https://de.wikipedia.org/w/api.php?action=feedcontributions&feedformat=atom&user=ScriptirWikipedia - Benutzerbeiträge [de]2025-05-15T20:54:51ZBenutzerbeiträgeMediaWiki 1.45.0-wmf.1https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Schlaganfall&diff=249233036Schlaganfall2024-10-08T02:48:35Z<p>Scriptir: </p>
<hr />
<div>{{Weiterleitungshinweis|Stroke|Zu dem gleichnamigen Magazin siehe: [[Stroke (Zeitschrift)]]. Zur Kunstmesse siehe: [[Stroke Art Fair]].}}<br />
{{Infobox ICD<br />
|01-CODE= I64<br />
|01-BEZEICHNUNG= Schlaganfall, nicht als Blutung oder Infarkt bezeichnet<br />
}}<br />
Ein '''Schlaganfall''' (umgangssprachlich auch '''Apoplex''',<ref name=":0">Vgl. hierzu {{Literatur |Autor=Roland Veltkamp et al. |Hrsg=Deutsche Gesellschaft für Neurologie |Titel=Akuttherapie des ischämischen Schlaganfalls |Sammelwerk=Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie |Verlag=Thieme Verlag |Datum=2012-09 |Seiten=2 |Online=https://dnvp9c1uo2095.cloudfront.net/cms-content/030046_akuttherapie_des_ischaemischen_schlaganfalls_2012_1683290005685.pdf}}</ref> kurz für lateinisch '''Apoplexia cerebri''') ist eine plötzlich einsetzende, von einem [[Herd (Medizin)|Herd]] ausgehende Ausfallerscheinung einer neurologischen Funktion infolge einer Durchblutungsstörung im Gehirn ([[ischämischer Schlaganfall]]) oder einer [[Gehirnblutung]] (hämorrhagischer Schlaganfall). Die Symptome sind abhängig vom betroffenen Gehirnareal und variieren stark. Beispiele sind: Ausfall oder Störung von Sinneseindrücken, Sprachstörungen, Verwirrtheit, Schwindel, Kopfschmerzen oder halbseitige Muskellähmungen. Der Schlaganfall ist ein medizinischer Notfall und sollte ohne jeden Zeitverlust in einem geeigneten Krankenhaus behandelt werden. Typische Therapieverfahren des ischämischen Schlaganfalls sind [[Thrombolyse]] oder eine kathetergeführte [[Thrombektomie|mechanische Rekanalisation]] der betroffenen Gehirngefäße. Einige Formen der Gehirnblutung können einen [[Neurochirurgie|neurochirurgischen Eingriff]] erfordern.<br />
<br />
Der Schlaganfall ist weltweit die zweithäufigste Todesursache und der zweithäufigste Grund für [[Behinderung]].<ref name="PMID30879893">''Global, regional, and national burden of neurological disorders, 1990–2016: a systematic analysis for the Global Burden of Disease Study 2016.'' In: ''[[The Lancet]]. Neurology'', Band 18, Nummer 5, 05 2019, S.&nbsp;459–480; [[doi:10.1016/S1474-4422(18)30499-X]], PMID 30879893, {{PMC|6459001}}.</ref><br />
<br />
== Begriff ==<br />
Die Terminologie des Schlaganfalls wurde<ref>Irmgard Hort, [[Axel Karenberg]]: ''Überlegungen salernitanischer Magistri zur Apoplexie.'' In: ''Würzburger medizinhistorische Mitteilungen.'' Band 18, 1999, S. 87–92.</ref> und wird nicht einheitlich benutzt. Gleichbedeutend zum Begriff Schlaganfall sind auch die englischen [[Terminus|Termini]] '''Stroke''', ''Cerebrovascular accident (CVA)'' und ''Cerebrovascular Insult (CVI)''.<ref>Gerhard F. Hamann, Mario Siebler, Wolfgang von Scheidt: ''Schlaganfall: Klinik, Diagnostik, Therapie, Interdisziplinäres Handbuch.'' ecomed Verlagsgesellschaft, 2002, ISBN 3-609-51990-8.</ref> Diese Bezeichnungen werden häufig als Oberbegriff für unterschiedliche neurologische Krankheitsbilder benutzt, deren wichtigste Gemeinsamkeit plötzliche Symptome nach einer auf das Gehirn begrenzten [[Durchblutungsstörung]] sind, wobei der Funktionsverlust definitionsgemäß<ref>Definition der [[Weltgesundheitsorganisation|WHO]]</ref> nicht auf primäre Störungen der Erregbarkeit von Nervenzellen zurückzuführen sein darf (''konvulsive Störung'', siehe [[Epilepsie]]).<br />
<br />
=== Synonyme ===<br />
Es existieren viele veraltete Synonyme. Die Begriffe [[Apoplex]], Apoplexia cerebri und apoplextischer Insult sind veraltet.<ref name=":0" /> Gelegentlich und vor allem in der Schweiz wird das Synonym Hirnschlag verwendet.<ref>{{Literatur |Hrsg=Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.&nbsp;V. & Deutsche Schlaganfall-Gesellschaft e.&nbsp;V. |Titel=S2e Leitlinie zur Akuttherapie des ischämischen Schlaganfalls AWMF-Registernummer 030-046 Version 2021 (LANGFASSUNG) |Verlag=AWMF |Datum=2021-05-10 |Seiten=11 |Online=https://register.awmf.org/assets/guidelines/030-046l_S2e_Akuttherapie-des-ischaemischen-Schlaganfalls_2021-05.pdf}}</ref><br />
{| style="float:left; margin-right:1em;"<br />
|-<br />
|<br />
* Zerebraler Insult<br />
* Insult<br />
* Apoplexia cerebri (veraltet)<ref name=":0" /><br />
* Apoplexie<ref name="pschyrembel">{{Internetquelle |autor=Catherina Lücke |url=https://www.pschyrembel.de/schlaganfall/K0PSS/doc/ |titel=Schlaganfall |werk=pschyrembel.de |hrsg=Pschyrembel online |datum=2020-04 |abruf=2021-11-10}}</ref> (veraltet)<ref name=":0" /><br />
* Apoplektischer Insult<ref name="pschyrembel" />(veraltet)<ref name=":0" /><br />
|-<br />
|}<br />
{| style="float:left; margin-right:1em;"<br />
|<br />
* Gehirninfarkt<ref name="pschyrembel" /><br />
* Gehirnschlag<ref name="pschyrembel" /><br />
* Hirnschlag<ref>[https://www.duden.de/rechtschreibung/Hirnschlag duden.de]</ref><br />
* Schlag<br />
|-<br />
|}<br />
{| style="float:left;"<br />
|<br />
* Ictus apoplecticus (veraltet, von „Schlagfluss“)<br />
* Gutta (veraltet, von mittelhochdeutsch ''gutt'', „Tropfen“)<ref>[[Lorenz Diefenbach]]: ''Glossarium latino-germanicum mediae et infimae aetatis.'' Baer, Frankfurt am Main 1857, S. 271.</ref><br />
|-<br />
|}<br />
<div style="clear:both;"></div><br />
<br />
== Epidemiologie ==<br />
Geschätzt gibt es in Deutschland jährlich etwa 270.000 Schlaganfallneuerkrankungen.<ref>Manio von Maravic: ''Neurologische Notfälle.'' In: Jörg Braun, Roland Preuss (Hrsg.): ''Klinikleitfaden Intensivmedizin.'' 9. Auflage. Elsevier, München 2016, ISBN 978-3-437-23763-8, S. 311–356, hier: S. 312–316 (''Akute zerebrovaskuläre Erkrankungen'').</ref><br />
Jährliche Häufigkeiten in Deutschland:<ref>{{Literatur |Autor=Kommission Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie |Titel=Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie |Auflage=3. |Verlag=Georg Thieme |Ort=Stuttgart |Datum=2005 |ISBN=3-13-132413-9 |Online=https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/030-046.html}}</ref><br />
* durch Minderdurchblutung primär [[Ischämischer Schlaganfall|ischämische Hirninfarkte]] ([[Inzidenz (Epidemiologie)|Inzidenz]] 160–240 Ereignisse/100.000 Einwohner)<br />
* [[Hirnblutung]]en (24/100.000)<br />
* Einblutungen in den das Gehirn umgebenden Liquorraum, sogenannte [[Subarachnoidalblutung]]en (6/100.000)<br />
* Schlaganfälle ungeklärter Ursache (8/100.000)<br />
<br />
Der Schlaganfall gehört zu den häufigsten schweren Erkrankungen in Deutschland, hat eine 1-Jahres-Mortalität von 20 bis 30 % und ist auch eine häufige Todesursache in Deutschland: 2015 stellte das Statistische Bundesamt 56.982 Todesfälle durch zerebrovaskuläre Krankheiten fest, was einem Anteil von 6,2 % entspricht.<ref>[https://www-genesis.destatis.de/genesis/online?sequenz=statistikTabellen&selectionname=23211 Tabelle "Todesursachenstatistik"]. Auf: ''genesis-destatis.de'', abgerufen am 1. Juni 2018.</ref><br />
<br />
Darüber hinaus ist der Schlaganfall mit einer Invaliditätsrate von 30 bis 35 % die häufigste Ursache für mittlere und schwere Behinderung.<br />
<br />
51 % aller Schlaganfälle betrafen bis 2010 die Altersgruppe der über 75-Jährigen. Mit zunehmendem Alter steigt das Schlaganfallrisiko überproportional.<ref>E. Rupp: [https://edoc.ub.uni-muenchen.de/15751/1/Rupp_Eckart.pdf ''Fortschritte in Behandlung und Diagnostik zentraler neurogener Sprachstörungen.''] (PDF; 9,0&nbsp;MB) Dissertation. [[Ludwig-Maximilians-Universität München]], 2. Juli 2010.</ref><br />
<br />
In den USA sind Schlaganfälle die fünfthäufigste Todesursache.<ref>{{Literatur |Autor=Emelia J Benjamin und andere für das ''American Heart Association Statistics Committee and Stroke Statistics Subcommittee'' |Titel=Heart Disease and Stroke Statistics—2017 Update |Sammelwerk=Circulation |Band=135 |Nummer=10 |Datum=2017-03-07 |ISBN= |Seiten=e146–e603 |DOI=10.1161/CIR.0000000000000485}}</ref> Weltweit ist der Schlaganfall eine der häufigsten Ursachen für eine Behinderung.<ref>{{Literatur |Autor=for the GBD 2013 Stroke Panel Experts Group, Gregory A. Roth, Christopher J. L. Murray, Theo Vos, Catherine O. Johnson |Titel=Stroke Prevalence, Mortality and Disability-Adjusted Life Years in Adults Aged 20-64 Years in 1990–2013: Data from the Global Burden of Disease 2013 Study |Sammelwerk=Neuroepidemiology |Band=45 |Nummer=3 |Datum=2015 |ISSN=1423-0208 |Seiten=190–202 |Online=https://www.karger.com/Article/FullText/441098 |Abruf=2018-12-23 |DOI=10.1159/000441098 |PMID=26505983}}</ref> In der GBD 2016 ''(Global Burden of Disease 2016 Lifetime Risk of Stroke<ref>{{Literatur |Autor=GBD 2016 DALYs, HALE Collaborators |Titel=Global, regional, and national disability-adjusted life-years (DALYs) for 333 diseases and injuries and healthy life expectancy (HALE) for 195 countries and territories, 1990–2016: a systematic analysis for the Global Burden of Disease Study 2016 |Sammelwerk=Lancet (London, England) |Band=390 |Nummer=10100 |Datum=2017-09-16 |ISSN=1474-547X |Seiten=1260–1344 |DOI=10.1016/S0140-6736(17)32130-X |PMC=5605707 |PMID=28919118}}</ref>)'' wurde weltweit ein Lebenszeitrisiko für Schlaganfall von 24,9 % ermittelt. Männer hatten mit 24,9 % ein geringfügig geringeres Risiko als Frauen mit 25,1 %. Das Risiko eines ischämischen Schlaganfalls betrug weltweit 18,3 %, das eines hämorrhagischen Apoplex 8,2 %. Das höchste Lebenszeitrisiko bestand in Ost[[asien]] (38,8 %), Zentral[[europa]] (31,7 %) und Osteuropa (31,6 %). Das geringste Risiko bestand im östlichen Subsahara-[[Afrika]] (11,8 %).<ref>{{Literatur |Autor=The GBD 2016 Lifetime Risk of Stroke Collaborators |Titel=Global, Regional, and Country-Specific Lifetime Risks of Stroke, 1990 and 2016 |Sammelwerk=New England Journal of Medicine |Band=379 |Nummer=25 |Datum=2018-12-20 |ISSN=0028-4793 |Seiten=2429–2437 |Online=http://www.nejm.org/doi/10.1056/NEJMoa1804492 |Abruf=2019-02-26 |DOI=10.1056/NEJMoa1804492}}</ref><br />
