Das Kaiser-Wilhelm- und Ratsgymnasium, genannt "KWR", ist ein aus dem Ratsgymnasium und dem Kaiser-Wilhelms-Gymnasium fusioniertes humanistisches Gymnasium in Hannover.
Kaiser-Wilhelm- und Ratsgymnasium | |
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Schulform | Humanistisches Gymnasium |
Gründung | 1348 Ratsgymnasium, 1875 Kaiser Wilhelms Gymnasium |
Schüler | - |
Website | www.kwrg.de |
Lage
Geschichte
1267 wird eine "schola in Honovere" in einer Urkunde erwähnt. 1315 gibt der Rat die Erlaubnis, ein Schulgebäude an der Marktkirche zu errichten.
1348 erwirbt die Stadt die Schule und alle Rechte ("Se mogen ok mer Scole maken binnen der stadt, icht se willet"): Der Rat sucht die rectores für ein Jahr aus. Die Schule bereitet auf kirchliche und weltliche Karrieren vor allem mit Latein Sprechen und Schreiben, Rhetorik und Gesang vor. Sie finanziert durch Schulgeld sich und den rector - er ist einziger Lehrer für alle 3 Klassenstufen. Arme Kinder bilden Bettelchöre und treten für ihr Schulgeld öffentlich auf; viele Stunden fallen wegen Chorproben aus. Das klingt angenehm, aber die Anforderungen sind hart: Ein 10-jähriger lernt die Grammatik von Beginn an auf Latein; wer Deutsch spricht, muss ein Eselsbild tragen; der Unterricht besteht aus Diktieren, Auswendiglernen und dem Herunterbeten lateinischer Sprüche und deutscher Aufsätze. So ist die Ausbildung Grundlage nur für fleißige Schüler. Versetzungsprüfungs-Fragen erhalten die Schüler Wochen im Voraus; wer trotzdem durchfällt, darf eine Stufe bis zu 6 mal wiederholen. 1475 belangt der Bischof Schüler wegen nächtlicher Ruhestörung und Schlägerei mit Todesfolge.
1532 entlässt der Rat einen protestantischen Lehrer und wird infolgedessen gestürzt - dadurch wird Hannover "Hort des Luthertums" und die Schule der des Humanismus. 1578 brennt die Schule ab; im Neubau sitzen gute Lateinschüler vorn, die schlechten hinten. 1597 hat die Schule 800 Schüler (sogar aus Bremen) und es erfolgt die Gründung einer Stiftung für mittellose Schüler.
1598 wird in einer Schulordnung Glücksspiel, Baden im Freien, Schneeballwerfen, Trinken und Tragen bunter Kleider verboten - Herr Dr. Marx: "Offenbar gehörte dies zu den gewöhnlichen Freizeitbeschäftigungen". Im 17. Jahrhundert wird Plattdeutsch erlaubt und den Schülern Zeit zur Erholung gegeben. Ein kleiner Überblick über bezeugte Aktivitäten der Schüler: Trinkgelage, Einbrüche (1693 entwenden Schüler den Armenkasten der Marktkirche), Körperverletzung (von Schülern wie von Lehrern ). Die Schülerzahl sinkt, vor allem, weil das Deutsche durch die Aufklärung Latein verdrängt und Adlige und Bürger Privatlehrer unterhalten - die Sozialstruktur verschlechtert sich.
1708 folgt noch eine Schulordnung: Diesmal werden Lüge, Naschsucht, Unzucht und mangelnde Reinlichkeit verboten. 1717 soll, wer Griechisch nicht will, während der Stunde in einer Ecke Latein machen. Im 18. Jahrhundert gibt es dann Pöbeleien gegen Lehrer, dem Direktor wird das Fenster eingeschlagen, Schüler kommen mit Degen zur Schule und betrunken zur Prüfung; Schulkantor Pott schlägt einen Schüler krankenhausreif - da sage noch einer, früher war alles besser!
1759 sind 65 Schüler übrig - der absolute Tiefpunkt, woraufhin sich 1765 eine Realschule im Lyzeumsgebäude mit Rechnen, Architektur, Haushalten einrichtet. 1774 steigt die Schülerzahl wieder auf 120. Ob Abiturfeiern, Neujahrssingen mit Fackelumzug, ob ein großer Ball zum 400. Jubiläum 1748 oder ein Friedensfest zum Ende des Siebenjährigen Kriegs: es wird kräftig gefeiert im 18. Jahrhundert.
