelnen sprachlichen Bausteine immer neu kombiniert werden. Dies ist eine Technik, die in der Musik für eine Fuge charakteristisch ist. Ferner wird das Anfangsmotiv („Schwarze Milch“) immer weitergesponnen, indem immer weitere Gegensätze miteinander kombiniert werden: „Schwarze Milch der Frühe wir trinken sie abends. Dass „Schwarze Milch der Frühe“ auch abends „getrunken“ wird, zeigt die Allgegenwärtigkeit und Schutzlosigkeit vor dem nahenden Tod und dem Hass der Nationalsozialisten, worauf Paul Celan hinweisen möchte

Die spezielle Verwendung von Fuge kann auch als Verweis auf die Todes-Musik angesehen werden, die von anderen Häftlingen vor den Gaskammern und Krematorien (daher Todesfuge) gespielt werden musste, wo andere Häftlinge „warteten“.

Insoweit ist das Anfangsmotiv als der zentrale Bestandteil des Gedichts gleichsam dessen Keimzelle. Ebenso wird in der Musik mit einem Motiv verfahren: Auch hier wird die kleinste Sinneinheit vielfältig variiert.

„Der Tod ist ein Meister aus Deutschland“

Als Redewendung wird die Zeile „der Tod ist ein Meister aus Deutschland“ besonders im antifaschistischen Sprachgebrauch häufig zitiert und findet sich auf Plakaten und in Wandmalereien wieder. Antisemiten bedienen sich häufig Applikationen der Celan-Zeile, wie z. B. „Der Tod ist ein Meister aus Israel“. Jedoch wird der Satz auch ohne politischen Hintergrund verwendet, wie etwa bei der Thüringer Dark Metal-Band Eisregen, die im Booklet zu Hexenhaus den Satz in der Form „Der Tod ist ein Meister aus Thüringen“ abdruckte. Slime (Band) taufte einer ihrer Titel so.

Autorenlesung

Zu besonderer Entfaltung kommt die Todesfuge – dies deutet bereits der Titel an – wenn sie aufgeführt, d. h. gesprochen wird. Es existiert eine Aufnahme von Celan selbst, die im Verlag Günther Neske, Pfullingen innerhalb der Sprechplattenedition Lyrik der Zeit erschienen ist.

Vertonung

Der später ausgebürgerte DDR-Komponist Tilo Medek vertonte das Celansche Gedicht in den 1960er Jahren als Chorwerk, das international beachtet wurde.

Ausgaben

  • Paul Celan: Todesfuge. Mit einem Kommentar von Theo Buck. 2. Auflage. Rimbaud, Aachen 2002. ISBN 3-89086-795-2
  • Paul Celan: Die Gedichte – Kommentierte Gesamtausgabe in einem Band, hrsg. und kommentiert von Barbara Wiedemann. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2003. ISBN 3518413902; TB-Ausg.: 2005, ISBN 3518456652

Sekundärliteratur

  • Jean Firges: Den Acheron durchquert ich: Einführung in die Lyrik Paul Celans. Stauffenburg Verlag, Tübingen 1998
  • Jean Firges: Vom Osten gestreut, einzubringen im Westen: Jüdische Mystik in der Dichtung Paul Celans. Sonnenberg Verlag, Annweiler 1998
  • Theo Buck: Interpretation. Paul Celan: Todesfuge. Reclam Verlag, Stuttgart 2002/2003

Einzelnachweise

  1. Peter von Matt: Verdächtige Pracht, dtv 2001, ISBN 3-423-30826-5