<br />
== Formen eines Schlaganfalls – Minderdurchblutung oder Blutung ==<br />
{{Hauptartikel|Ischämischer Schlaganfall|Hirnblutung}}<br />
[[Datei:Stroke healthy.jpg|mini|Aktivitätsmuster bei Gesunden und Schlaganfall-Patienten, gemessen mit fMRT]]<br />
<br />
Dem ischämischen Schlaganfall liegt ein plötzlicher Mangel an Sauerstoff und anderen Substraten für die [[Nervenzelle]]n zugrunde. Er entstehet meist in Folge von [[Thrombose]], [[Embolie]] oder [[Krampf|Spasmus]]<ref>Immo von Hattingberg: ''Schlaganfall (Apoplexie).'' In: [[Ludwig Heilmeyer]] (Hrsg.): ''Lehrbuch der Inneren Medizin.'' Springer-Verlag, Berlin/Göttingen/Heidelberg 1955; 2. Auflage ebenda 1961, S. 1317–1320.</ref> einer hirnversorgenden Arterie und führt zum Hirninfarkt.<br />
<br />
Die akute [[Hirnblutung]] ([[Blutung|hämorrhagischer]] Schlaganfall) verursacht durch den Volumeneffekt des Hämatoms und des Ödems eine umschriebene Hirnschädigung. Sekundär kann es aufgrund der raumfordernden Wirkung ebenfalls zu einer [[Ischämie]] kommen. Umgekehrt kann es bei primär ischämischen Infarkten zu sekundären Blutungen im Infarktgebiet (hämorrhagische Infarzierung) kommen.<ref>P. L. Kolominsky-Rabas u.&nbsp;a.: ''A prospective community-based study of stroke in Germany--the Erlangen Stroke Project (ESPro): incidence and case fatality at 1, 3, and 12 months.'' In: ''Stroke.'' 29, 1998, S. 2501–2506. PMID 9836758</ref><br />
<br />
Die Unterscheidung zwischen Minderdurchblutung und Blutung ist erst durch bildgebende Verfahren wie der [[Computertomographie]] (CT) oder [[Magnetresonanztomographie]] (MRT, englisch MRI) sicher möglich, wobei in den ersten Stunden beide Bildgebungsmethoden noch unauffällig sein können, dies insbesondere beim primär ischämischen Hirninfarkt. Die Verdachtsdiagnose einer [[Subarachnoidalblutung]], welche infolge einer geplatzten Arterie (zum Beispiel aufgrund eines [[Aneurysma]]s) entsteht, kann – insbesondere bei nur milder Symptomatik (zum Beispiel alleinige Kopfschmerzen) – durch den Nachweis von Blutbestandteilen im [[Liquor cerebrospinalis|Nervenwasser]] bei der [[Lumbalpunktion]] bestätigt werden.<br />
<br />
Minderdurchblutungen, die kürzer als 24 Stunden andauern und von bloßem Auge ohne sichtbare Folgen bleiben, wurden früher als [[transitorische ischämische Attacke]] (TIA) bezeichnet. In den Leitlinien der [[Deutsche Gesellschaft für Neurologie|Deutschen Gesellschaft für Neurologie]] von 2005 wird darauf hingewiesen, dass die klassische Differenzierung von transitorisch ischämischen Attacken (TIA) und vollendeten ischämischen Schlaganfällen als überholt gilt. Gleichwohl wird der Unterschied in manchen Lehrbüchern noch erwähnt. Zwei Gründe dafür sind, dass bei vielen Patienten mit einer sogenannten TIA morphologische Hirnverletzungen nachweisbar sind und dass das Risiko für einen Re-Infarkt nach TIA und vollendetem Schlaganfall etwa gleichermaßen erhöht ist. Abgesehen von der Frage der [[Thrombolyse|Lyse]] sollen sowohl vollendete Schlaganfälle als auch früher als TIA bezeichnete Zustände gleich behandelt werden.<ref>{{Literatur |Autor=Kommission Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie |Titel=Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie |Auflage=3. |Verlag=Georg Thieme |Ort=Stuttgart |Datum=2005 |ISBN=3-13-132413-9 |Online=https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/030-046.html}}</ref> Der Begriff ''(prolongiertes) reversibles ischämisches neurologisches Defizit'' (RIND/PRIND) für länger als 24 Stunden, aber kürzer als drei Wochen anhaltende Befunde soll ebenfalls nicht mehr angewendet werden, da dies bereits einem manifesten Schlaganfall entspricht.<ref>Clearingbericht „Deutsche Leitlinien zum Schlaganfall“, 2005.</ref> Gleiches gilt für die Beschreibung eines ''partiell reversiblen ischämischen neurologischen Syndroms'' (PRINS).<br />
<br />
== Symptome ==<br />
Als Zeichen eines Schlaganfalls können zum Beispiel folgende neurologische Symptome einzeln oder gleichzeitig auftreten:<ref>[http://www.schlaganfall-hilfe.de/symptome ''Symptome''.] schlaganfall-hilfe.de; abgerufen am 29. Mai 2016.</ref><br />
* [[Bewusstseinsstörung]]en ([[Quantitative Bewusstseinsstörung|Bewusstseinstrübung]], [[Somnolenz]], [[Koma]])<br />
* [[Verwirrtheit]]<br />
* Missempfindungen (z.{{Nnbsp}}B. [[Parästhesie]], [[Hypästhesie]]) an Körperteilen oder einer ganzen Körperhälfte<br />
* [[Lähmung]] oder [[Parese|Schwäche]] einer Körperhälfte einschließlich einer Gesichtshälfte, seltener nur in einem Arm, Bein oder in allen vier Extremitäten<br />
* [[Aphasie]], [[Dysarthrie]]<br />
* Schluckstörungen ([[Dysphagie]], vier Grade der NOD = neurogene oropharyngeale Dysphagie)<br />
* schmerzlose [[Sehstörung]] auf einem oder beiden Augen, einseitige [[Pupille]]nerweiterung, [[Anopsie|Gesichtsfeldausfall]], [[Diplopie|Doppelbilder]], [[Blickdeviation]]<br />
* [[Schwindel]], [[Gangstörung]], [[Gleichgewichtssinn|Gleichgewichts]]- oder Koordinationsstörung ([[Ataxie]])<br />
* stärkster [[Kopfschmerz]] ohne erkennbare Ursache bei evtl. entgleistem (überhöhtem) [[Arterielle Hypertonie|Blutdruck]], [[Übelkeit]], [[Emesis|Erbrechen]]<br />
* fehlende Wahrnehmung eines Teils der Umwelt oder des eigenen Körpers ([[Neglect]])<br />
<br />
== Ursachen ==<br />
[[Ischämischer Schlaganfall]]:<br />
* Verschluss einer hirnversorgenden Arterie durch ein [[Thrombus|Blutgerinnsel]] in Folge von arterieller [[Embolie]] oder [[Thrombose]]<br />
* Kritische Minderperfusion in Folge von [[Vasokonstriktion|Gefäßverengungen]] (hämodynamischer Infarkt) oder [[Vasospasmus|Gefäßverkrampfungen]] (vasospastischer Infarkt)<br />
[[Intrazerebrale Blutung|Hirnblutungen]]:<br />
* Austritt von Blut in das Hirngeweb<nowiki />e nach Riss eines Gefäßes, z.&nbsp;B. infolge hohen [[Blutdruck]]s, Blutgerinnungsstörungen oder vorbestehenden Gefässerkrankungen (z.B [[Angiom]])<br />
* Subarachnoidalblutung, sub- oder epidurale [[Hämatom]]e<br />
[[Sinusthrombose]] oder Hirnvenenthrombose:<br />
* Verschluss der [[Vene|venösen]] Abflussgefäße<br />
* als Komplikation können Hirnblutungen (Stauungsblutung) oder Infarkte auftreten<br />
<br />
== Risikofaktoren ==<br />
Eine an tierischen Fetten reiche Ernährung erhöht das Schlaganfallrisiko. 2021 wertete eine Studie 27 Jahre Daten von 117.000 Probanden aus. Die Studie kam zu dem Schluss, dass Fette aus tierischen Lebensmitteln das Schlaganfallrisiko erhöhen, während solche aus pflanzlichen Lebensmitteln es senken.<ref>Wang F, Baden MY, Rexrode KM, Hu FB. RF160 - Dietary Fat Intake and the Risk of Stroke: Results from Two Prospective Cohort Studies. Abstract presented at: American Heart Association’s Scientific Sessions 2021; November 13-15, 2021; virtual meeting.</ref><ref>{{Internetquelle |url=https://www.eurekalert.org/news-releases/933445 |titel=Vegetable fat may decrease stroke risk, while animal fat increases it |sprache=en |abruf=2021-11-10}}</ref><br />
<br />
== Früherkennung eines erhöhten Schlaganfallrisikos ==<br />
Als Früherkennung wird ein Ultraschall der Halsschlagadern angeboten, der Ablagerungen erkennen und so dazu beitragen soll, das Schlaganfallrisiko zu senken. Der [[IGeL-Monitor]] des MDS ([[Medizinischer Dienst Bund|Medizinischer Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen]]) hat diese Untersuchung mit „tendenziell negativ“ bewertet.<ref>[https://www.igel-monitor.de/igel-a-z/igel/show/ultraschall-der-halsschlagadern-zur-schlaganfallvorsoge.html ''Ultraschall der Halsschlagadern zur Schlaganfallvorsorge''.] IGeL-Monitor; abgerufen am 15. März 2019. Die Bewertung gilt für Menschen ab 50, die keine Beschwerden haben. Mehr zur Bewertung im Dokument [https://www.igel-monitor.de/fileadmin/user_upload/Ultraschall_der_Halsschlagader__Evidenz_ausfuehrlich.pdf ''„Evidenz ausführlich“''.] (PDF; 1,0&nbsp;MB) abgerufen am 15. März 2019.</ref> Denn bei der systematischen Literaturrecherche fanden die Wissenschaftler des IGeL-Monitor keine Studien zu der Frage, ob der Ultraschall die Häufigkeit von Krankheit und Tod durch einen Schlaganfall vermindern kann. Zwar könne die Ultraschalluntersuchung viele Verengungen der Halsschlagader früh erkennen, aber ob die Behandlung dann wirklich dazu führe, dass weniger Menschen einen Schlaganfall bekommen, sei unklar.<ref>[https://www.medical-tribune.de/praxis-und-wirtschaft/ehealth/artikel/igel-monitor-bewertet-ultraschall-der-halsschlagader-zur-schlaganfallvorsorge-tendenziell-negativ/ ''IGeL-Monitor bewertet Ultraschall der Halsschlagader zur Schlaganfallvorsorge tendenziell negativ''.] Medical Tribune, 15. Dezember 2016.</ref> Schäden seien dagegen möglich durch unnötige weitere Untersuchungen und unnötige Behandlungen.<ref>[https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/71536/IGeL-Monitor-lehnt-Ultraschall-der-Halsschlagadern-als-Schlaganfallvorsorge-ab ''IGeL-Monitor lehnt Ultraschall der Halsschlagadern als Schlaganfallvorsorge ab''.] Deutsches Ärzteblatt, 18. November 2016.</ref> Wichtigste Quelle ist eine Übersichtsarbeit von 2014.<ref>D.E. Jonas et al.: [https://www.ncbi.nlm.nih.gov/books/NBK223225/ ''Screening for Asymptomatic Carotid Artery Stenosis''.] 