Energiepolitik

Art von Politik
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Energiepolitik (von griechisch energeia = Tätigkeit, Wirkung, Kraft), im engeren Sinn die Staatstätigkeit, die auf verbindliche Regelungen des Systems der Aufbringung, Umwandlung, Verteilung und Verwendung von Energie zielt. Im weiteren Sinne die Gesamtheit der institutionellen Bedingungen, Kräfte und Bestrebungen, die darauf gerichtet sind, gesellschaftlich verbindliche Entscheidungen über die Struktur und Entwicklung der Bereitstellung, Verteilung und Verwendung von Energie zu treffen.

Einordnung

Die Energiepolitik ist eine sektorale Strukturpolitik und insbesondere ein Bestandteil der Wirtschaftspolitik mit Querverbindungen vor allem zur Umweltpolitik, zur Forschungs- und Entwicklungs- sowie zur Technologiepolitik. Wie in anderen westlichen Ländern wird auch die Energiepolitik in der Bundesrepublik Deutschland in großem Umfang durch staatliche Eingriffe direkt oder indirekt beeinflusst, doch basiert die Energiepolitik des Staates hierzulande - im Gegensatz zu Frankreich oder Italien, wo wichtige Energiesektoren verstaatlicht sind - auf regulativer Politik (mittels Geboten und Verboten), indirekter Steuerung (z.B. durch Anreize, Förderungsmaßnamen, Definition der Wettbewerbsregeln) und prozeduraler Steuerung. Zunehmend wird die E. zu einem Schlüsselthema auch für die Sicherheitspolitik.

Instrumente

Zu den Instrumenten der Energiepolitik der Bundesrepublik Deutschland zählte lange Zeit - die von der Leitlinie sozialer Marktwirtschaft weit abweichende - Politik des Wettbewerbsausschlusses als Marktordnungsinstrument, wie vor allem die Regelung der leitungsgebunden Energieversorgung (Strom und Gas) verdeutlichte: die zugrundeliegende Rechtsordnung, die bis zum Jahr 1998 im Wesentlichen auf dem Gesetz zur Förderung der Energiewirtschaft von 1935 basierte, ermöglichte den energieerzeugenden Unternehmen die Einrichtung von Versorgungsgebieten und schützte diese durch ein dichtgeknüpftes Netz wettbewerbsbeschränkender oder- ausschließender Verträge. Diese Situation hat sich mit der Liberalisierung der Energiemärkte ab 1998 grundlegend verändert. Seitdem ist lediglich der Betrieb der Übertragungs- und Verteilnetze in Gebietsmonopolen organisiert, während die Stromerzeugung und der Vertrieb an die Endkunden für Wettbewerb geöffnet wurde.

Gesetzgebung, Hoheitsträger

Die gesetzliche Regelung der Energiewirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland gehört zur konkurrierenden Gesetzgebung. In erster Linie zuständig ist der Bund und innerhalb der Bundesregierung vor allem das Bundesministerium für Wirtschaft sowie in Angelegenheiten der Forschungs- und Technologieförderung das Bundesministerium für Bildung, Forschung- und Technologieförderung und in Fragen der nuklearen Sicherheit, der Förderung erneuerbarer Energien und des Klimaschutzes das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit.

Energieträger und Energieverbrauch

Die überragende Bedeutung der Energie als Schwungkraft wirtschaftlicher Tätigkeit und der Lebensführung in einer komplexen Gesellschaft wird auch von den einschlägigen Statistiken des Energieverbrauchs dokumentiert. Nach pro Kopf-Energieverbrauch zählt die Bundesrepublik Deutschland aufgrund ihres hohen ökonomischen Entwicklungsstandes weltweit zu den größten Energieverbrauchern, die 1990 mit 5572 kg Steinkohleeinheiten (SKE) pro Kopf (kommerzieller Energieverbrauch) auf Platz 4 hinter den USA, der DDR und der UdSSR lag. Misst man den Primärenergiekonsum in Steinkohleeinheiten, so wurde in der Bundesrepublik Deutschland 1992 mit 481 Millionen Tonnen SKE mehr als doppelt soviel Energie wie 1960 verbraucht (1960 211 Mt SKE), davon 409 Millionen in den alten Bundesländern. Von diesem Verbrauch entfallen in Westdeutschland (in Klammern Daten für Ostdeutschland) auf Mineralöl 41,5% (29,2 %), Erdgas 18,0 % (11,8 %), Steinkohle 17,6 % (4,2 %), Kernenergie 12,4 % (1990 2,1 %), Braunkohle 8,2 % (55,7 %) und Wasserkraft und sonstige Energieträger 2,3 % (-0,4, negativer Wert durch Stromaußenhandel).

Konsens und Dissens

Über die globalen Ziele der Energiepolitik - Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit, angemessenes Preis-Leistungsverhältnis, Umwelt- und Sozialverträglichkeit und Zukunftsvorsorge - besteht weitgehend Konsens unter den etablierten Kräften in der Bundesrepublik Deutschland, der jedoch vor allem postmaterialistische Gruppierungen wie die Grünen nur bedingt einschließt. Heftig umstritten sind jedoch die Mittel zur Zielerreichung und die Wahl von Alternativen bei Zielkonflikten, wie z.B. der Konflikt von Wirtschaftlichkeit und Umwelt- und Sozialverträglichkeit. Davon zeugen vor allem der Streit um die Erzeugung und Nutzung von Kernkraft seit den 70er Jahren ("Atomkonflikt") und die Entscheidungsblockaden in der Angelegenheit eines über die Jahrtausendwende hinausreichenden tragfähigen Energiekonzepts.

Fragmentierung und Inkohärenz

Die Energiepolitik in der Bundesrepublik Deutschland und in zahlreichen anderen westlichen Ländern zeichnet sich unter dem prozessualen (Politics) und dem entscheidungsinhaltlichen Aspekt (Policy) durch hochgradige Fragmentierung, punktuelle Intervention, Addition uneinheitlicher und oftmals widersprüchlicher Einzelbestrebungen und "Durchwursteln" aus. Andererseits erwies sich das hiermit gegebene System schrittweise vorgenommener Politikanpassung und Politikveränderung (Fachausdruck: Inkrementalismus) bislang als ausreichend leistungsfähig, um Versorgungssicherheit zu gewährleisten und Trendwenden herbeizuführen, wie z.B. die Verminderung der Abhängigkeit vom Erdöl in Reaktion auf die Ölpreisschocks von 1973 und 1979. Überdies hat die neuere Forschung verdeutlicht, dass das Zusammenspiel von inkrementaler Politik, bundesstaatlicher Gliederung und politischen Neuerungen aufgrund von Regierungswechseln die Qualität der Energiepolitik in bestimmten Feldern, wie z.B. Kernkraftsicherheit, erheblich verbessert hat.

Eine neue Herausforderung für die Energiepolitik liegt in dem Ölfördermaximum, das - wegen der derzeitigen großen Abhängigkeit der Wirtschaft vom Erdöl - zu massiven Preissteigerungen und sogar Versorgungsengpässe führen kann.

Literatur

  • Monstadt, Jochen: Die Modernisierung der Stromversorgung. Regionale Energie- und Klimapolitik im Liberalisierungs- und Privatisierungsprozess. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften, 2004. - ISBN 3-53114-277-1
  • Reiche, Danyel (Hrsg.): Grundlagen der Energiepolitik. 2005. - ISBN 3-63152-858-2