Verlorener Zug
Als Der verlorene Zug oder "Der Zug der Verlorenen" wurde der Letzte von drei Todestransporten bezeichnet, welche Anfang April 1945 im KZ Bergen-Belsen mit je 2500 Häftlingen und ca. 45 Viehwaggons zusammengestellt wurden, da sich die britischen Truppen dem Lager näherten. Ihr Ziel sollte das Konzentrationslager im tschechischen Theresienstadt sein. Der Zug strandete schließlich nach einer Irrfahrt durch ganz Deutschland in der Nähe der brandenburgischen Gemeinde Tröbitz und wurde am 23. April 1945 von vorrückenden Truppen der Roten Armee gefunden und durch diese befreit.
Chronologie
Nachdem der Reichsführer der SS Heinrich Himmler angewiesen hatte, kein Konzentrationslager sowie keinen darin internierten Häftling in die Hände des Feindes fallen zu lassen, verlud die SS diese in Waggons oder setzte Todesmärsche in die eingerichteten Vernichtungslager in Bewegung.
Als die britischen Truppen sich dem Konzentrationslager Bergen-Belsen im Landkreis Celle näherten, wurden vom 6. bis 11. April 1945 drei Züge mit je 2500 sogenannten Austauschjuden zusammengestellt, um diese in die Gaskammern des Konzentrationslagers Theresienstadt zu verbringen. Einer dieser Züge erreichte sein Ziel, ein Zweiter wurde bei Magdeburg von amerikanischen Truppen befreit. [1]
Der letzte dieser drei Züge verließ in der Nacht vom 10. April zum 11. April 1945 das typhus-verseuchte Lager Bergen-Belsen, nur 5 Tage vor dessen Befreiung. Die Insassen des Zuges, Männer, Frauen und Kinder, wurden wie Vieh in die Wagons gepreßt. Es begann eine qualvolle Fahrt durch ganz Deutschland. Der Transport setzte sich zuerst über Soltau, Lüneburg und Lauenburg in Bewegung, dann in Richtung Berlin, wo er am 19. April 1945 schließlich eintraf. Von hieraus fuhr er dann südwärts über Luckenwalde, Lübben, Lübbenau und Schipkau in Richtung Falkenberg/Elster.
Wie ein Geisterzug rollte er in den letzten Kriegstagen durch den immer enger werdenden Korridor im noch nicht besetzten Teil Mitteldeutschlands. Während seiner Fahrt wurde er durch tieffliegende Flugzeuge mit Maschinengewehrfeuer und Bomben angegriffen, was auch zu Todesopfern im Zug führte. Daraufhin befahl der Zugführer, den ganzen Transport mit allen auffindbaren weißen Laken und Tüchem zu bespannen. Durch die schlimmen sanitären und hygienischen Verhältnisse kam es schließlich zu einer Fleckentyphus-Epidemie unter den ausgehungerten Menschen im Zug, welche bereits mehrere Tage darin verbracht hatten und schon vor dem Transport im bereits verseuchten KZ Bergen-Belsen schrecklich gelitten hatten. Viele Menschen verstarben während der Fahrt an Krankheit, Hunger und Erschöpfung. Wenn der Zug hielt, wurden durch die SS die Waggon-Türen geöffnet, die Toten ausgeladen und einfach neben den Gleisen beerdigt.
Am 20. oder 21. April 1945 rollte der gespensterhaft wirkende Zug, an welchem weiße Fahnen flatterten, in Richtung Falkenberg/Elster durch Tröbitz und blieb vor der inzwischen gesprengten Elsterbrücke nahe des Dorfes Langennaundorf am Kilometer 101,6 stehen. Am 22. April 1945 wurden hier 16 Tote in einem Massengrab beerdigt, an dessen Stelle im Jahre 1989 eine Gedenkstätte errichtet wurde. In den Morgenstunden des darauf folgenden Tages fanden die vorrückenden Truppen der Roten Armee am Kilometer 106,7 unweit von Tröbitz den Transport. Hierhin war der Zug am Vortag mit einer Lok der Beutersitzer Braunkohlenwerke noch gebracht worden. Ihnen bot sich ein Bild des Schreckens. In vielen Waggons lagen noch die Toten des vorhergehenden Tages inmitten der Überlebenden. Am Ende waren es 198 Menschen, welche während der Fahrt starben.[2]
Die Bergarbeitergemeinde Tröbitz mit ihren damals etwa 700 Einwohnern sah sich plötzlich rund 2000 ausgehungerten und todkranken jüdischen Menschen gegenüber, denen schnell geholfen werden mußte. Viele Tröbitzer halfen, den Zug zu entladen, und Angehörige der Roten Armee leiteten Maßnahmen ein, die Not der Menschen zu lindern, sowie ein Ausbreiten der Typhus-Epidemie zu verhindern und diese zum Stillstand zu bringen. Jüdische Ärzte - bis dato selbst Gefangene - halfen selbstlos bei der Pflege und Behandlung der Kranken. Einige bezahlten diesen Einsatz mit ihrem Leben, wie die Namenstafeln auf dem jüdischen Friedhof in Tröbitz beweisen. Es folgte eine angsterfüllte Zeit, denn der Typhus beherrschte den Ort, wo Tag und Nacht Menschen starben. Bis die Epidemie zum Stillstand kam, starben innerhalb von acht Wochen 320 Männer, Frauen und Kinder. Unter ihnen befanden sich auch 26 Tröbitzer, die sich angesteckt hatten. Die letzte Tote des Transportes, die niederländische Klara Miller wurde am 21. Juni 1945 auf dem jüdischen Friedhof beerdigt.
