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„Neuluthertum“ – Versionsunterschied

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Das '''Neuluthertum''' war eine [[Theologie|theologische]] Strömung des [[19. Jahrhundert]]s innderhalb der [[Martin Luther|Lutherischen]] [[Protestantismus]].
Das '''Neuluthertum''' war eine [[Theologie|theologische]] Strömung des 19. Jahrhunderts innerhalb des [[Martin Luther|lutherischen]] [[Protestantismus]].
Das Neuluthertum wurzelte in der [[Erweckungsbewegung]] und sah seine Aufgabe in „der wissenschaftlichen Vertretung des kirchlichen Bekenntnisses“ ([[Gottfried Thomasius (Theologe)|Gottfried Thomasius]]). Das Festhalten an [[Bibel|Schrift]] und Bekenntnis war Hauptmerkmal des Neuluthertums. Dabei kam es zur scharfen Abgrenzung gegen die [[Vernunft]]-Forderung des [[Theologischer Rationalismus|theologischen Rationalismus]], aber auch gegen die Union der Lutheraner mit den [[Calvinismus|Calvinisten]] ([[Claus Harms]]), wodurch sich das Neuluthertum von der Erweckung unterschied.


==Überblick==
== Entwicklung ==


Die Anfänge des neuen lutherischen [[Konfessionalismus]] werden in der Regel in [[Franz Volkmar Reinhard]]s ''Reformationspredigt'' zum Neujahr 1800, die allerdings zuerst recht wirkungslos blieb, und in [[Claus Harms]] Thesen zum Jubiläum der [[Reformation]] 1817 gesehen. Schon letzterer setzte sich scharf mit der [[Preußische Union|Preußischen Union]] auseinander. Weitere Vertreter waren innerhalb der Union [[August Hahn (Theologe)|August Hahn]] und [[Ernst Wilhelm Hengstenberg]], deren Ansatz zur [[Repristinationstheologie|Repristination]] zu zählen ist.
Das Neuluthertum wurzelte in der [[Erweckungsbewegung]] und sah seine Aufgabe in "der wissenschaftlichen Vertretung des kirchlichen Bekenntnisses" (Thomasius). Das Festhalten an [[Bibel|Schrift]] und Bekenntnis war Hauptmerkmal des Neuluthertums. Dabei kam es zur scharfen Abgrenzung gegen die [[Vernunft]]-Forderung des [[Theologischer Rationalismus|theologischen Rationalismus]] <small>(''s.dort'' auch die Entwicklung)</small>, aber auch gegen die Union der Lutheraner mit den [[Calvinismus|Calvinisten]] ([[Claus Harms|Harms]]), wodurch sich das Neuluthertum von der Erweckung unterschied.


In ähnlicher Weise, in der sich die Erweckung vom neulutherischen Antiunionismus abgrenzte, kam es auch zum Bruch mit vielen [[evangelisch-lutherische (altlutherische) Kirche|Altlutheranern]], wie [[Johann Gottfried Scheibel]]. Erstmals in aller theologischen Differenzierung vertreten wurde das Neuluthertum in der [[Erlanger Theologie|Erlanger Schule]]. Ihre Mitbegründer [[Adolf Harless]] und [[Johann Christian Konrad von Hofmann|Johann von Hofmann]] wirkten auch auf [[Leipzig]], wo dann die Professoren [[Karl Friedrich August Kahnis]], [[Christoph Ernst Luthardt]] und [[Franz Delitzsch]] als das sog. „lutherische Dreigestirn“ wirkten. In [[Neuendettelsau]] fand sich in [[Wilhelm Löhe]] ein wichtiger Anhänger des neuen Luthertums.
==Entwicklung==


