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Rudi Dutschke (* 7. März 1940 in Schönefeld bei Luckenwalde; † 24. Dezember 1979 in Århus, Dänemark), eigentlich Alfred Willi Rudi Dutschke, war Soziologe und der bekannteste Studentenführer während der Studentenbewegung in den 1960er Jahren in Deutschland.
Leben
Jugend
Rudi Dutschke war der vierte Sohn des Ehepaars Dutschke aus Brandenburg. Er wurde 1940 in Schönefeld, nahe Luckenwalde geboren, wo er später aufwuchs. Daran erinnert eine Gedenktafel vor dem Gymnasium. Sein Vater Alfred war Postbeamter und befand sich seit Kriegsbeginn 1939 freiwillig als Soldat an der Ostfront. Rudi erlebte als Kleinkind einige Bombenangriffe in seiner Umgebung mit. Erst mit drei Jahren begegnete er seinem Vater. Dieser war dann bis 1947 russischer Kriegsgefangener.
Rudi wurde, da er nicht das ersehnte Mädchen war, praktisch erzogen und musste als einziger der Jungen auch als typisch weiblich geltende Tätigkeiten wie Waschen, Bügeln und Stopfen lernen. Von der Mutter christlich geprägt, wurde er als Schüler Mitglied der evangelischen "Jungen Gemeinde" und übernahm von dem lutherischen Pfarrer seines Ortes einen religiösen Sozialismus als Konsequenz aus dem 3. Reich.
In seiner Jugend begann er mit der Leichtathletik und wurde ein guter Zehnkämpfer. Aus seiner Sportleidenschaft erwuchs der Wunsch, später Sportreporter zu werden. Dazu übte er vor dem Spiegel das freie Reden und schulte sich selbst zu einem ausgezeichneten Rhetoriker.
Den Aufstand in der DDR am 17. Juni 1953 erlebte Dutschke als Schüler. Er sah russische Panzer in den Straßen und hörte den Westfunk, bekam aber von keinem Erwachsenen Antworten auf seine Fragen. Sehr viel bewusster erlebte er dann bereits den Volksaufstand in Ungarn 1956. Diese Erfahrung lenkte seine Blicke auf die Politik. Hier ergriff er Partei für die Aufständischen und für einen selbstbestimmten, demokratischen Sozialismus in Distanz zu den Großmächten USA und UdSSR. Sein Misstrauen gegen die verordnete Staatsideologie der DDR wuchs. Aber auch die westdeutschen Karrieren ehemaliger Nazis stießen ihn ab. Er begeisterte sich für Kurt Schumacher, den 1952 verstorbenen SPD-Vorsitzenden der Nachkriegszeit und erklärte sich den „Monopolkapitalismus“ als Wurzel des Nationalsozialismus.
Als Leistungssportler war Dutschke Mitglied der "Freien Deutschen Jugend" (FDJ) ohne innere Überzeugung. Die Wehrpflicht gab es damals in der DDR noch nicht, so dass die SED durch frühzeitige ideologische Schulung versuchte, Schulabgänger zum freiwilligen Wehrdienst anzuwerben. 1957 sprach Dutschke sich jedoch bei einer Abiturfeier offen gegen den Kriegsdienst in der Nationalen Volksarmee (NVA), die offizielle Diffamierung des Pazifismus und für freie Westreisen aus. Daraufhin erhielt er bei seinem Abitur 1958 schlechte Zensuren wegen „ungesellschaftlichen Verhaltens“. Obwohl er als erster seiner Familie das Abitur erreichte, konnte er nun nicht mehr Sport studieren. Denn ohne Wehrdienst erhielt man meist keine Zulassung zum Studium.
Um diese doch noch zu erlangen, machte Dutschke nun zunächst eine Berufsausbildung zum Industriekaufmann. Während dieser 18-monatigen Lehre musste er auch in einem Volkseigenen Betrieb (VEB) arbeiten und bekam dort zum ersten und einzigen Mal in seinem Leben direkten Einblick in die Welt der Arbeiter. Dennoch wurde ihm danach der Zugang zur Universität verweigert, da er den Wehrdienst nicht ableisten wollte und weiterhin andere zur Verweigerung des Militärdienstes aufgestachelt habe. Diesen lehnte er zum einen als Christ, zum anderen aus Abscheu gegen die Nazizeit und gegen den Kampf von Deutschen gegen Deutsche ab.
Ab 1960 pendelte Dutschke zwischen Luckenwalde und Berlin (West), um dort ein West-Abitur nachzuholen und so den Zugang zur Freien Universität zu erhalten. Er bezog ein Zimmer in Schlachtensee und arbeitete als Sportreporter bei der "Berliner Zeitung" für seinen Lebensunterhalt. Aus dieser Zeit sind zwei Schulaufsätze erhalten, die sich mit den Themen "Dämonie der Macht" und "Freiheit und Ordnung" befassten. Hier wurden bereits einige Grundgedanken sichtbar, die Dutschke später marxistisch begründete und politisch handelnd durchhielt:
- die Gefahr des Machtmissbrauchs durch die politische Elite
- die Notwendigkeit einer breiten Erziehung zum Guten, Humanen
- die Verzerrung der Freiheit und Ordnung durch die Spaltung in unfreie Ordnung (Ost) und ungeordnete Freiheit (West), die den Einzelnen in hilflose Gewissensnot stürzt
- radikale Demokratisierung der Gesellschaft als Neubeginn, der die verpestete deutsche Geschichte zum Streitthema macht.
"Diese Bewegung gab den Deutschen eine neue Vergangenheit, die nicht mehr aus den faschistischen Wurzeln erwuchs. Das war die Revolution, die Rudi führen wollte." (Gretchen Dutschke-Klotz)
Im Sommer 1961 machte Dutschke sein zweites Abitur. Nach einem letzten Urlaub bei seiner Familie in Luckenwalde reiste er vorsorglich früher als geplant am 10. August wieder nach Westberlin - gerade noch rechtzeitig, um nicht vom Mauerbau am 13. August überrumpelt und vom Studium ausgesperrt zu werden.
