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„Krimtataren“ – Versionsunterschied

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Die '''Krimtataren''' ({{crhS-Latn|''qırımtatar'', ''qırımtatarları''}}) sind eine ursprünglich auf der Halbinsel [[Krim]] lebende [[Turksprachen|turksprachige]] [[Ethnie]]. Ihre Sprache, das [[Krimtatarische Sprache|Krimtatarische]], gehört zur Gruppe der [[Kiptschakische Sprachen|nordwestlichen Turksprachen]].
[[Bild:Kok Bayraq.svg|thumb|right|Flagge der Krimtataren]]

Die '''Krimtataren''' (Eigenbezeichnung: ''Qırımtatar'', Pl. ''Qırımtatarları'') sind ein [[Turkvölker|Turkvolk]] und sprechen [[Krimtatarische Sprache|Krimtatarisch]], eine [[Südtürkische Sprachen|Südtürkische Sprache]]. Die Bezeichnung ''Kırımtürkleri'' (Krimtürken) ist weitverbreitet.
Krimtataren unterscheiden sich deutlich von den [[Wolga-Ural-Tataren]] und werden deshalb – vornehmlich von den [[Türken]] aus der Türkei ''(Türkeitürken)'' – als '''Krimtürken''' bezeichnet. Dies trägt der Tatsache Rechnung, dass sich ihre [[Geschriebene Sprache|Schriftsprache]] von einer [[Krimtatarische Sprache#Geschichte, Dialekte und Alphabete|regionalen Variante]] des [[Osmanische Sprache|Osmanischen]] ableitet und daher dem [[Türkische Sprache|Türkischen]] sehr nahesteht.<ref name="Schulze">{{Lexikon der Sprachen des europäischen Ostens |Titel=Krimtatarisch |Autor=Wolfgang Schulze |Seiten=799–804 |KBytes=192}}</ref>
[[Datei:Крымские татары. Мулла.jpg|mini|hochkant|Krimtataren in traditioneller Tracht, 1880]]

== Geschichte ==
== Geschichte ==
=== Abstammung ===
Zur Herkunft gibt es verschiedene Theorien. Einer Theorie nach sind die Krimtataren Nachkommen vieler Bevölkerungen, die auf der [[Krim]] lebten oder sie eroberten ([[Mongolen]], [[Chasaren]], [[Griechen]], [[Iranische Völker|Iraner]], [[Hunnen]], [[Protobulgaren|Bulgaren]], [[Petschenegen]], [[Kumanen]],<ref>{{Literatur |Autor=John E. Woods, Judith Pfeiffer, Ernest Tucker |Titel=Archivum Eurasiae Medii Aevi |Verlag=Otto Harrassowitz |Datum=2005-01-01 |Online={{Google Buch|BuchID=YSBpAAAAMAAJ&dq=descendants+of+cumans+crimean+tatars&focus=searchwithinvolume&q=vanisshed+cumans}}}}</ref> [[Krimgoten]] und später [[Krimarmenier]], [[Republik Venedig|Venezianer]] und [[Republik Genua|Genueser]]). Ihre Wurzeln werden also durch verschiedene [[Ethnie]]n gebildet. So werden hauptsächlich [[Kiptschaken]] und [[Tataren]] (Zentralkrim), [[Nogaier]]-Tataren (nördliches Steppengebiet) und [[Osmanen|osmanische]] [[Türken]] (südlicher Küstenstreifen) zu ihren Vorfahren gezählt. Letztere [[Assimilation (Soziologie)|assimilierten]] zahlreiche Venezianer und Genueser; ihre Sprache, eine regionale Variante des [[Osmanische Sprache|Osmanischen]], war zwischen dem 15. und 19. Jahrhundert die [[Verkehrssprache|lingua franca]] der Krim und beeinflusste die [[Tatarische Sprache|tatarischen]] und [[Nogaische Sprache|nogaischen]] [[Umgangssprache]]n.<ref name="Schulze" />


{{Quellen}}
Einer anderen Theorie nach sind die Krimtataren Nachkommen der Kiptschaken, die im Zuge der [[Mongolisches Reich|mongolischen Eroberungen]] auf der Krim ansässig wurden und später nach dem Zerfall der [[Goldene Horde|Goldenen Horde]] ein eigenständiges Khanat gründeten.

=== Krim-Khanat ===
[[Datei:Крым 0132 copy.jpg|mini|[[Khanpalast von Bachtschyssaraj]]]]
{{Hauptartikel|Khanat der Krim}}
Die seit dem 13.&nbsp;Jahrhundert [[Sunniten|sunnitischen]] Krimtataren trugen wesentlich zur Verbreitung des [[Islam in der Ukraine]] bei.
Die seit dem 13.&nbsp;Jahrhundert [[Sunniten|sunnitischen]] Krimtataren trugen wesentlich zur Verbreitung des [[Islam in der Ukraine]] bei.


Im 15. Jahrhundert geriet die mongolische [[Goldene Horde]] in innere Unruhen, durch die es zu mehreren Abspaltungen kam. [[Hacı I. Giray]] aus einem Adelsgeschlecht der [[Dschingisiden]] gründete etwa 1444 mit Unterstützung des [[Königreich Polen|Königreichs Polen]], des [[Großfürstentum Litauen|Großfürstentums Litauen]] und des [[Großfürstentum Moskau|Großfürstentums Moskau]] ein eigenes [[Khanat]] mit der Krim als Zentrum – nachdem er zuvor erfolglos versucht hatte, die Macht in der Goldenen Horde an sich zu reißen. Das zunächst – bis 1478 – instabile Khanat beherrschte bis 1792 große Teile der modernen Ukraine und Südrusslands; unter anderem ab 1556 die Gebiete der [[Nogaier]] im nordkaukasischen [[Kuban]]. Hauptstadt wurde das um 1450 gegründete [[Bachtschyssaraj]], von wo aus die meiste Zeit über ein [[Giray (Dynastie)|Giray]]-(كرايلر)-Khan herrschte. Neben den Giray und den Nogaiern waren die Şirin, Barın, Arğın, Qıpçaq und später Mansuroğlu und Sicavut stets sehr einflussreich. Das Khanat der Krim war damit weniger mongolisch als die Goldene Horde und es war sogar maßgeblich an deren Untergang 1502 beteiligt. Bis zur [[Schlacht bei Molodi]] (1571) war es einer der bedeutendsten Staaten Osteuropas. Auch danach und bis ins 18. Jahrhundert war es ein Machtfaktor in der Region: Es ging Bündnisse mit anderen Nachfolgestaaten der Goldenen Horde, insbesondere mit den Khanaten von [[Khanat Kasan|Kasan]] und [[Khanat Astrachan|Astrachan]], ein. 1648 verhalf es dem [[Hetmanat]] der Ukraine zur Loslösung von [[Polen-Litauen]], indem es eine Allianz mit den [[Saporoger Kosaken]] des [[Bohdan Chmelnyzkyj]] einging. Während des [[Zweiter Nordischer Krieg|Zweiten Nordischen Krieges]] (1655–1660) verbündete es sich mit Polen und half, die Aufteilung durch Russen, Schweden, Siebenbürger und Brandenburger abzuwehren. Im Rahmen dieses Bündnisses drangen 1656 Krimtataren in das [[Herzogtum Preußen]] ein um zahlreiche Städte und Dörfer zu zerstören. Dieser Feldzug ist in der Geschichte Preußens als [[Tatarensturm]] bekannt.
=== Abstammung ===


Das Khanat der Krim betrieb regen Handel mit dem Osmanischen Reich, dessen Schutzherrschaft es unter Beibehaltung hoher Autonomie von 1478 bis 1774 genoss. Von 1758 bis 1787 stellten die mankitischen Nogaier den Khan. Im [[Friede von Küçük Kaynarca|Frieden von Küçük Kaynarca]] (1774) mussten die Osmanen die Unabhängigkeit der Krim anerkennen. Ab 1783 war das Khanat unter zunächst mittelbarer und ab dem Vertrag von [[Iași]] (1792) unter unmittelbarer russischer Herrschaft.
Nach einer Theorie sind sie Nachkommen vieler Bevölkerungen, die auf der [[Krim]] lebten oder sie eroberten ([[Mongolen]], [[Griechen]], [[Iraner]], [[Hunnen]], [[Bulgaren]], [[Kumanen]], [[Krimgoten]]) und später [[Venezianer]] und [[Genuesen]]. Hauptsächlich zählen [[Kyptschaken]] (Zentral-Krim), [[Nogaier-Tataren]] (nördliches Steppengebiet) und [[Türken|Krim-Osmanen]] (die sich mit den Venezianern und Genuanern vermischt haben) (südlicher Küstenstreifen) zu ihren unmittelbaren Vorfahren.


=== Sklaverei und das Khanat der Krim ===
Nach einer weiteren Theorie sind die Nachkommen der [[Kiptschaken]], die im Zuge der mongolischen Eroberungen auf der Krim ansässig wurden und dann später nach dem Zerfall der [[Goldene Horde|Goldenen Horde]] ein eigenständiges Khanat gegründet haben.
Die Krim war schon vor Bildung des Krimkhanats ein wichtiger Ausgangspunkt des [[Sklaverei|Sklavenhandels]]. Aufbauend auf der nomadischen Lebensweise der Krimtataren machten diese Aktivitäten zeitweise den Hauptteil der krimtatarischen Wirtschaft aus. Die Raubzüge in die meist slawischen Nachbargebiete begannen im Jahr 1468 und endeten erst im ausgehenden 17. Jahrhundert.


Ihre reiche Beute an Menschen machten die Krimtataren mit Raubzügen in die Ukraine, nach Südrussland und 1656 bis nach [[Masuren]]. An diesen im Tatarischen „Ernte der Steppe“ genannten Raubzügen mussten sich die meisten Männer ab einem gewissen Alter beteiligen. Die Sklaven wurden anschließend auf die Krim gebracht, von meist christlichen Händlern (Griechen, Armeniern) in [[Feodossija|Kefe]] gekauft<ref>Яворницький Д. І. Історія запорозьких козаків. У 3-х т. ‒ Т. 1. АН Української РСР. Археографічна комісія, Інститут історії. ‒ К.: Наукова думка, 1990. — С. 331—342</ref> und von dort in das Osmanische Reich oder den [[Naher Osten|Nahen Osten]] weiterverkauft. Zur bekanntesten Figur unter diesen Sklaven wurde [[Roxelane]], die spätere Frau Süleymans des Prächtigen. Die genaue Zahl der Sklaven ist schwer zu ermitteln.<ref name="matsuki">Eizo Matsuki: {{Webarchiv|url=http://www2.econ.hit-u.ac.jp/~areastd/mediterranean/mw/pdf/18/10.pdf |wayback=20130605131551 |text=''The Crimean Tatars and their Russian-Captive Slaves''}} (PDF; 364&nbsp;kB). ''Mediterranean Studies Group at Hitotsubashi University.''</ref>
=== Krim-Khanat ===
''siehe Hauptartikel:'' [[Khanat der Krim]]


Große Gewinne erzielten die Krimtataren auch mit Lösegeldern aus den betroffenen Ländern bzw. aufgrund von Tributzahlungen solcher Länder mit dem Zweck, Raubzüge zu verhindern.<ref>Alan W. Fisher: ''The Crimean Tatars.'' Hoover Press, 1978, {{Google Buch|BuchID=Qjwid7xcOPIC&pg=PA26&dq=crimean+tatars+slavery&hl=en&sa=X&ei=3_w7U8nUBcWJtQbv4YCIAg&ved=0CDAQ6AEwAA#v=onepage&q=slavery&f=false|Linktext=S. 26.}}.</ref>
Nach dem Zerfall der [[Goldene Horde|Goldenen Horde]] gründeten Krimtataren um 1430 ein [[Khanat]], das die Krim, die südlichen Gebiete der modernen Ukraine und die Gebiete der Nogaier im nordkaukasischen [[Kuban]] umfasste. Hauptstadt wurde das um 1450 gegründete [[Bachtschyssaraj]] auf der Krim, aber schon 1475 musste das Khanat die [[Osmanisches Reich|osmanische]], 1774 die russische Oberhoheit anerkennen.


[[Datei:Józef Brandt - Potyczka Kozaków z Tatarami.jpg|mini|hochkant=1.3|[[Józef Brandt]]s „Kampf zwischen Tataren und Kosaken“]]
=== Sklavenhandel ===
Die Raubzüge der Krimtataren lasteten lange Zeit als ein schweres Problem auf den christlichen Nachbarn des Khanats, sowohl auf dem [[Zarentum Russland|Russischen Zarenreich]] als auch auf [[Polen-Litauen]], zu dem damals die Ukraine und Weißrussland gehörten. Auch das [[Fürstentum Moldau]] war von den Raubzügen der Krimtataren betroffen. Ganze Landstriche wurden entvölkert und geplündert, was diese Staaten erheblich schwächte. Im 16. Jahrhundert musste [[Russland]] jedes Jahr bis zu 80.000 Mann rekrutieren, die an den südlichen Befestigungen ([[Russische Verhaulinie]]) gegen die blitzschnellen und durch die Tausende Kilometer lange Steppengrenze kaum berechenbaren Einfälle der Steppenreiter Dienst taten. Für den Abwehrkampf gegen die Krimtataren musste ein Drittel des Staatshaushalts aufgebracht werden.


