Natürliche Theologie
Mit Natürliche Theologie (auch: theologia naturalis oder philosophische bzw. rationale Theologie), wird die Lehre von Gott bezeichnet, die aus natürlichen Quellen schöpft. Mit 'natürlichen Quellen' sind hier insbesondere die menschliche Vernunft und die Betrachtung der Schöpfung, also der mit den Sinnen wahrnehmbaren Welt gemeint. Obwohl von Gott geredet wird, handelt es sich bei der natürlichen Theorie dem Anspruch nach nicht um Glauben und Religion, sondern um die denkerische Durchdringung des Weltzusammenhangs mit wissenschaftlich verantworteter und nachvollziehbarer Methodik. Die natürliche Theologie als Methode wurde insbesondere in Judentum, Christentum und Islam angewendet.
Die Natürliche Theologie wird zur Offenbarungstheologie abgegrenzt, die sich auf die übernatürliche Selbstoffenbarung Gottes bezieht. Ihre Wurzeln reichen zurück bis zu Platon (Idee der Ideen bzw. Idee des Guten); vertieft wurde sie dann vor allem in der Scholastik und wirkt bis heute weiter, insbesondere in der Neuscholastik.
Voraussetzungen der Natürlichen Theologie
Die Natürliche Theologie setzt die grundsätzliche Möglichkeit objektiver Erkenntnis voraus sowie die durchgängige Gültigkeit des metaphysischen Kausalprinzips bzw. des Satzes vom zureichenden Grund.
Dagegen richtet sich neben dem Empirismus z.B. der Fideismus, nach dem Aussagen über Gott ausschließlich durch den Glauben, Offenbarung und mit Hilfe der besonderen Gnade Gottes möglich seien. Diese Kritik ist konsequent, wenn man den demütigen Glauben grundsätzlich über das selbstherrliche Wissen stellt. Eine Befreiung geschah im Zeitalter der Aufklärung u.a. durch Kant, der die geschuldete Demut zur selbst verschuldeten Unmündigkeit werden ließ.
Reichweite der Natürlichen Theologie
Während es philosophisch unmöglich ist, dass der Mensch mit seiner begrenzten Vernunft, das Wesen Gottes (seine 'substantia', seine Eigenschaften) vollständig erfasst, argumentiert die Natürliche Theologie, dass es sehr wohl möglich sei, auf Gottes Sein zu schließen. Es sei also zwar nicht möglich, zu wissen, was Gott ist, man könne aber wissen, dass Gott ist. Dass Gott existiert, ließe sich anhand von Gottesbeweisen beweisen, insbesondere mit dem Kontingenzbeweis.
Die folgende Argumentation stützt sich insbesondere auf Thomas von Aquin, einem Hauptvertreter der Natürlichen Theologie. Man kann Thomas' fünf Wege den vier aristotelischen Ursachen zuweisen oder sie nach Ordnungs-, Wirkungs- und Seinszusammenhängen gliedern. Letztlich gehen aber alle Gottesbeweise auf den Kontingenzbeweis zurück. Die verschiedenen Wege beleuchten die Kontingenz jeweils nur aus einem anderen Blickwinkel, einem anderen Seinsmodus des Kontingenten. Der Beweis aus der Bewegung beginnt bei der Möglichkeit, bewegt oder allgemeiner gesprochen verändert zu werden; der Beweis aus der Wirkursache setzt beim Gewirktsein an; der Stufenbeweis betrachtet die Tatsache, dass einigem mehr Wahrheit, Gutheit und Einheit zukommt als anderem, und der teleologische Beweis schließlich betont die Hinordnung und das Gelenktwerden des Seienden auf ein Ziel (griechisch telos).
Kontingenzbeweis des Seins Gottes
Allem zugrunde liegt der Kontingenzbeweis. Die Kontingenz ist die Indifferenz dem Sein gegenüber, also die Möglichkeit zu sein oder genausogut nicht zu sein. Befürworter der Natürlichen Theologie betrachten mit dem kontingenten Sein und dem Kausalprinzip den Gottesbeweis schon als gegeben. Er bestehe sozusagen im zu Ende gedachten metaphysischen Kausalprinzip. Ausformuliert lautet die Kurzform dieses Beweises: Das Kontingente setzt das Absolute voraus. Anders ausgedrückt: Wenn und weil das Bedingte ist, muss das Unbedingte sein. Es kann nicht nur kontingent Seiendes geben. Da das Seiende nur Sein-Habendes ist, verweist es notwendig auf anderes. Dies ist entweder selbst wieder nur Seiendes oder das absolute Sein selbst. Ein unendlicher Regress von Seiendem zu Seiendem ist unmöglich, da diese jeweils nur potentiell, aber eben nicht notwendig sind. Gebe es das reine, subsistierende Sein, das "ens a se" nicht, gebe es gar nichts. Weil Gott das "ens a se", das heißt das Sein aus sich, ist, spricht man auch von seiner Aseität.
