== Lager 7525 Prokopjewsk ==
Die Stadt Prokopjewsk, als Industriestadt im Süden des sibirischen Kusnezker Kohlebeckens, hatte bereits 1949 wichtige Industriezweige wie Steinkohlenbergbau, Maschinenbau, Nahrungsmittel- und chemische Industrie. Die Stadt liegt am Tom, in der Nähe der Stadt Novokusnezk (früher Stalinsk), nördlich des Altaigebirges,
Die Kohle ist hier dicht unter der Oberfläche anzutreffen, sie eignet sich gut zur Verkokung. Vor dem 2. Weltkrieg wurde Eisenerz aus dem Ural mit der Kohle aus dem Revier verarbeitet. Als dann die Erzlager im Ural erschöpft waren, wurde die Industrie auf die Erzeugung von Aluminium und chemische Produkte umgestellt.
Ab 1941 wurden auch hier Deportierte aus der aufgelösten Wolgadeutschen Republik als Arbeitskräfte eingesetzt. Nach Ausbruch des Krieges zwischen Deutschland und der Sowjetunion bezichtigte man die Wolgsdeutschen der Zusammenarbeit mit Deutschland und deportierte sie nach Sibirien. Diese Zwangsarbeiter lebten unter katastrophalen Bedingungen in Lagern und notdürftigen Unterkünften. Die Wolgadeutschen wurden noch bis 1956 diskriminiert, indem man ihnen Meldepflicht, Ausgangsbeschränkungen und Beschränkung der Reisefreiheit auferlegt hatte. In Prokopjewsk gab es mehrere Kriegsgefangenenlager, die unter der Verwaltung des NKWD/MWD standen.
Vorgeschichte
Der NKWD/MWD hatte viele deutsche Zivilisten in der sowjetisch besetzten Zone in den 10 Speziallagern eingekerkert. Die Verhafteten waren ehemalige Angehörige der NSDAP, vermeintliche Kriegsverbrecher, Großbauern, Jugendliche der Jahrgänge 1928/29, denen man Werwolfverdacht vorgeworfen hatte, Angehörige des Volkssturms, Fabrikanten, willkülich denunzierte Personen und ehemalige Offiziere der Deutschen Wehrmacht. Man hatte sie nach langen Verhören dort eingeliefert, ohne dass sie von sowjetischen Gerichten verurteilt worden waren. Während der Verhöre wurden die Inhaftierten fast immer gefoltert, sie hatten keine Möglichkeit der Verteidigung und waren der Willkür der vernehmenden Offiziere ausgeliefert. Im Speziallager Nr. 1 Mühlberg/Elbe wurden im Januar 1947 ca. 1000 noch arbeitsfähige Häftlinge durch eine Äztekommission ausgewählt und nach Sibirien ins Lager 7503/11 Anschero-Sudschensk deportiert. Dort wurden sie vorwiegend im Kohleschacht 9/15 (Trest Anschero-Ugol) zur Zwangsarbeit gezwungen.
Auflösung des Lagers 7503/11 Anschero-Sudschensk
Im Herbst 1949 war das Lager infolge Entlassung, Transport in andere Lager und Todesfälle der Lagerinsassen nur noch mit etwa 100 Zivilinternierten des Pelzmützentransportes aus dem Speziallager Nr. 1 Mühlberg/Elbe belegt. Als die restlichen Gefangenen in zwei Personenwaggons der Transsibirischen Eisenbahn verladen wurden, nahmen sie an, dass auch ihnen ein Transport in die Heimat bevorstand. Bereits am nächsten Tag wurde ein Teil der Deportierten in Stalinsk (heute Novo-Kusnezk) und Prokopjewsk ausgeladen, während ein kleiner Teil nach Kemerowo gebracht wurde.
Lager 7525/7 Prokopjewsk
Das Lager lag etwa 15 km außerhalb der Stadt. Belegt war es mit den Angehörigen ehemaliger SS-Divisionen und Polizeieinheiten, wie Leibstandarte SS „Adolf Hitler“, SS-Panzer-Division „Hohenstaufen“, SS-Panzer-Division „Frundsberg“, SS-Panzerdivision „Wiking“ und ehemaliger Wlassoweinheiten. Außerdem hatte man Kriegsgefangene der deutschen Wehrmacht und Internierte aus vielen Lagern Sibiriens hier her geholt.
