Will Ulrike Meinhof Gnade oder freies Geleit? ist ein Essay von Heinrich Böll, das am 10. Januar 1972 im SPIEGEL veröffentlicht wurde und einen innenpolitischen Skandal auslöste. Im Text wendet Böll sich gegen die Bildzeitung, welche am 23. Dezember 1971 unter der Überschrift "Baader-Meinhof-Bande mordet weiter." über diverse Straftaten berichtete, welche der Rote Armee Fraktion zugeschrieben wurden, ohne dass deren Tatbeteiligung im Einzelfall nachgewiesen wurde. Anlass für den Bild-Artikel war der Banküberfall am 22. Dezember 1971, bei dem der Polizist Herbert Schoner erschossen wurde. Hauptkritikpunkt Bölls war die unseriöse Berichterstattung, welche als Tatsache hinstellte, was seinerzeit noch keineswegs gesicherte Erkenntnis war:
„Wo die Polizeibehörden ermitteln, vermuten, kombinieren, ist Bild schon bedeutend weiter: Bild weiß.“
Böll kritisierte die Bildzeitung mit äußerst scharfen Worten und warf ihr implizit die zwangläufig folgende Eskalation der Gewalt vor. 1974 veröffentlichte Böll zu diesem Thema die Erzählung „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“.
„Das ist nicht mehr kryptofaschistisch, nicht mehr faschistoid, das ist nackter Faschismus. Verhetzung, Lüge, Dreck. Diese Form der Demagogie wäre nicht einmal gerechtfertigt, wenn sich die Vermutungen der Kaiserslauterer Polizei als zutreffend herausstellen sollten. In jeder Erscheinungsform von Rechtsstaat hat jeder Verdächtigte ein Recht, daß, wenn man schon einen bloßen Verdacht publizieren darf, betont wird, daß er nur verdächtigt wird. Die Überschrift »Baader-Meinhof-Gruppe mordet weiter« ist eine Aufforderung zur Lynchjustiz. Millionen, für die Bild die einzige Informationsquelle ist, werden auf diese Weise mit verfälschten Informationen versorgt.“
Nach Erscheinen des Essays wurde bei Böll eine Hausdurchsuchung vorgenommen. In konservativen Kreisen galt er seitdem als „geistiger Sympathisant“ des Terrorismus, was ihn nach eigenem Bekunden sehr kränkte und im Widerspruch zu den folgenden, ebenfalls im Essay gemachtenn Aussagen steht:
„Kein Zweifel - Ulrike Meinhof lebt im Kriegszustand mit dieser Gesellschaft. Jedermann konnte ihre Leitartikel lesen, jedermann kann inzwischen im Rotbuch 26 des Wagenbach Verlages das Manifest lesen, das nach dem Untertauchen der Gruppe geschrieben ist. Es ist inzwischen ein Krieg von 6 gegen 60 ooo ooo. Ein sinnloser Krieg, nicht nur nach meiner Meinung, nicht nur generell, auch im Sinne des publizierten Konzeptes. (...) Ulrike Meinhof und der Rest ihrer Gruppe haben keinerlei Chance, irgend jemand politisch opportun zu erscheinen.“
Obgleich Böll auch vorher schon seine politische Meinung öffentlich äußerte, begann mit dieser Schrift gewissermaßen seine „politische Karriere“ und eine entsprechende Wahrnehmung in der Öffentlichkeit. [1]
Quellen
Literatur
Kepplinger, Hans Mathias, Michael Hachenberg und Werner Frühauf, 1977: Struktur und Funktion eines publizistischen Konflikts. Die Auseinandersetzung um Heinrich Bölls Artikel "Will Ulrike Gnade oder freies Geleit?", Publizistik 22: 14-34
Weblinks
- Originaltext: Will Ulrike Meinhof Gnade oder freies Geleit?