2014. Agency for Healthcare Research and Quality. Screening for Asymptomatic Carotid Artery Stenosis: A Systematic Review and Meta-Analysis for the U.S. Preventive Services Task Force. Evidence Synthesis No. 111. Report No.: No. 13-05178-EF-1.</ref> In der „Leitlinie zur Diagnostik, Therapie und Nachsorge der extracraniellen Carotisstenose“ raten mehrere deutsche Fachgesellschaften aufgrund der Studienlage ebenfalls von einer Reihenuntersuchung ab: „Ein routinemäßiges Screening auf das Vorliegen einer Carotisstenose soll nicht durchgeführt werden.“<ref>H.H. Eckstein et al. [https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/004-028l_S3_Extracranielle_Carotisstenose_2012_abgelaufen.pdf ''S3-Leitlinie zur Diagnostik, Therapie und Nachsorge der extracraniellen Carotisstenose''.] (PDF) AWMF-Register Nr. 004/028. 2012. Siehe auch: Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin: [https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/053-011l_S3_Schlaganfall_2012-abgelaufen.pdf ''Schlaganfall. DEGAM-Leitlinie Nr. 8''.] (PDF) AWMF Register Nr. 053/011. 2012.</ref> Auch vier internationale Leitlinien empfehlen keine Reihenuntersuchung von Menschen ohne Beschwerden und ohne besondere Risikofaktoren.<ref>Ricotta, J.J. et al. Updated Society for Vascular Surgery guidelines for management of extracranial carotid disease. J Vasc Surg, 2011; 54 (3): e1-e31. Royal Australian College of General Practitioners. Guidelines for preventive activities in general practice. 8th edition, 2012.</ref> Bei einem Verdacht oder bei Beschwerden, die auf eine verengte Ader zurückgehen können, ist der Ultraschall Kassenleistung.<br />
<br />
== Diagnostik ==<br />
Die Diagnose des Schlaganfalls wird [[Symptom|klinisch]] gestellt, in der Regel durch einen [[Neurologe]]n. Dieser bedient sich hierfür unterschiedlicher Untersuchungsmethoden, um die zahlreichen unterschiedlichen Funktionen des Gehirns zu überprüfen. Häufig orientieren sich diese Untersuchungen an Scoringsystemen wie der [[National Institutes of Health Stroke Scale]] (NIHSS), die eine quantitative Einschätzung der Schwere des Schlaganfalls ermöglicht. Je nach vermuteter Lokalisation des Schlaganfalls im Gehirn können jedoch auch speziellere Untersuchungen, z.&nbsp;B. des Kleinhirns oder der Hirnnerven, indiziert sein. Bei sich erhärtendem oder zumindest nicht mit Sicherheit ausgeschlossenem Verdacht auf Schlaganfall folgt in jedem Fall eine bildgebende Diagnostik.<br />
<br />
Bildgebende Verfahren wie die [[Computertomographie]] (CT) oder [[Magnetresonanztomographie]] (MRT, englisch MRI) ermöglichen die sofortige Diagnose einer Hirn''blutung''. Beim ischämischen Schlaganfall hingegen kann eine native (d.&nbsp;h. ohne [[Kontrastmittel]]) CT- bzw. MRT-Untersuchung während der ersten Stunden unauffällige Bilder liefern. Je nach Ursache, Lokalisation und Schwere des Schlaganfalls können sich eine [[CT-Angiographie]] (CTA) und eine CT-Perfusion anschließen. [[Diffusions-Tensor-Bildgebung|Diffusionsgewichtete Aufnahmen]] (DW-MRI) ermöglichen in der MRT-Untersuchung schon wenige Minuten nach Beginn des Schlaganfalls eine Darstellung des Infarktgebiets.<br />
<br />
Eine feine [[Subarachnoidalblutung]] kann unter Umständen in den bildgebenden Verfahren unsichtbar sein. Sie kann dann sensitiver durch den Nachweis von Blutbestandteilen im [[Liquor cerebrospinalis|Nervenwasser]] durch eine [[Lumbalpunktion]] festgestellt werden.<br />
<br />
Eine Blutabnahme bei Verdacht auf Schlaganfall ist obligatorisch. Hierbei wird neben einem Blutbild insbesondere der [[Hämostase|Gerinnungsstatus]] bestimmt, zudem die Elektrolyte, Harnstoff, Kreatinin, Blutzucker, Leberwerte, CRP, TSH und andere Laborwerte.<ref>Richard Daikeler, Götz Use, Sylke Waibel: ''Diabetes. Evidenzbasierte Diagnosik und Therapie.'' 10. Auflage. Kitteltaschenbuch, Sinsheim 2015, ISBN 978-3-00-050903-2, S. 111.</ref> Blut-Biomarker (z.&nbsp;B. [[S-100-Proteine|S-100B]], [[Neuronenspezifische Enolase|NSE]], [[Saures Gliafaserprotein|GFAP]]), die auf Schäden des Gehirns hinweisen können, können die Diagnostik ergänzen, sind jedoch nicht spezifisch für einen Schlaganfall und in der Frühphase bisweilen unauffällig.<br />
<br />
Speziell für Rettungsdienstpersonal wurde 1997 die ''Cincinnati Prehospital Stroke Scale'' (CPSS) entwickelt.<ref>M. S. Dittmar, B. Vatankhah, M. Horn: ''Präklinische neurologische Untersuchung von Schlaganfallpatienten.'' In: ''Notarzt.'' 20(5), 2004, S. 163–167. [[doi:10.1055/s-2004-828291]]</ref><ref>{{Webarchiv |url=http://www.strokecenter.org/trials/scales/cincinnati.html |text=Illustrierter Test |wayback=20100731181833}} auf der Internetseite der American Stroke Association.</ref> Diese wird aus drei Kriterien der NIHSS gebildet und soll als ein einfaches Instrument zur Diagnose eines Schlaganfalls dienen. Auch in der Laien-Ausbildung für Erste Hilfe werden die Kriterien der CPSS oft mit dem englischen [[Akronym]] ''FAST'' vermittelt (Face, Arms, Speech, Time).<ref>[http://www.schlaganfall-hilfe.de/notfall schlaganfall-hilfe.de]</ref> Dieser Test besteht aus vier Schritten:<br />
[[Datei:Der FAST-Test. Schlaganfall schnell erkennen.pdf|mini]]<br />
# '''F'''ace (Gesicht): Die Person auffordern, z.&nbsp;B. breit zu lächeln oder die Zähne zu zeigen, da eine [[Fazialislähmung#Gesichtslähmung vom zentralen Typ|gelähmte Gesichtshälfte]] ein Symptom eines Schlaganfalls sein kann. Eine andere Methode ist, die betroffene Person die Backen aufblasen zu lassen und darauf leichten Widerstand auszuüben; betroffene Personen können eine Seite nicht aufblasen oder nicht gegen den Widerstand aufgeblasen halten.<br />
# '''A'''rms (Arme): Die Person wird aufgefordert, beide Arme mit nach oben geöffneten Handflächen nach vorne zu strecken, sodass die Arme ohne Unterstützung im 90°-Winkel zur Körperachse gehalten werden. Bei einer Lähmung kann ein Arm nicht in die verlangte Position gebracht oder in ihr gehalten werden, sinkt oder dreht sich nach innen.<br />
# '''S'''peech (Sprache): Man achtet auf die Aussprache der Person. Sie kann undeutlich oder verlangsamt sein, sich „verwaschen“ anhören, oder die Person scheint Schwierigkeiten zu haben, ihre Gedanken in Worte zu fassen.<br />
# '''T'''ime (Zeit): Besteht der Verdacht eines Schlaganfalls, muss die betroffene Person so schnell wie möglich mit dem Rettungsdienst in eine geeignete Klinik – vorzugsweise in eine ''[[Stroke Unit]]'' – transportiert werden. Langwierige Behandlungen vor Ort („stay and play“) sollten nur dann erfolgen, wenn vor Ort eine ''[[Mobile Stroke Unit]]'' zum Einsatz kommt – ansonsten gilt der Grundsatz „[[Rettungskonzept#Load and Go|Load and Go]]“. Generell muss die Behandlung binnen kürzester Zeit erfolgen, um Hirnschädigungen so gering wie möglich zu halten. Wichtig ist ein Festhalten des zeitlichen Beginns der Symptome und der zeitliche Verlauf (Verschlechterung bzw. Besserung).<br />
Einschränkungen erfährt die CPSS insbesondere durch ihre Fokussierung auf Symptome eines kortikalen Infarkts. Sie ist damit zwar in der Lage, eine Vielzahl von schweren Schlaganfällen mit relativ hoher Sensitivität zu erkennen, verpasst aber unter Umständen seltenere Schlaganfälle in anderen Bereichen. Deshalb wurde vorgeschlagen, das Akronym auf ''BE FAST'' zu erweitern<ref>{{Internetquelle |url=https://pennstatehealthnews.org/2017/05/the-medical-minute-be-fast-to-recognize-stroke-signs/ |titel=The Medical Minute: “BE FAST” to recognize stroke signs |datum=2017-05-04 |abruf=2020-02-18}}</ref>, mit den zusätzlichen Kriterien:<br />
# '''B'''alance (Gleichgewicht): Plötzlich aufgetretene Gleichgewichts- oder Gangstörungen können Symptome eines Schlaganfalls sein.<br />
# '''E'''yes (Augen): Die Person klagt über den plötzlichen Verlust oder Einschränkung der Sehfähigkeit auf einem oder beiden Augen, Doppelbilder, unscharfes Sehen.<br />
<br />
Eine 2021 veröffentlichte Studie, die mit Patienten in den Niederlanden durchgeführt wurde, zeigte, dass bei der präklinischen Schlaganfallerkennung ein Vorgehen nach dem RACE- (Rapid Arterial oCclusion Evaluation), G-FAST- (Gaze, Face, Arms, Speech, Time), oder CG-FAST-Schema (Conveniently-Grasped Field Assessment Stroke Triage) gut geeignet ist, um Schlaganfälle früh zu erkennen.<ref>F. Riederer: [https://www.kup.at/kup/pdf/14886.pdf ''Comparison of eight prehospital stroke scales to detect intracranial large-vessel occlusion in suspected stroke (PRESTO): a prospective observational study''.] (PDF; englisch). In: ''Neurologie, Neurochirurgie und Psychiatrie'', kup.at; abgerufen am 12. Juni 2022</ref><br />
<br />
== Prävention ==<br />
Der persönliche Lebensstil beeinflusst das Risiko, einen Schlaganfall zu erleiden. Vor allem ein normaler [[Blutdruck]], gute [[Blutzucker]]werte und [[Tabakrauchen|Tabak]]-Abstinenz können das Schlaganfallrisiko reduzieren. Allein ein Blutdruck im Normbereich vermindert das Schlaganfallrisiko um 60 Prozent. Weitere Aspekte eines gesunden Lebensstils sind die körperliche Aktivität, die Vermeidung von Übergewicht, normale Cholesterin-Werte und eine gesunde Ernährung.<ref name="DOI10.1161/STROKEAHA.111.000352">A. Kulshreshtha, V. Vaccarino, S. E. Judd, V. J. Howard, W. M. McClellan, P. Muntner, Y. Hong, M. M. Safford, A. Goyal, M. Cushman: ''Life’s Simple 7 and Risk of Incident Stroke: The Reasons for Geographic and Racial Differences in Stroke Study.'' In: ''Stroke.'' 44, 2013, S.&nbsp;1909–1914, [[doi:10.1161/STROKEAHA.111.000352]].</ref> Studien zufolge stellt ein hoher Konsum von Salz einen Risikofaktor dar,<ref>{{Literatur |Autor=P. Strazzullo, L. D’Elia, N. B. Kandala, F. P. Cappuccio |Titel=Salt intake, stroke, and cardiovascular disease: meta-analysis of prospective studies |Sammelwerk=BMJ (Clinical Research Ed.) |Band=339 |Datum=2009-11 |Seiten=b4567 |PMC=2782060 |PMID=19934192}}</ref> der Konsum von Kalium hingegen einen Schutzfaktor.<ref>{{Literatur |Autor=L. D’Elia, G. Barba, F. P. Cappuccio, P. Strazzullo |Titel=Potassium intake, stroke, and cardiovascular disease a meta-analysis of prospective studies |Sammelwerk=Journal of the American College of Cardiology |Band=57 |Nummer=10 |Datum=2011-03 |Seiten=1210–1219 |DOI=10.1016/j.jacc.2010.09.070 |PMID=21371638}}</ref><br />
