Dem Werkzeuggebrauch bei Tieren wurde erst mit dem Aufschwung der Tierpsychologie und der aus ihr hervorgegangenen Ethologie wissenschaftliche Aufmerksamkeit zuteil. Bahnbrechend waren die Studien von Wolfgang Köhler in seiner kleinen Forschungsstation auf Teneriffa. Vor diesen 1921 publizierten Studien hatte der Werkzeuggebrauch, von anekdotischen Einzelfallschilderungen abgesehen, als das alleinige Vorrecht der Menschen gegolten. Die Gattung Homo wurde zeitweise u.a. auch durch den Nachweis von Werkzeuggebrauch gegen zeitlich frühere Gattungen der Echten Menschen abgegrenzt.
Was ist „Werkzeuggebrauch“?
Werkzeuggebrauch kann beschrieben werden als die Anwendung externer Objekte zur Erweiterung der Funktionen des eigenen Körpers, um ein unmittelbares Ziel zu erreichen. Diese von Jane Goodall stammende Definition schließt folgerichtig zum Beispiel die Verwendung des Schnabels beim Zerhacken von Schnecken (hochschleudern und so auf den Boden fallen lassen) aus. Auch der Transport von Zweigen zum und deren Einbau ins Nest zählt nicht zum Werkzeuggebrauch.
Forschung an Schimpansen
Die Schimpansen von Wolfgang Köhler hatten u.a. Kistentürme gebaut und waren an diesen empor geklettert, um an hoch hängende Bananen heran zu kommen. Ferner hatten sie Stöcke ineinander gesteckt, um damit an eine Frucht zu kommen, die sich außerhalb ihres Käfigs befand.
Aus den Beschreibungen Köhlers geht hervor, dass die Schimpansen diese Handlungen nicht allein durch Ausprobieren erlernten. Vielmehr habe man beobachten können, dass ein Tier ruhig dasaß, umherschaute – zur Banane, zu den Kisten, zum Platz unter der Banane – um irgendwann gleichsam überlegt die Kisten unter der Banane zu stapeln und so die Frucht herabholen zu können.
1937 beschrieb M. Crowford (in Comp. Psychol. Monogr. Bd. 14, Heft 2) sogar einen kooperativen Werkzeuggebrauch bei jungen Schimpansen: Ihnen gelang es, gemeinsam an einem Strick zu ziehen und so eine Kiste zu bewegen, die für ein Tier allein zu schwer war.
Bereits 1956 hatten Fred G. Merfield und Harry Miller in ihrem Buch Gorillas were my Neighbours (London, Verlag Longmans) vermerkt, dass Merfield in den 1920er-Jahren Schimpansen dabei beobachtet hatte, wie diese ein Stöckchen in ein Bienennest steckten und nach dem Herausziehen den daran klebenden Honig ablutschten.
Bemerkenswert sind auch Beobachtungen, die die britische Zoologin Jane Goodall im Gombe Streams National Park in Tansania machte und in ihren Vorträgen gern erwähnt: Wild lebende Schimpansen nutzen dort Steine als Hammer und Amboss, um Nüsse zu öffnen. In einem ihrer Filmdokumente sieht man, wie ein Schimpanse, der an Durchfall erkrankt ist, sich mit Blättern säubert. Im Tai-Wald im westafrikanischen Staat Elfenbeinküste benutzen Schimpansen grobe Holzstücke als Hammer und Amboss, um auf diese Weise hartschalige Palmnüsse zu knacken.
Irenäus Eibl-Eibesfeldt zitiert in seinem Grundriss der vergleichenden Verhaltensforschung ebenfalls Jane Goodall, die beobachtete, dass Schimpansen dünne Stöckchen benutzen, um damit Termiten aus Erdlöchern zu fischen. Ferner benutzen sie Blätter als Ersatz für einen Schwamm, um mit ihrer Hilfe Wasser aus Baumlöchern aufzutunken. Ein bekanntes Foto zeigt einen Schimpansen, der mit einem langen Stock auf die Attrappe eines Leoparden einschlägt.
