Witz

Literaturgattung, die das Gegenüber belustigen soll
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Ein Witz (v. althochdt.: wizzi Wissen) ist ein kurz formulierter Sachverhalt, der in der "Pointe" die plötzliche Option eröffnet, dem angebotenen Sachverhalt nicht mehr mit dem gebotenen Ernst zu begegnen. Im Moment, in dem der Witz in Gesellschaft erzählt wird, pflegen die Zuhörer den heiklen Positionswechsel durch das Lachen zu signalisieren - in der Gruppe muß sichtbar bleiben, was letztlich ernst ist und was nicht. Der Witz findet seine besonderen Entfaltungsformen vor allem in zwanghaft mit dem Gebot zum Ernst ausgelegten Bereichen. Siehe auch Humor.

Witz kann - die ältere Wortbedeutung - für Wissen und rasche Auffassungsgabe stehen - eine Wortbedeutung, die heute nur noch in den Ableitungen "gewitzt", "Gewitztheit" auftaucht.

Konstruktionsschemata des Witzes

Nach André Jolles kann man den Witz als eine einfache narrative Form verstehen. Seine reguläre Darbietung ist die kurze Erzählung, die einen offenbaren Punkt der Distanzierung vom andernfalls gebotenen Ernst birgt. Möglich sind ebensogut Bildwitze, bei denen der Betrachter den Plot selbst ergänzt und mit dem Moment garniert, das die Distanzierung vom gebotenen Ernst erlaubt. Eine groteske Verzerrung, ein offenkundig unwahrscheinliches Bildmoment kann die Distanzierung vom andernfalls gebotenen Ernst gestatten. Im mündlichen Vortrag kann das Signal zur Distanzierung allein mit einem Blick oder einer Geste zwischen dem Erzähler und den Zuhörern geschehen - die Regel ist jedoch ein Plot, bei dem der bekannte Ablauf bereits das Signal birgt, an welcher Stelle die Zuhörenden sich vom Ernst der Situation befreien können.

Witze finden ihre Sujets in allen Bereichen, die mit Geboten zu ernsthaftem Verständnis, Mitgefühl, menschlicher Wärme und Achtung ausgestattet sind: Sprachwitze erlauben es, der Bedeutungsausstattung der Sprache nicht länger ernst gegenüberzustehen, Sex-Witze erlauben es, dem mit Tabus und der Aufforderung zu Intimität und Mitgefühl belegten Bereich mit Weigerungen des eingeforderten Ernstes zu begegnen. Politische Witze erlauben es, einem politisch repressivem Regime mit einer Verweigerung des eingeforderten ernsthaften Respektes zu begegnen. Witze über Krankheit und Tod gedeihen im "schwarzen Humor" in den Feldern, die mit letzter Konsequenz Ernst einfordern.

Witze werden in der Regel nach standardisierten Konstruktionsschemata gebildet. Eine Erzählung wird etwa mit drei Steigerungen ausgestattet. Unter den Zuhörern besteht das Vorwissen, dass die letzte Steigerung die Situation so grotesk werden lässt, daß niemand die angebotene Geschichte länger ernst nehmen muss. Standard ist hier der Witz, der etwa einen Amerikaner, einen Franzosen und einen Russen vor ein ernsthaftes Problem stellt, ersterer verhält sich in der Situation bereits merkwürdig, zweiterer steigert dies, letzterer jedoch agiert ganz offenbar grotesk, womit das Signal zur Distanzierung vom situationsgebotenen Ernst gegeben ist.

Nicht minder beliebt ist die Konstruktion mit einer Frage, auf die eine unerwartete Antwort gegeben wird - der Zuhörer gibt für sich die eingeforderte Antwort, der Erzähler die Antwort, von deren Ernst sich jeder befreien kann. Die Witze mit der Eröffnung "Frage an Radio Eriwan" folgen diesem Konstruktionsschema.

Die doppelte - riskante und unriskante - Bedeutung von Worten gewinnt im Witz häufig Funktion: Weiß Ferdl betritt in den Tagen des Nationalsozialismus die Bühne mit einem Hitlerbild, sucht einen Platz, um es an die Wand zu hängen, stellt es dann auf dem Boden ab und überlegt endlich laut: "Man weiß nicht, ob man ihn aufhängen oder an die Wand stellen soll" - das ist maximal ernst formuliert im Sinne von "Hitler durch den Strang oder ein Erschießungskommando exekutieren", es erlaubt gleichzeitig die Befreiung vom Ernst der Situation - der Kabarettist kann sich darauf zurückziehen, hier dem Bild doch nur den eingeforderten Respekt erwiesen zu haben; es ist angeblich würdig, in allen allen Amtsstuben und Klassenzimmern zu hängen.

Die Erzählung des Witzes pflegt Gruppenkonsens einzufordern und vorauszusetzen. Es gibt Insiderwitze, über die nur lachen kann, wer den Sachverhalt, etwa ein bestimmtes Computerproblem, in seinem Ernst versteht. Heikel ist es in der Regel darum auch, als Fremder mit einer Grupe mitzulachen, in der ein Witz erzählt wird (etwa auf einer Eisenbahnfahrt im Gruppenabteil). Das Lachen der Gruppe erstirbt meist, sobald ein Außenstehender mitlacht. Es ist erst einmal nur den Gruppenmitgliedern erlaubt, sich vom Ernst des Themas zu distanzieren. Wer nicht dazugehört, darf sich nicht unaufgefordert über etwas erheben, was der Gruppe letztlich gerade sehr ernst ist.

Sigmund Freud befasste sich mit dem Witz, in dem er eine Technik des Unbewussten zur Einsparung von Konflikten und zum Lustgewinn sah. Durch die emotionale Solidarisierung mit Gleichgesinnten wirkt der Witz nach Freud gegen Autorität, gegen Sinn - oder auch gegen Andersdenkende.

Symptomatisch ist am Ende, daß der Witz verfliegt, sobald man ihn erklärt. Im Moment der Erklärung wird der Pointe das Überraschungsmoment genommen, sie ist nicht länger Auslöser der Distanzierung vom eingeforderten Ernst. Stattdessen wird gerade geklärt, was der Ernst der Situation ist und damit wieder das Gebot zum Ernst hergestellt.


Redewendungen

Die Redewendung Witz an der Sache verwendet man, um auszudrücken, dass es sich bei einem bestimmten Detail eines Themenkomplexes um den Kernpunkt, den wesentlichen Teil handelt. Beispiel: Und deswegen hat er das gemacht? Ja, das war doch der Witz an der Sache.

Siehe auch

Weiteres

Nachsilbe -witz

-witz eingedeutschtes ursprünglich slawisches Suffix in Ortsnamen und davon abgeleiteten Familiennamen. Die Endung -witz (polnisch wice) kommt insbesondere bei ursprünglich wendischen (vielfach dort auch -fitz) oder anderen slawischen Ortsnamen vor und ist ein patronymisches Suffix, zeigt also an, dass der vorangestellte Name Gründer des Ortes oder zumindest eine wichtige, namengebende Person des Ortes war. Beispiele: Beckerwitz, Jannowitz, Kattowitz, Zinnowitz, Bannewitz, Dresden-Wachwitz und -Wurgwitz

Personennamen

Literatur

  • Sigmund Freud: Der Witz und seine Beziehung zum Unterbewussten