Wenn es verursachtes, gewirktes Sein gibt, muss es das unverursachte Sein geben, die "prima causa" also die erste Ursache, ohne die auch keine folgenden und damit auch nicht die jetzigen Ursachen und Wirkungen wären. Teleologisch betrachtet sei aus der Ordnung der Natur auf einen weisen Ordner und Lenker zu schließen. Auf die Bewegung bezogen müsse es den unbewegten Beweger, auf Wahrheit, Gutheit, Einheit bezogen die Wahrheit, Güte und Einheit geben. Da die Nominaldefinition dem Menschen bei der Wahl der Begriffe eine gewisse Freiheit lässt, gibt es eine Reihe von Namen für das Absolute. Zum bekanntesten Namen heißt es bei Thomas von Aquin: "quam omnes Deum nominant" (Summe der Theologie I, q. 2, 3) also, dass dies(er) von allen Gott genannt wird.
Vom "Wesen" Gottes
Ursprünglich ist es Ziel der Gottesbeweise zu zeigen, dass Gott ist (existiert). Auf der Basis der fünf thomistischen Beweise, meinen Befürworter zeigen zu können, dass von Gott folgendes gesagt werden kann: Er sei unbewegter Beweger (primus motor), erste Wirkursache (causa prima), notwendiges, absolutes Sein (necesse esse), höchstes, wahrstes Sein (maximum ens), mit Vernunft und Willen. Dass Gott existiert, sagt aber noch nichts darüber aus, was Gott ist. Um eine bestimmte Vorstellung von Gott zu beweisen (z.B. die Vorstellung von einem persönlichen Gott), bedarf es weiterer Argumente und Annahmen, die z.B. Thomas von Aquin in "Summe der Theologie" (Summa theologica) oder "Summe gegen die Heiden" (Summa contra gentiles) ausführt. Die Gotteslehre wird dabei im Anschluss an die Gottesbeweise überwiegend im analytisch-deduktiven Verfahren entwickelt. Besonderer Wert wird zudem auf das Herausheben, die Analogie und den 'Weg der Verneinung' (via remotionis) gelegt: Je mehr "Negationen" feststünden, desto mehr verliere die menschliche Erkenntnis an Dunkelheit (vgl. Negative Theologie). Dass dem Menschen jedoch immer sehr viel mehr von Gott verborgen bleiben muss, als sich ihm erschließen kann, zeige sich u.a. daran, dass die natürliche Theologie einer Vielzahl von Beweisen und Begriffen bedarf, obwohl Gott wesensmäßig in absoluter Weise Einheit sei.
Vertreter der natürlichen Theologie beschreiben deren Argumentation zum Wesen Gottes wie folgt:
- Aus der Unbeweglichkeit und Unveränderlichkeit wird Gottes Ewigkeit gefolgert. Weil Gott demnach erste Ursache und notwendig ist, was alles Nichtseinkönnen ausschließt, ist er frei von jeglicher Potenz, also reiner Akt (actus purus). Damit ist er frei von jeder Zusammensetzung, ohne Materie und auch nicht von seiner Wesenheit zu unterscheiden. Da Gottes Wesen mit seinem Sein zusammenfällt, er das erste Sein, die oberste Ursache und reiner Akt ist, bleibt ihm jeder Mangel fern, ist er also vollkommen. Von der Vollkommenheit wird dann auch die All-Güte, die Einheit, die Allmacht und die Allwissenheit sowie die Tatsache, dass Gott schlechthin unendlich ist, geschlossen. Das Erkennen und Lenken aller Dinge setzt einen Willen voraus, und da dieser in absoluter und vollkommener Weise wirkt, folgt ebenfalls Gottes unendliche Liebe. Die vollkommene, intelligente Ursache allen Lebens und aller Personen ist nicht nur das Leben selbst, sondern auch Person. In seiner höchsten Vollendung ist Gott zudem nicht nur glücklich, sondern das Glück selbst, wie Thomas es als die Krönung der natürlichen Theologie ansieht.
weitere Vertreter der Natürlichen Theologie
Eine spezielle Variante natürlicher Theologie ist der "Geschöpflichkeitsbeweis" bei Peter Knauer SJ: Nach Knauer ist Gott in sich unbegreiflich. Der Mensch könne jedoch indirekt zur Erkenntnis Gottes gelangen, indem er die auf ihn verweisende Welt (Schöpfung) erkennt. Die Beziehung der direkt wahrnehmbaren Welt zu Gott beschreibt Knauer so: Gott sei kein Teil des Universums (was eine pantheistische Vorstellung wäre), sondern die ganze Wirklichkeit und alles in ihr könne ohne ihn nicht sein, sei also seine Schöpfung. Die Schöpfung sei in ihrer "Geschöpflichkeit" restlos auf ihren "Schöpfer" bezogen. Diese Beziehung ist nach Knauer zunächst einseitig: Die Schöpfung ist notwendigerweise auf den Schöpfer bezogen, nicht aber umgekehrt der Schöpfer auf die Schöpfung. Die Verbindung von Schöpfer zur Schöpfung sieht Knauer in Übereinstimmung mit der christlichen Religion darin erklärt, dass Gott der Welt durch seine ewige und unbedingte Liebe zugewandt sei. Jesus Christus sei Mensch geworden, um den Menschen diese Liebe Gottes zu verkünden.