Studienzeit
Am Tag des Mauerbaus meldete sich Dutschke als DDR-Flüchtling bei der Westberliner Polizei und wurde sofort von US-Amerikanern verhört. Eine Woche später zog er mit Flugblättern der UNO zum "antifaschistischen Schutzwall" und versuchte, die provisorischen Betonplatten mit Stricken einzureißen. Vor Semesterbeginn reiste er allein nach Norwegen, um sich von der Trennung von seiner Familie und den Protestwochen danach zu erholen und auf die ungewisse Studienzeit einzustimmen. In sein Tagebuch schrieb er über die "Jasager" des Mauer-"Unrechts": "Solange nicht ausdrücklich Nein gesagt wird, wird bejaht - innere Emigration gibt es nicht - und ich verstand diese Mitwandler, die konform gehen müssen, um überhaupt das nackte Leben retten zu können."
Im Oktober schrieb er sich an der Freien Universität Berlin (FU) für Soziologie ein, um Erklärungen für das Zeitgeschehen zu suchen. Den Journalismus sah er nun als "bodenlos" an. Doch er trieb weiter Sport parallel zum Studium. Nach einem Ringkampf schwollen seine Ohren an und er musste ins Krankenhaus. Er behielt zeitlebens die für Ringer typisch verformten Ohren und nahm es klaglos hin. Damit gab er seine Sportkarriere endgültig auf.
In diesen Jahren begann in vielen westlichen Großstädten eine Abkehr der Jugend von den Werten der Elterngeneration: Man begann aufzubegehren gegen die Konsumbesessenheit, kleinbürgerliche Begrenztheit und Fixierung auf Wirtschaftswachstum, in Deutschland vor allem auch gegen das große Schweigen über die Nazizeit. Dieser Protest äußerte sich zunächst kaum politisch, sondern als Begeisterung für Existentialismus, Beatmusik, Buddhismus und anfängliche sexuelle Befreiung.
Ein Freund, Hubertus Freiesleben, führte Dutschke 1962 in einen existentialistischen Debattier- und Lesezirkel ein. Dort las man Jean-Paul Sartre und Martin Heideggers "Sein und Zeit". Dutschke identifizierte sich kurze Zeit mit dem individualistischen Begriff der Entfremdung und des "Hineingeworfenseins", begeisterte sich aber schon bald viel mehr für Georg Lukács, einen ungarischen marxistischen Philosophen. Dort fand er keine mystische, sondern eine konkrete gesellschaftliche Erklärung für seine Entfremdung und die Hoffnung, diese durch aktives Handeln überwinden zu können. Er lernte durch einen weiteren Freund, Thomas Ehleiter, die Frühschriften von Karl Marx kennen und entdeckte außerdem die marxistische Vergangenheit einiger seiner Professoren. So erlebte er, wie hart etwa Richard Löwenthal einem RCDS-Studenten widersprach, der Totalitarismus und Sozialismus gleichsetzen wollte.
Obwohl die Existentialisten sich damals als "modern", die Marxisten als "überholt" sahen, bewahrte sich Dutschke seine geistige Unabhängigkeit und fand Wahres in beiden Geistesrichtungen. Er folgte Marx in dessen Wertlehre und Entfremdungsbegriff und sah seine ökonomische Analyse als zutreffend für viele Länder Südeuropas, Lateinamerikas und Asiens an. Doch für Mitteleuropa glaubte er, dass bei den Arbeitern längst kein "Klassenbewusstsein" mehr vorauszusetzen oder zu wecken sei, da sie durch verbesserte Lebensbedingungen "verbürgerlicht" seien. Es gehe ihnen nicht mehr um die Produktionsverhältnisse, sondern nur noch Verteilungskämpfe um das Bruttosozialprodukt und den Lebensstandard. "Eine Änderung der Besitzverhältnisse ist nicht gleichbedeutend mit Aufhebung der Entfremdung."
Anfang 1963 verliebte sich Dutschke erstmals - unglücklich. Er überwand seinen Schmerz durch verstärktes Studium. Bald lernte er den lutherischen Christen und humanen Sozialisten Helmut Gollwitzer ("Golli") kennen. Mit diesem verband ihn fortan eine enge, lebenslange Freundschaft. Dutschke verleugnete nie die christlichen Wurzeln seines Sozialismus und schrieb Ostern damals in sein Tagebuch: "Jesus ist auferstanden...die entscheidende Revolution der Weltgeschichte ist geschehen, die Revolution der Welt durch die allesüberwindende Liebe. Nähmen die Menschen voll die offenbarte Liebe im Für-sich-Sein an, die Wirklichkeit des Jetzt, die Logik des Wahnsinns könnte nicht mehr weiterbestehen."
Auch in dem marxistischen Philosophen des "Atheismus im Christentum" und des "Prinzips Hoffnung", Ernst Bloch, fand Dutschke einen Geistesverwandten, dem er verbunden blieb. Gegen den Vulgärmarxismus im Gefolge von Friedrich Engels hielt er immer an der Freiheit des Individuums im Geschichtsprozess fest.
Über seine Mitstudenten Bernd Rabehl und Herbert Nagel lernte Dutschke Dieter Kunzelmann, Gründer der Aktionsgruppe "Subversive Aktion München" kennen. Man traf sich 1964 und gründete eine Berliner "Mikrozelle" dieser Gruppe, die nächtelang diskutierte, dass man handeln, nicht diskutieren wolle. Ein erstes satirisches Flugblatt richtete sich gegen eine Burschenschaft, die an der FU zugelassen werden wollte. Soeben hatte der damalige AStA-Vorsitzende und spätere Regierende Bürgermeister Berlins, Eberhard Diepgen, sein AStA-Amt verloren, weil bekannt wurde, dass er einer schlagenden Verbindung angehörte, die an der FU verboten war. Ein weiteres Plakat verwendete die Hausadresse Theodor W. Adornos als Anschrift für Protestbriefe. Damit handelte man sich eine Anzeige ein und stand vor der Selbstauflösung.
