Neokonservatismus

politische Ideologie
Dies ist eine alte Version dieser Seite, zuletzt bearbeitet am 31. März 2005 um 20:31 Uhr durch Wolpertinger (Diskussion | Beiträge) (Literatur). Sie kann sich erheblich von der aktuellen Version unterscheiden.

Der Neokonservatismus (auch Neokonservativismus) ist eine politisch konservative Strömung besonders in den USA, die traditionelle Quellen der Autorität (Familie, Staat, Religion) in den Mittelpunkt stellt. Der Neokonservatismus gewann in der Person führender Politiker wie Paul Wolfowitz oder Richard Perle prägenden Einfluss auf die Grundzüge der amerikanischen Außenpolitik unter George W. Bush. Diese wegen ihrer Befürwortung militärischer Konfliktregulierung oftmals als "Falken" geltenden Politiker und Intellektuellen werden als "Architekten" eines interventionistischen Unilateralismus der USA gesehen. Vielfach wird auch ein "imperiales Projekt" dieser Kreise ausgemacht, das die US-amerikanische Hegemonie in der Welt sichern soll.

Konzepte

Die politische Gruppierung der Neokonservativen unterstützt einen rigorosen Antikommunismus und profilierte sich in den vergangenen 25 Jahren insbesondere durch die Befürwortung einer interventionistischen Außenpolitik und unilateraler Hegemonieansprüche. Bei der Durchsetzung ihrer interventionistischen Konzepte sind die Neocons auch bereit, Spannungen mit traditionellen Konzepten der Diplomatie und sogar des Völkerrechts in Kauf zu nehmen. Während ursprünglich auf staatlichen Dirigismus gesetzt wurde, decken sich vor allem in jüngster Zeit die wirtschafts- und sozialpolitischen Konzepte weitgehend mit jenen neoliberaler Theoretiker.

Gleichzeitig grenzen sie Neocons scharf von traditionellen "Right-Wing"-Konservativen ab, deren Konzepte des Protektionismus und Isolationismus - wie sie z. B. von dem Ex-Republikaner Pat Buchanan vertreten wurden - sie entschieden ablehnen.

Ursprünge

Die Wurzeln in der "Old Left" (alten Linken)

Die intellektuellen Gründer des Neokonservativismus, Daniel Bell, Nathan Glazar, Irving Howe und der prominenteste unter ihnen, Irving Kristol, waren Absolventen des City College of New York, einer Kaderschmiede, die wegen ihrer harten Aufnahmekriterien bei fehlenden Studiengebühren als "Harvard des Proletariats" bezeichnet wurde. Diese Intellektuellen waren großteils Kinder ostjüdischer Emigranten, einer Bevölkerungsgruppe, die oft besonders unter Armut zu leiden hatte. Diese Herkunft machte die Intellektuellen zugänglich für die neuen und revolutionären Ideen des Sozialismus und des Kommunismus. Die Weltwirtschaftskrise radikalisierte in den 1930er Jahren die gesamte US-amerikanische Gesellschaft, so auch die Studentenschaft des New Yorker City College.

Aufgrund der katastrophalen Wirtschaftslage und dem damit verbundenen sozialen Elend wurde eine grundlegende Veränderung der Sozialpolitik gefordert und in dem sog. New Deal teilweise auch erreicht. Dies führte zu einem Staatsinterventionismus, der zu anderer Zeit in der US-amerikanischen Gesellschaft keine Chance hatte - Eine prägende Erfahrung für die späteren Neocons. Zudem wurde die Macht des Staates und insbesondere auch die Macht der Zentralregierung in Washington gestärkt, was sich mit den Vorstellungen dieser Gruppe deckte

Opposition zur "New Left" (Neuen Linken)

Aus dem Kreis der liberalen und sozialistischen Befürworter des Zweiten Weltkriegs formierte sich eine Gruppierung von Intellektuellen, die konservative, sozialistische und liberale Vorstellungen in sich vereinte. Diese Gruppe von kritischen Intellektuellen, oft selbst aus der sog. Arbeiterklasse stammend, bildet den Nukleus der so genannten Neokonservativen - auch wenn diese Bezeichnung damals noch nicht gebräuchlich war.

Irving Kristols Buch Neo-conservatism : The Autobiography of an Idea dürfte der eigentliche Namensgeber für die hier diskutierte politische Ideologie sein. Aufgrund der neuartigen Verbindung konservativer und progressiver Positionen ist eine Abgrenzung dieser Gruppierung schwierig. Es lassen sich allerdings durchaus wichtige Haltungen und Einstellungen benennen, die die Neokonservativen miteinander verbinden. Diese stammen überwiegend aus den Zeiten des Kalten Krieges, als die "Neocons" vielfach noch den Demokraten nahestanden (wie zum Beispiel Jeane Kirkpatrick, die somit eine Brücke vom Reaganism zum Neo-conservatism verkörpert): staatliche Verantwortung in der Wirtschaft zur Aufrechterhaltung des sozialen Friedens, Wertkonservatismus im Sinne der Erhaltung eines starken Amerikas im Innern und eine auf militärische Dominanz setzende Außenpolitik. Auffallend ist die Dichotomisierung in Gut und Böse, die auch nach dem Ende des Kalten Krieges das Weltbild der Neocons bestimmt.