In [[Königreich Sachsen|Sachsen]] wurde das Neuluthertum ferner durch [[Andreas Gottlob Rudelbach]], der von [[Nikolai Frederik Severin Grundtvig|Grundtvig]] beeinflusst war, in [[Mecklenburg]] von [[Theodor Kliefoth]], in [[Kurfürstentum Hessen|Kurhessen]] von [[August Friedrich Christian Vilmar|August Vilmar]] und in [[Berlin]], versehen mit politisch konservativen Zügen von den Brüdern [[Ludwig Friedrich Leopold von Gerlach|Leopold]], [[Ernst Ludwig von Gerlach|Ernst Ludwig]] und [[Otto von Gerlach]] und [[Friedrich Julius Stahl]] vertreten. In [[Hannover]] fanden sich [[Ludwig Harms]], [[August Friedrich Otto Münchmeyer]], [[Ludwig Adolf Petri]], [[Gerhard Uhlhorn]] und weitere Anhänger des Neuluthertums. Die Verbreitung in das deutschsprachige [[Baltikum]] gelang zuletzt durch [[Theodosius Harnack]] sowie [[Ernst Sartorius]] und [[Friedrich Adolf Philippi]]. In [[Dänemark]] und [[Schweden]] (vor allem in der Theologischen Fakultät der [[Universität Lund]]) fand sich das Neuluthertum mit starker Akzentuierung des Hegelschen Organismus-Gedankens und in geistiger Nähe zur Stahl-Gruppe bei [[Ebbe Gustaf Bring]], [[Wilhelm Flensburg]] und [[Anton Niklas Sundberg]].
Die Anfänge des neuen lutherischen [[Konfessionalismus]] werden in der Regel in [[Franz Volkmar Reinhard]]s ''Reformationspredigt'' zum Neujahr [[1800]], die allerdings zuerst recht wirkungslos blieb, und in [[Claus Harms]]' Thesen zum Jubiläum der Reformation [[1817]] gesehen. Schon letzterer setzte sich scharf mit der Union auseinander. Weitere Vertreter waren [[August Hahn]] und [[Ernst Wilhelm Hengstenberg]], deren Ansatz zur [[Repristination]] zu zählen ist.


== Theologie ==
In ähnlicher Weise, in der sich die Erweckung vom neulutherischen Antiunionismus abgrenzte, kam es auch zum Bruch mit vielen Altlutheranern, wie [[Johann G. Scheibel]]. Erstmals in aller theologischen Differenzierung vertreten wurde das Neuluthertum in der [[Erlanger Schule]] <small>(''s. dort'')</small>. Ihre Mitbegründer [[Adolf Harless]] und [[Johann Christian Konrad von Hofmann|Konrad Hofmann]] wirkten auch auf [[Leipzig]]. In [[Neuendettelsau]] fand sich in [[Wilhelm Löhe]] ein wichtiger Anhänger des neuen Luthertums.
In Bezug auf die [[Bibel]] wurde die [[Offenbarung]] im Neuluthertum nicht mehr als (aufgeschriebene) Lehre, sondern als lebendiges Wirken Gottes gesehen. Das Wort ist Träger [[Jesus Christus|Christi]] (Thomasius, Vilmar). Darauf baut sich eine „[[Zweinaturenlehre|Zwei-Naturen-Lehre]] des Wortes“ (so [[Theodor Heckel]] über Harless) auf, die die Beziehung zwischen Wort und Christus derjenigen zwischen seiner menschlichen und seiner göttlichen Natur entsprechen lässt: „Im Christentum ist das Wort Fleisch geworden“ ([[Johann Wilhelm Friedrich Höfling|Höfling]]). Hierin kommt der große Einfluss [[Johann Georg Hamann]]s auf die [[Erlanger Theologie]] zum Tragen.


Dementsprechend lag ein starker Akzent auf der [[Ekklesiologie|Kirche]] (in extenso bei Löhe, allerdings in Ablehnung des Organismus-Gedankens). Die (fortschreitende) Bildung eines Verständnisses der Offenbarung manifestierte sich (in deutlicher Adaption Hegels) dann in der Bekenntnisbildung. Das Bekenntnis konnte hier und da schon den Rang der Schrift erreichen (am stärksten bei Löhe). Es ist inhaltlich teilweise auf das [[Augsburger Bekenntnis]] begrenzt (Vilmar), teilweise als das ganze [[Konkordienbuch]] umfassend verstanden (Thomasius).
In [[Sachsen]] wurde das Neuluthertum durch [[Andreas Gottlob Rudelbach]], der von [[Nicolai Frederik Severin Grundtvig|Grundtvig]] beeinflusst war, in [[Mecklenburg]] von [[Theodor Kliefoth]], in [[Hessen]] von [[August Friedrich Christian Vilmar|August Vilmar]] und in [[Berlin]], versehen mit konservativen Zügen von den Brüder [[Leopold von Gerlach|Leopold]], [[Ernst Ludwig von Gerlach|Ernst Ludwig]] und [[Otto von Gerlach]] und [[Friedrich Julius Stahl]] vertreten. In [[Hannover]] fanden sich [[Ludwig Harms]], [[August Friedrich Otto Münchmeyer|Münchmeyer]] und [[Ludwig Adolf Petri|Petri]] weitere Anhänger des Neuluthertums. Die Verbreitung in das deutschsprachige [[Baltikum]] gelang zuletzt durch [[Theodosius Harnack]] sowie [[Ernst Sartorius]] und [[Friedrich Adolf Philippi]]. In [[Dänemark]], vor allem in [[Lund]] fand sich das Neuluthertum mit starker Akzentuierung des [[Hegel]]schen Organismus-Gedankens und in geistiger Nähe zur Stahl-Gruppe bei [[Ebbe Gustaf Bring]], [[Wilhelm Flensburg]] und [[Anton Niklas Sundberg]].