Doch Dutschke studierte zusammen mit Rabehl, der auch aus der DDR gekommen war, intensiv die Geschichte der Arbeiterbewegung, aber auch die "Frankfurter Schule" und konnte bald mit Kunzelmann auf Augenhöhe debattieren. Er erkannte früh, dass es diesem eher um spontaneistische Kultur- als um dialektische Gesellschaftskritik ging. Er glaubte, dass Spontaneismus sich totlaufe und der "Widerstand" organisiert werden müsse. Den linken Professoren der "Kritischen Theorie" wiederum warf er die fortgesetzte Trennung von Theorie und Praxis vor, die es gerade zu überwinden gelte. In seiner ersten eigenen Zeitung, dem "Anschlag", schrieb er bereits über die "Rolle der antikapitalistischen, wenn auch nicht sozialistischen Sowjetunion" und "Revolutionen in der Dritten Welt" als Ausgangsbasis für eine Revolution in Deutschland. Diese Ideen wurden sehr rasch Leitmotive der aufkommenden Studentenbewegung. Nun wurde Dutschkes "Anschlag" erstmals im etablierten Sozialistischen Deutschen Studentenbund wahrgenommen und diskutiert. Noch misstraute man hier aber dem rebellischen Aktionismus seiner Gruppe.
Im Sommer 1964 lernte Dutschke auch seine spätere Frau, die US-Amerikanerin Gretchen Dutschke-Klotz, Theologiestudentin aus Chicago kennen. Nach ihrer ersten Begegnung schrieb sie ihm Briefe mit Fragen, die ihn auf das von ihm verdrängte Verhältnis von Christentum und weltanschaulichem Kommunismus ansprachen: "Wie ist es möglich, als Christ Kommunist zu sein?...Der Kommunist sagt, dass die Gesellschaft immer besser wird. Er glaubt, dass es keine Sünde gibt. Aber als Christ kann man das nicht akzeptieren..." Sie konfrontierte Dutschke erstmals mit der "Dialektischen Theologie" eines Karl Barth und Paul Tillich. Nun las er deren vergessene Schriften aus den frühen 20er Jahren und fand sich darin wieder.
Kurz darauf machte sie ihm ein Partnerschaftsangebot. Sie verstand, dass sie nur mit ihm kämpfen, nicht ihn von der Revolution abhalten konnte, und wollte zu ihm nach Deutschland kommen, ohne ihn einzuengen. Dutschke antwortete zunächst nicht, da die Tagesgeschehnisse ihn davon abhielten. Es dauerte bis März 1965, bis er das Angebot vorsichtig annahm. Sofort reiste Gretchen nach Westberlin und zog bei ihm ein.
Der Sozialistische Deutsche Studentenbund
Der SDS war 1961 aus der SPD ausgeschlossen worden, nachdem er die Anerkennung der DDR gefordert und die geplante Atombewaffnung der Bundeswehr gemeinsam mit Kommunisten kritisiert hatte. Er blieb als Hochschulgruppe neben dem neuen SHB bestehen und lavierte zwischen SED- und SPD-Nähe.
Im Oktober 1964 verlor der Sowjetführer Nikita Chruschtschow alle Ämter: Er hatte sich in der Kubakrise und bei der missglückten Einigung mit China blamiert. Dennoch stand er für eine "weichere" Linie der UdSSR, für Entstalinisierung und friedliche Koexistenz. Nun entstand ein gewisses „Machtvakuum“ zwischen den Blöcken, das 3.-Welt-Ländern Freiräume zu eröffnen schien. Im nächsten Jahrzehnt folgten soziale und nationale Befreiungskämpfe in Asien, Afrika, Lateinamerika.
Im Dezember 1964 organisierte Dutschke die erste gemeinsame Demonstration der Subversiven Aktion mit Afrikanern und dem SDS gegen einen 3.-Welt-Diktator: Moise Tschombe, Führer des Kongo, war als Mörder des gewählten Präsidenten Lumumba und Helfer des Westens beim Ausbeuten der Rohstoffe seines Landes bekannt. Dutschke änderte während der Demonstration überraschend die polizeilich vorgegebene Route, so dass die Protestler den Staatsbesuch im Schöneberger Rathaus bei Bürgermeister Willy Brandt empfindlich stören konnten. Die etwa 400 Teilnehmer warfen Tomaten auf den hohen Besucher. Die Medienreaktion gab das fortan stereotype Muster mit tatsachenwidrigen Fotos und Schlagzeilen vor, die etwa lauteten: "Studenten schlagen Polizei in die Flucht", "Krawalle von FDJ-Provokateur gesteuert". Dutschke sah hier später den Keim der "Kulturrevolution" von 1968, in der "Aktion Selbstaufklärung über deren Ziel wird".
Im Januar 1965 überführte er die Berliner Subversiven in den SDS, den damals nur etwa 50 aktive Mitglieder trugen. Trotz großer Skepsis gegen die "Anarchisten" nahm man seine Gruppe auf. Spannungen blieben an der Tagesordnung. Aber durch sein gruppenförderndes Verhalten und seine Beschlagenheit in linker Theorie gewann Dutschke rasch Sympathien und wurde bereits nach einem Monat in den Berliner SDS-Beirat gewählt.