Am 13. Mai 1945 fuhren Menachem und Miriam Pinkhof mit Fahrrädern in Tröbitz los, um in ihre Heimat zu fahren. Am 9. Juni 1945 passierten sie die niederländische Grenze mit einem Memorandum für das Auswärtige Amt in Den Haag, in dem sie über den dritten Zug und den Zustand der Geretten berichteten. Durch sie erfuhren die westlichen Alliierten alles über den verlorenen Transport aus Bergen-Belsen. Daraufhin nahmen amerikanische Verbindungsoffiziere Kontakt auf zu ihren russischen Kollegen und fuhren nach Tröbitz, um den Wahrheitsgehalt zu prüfen und die Repatriierung einzuleiten. Bereits vor Ablauf der vierwöchigen Quarantäne begann zur großen Freude und Überraschung der Geretteten am 16. Juni 1945 die Rückführung der Überlebenden. Bis Ende August 1945 hatten dann, bis auf eine Familie, alle den Ort wieder verlassen.[3][4]
Die überlieferte Fahrtroute des Zuges
Der Zug hielt nicht auf jedem Bahnhof. | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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Die Überlebenden (Auswahl)
Die Überlebenden des Transportes hatten auch nach der Befreiung weiter zu leiden. Die im Zug ausgebrochene Fleckentyphus-Epidemie forderte auch noch in Tröbitz ihre Opfer. Einige der Überlebenden berichteten später über ihre Erlebnisse oder kamen an den Ort der Befreiung zurück. Ansprechpartner war hier meistens Erika Arlt. Oft bot sie den Weitgereisten großzügig Gastfreundschaft. Innerhalb vieler Jahre hat sie die Schicksale der Menschen aus dem Todeszug erforscht und aufgeschrieben. Mitte der 1990er Jahre publizierte sie eine informative Schrift, und ihr wurde am 2. Juni 1997 durch den Bundespräsident Roman Herzog das Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland verliehen.
- Menachem und Mirjam Pinkhof - Sie übergaben dem Auswärtigen Amt in Den Haag das Memorandum.
- Die Schwestern Hannah (eine Schulfreundin von Anne Frank) und "Gabi" Rachel Goslar . Sie gelangten mit Hilfe des Vaters von Anne Frank später in die Schweiz.
- Renata Laqueur ist die Tochter von Ernst Laqueur und ist heute Sprach- und Literaturwissenschaftlerin.
- Richard Bleiweiß - Dieser besuchte die Gedenkstätte Langennaundorf 1993.
- Judy Morton - Sie war damals 13 Jahre alt.
- Naomi Rifka Tal aus Amsterdam [7]
- Marion Blumenthal-Lazan - Sie war damals 10 Jahre alt und befand sich mit ihrer Mutter, ihrem damals 12-jährigen Bruder und ihrem Vater, welcher 6 Wochen später an Typhus starb, im Zug. Die Familie stammte aus Hoya an der Weser. Heute lebt Marion Blumenthal in New York und erzählt in Schulen ihre Geschichte.
- Abel J. Herzberg - Der niederländische Anwalt und Schriftsteller veröffentlichte 1950 das Buch "Zweistromland" in dem er über seine Erlebnisse in Bergen-Belsen berichtete. Er starb 1989 in Amsterdam. [8]
- Jupp Weiss - Der Judenälteste von Bergen-Belsen schmuggelte die vielen Namenslisten aus dem Lager Bergen-Belsen, über welche das Schicksal von Anne Frank und ihrer Schwester Margot bekannt wurde. Seine Frau Erna verstarb wenige Wochen nach der Befreiung am Fleckfieber. [9]
Die Toten
Am Ende waren es über 400 Tote, welche der Transport zu beklagen hatte. Sie stammten aus Albanien, Frankreich, Jugoslawien, Polen, Paraguay, Montenegro, Ekuador, Griechenland, Niederlande, Peru, El Salvador, Ungarn und Deutschland. Einige waren staatenlos.
Beerdigt wurden sie an den Plätzen der heutigen Gedenkstätten oder einfach in der Nähe der Bahngleise. Später sind einige der Toten umgebettet worden.