<br />
Im Rahmen der Ursachensuche und damit im Sinne der Sekundärprävention nach einem Schlaganfall sollte auch nach einem intermittierenden (paroxysmalen) [[Vorhofflimmern]] gesucht werden. Hierbei wird ein Untersuchungszeitraum von 24 bis 72 Stunden empfohlen. Bei Nachweis von auch nur zeitweisem Vorhofflimmern sollte eine Gerinnungshemmung mit [[Phenprocoumon]] oder [[Antikoagulation#Direkte orale Antikoagulanzien (DOAK)|direkten oralen Antikoagulanzien]] (DOAK) erfolgen.<ref>{{Internetquelle |autor=Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) |url=https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/053-011l_S3_Schlaganfall_2012-10.pdf |titel=Leitlinien Schlaganfall |format=PDF |offline=1 |archiv-url=https://web.archive.org/web/20130811025942/http://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/053-011l_S3_Schlaganfall_2012-10.pdf |archiv-datum=2013-08-11 |abruf=2013-12-27}}</ref><br />
<br />
== Therapie ==<br />
Schlaganfallpatienten, auch Verdachtsfälle, sollten unverzüglich ärztlich untersucht werden. Die sogenannte „time-to-needle“ (Zeitspanne, innerhalb derer eine etwaige Lyse-Behandlung [s.&nbsp;u.] begonnen sein muss) liegt bei maximal ''viereinhalb Stunden'' nach Eintritt des Schlaganfalls.<ref>{{Webarchiv |url=http://www.dgn.org/leitlinien-online-2012/inhalte-nach-kapitel/2310-ll-22-2012-akuttherapie-des-ischaemischen-schlaganfalls.html |text=''Akuttherapie des ischämischen Schlaganfalls''. |wayback=20150402102717}} S1-Leitlinie der DGN, September 2012.</ref> Nach dem unverzüglichen Absetzen eines [[Notruf]]s sollte der Patient beobachtet und mit erhöhtem Oberkörper gelagert werden, und ruhig. Zudem sollte er nicht körperlich belastet werden sowie nichts essen und trinken, da [[Aspiration (Medizin)|Aspirationsgefahr]] besteht. Gemeinhin erfolgt ein Notfalltransport mit Rettungswagen – eventuell mit Notarzt – in eine ''[[Stroke Unit]]'' zwecks genauer Diagnostik und entsprechender Behandlung, häufig mittels [[Lysetherapie]]. Allerdings ist die Bezeichnung ''Stroke Unit'' oder auch ''Schlaganfall-Station'' in Deutschland gesetzlich nicht geschützt.<ref>{{Internetquelle |url=https://www.schlaganfall-hilfe.de/de/fuer-betroffene/akutbehandlung/stroke-unit |titel=Versorgung - Spezialstationen für schlaganfallbetroffene Menschen |abruf=2024-02-16}}</ref><br />
<br />
Auf dem Land – mit einer entsprechend geringen Dichte an ''Stroke Units'' – kommt häufig auch ein [[Rettungshubschrauber]] zum Einsatz, da mit diesem ein schnellerer Transport in ein weiter entferntes, dafür geeignetes Krankenhaus durchgeführt werden kann. Zum Teil sind die zurückzulegenden Entfernungen so groß, dass selbst nachts der Einsatz eines [[Intensivtransporthubschrauber]]s, der eine wesentlich höhere Vorlaufzeit als ein Rettungshubschrauber hat, in Erwägung gezogen werden kann. Auch ''[[Mobile Stroke Unit]]s'' (speziell ausgerüstete Rettungswagen) kommen hier zum Teil zum Einsatz.<ref>{{Internetquelle |autor=Alexandra Jane Oliver |url=https://www.spiegel.de/wissenschaft/medizin/spezialambulanz-spart-zeit-bei-der-behandlung-von-schlaganfaellen-a-826668.html |titel=Schlaganfall: Spezial-Rettungswagen beschleunigt Therapie |werk=[[Spiegel Online]] |datum=2012-04-11 |abruf=2018-11-12}}</ref><br />
<br />
Bei hämorrhagischen Schlaganfällen, also Hirnblutungen, ist die Lyse-Behandlung nicht angezeigt. In vielen [[Ischämie]]-Fällen hingegen gelingt es durch die intravenöse Verabreichung von Medikamenten ([[Thrombolyse]]), das [[Thrombus|Blutgerinnsel]] aufzulösen und das Gehirn vor einem dauerhaften Schaden zu bewahren. Eine frühe Thrombolyse verbessert nachweislich die Prognose der Patienten.<ref name="DOI10.1001/jama.2013.6959">Jeffrey L. Saver: ''Time to Treatment With Intravenous Tissue Plasminogen Activator and Outcome From Acute Ischemic Stroke.'' In: ''JAMA.'' 309, 2013, S.&nbsp;2480, [[doi:10.1001/jama.2013.6959]].</ref><br />
<br />
Ein recht neues Verfahren, die [[Neurothrombektomie]], entfernt mechanisch mit einem Katheter ''(neuro thrombectomy catheter<ref>{{Patent| Land=DE| V-Nr=60131859| Code=T2| Titel=Neurothrombektomie Kathether| A-Datum=2001-09-06| V-Datum=2008-11-27| Anmelder=EV3 Endovalcular Inc| Erfinder=Rafael Pintor et al}}</ref>)'' das Blutgerinnsel im Gehirn.<ref>[http://www.innovations-report.de/html/berichte/veranstaltungen/volksleiden_schlaganfall_blutgerinnsel_per_katheter_183153.html www.innovations-report.de]</ref> „Mehr als 60 Prozent der Patienten mit großen Schlaganfällen können nach der Katheterbehandlung bereits nach drei Monaten wieder ein eigenständiges Leben führen. Bei der medikamentösen Therapie liegt diese Quote bei nur etwa 15 Prozent“.<ref>Olav Jansen, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Neurologische Rehabilitation, Direktor des Instituts für [[Neuroradiologie]] am [[Universitätsklinikum Schleswig-Holstein]] in Kiel, 2011.</ref> Insbesondere für Patienten, bei denen das Blutgerinnsel ein großes Gefäß im Gehirn verschließt, ist die Thrombektomie wirkungsvoll. In rund 90 Prozent der Fälle kann das Gefäß wieder eröffnet werden. Die Neurothrombektomie kann allerdings bei nur etwa 10 bis 15 Prozent der ischämischen Schlaganfälle eingesetzt werden. Bislang wird dieses Verfahren in Deutschland in etwa 140 Krankenhäusern angeboten und stetig auf neue Kliniken ausgeweitet (Stand Oktober 2017).<ref>[https://www.zdf.de/verbraucher/volle-kanne/thrombektomie-nach-schlaganfall-100.html ''Neues Verfahren nach Schlaganfall.''] zdf.de; abgerufen am 1. Juni 2018.</ref> Im Lauf des Jahres 2015 zeigten fünf Studien an Patienten mit sehr schweren Schlaganfällen in Folge eines Grossgefässverschlusses eine Überlegenheit der Kombination von Thrombektomie mit Thrombolyse gegenüber der medikamentösen Thrombolyse alleine.<ref>{{Literatur |Autor=Mayank Goyal, Bijoy K Menon, Wim H van Zwam, Diederik W J Dippel, Peter J Mitchell |Titel=Endovascular thrombectomy after large-vessel ischaemic stroke: a meta-analysis of individual patient data from five randomised trials |Sammelwerk=The Lancet |Band=387 |Nummer=10029 |Datum=2016-04 |Seiten=1723–1731 |Online=https://linkinghub.elsevier.com/retrieve/pii/S014067361600163X |Abruf=2020-05-22 |DOI=10.1016/S0140-6736(16)00163-X}}</ref><ref>[http://www.dgn.org/presse/pressemitteilungen/50-pressemitteilungen/pressemitteilung-2015/3126-die-mechanische-thrombektomie-eine-revolution-in-der-schlaganfalltherapie ''Die mechanische Thrombektomie: eine Revolution in der Schlaganfalltherapie.'']</ref><br />
<br />
== Rehabilitation ==<br />
[[Datei:Chronic stroke.jpg|mini|Funktionserholung nach großem kortikalen Schlaganfall (fMRT)]]<br />
<br />
Die [[medizinische Rehabilitation]] von Patienten mit [[Zerebrovaskuläre Insuffizienz|zerebrovaskulärer Insuffizienz]] beginnt idealerweise postakut in einer ''Stroke Unit''. Rehabilitative Ansätze wie das des [[Bobath-Konzept]]s erfordern ein hohes Maß an interdisziplinärer Zusammenarbeit und sind bei konsequenter Ausführung für den Rehabilitationsverlauf maßgeblich mitverantwortlich. Ein neuer und wissenschaftlich mehrfach validierter Ansatz ist die „Constraint-Induced Movement Therapy“ (CIMT),<ref>E. Taub, G. Uswatte, R. Pidikiti: ''Constraint-Induced Movement Therapy: a new family of techniques with broad application to physical rehabilitation – a clinical review.'' In: ''J Rehabil Res Dev.'' 6 (3), Jul 1999, S. 237–251.</ref> bei der durch Immobilisation des gesunden Arms für den Großteil der Wachperiode der Patient zum Gebrauch der erkrankten Hand „gezwungen“ wird, wodurch krankhafte Anpassungsphänomene wie der „erlernte Nichtgebrauch“ verhindert werden können. Diese Therapiemethode ist auch bei schwer betroffenen Patienten und im chronischen Stadium einsetzbar. Die Methode ist im deutschsprachigen Raum auch als ''„Taubsche Bewegungsinduktion“'' bekannt.<ref>{{Literatur |Autor=W. H. R. Miltner, E. Taub, H. Bauder |Titel=Behandlung motorischer Störungen nach Schlaganfall – Die Taubsche Bewegungsindikation |Verlag=[[Hogrefe Verlag|Hogrefe]] |Ort=Göttingen |Datum=2001 |ISBN=3-8017-1464-0}}</ref><br />
<br />
Im Zentrum der neurologischen Rehabilitation stehen vor allem Maßnahmen, welche die Körperwahrnehmung des Betroffenen fördern und im besten Falle zur vollständigen Kompensation verlorener Fähigkeiten führen. So werden beispielsweise zur Wiederherstellung der Gehfähigkeit Gangmuster mit [[Physiotherapie|Physiotherapeuten]] eingeübt.<br />
<br />
[[Datei:Gehen mit Orthese nach Schlaganfall 220.jpg|mini|hochkant|Gehen mit [[Orthese]] nach Schlaganfall]]<br />