Im März reiste er als einer von 5 Vertretern des SDS nach Moskau, um dort Vertreter des sowjetischen Jugendverbandes "Komsomol" zu treffen. Dort stellte Dutschke den Funktionären unangenehme Fragen, etwa nach dem Kronstädter Aufstand von 1921: "Wer bestimmt denn diese historische Notwendigkeit...Matrosen, die für die Sowjets (unabhängige Selbstverwaltungsorgane der Arbeiter) eintraten, zu liquidieren?" Er erfuhr, dass Zensur jede kritische Selbstreflexion erstickte und die Entstalinisierung nur oberflächlich war.
Während dieses Besuchs schloss die Restgruppe der Subversiven ihn aus, obwohl er mit einem Positionspapier versucht hatte, Brücken zwischen Individualisten und Marxisten zu bauen. Dafür wurde er im SDS nun schon ohne sein Werben zum Bundesvorsitzenden vorgeschlagen. Er lehnte ab, ließ sich aber in den Beirat wählen, um die internen SDS-Strukturen besser kennenzulernen.
Er studierte nun intensiv auch Karl Korsch, Max Horkheimer und vor allem Herbert Marcuse, dessen Schriften sowohl in Moskau als auch im SDS bis dahin verpönt waren. Er stimmte dessen Analysen des blockübergreifenden "eindimensionalen Menschen" und der "repressiven Toleranz" zu: einer Scheinfreiheit, die das gesellschaftliche Bewusstsein sowohl im Osten wie im Westen völlig "deformiert". Aber er wollte daraus keine bloße "totale Verweigerung" folgern, sondern suchte weiterhin nach Chancen für eine humane, bessere Alternative.
Als Marxist sah Dutschke die Faktoren Kapital, Lohnarbeit und Privateigentum an Produktionsmitteln als bestimmende Merkmale des Kapitalismus an, aus denen nur Unterdrückung und Ausbeutung folgen können. Doch er hob nun immer genauer die Differenzpunkte zu Stalinisten und Reformisten hervor und scheute sich nicht, die Heroen der 2. und 3. Internationale zu kritisieren: Rosa Luxemburg habe viel zu lange an der SPD als Einheitspartei der Arbeiterklasse festgehalten. Leo Trotzki wiederum habe die Permanente Revolution zu einseitig auf das Militärische reduziert und so Stalin in die Hände gearbeitet. Es habe seit 1945 keine tiefen ökonomischen Krisen in Europa mehr gegeben. Die Erwartung, dass erst Krieg und Massenelend eine erfolgreiche Revolution vorbereiten könnten, sei verfehlt und Ausdruck eines falschen Menschenbildes. Eine neue Kritik der politischen Ökonomie sei nötig, um die heutigen Bedingungen für eine erfolgversprechende Revolution der Produktionsverhältnisse realistisch einschätzen zu können.
Für die Bundesrepublik sah er keine kurzfristige Revolutionsmöglichkeit, sondern einen jahrzehntelangen Kampf für ein neues soziales Bewusstsein, das den fundamentalen Widerspruch zwischen gesamtgesellschaftlichen Bedürfnissen und ihrer entfremdeten Befriedigung aufdeckt und den verlogenen "Schein" durchbricht. Dazu setzte er viel Hoffnung auf die Zusammenarbeit mit Revolutionären aus der 3. Welt, besonders nachdem er Frantz Fanons "Die Verdammten dieser Erde" gelesen hatte. Dort seien die Bedingungen für eine Revolution eher vorhanden: Diesen "marxistischen Standpunkt" fand Dutschke damals eher bei den Chinesen als bei den Sowjets.
Aber Umsturzversuche könnten wenig ausrichten, solange die Industrieländer Mitteleuropas und der USA so starr ihre Ordnung aufrecht erhielten. Vorrang müsse hier die Konfrontation der Linken mit der Staatsmacht haben, um der Bevölkerung die Augen zu öffnen, nicht der Aufbau einer neuen Einheitspartei links von der SPD. Das Parteikonzept Lenins sei nur bedingt auf die Verhältnisse in der 3. Welt übertragbar - Dutschke hielt die Kubanische Revolution nicht für exportierbar - , aber auch in Mitteleuropa müssten andere Wege als die der traditionellen marxistischen Parteiorganisation gesucht werden.
Nicht zuletzt durch den Austausch mit seiner Partnerin Gretchen Klotz vertrat Dutschke nie einen platten Anti-Amerikanismus. Er versuchte eine Zeit lang, Kontakte zur "Black-Power" und "Black-Panther"-Bewegung zu knüpfen. Bevor dies gelang, wurde deren Anführer Malcolm X ermordet. Doch Dutschke gewann stetig ein immer klareres, eigenes Profil im SDS und darüberhinaus. Er fand Freunde auch in der SPD, etwa Harry Ristock, Eike Hemmer, Peter Brandt, und lebenslange Mitstreiter wie Jürgen Treulieb und Klaus Meschkat.
Heirat, Beziehungskonflikte und die Kommune I
Am 23. März 1966 heirateten Rudi Dutschke und Gretchen Klotz. Seine Eltern hatten Vorbehalte gegen eine Ausländerin und offene Partnerschaft gehabt, während seine politischen Freunde die Ehe als "kleinbürgerlich" ablehnten. Frauen sollten kein "Privateigentum" sein, wurden aber faktisch von vielen linken Männern wie Konkubinen gehalten und nicht als politische Wesen Ernst genommen. Gretchen erfuhr Ablehnung, als sie das politische Umfeld ihres Mannes kennenlernen wollte. Er selbst hatte hohe Ansprüche an eine feste Bindung. Um die Ungewissheit und räumliche Trennung zu beenden - sie studierte damals in Hamburg - zogen sie nach der Hochzeit in Berlin zusammen.
Anstelle einer Hochzeitsreise besuchten sie Georg Lukács in Budapest. Sie erlebten einen resignierten Kommunisten, der sich von seinem früheren Freund Ernst Bloch distanzierte und die Linie der Kommunistischen Internationale von 1935 vertrat. Diese propagierte eine "Volksfront" gegen den Faschismus, die Stalins Pakt mit Hitler 1939 dann zerstörte.