Die Einfälle der Krimtataren waren ein häufiger Grund für Kriege und trugen außerdem zur Herausbildung der ukrainischen [[Kosaken]] als unabhängige, demokratisch organisierte Reiterkrieger.
Im späten Mittelalter waren die Krimtataren für ihren regen [[Sklaverei|Sklavenhandel]] bekannt, der einen wesentlichen Teil ihrer Wirtschaft ausmachte. Die reiche Beute an Menschen machten sie während ihrer häufigen Raubzüge in die Ukraine und Südrussland. An diesen im Tatarischen "Ernte der Steppe" genannten Raubzügen mussten sich die meisten männlichen Krimtataren beteiligen, die ein gewisses Alter erreichten. Die Sklaven wurden anschließend auf die Krim gebracht, wo sie vor allem von [[Feodossija|Kefe]] aus in das Osmanische Reich oder den [[Naher Osten|Nahen Osten]] verkauft wurden. Zur bekanntesten von ihnen wurde die spätere Frau des osmanischen Sultans [[Roxelane]]. Der Historiker Andrew G. Bostom schätzt, dass vom 15. Jahrhundert bis zum frühen 18. Jahrhundert bis zu 3 Millionen Männer, Frauen und Kinder auf diese Weise aus den Grenzgebieten verschleppt und in die Sklaverei verkauft wurden. [http://www.frontpagemag.com/Articles/ReadArticle.asp?ID=17747]


=== Annexion des Krim-Khanats und russische Herrschaft ===
Alan Fisher schreibt in seinem Buch ''Muscovy and the Black Sea Slave Trade'', Canadian American Slavic Studies, 1972, Vol. 6, pp. 575-594.
Nachdem Russland 1771 die Krim erobert hatte, ersetzte es das osmanische Protektorat durch ein eigenes und garantierte die Existenz des Khanats als „freies, von niemand abhängiges Gebiet“. Nach dem [[Russisch-Türkischer Krieg (1768–1774)|russischen Sieg 1774]] über die Osmanen folgte mit dem [[Friede von Küçük Kaynarca]] eine neunjährige Zeit einer relativen Unabhängigkeit der Krimtataren. Mit dem Rückzug der Osmanen erfolgten in der krimtatarischen Oberschicht Debatten über eine neue Ausrichtung ihrer Außenpolitik. Es kam mehrfach zu Rebellionen der ausgesprochen antirussisch gesinnten tatarischen Bevölkerung gegen den erstarkenden russischen Einfluss. [[Katharina II.|Katharina die Große]] duldete [[Şahin Giray]] als Khan auf dem Thron, der jedoch mit seiner prorussischen Annäherung und Reformpolitik in der Bevölkerung keine Sympathien gewann. Mehrfach intervenierte das [[Russisches Kaiserreich|Russische Kaiserreich]] militärisch, um dessen Gegner auszuschalten und Sahin wieder einzusetzen. Es kam zu größeren Zerstörungen. Mit der Umsiedlung der auf der Krim lebenden Griechen und Armenier auf russisches Territorium<ref>[[Günther Stökl]]: ''Russische Geschichte. Von den Anfängen bis zur Gegenwart'' (=&nbsp;''[[Kröners Taschenausgabe]].'' Band 244). 4., erweiterte Auflage. Kröner, Stuttgart 1983, ISBN 3-520-24404-7, S. 421.</ref> brach eine wichtige Handelsstütze in der krimtatarischen Gesellschaft zusammen.


Letzten Endes erfolgte die Annexion durch Russland auf Anraten und unter Kommando [[Grigori Alexandrowitsch Potjomkin]]s im Jahre 1783. Der Khan wurde durch einen russischen Gouverneur ersetzt ([[Gouvernement Taurien]]), der krimtatarische Adel ''(mirza)'' in die Verwaltungsstruktur des Khanats integriert.<ref>Alan W. Fisher: ''The Crimean Tatars.'' Hoover Press, 1978, S. 79–90 {{Google Buch|BuchID=Qjwid7xcOPIC&pg=PA26&dq=crimean+tatars+slavery&hl=en&sa=X&ei=3_w7U8nUBcWJtQbv4YCIAg&ved=0CDAQ6AEwAA#v=onepage&q=slavery&f=false}}</ref> Sein Landbesitz und seine Privilegien wurden garantiert. Auch die tatarischen Bauern behielten ihr Land. Aufgrund dieser Politik blieben große Erhebungen gegen die russische Herrschaft aus. Mit der geförderten Ansiedlung von russischen und ausländischen Siedlern auf der Krim, der damit verbundenen Enteignung, der Verdrängung des Adels aus der Administration und den Städten wurden Krimtataren in größeren Auswanderungswellen (größere in den 1790er und 1850er Jahren) in die Emigration getrieben. Sie siedelten sich in Teilen des heutigen [[Rumänien]]s und [[Bulgarien]]s an, die damals zum Osmanischen Reich gehörten. Viele Badehäuser, Moscheen, Springbrunnen und Zeugnisse der Antike wurden zerstört. Nach der Mitte des 19. Jahrhunderts waren die Krimtataren zu einer Minderheit auf der Krim geworden. Alle wichtigen Verwaltungsaufgaben wurden von Russen übernommen, die demographisch und wirtschaftlich geschwächte Bevölkerungsgruppe der Krimtataren auch politisch entmachtet.<ref>Andreas Kappeler: ''Russland als Vielvölkerreich: Entstehung – Geschichte – Zerfall.'' C.H. Beck, München 1993, ISBN 3-406-36472-1, S. 50 ({{Google Buch |BuchID=oMuAU1UPbOYC&pg=PA48&lpg=PA48&dq=krimtataren&source=bl&ots=VkgjIfgLlk&sig=a9H02L8_wwH1TZG-kz2pfSwuf_w&hl=de&sa=X&ei=g5k9U-2GBIjcsga-xoDgBQ&ved=0CE8Q6AEwBg#v=onepage&q=krimtataren&f=false |Linktext=Krimtataren}}).</ref>
::{| cellpadding="5" cellspacing="5" align="center" width="100%" style="background-color:#FFFAF0; border: Wheat solid 1px"
|Die erste Tortur der Gefangenen war der lange Marsch auf die Krim. Oft in Ketten und immer zu Fuß, starben viele der Gefangenen bereits unterwegs. Da die Tataren oftmals Versuche der [[Kosaken]] zur Befreiung der Gefangenen befürchteten, zwangen sie die Sklaven mit Gewalt zur größtmöglicher Beeilung. Kranke und verwundete Gefangene wurde gewöhnlich eher getötet, als dass man ihnen erlaubte, die Prozession zu verlangsamen. Der bekannte Russland-reisende [[Siegmund von Herberstein]] schrieb: "die alten und schwachen Männer, für die nicht viel Erlös beim Verkauf zu erzielen war, wurden den tatarischen Jugendlichen überlassen, die sie entweder steinigen, ins Meer werfen oder auf jede andere Weise töten konnten, die sie unterhaltsam fanden." Ein osmanischer Reisender aus dem 16. Jahrhundert, der Zeuge von einem solcher Märsche aus [[Galizien]] wurde, beklagte, dass die Sterberate aufgrund der schlechten Behandlung der Sklaven so hoch war, dass sie den Preis für potenzielle Käufer, wie ihn, unnötig in die Höhe trieb.
|}


=== Kurzzeitige Autonomie im Ersten Weltkrieg und der Große Terror der 1930er Jahre ===
Die Raubzüge der Krimtataren lasteten lange Zeit als ein schweres Problem auf den christlichen Nachbarn des Khanats, sowohl auf dem [[Zarentum Russland|Russischen Zarenreich]], als auch auf [[Polen-Litauen]], zu dem damals die Ukraine und Weißrussland gehörten, auch das [[Fürstentum Moldau]] war von Razzien der Krimtataren betroffen. Ganze Landstriche wurden entvölkert und geplündert, was diese Staaten erheblich schwächte. Im 16. Jahrhundert musste [[Russland]] jedes Jahr bis zu 80.000 Mann rekrutieren, die an den südlichen Befestigungen (dem sogenannten "Gürtel der Gottesmutter") gegen Einfälle der krimtatarischen Reiter Dienst trugen. Für den Abwehrkampf gegen die Krimtataren musste ein Drittel des Staatshaushalts aufgebracht werden.
Nach dem Sturz des Zaren waren die Krimtataren eine der zahlreichen nichtrussischen Ethnien in Russland, die sich politisch und sozial mobilisierten. Im Juni 1917 wurde eine nationale Partei gegründet, [[Milli Firka]], die territoriale Autonomie für die Krimtataren forderte. Es kam zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen der krimtatarischen und der russisch-ukrainischen Bevölkerung. Nach der [[Oktoberrevolution]] (1917) wurde im Dezember auf der Krim ein kurzlebiger Staat der Krimtataren mit Namen [[Volksrepublik Krim]] ausgerufen, der aber weniger als einen Monat existierte, bevor ihn die [[Bolschewiki]] zerschlugen. Unterstützung suchte die Führungsschicht der krimtatarischen Nationalbewegung unter den Kriegsgegnern Russlands im [[Erster Weltkrieg|Ersten Weltkrieg]]. Das Osmanische Reich wünschte die Errichtung eines muslimischen Krimstaates unter osmanischem Protektorat. [[Erich Ludendorff]] dagegen bevorzugte die Gründung eines deutschen Kolonialstaates auf der Krim – eine Vorstellung, auf die Adolf Hitler wieder zurückgriff ([[Taurien|Gotenland]]). Unter der deutschen Besatzung, vom Frühjahr bis Herbst 1918, wurde die von den Bolschewiki verbotene nichtrussische Presse wieder zugelassen, die [[Nationale Taurische Wernadskyj-Universität|Simferopoler Universität]] gegründet und eine eigene Krim-Staatsbürgerschaft eingeführt.<ref>Kerstin Jobst: ''Im Spiel mit grossen Mächten? Nationale Konflikte nach dem Zerfall des Zarenreiches bis zum Beginn des russischen Bürgerkrieges 1918/19 auf der Halbinsel Krim.'' In: Philipp Ther: ''Die dunkle Seite der Nationalstaaten: „ethnische Säuberungen“ im modernen Europa.'' Göttingen 2011, ISBN 978-3-525-36806-0, 83&nbsp;ff.</ref>


1921 entstand die [[Autonome Sozialistische Sowjetrepublik Krim]] innerhalb der [[Russische SFSR|RSFSR]]. Während der [[Hungersnot in Sowjetrussland 1921–1922|Hungersnot von 1921 bis 1922]], die ein staatlich erzwungener Getreideexport auslöste,<ref>Akira Iriye, Jürgen Osterhammel, Emily S. Rosenberg, Charles S. Maier: ''Geschichte der Welt 1870–1945. Weltmärkte und Weltkriege.'' München 2012, ISBN 978-3-406-64105-3, S. 559.</ref> starben etwa 15 % der Krimtataren. In der autonomen Sowjetrepublik war das Krimtatarische offizielle Sprache neben dem Russischen und krimtatarische Kultur und Sprache wurden gefördert. Ab 1927 mit dem Beginn des stalinistischen Terrors wendete sich das Blatt, kulturelle Einrichtungen der Krimtataren wurden wieder verboten und die traditionelle arabische Schreibweise des Krimtatarischen wurde kurz nacheinander durch die lateinische und dann durch die [[kyrillisch]]e Schreibweise ersetzt. Das bedeutete den Verlust des Zugangs zur geschriebenen Tradition für die nachfolgenden Generationen.
Die Einfälle der Krimtataren waren häufiger Grund für Kriege und trugen außerdem zur Herausbildung der [[Kosaken]] als [[Wehrbauern|wehrhafter Bauern]] bei. Als Folge der Einfälle konnten die südlichen Steppengebiete erst im 18. Jahrhundert, als die Tatarengefahr beseitigt war, vollwertig [[Neurussland|besiedelt]] werden. Das unter Zar [[Peter der Große|Peter dem Großen]] erstarkte [[Russisches Reich|Russland]] betrieb eine aktive Zurückdrängungspolitik der Krimtataren, die im erheblichen Maße als Vergeltung motiviert war. Das Krim-Khanat wurde schließlich 1783 annektiert. Im nächsten Jahrhundert (das die Krimtataren selbst das „Schwarze Jahrhundert“ nennen) wurden viele russische Einwohner auf die Krim umgesiedelt und Teile des Landes der Krimtataren enteignet. Als Folge gab es in den 1790er und 1850er Jahren zwei große Auswanderungswellen der Krimtataren (in Teile des heutigen [[Rumänien]]s und [[Bulgarien]]s, die damals zum Osmanischen Imperium gehörten).


[[Datei:Percentage of Crimean Tatars per region 1939.png|mini|hochkant=1.3|Prozentualer Anteil der Krimtataren an der Gesamtbevölkerung der Region 1939]]
=== Kurzzeitige Autonomie und Terror ===


Die Bevölkerung der Krim bestand im Jahre 1936 den Angaben der ersten Ausgabe der ''Großen Sowjetischen Enzyklopädie'' zufolge aus: Russen 43,5 %; Ukrainer 10 %, Juden 7,4 %, Deutsche 5,7 %, Tataren 23,1 % (202.000 aus der Gesamtbevölkerung von 875.100).<ref>Hier zitiert nach V. Stanley Vardys, 1971.</ref>
Nach der russischen [[Oktoberrevolution]] (1917) wurde im Dezember auf der Krim ein kurzlebiger [[Staat der Krimtataren]] ausgerufen, der aber weniger als einen Monat existierte, bevor ihn die [[Bolschewiki]] zerschlugen. Infolge der Hungersnot von 1921-1922 starben etwa 15% der Krimtataren. 1921 entstand die [[Autonome Sozialistische Sowjetrepublik]] Krim innerhalb der [[Russische SFSR|RSFSR]]. In dieser autonomen Sowjetrepublik war das Krimtatarische offizielle Sprache neben dem Russischen und krimtatarische Kultur und Sprache wurden gefördert. Ab 1927 mit dem Beginn des Stalinschen Terrors wendete sich das Blatt, kulturelle Einrichtungen der Krimtataren wurden wieder verboten und die traditionelle arabische Schreibweise des Krimtatarischen wurde kurz nacheinander durch die lateinische und dann durch die [[kyrillisch]]e Schreibweise ersetzt.Das bedeutete den Verlust des Zugangs zur geschriebenen Tradition für die nachfolgenden Generationen. Nach Schätzungen kamen durch den Stalinschen Terror nahezu die Hälfte der Krimtataren ums Leben, etwa 150.000 Menschen.