Therapiebegleitend kann eine Hilfsmittelversorgung mit [[Orthese]]n erfolgen.<ref>{{Literatur |Autor=S. Hesse, C. Enzinger und andere |Hrsg=H. C. Diener und andere |Titel=Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie, Technische Hilfsmittel |Auflage=5. Auflage |Verlag=Thieme |Ort=Stuttgart |Datum=2012 |ISBN=978-3-13-155455-0}}</ref><ref>{{Literatur |Autor=Gereon Nelles und andere |Hrsg=Deutsche Gesellschaft für Neurologie |Titel=Rehabilitation von sensomotorischen Störungen |Auflage=S2k-Leitlinie |Ort=Berlin |Datum=2018 |Seiten=21 |Online=https://dgn.org/leitlinien/ll-030-123-2018-rehabilitation-von-sensomotorischen-stoerungen/ |Abruf=2021-05-31}}</ref> Klinische Studien belegen den hohen Stellenwert von Orthesen in der Schlaganfallrehabilitation.<ref>{{Literatur |Autor=Maurizio Falso, Eleonora Cattaneo, Elisa Foglia, Marco Zucchini, Franco Zucchini |Hrsg=Journal of Novel Physiotherapy and Rehabilitation |Titel=How does a Personalized Rehabilitative Model influence the Functional Response of Different Ankle Foot Orthoses in a Cohort of Patients Affected by Neurological Gait Pattern? |Band=1 |Verlag=Highten Science |Datum=2017 |ISSN=2573-6264 |Seiten=72–92 |Online=https://www.heighpubs.org/jnpr/jnpr-aid1010.php}}</ref><ref>{{Literatur |Autor=Roy Bowers |Hrsg=Elizabeth Condie, James Campbell, Juan Martina |Titel=Report of a Consensus Conference on the Orthotic Management of Stroke Patients, Non-Articulated Ankle-Foot Ortheses |Verlag=International Society for Prosthetics and Orthotics |Ort=Copenhagen |Datum=2004 |ISBN=87-89809-14-9 |Seiten=87-94 |Sprache=en |Online=https://pure.strath.ac.uk/ws/portalfiles/portal/35599006/Consensus_Conference_On_The_Orthotic_M}}</ref> Mit Hilfe einer Orthese soll physiologisches [[Stehen]] und [[Gehen]] wieder erlernt werden, zudem können Folgeerscheinungen durch ein falsches Gangbild verhindert werden.<ref>{{Literatur |Autor=Elizabeth Condie, Robert James Bowers |Hrsg=John D. Hsu, John W. Michael, John R. Fisk |Titel=Lower limb orthoses for persons who have had a stroke |Sammelwerk=AAOS Atlas of Orthoses and Assistive Devices |Auflage=4. |Verlag=Mosby Elsevier |Ort=Philadelphia |Datum=2008 |ISBN=978-0-323-03931-4 |Seiten=433–440}}</ref><ref>{{Literatur |Autor=Elaine Owen |Hrsg=International Society for Prosthetics and Orthotics |Titel=The Importance of Being Earnest about Shank and Thigh Kinematics especially when using Ankle-Foot Orthoses |Sammelwerk=Prosthetics and Orthotics International |Band=34(3) |Verlag=International Society for Prosthetics and Orthotics |Ort=Brüssel |Datum=2010-09 |ISSN=0309-3646 |Seiten=254–269}}</ref> Im Fall einer [[Hemiparese]] mit einer Bewegungsstörung, die auf einem reduzierten sensorischen Input beruht, kann eine Bewegungskorrektur durch Biofeedback unterstützt werden, das zusätzliche Informationen für die [[Propriozeption]] liefert.<ref>{{Literatur |Autor=K. Genthe, C. Schenck, S. Eicholtz, L. Zajac-Cox, S. Wolf, T. M. Kesar |Titel=Effects of real-time gait biofeedback on paretic propulsion and gait biomechanics in individuals post-stroke |Sammelwerk=Topics in Stroke Rehabilitation |Band=25 |Nummer=3 |Datum=2018-04 |Seiten=186–193 |DOI=10.1080/10749357.2018.1436384 |PMC=5901660 |PMID=29457532}}</ref><ref>{{Literatur |Autor=J. Spencer, S. L. Wolf, T. M. Kesar |Titel=Biofeedback for Post-stroke Gait Retraining: A Review of Current Evidence and Future Research Directions in the Context of Emerging Technologies |Sammelwerk=Frontiers in Neurology |Band=12 |Datum=2021 |Seiten=637199 |DOI=10.3389/fneur.2021.637199 |PMC=8042129 |PMID=33859607}}</ref><ref>{{Internetquelle |url=https://cordis.europa.eu/article/id/231215-a-wearable-device-that-helps-paralysed-patients-walk-again/de |titel=Tragbares Gerät unterstützt Gehversuche gelähmter Patienten |werk=cordis.europa.eu |datum=2017 |abruf=2022-05-26}}</ref><br />
<br />
[[Ergotherapie|Ergotherapeuten]] arbeiten gezielt mit den Patienten an der (teilweisen) Wiederherstellung der [[Sensomotorik|sensomotorischen]], kognitiven und emotionalen Fähigkeiten.<ref>{{Internetquelle |url=https://www.ergotherapie.ch/ergotherapie-de/bei-neurologischen-verletzungen-und-erkrankung-der-neurologie/ |titel=Ergotherapie – bei neurologischen Verletzungen und Erkrankung der Neurologie |abruf=2020-05-07}}</ref><br />
<br />
Die Bedeutung einer gezielten [[Logopädie]] bereits in der Frühphase und über einen langen Zeitraum wird häufig unterschätzt und nur laienhaft angegangen. Für bestimmte Therapiebereiche gibt es bisher kein ausreichendes Angebot im ambulanten Bereich, wie in der Sprachtherapie v.&nbsp;a. bei [[Aphasie]] und Dysarthrie. In der rehabilitativen Therapie ist ein hochfrequentes, repetitives Üben bestimmter Aufgaben sinnvoll, die [[Telerehabilitation]] oder die [[Teletherapie (Telemedizin)|Teletherapie]] ermöglicht eine supervidierte Versorgung von Patienten. Eine intensive Behandlung ist im niedergelassenen Setting nicht zu erbringen. Nur durch Nutzung computergestützter Verfahren kann die Intensität so erhöht werden, dass die sich aus den Vorgaben der Metastudie ergebenden Zielgrößen erreicht werden. Machbarkeitsstudien belegen, dass für etwa 50–60 % der aphasischen Patienten Teletherapie sinnvoll ist. Tatsächlich konnte durch die Teletherapiestudie erstmals gezeigt werden, dass die Therapiefrequenz durch supervidierte Teletherapie ohne Qualitätsverlust so angehoben wird, dass Patienten nachweislich davon profitieren.<br />
<br />
Moderne Ansätze der Neurorehabilitation versuchen krankhafte Hirnaktivität zu beeinflussen. So findet sich bei einigen Patienten eine enthemmte Aktivität der nicht-geschädigten Hemisphäre, welche die motorischen Funktionen der vom Schlaganfall betroffenen Hirnhälfte stört. Eine Reduktion der Überaktivität, zum Beispiel mit Hilfe der [[Transkranielle Magnetstimulation|transkraniellen Magnetstimulation]] (TMS), kann bei einem Teil der Patienten zu einer besseren Funktion der gelähmten Hand führen.<ref>D. A. Nowak, C. Grefkes, G. R. Fink: ''Modern neurophysiological strategies in the rehabilitation of impaired hand function following stroke.'' In: ''Fortschr Neurol Psychiatr.'' 76(6), Jun 2008, S. 354–360.</ref> Derzeit läuft an den [[National Institutes of Health]] (NIH) eine Multicenter-Studie zur Wirksamkeit der Magnetstimulationstherapie in Kombination mit einer pharmakologischen Stimulation mit dem [[Dopamin]]-Präparat „Levo-DOPA“. Durch Letzteres sollen die TMS-Effekte verstärkt werden. Auch andere Medikamente aus der Gruppe der monoaminergen Substanzen wie [[Paroxetin]] (serotonerg), [[Fluoxetin]] (serotonerg) oder [[Reboxetin]] (adrenerg) können Schlaganfall-Defizite [[Temporär|transient]] verbessern, wie in Placebo-kontrollierten Studien gezeigt werden konnte.<ref>J. Pariente, I. Loubinoux, C. Carel, J. F. Albucher, A. Leger, C. Manelfe, O. Rascol, F. Chollet: ''Fluoxetine modulates motor performance and cerebral activation of patients recovering from stroke.'' In: ''Ann Neurol.'' 50 (6), Dez 2001, S. 718–729.</ref> Ein neuer technischer Ansatz zur Verbesserung von Ausfällen besteht in der transkraniellen Gleichstrom-Behandlung (transcranial direct current stimulation, tDCS), was derzeit in mehreren Kliniken, unter anderem in Deutschland, überprüft wird.<ref>F. C. Hummel, B. Voller, P. Celnik, A. Floel, P. Giraux, C. Gerloff, L. G. Cohen: ''Effects of brain polarization on reaction times and pinch force in chronic stroke.'' In: ''BMC Neurosci.'' 7, 3. Nov 2006, S. 73.</ref><br />
<br />
== Langzeitfolgen ==<br />
Schlaganfälle erhöhen wahrscheinlich das Risiko, an einer [[Demenz]] zu erkranken.<ref>{{Internetquelle |url=https://www.pharmazeutische-zeitung.de/ausgabe-302008/schlaganfall-verdoppelt-demenzrisiko/ |titel=Schlaganfall verdoppelt Demenzrisiko |werk=[[Pharmazeutische Zeitung]] |datum=2008-07-22 |abruf=2019-04-03}}</ref><ref>{{Internetquelle |autor=Philip Grätzel von Grätz |url=https://www.aerztezeitung.de/medizin/krankheiten/demenz/article/802338/demenz-nach-apoplex-sekundaerpraevention.html |titel=Demenz nach Apoplex: Sekundärprävention |werk=[[Ärzte Zeitung]] |datum=2012-01-24 |abruf=2019-04-03}}</ref><ref>{{Internetquelle |url=https://www.dw.com/de/auf-schlaganfall-folgt-oft-demenz/a-45903150 |titel=Auf Schlaganfall folgt oft Demenz |werk=[[Deutsche Welle]] |datum=2018-10-16 |abruf=2019-04-03}}</ref><br />
<br />
== Gesundheitsökonomische Aspekte ==<br />
2017 sollen Schlaganfälle in Europa (32 untersuchte Länder) Kosten von etwa 60 Milliarden Euro verursacht haben. Die Studienautoren ermittelten, dass die reine medizinische Versorgung rund 27 Milliarden Euro (45 %) der Kosten ausmachte. Der Produktivitätsverlust habe sich auf 12 Milliarden Euro belaufen, hälftig verursacht durch vorzeitigen Tod und verpasste Arbeitstage. Familienangehörige leisteten rund 1,3 Milliarden Stunden Pflege für ihre erkrankten Verwandten, was etwa 16 Milliarden Euro gekostet haben soll.<br />
<br />
Deutschland habe rund neun Milliarden Euro – und damit 2,6 Prozent der gesamten Gesundheitskosten – für die medizinische Behandlung von Schlaganfallpatienten ausgegeben. Der Produktivitätsverlust lag bei rund 1,5 Milliarden Euro auf Seiten der Erkrankten und knapp 5&nbsp;Milliarden Euro bei den pflegenden Angehörigen.<br />
<br />
Im Rahmen einer bevölkerungsbasierten Gesamtkostenanalyse des Schlaganfalls in 32 europäischen Ländern im Jahr 2017, inklusive der damit verbundenen Einkommensverluste durch Behinderung oder frühen Tod, liegt Deutschland mit 113 Euro pro Einwohner an zweithöchster Stelle. Die Bandbreite der Kosten in den untersuchten Ländern geht von elf Euro in Bulgarien bis zu 140 Euro in Finnland. Mit einbezogen wurden Kosten im Gesundheitssystem, dem Sozialsystem und auch die verursachten Kosten außerhalb dieser Systeme, wie nicht-professionelle Pflege durch Freunde oder Angehörige.<ref name="DOI10.1177/2396987319883160">Ramon Luengo-Fernandez, Mara Violato, Paolo Candio, Shelby D. Reed: ''Economic burden of stroke across Europe: A population-based cost analysis.'' In: ''European stroke journal.'' 2020, Band 5, Nummer 1, S.&nbsp;17–25 [[doi:10.1177/2396987319883160]].</ref><br />
<br />