Um den abstoßenden, von Männern dominierten Debatten im SDS etwas entgegen zu setzen, veranlasste Gretchen Dutschke regelmäßige Treffen von Frauen und interessierten Männern, die Kommune-Erfahrungen sammeln wollten. Sie planten ein Gemeinschaftshaus, das Leben, Arbeiten und Kinder aufziehen für alle Bewohner ermöglichen sollte.
Mit Dieter Kunzelmanns Umzug nach Berlin veränderte sich die Idee: Er sah die Kommune als "Mittel, unsere Neurosen und Reduktionen zu überwinden." Sexuelle Freiheit, Bindungslosigkeit und Selbsttherapie sollten nun im Vordergrund stehen. Daran war das Ehepaar Dutschke weniger interessiert. So wurde nichts aus dem gemeinsamen Wohnprojekt. Nach zwei Jahren ergebnislosen Diskutierens gründete Kunzelmann u.a. mit Rainer Langhans und Fritz Teufel die "Kommune I".
Ansätze zur Hochschulreform
...Dutschke scheute er den persönlichen Kontakt mit Gegnern nie. Er organisierte Sit-Ins an der FU, Demonstrationen und Plakataktionen, redete an öffentlichen Plätzen oder auf Veranstaltungen.
Im gleichen Maße, wie seine Popularität wuchs, wuchs auch die Anzahl seiner Kritiker, auch aus den eigenen Reihen.
Gegen den Vietnamkrieg und für Demokratisierung der Hochschulen (1966)
Seit August 1964 bombardierten die USA Nordvietnam. Kanzler Ludwig Erhard erwog Militärhilfe, während Frankreich, das den Vietnamkrieg eingeleitet hatte, diese nun verweigerte. Die Medien, allen voran die Springerpresse, stellten den Krieg als Kampf für die Freiheit Westberlins dar. Zugleich erfuhren politisch interessierte Studenten, dass Hochschulen und Professoren sich weigerten, dieses Thema zu behandeln. Darum beschloss der SDS 1965, die Studenten eigenständig über den Zusammenhang deutscher Regierungspolitik mit der US-Politik, deutscher Bildungspolitik und Desinformation seitens der Medien aufzuklären. Diese Thematik wurde zum Brennpunkt für die aufkommende Studentenbewegung.
Im Januar 1966 wurden die US-Bombardements ausgesetzt. Gegen ihre Wiederaufnahme plakatierten die Subversiven bundesweit einen Text von Dutschke:
- „Erhard (Kanzler) und die Bonner Parteien unterstützen MORD. Mord durch Napalmbomben, Mord durch Giftgas. Mord durch Atombomben? ...Wer es wagt, sich aufzulehnen gegen Ausbeutung und Unterdrückung, wird von den Herrschenden mit Brutalität niedergemacht. Kuba, Kongo, Vietnam - die Antwort der Kapitalisten ist Krieg. ...Wie lange noch lassen wir es zu, dass in unserem Namen gemordet wird? AMIS RAUSS VIETNAM! Internationale Befreiungsfront.”
Die Plakate wurden sofort abgerissen, fanden aber ein Presseecho und lösten eine Reihe von Demonstrationen aus. In Westberlin kam es zu ersten Sitzstreiks, Eierwürfen, Einkesselung und Prügelorgien seitens der Polizei.
Dutschke verteidigte die gewaltlose Regelverletzung als notwendige Reaktion auf die „formierte Gesellschaft“, die Kritik durch sozialpsychologische Mechanismen unterdrücke. Opposition müsse daher provozieren, um wahrgenommen zu werden. Diese Linie setzte sich nun allmählich im SDS durch. Der Senat der Berliner FU trug dazu bei, indem er Vietnam-Vorträge in seinen Räumen untersagte, dem AStA Aufrufe zu Demonstrationen verbot und inhaftierte Demonstranten vom Studium ausschließen wollte. Als Dutschke dies anprangerte, kündigte Universitätsrektor Hans-Joachim Lieber, der zugleich sein Doktorvater war, im März seinen Assistentvertrag. Dutschke musste eine akademische Karriere vorerst aufgeben.
Im Mai organisierte der SDS den ersten bundesweiten Vietnamkongress in Frankfurt/Main. Er vereinte Soziologen, Politologen und Historiker der „neuen Linken“ – etwa Herbert Marcuse, Jürgen Habermas, Oskar Negt - mit denen der „alten“, dem Leninismus zuneigenden Linken – z.B. Wolfgang Abendroth, Frank Deppe, Kurt Steinhaus. Sie stellten den Zusammenhang des Krieges mit Wirtschaftsbeziehungen zu den USA und Südvietnam, bundesdeutscher Aufrüstung, Notstandsgesetzen und Entdemokratisierung an den Hochschulen her. Dies wurden die Hauptthemen der folgenden Jahre. Zum Abschluss fand die bisher größte Demonstration gegen den Vietnamkrieg in der Bundesrepublik statt, nachdem bereits im April 100.000 New Yorker gegen die US-Bombardements auf die Straße gegangen waren.
Im Juni wollte der FU-Senat das „Berliner Modell“ studentischer Mitbestimmung einschränken, die Regelstudienzeit begrenzen und jedes politische AStA-Mandat untersagen. Es kam zu einem „sit-in“ vor dem Senatsgebäude, das zu einem offenen „teach-in“ wurde. Im Ergebnis verlangten 3000 FU-Studenten eine umfassende Demokratisierung der bundesdeutschen Hochschulen über das Berliner Modell hinaus. Dutschke sah hier den Kern eines „antiautoritären Lagers“, das auch der Entdemokratisierung der Gesellschaft entgegentreten könne: "Wir sind dabei, unsere akademische Würde zu verlieren und das Niveau der Geschichte zu gewinnen, das Niveau von Madrid, Barcelona, Berkeley und Caracas." Dort fanden damals ebenfalls massenhafte Studentenproteste gegen den Vietnamkrieg, für Bildungs- und Gesellschaftsreformen statt.
