Claudine

Proteinfamilie
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Claudine sind eine Gruppe von Proteinen, die der wichtigste Bestandteil der in Deckgeweben (Epithelien) vorkommenden Zellverbindungen, der so genannten Tight junctions sind. Epithelien bedecken die Körperoberflächen von vielzelligen tierischen Lebewesen und begrenzen auch das Lumen der Organe. Claudine verschließen in den Epithelien die Zwischenräume zwischen Zellen und ermöglichen eine Kontrolle des Flusses von Stoffen durch den Zellzwischenraum. Claudine bilden somit eine Art Versiegelung zwischen den Zellen (parazelluläre Barriere), die in Epithelien benötigt wird, damit Ionen und Moleküle die Organe nicht frei passieren können. Eine Aufrechterhaltung eines bestimmten Milieus (wie beispielsweise pH-Werte von 1-2 im Magen) wäre ohne diese parazellulären Barrieren nicht möglich.

Schematische Darstellung einer Epithelzelle im Zellverband. Die Größenverhältnisse sind verzerrt, die Junctions sind eigentlich im Verhältnis viel kleiner. Die Pfeile markieren den parazellulären Weg von Molekülen über das Epithel.


Aufbau

 
Aufbau eines typischen Claudins. Die intrazellulären Bereiche sind in rot, die extrazellulären in Blau und die Transmembranbereiche in grün dargestellt. Jeder Punkt symbolisiert eine Aminosäure.

Claudine sind kleine Transmembranproteine, die in vielen Organismen vorkommen und vom Fadenwurm Caenorhabditis elegans bis hin zum Menschen in ihrer Struktur sehr ähnlich (konserviert) sind. Sie haben eine Größe von 20-27 Kilodalton (kDa). Auf Sequenzebene ist die Konservierung jedoch nicht sehr hoch. Es handelt sich um Transmembranproteine, die die Zellmembran vier Mal durchspannen (Tetraspanin). Der N-Terminus und der C-Terminus liegen dabei jeweils im Cytoplasma. Ein Claudin hat zwei extrazelluläre (außerhalb der Zelle gelegene) Bereiche, die als die kleinere und größere extrazelluläre Schleife bezeichnet werden. Die erste extrazelluläre Schleife besteht durchschnittlich aus 53 Aminosäuren, die zweite ist etwas kleiner und hat im Mittel 24 Aminosäuren. Der N-Terminus ist in der Regel nur sehr kurz (4-10 Aminosäuren), der C-Terminus ist in seiner Länge variabler (zwischen 21 und 63 Aminosäuren). In der ersten extrazellulären Schleife befindet sich ein Motiv, das in allen Claudinen vorkommt und aus den Aminosäuren W-GLW-C-C besteht.

Bisher wurden 24 verschiedene humane Claudine identifiziert und mit „Claudin 1“ bis „Claudin 24“ bezeichnet.

Expression

Die Genaktivität der verschiedenen Claudine in den verschiedene Geweben wurde bei Mäusen und teilweise auch beim Menschen untersucht. Jedes der 24 bekannten Claudine hat ein spezifisches Expressionsmuster. Verschiedene Untersuchungen an ektopisch exprimierten Claudinen in Zellkulturen führten zu der Annahme, dass jedes Claudin andere Eigenschaften in Bezug auf die Ladungsselektivität und vermutlich auch auf die Größenselektivität der Barriere hat. Die Kombination der verschiedenen Claudine, die in einem Epithel exprimiert werden, bestimmt die Eigenschaften der Barriere, die durch die Tight junction-Stränge aufgebaut wird [1]. Dabei gibt es Claudine, die ubiquitär, also fast in allen epithelialen Geweben, aktiv sind, wie beispielsweise Claudin 1, und andere, die sehr spezifisch expimiert werden, entweder räumlich, wie Claudin 16, das ausschließlich im ansteigenden Teil der Henleschen Schleife zu finden ist, oder zeitlich wie Claudin 6, das bei Mäusen nur während der Embryogenese exprimiert wird.

parazelluläre Barriere

Wie die Claudine miteinander interagieren und wie die Struktur der Tight junctions auf molekularer Ebene aufgebaut ist, ist noch nicht bekannt. In Zellkulturexperimenten konnte gezeigt werden, dass Claudine sowohl homophile als auch heterophile Bindungen eingehen können. Ein Modell schlägt vor, dass Claudine wässrige Poren (aqueous pores) bilden, die je nach Art der Claudine bestimmte Ionen und Moleküle bis zu einer bestimmten Größe durchlassen (Ladungsselektivität und Größenselektivität).