== Siehe auch ==<br />
Weitere Informationen zu den [[Symptom]]en, der [[Diagnose|Diagnostik]] und der [[Therapie]] finden sich unter:<br />
* [[Ischämischer Schlaganfall]]<br />
* [[Subarachnoidalblutung]]<br />
* [[Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe]]<br />
* [[Modifizierte Rankin-Skala]] als Maß der bleibenden Behinderung nach einem Schlaganfall<br />
* [[European Stroke Conference]]<br />
Weitere Informationen zu Aktionen und [[Veranstaltung]]en finden sich unter:<br />
<br />
* [[Tag gegen den Schlaganfall]]<br />
<br />
Die [[Special-Interest-Zeitschrift]] ''[[not (Magazin)|not]]'' berichtet seit 1992 über Themen aus den Bereichen [[Schädel-Hirn-Trauma]]ta und Schlaganfall-Behandlung.<ref name="media">[https://not-online.de/wp-content/uploads/2021/11/Mediadaten_not_2022_kl.pdf ''Mediadaten 2022''.] (PDF; 160&nbsp;kB), not, abgerufen am 25. Februar 2022.</ref><br />
<br />
== Literatur ==<br />
* K.-F. Gruber-Gerardy, W. Merz, H. Sonnenberg: ''Meilensteine aus der Geschichte des Schlaganfalls. Von Apoplexis, Blutegeln und moderner Sekundärprävention.'' [[Boehringer Ingelheim]], Ingelheim 2005, {{OCLC|891805882}}.<br />
* Jörg Braun, Roland Preuss, Klaus Dalhoff: ''Klinikleitfaden Intensivmedizin.'' 6. Auflage. [[Urban & Fischer]], München / Jena 2005, ISBN 3-437-23760-8 (medizinisches Lehrbuch).<br />
* Manio von Maravic: ''Neurologische Notfälle.'' In: Jörg Braun, Roland Preuss (Hrsg.): ''Klinikleitfaden Intensivmedizin.'' 9. Auflage. Elsevier, München 2016, ISBN 978-3-437-23763-8, S. 311–356, hier: S. 312–324 ''(Schlaganfall und Stroke Unit)''.<br />
* [[Klaus Poeck]], [[Werner Hacke]]: ''Neurologie''. Mit 85 Tabellen [neue Approbationsordnung], 12. Auflage, Springer, Heidelberg 2006, ISBN 3-540-29997-1 (medizinisches Lehrbuch).<br />
* Patricia M. Davies: ''Hemiplegie.'' Ein umfassendes Behandlungskonzept für Patienten nach Schlaganfall und anderen Hirnschädigungen. In: ''Rehabilitation und Prävention.'' 2., vollständig überarbeitete Auflage. Springer, Berlin u.&nbsp;a. 2002, ISBN 3-540-41794-X (Lehrbuch zur krankengymnastischen Rehabilitation nach Schlaganfall).<br />
<br />
== Weblinks ==<br />
{{Commonscat|Stroke|Schlaganfall}}<br />
{{Wiktionary|Gehirnschlag}}<br />
{{Wiktionary}}<br />
{{Wikibooks|Erste Hilfe/ Schlaganfall|Erste Hilfe bei Schlaganfall}}<br />
* [https://www.ars-neurochirurgica.com/tools/nihss-rechner NIHSS Score - Online Rechner]<br />
* {{DNB-Portal|4052588-0}}<br />
* S3-[[Medizinische Leitlinie|Leitlinie]]: ''Schlaganfall'', der [[Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften]] (AWMF), AWMF-Registernummer 053/011 ([https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/053-011.html Volltext.] Stand: 31. Oktober 2012, gültig bis 29. Februar 2016).<br />
<br />
== Einzelnachweise ==<br />
<references /><br />
<br />
{{Gesundheitshinweis}}<br />
{{Normdaten|TYP=s|GND=4052588-0|LCCN=sh85022095}}<br />
<br />
[[Kategorie:Zerebrovaskuläre Störung]]<br />
[[Kategorie:Krankheitsbild in der Neurochirurgie]]<br />
[[Kategorie:Schlaganfall| ]]<br />
[[Kategorie:Krankheitsbild in der Notfallmedizin]]</div>Scriptirhttps://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Schlaganfall&diff=249233017Schlaganfall2024-10-08T02:43:21Z<p>Scriptir: Änderung 249233002 von Scriptir rückgängig gemacht;</p>
<hr />
<div>{{Weiterleitungshinweis|Stroke|Zu dem gleichnamigen Magazin siehe: [[Stroke (Zeitschrift)]]. Zur Kunstmesse siehe: [[Stroke Art Fair]].}}<br />
{{Infobox ICD<br />
|01-CODE= I64<br />
|01-BEZEICHNUNG= Schlaganfall, nicht als Blutung oder Infarkt bezeichnet<br />
}}<br />
Ein '''Schlaganfall''' (umgangssprachlich auch '''Apoplex''',<ref name=":0">Vgl. hierzu {{Literatur |Autor=Roland Veltkamp et al. |Hrsg=Deutsche Gesellschaft für Neurologie |Titel=Akuttherapie des ischämischen Schlaganfalls |Sammelwerk=Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie |Verlag=Thieme Verlag |Datum=2012-09 |Seiten=2 |Online=https://dnvp9c1uo2095.cloudfront.net/cms-content/030046_akuttherapie_des_ischaemischen_schlaganfalls_2012_1683290005685.pdf}}</ref> kurz für lateinisch '''Apoplexia cerebri''') ist eine plötzlich einsetzende, von einem [[Herd (Medizin)|Herd]] ausgehende Ausfallerscheinung einer neurologischen Funktion infolge einer Durchblutungsstörung im Gehirn ([[ischämischer Schlaganfall]]) oder einer [[Gehirnblutung]] (hämorrhagischer Schlaganfall). Die Symptome sind abhängig vom betroffenen Gehirnareal und variieren stark. Beispiele sind: Ausfall oder Störung von Sinneseindrücken, Sprachstörungen, Verwirrtheit, Schwindel, Kopfschmerzen oder halbseitige Muskellähmungen. Der Schlaganfall ist ein medizinischer Notfall und sollte ohne jeden Zeitverlust in einem geeigneten Krankenhaus behandelt werden. Typische Therapieverfahren des ischämischen Schlaganfalls sind [[Thrombolyse]] oder eine kathetergeführte [[Thrombektomie|mechanische Rekanalisation]] der betroffenen Gehirngefäße. Einige Formen der Gehirnblutung können einen [[Neurochirurgie|neurochirurgischen Eingriff]] erfordern.<br />
<br />
Der Schlaganfall ist weltweit die zweithäufigste Todesursache und der zweithäufigste Grund für [[Behinderung]].<ref name="PMID30879893">''Global, regional, and national burden of neurological disorders, 1990–2016: a systematic analysis for the Global Burden of Disease Study 2016.'' In: ''[[The Lancet]]. Neurology'', Band 18, Nummer 5, 05 2019, S.&nbsp;459–480; [[doi:10.1016/S1474-4422(18)30499-X]], PMID 30879893, {{PMC|6459001}}.</ref><br />
<br />
== Begriff ==<br />
Die Terminologie des Schlaganfalls wurde<ref>Irmgard Hort, [[Axel Karenberg]]: ''Überlegungen salernitanischer Magistri zur Apoplexie.'' In: ''Würzburger medizinhistorische Mitteilungen.'' Band 18, 1999, S. 87–92.</ref> und wird nicht einheitlich benutzt. Gleichbedeutend zum Begriff Schlaganfall sind auch die englischen [[Terminus|Termini]] '''Stroke''', ''Cerebrovascular accident (CVA)'' und ''Cerebrovascular Insult (CVI)''.<ref>Gerhard F. Hamann, Mario Siebler, Wolfgang von Scheidt: ''Schlaganfall: Klinik, Diagnostik, Therapie, Interdisziplinäres Handbuch.'' ecomed Verlagsgesellschaft, 2002, ISBN 3-609-51990-8.</ref> Diese Bezeichnungen werden häufig als Oberbegriff für unterschiedliche neurologische Krankheitsbilder benutzt, deren wichtigste Gemeinsamkeit plötzliche Symptome nach einer auf das Gehirn begrenzten [[Durchblutungsstörung]] sind, wobei der Funktionsverlust definitionsgemäß<ref>Definition der [[Weltgesundheitsorganisation|WHO]]</ref> nicht auf primäre Störungen der Erregbarkeit von Nervenzellen zurückzuführen sein darf (''konvulsive Störung'', siehe [[Epilepsie]]).<br />
<br />
=== Synonyme ===<br />
Es existieren viele veraltete Synonyme. Die Begriffe [[Apoplex]], Apoplexia cerebri und apoplextischer Insult sind veraltet.<ref name=":0" /> Gelegentlich und vor allem in der Schweiz wird das Synonym Hirnschlag verwendet.<ref>{{Literatur |Hrsg=Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.&nbsp;V. & Deutsche Schlaganfall-Gesellschaft e.&nbsp;V. |Titel=S2e Leitlinie zur Akuttherapie des ischämischen Schlaganfalls AWMF-Registernummer 030-046 Version 2021 (LANGFASSUNG) |Verlag=AWMF |Datum=2021-05-10 |Seiten=11 |Online=https://register.awmf.org/assets/guidelines/030-046l_S2e_Akuttherapie-des-ischaemischen-Schlaganfalls_2021-05.pdf}}</ref><br />
{| style="float:left; margin-right:1em;"<br />
|-<br />
|<br />
* Zerebraler Insult<br />
* Insult<br />
* Apoplexia cerebri (veraltet)<ref name=":0" /><br />
* Apoplexie<ref name="pschyrembel">{{Internetquelle |autor=Catherina Lücke |url=https://www.pschyrembel.de/schlaganfall/K0PSS/doc/ |titel=Schlaganfall |werk=pschyrembel.de |hrsg=Pschyrembel online |datum=2020-04 |abruf=2021-11-10}}</ref> (veraltet)<ref name=":0" /><br />
* Apoplektischer Insult<ref name="pschyrembel" />(veraltet)<ref name=":0" /><br />
|-<br />
|}<br />
{| style="float:left; margin-right:1em;"<br />
|<br />
* Gehirninfarkt<ref name="pschyrembel" /><br />
* Gehirnschlag<ref name="pschyrembel" /><br />
* Hirnschlag<ref>[https://www.duden.de/rechtschreibung/Hirnschlag duden.de]</ref><br />
* Schlag<br />
|-<br />
|}<br />
{| style="float:left;"<br />
|<br />
* Ictus apoplecticus (veraltet, von „Schlagfluss“)<br />
* Gutta (veraltet, von mittelhochdeutsch ''gutt'', „Tropfen“)<ref>[[Lorenz Diefenbach]]: ''Glossarium latino-germanicum mediae et infimae aetatis.'' Baer, Frankfurt am Main 1857, S. 271.</ref><br />
|-<br />
|}<br />
<div style="clear:both;"></div><br />
<br />
== Epidemiologie ==<br />
Geschätzt gibt es in Deutschland jährlich etwa 270.000 Schlaganfallneuerkrankungen.<ref>Manio von Maravic: ''Neurologische Notfälle.'' In: Jörg Braun, Roland Preuss (Hrsg.): ''Klinikleitfaden Intensivmedizin.'' 9. Auflage. Elsevier, München 2016, ISBN 978-3-437-23763-8, S. 311–356, hier: S. 312–316 (''Akute zerebrovaskuläre Erkrankungen'').</ref><br />
Jährliche Häufigkeiten in Deutschland:<ref>{{Literatur |Autor=Kommission Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie |Titel=Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie |Auflage=3. |Verlag=Georg Thieme |Ort=Stuttgart |Datum=2005 |ISBN=3-13-132413-9 |Online=https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/030-046.html}}</ref><br />
* durch Minderdurchblutung primär [[Ischämischer Schlaganfall|ischämische Hirninfarkte]] ([[Inzidenz (Epidemiologie)|Inzidenz]] 160–240 Ereignisse/100.000 Einwohner)<br />
* [[Hirnblutung]]en (24/100.000)<br />
* Einblutungen in den das Gehirn umgebenden Liquorraum, sogenannte [[Subarachnoidalblutung]]en (6/100.000)<br />
* Schlaganfälle ungeklärter Ursache (8/100.000)<br />
<br />
