Studentenlied

Studentenlieder sind Lieder, die von Studenten bei studentischen Freizeitveranstaltungen – manchmal mit Musikbegleitung – gemeinschaftlich gesungen wurden und werden. Es kann davon ausgegangen werden, dass Studentenlieder so alt sind wie die Herausbildung einer Studentenschaft als in sich geschlossene soziale Gruppe. Schriftlich sind sie in Europa seit dem 13. Jahrhundert überliefert.
Sprache der Texte
Die Texte aus der frühen Zeit sind überwiegend in Mittellatein verfasst, der damals europaweit üblichen Sprache an allen Universitäten, teilweise aber auch in Mittelhochdeutsch. Mit dem Übergang zur Unterrichtssprache Deutsch entstanden zunehmend Lieder in der Muttersprache der Studenten, obwohl lateinische Textpassagen in vielen Liedern üblich blieben. Bei Liedern, die vor dem Ende des 18. Jahrhunderts entstanden waren, sind auch französische Textstellen zu finden.
Themen
Die Lieder behandeln in ihren Texten traditionell Themen, die junge Männer bewegen, die ihrem Elternhaus zumindest für eine gewisse Zeit entkommen konnten. Typisch für diese soziale Gruppe sind die in früheren Jahrhunderten unübliche individuelle Freiheit und Ungebundenheit sowie eine besonders ausgeprägte Lebenslust. Das spiegelt sich wider in den Themen: Feiern (Essen, Trinken, Rauchen), Liebe/Sexualität sowie Freude an der Natur und ihren Jahreszeiten.
Bei gewissen Themen bestand ein fließender Übergang zwischen Studenten- und Volkslied. Auch Soldatenlieder hatten – aufgrund der Biographien vieler Studenten – Einfluss auf das Studentenlied. Die später entstandenen und im studentischen Gebrauch verwendeten Landsknechtslieder sind jedoch eher historisierenden Ursprungs und hiervon abzugrenzen.
An Technischen Universitäten hat sich bis heute eine gewisse Nähe zu den Liedern der Handwerksgesellen gehalten. Während die Handwerksburschen an den wissenschaftlichen Hochschulen zu den Erzfeinden der Studenten zählten, standen die Studenten an den neuen polytechnischen Hochschulen des 19. Jahrhunderts dieser Kultur näher, was auch zu einem Austausch von Liedgut führte.
Ab etwa 1800 wurden die studentischen Traditionen an deutschen Hochschulen zunehmend von den Studentenverbindungen im heutigen Sinne gepflegt und weiterentwickelt. Das führte dazu, dass in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aus der allgemeinstudentischen Kultur die Kultur der Studentenverbindungen wurde. Diese Verbindungen verloren ab etwa 1848 den Nimbus der verbotenen Zusammenschlüsse von ungehorsamen Jugendlichen und wurden zu etablierten Institutionen der außerwissenschaftlichen Erziehung der Studenten. Durch die Bildung von Altherrenschaften, also den Organisationen der nicht mehr studierenden Mitglieder, entstand eine neue Art von Studentenlied, die mehr aus dem Alter auf die „schöne Jugendzeit“ zurückblickte („O alte Burschenherrlichkeit“).
Durch diese zunehmenden Kontakte zum Bildungsbürgertum entwickelten sich auch neue Themen im Studentenlied. Besonders typisch ist dabei eine Liedform, die sich in scherzhafter Form sich mit historischen Themen auseinander setzte. Berühmtester Dichter dieser Liedgattung war Josef Victor von Scheffel.
Seit den Befreiungskriegen und besonders nach der Reichsgründung 1871 wurden „vaterländische“ Lieder, also Lieder über die deutsche Nation und ihre Wehrhaftigkeit zu beliebten Liedern deutscher Studenten. Sie wurden zum festen Programmpunkt feierlicher studentischer Veranstaltungen.
Überlieferung
Die ältesten Lieder sind mit Sicherheit oft improvisiert und mündlich überliefert worden. Im Druck (Kommersbuch) erschienen Studentenlieder zum ersten Mal im Jahre 1781. Das Allgemeine Deutsche Kommersbuch wurde 1856 zum ersten Mal herausgegeben und erlebte seitdem 160 Auflagen. Heute sind Kommersbücher von den Kneipen der Studentenverbindungen nicht mehr wegzudenken.
Die heute von Studentenverbindungen verwendeten Kommersbücher beinhalten hauptsächlich Lieder, die im 19. Jahrhundert entstanden sind, einige wenige stammen aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Lieder aus dem 20. Jahrhundert habe bisher keine Aufnahme in den traditionellen Kanon der Kommersbücher gefunden.
Die FDJ, die Jugendorganisation der DDR, versuchte 1987 aus Anlass des 170. Jubiläums des Wartburgfestes, an die Tradition des Studentenliedes anzuknüpfen, und gab aus diesem Anlass ein Liederbuch heraus, das traditionelle Studentenlieder und Lieder der FDJ verband.
Studentische Liedgattungen
Vagantenlieder des Mittelalters
Vagantendichtung bezeichnet die mittelalterliche weltliche Lyrik, die oft (aber nicht ausschließlich) von reisenden Klerikern und Scholaren stammt. Allgemein bekannt sind noch die Lieder des "Codex Buranus" der sogenannte Carmina Burana, die durch Carl Offfs Vertonungen populär wurden. Diese Lieder haben aber keinen spezifischen studentischen Hintergrund.