Claudin-Superfamilie

Die Familie der Claudine wird in die PMP22/EMP/MP20/Claudin-Superfamilie (pfam00822) eingeordnet [2]. Diese besteht insgesamt aus etwa 450 Proteinen aus verschieden Spezies, die alle eine ähnliche Struktur besitzen. Für einige dieser Proteine wurden jedoch völlig andere Funktionen als die der eigentlich Claudine beschrieben.

Assoziierte Krankheiten

Manche Krankheiten haben mit der Veränderung von Claudinen zu tun: Claudin 3 und 4 sind beispielsweise Rezeptoren für das Clostridium perfringens-Enterotoxin (CPE). Sie wurden zunächst nicht als Claudine beschrieben, sondern als Rvp.1 (rat ventral prostrate, später umbenannt in Claudin 3) und CPE-R (Clostridium perfringens Enterotoxin Receptor, später umbenannt in Claudin 4). Die Bindung von CPE an Claudin 3 oder 4 führt innerhalb von 10 bis 20 Minuten zu einer Lyse der Claudin 3/ Claudin 4 exprimierenden Zellen und dadurch zu einer Schädigung des Darmepithels, die sich in einem schweren Durchfall äußert.

Verschiedene Erkrankungen des Menschen sind auf Mutationen in Claudin-Genen zurückzuführen. So führen beispielsweise Mutationen in Claudin 16, das auch Paracellin heißt, zu einer vermehrten Kalziumausscheidung im Harn (Hyperkalzurie) und zu einem Abfall des Magnesiumgehalts im Blut (Hypomagnesiämie).

Claudin 14 ist in Vertebraten in Leber und Niere, im Pankreas und im Innenohr exprimiert. Bei Mäusen konnte gezeigt werden, dass die Expression im Innenohr erst nach der Geburt beginnt. In zwei in Pakistan lebenden Familien wurden Mutationen identifiziert, die eine Verschiebung des Offenen Leserahmens bzw. ein Stopcodon erzeugen. Diese Mutationen führen rezessiv zu Taubheit, während die Nieren- und Leberfunktionen normal zu sein scheinen. Auch die entsprechenden Mausmutanten haben keine Defekte in Nieren- und Leberfunktion. Der in der Mausmutante genauer analysierte Phänotyp zeigte, dass die Cochlearen Haarzellen degenerieren, wenn Claudin 14 in den TJ des Innenohrs fehlt, was zum Verlust der Hörfunktion führt. Die TJ-Stränge zwischen den OHC (Cochlear outer hair cells) und OC (organ of Corti) sind aber noch vorhanden und die Zellpolarität des Epithels ist nicht gestört. Die Degeneration der Haarzellen erfolgt vermutlich aufgrund von zu hohen Kalium-Konzentrationen während der frühen Entwicklung des Hörens.

Claudin 11, das zunächst als OSP (Oligodendrocyte-specific Protein) bezeichnet wurde, ist hauptsächlich im Myelin des Zentralen Nervensystems (ZNS) und im Hoden exprimiert. Die Mausmutante weist eine verzögerte Reizweiterleitung in den Nerven auf und die Hinterbeine sind geschwächt. Die Männchen sind steril, aber die Mutante überlebt. Elektronenmikroskopische Gefrierbruch-Aufnahmen zeigen, dass im ZNS-Myelin und in Sertoli-Zellen keine Tight junctions zu finden sind. Claudin 11 interagiert mit OAP (OSP/ Claudin 11- associated protein) und beta-1 Integrin in einem Komplex, der bei der Zelladhäsion und dem Integrin-Signaling eine Rolle spielt.

Claudin 19 ist im peripheren Nervensystem in den Schwann'schen Zellen exprimiert, wo es Tight junction-ähnliche Strukturen ausbildet. Mäusen, die im genomischen Bereich von Claudin 19 eine Deletion aufweisen, fehlen diese Strukturen, und sie haben eine gestörte Reizweiterleitung, wodurch der Bewegungsapparat beeinträchtigt wird.