Anwendungsbeispiele der natürlichen Theologie
Als „Anwendungbeispiele“ der natürlichen Theologie kommen beispielsweise Fragen der Ethik in Betracht. Ethische Grundsätze beruhen auf dem Menschenbild. Dieses wiederum baut häufig auf dem Gottesbild auf. Weil jede Ethik auf Prämissen beruht, sollten diese möglichst gut reflektiert sein. Dies ist bei der natürlichen Theologie dem Anspruch nach der Fall, da sie bis zur 'causa prima' zurückgeht. Je nach Verständnis dieser Ursprünge ist die natürliche Theologie dazu verwendet worden, sowohl ethisch fragwürdige Theorien wie Rassenlehren (z.B. bei Paul Althaus) und Homophobie zu untermauern, als auch für die Würde eines jeden Menschen zu argumentieren.
Kritik an der Natürlichen Theologie
An der Natürlichen Theologie wurde und wird von mehreren Seiten Kritik geübt. Zu den bekanntesten Kritikern der Gottesbeweise zählt Immanuel Kant. Dieser hatte in seiner Kritik der reinen Vernunft (A 620 ff.) versucht zu zeigen, dass aus der Mangelhaftigkeit des ontologischen Gottesbeweises die Unmöglichkeit sämtlicher Gottesbeweise folge. Verteidiger der Natürlichen Theologie verweisen hierzu u.a. auf Thomas von Aquin, der selbst ausdrücklich dem ontologischen Beweis kritisch gegenübersteht und seine fünf Wege (Beweise) zu Gott gerade nicht auf dessen Fundament aufbaut.
Literatur
- Walter Brugger: Philosophisches Wörterbuch, 21. Auflage, Freiburg 1992. ISBN 3-451-20410-X
- Walter Brugger: Summe einer philosophischen Gotteslehre, München 1979. ISBN 3-87056-022-3
- Cramer, Wolfgang: Gottesbeweise und ihre Kritik - Prüfung ihrer Beweiskraft, Frankfurt am Main 1967. ISBN 3-465-00070-6
- Bernhard Kälin: Lehrbuch der Philosophie. Band I: Logik, Ontologie, Kosmologie, Psychologie, Kriteriologie und Theodizee, Sarnen 1957
- Peter Knauer: Unseren Glauben verstehen, Würzburg 2001 (6. Auflage), 20-33.
- Alfons Lehmen: Lehrbuch der Philosophie auf aristotelisch-scholastischer Grundlage; Band III: Theodizee, fünfte, verbesserte Auflage, Freiburg im Breisgau 1923
- Hans Seidl (Hrsg. und Übersetzer): Die Gottesbeweise in der "Summe gegen die Heiden" und der "Summe der Theologie", zweite Auflage, Hamburg 1986. ISBN 3-7873-1192-0
- Thomas von Aquin: Summe der Theologie (Summa theologica), deutsch-lateinische Ausgabe, hrsg. vom kath. Akademikerverband, Salzburg 1934
- Thomas von Aquin: Summe gegen die Heiden (Summa contra gentiles) Lateinisch Deutsch, hrsg. und übersetzt von Karl Albert und Paulus Engelhardt unter Mitarbeit von Leo Dümpelmann, Sonderausgabe, Darmstadt 2001. ISBN 3-534-00378-0
- Josef de Vries: Denken und Sein, Ein Aufbau der Erkenntnistheorie, Freiburg 1937
- Béla Weissmahr: Philosophische Gotteslehre, Stuttgart u.a. 1994 (2.Auflage)
- Arthur Ernest Wilder-Smith: Wer denkt, muss glauben. 2. Auflage, Stuttgart 1983. ISBN 3-7751-0519-0
Weblinks
- Ausschnitt aus dem Katechismus der Katholischen Kirche. Es wird die Möglichkeit der natürlichen Gotteserkenntnis philosophisch und theologisch begründet
- Natural Theology Kurzer englischer Text, der die natürliche Gotteslehre in Vergangenheit und Gegenwart darstellt
- Natürliche Gotteserkenntnis Essay Peter Knauers zur Möglichkeit natürlicher Gotteserkenntnis
- Die Gottesbeweise bei Thomas von Aquin Die Arbeit erläutert die Gottesbeweise und verteidigt sie gegen (moderne) Kritik
Siehe auch
Theologie, Gottesbeweis, Apologetik, Agnostiker, Theodizee, Christliche Apologie, Kreationismus