Der Schlaganfall gehört zu den häufigsten schweren Erkrankungen in Deutschland, hat eine 1-Jahres-Mortalität von 20 bis 30 % und ist auch eine häufige Todesursache in Deutschland: 2015 stellte das Statistische Bundesamt 56.982 Todesfälle durch zerebrovaskuläre Krankheiten fest, was einem Anteil von 6,2 % entspricht.<ref>[https://www-genesis.destatis.de/genesis/online?sequenz=statistikTabellen&selectionname=23211 Tabelle "Todesursachenstatistik"]. Auf: ''genesis-destatis.de'', abgerufen am 1. Juni 2018.</ref><br />
<br />
Darüber hinaus ist der Schlaganfall mit einer Invaliditätsrate von 30 bis 35 % die häufigste Ursache für mittlere und schwere Behinderung.<br />
<br />
51 % aller Schlaganfälle betrafen bis 2010 die Altersgruppe der über 75-Jährigen. Mit zunehmendem Alter steigt das Schlaganfallrisiko überproportional.<ref>E. Rupp: [https://edoc.ub.uni-muenchen.de/15751/1/Rupp_Eckart.pdf ''Fortschritte in Behandlung und Diagnostik zentraler neurogener Sprachstörungen.''] (PDF; 9,0&nbsp;MB) Dissertation. [[Ludwig-Maximilians-Universität München]], 2. Juli 2010.</ref><br />
<br />
In den USA sind Schlaganfälle die fünfthäufigste Todesursache.<ref>{{Literatur |Autor=Emelia J Benjamin und andere für das ''American Heart Association Statistics Committee and Stroke Statistics Subcommittee'' |Titel=Heart Disease and Stroke Statistics—2017 Update |Sammelwerk=Circulation |Band=135 |Nummer=10 |Datum=2017-03-07 |ISBN= |Seiten=e146–e603 |DOI=10.1161/CIR.0000000000000485}}</ref> Weltweit ist der Schlaganfall eine der häufigsten Ursachen für eine Behinderung.<ref>{{Literatur |Autor=for the GBD 2013 Stroke Panel Experts Group, Gregory A. Roth, Christopher J. L. Murray, Theo Vos, Catherine O. Johnson |Titel=Stroke Prevalence, Mortality and Disability-Adjusted Life Years in Adults Aged 20-64 Years in 1990–2013: Data from the Global Burden of Disease 2013 Study |Sammelwerk=Neuroepidemiology |Band=45 |Nummer=3 |Datum=2015 |ISSN=1423-0208 |Seiten=190–202 |Online=https://www.karger.com/Article/FullText/441098 |Abruf=2018-12-23 |DOI=10.1159/000441098 |PMID=26505983}}</ref> In der GBD 2016 ''(Global Burden of Disease 2016 Lifetime Risk of Stroke<ref>{{Literatur |Autor=GBD 2016 DALYs, HALE Collaborators |Titel=Global, regional, and national disability-adjusted life-years (DALYs) for 333 diseases and injuries and healthy life expectancy (HALE) for 195 countries and territories, 1990–2016: a systematic analysis for the Global Burden of Disease Study 2016 |Sammelwerk=Lancet (London, England) |Band=390 |Nummer=10100 |Datum=2017-09-16 |ISSN=1474-547X |Seiten=1260–1344 |DOI=10.1016/S0140-6736(17)32130-X |PMC=5605707 |PMID=28919118}}</ref>)'' wurde weltweit ein Lebenszeitrisiko für Schlaganfall von 24,9 % ermittelt. Männer hatten mit 24,9 % ein geringfügig geringeres Risiko als Frauen mit 25,1 %. Das Risiko eines ischämischen Schlaganfalls betrug weltweit 18,3 %, das eines hämorrhagischen Apoplex 8,2 %. Das höchste Lebenszeitrisiko bestand in Ost[[asien]] (38,8 %), Zentral[[europa]] (31,7 %) und Osteuropa (31,6 %). Das geringste Risiko bestand im östlichen Subsahara-[[Afrika]] (11,8 %).<ref>{{Literatur |Autor=The GBD 2016 Lifetime Risk of Stroke Collaborators |Titel=Global, Regional, and Country-Specific Lifetime Risks of Stroke, 1990 and 2016 |Sammelwerk=New England Journal of Medicine |Band=379 |Nummer=25 |Datum=2018-12-20 |ISSN=0028-4793 |Seiten=2429–2437 |Online=http://www.nejm.org/doi/10.1056/NEJMoa1804492 |Abruf=2019-02-26 |DOI=10.1056/NEJMoa1804492}}</ref><br />
<br />
== Formen eines Schlaganfalls – Minderdurchblutung oder Blutung ==<br />
{{Hauptartikel|Ischämischer Schlaganfall|Hirnblutung}}<br />
[[Datei:Stroke healthy.jpg|mini|Aktivitätsmuster bei Gesunden und Schlaganfall-Patienten, gemessen mit fMRT]]<br />
<br />
Dem ischämischen Schlaganfall liegt ein plötzlicher Mangel an Sauerstoff und anderen Substraten für die [[Nervenzelle]]n zugrunde. Er entstehet meist in Folge von [[Thrombose]], [[Embolie]] oder [[Krampf|Spasmus]]<ref>Immo von Hattingberg: ''Schlaganfall (Apoplexie).'' In: [[Ludwig Heilmeyer]] (Hrsg.): ''Lehrbuch der Inneren Medizin.'' Springer-Verlag, Berlin/Göttingen/Heidelberg 1955; 2. Auflage ebenda 1961, S. 1317–1320.</ref> einer hirnversorgenden Arterie und führt zum Hirninfarkt.<br />
<br />
Die akute [[Hirnblutung]] ([[Blutung|hämorrhagischer]] Schlaganfall) verursacht durch den Volumeneffekt des Hämatoms und des Ödems eine umschriebene Hirnschädigung. Sekundär kann es aufgrund der raumfordernden Wirkung ebenfalls zu einer [[Ischämie]] kommen. Umgekehrt kann es bei primär ischämischen Infarkten zu sekundären Blutungen im Infarktgebiet (hämorrhagische Infarzierung) kommen.<ref>P. L. Kolominsky-Rabas u.&nbsp;a.: ''A prospective community-based study of stroke in Germany--the Erlangen Stroke Project (ESPro): incidence and case fatality at 1, 3, and 12 months.'' In: ''Stroke.'' 29, 1998, S. 2501–2506. PMID 9836758</ref><br />
<br />
Die Unterscheidung zwischen Minderdurchblutung und Blutung ist erst durch bildgebende Verfahren wie der [[Computertomographie]] (CT) oder [[Magnetresonanztomographie]] (MRT, englisch MRI) sicher möglich, wobei in den ersten Stunden beide Bildgebungsmethoden noch unauffällig sein können, dies insbesondere beim primär ischämischen Hirninfarkt. Die Verdachtsdiagnose einer [[Subarachnoidalblutung]], welche infolge einer geplatzten Arterie (zum Beispiel aufgrund eines [[Aneurysma]]s) entsteht, kann – insbesondere bei nur milder Symptomatik (zum Beispiel alleinige Kopfschmerzen) – durch den Nachweis von Blutbestandteilen im [[Liquor cerebrospinalis|Nervenwasser]] bei der [[Lumbalpunktion]] bestätigt werden.<br />
<br />
Minderdurchblutungen, die kürzer als 24 Stunden andauern und von bloßem Auge ohne sichtbare Folgen bleiben, wurden früher als [[transitorische ischämische Attacke]] (TIA) bezeichnet. In den Leitlinien der [[Deutsche Gesellschaft für Neurologie|Deutschen Gesellschaft für Neurologie]] von 2005 wird darauf hingewiesen, dass die klassische Differenzierung von transitorisch ischämischen Attacken (TIA) und vollendeten ischämischen Schlaganfällen als überholt gilt. Gleichwohl wird der Unterschied in manchen Lehrbüchern noch erwähnt. Zwei Gründe dafür sind, dass bei vielen Patienten mit einer sogenannten TIA morphologische Hirnverletzungen nachweisbar sind und dass das Risiko für einen Re-Infarkt nach TIA und vollendetem Schlaganfall etwa gleichermaßen erhöht ist. Abgesehen von der Frage der [[Thrombolyse|Lyse]] sollen sowohl vollendete Schlaganfälle als auch früher als TIA bezeichnete Zustände gleich behandelt werden.<ref>{{Literatur |Autor=Kommission Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie |Titel=Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie |Auflage=3. |Verlag=Georg Thieme |Ort=Stuttgart |Datum=2005 |ISBN=3-13-132413-9 |Online=https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/030-046.html}}</ref> Der Begriff ''(prolongiertes) reversibles ischämisches neurologisches Defizit'' (RIND/PRIND) für länger als 24 Stunden, aber kürzer als drei Wochen anhaltende Befunde soll ebenfalls nicht mehr angewendet werden, da dies bereits einem manifesten Schlaganfall entspricht.<ref>Clearingbericht „Deutsche Leitlinien zum Schlaganfall“, 2005.</ref> Gleiches gilt für die Beschreibung eines ''partiell reversiblen ischämischen neurologischen Syndroms'' (PRINS).<br />
<br />
== Symptome ==<br />
Als Zeichen eines Schlaganfalls können zum Beispiel folgende neurologische Symptome einzeln oder gleichzeitig auftreten:<ref>[http://www.schlaganfall-hilfe.de/symptome ''Symptome''.] schlaganfall-hilfe.de; abgerufen am 29. Mai 2016.</ref><br />
* [[Bewusstseinsstörung]]en ([[Quantitative Bewusstseinsstörung|Bewusstseinstrübung]], [[Somnolenz]], [[Koma]])<br />
* [[Verwirrtheit]]<br />
* Missempfindungen (z.{{Nnbsp}}B. [[Parästhesie]], [[Hypästhesie]]) an Körperteilen oder einer ganzen Körperhälfte<br />
* [[Lähmung]] oder [[Parese|Schwäche]] einer Körperhälfte einschließlich einer Gesichtshälfte, seltener nur in einem Arm, Bein oder in allen vier Extremitäten<br />
* [[Aphasie]], [[Dysarthrie]]<br />
* Schluckstörungen ([[Dysphagie]], vier Grade der NOD = neurogene oropharyngeale Dysphagie)<br />
* schmerzlose [[Sehstörung]] auf einem oder beiden Augen, einseitige [[Pupille]]nerweiterung, [[Anopsie|Gesichtsfeldausfall]], [[Diplopie|Doppelbilder]], [[Blickdeviation]]<br />
* [[Schwindel]], [[Gangstörung]], [[Gleichgewichtssinn|Gleichgewichts]]- oder Koordinationsstörung ([[Ataxie]])<br />
* stärkster [[Kopfschmerz]] ohne erkennbare Ursache bei evtl. entgleistem (überhöhtem) [[Arterielle Hypertonie|Blutdruck]], [[Übelkeit]], [[Emesis|Erbrechen]]<br />
* fehlende Wahrnehmung eines Teils der Umwelt oder des eigenen Körpers ([[Neglect]])<br />
<br />
== Ursachen ==<br />
[[Ischämischer Schlaganfall]]:<br />
* Verschluss einer hirnversorgenden Arterie durch ein [[Thrombus|Blutgerinnsel]] in Folge von arterieller [[Embolie]] oder [[Thrombose]]<br />
* Kritische Minderperfusion in Folge von [[Vasokonstriktion|Gefäßverengungen]] (hämodynamischer Infarkt) oder [[Vasospasmus|Gefäßverkrampfungen]] (vasospastischer Infarkt)<br />
[[Intrazerebrale Blutung|Hirnblutungen]]:<br />
* Austritt von Blut in das Hirngeweb<nowiki />e nach Riss eines Gefäßes, z.&nbsp;B. infolge hohen [[Blutdruck]]s, Blutgerinnungsstörungen oder vorbestehenden Gefässerkrankungen (z.B [[Angiom]])<br />
* Subarachnoidalblutung, sub- oder epidurale [[Hämatom]]e<br />
[[Sinusthrombose]] oder Hirnvenenthrombose:<br />
* Verschluss der [[Vene|venösen]] Abflussgefäße<br />
* als Komplikation können Hirnblutungen (Stauungsblutung) oder Infarkte auftreten<br />
<br />