Der [[Stalinismus]] und der [[Großer Terror (Sowjetunion)|Große Terror]] trafen auch die Krimtataren. Durch die verschiedenen „Säuberungswellen“, vor allem im Jahr 1936, kamen 30.000 bis 40.000 Krimtataren ums Leben.<ref>Kerstin S. Jobst: ''Geschichte der Krim. Iphigenie und Putin auf Tauris''. De Gruyter Oldenbourg, Berlin 2020, S. 269.</ref>
Die Bevölkerung der Krim im Jahre 1936, den Angaben der ersten Ausgabe der ''Großen Sowjetischen Enzyklopädie'' zufolge: Russen 43,5%; Ukrainer 10%, Juden 7,4%, Deutsche 5,7%, Tataren 23,1% (202.000 aus der Gesambevölkerung von 875.100.<ref>hier zitiert nach V. Stanley Vardys, 1971</ref>


=== Deutsche Besatzung und Sowjetische Deportation ===
=== Deutsche Besetzung, Kollaboration und Deportation im Zweiten Weltkrieg ===
[[Datei:Etnics.svg|mini|hochkant=1.3|Prozentualer Anteil der Krimtataren auf der Krim bei der Volkszählung 2001]]
[[Datei:Crimean Tatar share 2014.png|mini|hochkant=1.3|Prozentualer Anteil der Krimtataren auf der Krim bei der Volkszählung 2014]]
Die deutschen Besatzungstruppen des [[Zweiter Weltkrieg|Zweiten Weltkrieges]] wurden aufgrund der erlittenen Unterdrückung 1941 auf der Krim freundlicher empfangen als an anderen Orten der [[Sowjetunion]]. Etwa 20.000 Krimtataren, also etwa 7 Prozent der gesamten krimtatarischen Bevölkerung, stellten sich der [[Wehrmacht]] zur Verfügung, praktisch alle wehrfähigen Männer, doppelt so viele, wie zur [[Rote Armee|Roten Armee]] eingezogen worden waren. Krimtatarische Einheiten wurden vom deutschen [[Sicherheitsdienst des Reichsführers SS|Sicherheitsdienst]] im [[Rückwärtiges Armeegebiet|rückwärtigen Gebiet]] und zur Partisanenbekämpfung eingesetzt, außerdem als [[Schutzmannschaft (Nationalsozialismus)|Selbstschutz]] in den Dörfern.<ref>Rolf-Dieter Müller: An der Seite der Wehrmacht: ''Hitlers ausländische Helfer beim »Kreuzzug gegen den Bolschewismus« 1941–1945.'' Berlin 2007, ISBN 978-3-86153-448-8, S. 237.</ref> Als Verband aus krimtatarischen Freiwilligen wurde im Juli 1944 die tatarische SS-Waffen-Gebirgs-Brigade Nr.&nbsp;1 gebildet.<ref>[[David Motadel]]: ''Islam and Nazi Germany’s War.'' Harvard University Press 2014, S. 235&nbsp;ff.</ref> Auf Initiative des Führers der Einsatzgruppe D des Sicherheitsdienstes, SS-Oberführer [[Otto Ohlendorf]], gelang es, viele der kollaborationswilligen Krimtataren, die schon in der Anfangsphase der Besetzung der Krim für Spitzelaufgaben herangezogen wurden, für diese Truppe zu gewinnen und damit die personell geschrumpfte deutsche [[11. Armee (Wehrmacht)|11. Armee]] zu ergänzen. Ende 1944 wurde die Brigade aufgelöst, ihre zuletzt 3500 Kämpfer wurden der SS-Waffengruppe Krim zugeteilt.


Die deutschen Besatzungstruppen des [[Zweiter Weltkrieg|Zweiten Weltkrieges]] wurden daher 1941 auf der Krim freundlicher empfangen als an anderen Orten der [[Sowjetunion]]. Die relative Sympathie der Krimtataren für die Deutschen Besatzer schlug später aber aufgrund des brutalen Besatzungsregiments um. Die angegebenen Quellen beziffern die krimtatarische Einheiten im Dienste der deutschen Besatzer auf etwa 15.000-20.000 Mann in den sogenannten Einheiten des Selbstschutzes.<ref>Isabelle Kreindler ''The Soviet Deportated Nationalities: A Summary and an Update'', in: Soviet Studies, Vol 38, no 3, July 1986. p. 391</ref> Dennoch gab es Tausende, die sich an der sowjetischen Partisanenbewegung teilnahmen, wie auch 20.000 Männer in der [[Rote Armee|Roten Armee]] kämpften. Acht Krimtataren hatten den Titel [[Held der Sowjetunion]] verdient, einem krimtatarischen Piloten - Ahmed Khan Sultan - wurde dieser Preis zweimal verliehen.<ref>Isabelle Kreindler ''The Soviet Deportated Nationalities: A Summary and an Update'', in: Soviet Studies, Vol 38, no 3, July 1986. p. 391; http://www.qirimtatar.org/modules.php?name=Hronologiya&file=index&func=two</ref>
Auch an der sowjetischen Partisanenbewegung beteiligten sich Krimtataren. Acht Krimtataren wurden mit dem Titel [[Held der Sowjetunion]] ausgezeichnet, einem krimtatarischen Piloten – [[Amet-Chan Sultan]] wurde dieser Preis zweimal verliehen.<ref>Isabelle Kreindler: ''The Soviet Deportated Nationalities: A Summary and an Update.'' In: ''Soviet Studies.'' Band 38, Nr. 3, Juli 1986, S. 391, {{JSTOR|151700}}.</ref>


Am 9. April 1944 verlor die Wehrmacht [[Odessa]]. In der [[Schlacht um die Krim]] gelang der Roten Armee bis zum 12. Mai die vollständige Rückeroberung der Halbinsel.
Doch lieferte die Kollaboration etlicher Tataren den Anlass für die Auflösung der Autonomen Sowjetrepublik Krim 1944 und die Deportation aller Krimtataren nach [[Zentralasien]].<ref>[http://www.gfbv.de/inhaltsDok.php?id=558&stayInsideTree=1 1944 deportiert, 2005 heimatlos und diskriminiert<!-- Automatisch generierter titel -->]</ref> Innerhalb weniger Tage wurden über 180 000 Menschen unter fürchterlichen Bedingungen per Zug verfrachtet. Die Waggons der deportierten wurden häufig tagelang nicht geöffnet, zwischen 22% und 46 % bewegen sich die Schätzungen über die Prozentzahl der Todesopfer durch Verdursten, Verhungern und durch Krankheiten. (Als eine historische Parallele sei bemerkt, dass in den 1860er Jahren die Gutsbesitzer und die Administration vom Gouvernement Tauria die völlige Deportation von Tataren in die Türkei verlangten, [[Alexander II. (Russland)|Alexander II.]] lehnte es aber ab. Im Jahre 1943 verlangte dasselbe der deutsche [[Struktur der NSDAP#Die 43 Gaue (1941) inkl. Gauleiter|Gauleiter]] der Krim, aber [[Adolf Hitler|Hitler]] lehnte ab.<ref>Александр Солженицын. Архипелаг ГУЛаг. Том 3. Глава 4. Ссылка народов</ref>)


Aus den südlichen Regionen der Sowjetunion wurden im Zweiten Weltkrieg mehrere Völker, von denen versucht worden war, den Krieg zu nutzen, um deren Unabhängigkeit durchzusetzen, in den asiatischen Teil der Sowjetunion deportiert. Die autonomen Republiken der Kalmücken, Tschetschenen und Inguschen wurden aufgelöst, auch die Autonome Sowjetrepublik Krim. Unter dem Vorwurf der kollektiven [[Kollaboration]] mit den Nazis wurden alle Krimtataren nach [[Zentralasien]] deportiert. Das Bestreben zur Deportation der Krimtataren wurde mit höchster Priorität von der Sowjetunion umgesetzt. Nur ein Tag nachdem Lawrenti Beria, der Vorsitzende des NKWD, Stalin seinen Plan für die Deportation vorgelegt hatte, wurde ein Erlass von der Verteidigungs-Kommission unter der Führung von Stalin herausgegeben. Die Verordnung führte einerseits die genaue Umsetzung der Deportationen Schritt für Schritt auf, andererseits rechtfertigte sie auch das Vorhaben aus der Sicht der Sowjetunion.<ref>{{Internetquelle |url=https://www.sciencespo.fr/mass-violence-war-massacre-resistance/fr/document/suerguen-crimean-tatars-deportation-and-exile.html |titel=Sürgün: The Crimean Tatars' deportation and exile {{!}} Sciences Po Violence de masse et Résistance - Réseau de recherche |datum=2016-01-19 |sprache=fr |abruf=2024-05-12}}</ref> Die veröffentlichte Verordnung von Stalin für diese Operation beschreibt die Anschuldigungen an die Krimtataren. Sie seien besonders für ihre grausamen Repressalien gegen sowjetische Partisanen bekannt und hätten maßgeblich zum Versuch beigetragen, das sowjetische Volk mithilfe der Deutschen zu vernichten. Der erste Befehl Stalins im Erlass lautet wie folgt: „Alle Tataren sind aus dem Gebiet der Krim zu vertreiben und dauerhaft als Sondersiedler in die Regionen der Usbekischen SSR umzusiedeln. Die Umsiedlung wird dem sowjetischen NKWD übertragen. Der sowjetische NKWD (Genosse Beria) soll die Umsiedlung bis zum 1. Juni 1944 abschließen.“<ref name=":0">{{Internetquelle |url=https://soviethistory.msu.edu/1943-2/deportation-of-minorities/deportation-of-minorities-texts/decree-no-5859ss/ |titel=Decree No. 5859ss |werk=Seventeen Moments in Soviet History |datum=2015-08-31 |sprache=en-US |abruf=2024-05-12}}</ref> Danach wird das Vorgehen für die Deportationen detailreich geschildert, wobei das erlaubte Gepäck der Deportierten geklärt wird, was mit der zurückgelassenen Infrastruktur geschehe und welche Kommission für welchen Teil der Deportation verantwortlich sei. Die Verordnung versprach sogar, dass den Deportierten Darlehen von sieben Jahren und bis zu 5000 Rubel pro Familie ausgezahlt werde.<ref name=":0" /> Innerhalb weniger Tage (18. bis 20. Mai 1944) wurden etwa 189.000 Menschen<ref>Philipp Ther: ''Die dunkle Seite der Nationalstaaten: „ethnische Säuberungen“ im modernen Europa.'' Göttingen 2011, ISBN 978-3-525-36806-0, S. 136.</ref> unter fürchterlichen Bedingungen per Zug verfrachtet. Die Waggons der Deportierten wurden häufig tagelang nicht geöffnet, zwischen 22 % und 46 % bewegen sich die Schätzungen über die Prozentzahl der Todesopfer durch Verdursten, Verhungern und Krankheiten.
Die Krim wurde während der folgenden Jahre von nichtslawischen Minderheiten (außer [[Armenier]]n) „[[ethnische Säuberung|gesäubert]]“, nur Russen und Ukrainer wurden ermutigt, dort zu siedeln.<ref>Isabelle Kreindler ''The Soviet Deportated Nationalities: A Summary and an Update'', in: Soviet Studies, Vol 38, no 3, July 1986. p. 396</ref>


Die sowjetische Deportation von 1944 hatte den Charakter eines [[Völkermord]]s im Allgemeinen und an den Krimtataren im Besonderen: Sie zielte darauf ab, die Krimtataren als eigenständige Nationalität vollständig von der Landkarte zu tilgen und ihre traditionelle Lebensweise, soziale Struktur und kulturellen Einrichtungen zu beseitigen.<ref>{{Literatur |Autor=Martin-Oleksandr Kisly |Titel=Crimean Tatars: Claiming the Homeland |Sammelwerk=Ukraine's Many Faces |Verlag=transcript Verlag |Ort=Bielefeld |Datum=2023 |ISBN=978-383-946-664-3 |DOI=10.1515/9783839466643-025 |Seiten=249}}</ref>
1967 wurden sie offiziell [[Rehabilitation|rehabilitiert]], durften aber erst seit 1989 wieder zurückkehren - jedoch nicht in ihre alten Siedlungsgebiete. Stattdessen wurden sie auf der ganzen [[Halbinsel]] verteilt.


Während der folgenden Jahre wurden weitere nichtslawische Minderheiten (zumeist [[Krimarmenier]], Griechen, [[Krimdeutsche]], [[Krimitaliener]]) in die Emigration getrieben; nur Russen, Weißrussen und Ukrainer wurden ermutigt, dort zu siedeln.<ref>Isabelle Kreindler: ''The Soviet Deportated Nationalities: A Summary and an Update.'' In: ''Soviet Studies.'' Band 38, Nr. 3, Juli 1986, S. 396.</ref>
== Postsowjetische Zeit ==


Durch Beschluss des [[Oberster Sowjet der UdSSR|Obersten Sowjets der UdSSR]] am 19. Februar 1954<ref>[http://www.iccrimea.org/historical/crimeatransfer.html The Transfer of the Crimea to the Ukraine (englisch)]</ref> aus Anlass des 300. Jahrestags des [[Vertrag von Perejaslaw|Vertrages von Perejaslaw]] wurde die Oblast Krim am 26. April 1954 an die [[Ukrainische Sozialistische Sowjetrepublik]] (USSR) übertragen.
[[Image:Mustafa Abdülcemil Kırımoğlu.jpg|thumb|240px|Mustafa Qırımoğlu, Vorsitzender des Medschlis der Krimtataren]]
1990 gab es wieder etwa 20.000 Krimtataren auf der Krim. Sie durften zwar seit 1988 zurückkehren, erhielten aber trotz der [[Perestrojka]]-Politik Gorbatschows keine Unterstützung von den Behörden.
Teilweise wurden sie erneut deportiert oder ihre provisorischen Häuser wurden zerstört.
Viele ließen sich jedoch ohne die Erlaubnis der Behörden nieder.
Inzwischen haben sie friedlich ihre politische Anerkennung erreicht, nicht jedoch die rechtliche.
Da auf der Krim das Mehrheitswahlrecht gilt, sind alle Minderheiten im Krim-Parlament unterrepräsentiert.


