Die klassische Losformel oder Andler-Formel ist eine im deutschen Sprachraum 1929 von Kurt Andler vorgestellte Methode[1] zur Ermittlung der optimalen Losgröße im Rahmen industrieller Fertigung. Der Ansatz wurde jedoch bereits von Ford W. Harris im Jahr 1913 entwickelt[2].
In der im Jahre 2005 veröffentlichen Untersuchung weist Georg Krieg zum einen auf wichtige Unterschiede zwischen den Arbeiten von K. Andler und F. W. Harris sowie auf die daraus resultierende Unterschiede hin. Zum anderen stellt er die Anwendung der Bezeichnung Andler-Formel auf die Harris-Formel in Frage, weil K. Andler die Harris-Formel nicht herleitet, sondern eine eigene, genauere Losformel entwickelt, die tatsächlich die Bezeichnung Andlersche Losgrößenformel zu Recht tragen würde [3].
Grundlegende Annahmen und Definitionen
Ansatz
Die klassische Losformel wurde für ein Unternehmen mit einer Losfertigung entwickelt, bei dem ein Los beim Auflegen Rüstkosten und beim Lagern auf dem Weg zum Kunden Lagerkosten verursacht. Weil ein Los als (geschlossener) Posten die Ferigungsstufen durchläuft, steigen mit seiner Größe auch die Lagerkosten. Die Rüstkosten dagegen sinken, weil weniger Lose aufgelegt und damit weniger Rüstvorgänge durchgeführt werden müssen, um dieselbe Menge zu produzieren. Die Summe der beiden Kostenarten hängt damit von der Losgröße ab. Man kann sie als eine Funktion der Losgröße darstellen und ihr Minimum mit der Andler-Formel finden.
Die Vorgehensweise kann auch bei offener und geschlossener Fertigung angewandt werden, wobei sich lediglich unterschiedliche Lagerkosten ergeben. Auch wenn die Annäherung zum Optimum in Form eines Kostenminimums von der Kostenseite erfolgt, kommt die Gewinnmaximierung (bei linear geneigter Preis-Absatzfunktion) zum gleichen Ergebnis.
Prämissen des klassischen Losgrößenmodells:
- Produktion:
- einstufige Fertigung mit freien Kapazitäten ohne Zwischenlager oder mehrstufige Fertigung ohne Ausschuss, Unterbrechungen und identischen Geschwindigkeiten.
- realistische, endliche Produktionsgeschwindigkeit (entspricht der Lagerzugangsrate)
- beliebige Teilbarkeit der Losgröße
- vorhandene Kapazität zur Produktion der ermittelten optimalen Losgröße
- Lager
- konstanter Lagerhaltungskostensatz
- Lager mit unbegrenzter Lagerkapazität
- genau ein Produkt in genau einem Lager
- Absatz
- keine Fehlmengen
- unendlicher Planungshorizont
- konstanter Periodenbedarf (entspricht der Lagerabgangsrate)
- Finanzierung
- die Herstellung der ermittelten optimalen Losgröße ist möglich und nicht durch den time lag zwischen Produktion und Absatz gefährdet
- Zeitkomponente
- statische Vorgehensweise mit der Annahme, dass die Daten im Zeitablauf konstant bleiben und Lagerabgang kontinuierlich stattfindet.
Symbole:
- Variablen:
- - Losgröße
- - Periodenlänge
- Parameter:
- - Lagerabgangsrate bzw. Absatzgeschwindigkeit
- - maximale Absatzmenge
- - variable Kosten
- - endliche Produktionsgeschwindigkeit mit
- - losfixe Kosten (z.B. Rüstkostensatz)
- - losvariable Kosten (z.B. Lagerhaltungskostensatz)
- Indizies:
- - Zeitperiode
Die optimale Losgröße liegt nun dort vor, wo die Summe aller kontrollierbaren Kosten, also aus Beschaffungskosten und Lagerkosten, ein Minimum erreicht.
Herleitung
Im ersten Schritt werden die beiden Kostenarten Lagerkosten und Umrüstkosten betrachtet und anschließend Optimierungsansätze hinsichtlich der Kostenminimierung und der Gewinnmaximierung dargestellt.
Rüstkosten
Die Anzahl der Rüstvorgänge ergibt sich aus der zu produzierenden Menge. Der Zusammenhang zwischen Rüstkosten und Losgröße wird in folgender Tabelle zusammengefasst.
Variable | Beschreibung der Variablen |
---|---|
Umrüsthäufigkeit | |
Umrüstkosten pro Periode | |
Umrüstkosten pro Mengeneinheit |
Wie man der Abbildung 1 entnehmen kann, ist der Verlauf der Rüstkosten in Abhängigkeit von der Losgröße degressiv.
Lagerkosten
Bei der Bestimmung der Lagerkosten sind weitere Annahmen bezüglich der Fertigungstechnologie zu machen. Ergebnisse, die weiter unden bei der Herleitung optimaler Losgrößen verwendet werden, sind umrahmt.
Unendliche Produktionsgeschwindigkeit
Im Weiteren wird von der klassischen Annahme ausgegangen, dass der durchschnittliche Lagerbestand der halben Losgröße entspricht.
Geht man von unendlicher Produktionsgeschwindigkeit aus, so steht das gesamte produzierte Los sofort zur Verfügung, wenn das letzte Stück des vorherigen Loses das Lager verlassen hat. Die Lagerkosten ergeben sich dann wie folgt:
Variable | Beschreibung der Variablen |
---|---|
durchschnittlicher Lagerbestand | |
durchschnittliche Lagerkosten | |
gesamte Lagerkosten |
Der Lagerbestand im Zeitverlauf bei unendlicher Produktionsgeschwindigkeit wird in Abbildung 2 veranschaulicht.