Das Lager war, wie üblich, mit Drahtzaun und Sichtblende versehen. Die Baracken gruppierten sich rund um den Appellplatz. Ein Magazin zum Kauf von Lebensmitteln war vorhanden.
Arbeitseinsatz
Die Häftlinge arbeiteten auf Wohnungs- und Tiefbaustellen und auf einer Großbaustelle eines geplanten Kraftwerkes für das Kombinat „TEZ“. Das eigentliche Kombinat war nach außen hin streng abgeschirmt. Es war nicht bekannt, was dort produziert wurde.
Die Bewachung der einzelnen Arbeitskommandos war sehr unterschiedlich. Während die Arbeitskommandos, in denen die Angehörigen der ehemaligen SS-Divisionen und Wlassoweinheiten arbeiteten, mit Posten und Schäferhunden streng bewacht wurden, blieben alle anderen Arbeitskolonnen ohne jegliche Bewachung. Für die Häftlinge aus dem Lager Anschero-Sudshensk war dies natürlich eine enorme Erleichterung, denn seit mehr als vier Jahren wurde jeder Schritt außerhalb des Lagers überwacht.
Wenn sich allerdings die politische Lage verschlechtert hatte, denn der Kalte Krieg war auf seinem Höhepunkt angelangt, eskortierten wieder Posten und Hunde diese Arbeitskolonnen.
Verhöre
Anfang 1950 durften die SS- und Wlassowangehörigen nicht mehr ausrücken, nachdem man sie in gesonderte, streng abgegrenzte Baracken umquartiert hatte. Verhöre durch ein sowjetisches Militärtribunal begannen. Durchweg verurteilte man diese Leute, auf Grund ihrer Zughörigkeit zu SS- und Wlassowverbänden, zu langjährigen Freiheitsstrafen.
Heimtransport
Am 6. 4. 1950 fuhren alle Gefangene des Pelzmützentransportes aus dem Lager Mühlberg/Elbe, sowie weitere Häftlinge in unbewachten Güterwaggons in Richtung Westen. Kurz vor Abfahrt des Zuges hängte man noch geschlossene und bewachte Waggons dem Zug an, in denen sich die zuvor verurteilten Gefangenen befanden. Unmittelbar nach Ankunft in Brest fuhren diese Leute in Richtung Heimat weiter
Alle anderen Gefangenen kamen ins Lager 7136/1 Brest (sog. Moskauer Lager). Sie verteilte man auf ankommende Heimkehrertransporte, entließ sie als Kriegsgefangene, obwohl sie Internierte gewesen waren.
Etwa 100 Gefangene hielt man ohne Begründung zurück. Sie wurden noch 1950 ins Lager 7136 Minsk, später ins Lager 6114 Makejewka und Lager 7134 Kiew-Darnytza gebracht, ehe man sie erst 1952 endlich in die Heimat schickte.
Wiederkehr
Im Mai 1997, nach dem Umbruch in Deutschland, besuchten ehemalige Häftlinge des Pelzmützentransportes aus Mühlberg die Standorte der damaligen Lager Stalinsk (jetzt Novokusnezk), Prokopjewsk und Kemerowo. Die Lager in Prokopjewsk und Kemerowo waren aufgelöst. Das Lager in Novokusnezk bestand noch unter dem Namen "Abagur".
In Novokusnezk wurden nach Kriegsende von deutschen Kriegsgefangenen unter der Leitung eines ebenfalls kriegsgefangenen deutschen Bauingenieurs Wohnhäuser gebaut. Die Bewohner dieser Häuser werden immer noch wegen der hervorragenden Qualität der Wohnungen von den Bewohnern anderer Häuser beneidet.
In Prokopjewsk errichteten die ehemaligen Lagerkameraden einen Gedenkstein für die verstorbenen Frauen, die 1945/46 von den Sowjets aus Ostpreußen hierher deportiert worden waren.
Quellen und Literatur
- Siegfried Rulc: Unvollständige Chronik 1945-1950, Berlin 1996. 3. Auflage
- Herbert Hecht: Sibirische Glocken, Gernrode 2006, 1. Auflage
- Peter Hilkes: Nach dem Zerfall der Sowjetunion. Probleme der Russlanddeutschen bei der Gestaltung ihrer Zukunft in den Nachfolgestaaten. Rthnos-Nation 2(1994) H.2, Seite 61-73