=== Rückkehr ===
Seit der [[Präsidentschaftswahlen in der Ukraine 2004|Orangefarbenen Revolution]], die von den Krimtataren unterstützt wurde, versucht die Regierung in [[Kiew]] zunehmend, die Krimtataren gegen die russische Bevölkerungsmehrheit auf der Krim auszuspielen und unterstützt ihre nationalistischen Ansichten.
[[Datei:Ethnische Bevölkerungsgruppen der Krim vom 18. bis zum 21. Jahrhundert.png|mini|Bevölkerungsgruppen der Krim (gesamt und in %): 18. Jahrhundert – Juli 2014 (nach der [[Annexion der Krim 2014|Annexion der Krim durch Russland]]):<br /> {{Farbindex|01ff00|s}} Krimtataren]]
Unter den nichtrussischen nationalen Bewegungen in der Sowjetunion seit den 1960er Jahren wurden die Krimtataren am frühesten und intensivsten politisch mobilisiert. Sie setzten sich für die Rückkehr in ihre Heimat und die Wiedererrichtung ihrer Republik ein. 1967 wurden die Krimtataren zwar vom Präsidium des Obersten Sowjets per Dekret vom Vorwurf des kollektiven Verrats freigesprochen,<ref>Friedrich-Christian Schroeder, Herbert Küpper: ''Die rechtliche Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit in Osteuropa.'' Frankfurt 2010, ISBN 978-3-631-59611-1, S. 192.</ref> unter den politischen Häftlingen der 1970er Jahre waren sie aber weit überproportional vertreten.


1985 hatte [[Michail Sergejewitsch Gorbatschow|Gorbatschows]] [[Glasnost]] und [[Perestroika]] begonnen. Seit 1989 durften sie schließlich trotz der Gegnerschaft der inzwischen dort lebenden Bevölkerung<ref>[[Hans-Heinrich Nolte]]: ''Kleine Geschichte Rußlands.'' Reclam, Stuttgart 1998, ISBN 3-15-009696-0, S. 410.</ref> wieder zurückkehren, jedoch nicht in ihre ursprünglichen Siedlungsgebiete. Stattdessen wurden sie auf der [[Halbinsel]] verteilt.
Die Mehrheit der Krimtataren ist sunnitisch. Heute sind vermutlich etwa 280.000 oder fast 12 % der 2,5 Millionen Bewohner der Krim Krimtataren; 150.000 Krimtataren leben noch in [[Usbekistan]].


1990 gab es wieder etwa 20.000 Krimtataren auf der Krim. Sie erhielten aber trotz [[Perestroika]] keine Unterstützung von den Behörden. Teilweise wurden sie erneut deportiert oder ihre provisorischen Häuser zerstört. Viele ließen sich ohne behördliche Erlaubnis nieder.
1992/93 wurde Krimtatarisch zur dritten Nutzssprache der Halbinsel erklärt, da deren Sprecher zwischenzeitlich über 10 % der Bevölkerung ausmachten.


Im zweiten Halbjahr 1991 [[Zerfall der Sowjetunion|zerfiel die Sowjetunion]]; im Zuge dieses Prozesses erklärten am 24. September 1991 die [[Ukraine]] und tags darauf Belarus ihre Unabhängigkeit.
2006 kam es zu Ausschreitungen zwischen der slawischen Bevölkerung und der tatarischen Minderheit.


Im Juni 1991 wurde auf der Krim der [[Medschlis des Krimtatarischen Volkes]] organisiert, ein Rat der Krimtataren, der eine politische Vertretung der krimtatarischen Nationalbewegung darstellt. Derzeitiger Vorsitzender ist [[Refat Abdurachmanowitsch Tschubarow]].
== Bekannte Krimtataren ==


=== Minderheit in der zur Ukraine gehörenden Krim ===
* [[İsmail Gaspıralı]], Intellektueller, Journalist und Politiker
Seit Ende der 1980er-Jahre sind (Stand ca. 2008) etwa 266.000 aus der Deportation zurückgekehrt.<ref>Andreas Kappeler: ''Kleine Geschichte der Ukraine.'' München 2009, ISBN 978-3-406-58780-1, S. 268.</ref><ref name="osce.org">[https://www.osce.org/hcnm/104318 ''Integration of formerly deported people in Crimea, Ukraine, is focus of OSCE High Commissioner on National Minorities’ latest report''], über den Bericht „The Integration of Formerly Deported People in Crimea, Ukraine“ der OSZE vom 16. August 2013.</ref> Inzwischen haben sie friedlich ihre politische Anerkennung erreicht, nicht jedoch die rechtliche. Da auf der Krim das [[Mehrheitswahlrecht]] gilt, sind alle Minderheiten im Krim-Parlament unterrepräsentiert.
* [[Noman Çelebicihan]], Politiker, Präsident der kurzlebigen Republik der Krimtataren
* [[Mustafa Abdülcemil Qırımoğlu]], Politiker
* [[Khan Ahmed Tatlibal]], Dichter


1992 wurde [[Krimtatarische Sprache|Krimtatarisch]] zur dritten regionalen offiziellen Sprache der Halbinsel erklärt, da deren Sprecher zwischenzeitlich über 10 Prozent der Bevölkerung ausmachten.
== Quellen ==


Die Krimtataren verbündeten sich in der Regel mit der Zentralregierung der Ukraine gegen die an Russland orientierte Regierung der Krim. 1998 verloren sie die Garantie einer festen Zahl von Sitzen im Parlament von Kiew. Die Wiederherstellung dieser Quote, eine angemessene Vertretung in den Behörden sowie die Verbesserung ihrer wirtschaftlichen und sozialen Lage sind Ziele der krimtatarischen Bewegung. In den 1990er-Jahren hatten ihre Demonstrationen und Auseinandersetzung mit den Ordnungskräften ein erhebliches Gewaltpotential.<ref>Andreas Kappeler: ''Kleine Geschichte der Ukraine.'' München 2009, ISBN 978-3-406-58780-1, S. 268f.</ref>
<references/>


Seit der [[Präsidentschaftswahlen in der Ukraine 2004|Orangefarbenen Revolution]] (2004), die von den Krimtataren unterstützt wurde, unterstützt die Regierung in [[Kiew]] die Rechte der Krimtataren als regionaler Minderheit auf der Krim (bzw. in der [[Autonome Republik Krim|dortigen Gebietskörperschaft]]).
== Siehe auch ==


Die Mehrheit der Krimtataren ist [[sunnitisch]]. Heute sind vermutlich etwa 280.000 oder fast 12 Prozent der 2,5 Millionen Bewohner der Krim Krimtataren; 150.000 Krimtataren leben noch in [[Usbekistan]], eine große Zahl auch im südrussischen [[Region Krasnodar|Bezirk Krasnodar]].
* [[Krimtatarische Sprache]]
* [[Islam in der Ukraine]]
* [[Tatarensturm]]


Wie der Hochkommissar für nationale Minderheiten der [[Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa|OSZE]] im August 2013 berichtete, führte die Rückwanderung der ehemals deportierten Minderheiten auf der Krim zu sozialen und wirtschaftlichen Spannungen. Es gab Fälle von [[Hassprediger|Hasspredigten]], Verwüstungen religiöser Stätten, gewaltsamen Zusammenstößen und weit verbreitete Besetzungen von Grund und Boden.<ref name="osce.org" /> Dies kann jedoch auch als anti-muslimische Propaganda Russlands verstanden werden, das eine Rückkehr der Krimtataren ablehnt, um den hohen russischsprachigen Bevölkerungsanteil auf der Krim zu erhalten.
== Literatur ==


=== Annexion der Krim durch Russland ===
* Alexandre Billette: ''Der russische Feind.'' In: Le Monde diplomatique, Dezember 2006.
Während der völkerrechtswidrigen [[Annexion der Krim 2014|Annexion der Krim durch Russland]] 2014 rief der [[Medschlis des Krimtatarischen Volkes]], eine nationalpolitische Vereinigung von Krimtataren, riefen zum Boykott des rechtswidrigen Referendums über den Status der Krim auf, das der Annexion voranging. Die von Russland eingesetzte Krim-Regierung bot dem Rat der Krimtataren einen Platz im Kabinett, wenn er die neue Regierung anerkenne.<ref>[https://www.spiegel.de/politik/ausland/krim-tataren-bilden-eigene-milizen-a-960118.html ''Tataren auf der Krim: Gängelband oder Widerstand.''] auf: ''[[Spiegel Online]].'' 22. März 2014 (ein Bericht aus Bachtschissarai und Simferopol).</ref> [[Milli Firka (NRO)|Milli Firka]], die wiedergegründete krimtatarische Partei, erklärte dagegen, die Krimtataren würden dem Boykottaufruf des Medschlis nicht folgen.<ref>Uwe Halbach: [https://www.bpb.de/195184/analyse-die-krimtataren-in-der-ukraine-krise ''Analyse: Die Krimtataren in der Ukraine-Krise.''] Bundeszentrale für politische Bildung, November 2014.</ref>
* ''The Hidden Ethnic Cleansing of Muslims in the Soviet Union: The Exile and Repatriation of the Crimean Tatars'' by Brian Glyn. Ib: ''Williams Journal of Contemporary History'' Vol. 37, No. 3 (Jul., 2002), S. 323-347
* Greta Lynn Uehling: ''Beyond Memory: The Crimean Tatars' Deportation and Return.'' New York 2004, ISBN 978-1-4039-6265-2
*''The Case of the Crimean Tartars'' by V. Stanley Vardys in: ''Russian Review'' Vol. 30, No. 2 (Apr., 1971), S. 101-110


Seit der Annexion der Krim im Frühjahr 2014 leben die Krimtataren wieder de facto, aber von der großen Mehrheit der Weltgemeinschaft nicht anerkannt, unter russischer Herrschaft.
== Weblinks ==


Seit 2006 gab es mit [[ATR (Fernsehsender)|ATR]] den privaten Fernsehsender eines krimtatarischen Geschäftsmanns. Nach der Annexion der Halbinsel durch Russland erhielt er keine Sendelizenz mehr. Seitdem sendet er aus [[Kiew]].

Krimtataren, die aufgrund des [[Russisch-Ukrainischer Krieg|russischen Kriegs im Osten der Ukraine]] bzw. wegen der Annexion der Krim als ''Internally displaced persons'' [[Interne Vertreibung|(IDPs)]] in die westlichen Landesteile geflüchtet sind, werden unter anderem von der [[Lwiw|Lemberger]] Nichtregierungsorganisation ''Crimea SOS'' in Zusammenarbeit mit dem [[Hoher Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen|Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen]] betreut.<ref>{{Webarchiv|url=http://unhcr.org.ua/en/about-us?id=1511 |wayback=20160704210806 |text=Webseite des UNHCR mit der Präsentation der NGO ''Crimea SOS''}} (englisch)</ref>

Im April 2014 erließ Russlands Präsident Putin ein Gesetz über die „Rehabilitierung der Krimtataren“, die unter der Gewaltherrschaft von Stalin gelitten hatten. Man müsse alles tun, damit der „Anschluss an die Russische Föderation von der Wiederherstellung legitimer Rechte der krimtatarischen Nation flankiert werden könne“ – so Putin.<ref>{{Literatur |Titel=Путин подписал указ о реабилитации крымских татар |Sammelwerk=ТАСС |Datum= |Online=https://tass.ru/politika/1136038 |Abruf=2017-10-27}}</ref>

Tatsächlich jedoch stellten die [[Hoher Kommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte|Vereinten Nationen]] 2017 fest, dass die Menschenrechtslage auf der Krim sich seit der Annexion durch Russland signifikant verschlechtert hat.<ref>[[Konrad Schuller]]: ''Alte sowjetische Methoden.'' FAZ, 29. September 2017, S.&nbsp;8.</ref>

Die Strafverfolgungsbehörden der Russischen Föderation führten Strafprozesse gegen mehrere Dutzend Krimtataren, die die ihnen zwangsweise verliehene russische Staatsbürgerschaft nicht akzeptieren wollten. Inhaftiert wurden auch Teilnehmer von Protestaktionen.<ref>[https://www.zeitschrift-osteuropa.de/hefte/2018/6/in-russland-gefangene-buerger-der-ukraine/ In Russland gefangene Bürger der Ukraine. 88 von OVD-Info recherchierte Fälle]. In: [[Osteuropa (Zeitschrift)|Osteuropa]], 6/2018, S. 3–48.</ref>

Tataren flohen in die übrigen Teile der Ukraine, versuchten zu fliehen nach dem [[Russischer Überfall auf die Ukraine 2022|Russischen Überfall auf die Ukraine 2022]], und nochmals bei der Anordnung der russischen Mobilmachung im September 2022.<ref>[https://www.themoscowtimes.com/2022/10/24/lets-not-forget-the-less-visible-victims-of-this-war-a79125 Let’s Not Forget the Less Visible Victims of This War], Moscow Times, 24. Oktober 2022.</ref><ref>{{Literatur |Autor=Shaun Walker |Titel=‘A way to get rid of us’: Crimean Tatars decry Russia’s mobilisation |Sammelwerk=The Guardian |Datum=2022-09-25 |ISSN=0261-3077 |Online=https://www.theguardian.com/world/2022/sep/25/a-way-to-get-rid-of-us-crimean-tatars-decry-russia-mobilisation |Abruf=2023-10-08}}</ref>