Diese sehr menschlich anmutenden Verhaltensweisen eignen sich die Schimpansen jedoch nicht in gleichem Maße, wie das bei den Menschen geschieht, durch Imitationslernen an, und sie werden auch nicht von der Erwachsenen zur Nachahmung ermuntert oder gar angeleitet. Die Schimpansenjungen sitzen jahrelang neben den Erwachsenen und schauen bloß zu. Peter Weber beschrieb in seinem Buch "Der domestizierte Affe" (Walter Verlag, 2005) das Verhalten so:
- "Schimpansenkinder imitieren nicht, und sie bekommen keinen Unterricht. In gewisser Hinsicht bekommt ein Schimpanse von seiner Mutter nicht mehr geliefert als eine Vorstellung, was zu tun ist. Wie man das Werkzeug jedoch zweckmäßig handhabt, muss er selbst herausfinden. Der Gebrauch eines Werkzeugs bedeutet so für jede Schimpansengeneration einen Neubeginn."
Eine Gehhilfe für Gorillas
Thomas Breuer vom Max Planck Institut für Evolutionäre Anthropologie in Leipzig veröffentlichte im September 2005 eine Studie zum Werkzeuggebrauch von frei lebenden Gorillas im Nouabalé-Ndoki National Park im Norden des Kongo. Erstmals hatte er dort bei zwei Weibchen auch fotografisch dokumentieren können ([1]), dass Stöcke von diesen Primaten als Werkzeuge genutzt werden. Ein Weibchen durchquerte einen Tümpel, lotete zunächst die Wassertiefe mit einem Ast aus und stützte sich dann im brusthoch stehenden Wasser auf diesen Stock, gewissermaßen als Gehhilfe. Ein anderes Weibchen stützte sich mit einem Arm auf einen Stock, während sie mit der anderen Hand Futter aufsammelte.
Flipper geht zur Schwammschule
Unter dieser Überschrift berichtete am 11. Juni 2005 die Fachzeitschrift New Scientist über eine Studie, die kurz zuvor in den Proceedings of the National Academy of Science USA erschienen war. In ihr berichteten Michael Krützen von der Universität Zürich und Forscher der Universität New South Wales (Sydney), dass einige der Grossen Tümmler in der westaustralischen Shark Bay bei der Futtersuche Werkzeuge benutzen: Sie lösen Schwämme vom Meeresboden ab und stülpen sie über ihre Schnauze. Die Schwämme dienen ihnen als eine Art Handschuh, um ihre Schnauze bei der Futtersuche im Boden zu schützen. Von den rund 3000 Delfinen in der Shark Bay sind nur etwa 30 so genannte Spongers, hat Dr. Michael Krützen vom Anthropologischen Institut der Universität Zürich herausgefunden. Um genetische Einflüsse zu untersuchen, wurde die DNA von 13 Schwamm benutzenden Delfinen analysiert und die DNA von 172 Delfinen, die keine Schwämme benutzen. Man fand heraus, dass der Gebrauch von Schwämmen anscheinend in direkter Linie von der Mutter auf die Tochter weitergegeben wird. Die Schwamm benutzenden Tiere zeigten zudem eine signifikante genetische Verwandtschaft. Die Forscher nehmen daher an, dass die Nutzung von Schwämmen von einer weiblichen Vorfahrin erst vor relativ kurzer Zeit erfunden worden ist. Es ist überdies das erste Beispiel für eine materielle Kultur bei Meeressäugern.
Weitere Beispiele
- Grabwespen der Gattung Ammophila nehmen gelegentlich Steinchen zwischen ihre Mandibeln, um nach dem Zugraben ihrer Eikammer den losen Sand über dem Eingang festzustampfen (laut Otto Koehler in Grzimeks Tierleben, Sonderband Verhaltensforschung).
- Otto Koehler berichtet gleichfalls, dass Schmutzgeier dafür bekannt sind, so lange Steine gegen Straußeneier zu schleudern, bis diese zerspringen; danach verzehren sie deren Inhalt.
- In Neukaledonien können Krähen Drähte verbiegen um damit Futter zu angeln.
- Heinz Sielmann berichtete im Journal für Ornithologie (Band 103, 1962, S. 92 ff.) über Beobachtungen an Spechtfinken der Galápagos-Inseln mit dem bezeichnenden Namen Cactospiza pallida, dass diese einen Kaktusstachel oder ein gerades Hölzchen benutzen und sogar selbst zurecht brechen, um damit Insekten aus Löchern im Holz zu stochern.
- Seeotter legen sich, auf dem Rücken treibend, Steine auf den Bauch und benutzen sie zum Knacken von Schalentieren.
- Orang-Utans benutzen Äste als Fliegenklatschen und knüpfen zum Beispiel im Frankfurter Zoo die Halterungen für ihre Schlafnester kunstvoll an Metallstangen fest.