Im November bildeten CDU und SPD unter Kiesinger und Brandt eine große Koalition. Die Notstandsgesetze bedrohten die außerparlamentarische Opposition mit Kriminalisierung. Dutschke unterstützte Überlegungen zu einer neuen Parteigründung, die auch von SPD-Linken angestellt wurden. Ihm war eine dauerhafte, schlagkräftige und nicht nur akademische Organisation wichtig. Doch es blieb bei der APO, die nun immer stärker wurde.
Im Dezember fragte Dutschke den südvietnamesischen Botschafter bei einer Podiumsdiskussion: „Wissen Exzellenz, dass nach Angaben amerikanischer Geheimdienste 80 Prozent der südvietnamesischen Landbevölkerung die Befreiungsfront (Nordvietnams) unterstützen?“ Als dieser die Vietcong weiter nur „Terroristen“ und „Mörder“ nannte, kam es zu Tumulten. Daraufhin wollte der FU-Senat dem SDS die Förderungswürdigkeit und damit Finanzmittel entziehen.
Die Bevölkerungsmehrheit lehnte die engagierten Studenten gemäß den Parolen der "Bild"-Zeitung als "Radaubrüder" und DDR-Sympathisanten ab. Mit Spaß-Demonstrationen im Weihnachtsrummel versuchte der SDS dies aufzulockern: "Wir spazieren für die Polizei!" Daraufhin griffen Kriminalbeamte in Zivil die "Rädelsführer", darunter Dutschke, aus der Menge heraus und inhaftierten sie tagelang. Ein geplantes "Puddingattentat" der Kommune I auf den Autokonvoi des US-Vizepräsidenten Hubert Humphrey wurde so vereitelt. Die Presse machte daraus einen Bombenanschlag. Die FU erpresste den AStA, er müsse sich davon distanzieren und die Subversiven ausschließen, um weiter Gelder zu erhalten. Bei einer erzwungenen Urabstimmung stellte sich die Studentenmehrheit jedoch hinter AStA und SDS. Dennoch blieb der Rektor bei seiner Haltung. Durch solche Erfahrungen wuchs der studentische Protest weiter an.
Zuspitzung (1967-68)
...Mehr und mehr wurde Dutschke zu einem anerkannten Sprecher der Studenten. 1965 wurde er in den Beirat des West-Berliner SDS gewählt und kam als Delegierter auch zu Bundesversammlungen. Dort erkannte er schnell, dass er sich nicht in der tradierten Verbandsarbeit aufreiben wollte. Jedoch scheute er den persönlichen Kontakt mit Gegnern nie. Er organisierte Sit-Ins an der FU, Demonstrationen und Plakataktionen, redete an öffentlichen Plätzen oder auf Veranstaltungen und agierte gegen vieles, was die Studenten ablehnten und für das, was sie forderten:
* Gegen Amerika und den Vietnam-Krieg * Gegen die deutsche Politik, kurz vor der großen Koalition und den Notstandsgesetzen * Gegen die Presse, vor allem den Springer Verlag * Gegen die Universitätsverwaltung
* Für die APO, die außerparlamentarische Opposition während der großen Koalition * Für die Drittelsparität in den universitären Hochschulgremien * Für das Recht der freien politischen Betätigung der Studenten
Im gleichen Maße, wie seine Popularität wuchs, wuchs auch die Anzahl seiner Kritiker, auch aus den eigenen Reihen.
1966 heiratete er Gretchen Klotz. Damit hatte er sich ebenfalls Kritiker geschaffen, die der Meinung waren, ein Revolutionär wäre mit eben der Revolution verheiratet, oder er wähle durch die Heirat die Tradition der Eltern. Seine Frau wollte am politischen Umfeld ihres Mannes teilnehmen. Doch viele Freunde um Rudi nahmen Frauen als politische Wesen nicht Ernst.
Auf Initiative seiner Frau nahmen Dutschke und sie die Idee einer Kommunengemeinschaft auf, um das Leben nach der Revolution zu proben. Dazu trafen sie sich mit Anderen, um darüber zu diskutieren. Ergebnis war die Kommune 1 ohne die Dutschkes, die kein Interesse an Psycho- und Sexual-Spielchen hatten, wie die Kommune 1 es vor allem propagierte. 1967 wurde ein noch turbulenteres Jahr als zuvor. Die Springer-Kampagne begann, der Besuch des Schahs von Persien, Reza Pahlevi, stand bevor und eine Menge Vorträge musste gehalten werden. Zudem bekam Gretchen Klotz ihr erstes Kind. Der Schah-Besuch endete in einer Tragödie: Der Student Benno Ohnesorg wurde von einem Polizisten getötet.
Obwohl Rudi Dutschke an diesem Abend (2. Juni) gar nicht in Berlin war, sondern in Hamburg, der nächsten Station des Schahs, um sich dort für Aktionen gegen diesen stark zu machen, wurde er in den folgenden Tagen vor allem von der Springerpresse als Anstoß allen Übels gesehen. Der Tod Ohnesorgs sollte kurz darauf landesweite Demonstrationen entfachen. Die Ereignisse nach Ohnesorgs Tod können als ein Beginn der Radikalisierung der Bewegung gesehen werden, denn die Rufe nach Aktionen, auch unter Anwendung von Gewalt, wurden immer lauter. Und auch Dutschke wurde, durch Anwendung des Begriffes "Kampfmaßnahmen", eben in die Ecke der Gewaltbereiten gestellt. [bearbeiten]
Attentat und danach
Am 11. April 1968 gab Josef Bachmann drei Schüsse auf Dutschke ab, mit dem Vorsatz diesen zu töten. Massivste Unruhen waren die Folge, vor allem gegen Springer und seine Bild-Zeitung. Es wurde nie bewiesen, ob Bachmann, der angeblich eine Bild-Zeitung mit der Schlagzeile "Stoppt Rudi Dutschke!" bei sich hatte, durch diese zu dem Attentat aufgehetzt wurde, wie es die meisten der Studentenbewegung glaubten.