1803 erfolgte der Einzug ins frühere Kaffeehaus Vauxhall am Friederikenplatz. 1812 wird mit Französisch die erste moderne Fremdsprache aufgenommen. Im Anfang des 19. Jahrhunderts werden 8 Klassenstufen, Stundenglocken und wöchentliche Konferenzen eingeführt, Gewalt wird verboten. Noch ein paar Daten: Mancher Lehrer "iässt es so sehr an Frische fehlen, dass der Unterricht langweilig wird", manche Arbeit fällt bei jedem zweiten Schüler schlechter als "3" aus, 2 von 5 sind versetzungsgefährdet (nichts Neues also); "arge Unsittlichkeit, Geldunterschlagung, Beziehung zu unsittlichen Frauenpersonen" sind bekannt.
1847 kommt der Abriss des alten Schulhauses, weil der König freie Sicht auf den Waterlooplatz will. 1854 wird der Schulneubau mit "schlechten Düften" aus einem an einen Viehhändler vermieteten Kellerraum eingeweiht. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts fällt die Nachmittagsschule weg und Lese-, Stenographie-und Turnvereine werden für Schüler an KWG wie RGH eingeführt. Mit dem Einzug der Preußen in Hannover 1866 boomt die Wirtschaft, wächst die Bevölkerung sprunghaft, und es entstehen Gymnasien als Zweige des Lyzeums.
1875 wird das "Kaiser Wilhelms Gymnasium" gegründet, die einzige preußische Schule in Hannover. Die Wilhelminisierung des Lyzeums Iässt sich an den Feieranlässen ablesen: Schlachtengedenk- und Monarchengeburtstage werden mit allem Pomp zelebriert und die 1898 stattfindende 550-Jahr-Feier dehnt sich über 4 Tage mit Theater, Illumination der Schule, Schauturnen, Festessen und Ball aus.
1881 zieht das KWG ins neue Haus in der Straße " Am Gefangenenhause", die auf Drängen des Direktors "Leonhardtstraße" getauft wird; die Schülerzahl steigt schnell. 1904 gibt es die erste Sohlfahrt ins Weserbergland zu Ehren von Wilhelm Raabe, die auch heute noch jährlich am 4. Advent stattfindet. 1907 erfolgten erste Elternabende und eine Oberstufenreform. 1908 mahnt Direktor Mühe "die Eltern, dem Kampfe gegen die Schundliteratur die ernsteste Aufmerksamkeit zuzuwenden". 1912 kam eine Umbenennung von "Lyzeum I" in "Ratsgymnasium" (RGH).
Im 1. Weltkrieg werden 13 Lehrer sofort eingezogen und die Schüler müssen Wolle und Stoff sammeln; das RGH wird aus Kohlemangel geschlossen oder umquartiert. 81 Schüler und ein Lehrer des RGH sterben. Damals tragen Schüler Mützen mit Farben ihrer Klassenstufe, an denen des KWG heften Kaiseradler. Schüler organisieren Bälle, die sie als Geschäftsbetriebe ausweisen, was die Schulbehörde bald verbietet, weil ihr die Feierei überhand nimmt.
1925 erfordern neue Richtlinien Lehrproben und Schulversuche. 1933 wird Hitler Reichskanzler, der wegen Geisteskrankheit vom Dienst suspendierte RGH-Altsprachenlehrer Bernhard Rust Erziehungsminister. In der Nazizeit sinkt das Bildungsniveau: Die Schulzeit wird um 1 Jahr gekürzt, die alten Sprachen an den Rand gedrängt und Tacitus "Germania" Pflichtlektüre. Viele Stunden fallen NS-Ereignissen zum Opfer. Als ein ausländischer Schüler einen Pressefreiheit-Aufsatz schreibt, wird Direktor Hoesch fast entlassen, der angekündigt hatte, das KWG " niemals im Sinne einer Partei, sondern nach pädagogischen Gesichtspunkten" leiten zu wollen.