Die Neokonservativen des Kalten Krieges setzten sich in scharfe Opposition gegenüber der New Left (David Horowitz u.a.), was sie stärker an den traditionellen konservativen Flügel heranrückte. Zwar befürworteten die Neocons eine sozialstaatliche Politik im Inneren, nach Außen traten sie aber als strikter Gegner jeder Entspannungspolitik gegenüber der Sowjetunion und als Verfechter der US-amerikanischen Vorherrschaft auf. Diese Verknüpfung von "konservativen" und "progressiven" Elementen ist bis heute das Kennzeichen der so genannten Neocons. So basiert die Rechtfertigung von Interventionen und Maßnahmen, etwa gegenüber den "Schurkenstaaten" (Rogue States), auf Menschenrechtsargumenten, denen auch Kritiker eines Interventionismus nicht widersprechen können. Auch ist das proklamierte Ziel, Demokratie und Freiheit weltweit zu verteidigen und zu verbreiten (Nation-Building) eigentlich unstrittig. Zum Problem wird für viele erst die Verknüpfung mit dem Ziel einer neuen "Pax Americana".

Theoretische Wurzeln

Ein wichtiger Denker für die Neokonservativen ist der Philosoph Leo Strauss. Zudem wird bei vielen Wortführern eine intellektuelle Beeinflussung durch Carl Schmitt - direkt oder vermittelt durch Leo Strauss - unterstellt. Ein einigender Grundzug in den Weltanschauungen neokonservativer Vordenker ist ein an Hobbes angelehnter Skeptizismus hinsichtlich der Möglichkeiten friedlicher Konfliktlösungen. Dieser findet seine Entsprechung in macchiavellistischen Politikentwürfen, wobei mit Strauss und Schmitt sogar auf Konzepte Platons zurückgegriffen werden kann. Auch auf Karl Popper wird gelegentlich rekurriert ("Wir dürfen uns nicht scheuen, für die Freiheit auch Kriege zu führen").

Jüngere Theoretiker sind z.B. Albert Wohlstetter - Doktorvater von Paul Wolfowitz - oder der aus Tschechien stammende Josef Korbel (Vater der ehemaligen US-Außenministerin Madeleine Korbel Albright).

In der Regierung George W. Bushs werden eine Reihe einflussreicher Politiker dem Lager der Neokonservativen zugerechnet, darunter, neben Perle und Wolfowitz: Douglas Feith (Verteidigungsministerium), Staatssekretär John Bolten (Außenministerium) und Lewis Libby (Chief of Staff unter Vizepräsident Dick Cheney). Als ihre "Schaltzentrale" wird unter anderem das American Enterprise Institute (AEI) genannt, ein expandierender Think Tank in Washingtons Zentrum. Erheblichen Einfluss hat auch das Project for the New American Century (PNAC), dem zahlreiche der Bush-Regierung nahestehende Intellektuelle und Politiker angehören. Mit Eleana Benador (Benador Associates) verfügen die Neocons über eine einflussreiche PR-Agentur mit vielfältigen Kontakten zu Politik, Wirtschaft und Medien.

Der Neokonservativismus als eine "jüdische" Bewegung

Einer der kontroversesten Punkte der Diskussion um den Neokonservatismus ist dessen Beziehung zu einer speziellen Spielart jüdisch-intellekueller Tradition. So ist dem Neokonservatismus der Vorwurf gemacht worden, primär jüdische (israelische) Interessen zu fördern. In seiner zugespitztesten Variante grenzt dieser Vorwurf an offenen Antisemitismus und krude Verschwörungstheorien. Dies ist z.B. der Fall, wenn - in der Regel durch Rechtsextreme - eine jüdisch gesteuerte "Machtergreifung der Neocons" konstruiert wird.

Publizistische Foren

Periodika wie Policy Review, Commentary, The New Republic, The Public Interest, The American Spectator, The Weekly Standard (wohl das einflussreichste Magazin, von William Kristol gegründet), The National Review, das Wall Street Journal (und dessen Ableger Opinion Journal) veröffentlichen regelmäßig Beiträge neokonservativer Vordenker und von Politikern, die ihnen nahestehen.

Literatur

  • Kristol, Irving: Neo-conservatism. The Autobiography of an Idea. Ivan R. Dee, Publisher, 1999. - ISBN 1-56663-228-5
  • Kagan, Robert: Macht und Ohnmacht. Amerika und Europa in der neuen Weltordnung. Berlin: Siedler 2003. - ISBN 3-886-80794-0
  • Edwards, Lee: The Conservative Revolution: The Movement That Remade America. Free Press, 1999. - ISBN 0-68483-500-2
  • Micklethwait, John/Wooldridge, Adrian: The Right Nation: Conservative Power in America. New York: Penguin Books, 2004. - ISBN 1-594-20020-3
  • Wohlstetter, Albert: Swords from Plowshares. The Military Potential of Civilian Nuclear Energy. University of Chicago Press, 1979. - ISBN 0-22690-476-8
  • Gold, Philip: Take Back the Right: How the Neocons and the Religious Right Have Hijacked the Conservative Movement. Carroll & Graf Publishers, 2004. - ISBN 0-78671-352-6
  • Stelzer, Irwin: The Neocon Reader. Grove Press, January 2005. - ISBN 0-80214-193-5
  • Dobbins, James et al.: America’s Role in Nation-Building. From Germany to Iraq. Santa Monica, CA: The Rand Corporation, 2003. - ISBN 0-8330-3460-X (PDF-Download)
  • Cockburn, Alexander/St. Clair, Jeffrey: Imperial Crusades: Iraq, Afghanistan. - (Die Autoren sind Herausgeber des "CounterPunch", einem der bedeutendsten "liberalen" (linken) Printmagazine in den USA bzw. dessen Website - Bezugsquelle)

Weiterführende Artikel