Dutschke überlebt das Attentat nur knapp mit schwersten Gehirnverletzungen und musste mühsam vieles wieder erlernen, zu allererst das Sprechen selbst. Zur Genesung verweilte er ab 1969 in der Schweiz, in Italien und in Großbritannien. Viele Freunde halfen den Dutschkes und kamen für die Kosten auf, unter ihnen auch Heinrich Albertz, ehemaliger Bürgermeister von Berlin und Ernst Bloch, zu dem er mit der Zeit einen intensiven persönlichen Kontakt aufgebaut hatte. In England ließ er sich dann auch nieder, wurde aber während eines Irland-Urlaubes vorübergehend ausgewiesen. Er konnte jedoch zurückkehren und begann mit der Fortsetzung seines Studiums in Cambridge. In diesem Jahr wurde sein zweites Kind geboren. Ende 1970 jedoch wurde er, wegen angeblicher subversiver Tätigkeiten, endgültig ausgewiesen. Daraufhin reisten die Dutschkes nach Dänemark, wo sie zunächst bei Freunden unterkamen. Rudi Dutschke erhielt in diesem Jahr eine Anstellung als Dozent an der Universität Århus.
Mehr und mehr wurde Dutschke zu einem anerkannten Sprecher der Studenten. Er erkannte schnell, dass er sich nicht in der tradierten Verbandsarbeit aufreiben wollte. Jedoch scheute er den persönlichen Kontakt mit Gegnern nie. Er organisierte Sit-Ins an der FU, Demonstrationen und Plakataktionen, redete an öffentlichen Plätzen oder auf Veranstaltungen und agierte gegen vieles, was die Studenten ablehnten und für das, was sie forderten:
* Gegen Amerika und den Vietnam-Krieg * Gegen die deutsche Politik, kurz vor der großen Koalition und den Notstandsgesetzen * Gegen die Presse, vor allem den Springer-Verlag * Gegen die Universitätsverwaltung
* Für die APO, die außerparlamentarische Opposition, während der großen Koalition * Für die Drittelsparität in den universitären Hochschulgremien * Für das Recht der freien politischen Betätigung der Studenten
Im gleichen Maße, wie seine Popularität wuchs, wuchs auch die Anzahl seiner Kritiker, auch aus den eigenen Reihen.
Auseinandersetzungen mit Axel Springer
1967 wurde ein noch turbulenteres Jahr als zuvor. Die Springer-Kampagne begann, der Besuch des Schahs von Persien, Reza Pahlevi, stand bevor und eine Menge Vorträge musste gehalten werden. Zudem bekam Gretchen Klotz ihr erstes Kind. Der Schah-Besuch endete in einer Tragödie: Der Student Benno Ohnesorg wurde von einem Polizisten getötet.
Obwohl Rudi Dutschke an diesem Abend (2. Juni) gar nicht in Berlin war, sondern in Hamburg, der nächsten Station des Schahs, um sich dort für Aktionen gegen diesen stark zu machen, wurde er in den folgenden Tagen vor allem von der Springerpresse als Anstoß allen Übels gesehen. Der Tod Ohnesorgs sollte kurz darauf landesweite Demonstrationen entfachen. Die Ereignisse nach Ohnesorgs Tod können als ein Beginn der Radikalisierung der Bewegung gesehen werden, denn die Rufe nach Aktionen, auch unter Anwendung von Gewalt, wurden immer lauter. Und auch Dutschke wurde, durch Anwendung des Begriffes "Kampfmaßnahmen", eben in die Ecke der Gewaltbereiten gestellt.
Attentat und danach
Am 11. April 1968 will Dutschke in einer Apotheke nahe dem SDS-Haus am Kurfürstendamm in Berlin Nasentropfen für seinen 12 Wochen alten Sohn Hosea-Ché holen. Dabei wird er von Josef Bachmann angeschossen und lebensgefährlich verletzt. Insgesamt gibt Bachmann drei Schüsse auf Dutschke ab. Bachmann war mit dem Tatvorsatz nach Berlin gereist.
Die Hintergründe der Tat werden nie ganz geklärt, jedoch legen Äußerungen in der Gerichtsverhandlung eine Beeinflussung durch die Kampagne der Springer-Presse gegen Dutschke nahe. Auch werden Bachmann rechtsextreme Tendenzen nachgesagt. Zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt begeht Bachmann während der Haft Selbstmord. Heute erinnert eine Gedenktafel am Tatort vor dem Haus Kurfürstendamm 141 an das Attentat auf Dutschke.
Massivste Unruhen waren die Folge, vor allem gegen Springer und seine Bild-Zeitung. Die meisten der Studentenbewegung glaubten, dass Bachmann, der angeblich eine Bild-Zeitung mit der Schlagzeile "Stoppt Rudi Dutschke!" bei sich hatte, durch diese zu dem Attentat aufgehetzt wurde.