1935 lehnen Schüler der Untertertia ihren Geschichtslehrer wegen dessen NS-Einstellung ab, der dann entlassen wird, das RGH bleibt also einigermaßen kritisch und selbstbestimmt. 1937 besteht der letzte jüdische Schüler (Israel Schul) sein Abitur am RGH. 1939 bricht der II. Weltkrieg aus. Lehrer werden eingezogen und Reifezeugnisse ohne Prüfung ausgestellt, um möglichst viele Soldaten zu rekrutieren. Die Schüler gehen arbeiten. RGH- und KWG-Schüler werden bei Angriffen auf die Schaumburg geschickt.
1943 wird Hannover in der Bombennacht am 8.Oktober mit beiden Schulgebäuden zerstört. 1945 hat das RGH 164 Gefallene und 13 Opfer des NS-Regimes zu beklagen, das KWG 206 Gefallene - 124 Schüler sind übrig. In der folgenden Notzeit fehlen viele Lehrer und Schüler. Durch altertümliche Lehrmittel ist der Unterricht beschränkt; der Geschichtsunterricht darf die Antike nicht überschreiten. Viele Schüler sind unterernährt und tuberkulosegefährdet.
1950 gibt es etwa 500 Schüler, unterrichtet in der Humboldtschule. 1952 wird der Neubau in der Seelhorststraße begonnen und 1956 beendet. 1957 haben dort 825 Schüler Unterricht. 1954 wird das neue RGH am Schützenplatz, laut HAZ " eine ideale Schulanlage", eingeweiht, Schülermitbestimmung eingeführt und wieder Vereine gegründet - mit Erfolg. 1963 hat die Schule 520 Schüler. In den 60ern arbeiten Schüler am 1 .Juni bei Bauern für "Pakete in die Zone", wobei das KWG oft ein Drittel des Geldes aus Hannover beisteuert. Durch die Studentenproteste der späten 60er wird die Schülerschaft politisiert. Es bilden sich politische Schülergruppen, Anfang der 70er fordern Schüler Mitsprache bei Zensuren, freie Fächerwahl und Sexualkunde.
1971 beschließt die Gesamtkonferenz, Koedukation einzuführen, damit "auch deutsche Töchter die Chance erhalten, von der Sonne Homers gewärmt zu werden." 1974 hat die Schule 619 Schüler bei wachsendem Lateinanteil, weil der Unterricht so gründlich verändert wird wie noch nie: Neue Schulbücher, auch von Gappa und Papenhoff vom RGH, Holtermann und Baumgarten vom KWG, legen Wert auf Sprachreflexion. 1975 waren es 877 Schüler und der Ansturm auf die humanistischen Gymnasien ist so groß, dass die Stadt überlegt, ein weiteres einzurichten. Durch die Einführung der Orientierungsstufe in Niedersachsen beginnen die Gymnasien erst mit der siebten Klasse.
1994 zieht das RGH nach langen Querelen mit der Stadt zur Rettung der altsprachlichen Ausrichtung ins KWG-Gebäude; durch Schülerschwund hat das RGH allein kaum Zukunft. 1995 vereinigt man sich nach einigen Reibereien zum Kaiser-Wilhelm- und Ratsgymnasium. 1998 geht es leicht aufwärts mit den Schülerzahlen, das KWR hat 516 Schüler. 2000 ergeben 652 Jahre RGH und 125 Jahre KWG 777 Jahre hannoversche Schultradition.
Bei der Einführung des Zentralabiturs in Niedersachsen im Jahre 2006 hat das KWR den besten Abiturnotenschnitt (2,1) des Landes.
