Serbokroatische Sprache
| Serbokroatisch | ||
|---|---|---|
|
Gesprochen in |
Serbien und Montenegro, Kroatien, Bosnien-Herzegowina, Deutschland, Österreich, andere Nachfolgestaaten und Auswandererländer für das ehemalige Jugoslawien | |
| Sprecher | 17 - 22 Millionen | |
| Linguistische Klassifikation |
| |
| Offizieller Status | ||
| Amtssprache in | (nur unter den Bezeichnungen Kroatisch, Bosnisch und Serbisch) | |
| Sprachcodes | ||
| ISO 639-1 | sh | |
Serbokroatisch (auch: Kroatoserbisch) ist der veraltete Oberbegriff für die südslawischen Sprachen Kroatisch, Bosnisch und Serbisch. Serbokroatisch ist linguistisch gesehen eine Einzelsprache. Allerdings wurde die Bezeichnung im ehemaligen Jugoslawien sehr stark ideologisiert und ist heute durch die Namen der ehemaligen Regional- und heutigen Nationalsprachen der Nachfolgestaaten ersetzt worden.
Geschichte
Die Geschichte der südslawischen Völker und infolgedessen auch der südslawischen Sprachen verlief über Jahrhunderte im Bereich der Literatur und der Sprachentwicklung aufgrund der über 500 Jahre dauernden unterschiedlichen Zugehörigkeit der Serben zum Osmanischen Reich und der Mehrheit der Kroaten zu Österreich-Ungarn voneinander größtenteils getrennt.
Mitte des 19. Jahrhunderts wählten Kroatische und Serbische Linguisten den vor allem in der Herzegowina verbreiteten stokavischen Dialekt als "gemeinsamen Nenner", da er beiden Sprachen am ähnlichsten ist, als Basis für die Serbokroatische Sprache.
Der Normierungsprozess war im Serbokroatischen wie im Kroatoserbischen nicht so weit fortgeschritten wie in anderen Schriftsprachen.
Im kommunistischen Vielvölkerstaat Jugoslawien wurde bis 1974 versucht, die auf dem Štokavischen basierenden Schriftsprachen der Kroaten, Bosniaken, Montenegriner und Serben möglichst weit aneinander anzugleichen. (Neben dem Serbokroatischen gab es in Jugoslawien auch noch größere Gruppen von Slowenen, Mazedonier, Albaner, Ungarn mit ihren eigenen Muttersprachen. )
1954 wurde im "Abkommen" von Novi Sad festgelegt, dass die Sprache der Kroaten, Bosnier, Herzegowiner, Serben und Montenegriner dieselbe sei, nämlich Serbokroatisch. Lediglich der Unterschied in der Aussprache zwischen Ijekavisch und der Ekavisch und die Verwendung der zwei verschiedenen Alphabete sollten bestehen bleiben. Das Serbische wurde danach gewöhnlich als östliche Variante, das Kroatische als westliche Variante des Serbokroatischen bezeichnet.
Im Jahr 1974 (nach dem "Kroatischen Frühling") wurde in Kroatien wieder Kroatisch als eigenständige Sprache als Unterrichtsfach in den Schulen eingeführt. In den übrigen Teilrepubliken blieb die Bezeichnung Serbokroatisch jedoch im Gebrauch.
Seit dem Zerfall Jugoslawiens werden das Bosnische, Kroatische und Serbische offiziell als eigenständige Sprachen anerkannt, während der Status der Sprache der Montenegriner nach wie vor umstritten ist. Vor allem in Kroatien werden dabei auch sprachliche Eigenheiten, die seit 1918 verpönt, unterdrückt oder in Vergessenheit geraten waren, wieder verwendet. Das grammatische System und der Grundwortschatz der drei Sprachen sind nach wie vor ähnlich, jedoch dürfte die nicht mehr gemeinsam erfolgende Sprachpflege zu einer künftigen weiteren Auseinanderentwicklung beitragen.