Offene Fertigung
Liegt offene Fertigung bei endlicher Produktionsgeschwindigkeit vor, dann verlassen einzelne Erzeugnisse die letzte Fertigungsstufe noch bevor das gesamte Los produziert worden ist, so dass die Produkte früher ausgeliefert werden können und der durchschnittliche Lagerbestand sinkt:
Variable | Beschreibung der Variablen |
---|---|
Absatzdauer eines Loses | |
Absatzmenge während der Produktion | |
maximale Lagermenge | |
durchschnittliche Lagermenge | |
Lagerkosten pro Periode | |
Lagerkosten pro Mengeneinheit | |
Lagerkosten pro Mengeneinheit wegen |
Abbildung 3 macht den Verlauf des Lagerbestandes bei diesem Fertigungstyp deutlich.
Geschlossene Fertigung
In diesem Fall erreicht die Produktion die Lagerhallen erst wenn die Fertigung eines Loses komplett abgeschlossen ist. Bei kontinuierlichem Lagerabgang beginnt die Fertigung um die Länge der Fertigungsdauer eines Loses früher, um Fehlmengen zu vermeiden. Damit steigt der durchschnittliche Lagerbestand:
Variable | Beschreibung der Variablen |
---|---|
Lagermenge bei Produktionsbeginn | |
Ø Lagermenge in der Aufbauphase | |
Modifizierte Gleichung | |
Ø Lagermenge in der Abbauphase | |
Modifizierte Gleichung | |
Lagerkosten pro Periode | |
Lagerkosten pro Mengeneinheit |
Kostenminimaler Losgröße
Wie wir im letzten Abschnitt gesehen haben, hängt der durchschnittliche Lagerbestand von der Fertigungsart ab. In folgenden Abschnitt werden die jeweiligen kostenminimalen Losgröße auf dieser Erkenntnis basierend mit Hilfe der Differenzialrechnung hergeleitet.
Unendliche Produktionsgeschwindigkeit
beziehungsweise
wegen
Offene Fertigung
beziehungsweise
wegen
Geschlossene Fertigung
beziehungsweise
wegen
Damit können nun die kostenminimalen Losgrößen ermittelt werden, falls die Bedingungen des zugrunde liegendes Modells erfüllt sind.
Gewinnmaximale Losgröße
Ein gewinnmaximierendes Unternehmen sieht sich einer Nachfrage gegenüber, die im Allgemeinen mit steigenden Preisen abnimmt. Dieser Zusammenhang wird in der Betriebswirtschaftslehre mit Hilfe der Preis-Absatz-Funktion beschrieben, wie in Abbildung 5 gezeigt wird. Ein Gewinnmaximum bei offener Fertigung ist demnach die Menge, bei die Differenz zwischen dem Erlös und Kosten für die Herstellung dieser Menge:
Die gewinnmaximale Menge ergibt sich dann aus:
Die Gewinnmaximale Losgröße entspricht dann:
Damit erhalten wir ein weiteres, wichtiges Ergebnis, dass die gewinnmaximale Losgröße der kostenminmalen Losgröße entspricht.
Bewertung und Grenzen
Das klassische Losgrößenmodell hat eine grundlegende Prämisse (wie z.B. konstante Abgangsrate vom Lager), die in der Realität nicht oder nur sehr selten anzutreffen sind. Somit ist das Modell in seiner Anwendung durch die strengen und sehr praxisfernen Annahmen, die getroffen wurden, stark begrenzt. Die Andler-Formel hat eher Lehrbuchcharakter als einen praktischen Nutzen. Diesen Lehrbuchcharakter unterstreichen die Erkenntnisse, die aus der Formel offensichtlich werden:[4]
- Es gibt einen Zielkonflikt zwischen Losgröße und Bestand, d.h. hier kann eine Optimierung erfolgen.
- Lagerhaltungs- und Rüstkosten sind relativ unempfindlich gegenüber der Losgröße, d.h. bei zunehmender Losgröße verändern sich die reinen Lagerhaltungskosten (natürlich abgesehen von den Kapitalbindungskosten) oder die Rüstkosten kaum.
Die Andler-Formel wurde im Laufe der Zeit von vielen Forschern in verschiedener Hinsicht an realistischere Grundvoraussetzungen angepasst. So wurde die sofortige Auftragserfüllung durch eine zeitversetzte ersetzt, Auftragsrückstände wurden in die Berechnung aufgenommen, variable Rüstvorgänge etc. wurden in die Formel eingearbeitet. Das grundlegenede Problem der fehlenden Anpassung an den Bedarf erfüllten diese Modifikationen nicht hinreichend.
Wesentliche Fortschritte wurden im Bereich der Losgrössenermittlung erst mit der dynamischen Losgrössenermittlungen gemacht.
Quellen
- ↑ Kurt Andler: Rationalisierung der Fabrikation und optimale Losgrösse. München: R. Oldenbourg, 1929
- ↑ F. W. Harris (1913) How Many Parts to Make at Once Factory: The Magazine of Management 10(2): 135-136,152. Also reprinted in Operations Research 38(6): 947-950, 1990
- ↑ [G. Krieg (2005) Neue Erkenntnisse zu Andlers Losgrößenformel. Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt
- ↑ Wallace J. Hopp and Mark L. Spearman (2000) Factory Physics: foundations of manufacturing management; 2nd ed. McGraw-Hill Higher Education; ISBN 0-256-24795-1