Bekannte Schüler und Lehrer
- Johannes Schele 1407 Sekretär Kaiser Sigismunds, dann Bischof von Lübeck
- Reinhard Reyneke 1582 erster Geschichtsprofessor Helmstedt
- Johann Ernst Wichmann schreibt 1797 "Ideen zur Diagnostik"
- Karl Philipp Moritz Schriftsteller des "Sturm und Drang", "Wegbereiter des psychologischen Entwicklungsromans", kennt Goethe, Altertumskundeprofessor in Berlin
- August Wilhelm Iffland geboren im Leibnizhaus, Schauspieler, "Publikumsliebling seiner Zeit" und Intendant des Berliner Nationaltheaters; nach ihm ist die Schauspieler-Ehrung "Iffland-Ring" benannt (1759-1815)
- Friedrich Ernst Ruhkopf (Direktor) gibt 5 Seneca-Bände heraus, ist Mitglied der Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften in Göttingen (1760-1821)
- August Wilhelm Schlegel Dichter, gründet mit Bruder Friedrich, der nicht zum Lyzeum geht, weil seine Eltern ihn für weniger begabt halten, einen Kreis mit Novalis, Schelling, Brentano und schafft die literaturtheoretische Grundlage der Romantik (1767-1845)
- Georg Friedrich Grotefend (Direktor) entschlüsselt kombinatorisch persepolitanische Keilschrift, ohne Persisch zu kennen, schreibt zwei Lateingrammatiken und gründet den "Verein für deutsche Sprache", wo er Jacob Grimm trifft (1775-1853)
- August Heinrich Andreä, Hannoverscher Maler und Stadtarchitekt (1804-1846).
- Rudolf Wiegmann Architekt, Professor und Sekretär an der Düsseldorfer Kunstakademie, Sekretär des Kunstvereins für Rheinland und Westfalen, Architekturmaler, Grafiker, Radierer, Lithograph, Illustrator und Kunstschriftsteller (1804-1865)
- Eduard Freiherr von Schele Ministerpräsident des Königreichs Hannover und Generalpostmeister in Frankfurt am Main (1805-1875)
- Rudolf von Bennigsen Führer der Nationalliberalen, Gegenspieler Bismarcks, 1888 Präsident der Provinz Hannover (1824-1902)
- Ludwig Lange verfasst Handbuch der röm. Altertümer (1825-85)
- Georg Meißner Anatom und Physiologe, Entdecker der nach ihm benannten Hauttastkörperchen (1829-1905)
- Adolf Köcher (Lehrer) erhält Orden für Vorträge bei Wilhelms II. Nordlandfahrten, Geheimrat (1848-1917)
- Ernst Kohlrausch (Lehrer) Erfindung des chronofotografischen Apparats zur Reihenfotografie (1850-?)
- Max Devrient Wiener Hofburg-Schauspieler, -Oberregisseur (1857-1929)
- Wilhelm Prinzhorn (Direktor) Provinzialschulrat im preuß. Kultusministerium (1859-1946)
- Rudolf Graefenhain (Direktor) vorher Erzieher des Prinzen zu Schaumburg-Lippe
- Theodor Lessing Dozent der TH Hannover für Philosophie und Pädagogik, bekennender Leninist, wird von den Nazis in Prag ermordet. (1872-1938)
- Alfred Hugenberg Medienzar der Weimarer Republik, Nationalkonservativer Wegbereiter Hitlers
- Bernhard Rust (Lehrer) (Altsprachen) ab 1911, 1925 Gauleiter Hannover-Nord, 1933 Reichserziehungsminister (1883-1945)
- Hans Wohltmann (Lehrer) Brüder-Grimm-Literaturpreisträger, Stader Ehrenbürger (1884-1968)
- Ulrich de Maizière Generalinspekteur der Bundeswehr (1912-2006)
- Helmut Coing Direktor am Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte und Vizepräsident der Max-Planck-Gesellschaft (1912-2000)
- Rudolf Augstein ab 1946 Herausgeber der Wochenzeitschrift "Der Spiegel"
- Andreas Aguilar 1989 Weltmeister im Kunstturnen am Reck, mehrfacher Deutscher Meister
- Giovanni di Lorenzo deutsch-italienischer Journalist, Mitherausgeber des Tagesspiegels, Chefredakteur der Wochenzeitung DIE ZEIT und Talkshowmoderator. (*1959) (nach der 11. Klasse abgegangen (RGH))
- Felix Rommel Ur-enkel des berühmten Generals Erwin Rommel und beründer der Rommel-Akademie in Hannover
- Hans-Ludwig Schreiber Präsident der Georg-August Universität Göttingen, Strafrechtler und Rechtsphilosoph
- Eckart von Klaeden MdB, deutscher Politiker (CDU)
- Stephan Weil, Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Hannover, deutscher Politiker (SPD)
- Dirk Toepffer, OB-Kandidat 2006 und Parteivorsitzender des CDU-Kreisverbandes Hannover-Stadt, deutscher Politiker (CDU) und Rechtsanwalt