Dialekte
Die serbokroatischen Dialekte lassen sich in vier Dialektgruppen unterteilen, von denen drei nach der jeweiligen Form des Fragewortes was? benannt sind (und die nicht deckungsgleich mit den Sprecherländern sind): Das Štokavische (nach dem Fragewort für was: što) wird in ganz Bosnien und Herzegowina und Montenegro sowie in einem Teil Serbiens und Kroatiens gesprochen. Das Kajkavisch (kajkavski; Fragewort kaj anstatt što) ist im nördlichen Kroatien verbreitet und das Čakavische (čakavski; Fragewort größtenteils ča statt što oder kaj) im nördlichen und mittleren Teil der kroatischen Küste. Die Dialekte des südöstlichen Serbiens, die einen Übergang vom Štokavischen zum Mazedonischen und Bulgarischen bilden, werden als Torlakisch bezeichnet.
Das Štokavische lässt sich wiederum in mehrere Untergruppen einteilen. Der auffälligste Unterschied betrifft die verschiedene Wiedergabe des urslawischen Lautes jat. Nach der Wiedergabe dieses Lautes als ije/je (z.B. svijet - Welt; oder cvijet - Blume), e (svet, cvet; mit einem langen e ausgesprochen) oder i (svit, cvit) werden die štokavischen Dialekte in ijekavische (ijekavica), ekavische (ekavica) und ikavische (ikavica) unterschieden. Ijekavische Dialekte werden in Teilen Kroatiens, dem größten Teil Bosnien und Herzegowina, ganz Montenegro sowie in kleineren Teilen Westserbiens gesprochen. Ekavische Dialekte werden im größten Teil Serbiens gesprochen. Ikavische Dialekte kommen in Teilen Dalmatiens, in der westlichen Herzegowina, sowie Teilen Westbosniens und des südlichen Slawoniens vor.
Die Schriftsprache aller vier Nationalitäten baut auf dem Štokavischen auf. Die Kroaten, Bosniaken und Montenegriner verwenden dabei nur das Ijekavische, die Serben in Serbien das Ekavische, in Bosnien und Herzegowina und Kroatien hingegen zum größten Teil das Ijekavische. Daneben gibt es einige seltener vorkommende lautliche Unterschiede im Wortschatz slawischer Herkunft. Des weiteren gibt es Unterschiede bei der Übernahme von Fremdwörtern: falsifikovati vs. falsificirati; okean vs. ocean; hemija - kemija. Grundsätzlich werden Fremdwörter im Kroatischen sparsamer eingesetzt als im Serbischen, während das Bosnische viele Turzismen enthält. Es gibt eine große Anzahl von Regionalismen, deren Verbreitungsgebiet jedoch oft nicht den nationalen Grenzen folgt. Die Unterschiede im Grundwortschatz sind dagegen geringer als etwa zwischen vielen deutschen Dialekten.
Politischer Status
Die Diskussion um den Status des Serbokroatischen ist stark von Ideologie geprägt. Während sich Sprecher der Varietäten Serbisch, Kroatisch und Bosnisch gut verständigen können, lehnen es sie gleichzeitig ab, dass dieses Mittel der Verständigung eine gemeinsame Sprache sein soll.
Es gibt grundsätzlich zwei unterschiedliche Sichtweisen:
1. Sichtweise: Bosnisch, Kroatisch und Serbisch seien keine Einzelsprachen, sondern Sprachvarianten (ähnlich wie österreichisches und deutschländisches Deutsch, oder britisches und amerikanisches Englisch). Die serbische und die kroatische Hochsprache unterscheide sich beispielsweise weniger voneinander als Bairisch und Hochdeutsch. Teilweise (siehe unten: #Dialekte) seien die dialektalen Unterschiede innerhalb Kroatiens größer als die zwischen Kroatien und den anderen beiden serbokroatisch-sprachigen Ländern.
Die Abneigung gegen Serbokroatisch liege vor allem an der historischen Entwicklung im ehemaligen Jugoslawien und der dortigen Ideologisierung des Serbokroatischen. Daher betrachten Politik und die meisten Sprecher die Zugehörigkeit zu einer gemeinsamen Sprache mit den Nachbarn im ehemaligen Jugoslawien in erster Linie als ein Eingeständnis einer Zugehörigkeit zu einer gemeinsamen Kultur, Nation oder Weltanschauung. Aus der gleichen Motivation heraus suchen auch Linguisten aus den betroffenen Ländern nach identitätsstiftenden Besonderheiten ihrer jeweiligen Varietät (siehe #Ideologisierte Linguistik). So habe der Zerfall Jugoslawiens in einzelne Staaten dazu geführt, dass die Regionalvarianten der serbokroatischen Sprache in ihren jeweiligen Sprecherländern in den Status einer eigenen, den Landesnamen tragenden Amtssprache erhoben wurde.