Nach 2014 lebten Krimtataren beispielsweise auf dem ukrainischen Festland in der Region Winnyzja.<ref>[https://gur.gov.ua/en/content/inzhener-bahatoditnyi-batko-rozvidnyk-isa-akaiev.html Isa Akaiev, Engineer, Father of Many Children, Reconnaissance Man] (English) www.gur.gov.ua, abgerufen am 6. Juni 2022</ref> Isa Akajew ist Kommandant des von ihm in Kiew gegründeten Krim-Bataillons mit etwa 50 Kämpfern. Er war im Einsatz gegen den Überfall auf Kiew 2022.<ref>[https://www.n-tv.de/mediathek/videos/politik/Bataillon-aus-Krimtataren-hofft-auf-Einsatz-in-Cherson-article23372361.html ''Bataillon aus Krimtataren hofft auf Einsatz in Cherson.''] www.n-v.de, abgerufen am 6. Juni 2022.</ref> Im Untergrund operiert seit 2022 die Partisanengruppe ''Atesh'' gegen das russische Militär.<ref>{{Internetquelle |url=https://www.theguardian.com/world/2023/jul/17/the-underground-crimean-tatar-group-taking-up-arms-against-russia |autor=Julian Borger |titel=The underground Crimean Tatar group taking up arms against Russia |werk=theguardian.com |hrsg=Guardian News & Media Limited |datum=2023-07-17 |abruf=2023-09-27 |sprache=EN-UK}}</ref>

== Gesellschaft ==
{{Quellen}}
=== Diaspora ===
[[Datei:Kültür Günleri 2004.jpg|mini|Kulturverein in der Diaspora (vorne: [[Mustafa Abduldschemil Dschemilew]])]]
Der Großteil der Krimtataren und ihrer Nachfahren lebt in der [[Diaspora]] in der Türkei. Bis zu 5 Mio. werden angegeben, die vollständig integriert und über entsprechende Kulturvereine eng vernetzt sind. Darunter fallen auch die Nachfahren der schon im 19. Jahrhundert in das Osmanische Reich ausgewanderten Krimtataren. Schwerpunkt bildet die Stadt [[Eskişehir]]. Eine ähnliche Vorgeschichte haben die Krimtataren in Rumänien und Bulgarien. In [[Ostthrakien]] im heutigen europäischen Teil der Türkei leben Krimtataren schon seit der osmanischen Zeit, insbesondere Mitglieder der [[Giray (Dynastie)|Giray]] in Edirne und Umgebung.<ref>{{Internetquelle |url=https://www.kirimdernegi.org.tr/haberler/702-trakya-da-kirim-surgununun-67-yili-anma-etkinlikleri |titel=Trakya’da Kırım Sürgününün 67. Yılı Anma Etkinlikleri |hrsg=www.kirimdernegi.org.tr |datum=2011-05-19 |abruf=2023-02-23 |sprache=tr}}</ref><ref>{{Internetquelle |url=https://emelvakfi.org/emeldergisi/kirim-hanlarinin-trakyadaki-mezar-taslari/ |titel=Kırım Hanlarının Trakya’daki Mezar Taşları |hrsg=emelvakfi.org |datum=1998 |abruf=2023-02-23 |sprache=tr}}</ref>

Die zweitgrößte Gruppe bilden die Nachfahren der von Stalin deportierten Bewohner in die [[Zentralasien|zentralasiatischen]] Staaten, vor allem [[Usbekistan]] (100.000). Diese machen einen großen Teil der Rückkehrer aus.

=== Religion ===
[[Datei:Eupatoria 04-14 img12 Juma Jami Mosque.jpg|mini|Die [[Dschuma-Dschami-Moschee (Jewpatorija)|Dschuma Dschami]] in [[Jewpatorija]]]]
Die heutigen Krimtataren sind sunnitische Muslime [[Hanafiten|hanafitischer]] Rechtschule. Seit der vermehrten Rückkehr der Vertriebenen gibt es wieder einige repräsentative Gotteshäuser, die [[Imam]]e werden jedoch aufgrund fehlender Ausbildungsmöglichkeiten meist im Ausland, vor allem in der Türkei, ausgebildet.

Das religiöse Verständnis wird u.&nbsp;a. durch [[İsmail Gasprinski]] stark von einer säkularen, reformatorischen Lehrmeinung dominiert, die schon in der [[Volksrepublik Krim]] als erste säkulare Republik in der islamischen Welt kurzzeitig Ausdruck fand. Einfluss hatte hier auch die später erfolgte Säkularisierung der Türkei unter [[Kemal Atatürk]].<ref>Brian Glyn Williams: ''The Crimean Tatars: The Diaspora Experience and the Forging of a Nation.'' Brill, 2001, S. 113.</ref>

In letzter Zeit soll es vermehrt inoffizielle Prediger aus dem arabischen Raum geben, die radikalere Lehren predigen, unter anderem die [[Hizb ut-Tahrir]]. Große islamistische-motivierte Vorkommnisse oder Organisationen gibt es allerdings nicht.<ref>Ann-Dorit Boy: [https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/konflikt-um-die-krim-die-furcht-vor-den-islamisten-12839050.html ''Die Furcht vor den Islamisten.''] In: ''[[Frankfurter Allgemeine Zeitung|FAZ]].'' 10. März 2014.</ref>

== Kultur ==
{{Lückenhaft|weitere kulturelle Merkmale, Literatur ist nur ein Teil davon}}
Die Anfänge der [[Krimtatarische Literatur|krimtatarischen Literatur]] finden sich in der [[Diwan (Dichtung)|Dīwān-Literatur]] der Khans. So gelten die Khans Ğazı II Giray (1554–1608) und Halim Giray Han (1772–1824) als bekannte Dichter. Sie ist stark von der persischen Lyrik beeinflusst.

Nach der [[Russische Revolution 1905|Russischen Revolution 1905]] erlangt die Literatur eine neue Blüte. In der von [[İsmail Gasprinski]] herausgegebenen Zeitung ''Tercüman'' sammelte sich ein Kreis krimtatarischer Autoren und Politiker wie Hasan Sabri Ayvazov (–1936) und Ahmet Özenbaşlı (1867–1924). Gegen die „zu gemäßigt“ aufgefassten Positionen bildete sich in der Zeitung ''Vatan hâdimi'' eine literarische Gegenbewegung mit der Gruppe der „Genç Tatarlar“ („Jungtataren“).

1928 wurde auch von den Krimtataren das [[Jaꞑalif|Neue Turksprachige Alphabet]] übernommen, das allerdings schon 1938 durch Anweisung [[Stalin]]s zugunsten eines modifizierten [[Kyrillisches Alphabet|kyrillischen]] abgelöst wurde.

Mit der vollständigen [[Deportation]] der Krimtataren kam der Literaturbetrieb abrupt zu Ende. Die Zeit der Deportation, des Exils und der Rückkehr wurden von dem im englischen Exil lebenden [[Cengiz Dağcı]] in Worte gefasst. Zu den zeitgenössischen Autoren gehören ferner Şakir Selim, Ablayaziz Veliyev, Rıza Fasil und Yunus Kandim. Die Zahl der Menschen, die die [[krimtatarische Sprache]] verwenden, wird heute auf 500.000 geschätzt, wovon etwa die Hälfte auf der Krim lebt.

== Bekannte Krimtataren ==
* [[İsmail Gasprinski]] (1851–1914), Intellektueller, Pädagoge, Verleger und Politiker
* [[Ahatanhel Krymskyj]] (1871–1942), Schriftsteller
* [[Edige Mustafa Kirimal]] (1911–1980), türkischer Politiker und Vertreter der Krimtataren in Deutschland
* [[Noman Çelebicihan]] (1885–1918), Politiker, Präsident der kurzlebigen Republik der Krimtataren
* [[Muazzez İlmiye Çığ]] (1914–2024), türkische Sumerologin und Supercentenarian
* [[Hasan Polatkan]] (1915–1961), türkischer Politiker
* [[Halil İnalcık]] (1916–2016), türkischer Historiker
* [[Amet-Chan Sultan]] (1920–1971), Sowjetischer Kampfpilot
* [[Sabri Ülker]] (1920–2012), türkischer Unternehmer in der Lebensmittelindustrie
* [[Cüneyt Arkin]] (1937–2022), türkischer Schauspieler und Regisseur
* [[Mustafa Abduldschemil Dschemilew]] (Qırımoğlu) (* 1943), sowjetisch-ukrainischer Politiker
* [[İlber Ortaylı]] (* 1947), türkischer Historiker
* [[Enwer Ismailow]] (* 1955), ukrainischer Jazz-Gitarrist
* [[Refat Tschubarow]] (* 1957), ukrainisch-krimtatarischer Politiker
* [[Orhan Gencebay]] (* 1944), türkischer Sänger, Saz-Virtuose und Schauspieler
* [[Dschamolidin Abduschaparow|Jamolidin Abdujaparov]] (* 1964), Radrennfahrer
* [[Achtem Seitablajew]] (* 1972), Schauspieler und Regisseur
* [[Emir-Ussejin Kuku]] (* 1976), Menschenrechtsaktivist
* [[Rustem Umjerow]] (* 1982), seit September 2023 Verteidigungsminister der Ukraine
* [[Ernes Sarykhalil]] (* 1983), Filmregisseur
* [[Jamala]] (* 1983), Sängerin, Gewinnerin des Eurovision Song Contest 2016.
* [[Tamila Taschewa]] (* 1985), Politikerin und Aktivistin
* [[Sewhil Mussajewa]] (* 1987), Journalistin
* [[Serwer Mustafajew]] (* 1986), Menschenrechtsaktivist

== Galerie ==
<gallery>
Fullarton, A. & Co. Caucausus & Crimea. 1872 (T).jpg|Krimtatarin, 1872
Карло Боссоли. Татарская школа для детей.jpg|Krimtatarische Kinder in der Schule, 1856
Карло Боссоли. Татарский танец.jpg|„Tatarischer Tanz“, Carlo Bossoli, 1856
Crimean-tatar-women.jpg|Krimtatarische Frauen, frühe 1900er
</gallery>

== Literatur ==
* {{Literatur
|Autor=Alan W. Fisher
|Titel=The Crimean Tatars
|Verlag=Hoover Press
|Datum=1978
|ISBN=0-8179-6662-5}}
* {{Literatur
|Autor=Alexandre Billette
|Titel=Der russische Feind
|Sammelwerk=[[Le Monde diplomatique]]
|Nummer=8152
|Datum=2006-12-15
|Seiten=23}}
* Alim Alijew, [[Anastassija Lewkowa]]: ''Qirim іnciri. Кримський інжир. Чаїр.'' Wydawnyztwo Staroho Lewa, Lwiw 2021, ISBN 978-617-679-950-4
* Anastassija Lewkowa: ''За Перекопом є земля. Кримський роман''. Laboratorija, Kyjiw 2023, ISBN 978-617-8203-81-8
* {{Literatur
|Autor=Brian Glyn Williams
|Titel=The Hidden Ethnic Cleansing of Muslims in the Soviet Union. The Exile and Repatriation of the Crimean Tatars
|Sammelwerk=[[Journal of Contemporary History]]
|Band=37
|Nummer=3
|Datum=2002-07
|ISSN=0022-0094
|Seiten=323–347}}
* {{Literatur
|Autor=Brian Glyn Williams
|Titel=The Crimean Tatars. From Soviet Genocide to Putin’s Conquest
|Verlag=Hurst
|Ort=London
|Datum=2015
|ISBN=1-84904-518-6}}
* {{Literatur
|Autor=[[Norman M. Naimark]]
|Titel=Flammender Haß. Ethnische Säuberungen im 20. Jahrhundert
|Reihe=Fischer. Die Zeit des Nationalsozialismus. 17890
|Verlag=Fischer Taschenbuch
|Ort=Frankfurt am Main
|Datum=2008
|ISBN=978-3-596-17890-2
|Seiten=128–139}}
* {{Literatur
|Autor=Donald Rayfield |Titel='A Seditious and Sinister Tribe’: The Crimean Tatars and Their Khanate|Verlag=Reaktion Books|Jahr=2024}}
* {{Literatur
|Autor=Greta Lynn Uehling
|Titel=Beyond Memory. The Crimean Tatars’ Deportation and Return
|Verlag=Palgrave Macmillan
|Ort=New York NY u.&nbsp;a.
|Datum=2004
|ISBN=1-4039-6264-2}}
* {{Literatur
|Autor=V. Stanley Vardys
|Titel=The Case of the Crimean Tartars
|Sammelwerk=Russian Review
|Band=Band&nbsp;30
|Nummer=2
|Datum=1971-04
|ISSN=0036-0341
|Seiten=101–110}}
* Ulrich Hofmeister, [[Kerstin S. Jobst]] (Hrsg.): ''Krimtataren.'' In: Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften (ÖZG) / Austrian Journal of Historical Studies, 28, 2017. 1.&nbsp;Studienverlag, <!-- ISBN 8-3-065-5612-5 -->{{ISSN|1016-765X}} ([https://journals.univie.ac.at/index.php/oezg/issue/view/266 online]).