Auch wurde die Rezeption der [[Kirchenvater|Kirchenväter]] (vor allem der ersten fünf Jahrhunderte) wieder wichtig, in der die rückbezügliche „Katholizität“ der Kirche gesichert sei (vor allem bei Löhe, Vilmar, Delitzsch und ebenso den römischen Katholiken [[Johann Adam Möhler]] und [[John Henry Newman]]). Von dieser gesicherten Tradition wollte man dann fortschreiten und die Weiterentwicklung betreiben (deutlich bei Löhe, auch bei Kliefoth, Vilmar, Thomasius u.&nbsp;a.). Ebenso wurde die [[Eschatologie]] als eine unabgeschlossene betrachtet (Löhe, Kliefoth, Luthardt).
==Theologie==


In praktischer Konsequenz wurde lebhaft um das Verständnis von Amt und Kirche gerungen. Nach der [[Märzrevolution|Revolution von 1848]] stand dann die Verfassungsfrage der Kirche im Mittelpunkt: Entweder ist die Kirche als eine Versammlung der Gläubigen, ''congregatio sanctorum'', zu betrachten (vor allem Höfling, auch die meisten Erlanger und Leipziger) oder sie ist eine „Anstalt“ (Stahl), ein Mittel (Kliefoth, Stahl, Vilmar, Löhe). Zudem tauchte die Frage nach der Akzentuierung der [[unsichtbare Kirche|unsichtbaren Kirche]] (Höfling u.&nbsp;a.) oder der sichtbaren Kirche (vor allem Stahl) auf. (Bei Löhe scheint die unsichtbare Teilmenge der sichtbaren zu sein). Das Amt wurde mehr oder weniger nahe dem [[Allgemeines Priestertum|allgemeinen Priestertum]] gesehen, teilweise aber als Gemeinde begründend verstanden (so Löhe gegen Harless). In den Hintergrund rückten [[Prädestination]], [[Rechtfertigung (Theologie)|Rechtfertigung]] und die Frage nach [[Gesetz und Evangelium]].
In Bezug auf die [[Bibel|Schrift]] wird die [[Offenbarung]] im Neuluthertum nicht mehr als (aufgeschriebene) Lehre, sondern als lebendiges Wirken Gottes gesehen. Das Wort ist Träger [[Jesus Christus|Christi]] (Thomasius, Vilmar). Darauf baut sich eine »Zwei-Naturen-Lehre des Wortes« (Th.Heckel über Harless) auf, die die Beziehung zwischen Wort und Christus derjenigen zwischen seiner menschlichen und seiner göttlichen Natur entsprechen lässt: »Im Christentum ist das Wort Fleisch geworden« (Höfling).


Die erwecklichen Tendenzen wurden in der Akzentuierung der [[Wiedergeburt (Christentum)|Wiedergeburt]] sichtbar, in der der Einzelne den objektiven Gehalt des Wortes subjektiv nachvollzieht. Der Akt, durch den die Wiedergeburt möglich wird, ist hiernach der [[Glaube (Religion)|Glaube]]. Die Wiedergeburt ist die „fortwerdende Menschwerdung Gottes“ (Kliefoth, Thomasius). Das Neuluthertum wäre dann [[Erfahrungstheologie]] und die Erfahrung läge im objektiven Offenbarungsgeschehen, das sich im subjektiven Glaubensakt ausdrückte, durch ihn hindurch sichtbar würde.
Dementsprechend liegt ein starker Akzent auf der [[Ekklesiologie|Kirche]] (in extensu bei Löhe, allerdings in Ablehnung des Organismus-Gedankens). Die (fortschreitende) Bildung eines Verständnisses der Offenbarung manifestiert sich (in deutlicher Adaption Hegels) dann in der Bekenntnisbildung. Das Bekenntnis kann hier und da schon den Rang der Schrift erreichen (vielleicht bei Löhe). Es ist inhaltlich teilweise auf das [[Augsburger Bekenntnis]] begrenzt (Vilmar), teilweise das ganze [[Konkordienbuch]] umfassend verstanden (Thomasius).