Bis heute hat sich aus dieser Zeit das Lied Gaudeamus igitur erhalten, das in ganz Europa weiterhin in lebhaftem Gebrauch ist. International verwendet wird die Fassung, die von Christian Wilhelm Kindleben im Jahre 1781 schriftlich festgehalten wurde.
Im 19. Jahrhundert entstandene studentische Wanderlieder nehmen oft historisierend auf die mittelalterlichen "fahrenden Schüler" Bezug.
Rundgesänge
In historischen Quellen sind für das 18. Jahrhundert sogenannte Rundgesänge überliefert, bei denen reihum jeder Teilnehmer eines studentischen Gelages (heute: Kneipe) eine Strophe improvisieren musste. Der Refrain wurde dann von der gesamten Gesellschaft gemeinsam gesungen.
Im Laufe der Zeit wurden dann wohl die beliebtesten Strophen weiter überliefert und die Versionen zunehmend standardisiert. Einige dieser Lieder fanden Aufnahme in die Kommersbücher. Sie sind daran zu erkennen, dass sie meist auf das 18. Jahrhundert datiert sind, viele, aber kurze (meist zweizeilige) Strophen haben und einen langen, oft mehrfach wiederholten Refrain, der Zeit zum Nachdenken für das Erfinden der nächsten Strophe ließ. Das literarische Niveau ist dabei meist niedrig, die Sprache stammt aus der jugendlichen Alltagssprache des 18. Jahrhunderts.
Beispiele (nur ausgewählte Strophen):
- Ça, ça geschmauset
- Ça, ça geschmauset, lasst uns nicht rappelköpfisch sein!
- Wer nicht mithauset, der bleibt daheim.
- Refrain: Edite, bibite collegiales, post multa saecula pocula nulla.
- Der Herr Professor liest heute kein Kollegium,
- Drum ist es besser, man trinkt eins rum.
- Refrain
- Trinkt nach Gefallen, bis ihr die Finger danach leckt.
- Dann hat´s uns allen recht wohl geschmeckt.
- Refrain
- Auf, auf ihr Brüder! Erhebt den Bacchus auf den Thron
- Und setzt euch nieder, wir trinken schon.
- Refrain
- (Text und Melodie unbekannter Herkunft)
- Es leben die Studenten
- Es leben die Studenten stets in den Tag hinein,
- Wär'n wir der Welt Regenten, sollt immer Festtag sein.
- Refrain: Fürwahr, fürwahr, das ist doch sonderbar.
- Wir jubeln, singen, trinken wohl durch die ganze Nacht,
- Solang die Sternlein blinken, wird an kein´ Rast gedacht.
- Refrain
- Doch sind geleert die Taschen, dann ziehen wir nach Haus.
- Man lebt bei leeren Flaschen nicht gut in Saus und Braus.
- Refrain
- (Melodie übernommen vom französischen Studentenlied "Mon père est à Paris", Text aufgezeichnet von Christian Dehn, 1807 bis 1852, Corps Vandalia Rostock)
Trinklieder
Liebeslieder
Scherzhaft-historische Lieder
“Altherren“-Lieder
Wanderlieder
Vaterlandslieder
Studentenlied heute
Studentenlieder entstehen heute nur noch in einem begrenzten Rahmen, eigentlich nur noch bei Demonstrationen, wo bekannte Volks- oder Protestlieder für den Anlass mit einem aktuellen Text unterlegt werden.
Ansonsten besteht das Repertoire heutiger singender Studenten (sofern sie nicht in Verbindungen singen) vorwiegend aus deutschen und internationalen Folk- und Pop-Songs, wie sie auch bei der nicht-akademischen Jugend heute üblich sind.
Weblinks
Literatur
- Theodor Hölcke: Vom deutschen Studentenlied, in: Historia Academica. Schriftenreihe der Studentengeschichtlichen Vereinigung des Coburger Convents. Heft 29/30, 1990/91
- Raimund Lang: Intonas I. Von studentischen Texten und Weisen. Verlag des Österreichischen Vereins für Studentengeschichte, Wien 1992
- Raimund Lang: Intonas II. Von studentischen Texten und Weisen. Verlag des Österreichischen Vereins für Studentengeschichte, Wien 1998
- Raimund Lang: Die Frau im Studentenlied, in: Documenta et Commentarii. Schriftenreihe der Schweizerischen Vereinigung für Studentengeschichte. Nr. 20, 1998
- Raimund Lang: Ergo cantemus. Texte und Materialien zum Studentenlied. GDS-Archiv für Hochschulgeschichte und Studentengeschichte, Beiheft 13 SH-Verlag, Köln 2001 ISBN 3894981121
- Friedrich-Schiller-Universität Jena (Hg.) "Wir hatten gebauet ein stattliches Haus..." Beiträge zur Geschichte der Deutschen Burschenschaft 1815-1848/49, Jena 1989 (Anhang)
Siehe auch: Liste verbindungsstudentischer Begriffe, Allgemeines Deutsches Kommersbuch