== Weblinks ==
{{Commonscat|Crimean Tatars|Krimtataren|audio=1|video=1}}
{{Wiktionary|Krimtatar}}
* [https://www.loc.gov/exhibits/archives/l2tartar.html Verbannungsbefehl] vom 11. Mai 1944 (englisch, [http://www.memorial.krsk.ru/DOKUMENT/USSR/440511.htm russisch])
* [http://www.tatar.net/ Tatar.Net]
* [http://www.tatar.net/ Tatar.Net]
* [http://www.vatankirim.net/ Vatan KIRIM, Krimtatar diaspora in der Türkei]
* [https://www.vatankirim.net/ Vatan KIRIM, Krimtatar diaspora in der Türkei]
* [http://www.hospitalityclub.org/veit/krim.htm#tat Kapitel Krimtataren in Studienarbeit "Die Nationale Frage auf der Krim" von Veit Kühne]
* [http://www.hospitalityclub.org/veit/krim.htm#tat Kapitel Krimtataren in Studienarbeit „Die Nationale Frage auf der Krim“ von Veit Kühne]
* [http://www.aktuell.ru/russland/panorama/krim_ausschreitungen_zwischen_tataren_und_russen_2109.html]
* [http://www.aktuell.ru/russland/panorama/krim_ausschreitungen_zwischen_tataren_und_russen_2109.html ''Krim: Ausschreitungen zwischen Tataren und Russen''] (15. August 2006)


== Einzelnachweise ==
<references />


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Aktuelle Version vom 1. Dezember 2025, 01:31 Uhr

Die Krimtataren (krimtatarisch qırımtatar, qırımtatarları) sind eine ursprünglich auf der Halbinsel Krim lebende turksprachige Ethnie. Ihre Sprache, das Krimtatarische, gehört zur Gruppe der nordwestlichen Turksprachen.

Krimtataren unterscheiden sich deutlich von den Wolga-Ural-Tataren und werden deshalb – vornehmlich von den Türken aus der Türkei (Türkeitürken) – als Krimtürken bezeichnet. Dies trägt der Tatsache Rechnung, dass sich ihre Schriftsprache von einer regionalen Variante des Osmanischen ableitet und daher dem Türkischen sehr nahesteht.[1]

Krimtataren in traditioneller Tracht, 1880

Zur Herkunft gibt es verschiedene Theorien. Einer Theorie nach sind die Krimtataren Nachkommen vieler Bevölkerungen, die auf der Krim lebten oder sie eroberten (Mongolen, Chasaren, Griechen, Iraner, Hunnen, Bulgaren, Petschenegen, Kumanen,[2] Krimgoten und später Krimarmenier, Venezianer und Genueser). Ihre Wurzeln werden also durch verschiedene Ethnien gebildet. So werden hauptsächlich Kiptschaken und Tataren (Zentralkrim), Nogaier-Tataren (nördliches Steppengebiet) und osmanische Türken (südlicher Küstenstreifen) zu ihren Vorfahren gezählt. Letztere assimilierten zahlreiche Venezianer und Genueser; ihre Sprache, eine regionale Variante des Osmanischen, war zwischen dem 15. und 19. Jahrhundert die lingua franca der Krim und beeinflusste die tatarischen und nogaischen Umgangssprachen.[1]

Einer anderen Theorie nach sind die Krimtataren Nachkommen der Kiptschaken, die im Zuge der mongolischen Eroberungen auf der Krim ansässig wurden und später nach dem Zerfall der Goldenen Horde ein eigenständiges Khanat gründeten.

Khanpalast von Bachtschyssaraj

Die seit dem 13. Jahrhundert sunnitischen Krimtataren trugen wesentlich zur Verbreitung des Islam in der Ukraine bei.

Im 15. Jahrhundert geriet die mongolische Goldene Horde in innere Unruhen, durch die es zu mehreren Abspaltungen kam. Hacı I. Giray aus einem Adelsgeschlecht der Dschingisiden gründete etwa 1444 mit Unterstützung des Königreichs Polen, des Großfürstentums Litauen und des Großfürstentums Moskau ein eigenes Khanat mit der Krim als Zentrum – nachdem er zuvor erfolglos versucht hatte, die Macht in der Goldenen Horde an sich zu reißen. Das zunächst – bis 1478 – instabile Khanat beherrschte bis 1792 große Teile der modernen Ukraine und Südrusslands; unter anderem ab 1556 die Gebiete der Nogaier im nordkaukasischen Kuban. Hauptstadt wurde das um 1450 gegründete Bachtschyssaraj, von wo aus die meiste Zeit über ein Giray-(كرايلر)-Khan herrschte. Neben den Giray und den Nogaiern waren die Şirin, Barın, Arğın, Qıpçaq und später Mansuroğlu und Sicavut stets sehr einflussreich. Das Khanat der Krim war damit weniger mongolisch als die Goldene Horde und es war sogar maßgeblich an deren Untergang 1502 beteiligt. Bis zur Schlacht bei Molodi (1571) war es einer der bedeutendsten Staaten Osteuropas. Auch danach und bis ins 18. Jahrhundert war es ein Machtfaktor in der Region: Es ging Bündnisse mit anderen Nachfolgestaaten der Goldenen Horde, insbesondere mit den Khanaten von Kasan und Astrachan, ein. 1648 verhalf es dem Hetmanat der Ukraine zur Loslösung von Polen-Litauen, indem es eine Allianz mit den Saporoger Kosaken des Bohdan Chmelnyzkyj einging. Während des Zweiten Nordischen Krieges (1655–1660) verbündete es sich mit Polen und half, die Aufteilung durch Russen, Schweden, Siebenbürger und Brandenburger abzuwehren. Im Rahmen dieses Bündnisses drangen 1656 Krimtataren in das Herzogtum Preußen ein um zahlreiche Städte und Dörfer zu zerstören. Dieser Feldzug ist in der Geschichte Preußens als Tatarensturm bekannt.

Das Khanat der Krim betrieb regen Handel mit dem Osmanischen Reich, dessen Schutzherrschaft es unter Beibehaltung hoher Autonomie von 1478 bis 1774 genoss. Von 1758 bis 1787 stellten die mankitischen Nogaier den Khan. Im Frieden von Küçük Kaynarca (1774) mussten die Osmanen die Unabhängigkeit der Krim anerkennen. Ab 1783 war das Khanat unter zunächst mittelbarer und ab dem Vertrag von Iași (1792) unter unmittelbarer russischer Herrschaft.

Sklaverei und das Khanat der Krim

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Die Krim war schon vor Bildung des Krimkhanats ein wichtiger Ausgangspunkt des Sklavenhandels. Aufbauend auf der nomadischen Lebensweise der Krimtataren machten diese Aktivitäten zeitweise den Hauptteil der krimtatarischen Wirtschaft aus. Die Raubzüge in die meist slawischen Nachbargebiete begannen im Jahr 1468 und endeten erst im ausgehenden 17. Jahrhundert.

Ihre reiche Beute an Menschen machten die Krimtataren mit Raubzügen in die Ukraine, nach Südrussland und 1656 bis nach Masuren. An diesen im Tatarischen „Ernte der Steppe“ genannten Raubzügen mussten sich die meisten Männer ab einem gewissen Alter beteiligen. Die Sklaven wurden anschließend auf die Krim gebracht, von meist christlichen Händlern (Griechen, Armeniern) in Kefe gekauft[3] und von dort in das Osmanische Reich oder den Nahen Osten weiterverkauft. Zur bekanntesten Figur unter diesen Sklaven wurde Roxelane, die spätere Frau Süleymans des Prächtigen. Die genaue Zahl der Sklaven ist schwer zu ermitteln.[4]

Große Gewinne erzielten die Krimtataren auch mit Lösegeldern aus den betroffenen Ländern bzw. aufgrund von Tributzahlungen solcher Länder mit dem Zweck, Raubzüge zu verhindern.[5]

Józef Brandts „Kampf zwischen Tataren und Kosaken“

Die Raubzüge der Krimtataren lasteten lange Zeit als ein schweres Problem auf den christlichen Nachbarn des Khanats, sowohl auf dem Russischen Zarenreich als auch auf Polen-Litauen, zu dem damals die Ukraine und Weißrussland gehörten. Auch das Fürstentum Moldau war von den Raubzügen der Krimtataren betroffen. Ganze Landstriche wurden entvölkert und geplündert, was diese Staaten erheblich schwächte. Im 16. Jahrhundert musste Russland jedes Jahr bis zu 80.000 Mann rekrutieren, die an den südlichen Befestigungen (Russische Verhaulinie) gegen die blitzschnellen und durch die Tausende Kilometer lange Steppengrenze kaum berechenbaren Einfälle der Steppenreiter Dienst taten. Für den Abwehrkampf gegen die Krimtataren musste ein Drittel des Staatshaushalts aufgebracht werden.

Die Einfälle der Krimtataren waren ein häufiger Grund für Kriege und trugen außerdem zur Herausbildung der ukrainischen Kosaken als unabhängige, demokratisch organisierte Reiterkrieger.

Annexion des Krim-Khanats und russische Herrschaft

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Nachdem Russland 1771 die Krim erobert hatte, ersetzte es das osmanische Protektorat durch ein eigenes und garantierte die Existenz des Khanats als „freies, von niemand abhängiges Gebiet“. Nach dem russischen Sieg 1774 über die Osmanen folgte mit dem Friede von Küçük Kaynarca eine neunjährige Zeit einer relativen Unabhängigkeit der Krimtataren. Mit dem Rückzug der Osmanen erfolgten in der krimtatarischen Oberschicht Debatten über eine neue Ausrichtung ihrer Außenpolitik. Es kam mehrfach zu Rebellionen der ausgesprochen antirussisch gesinnten tatarischen Bevölkerung gegen den erstarkenden russischen Einfluss. Katharina die Große duldete Şahin Giray als Khan auf dem Thron, der jedoch mit seiner prorussischen Annäherung und Reformpolitik in der Bevölkerung keine Sympathien gewann. Mehrfach intervenierte das Russische Kaiserreich militärisch, um dessen Gegner auszuschalten und Sahin wieder einzusetzen. Es kam zu größeren Zerstörungen. Mit der Umsiedlung der auf der Krim lebenden Griechen und Armenier auf russisches Territorium[6] brach eine wichtige Handelsstütze in der krimtatarischen Gesellschaft zusammen.

Letzten Endes erfolgte die Annexion durch Russland auf Anraten und unter Kommando Grigori Alexandrowitsch Potjomkins im Jahre 1783. Der Khan wurde durch einen russischen Gouverneur ersetzt (Gouvernement Taurien), der krimtatarische Adel (mirza) in die Verwaltungsstruktur des Khanats integriert.[7] Sein Landbesitz und seine Privilegien wurden garantiert. Auch die tatarischen Bauern behielten ihr Land. Aufgrund dieser Politik blieben große Erhebungen gegen die russische Herrschaft aus. Mit der geförderten Ansiedlung von russischen und ausländischen Siedlern auf der Krim, der damit verbundenen Enteignung, der Verdrängung des Adels aus der Administration und den Städten wurden Krimtataren in größeren Auswanderungswellen (größere in den 1790er und 1850er Jahren) in die Emigration getrieben. Sie siedelten sich in Teilen des heutigen Rumäniens und Bulgariens an, die damals zum Osmanischen Reich gehörten. Viele Badehäuser, Moscheen, Springbrunnen und Zeugnisse der Antike wurden zerstört. Nach der Mitte des 19. Jahrhunderts waren die Krimtataren zu einer Minderheit auf der Krim geworden. Alle wichtigen Verwaltungsaufgaben wurden von Russen übernommen, die demographisch und wirtschaftlich geschwächte Bevölkerungsgruppe der Krimtataren auch politisch entmachtet.[8]

Kurzzeitige Autonomie im Ersten Weltkrieg und der Große Terror der 1930er Jahre

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Nach dem Sturz des Zaren waren die Krimtataren eine der zahlreichen nichtrussischen Ethnien in Russland, die sich politisch und sozial mobilisierten. Im Juni 1917 wurde eine nationale Partei gegründet, Milli Firka, die territoriale Autonomie für die Krimtataren forderte. Es kam zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen der krimtatarischen und der russisch-ukrainischen Bevölkerung. Nach der Oktoberrevolution (1917) wurde im Dezember auf der Krim ein kurzlebiger Staat der Krimtataren mit Namen Volksrepublik Krim ausgerufen, der aber weniger als einen Monat existierte, bevor ihn die Bolschewiki zerschlugen. Unterstützung suchte die Führungsschicht der krimtatarischen Nationalbewegung unter den Kriegsgegnern Russlands im Ersten Weltkrieg. Das Osmanische Reich wünschte die Errichtung eines muslimischen Krimstaates unter osmanischem Protektorat. Erich Ludendorff dagegen bevorzugte die Gründung eines deutschen Kolonialstaates auf der Krim – eine Vorstellung, auf die Adolf Hitler wieder zurückgriff (Gotenland). Unter der deutschen Besatzung, vom Frühjahr bis Herbst 1918, wurde die von den Bolschewiki verbotene nichtrussische Presse wieder zugelassen, die Simferopoler Universität gegründet und eine eigene Krim-Staatsbürgerschaft eingeführt.[9]

1921 entstand die Autonome Sozialistische Sowjetrepublik Krim innerhalb der RSFSR. Während der Hungersnot von 1921 bis 1922, die ein staatlich erzwungener Getreideexport auslöste,[10] starben etwa 15 % der Krimtataren. In der autonomen Sowjetrepublik war das Krimtatarische offizielle Sprache neben dem Russischen und krimtatarische Kultur und Sprache wurden gefördert. Ab 1927 mit dem Beginn des stalinistischen Terrors wendete sich das Blatt, kulturelle Einrichtungen der Krimtataren wurden wieder verboten und die traditionelle arabische Schreibweise des Krimtatarischen wurde kurz nacheinander durch die lateinische und dann durch die kyrillische Schreibweise ersetzt. Das bedeutete den Verlust des Zugangs zur geschriebenen Tradition für die nachfolgenden Generationen.