Aufgenommen wurden auf diese Weise [[Romantik|romantische]] wie auch [[Idealismus|idealistische]] Inhalte. So wurde der Organismusbegriff und seine Vorstellung von der Entwicklung der Philosophie [[Hegel|Georg W.F. Hegels]] und [[Friedrich Schelling]]s entlehnt.
Auch wird die Rezeption der [[Kirchenvater|Kirchenväter]] (vor allem der ersten fünf Jahrhunderte) wieder wichtig, in der die rückbezügliche »Katholizität« der Kirche gesichert ist (vor allem bei Löhe, Vilmar, Delitzsch und ebenso den katholischen [[Johann Adam Möhler]] und [[John Henry Newman]]). Von dieser gesicherten Tradition will man dann fortschreiten und die Weiterentwicklung betreiben (deutlich bei Löhe, auch bei Kliefoth, Vilmar, Thomasius u.a.). Ebenso wird die [[Eschatologie]] als eine unabgeschlossene betrachtet (Kliefoth, Luthardt).


Der Verlauf der Geschichte des Neuluthertums ist dann aber durchaus heterogen. Es konnte zur Restauration orthodoxer [[Bibeltheologie]] („Biblizismus“) (so bei Friedrich Adolf Philippi und [[Carl Ferdinand Wilhelm Walther]]) oder zu [[Repristinationstheologie|Repristination]] (bei Hengstenberg) kommen.
In praktischer Konsequenz wurde lebhaft um das Verständnis von Amt und Kirche gerungen. Nach der [[Revolution (1848)]] stand dann die Verfassungsfrage der Kirche im Mittelpunkt: Entweder ist die Kirche als eine Versammlung der Gläubigen, ''congregatio sanctorum'', zu betrachten (vor allem Höfling, auch alle Erlanger und Leipziger) oder sie ist eine »Anstalt« (Stahl), ein Mittel (Kliefoth, Stahl, Vilmar, Löhe). Zudem tauchte die Frage nach der Akzentuierung der [[unsichtbare Kirche|unsichtbaren Kirche]] (Höfling u.a.) oder der sichtbaren Kirche (vor allem Stahl) auf. (Bei Löhe scheint die unsichtbare Teilmenge der sichtbaren zu sein). Das Amt wurde mehr oder weniger nahe dem allgemeinen P[[riestertum]] gesehen, teilweise aber als Gemeinde begründend verstanden (so Löhe gegen Harless). In den Hintergrund rückten [[Prädestination]], [[Rechtfertigung]] und die Frage nach [[Gesetz und Evangelium]].


== Literatur ==
Die erwecklichen Tendenzen wurden in der Akzentuierung der [[Wiedergeburt]] sichtbar, in der der Einzelne den objektiven Gehalt des Wortes subjektiv nachvollzieht. Der Akt, durch den die Wiedergeburt möglich wird, ist hiernach der [[Glaube]]. Die Wiedergeburt ist die »fortwerdende Menschwerdung Gottes« (Kliefoth, Thomasius). Das Neuluthertum wäre dann [[Erfahrungstheologie]] und die Erfahrung läge im objektiven Offenbarungsgeschehen, dass sich im subjektiven Glaubensakt ausdrückte, durch ihn hindurch sichtbar würde.
* [[Friedrich Wilhelm Kantzenbach]], [[Joachim Mehlhausen]]: ''Neuluthertum''. In: [[Theologische Realenzyklopädie]] 24 (1994), S. 327–341.
* {{RGG|6|226|230|Neuluthertum|[[Anselm Schubert]], [[Markus Mühling]]}}
* [[Johannes Wallmann]]: ''Kirchengeschichte Deutschlands seit der Reformation.'' 7. Auflage. Mohr Siebeck, Tübingen 2012 (UTB; 1355), ISBN 978-3-8252-3731-8, S. 204–206.


