Gute Idee, Mk Kraven. Lass uns streiten bzw. neudeutsch disktutieren. Wenn ein Territorialfürst das Recht besitzt, in seinem Staat Steuern zu erheben, eigene Münzen zu prägen, ein eigenes Heer aufzustellen, die Hoheit über den Bergbau auszuüben, Festungen zu bauen, Städte zu gründen, Zölle zu verlangen und seit 1648 offiziell Bündnisse und sogar Personalunionen mit ausländischen Mächten einzugehen (was de facto schon längst geschah), was trennt den Territorialstaat dann noch von der völligen Souveränität ? Als angehender Historiker lernt man, Sachverhalte eher nach der tatsächlichen Praxis als nach offiziellen, realitätsfernen Einstufungen zu beurteilen. Das "Heilige" Römische Reich war eine gewaltige Ansammlung von Staaten, die durch ein loses sakrales Band und seltsame Institutionen (z.b. der Reichstag) notdürftig zusammengehalten wurden. Da kann Georg Schmidt von "sich ergänzenden" Staaten schreiben, in der Realität waren zahllose (kriegerische) Konflikte zwischen den Territorialstaaten im Zuge der Hausmachtpolitik an der Tagesordnung. Sie existierten meist nebeneinander, oftmals gegeneinander, selten miteinander - und dann auch nur mit Hilfe von Zugeständnissen. Ich halte es eher mit dem scharfsinnigen Samuel von Pufendorf: Das Reich war ein feudalistisches Monstrum mit absolutistischen Gliedern. Oder um mit Voltaire zu sprechen, weder heilig, noch römisch, noch ein Reich. Ich finde meine Unterscheidung in faktische und offizielle Souveränität eigentlich passend und würde das auch gerne wiederherstellen, aber ich warte erstmal auf Deine Erläuterungen.
-- Ich möchte vermeiden, dass bei historischen Laien ein schiefes Bild vom Alten Reich entsteht.
Tatsache ist doch, dass vor allem die kleinen Reichsstände nicht ohne den Schutz von "Kaiser und Reich" lebensfähig waren - da ist es nicht weit her mit Souveränität. Auch die größeren mussten sich an den vom Reich gesetzten institutionellen Rahmen halten und konnten nicht tun und lassen was sie wollten. In diesem Bereich hat die Forschung in den letzten Jahren viel Neues gebracht.
Ich denke, so wie sich der Artikel jetzt darstellt, ist er recht ausgewogen und möchte es dabei belassen. Mk53
Ich muss Dir leider als oberlehrerhafter Historiker dezent widersprechen, da selbst die kleinen Territorialstaaten oftmals ohne Unterstützung durch das Reich und vor allem den Kaiser existierten - die größeren sowieso. Der institutionelle Rahmen des Reiches wurde in vielen Fällen untergraben und missachtet, da geben mir die historischen Fakten hundertfach recht. Ein nettes Beispiel ist die Fürstenverschwörung von 1552, die zum Ergebnis hatte das drei Reichsstädte (natürlich völlig widerrechtlich) an Frankreich übergeben wurden. Und wie bereits erwähnt besassen die Territorialstaaten praktisch alle Hoheitsrechte die einen souveränen Staat auszeichnen - wirtschaftlich schwache, kleine Staaten wurden meist von dem nächstliegenden größeren Teilstaat abhängig. Auch die unzähligen Scharmützel und Kriege, die unter den Territorialstaaten ausgetragen wurden zeugen von einer Politik, die eigentlich nur unter souveränen Staaten ausgetragen wird. Mir ist der neueste Forschungsstand natürlich (zum Teil zwangsweise) bekannt, aber der ist mal wieder typisch für eine aktuelle Entwicklung: man überträgt heutige Verhältnisse und Ansichten auf frühere Epochen - da erklären manche Historikerinnen die mittelalterlichen Beginen zu feministischen Vereinigungen, was völliger Quatsch ist. Da erklären linksgerichtete Historiker, das der Bauernkrieg Ausdruck einer frühen sozialistischen Massenbewegung war - ebenfalls unwahr. Und schliesslich gibt es viele Historiker, die in dem grotesken Heiligen Römischen Reich den Vorläufer eines modernen föderalistischen Staates sehen, was ebenso realitätsfern ist. Selbst die Bezeichnung "Konföderation" wäre übertrieben. Also ich würde zumindest von "nahezu souveränen" Territorialstaaten sprechen, sonst könnte man als Unbedarfter fast denken die über dreihundert Einzelstaaten seien so etwas wie unsere heutigen Bundesländer gewesen. Man kann natürlich darauf hinweisen, das die schwächeren Teilstaaten trotz ihrer zahlreichen garantierten Hoheitsrechte oftmals in Abhängigkeit von anderen Staaten gerieten. --Dylac