Mäuse, denen Claudin 1 fehlt, sterben wenige Stunden nach der Geburt, weil sie austrocknen. Eine Mutation im humanen Claudin 1-Gen führt zu schweren Hautveränderungen. Mäuse, denen Claudin 5 fehlt, haben einen speziellen Phänotyp: ihre Blut-Hirn-Schranke wird für kleinere Moleküle durchlässig. Die Überexpression von Claudin 6 führt zu einer Fehlfunktion der Epidermis.

Bei diesen Beispielen wird deutlich, dass die Claudine entscheidende Funktionen zur Bildung einer funktionierenden parazellulären Barriere in verschiedenen Epithelien ausüben, und dabei in verschiedene Gruppen eingeteilt werden können: "housekeeping"-Claudine, die weitgehend ubiquitär exprimiert sind und Grundfunktionen für die Bildung der Tight junction-Bänder übernehmen, und spezialisierte Claudine, die nur in bestimmten Geweben exprimiert werden oder nicht in allen Geweben, in denen sie vorkommen, eine essentielle Funktion ausüben.

Geschichte

Seitdem die Tight junctions beschrieben und ihre Funktion für die Zellen erkannt wurde, wurde nach Faktoren oder strukturellen Bestandteilen der Tight junctions gesucht, die für die Versiegelung der Zellzwischenräume benötigt wurden. Zu Beginn der 1990er Jahre gelang es der japanischen Forschungsgruppe um Mikio Furuse und Shoichiro Tsukita an der Universität von Kyoto, das Transmembranprotein Occludin als als erstes integrales Membranprotein der Tight junction zu identifizieren. Es stellte sich jedoch heraus, dass Occludin nicht für die Bildung und Aufrechterhaltung der parazellulären Barriere verantwortlich ist, da Zellen, denen Occludin fehlt, trotzdem noch Tight junction-Stänge ausbilden können. Dieselbe Gruppe entdeckte einige Jahre später die ersten beiden tatsächlich für die Ausbildung der Tight junctions zuständigen Proteine und gab ihnen 1998 den Namen „Claudin“, von lateinisch claudere für „schließen" [3]. Einige Claudin-Proteine wurden vorher bereits in anderen Zusammenhängen beschrieben, ihre Funktion als versiegelnde Komponenten der Tight junctions wurde jedoch zunächst nicht erkannt. Bei der Einordnung in die Gruppe der Claudine wurden sie entsprechend umbenannt.

Durch gezielte Suche im Genom von Mensch und Maus wurden bisher insgesamt 24 Proteine gefunden, die aufgrund ihrer Sequenz, Struktur und Expression in die Gruppe der Claudine geordnet werden konnten.

Auch in anderen Tierarten wurden Claudine entdeckt, so zum Beispiel in allen daraufhin untersuchten Säugetieren, in verschiedenen Fischarten (Fugu rubripes, Danio rerio), in Amphibien (Xenopus laevis und Xenopus tropicalis) und 2003 unerwarteterweise sogar in dem Fadenwurm Caenorhabditis elegans und der Fruchtfliege Drosophila melanogaster. Unerwartet war diese Entdeckung deshalb, weil sowohl C. elegans als auch Drosophila gar keine Tight junctions, sondern analoge Strukturen, die Septate junctions, in den Zellen der Epithelien besitzen.

Seitdem wurden über 500 Studien veröffentlicht, die sich mit Claudinen, ihrer Expression, Funktion und Regulation befassen. Da sie die Kernkomponenten der Tight junctions sind wäre ihre Manipulierbarkeit ein großer Fortschritt beispielsweise bei der Überwindung der Blut-Hirn-Schranke, die zur Zeit eine medikamentöse Behandlung von Hirntumoren fast umöglich macht.

Literatur

  1. Van Itallie CM, Anderson JM.: Claudins and Epithelial Paracellular Transport. Annual Review of Physiology. 2006 Mar 17;68:403-429.

Quellen

  1. M. Furuse, S. Tsukita: Claudins in occluding junctions of humans and flies. Trends Cell Biol. 2006 Mar 11; [Epub ahead of print]
  2. http://www.sanger.ac.uk//cgi-bin/Pfam/getacc?PF00822
  3. M. Furuse, K. Fujita, T. Hiiragi, K. Fujimoto, S. Tsukita: Claudin-1 and -2: novel integral membrane proteins localizing at tight junctions with no sequence similarity to occludin. J Cell Biol. 1998 Jun 29;141(7):1539-50