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Aufgenommen wurden auf diese Weise [[Romantik|romantische]] wie auch [[Philosophischer Idealismus|idealistische]] Inhalte. So wurde der Organismusbegriff und seine Vorstellung von der Entwicklung der Philosophie [[Hegel|Georg W.F. Hegels]] und [[Friedrich Schelling]]s entlehnt.


[[Kategorie:Christentum in Deutschland (19. Jahrhundert)]]
Der Verlauf des Neuluthertums ist dann aber durchaus heterogen. Es kann zur Restauration orthodoxer [[Bibeltheologie]] (»Biblizismus«) (so bei [[Friedrich Adolf Philippi]] und [[Carl Ferdinand Wilhelm Walther|Carl F.W. Walther]]) oder zu [[Repristination]] (bei Hengstenberg) kommen.
[[Kategorie:Lutherische Theologie]]

[[Kategorie:Protestantismus]]
[[Kategorie:Theologische Schule]]
[[Kategorie:Christentumsgeschichte (Neuzeit)]]
[[Kategorie:Theologie]]

Aktuelle Version vom 22. Januar 2025, 21:57 Uhr

Das Neuluthertum war eine theologische Strömung des 19. Jahrhunderts innerhalb des lutherischen Protestantismus. Das Neuluthertum wurzelte in der Erweckungsbewegung und sah seine Aufgabe in „der wissenschaftlichen Vertretung des kirchlichen Bekenntnisses“ (Gottfried Thomasius). Das Festhalten an Schrift und Bekenntnis war Hauptmerkmal des Neuluthertums. Dabei kam es zur scharfen Abgrenzung gegen die Vernunft-Forderung des theologischen Rationalismus, aber auch gegen die Union der Lutheraner mit den Calvinisten (Claus Harms), wodurch sich das Neuluthertum von der Erweckung unterschied.

Die Anfänge des neuen lutherischen Konfessionalismus werden in der Regel in Franz Volkmar Reinhards Reformationspredigt zum Neujahr 1800, die allerdings zuerst recht wirkungslos blieb, und in Claus Harms’ Thesen zum Jubiläum der Reformation 1817 gesehen. Schon letzterer setzte sich scharf mit der Preußischen Union auseinander. Weitere Vertreter waren innerhalb der Union August Hahn und Ernst Wilhelm Hengstenberg, deren Ansatz zur Repristination zu zählen ist.

In ähnlicher Weise, in der sich die Erweckung vom neulutherischen Antiunionismus abgrenzte, kam es auch zum Bruch mit vielen Altlutheranern, wie Johann Gottfried Scheibel. Erstmals in aller theologischen Differenzierung vertreten wurde das Neuluthertum in der Erlanger Schule. Ihre Mitbegründer Adolf Harless und Johann von Hofmann wirkten auch auf Leipzig, wo dann die Professoren Karl Friedrich August Kahnis, Christoph Ernst Luthardt und Franz Delitzsch als das sog. „lutherische Dreigestirn“ wirkten. In Neuendettelsau fand sich in Wilhelm Löhe ein wichtiger Anhänger des neuen Luthertums.

In Sachsen wurde das Neuluthertum ferner durch Andreas Gottlob Rudelbach, der von Grundtvig beeinflusst war, in Mecklenburg von Theodor Kliefoth, in Kurhessen von August Vilmar und in Berlin, versehen mit politisch konservativen Zügen von den Brüdern Leopold, Ernst Ludwig und Otto von Gerlach und Friedrich Julius Stahl vertreten. In Hannover fanden sich Ludwig Harms, August Friedrich Otto Münchmeyer, Ludwig Adolf Petri, Gerhard Uhlhorn und weitere Anhänger des Neuluthertums. Die Verbreitung in das deutschsprachige Baltikum gelang zuletzt durch Theodosius Harnack sowie Ernst Sartorius und Friedrich Adolf Philippi. In Dänemark und Schweden (vor allem in der Theologischen Fakultät der Universität Lund) fand sich das Neuluthertum mit starker Akzentuierung des Hegelschen Organismus-Gedankens und in geistiger Nähe zur Stahl-Gruppe bei Ebbe Gustaf Bring, Wilhelm Flensburg und Anton Niklas Sundberg.