Prozentualer Anteil der Krimtataren an der Gesamtbevölkerung der Region 1939

Die Bevölkerung der Krim bestand im Jahre 1936 den Angaben der ersten Ausgabe der Großen Sowjetischen Enzyklopädie zufolge aus: Russen 43,5 %; Ukrainer 10 %, Juden 7,4 %, Deutsche 5,7 %, Tataren 23,1 % (202.000 aus der Gesamtbevölkerung von 875.100).[11]

Der Stalinismus und der Große Terror trafen auch die Krimtataren. Durch die verschiedenen „Säuberungswellen“, vor allem im Jahr 1936, kamen 30.000 bis 40.000 Krimtataren ums Leben.[12]

Deutsche Besetzung, Kollaboration und Deportation im Zweiten Weltkrieg

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Prozentualer Anteil der Krimtataren auf der Krim bei der Volkszählung 2001
Prozentualer Anteil der Krimtataren auf der Krim bei der Volkszählung 2014

Die deutschen Besatzungstruppen des Zweiten Weltkrieges wurden aufgrund der erlittenen Unterdrückung 1941 auf der Krim freundlicher empfangen als an anderen Orten der Sowjetunion. Etwa 20.000 Krimtataren, also etwa 7 Prozent der gesamten krimtatarischen Bevölkerung, stellten sich der Wehrmacht zur Verfügung, praktisch alle wehrfähigen Männer, doppelt so viele, wie zur Roten Armee eingezogen worden waren. Krimtatarische Einheiten wurden vom deutschen Sicherheitsdienst im rückwärtigen Gebiet und zur Partisanenbekämpfung eingesetzt, außerdem als Selbstschutz in den Dörfern.[13] Als Verband aus krimtatarischen Freiwilligen wurde im Juli 1944 die tatarische SS-Waffen-Gebirgs-Brigade Nr. 1 gebildet.[14] Auf Initiative des Führers der Einsatzgruppe D des Sicherheitsdienstes, SS-Oberführer Otto Ohlendorf, gelang es, viele der kollaborationswilligen Krimtataren, die schon in der Anfangsphase der Besetzung der Krim für Spitzelaufgaben herangezogen wurden, für diese Truppe zu gewinnen und damit die personell geschrumpfte deutsche 11. Armee zu ergänzen. Ende 1944 wurde die Brigade aufgelöst, ihre zuletzt 3500 Kämpfer wurden der SS-Waffengruppe Krim zugeteilt.

Auch an der sowjetischen Partisanenbewegung beteiligten sich Krimtataren. Acht Krimtataren wurden mit dem Titel Held der Sowjetunion ausgezeichnet, einem krimtatarischen Piloten – Amet-Chan Sultan – wurde dieser Preis zweimal verliehen.[15]

Am 9. April 1944 verlor die Wehrmacht Odessa. In der Schlacht um die Krim gelang der Roten Armee bis zum 12. Mai die vollständige Rückeroberung der Halbinsel.

Aus den südlichen Regionen der Sowjetunion wurden im Zweiten Weltkrieg mehrere Völker, von denen versucht worden war, den Krieg zu nutzen, um deren Unabhängigkeit durchzusetzen, in den asiatischen Teil der Sowjetunion deportiert. Die autonomen Republiken der Kalmücken, Tschetschenen und Inguschen wurden aufgelöst, auch die Autonome Sowjetrepublik Krim. Unter dem Vorwurf der kollektiven Kollaboration mit den Nazis wurden alle Krimtataren nach Zentralasien deportiert. Das Bestreben zur Deportation der Krimtataren wurde mit höchster Priorität von der Sowjetunion umgesetzt. Nur ein Tag nachdem Lawrenti Beria, der Vorsitzende des NKWD, Stalin seinen Plan für die Deportation vorgelegt hatte, wurde ein Erlass von der Verteidigungs-Kommission unter der Führung von Stalin herausgegeben. Die Verordnung führte einerseits die genaue Umsetzung der Deportationen Schritt für Schritt auf, andererseits rechtfertigte sie auch das Vorhaben aus der Sicht der Sowjetunion.[16] Die veröffentlichte Verordnung von Stalin für diese Operation beschreibt die Anschuldigungen an die Krimtataren. Sie seien besonders für ihre grausamen Repressalien gegen sowjetische Partisanen bekannt und hätten maßgeblich zum Versuch beigetragen, das sowjetische Volk mithilfe der Deutschen zu vernichten. Der erste Befehl Stalins im Erlass lautet wie folgt: „Alle Tataren sind aus dem Gebiet der Krim zu vertreiben und dauerhaft als Sondersiedler in die Regionen der Usbekischen SSR umzusiedeln. Die Umsiedlung wird dem sowjetischen NKWD übertragen. Der sowjetische NKWD (Genosse Beria) soll die Umsiedlung bis zum 1. Juni 1944 abschließen.“[17] Danach wird das Vorgehen für die Deportationen detailreich geschildert, wobei das erlaubte Gepäck der Deportierten geklärt wird, was mit der zurückgelassenen Infrastruktur geschehe und welche Kommission für welchen Teil der Deportation verantwortlich sei. Die Verordnung versprach sogar, dass den Deportierten Darlehen von sieben Jahren und bis zu 5000 Rubel pro Familie ausgezahlt werde.[17] Innerhalb weniger Tage (18. bis 20. Mai 1944) wurden etwa 189.000 Menschen[18] unter fürchterlichen Bedingungen per Zug verfrachtet. Die Waggons der Deportierten wurden häufig tagelang nicht geöffnet, zwischen 22 % und 46 % bewegen sich die Schätzungen über die Prozentzahl der Todesopfer durch Verdursten, Verhungern und Krankheiten.

Die sowjetische Deportation von 1944 hatte den Charakter eines Völkermords im Allgemeinen und an den Krimtataren im Besonderen: Sie zielte darauf ab, die Krimtataren als eigenständige Nationalität vollständig von der Landkarte zu tilgen und ihre traditionelle Lebensweise, soziale Struktur und kulturellen Einrichtungen zu beseitigen.[19]

Während der folgenden Jahre wurden weitere nichtslawische Minderheiten (zumeist Krimarmenier, Griechen, Krimdeutsche, Krimitaliener) in die Emigration getrieben; nur Russen, Weißrussen und Ukrainer wurden ermutigt, dort zu siedeln.[20]

Durch Beschluss des Obersten Sowjets der UdSSR am 19. Februar 1954[21] aus Anlass des 300. Jahrestags des Vertrages von Perejaslaw wurde die Oblast Krim am 26. April 1954 an die Ukrainische Sozialistische Sowjetrepublik (USSR) übertragen.

Bevölkerungsgruppen der Krim (gesamt und in %): 18. Jahrhundert – Juli 2014 (nach der Annexion der Krim durch Russland):
! Krimtataren

Unter den nichtrussischen nationalen Bewegungen in der Sowjetunion seit den 1960er Jahren wurden die Krimtataren am frühesten und intensivsten politisch mobilisiert. Sie setzten sich für die Rückkehr in ihre Heimat und die Wiedererrichtung ihrer Republik ein. 1967 wurden die Krimtataren zwar vom Präsidium des Obersten Sowjets per Dekret vom Vorwurf des kollektiven Verrats freigesprochen,[22] unter den politischen Häftlingen der 1970er Jahre waren sie aber weit überproportional vertreten.

1985 hatte Gorbatschows Glasnost und Perestroika begonnen. Seit 1989 durften sie schließlich trotz der Gegnerschaft der inzwischen dort lebenden Bevölkerung[23] wieder zurückkehren, jedoch nicht in ihre ursprünglichen Siedlungsgebiete. Stattdessen wurden sie auf der Halbinsel verteilt.

1990 gab es wieder etwa 20.000 Krimtataren auf der Krim. Sie erhielten aber trotz Perestroika keine Unterstützung von den Behörden. Teilweise wurden sie erneut deportiert oder ihre provisorischen Häuser zerstört. Viele ließen sich ohne behördliche Erlaubnis nieder.

Im zweiten Halbjahr 1991 zerfiel die Sowjetunion; im Zuge dieses Prozesses erklärten am 24. September 1991 die Ukraine und tags darauf Belarus ihre Unabhängigkeit.

Im Juni 1991 wurde auf der Krim der Medschlis des Krimtatarischen Volkes organisiert, ein Rat der Krimtataren, der eine politische Vertretung der krimtatarischen Nationalbewegung darstellt. Derzeitiger Vorsitzender ist Refat Abdurachmanowitsch Tschubarow.

Minderheit in der zur Ukraine gehörenden Krim

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Seit Ende der 1980er-Jahre sind (Stand ca. 2008) etwa 266.000 aus der Deportation zurückgekehrt.[24][25] Inzwischen haben sie friedlich ihre politische Anerkennung erreicht, nicht jedoch die rechtliche. Da auf der Krim das Mehrheitswahlrecht gilt, sind alle Minderheiten im Krim-Parlament unterrepräsentiert.

1992 wurde Krimtatarisch zur dritten regionalen offiziellen Sprache der Halbinsel erklärt, da deren Sprecher zwischenzeitlich über 10 Prozent der Bevölkerung ausmachten.

Die Krimtataren verbündeten sich in der Regel mit der Zentralregierung der Ukraine gegen die an Russland orientierte Regierung der Krim. 1998 verloren sie die Garantie einer festen Zahl von Sitzen im Parlament von Kiew. Die Wiederherstellung dieser Quote, eine angemessene Vertretung in den Behörden sowie die Verbesserung ihrer wirtschaftlichen und sozialen Lage sind Ziele der krimtatarischen Bewegung. In den 1990er-Jahren hatten ihre Demonstrationen und Auseinandersetzung mit den Ordnungskräften ein erhebliches Gewaltpotential.[26]

Seit der Orangefarbenen Revolution (2004), die von den Krimtataren unterstützt wurde, unterstützt die Regierung in Kiew die Rechte der Krimtataren als regionaler Minderheit auf der Krim (bzw. in der dortigen Gebietskörperschaft).

Die Mehrheit der Krimtataren ist sunnitisch. Heute sind vermutlich etwa 280.000 oder fast 12 Prozent der 2,5 Millionen Bewohner der Krim Krimtataren; 150.000 Krimtataren leben noch in Usbekistan, eine große Zahl auch im südrussischen Bezirk Krasnodar.

Wie der Hochkommissar für nationale Minderheiten der OSZE im August 2013 berichtete, führte die Rückwanderung der ehemals deportierten Minderheiten auf der Krim zu sozialen und wirtschaftlichen Spannungen. Es gab Fälle von Hasspredigten, Verwüstungen religiöser Stätten, gewaltsamen Zusammenstößen und weit verbreitete Besetzungen von Grund und Boden.[25] Dies kann jedoch auch als anti-muslimische Propaganda Russlands verstanden werden, das eine Rückkehr der Krimtataren ablehnt, um den hohen russischsprachigen Bevölkerungsanteil auf der Krim zu erhalten.

Annexion der Krim durch Russland

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Während der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim durch Russland 2014 rief der Medschlis des Krimtatarischen Volkes, eine nationalpolitische Vereinigung von Krimtataren, riefen zum Boykott des rechtswidrigen Referendums über den Status der Krim auf, das der Annexion voranging. Die von Russland eingesetzte Krim-Regierung bot dem Rat der Krimtataren einen Platz im Kabinett, wenn er die neue Regierung anerkenne.[27] Milli Firka, die wiedergegründete krimtatarische Partei, erklärte dagegen, die Krimtataren würden dem Boykottaufruf des Medschlis nicht folgen.[28]

Seit der Annexion der Krim im Frühjahr 2014 leben die Krimtataren wieder de facto, aber von der großen Mehrheit der Weltgemeinschaft nicht anerkannt, unter russischer Herrschaft.

Seit 2006 gab es mit ATR den privaten Fernsehsender eines krimtatarischen Geschäftsmanns. Nach der Annexion der Halbinsel durch Russland erhielt er keine Sendelizenz mehr. Seitdem sendet er aus Kiew.

Krimtataren, die aufgrund des russischen Kriegs im Osten der Ukraine bzw. wegen der Annexion der Krim als Internally displaced persons (IDPs) in die westlichen Landesteile geflüchtet sind, werden unter anderem von der Lemberger Nichtregierungsorganisation Crimea SOS in Zusammenarbeit mit dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen betreut.[29]

Im April 2014 erließ Russlands Präsident Putin ein Gesetz über die „Rehabilitierung der Krimtataren“, die unter der Gewaltherrschaft von Stalin gelitten hatten. Man müsse alles tun, damit der „Anschluss an die Russische Föderation von der Wiederherstellung legitimer Rechte der krimtatarischen Nation flankiert werden könne“ – so Putin.[30]

Tatsächlich jedoch stellten die Vereinten Nationen 2017 fest, dass die Menschenrechtslage auf der Krim sich seit der Annexion durch Russland signifikant verschlechtert hat.[31]

Die Strafverfolgungsbehörden der Russischen Föderation führten Strafprozesse gegen mehrere Dutzend Krimtataren, die die ihnen zwangsweise verliehene russische Staatsbürgerschaft nicht akzeptieren wollten. Inhaftiert wurden auch Teilnehmer von Protestaktionen.[32]

Tataren flohen in die übrigen Teile der Ukraine, versuchten zu fliehen nach dem Russischen Überfall auf die Ukraine 2022, und nochmals bei der Anordnung der russischen Mobilmachung im September 2022.[33][34]

Nach 2014 lebten Krimtataren beispielsweise auf dem ukrainischen Festland in der Region Winnyzja.[35] Isa Akajew ist Kommandant des von ihm in Kiew gegründeten Krim-Bataillons mit etwa 50 Kämpfern. Er war im Einsatz gegen den Überfall auf Kiew 2022.[36] Im Untergrund operiert seit 2022 die Partisanengruppe Atesh gegen das russische Militär.[37]

Kulturverein in der Diaspora (vorne: Mustafa Abduldschemil Dschemilew)

Der Großteil der Krimtataren und ihrer Nachfahren lebt in der Diaspora in der Türkei. Bis zu 5 Mio. werden angegeben, die vollständig integriert und über entsprechende Kulturvereine eng vernetzt sind. Darunter fallen auch die Nachfahren der schon im 19. Jahrhundert in das Osmanische Reich ausgewanderten Krimtataren. Schwerpunkt bildet die Stadt Eskişehir. Eine ähnliche Vorgeschichte haben die Krimtataren in Rumänien und Bulgarien. In Ostthrakien im heutigen europäischen Teil der Türkei leben Krimtataren schon seit der osmanischen Zeit, insbesondere Mitglieder der Giray in Edirne und Umgebung.[38][39]

Die zweitgrößte Gruppe bilden die Nachfahren der von Stalin deportierten Bewohner in die zentralasiatischen Staaten, vor allem Usbekistan (100.000). Diese machen einen großen Teil der Rückkehrer aus.