Dutschke überlebte das Attentat nur knapp mit schwersten Gehirnverletzungen und musste mühsam vieles wieder erlernen, zu allererst das Sprechen selbst. Zur Genesung verweilt er ab 1969 in der Schweiz, in Italien und in Großbritannien. Viele Freunde halfen den Dutschkes und kamen für die Kosten auf, unter ihnen auch Heinrich Albertz, ehemaliger Bürgermeister von Berlin und Ernst Bloch, zu dem er mit der Zeit einen intensiven persönlichen Kontakt aufgebaut hatte. In England ließ er sich dann auch nieder, wurde aber während eines Irland-Urlaubes vorübergehend ausgewiesen. Er konnte jedoch zurückkehren und begann mit der Fortsetzung seines Studiums in Cambridge. In diesem Jahr wurde sein zweites Kind geboren. Ende 1970 jedoch wurde er, wegen angeblicher subversiver Tätigkeiten, endgültig ausgewiesen. Daraufhin reisten die Dutschkes nach Dänemark, wo sie zunächst bei Freunden unterkamen. Rudi Dutschke erhielt in diesem Jahr eine Anstellung als Dozent an der Universität Århus.
1973 hielt Dutschke seine erste öffentliche Rede nach dem Attentat auf einer Anti-Vietnam-Demonstration in Bonn. 1974 veröffentlichte er seine Dissertation über Lukács. Darin beschrieb er auch ausführlich seine Vision des Weges Deutschlands zu einem freien, also nicht von Ost-Berlin, Moskau oder Peking bevormundeten Sozialismus. Des Weiteren distanzierte er sich deutlich von den Taten der RAF, die sich aus dem Umfeld der Studentenbewegung herauskristallisiert hatte und von deren erster Generation Dutschke viele kannte.
1975 war Dutschke Projektmitarbeiter einer Forschungsgruppe und reiste zum ersten Mal offiziell in die DDR, wo er in Kontakt zu Wolf Biermann und Robert Havemann trat. Im Jahr darauf verstärkte er seine Bereitschaft zu Vorträgen und hielt solche zu Themen der Menschenrechte, zum Berufsverbot und zu Osteuropa in Norwegen, Italien und Deutschland. Es folgten Fernsehauftritte und sein politisches Engagement wurde wieder geweckt. Ab 1977 war er freier Mitarbeiter verschiedener linker Zeitungen und hatte eine Gastprofessur in Groningen/Niederlande. Er beteiligte sich auch aktiv in der Anti-Atomkraft-Bewegung, so zum Beispiel an den Demonstrationen in Brokdorf. 1978 und 79 war er Teilnehmer an den Russell-Tribunalen über die Menschenrechte. Zeitgleich engagierte er sich sehr für die Anfänge der grünen Bewegung, in der einen Hoffnungsschimmer für seine Überzeugungen sah.
Rudi Dutschke starb am Heiligabend des Jahres 1979 nach einem epileptischem Anfall in seiner Badewanne. Diese Todesursache war eine Spätfolge des Attentats.
Am 3. Januar 1980 fand unter großer Anteilnahme die Beerdigung auf dem St. Annen Friedhof in Berlin-Dahlem statt. Im Audimax der FU kamen mehrere tausende Trauernde zusammen. Kurz nach der Beerdigung kam mit Rudi-Marek Dutschke das dritte Kind Dutschkes auf die Welt.
Siehe auch: Sozialistischer Deutscher Studentenbund, Außerparlamentarische Opposition, 68er-Bewegung, Herbert Marcuse, Ernst Bloch
Werke
- Rudi Dutschke: Jeder hat sein Leben ganz zu leben - Die Tagebücher 1963-1979 (Hrsg. v. Gretchen Dutschke), Kiepenheuer & Witsch, Köln 2003. ISBN 3462032240
- Rudi Dutschke: Mein langer Marsch. Reden, Schriften und Tagebücher aus zwanzig Jahren (Hrsg. von Gretchen Dutschke-Klotz, Helmut Gollwitzer und Jürgen Miermeister), Rowohlt 1980. ISBN 3499147181
- Rudi Dutschke: Aufrecht gehen - Eine fragmentarische Autobiographie, Olle und Wolter, Berlin 1981. ISBN 3883954276
- Rudi Dutschke: Lieber Genosse Bloch... - Briefe Rudi Dutschkes an Karola und Ernst Bloch (Hrsg. v. Karola Bloch und Welf Schröter), Talheimer Verlag 1988. ISBN 3893760016
- Rudi Dutschke: Versuch, Lenin auf die Füße zu stellen. Über den halbasiatischen und den westeuropäischen Weg zum Sozialismus., Wagenbach, Berlin 1984
Literatur
- Ulrich Chaussy, Die drei Leben des Rudi Dutschke. Eine Biographie, Taschenbuchausgabe, Pendo Verlag 2002. ISBN 385842532X
- Gretchen Dutschke: Rudi Dutschke - Wir hatten ein barbarisches, schönes Leben (Biografie). ISBN 3426608146
- Jürgen Miermeister: Rudi Dutschke (Biografie), rororo bildmonographien. ISBN 3499503492
- Bernd Rabehl: Rudi Dutschke - Revolutionär im geteilten Deutschland, Edition Antaios, Dresden 2002. ISBN 3935063067
- Michaela Karl: Rudi Dutschke - Revolutionär ohne Revolution, Verlag Neue Kritik, Frankfurt/Main 2003. ISBN 380150364X
- Rainer Rappmann (Hg.): Denker, Künstler, Revolutionäre - Beuys, Dutschke, Schmundt, Schilinski: Vier Leben für Freiheit, Demokratie und Sozialismus, FIU-Verlag 1995. ISBN 3928780131
- Gerd Langguth: Mythos '68 - Die Gewaltphilosophie von Rudi Dutschke - Ursachen und Folgen der Studentenbewegung; München 2001 (Olzog), ISBN 3-7892-8065-8
Weblinks
- Zu Protokoll - Rudi Dutschke (Ein berühmtes Interview von Günter Gaus, 1967)
- Kurzbiografie 1
- Kurzbiografie 2
- Gedenktafel für Rudi Dutschke in Berlin
- Bernd Rabehl: Subjektiver Faktor - Zur Offensivtheorie von Rudi Dutschke. Vortrag 1998, Evangelische Akademie Bad Boll