In Bezug auf die Bibel wurde die Offenbarung im Neuluthertum nicht mehr als (aufgeschriebene) Lehre, sondern als lebendiges Wirken Gottes gesehen. Das Wort ist Träger Christi (Thomasius, Vilmar). Darauf baut sich eine „Zwei-Naturen-Lehre des Wortes“ (so Theodor Heckel über Harless) auf, die die Beziehung zwischen Wort und Christus derjenigen zwischen seiner menschlichen und seiner göttlichen Natur entsprechen lässt: „Im Christentum ist das Wort Fleisch geworden“ (Höfling). Hierin kommt der große Einfluss Johann Georg Hamanns auf die Erlanger Theologie zum Tragen.

Dementsprechend lag ein starker Akzent auf der Kirche (in extenso bei Löhe, allerdings in Ablehnung des Organismus-Gedankens). Die (fortschreitende) Bildung eines Verständnisses der Offenbarung manifestierte sich (in deutlicher Adaption Hegels) dann in der Bekenntnisbildung. Das Bekenntnis konnte hier und da schon den Rang der Schrift erreichen (am stärksten bei Löhe). Es ist inhaltlich teilweise auf das Augsburger Bekenntnis begrenzt (Vilmar), teilweise als das ganze Konkordienbuch umfassend verstanden (Thomasius).

Auch wurde die Rezeption der Kirchenväter (vor allem der ersten fünf Jahrhunderte) wieder wichtig, in der die rückbezügliche „Katholizität“ der Kirche gesichert sei (vor allem bei Löhe, Vilmar, Delitzsch und ebenso den römischen Katholiken Johann Adam Möhler und John Henry Newman). Von dieser gesicherten Tradition wollte man dann fortschreiten und die Weiterentwicklung betreiben (deutlich bei Löhe, auch bei Kliefoth, Vilmar, Thomasius u. a.). Ebenso wurde die Eschatologie als eine unabgeschlossene betrachtet (Löhe, Kliefoth, Luthardt).

In praktischer Konsequenz wurde lebhaft um das Verständnis von Amt und Kirche gerungen. Nach der Revolution von 1848 stand dann die Verfassungsfrage der Kirche im Mittelpunkt: Entweder ist die Kirche als eine Versammlung der Gläubigen, congregatio sanctorum, zu betrachten (vor allem Höfling, auch die meisten Erlanger und Leipziger) oder sie ist eine „Anstalt“ (Stahl), ein Mittel (Kliefoth, Stahl, Vilmar, Löhe). Zudem tauchte die Frage nach der Akzentuierung der unsichtbaren Kirche (Höfling u. a.) oder der sichtbaren Kirche (vor allem Stahl) auf. (Bei Löhe scheint die unsichtbare Teilmenge der sichtbaren zu sein). Das Amt wurde mehr oder weniger nahe dem allgemeinen Priestertum gesehen, teilweise aber als Gemeinde begründend verstanden (so Löhe gegen Harless). In den Hintergrund rückten Prädestination, Rechtfertigung und die Frage nach Gesetz und Evangelium.

Die erwecklichen Tendenzen wurden in der Akzentuierung der Wiedergeburt sichtbar, in der der Einzelne den objektiven Gehalt des Wortes subjektiv nachvollzieht. Der Akt, durch den die Wiedergeburt möglich wird, ist hiernach der Glaube. Die Wiedergeburt ist die „fortwerdende Menschwerdung Gottes“ (Kliefoth, Thomasius). Das Neuluthertum wäre dann Erfahrungstheologie und die Erfahrung läge im objektiven Offenbarungsgeschehen, das sich im subjektiven Glaubensakt ausdrückte, durch ihn hindurch sichtbar würde.

Aufgenommen wurden auf diese Weise romantische wie auch idealistische Inhalte. So wurde der Organismusbegriff und seine Vorstellung von der Entwicklung der Philosophie Georg W.F. Hegels und Friedrich Schellings entlehnt.

Der Verlauf der Geschichte des Neuluthertums ist dann aber durchaus heterogen. Es konnte zur Restauration orthodoxer Bibeltheologie („Biblizismus“) (so bei Friedrich Adolf Philippi und Carl Ferdinand Wilhelm Walther) oder zu Repristination (bei Hengstenberg) kommen.