Die Dschuma Dschami in Jewpatorija

Die heutigen Krimtataren sind sunnitische Muslime hanafitischer Rechtschule. Seit der vermehrten Rückkehr der Vertriebenen gibt es wieder einige repräsentative Gotteshäuser, die Imame werden jedoch aufgrund fehlender Ausbildungsmöglichkeiten meist im Ausland, vor allem in der Türkei, ausgebildet.

Das religiöse Verständnis wird u. a. durch İsmail Gasprinski stark von einer säkularen, reformatorischen Lehrmeinung dominiert, die schon in der Volksrepublik Krim als erste säkulare Republik in der islamischen Welt kurzzeitig Ausdruck fand. Einfluss hatte hier auch die später erfolgte Säkularisierung der Türkei unter Kemal Atatürk.[40]

In letzter Zeit soll es vermehrt inoffizielle Prediger aus dem arabischen Raum geben, die radikalere Lehren predigen, unter anderem die Hizb ut-Tahrir. Große islamistische-motivierte Vorkommnisse oder Organisationen gibt es allerdings nicht.[41]

Die Anfänge der krimtatarischen Literatur finden sich in der Dīwān-Literatur der Khans. So gelten die Khans Ğazı II Giray (1554–1608) und Halim Giray Han (1772–1824) als bekannte Dichter. Sie ist stark von der persischen Lyrik beeinflusst.

Nach der Russischen Revolution 1905 erlangt die Literatur eine neue Blüte. In der von İsmail Gasprinski herausgegebenen Zeitung Tercüman sammelte sich ein Kreis krimtatarischer Autoren und Politiker wie Hasan Sabri Ayvazov (–1936) und Ahmet Özenbaşlı (1867–1924). Gegen die „zu gemäßigt“ aufgefassten Positionen bildete sich in der Zeitung Vatan hâdimi eine literarische Gegenbewegung mit der Gruppe der „Genç Tatarlar“ („Jungtataren“).

1928 wurde auch von den Krimtataren das Neue Turksprachige Alphabet übernommen, das allerdings schon 1938 durch Anweisung Stalins zugunsten eines modifizierten kyrillischen abgelöst wurde.

Mit der vollständigen Deportation der Krimtataren kam der Literaturbetrieb abrupt zu Ende. Die Zeit der Deportation, des Exils und der Rückkehr wurden von dem im englischen Exil lebenden Cengiz Dağcı in Worte gefasst. Zu den zeitgenössischen Autoren gehören ferner Şakir Selim, Ablayaziz Veliyev, Rıza Fasil und Yunus Kandim. Die Zahl der Menschen, die die krimtatarische Sprache verwenden, wird heute auf 500.000 geschätzt, wovon etwa die Hälfte auf der Krim lebt.

Bekannte Krimtataren

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  • Alan W. Fisher: The Crimean Tatars. Hoover Press, 1978, ISBN 0-8179-6662-5.
  • Alexandre Billette: Der russische Feind. In: Le Monde diplomatique. Nr. 8152, 15. Dezember 2006, S. 23.
  • Alim Alijew, Anastassija Lewkowa: Qirim іnciri. Кримський інжир. Чаїр. Wydawnyztwo Staroho Lewa, Lwiw 2021, ISBN 978-617-679-950-4
  • Anastassija Lewkowa: За Перекопом є земля. Кримський роман. Laboratorija, Kyjiw 2023, ISBN 978-617-8203-81-8
  • Brian Glyn Williams: The Hidden Ethnic Cleansing of Muslims in the Soviet Union. The Exile and Repatriation of the Crimean Tatars. In: Journal of Contemporary History. Band 37, Nr. 3, Juli 2002, ISSN 0022-0094, S. 323–347.
  • Brian Glyn Williams: The Crimean Tatars. From Soviet Genocide to Putin’s Conquest. Hurst, London 2015, ISBN 1-84904-518-6.
  • Norman M. Naimark: Flammender Haß. Ethnische Säuberungen im 20. Jahrhundert (= Fischer. Die Zeit des Nationalsozialismus. 17890). Fischer Taschenbuch, Frankfurt am Main 2008, ISBN 978-3-596-17890-2, S. 128–139.
  • Donald Rayfield: 'A Seditious and Sinister Tribe’: The Crimean Tatars and Their Khanate. Reaktion Books, 2024.
  • Greta Lynn Uehling: Beyond Memory. The Crimean Tatars’ Deportation and Return. Palgrave Macmillan, New York NY u. a. 2004, ISBN 1-4039-6264-2.
  • V. Stanley Vardys: The Case of the Crimean Tartars. In: Russian Review. Band 30, Nr. 2, April 1971, ISSN 0036-0341, S. 101–110.
  • Ulrich Hofmeister, Kerstin S. Jobst (Hrsg.): Krimtataren. In: Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften (ÖZG) / Austrian Journal of Historical Studies, 28, 2017. 1. Studienverlag, ISSN 1016-765X (online).
Commons: Krimtataren – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wiktionary: Krimtatar – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

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  1. a b Wolfgang Schulze: Krimtatarisch. In: Miloš Okuka, Gerald Krenn (Hrsg.): Lexikon der Sprachen des europäischen Ostens (= Wieser-Enzyklopädie des europäischen Ostens. Band 10). Wieser Verlag, Klagenfurt/Celovec 2002, ISBN 3-85129-510-2, S. 799–804 (aau.at [PDF; 192 kB]).
  2. John E. Woods, Judith Pfeiffer, Ernest Tucker: Archivum Eurasiae Medii Aevi. Otto Harrassowitz, 1. Januar 2005 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  3. Яворницький Д. І. Історія запорозьких козаків. У 3-х т. ‒ Т. 1. АН Української РСР. Археографічна комісія, Інститут історії. ‒ К.: Наукова думка, 1990. — С. 331—342
  4. Eizo Matsuki: The Crimean Tatars and their Russian-Captive Slaves (Memento vom 5. Juni 2013 im Internet Archive) (PDF; 364 kB). Mediterranean Studies Group at Hitotsubashi University.
  5. Alan W. Fisher: The Crimean Tatars. Hoover Press, 1978, S. 26. in der Google-Buchsuche.
  6. Günther Stökl: Russische Geschichte. Von den Anfängen bis zur Gegenwart (= Kröners Taschenausgabe. Band 244). 4., erweiterte Auflage. Kröner, Stuttgart 1983, ISBN 3-520-24404-7, S. 421.
  7. Alan W. Fisher: The Crimean Tatars. Hoover Press, 1978, S. 79–90 eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche
  8. Andreas Kappeler: Russland als Vielvölkerreich: Entstehung – Geschichte – Zerfall. C.H. Beck, München 1993, ISBN 3-406-36472-1, S. 50 (Krimtataren in der Google-Buchsuche).
  9. Kerstin Jobst: Im Spiel mit grossen Mächten? Nationale Konflikte nach dem Zerfall des Zarenreiches bis zum Beginn des russischen Bürgerkrieges 1918/19 auf der Halbinsel Krim. In: Philipp Ther: Die dunkle Seite der Nationalstaaten: „ethnische Säuberungen“ im modernen Europa. Göttingen 2011, ISBN 978-3-525-36806-0, 83 ff.
  10. Akira Iriye, Jürgen Osterhammel, Emily S. Rosenberg, Charles S. Maier: Geschichte der Welt 1870–1945. Weltmärkte und Weltkriege. München 2012, ISBN 978-3-406-64105-3, S. 559.
  11. Hier zitiert nach V. Stanley Vardys, 1971.
  12. Kerstin S. Jobst: Geschichte der Krim. Iphigenie und Putin auf Tauris. De Gruyter Oldenbourg, Berlin 2020, S. 269.
  13. Rolf-Dieter Müller: An der Seite der Wehrmacht: Hitlers ausländische Helfer beim »Kreuzzug gegen den Bolschewismus« 1941–1945. Berlin 2007, ISBN 978-3-86153-448-8, S. 237.
  14. David Motadel: Islam and Nazi Germany’s War. Harvard University Press 2014, S. 235 ff.
  15. Isabelle Kreindler: The Soviet Deportated Nationalities: A Summary and an Update. In: Soviet Studies. Band 38, Nr. 3, Juli 1986, S. 391, JSTOR:151700.
  16. Sürgün: The Crimean Tatars' deportation and exile | Sciences Po Violence de masse et Résistance - Réseau de recherche. 19. Januar 2016, abgerufen am 12. Mai 2024 (französisch).
  17. a b Decree No. 5859ss. In: Seventeen Moments in Soviet History. 31. August 2015, abgerufen am 12. Mai 2024 (amerikanisches Englisch).
  18. Philipp Ther: Die dunkle Seite der Nationalstaaten: „ethnische Säuberungen“ im modernen Europa. Göttingen 2011, ISBN 978-3-525-36806-0, S. 136.
  19. Martin-Oleksandr Kisly: Crimean Tatars: Claiming the Homeland. In: Ukraine's Many Faces. transcript Verlag, Bielefeld 2023, ISBN 978-3-8394-6664-3, S. 249, doi:10.1515/9783839466643-025.
  20. Isabelle Kreindler: The Soviet Deportated Nationalities: A Summary and an Update. In: Soviet Studies. Band 38, Nr. 3, Juli 1986, S. 396.
  21. The Transfer of the Crimea to the Ukraine (englisch)
  22. Friedrich-Christian Schroeder, Herbert Küpper: Die rechtliche Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit in Osteuropa. Frankfurt 2010, ISBN 978-3-631-59611-1, S. 192.
  23. Hans-Heinrich Nolte: Kleine Geschichte Rußlands. Reclam, Stuttgart 1998, ISBN 3-15-009696-0, S. 410.
  24. Andreas Kappeler: Kleine Geschichte der Ukraine. München 2009, ISBN 978-3-406-58780-1, S. 268.
  25. a b Integration of formerly deported people in Crimea, Ukraine, is focus of OSCE High Commissioner on National Minorities’ latest report, über den Bericht „The Integration of Formerly Deported People in Crimea, Ukraine“ der OSZE vom 16. August 2013.
  26. Andreas Kappeler: Kleine Geschichte der Ukraine. München 2009, ISBN 978-3-406-58780-1, S. 268f.
  27. Tataren auf der Krim: Gängelband oder Widerstand. auf: Spiegel Online. 22. März 2014 (ein Bericht aus Bachtschissarai und Simferopol).
  28. Uwe Halbach: Analyse: Die Krimtataren in der Ukraine-Krise. Bundeszentrale für politische Bildung, November 2014.
  29. Webseite des UNHCR mit der Präsentation der NGO Crimea SOS (Memento vom 4. Juli 2016 im Internet Archive) (englisch)
  30. Путин подписал указ о реабилитации крымских татар. In: ТАСС. (tass.ru [abgerufen am 27. Oktober 2017]).
  31. Konrad Schuller: Alte sowjetische Methoden. FAZ, 29. September 2017, S. 8.
  32. In Russland gefangene Bürger der Ukraine. 88 von OVD-Info recherchierte Fälle. In: Osteuropa, 6/2018, S. 3–48.
  33. Let’s Not Forget the Less Visible Victims of This War, Moscow Times, 24. Oktober 2022.
  34. Shaun Walker: ‘A way to get rid of us’: Crimean Tatars decry Russia’s mobilisation. In: The Guardian. 25. September 2022, ISSN 0261-3077 (theguardian.com [abgerufen am 8. Oktober 2023]).
  35. Isa Akaiev, Engineer, Father of Many Children, Reconnaissance Man (English) www.gur.gov.ua, abgerufen am 6. Juni 2022
  36. Bataillon aus Krimtataren hofft auf Einsatz in Cherson. www.n-v.de, abgerufen am 6. Juni 2022.
  37. Julian Borger: The underground Crimean Tatar group taking up arms against Russia. In: theguardian.com. Guardian News & Media Limited, 17. Juli 2023, abgerufen am 27. September 2023 (britisches Englisch).
  38. Trakya’da Kırım Sürgününün 67. Yılı Anma Etkinlikleri. www.kirimdernegi.org.tr, 19. Mai 2011, abgerufen am 23. Februar 2023 (türkisch).
  39. Kırım Hanlarının Trakya’daki Mezar Taşları. emelvakfi.org, 1998, abgerufen am 23. Februar 2023 (türkisch).
  40. Brian Glyn Williams: The Crimean Tatars: The Diaspora Experience and the Forging of a Nation. Brill, 2001, S. 113.
  41. Ann-Dorit Boy: Die Furcht vor den Islamisten. In: FAZ. 10. März 2014.