Gedenkstätten
Die Gedenkstätte Langennaundorf
Die Gedenkstätte befindet sich im Wald unmittelbar am Bahndamm Kilometerstein 101,6 der Bahnstrecke Cottbus-Falkenberg/Elster. Hier war der Zug am 20. April 1945 vor der durch einen Luftangriff zerstörten Elsterbrücke stehen geblieben. Neben den Gleisen wurden 16 Tote aus dem Zug in einem Massengrab beigesetzt. Am 23. April 1989 wurde die Gedenkstätte für die jüdischen Opfer des Faschismus eingeweiht.
Auf einem großen Naturstein ist zu lesen:
Den jüdischen Opfern
Des Faschismus.
22. April 1945
Der jüdische Friedhof in Tröbitz
Die meisten Verstorbenen aus dem Verlorenen Zug fanden im April 1945 auf einem eingerichteten jüdischen Friedhof in Tröbitz ihre letzte Ruhe. Der jüdische Friedhof wurde bereits 1966 zur Mahn- und Gedenkstätte bzw. zum jüdischen Ehrenfriedhof erklärt und eingeweiht. Zwei Davidssterne kennzeichnen das Eingangstor zum Friedhof in Tröbitz.
Auf einem Gedenkstein steht:
Die jüdische Gedenkstätte in Schipkau
Am 25. April 2003 wurde bei Schipkau, am Ort eines zweitägigen Zwischenstopps des Zuges, eine Gräberstätte mit einem Stein zum Gedenken an die jüdischen Opfer eingeweiht. 51 Tote wurden im April 1945 in der Nähe der Gemeinde begraben.
Weitere Gedenkstätten
Weitere Gedenkstätten befinden sich in Wildgrube (1 Massengrab), Schilda (4 Einzelgräber), Mühlberg (Elbe) im Landkreis Elbe-Elster, außerdem in den sächsischen Orten Zeithain und Riesa, wo ebenfalls Opfer begraben wurden.
In Israel wurde zum Gedenken an die Toten des Zuges und an alle Tröbitzer Bürger, welche mithalfen das Leid zu lindern, 1992 durch eine jüdische Stiftung ein kleiner Wald angepflanzt.[10]
Veröffentlichungen zum Thema
Literatur (Auswahl)
- Erika Arlt: "Die jüdischen Gedenkstätten Tröbitz, Wildgrube, Langennaundorf und Schilda im Landkreis Elbe-Elster"; Herausgeber: Landkreis Elbe-Elster
Tagebücher und Erinnerungen von Überlebenden
- Alison Leslie Gold: "Erinnerungen an Anne Frank - Nachdenken über eine Kinderfreundschaft", Ravensburger Buchverlag
- Renata Laqueur: Bergen-Belsen Tagebuch 1944/1945, Fackelträger-Verlag, 1995, ISBN: 3-7716-2308-1
- Maria Goudsblom-Oestreicher, Erhard Roy-Wiehn (Hrsg.): Felix Hermann Oestreicher. Ein jüdischer Arzt-Kalender. Durch Westerbork und Bergen-Belsen nach Tröbitz. Konzentrationslager-Tagebuch 1943-1945. Hartung-Gorre-Verlag, Konstanz, 2000, ISBN 3-89649-411-2
- Lila Perl und Marion Blumenthal-Lazan,"Vier kleine Kiesel",Herausgegeben vom Verein Heimatmuseum Grafschaft Hoya Im Selbstverlag, 1996, 135 Seiten
- Herzberg, Abel J., Zweistromland. Tagebuch aus Bergen-Belsen. ISBN 3-932810-00-7
Dokumentationen
Weblinks
- "Der verlorene Zug von Tröbitz", Beitrag von Heide Kramer
- Offizielle Seite der Gedenkstätte
- Die Geschichte des Jupp Weiss
- http://www.elsterland.de
Interviews und Berichte von Überlebenden
- Interview mit Hannah Pick-Goslar in der FAZ
- Bericht der Überlebenden Marion Blumenthal-Lazan
- Auszug der Tagebuchaufzeichnungen der Überlebenden Renata Laqueur
Karten
Fußnoten
- ↑ http://www.celle-im-nationalsozialismus.de/Texte/April8.html
- ↑ http://www.shoa.de/index2.php?option=com_content&do_pdf=1&id=598
- ↑ Heimatkalender für den Landkreis Bad Liebenwerda, 1995, S. 89 bis 94
- ↑ http://www.geschichtsunterricht-online.de/annefrank/index.php?option=com_content&task=view&id=63&Itemid=135
- ↑ http://www.inforiot.de/news.php?article_id=4531
- ↑ http://www.kz-zuege.de/kapitel_11.htm
- ↑ http://cdl.niedersachsen.de/blob/images/C36009475_L20.pdf
- ↑ http://www.dbnl.nl/auteurs/auteur.php?id=herz001
- ↑ http://www.flamersheim.de/html/weissjosef.html
- ↑ Heimatkalender für den Landkreis Bad Liebenwerda, 1995, S. 89 bis 94
- ↑ http://www.phoenix.de/der_verlorene_zug/2005/04/10/0/14019.1.htm
- ↑ http://www.hagalil.com/archiv/2003/12/pick.htm