Dennoch mache es für einen Nicht-Muttersprachler keinen Sinn, nacheinander Kroatisch, Serbisch und Bosnisch zu lernen, genauso, wie man keine Dolmetscher und Übersetzer zwischen diesen "Sprachen" braucht.
2. Sichweise: Der Mythos Serbokroatische Sprache: Die „Serbokroatische Sprache“ sei ein politisches Konstrukt, dass nie als Standardsprache existiert haben soll. Die Kroatische und Serbische Sprache seien aufgrund Ihrer historischen Entwicklung und Standardisierung als Einzelsprachen zu betrachten und haben sich lediglich einige Jahrzehnte (zu Zeit Jugoslawiens) überlagert.
Der Tatsache, daß sich die drei Standardsprachen Kroatisch, Bosnisch und Serbisch sich aus dem Neostokavisen entwickelt haben, sei keine allzu große Bedeutung beizumessen:
In der Linguistik gibt es zahlreiche Beispiele für ähnliche, jedoch anerkannte unterschiedliche Standardsprachen wie z. B.
- Hindi und Urdu,
- Bulgarisch]] und *Makedonisch, oder
- Norwegisch]] und Dänisch.
Die Kroatische und Serbische Standardprache unterscheiden sich in den Punkten:
- 1.Alphabet (Lateinisch und Kyrillisch)
- 2.Phonetik (Unterschiedliche Akzentuierung)
- 3.Grammatik (zahlreiche Unterschiede)
- 4.Rechtschreibung (z. B. kroatisch New York, und serbisch Nju Jork)
- 5.Morphologie Zahlreiche Unterschiedlioche Regelungen
- 6.Semantik (Zahlreiche Unterschiede)
7.Wortschatz,näheres siehe Kroatische Sprache.
Nur von eine östlichen und „westlichen Variante“ der selben Sprache zu sprechen, sei in diesem Zusammenhang politisch gewollt.
Mit dem Ende Jugoslawiens kam auch das Ende der „Serbokroatischen“ Sprache.
Ideologisierte Linguistik
Die Meinungen der Linguisten im ehemaligen Jugoslawien über Ursprünge und Verwandtschaftsbeziehungen innerhalb der Sprache gehen je nach Herkunftsland auseinander:
- Die Hauptströmung der serbischen Linguisten betrachtet Serbokroatisch noch immer als eine Sprache mit zwei Varianten. Außerdem ist die Mehrheit der serbischen Linguisten überzeugt, dass das Serbokroatische grundlegend auf der serbischen Sprache basiere. Eine Minderheit ist dagegen der Meinung, dass Serbokroatisch existiert habe, aber mittlerweile in Einzelsprachen zerfallen sei. Eine andere Minderheit vertritt den Standpunkt, dass eine solche Sprache niemals existierte, und dass die Serbokroatische Sprache lediglich die Kroatische Variante des Serbischen sei.
- Kroatische Linguisten sind mehrheitlich davon überzeugt, dass etwas wie eine vereinheitlichte serbokroatische Sprache niemals existiert habe und anstelle dieser zwei Einzelsprachen existierten, die sich im Laufe der Geschichte mehrfach überschnitten. Sie sind außerdem überzeugt, dass keine Auflösung stattgefunden habe, da niemals eine serbokroatische Standardsprache existiert habe. Eine Minderheit kroatischer Linguisten streitet auch ab, dass die kroatische Standardsprache auf dem Neo-Štokavischen Dialekt basiere. Wiederum eine andere Minderheit hält dagegen, dass die serbische Sprache ein Ableger des Kroatischen sei, da sie als dialektales System betrachtet eine Untermenge des Systems kroatischer Dialekte darstelle.
- Die Mehrheit der bosnischen Linguisten betrachtet Serbokroatisch als immer noch existierende Sprache, die auf der Bosnischen Nationalsprache basiere. Eine Minderheit geht sogar soweit zu behaupten, dass Kroaten und Serben sich ihrer Sprache historisch bemächtigt hätten, um sie als Mittel zur Erreichung ihrer politischen und kulturellen Zielsetzungen zu verwenden.