== Risikofaktoren ==<br />
Eine an tierischen Fetten reiche Ernährung erhöht das Schlaganfallrisiko. 2021 wertete eine Studie 27 Jahre Daten von 117.000 Probanden aus. Die Studie kam zu dem Schluss, dass Fette aus tierischen Lebensmitteln das Schlaganfallrisiko erhöhen, während solche aus pflanzlichen Lebensmitteln es senken.<ref>Wang F, Baden MY, Rexrode KM, Hu FB. RF160 - Dietary Fat Intake and the Risk of Stroke: Results from Two Prospective Cohort Studies. Abstract presented at: American Heart Association’s Scientific Sessions 2021; November 13-15, 2021; virtual meeting.</ref><ref>{{Internetquelle |url=https://www.eurekalert.org/news-releases/933445 |titel=Vegetable fat may decrease stroke risk, while animal fat increases it |sprache=en |abruf=2021-11-10}}</ref><br />
<br />
== Früherkennung eines erhöhten Schlaganfallrisikos ==<br />
Als Früherkennung wird ein Ultraschall der Halsschlagadern angeboten, der Ablagerungen erkennen und so dazu beitragen soll, das Schlaganfallrisiko zu senken. Der [[IGeL-Monitor]] des MDS ([[Medizinischer Dienst Bund|Medizinischer Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen]]) hat diese Untersuchung mit „tendenziell negativ“ bewertet.<ref>[https://www.igel-monitor.de/igel-a-z/igel/show/ultraschall-der-halsschlagadern-zur-schlaganfallvorsoge.html ''Ultraschall der Halsschlagadern zur Schlaganfallvorsorge''.] IGeL-Monitor; abgerufen am 15. März 2019. Die Bewertung gilt für Menschen ab 50, die keine Beschwerden haben. Mehr zur Bewertung im Dokument [https://www.igel-monitor.de/fileadmin/user_upload/Ultraschall_der_Halsschlagader__Evidenz_ausfuehrlich.pdf ''„Evidenz ausführlich“''.] (PDF; 1,0&nbsp;MB) abgerufen am 15. März 2019.</ref> Denn bei der systematischen Literaturrecherche fanden die Wissenschaftler des IGeL-Monitor keine Studien zu der Frage, ob der Ultraschall die Häufigkeit von Krankheit und Tod durch einen Schlaganfall vermindern kann. Zwar könne die Ultraschalluntersuchung viele Verengungen der Halsschlagader früh erkennen, aber ob die Behandlung dann wirklich dazu führe, dass weniger Menschen einen Schlaganfall bekommen, sei unklar.<ref>[https://www.medical-tribune.de/praxis-und-wirtschaft/ehealth/artikel/igel-monitor-bewertet-ultraschall-der-halsschlagader-zur-schlaganfallvorsorge-tendenziell-negativ/ ''IGeL-Monitor bewertet Ultraschall der Halsschlagader zur Schlaganfallvorsorge tendenziell negativ''.] Medical Tribune, 15. Dezember 2016.</ref> Schäden seien dagegen möglich durch unnötige weitere Untersuchungen und unnötige Behandlungen.<ref>[https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/71536/IGeL-Monitor-lehnt-Ultraschall-der-Halsschlagadern-als-Schlaganfallvorsorge-ab ''IGeL-Monitor lehnt Ultraschall der Halsschlagadern als Schlaganfallvorsorge ab''.] Deutsches Ärzteblatt, 18. November 2016.</ref> Wichtigste Quelle ist eine Übersichtsarbeit von 2014.<ref>D.E. Jonas et al.: [https://www.ncbi.nlm.nih.gov/books/NBK223225/ ''Screening for Asymptomatic Carotid Artery Stenosis''.] 2014. Agency for Healthcare Research and Quality. Screening for Asymptomatic Carotid Artery Stenosis: A Systematic Review and Meta-Analysis for the U.S. Preventive Services Task Force. Evidence Synthesis No. 111. Report No.: No. 13-05178-EF-1.</ref> In der „Leitlinie zur Diagnostik, Therapie und Nachsorge der extracraniellen Carotisstenose“ raten mehrere deutsche Fachgesellschaften aufgrund der Studienlage ebenfalls von einer Reihenuntersuchung ab: „Ein routinemäßiges Screening auf das Vorliegen einer Carotisstenose soll nicht durchgeführt werden.“<ref>H.H. Eckstein et al. [https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/004-028l_S3_Extracranielle_Carotisstenose_2012_abgelaufen.pdf ''S3-Leitlinie zur Diagnostik, Therapie und Nachsorge der extracraniellen Carotisstenose''.] (PDF) AWMF-Register Nr. 004/028. 2012. Siehe auch: Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin: [https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/053-011l_S3_Schlaganfall_2012-abgelaufen.pdf ''Schlaganfall. DEGAM-Leitlinie Nr. 8''.] (PDF) AWMF Register Nr. 053/011. 2012.</ref> Auch vier internationale Leitlinien empfehlen keine Reihenuntersuchung von Menschen ohne Beschwerden und ohne besondere Risikofaktoren.<ref>Ricotta, J.J. et al. Updated Society for Vascular Surgery guidelines for management of extracranial carotid disease. J Vasc Surg, 2011; 54 (3): e1-e31. Royal Australian College of General Practitioners. Guidelines for preventive activities in general practice. 8th edition, 2012.</ref> Bei einem Verdacht oder bei Beschwerden, die auf eine verengte Ader zurückgehen können, ist der Ultraschall Kassenleistung.<br />
<br />
== Diagnostik ==<br />
Die Diagnose des Schlaganfalls wird [[Symptom|klinisch]] gestellt, in der Regel durch einen [[Neurologe]]n. Dieser bedient sich hierfür unterschiedlicher Untersuchungsmethoden, um die zahlreichen unterschiedlichen Funktionen des Gehirns zu überprüfen. Häufig orientieren sich diese Untersuchungen an Scoringsystemen wie der [[National Institutes of Health Stroke Scale]] (NIHSS), die eine quantitative Einschätzung der Schwere des Schlaganfalls ermöglicht. Je nach vermuteter Lokalisation des Schlaganfalls im Gehirn können jedoch auch speziellere Untersuchungen, z.&nbsp;B. des Kleinhirns oder der Hirnnerven, indiziert sein. Bei sich erhärtendem oder zumindest nicht mit Sicherheit ausgeschlossenem Verdacht auf Schlaganfall folgt in jedem Fall eine bildgebende Diagnostik.<br />
<br />
Bildgebende Verfahren wie die [[Computertomographie]] (CT) oder [[Magnetresonanztomographie]] (MRT, englisch MRI) ermöglichen die sofortige Diagnose einer Hirn''blutung''. Beim ischämischen Schlaganfall hingegen kann eine native (d.&nbsp;h. ohne [[Kontrastmittel]]) CT- bzw. MRT-Untersuchung während der ersten Stunden unauffällige Bilder liefern. Je nach Ursache, Lokalisation und Schwere des Schlaganfalls können sich eine [[CT-Angiographie]] (CTA) und eine CT-Perfusion anschließen. [[Diffusions-Tensor-Bildgebung|Diffusionsgewichtete Aufnahmen]] (DW-MRI) ermöglichen in der MRT-Untersuchung schon wenige Minuten nach Beginn des Schlaganfalls eine Darstellung des Infarktgebiets.<br />
<br />
Eine feine [[Subarachnoidalblutung]] kann unter Umständen in den bildgebenden Verfahren unsichtbar sein. Sie kann dann sensitiver durch den Nachweis von Blutbestandteilen im [[Liquor cerebrospinalis|Nervenwasser]] durch eine [[Lumbalpunktion]] festgestellt werden.<br />
<br />
Eine Blutabnahme bei Verdacht auf Schlaganfall ist obligatorisch. Hierbei wird neben einem Blutbild insbesondere der [[Hämostase|Gerinnungsstatus]] bestimmt, zudem die Elektrolyte, Harnstoff, Kreatinin, Blutzucker, Leberwerte, CRP, TSH und andere Laborwerte.<ref>Richard Daikeler, Götz Use, Sylke Waibel: ''Diabetes. Evidenzbasierte Diagnosik und Therapie.'' 10. Auflage. Kitteltaschenbuch, Sinsheim 2015, ISBN 978-3-00-050903-2, S. 111.</ref> Blut-Biomarker (z.&nbsp;B. [[S-100-Proteine|S-100B]], [[Neuronenspezifische Enolase|NSE]], [[Saures Gliafaserprotein|GFAP]]), die auf Schäden des Gehirns hinweisen können, können die Diagnostik ergänzen, sind jedoch nicht spezifisch für einen Schlaganfall und in der Frühphase bisweilen unauffällig.<br />
<br />
Speziell für Rettungsdienstpersonal wurde 1997 die ''Cincinnati Prehospital Stroke Scale'' (CPSS) entwickelt.<ref>M. S. Dittmar, B. Vatankhah, M. Horn: ''Präklinische neurologische Untersuchung von Schlaganfallpatienten.'' In: ''Notarzt.'' 20(5), 2004, S. 163–167. [[doi:10.1055/s-2004-828291]]</ref><ref>{{Webarchiv |url=http://www.strokecenter.org/trials/scales/cincinnati.html |text=Illustrierter Test |wayback=20100731181833}} auf der Internetseite der American Stroke Association.</ref> Diese wird aus drei Kriterien der NIHSS gebildet und soll als ein einfaches Instrument zur Diagnose eines Schlaganfalls dienen. Auch in der Laien-Ausbildung für Erste Hilfe werden die Kriterien der CPSS oft mit dem englischen [[Akronym]] ''FAST'' vermittelt (Face, Arms, Speech, Time).<ref>[http://www.schlaganfall-hilfe.de/notfall schlaganfall-hilfe.de]</ref> Dieser Test besteht aus vier Schritten:<br />
[[Datei:Der FAST-Test. Schlaganfall schnell erkennen.pdf|mini]]<br />
# '''F'''ace (Gesicht): Die Person auffordern, z.&nbsp;B. breit zu lächeln oder die Zähne zu zeigen, da eine [[Fazialislähmung#Gesichtslähmung vom zentralen Typ|gelähmte Gesichtshälfte]] ein Symptom eines Schlaganfalls sein kann. Eine andere Methode ist, die betroffene Person die Backen aufblasen zu lassen und darauf leichten Widerstand auszuüben; betroffene Personen können eine Seite nicht aufblasen oder nicht gegen den Widerstand aufgeblasen halten.<br />
# '''A'''rms (Arme): Die Person wird aufgefordert, beide Arme mit nach oben geöffneten Handflächen nach vorne zu strecken, sodass die Arme ohne Unterstützung im 90°-Winkel zur Körperachse gehalten werden. Bei einer Lähmung kann ein Arm nicht in die verlangte Position gebracht oder in ihr gehalten werden, sinkt oder dreht sich nach innen.<br />
# '''S'''peech (Sprache): Man achtet auf die Aussprache der Person. Sie kann undeutlich oder verlangsamt sein, sich „verwaschen“ anhören, oder die Person scheint Schwierigkeiten zu haben, ihre Gedanken in Worte zu fassen.<br />
# '''T'''ime (Zeit): Besteht der Verdacht eines Schlaganfalls, muss die betroffene Person so schnell wie möglich mit dem Rettungsdienst in eine geeignete Klinik – vorzugsweise in eine ''[[Stroke Unit]]'' – transportiert werden. Langwierige Behandlungen vor Ort („stay and play“) sollten nur dann erfolgen, wenn vor Ort eine ''[[Mobile Stroke Unit]]'' zum Einsatz kommt – ansonsten gilt der Grundsatz „[[Rettungskonzept#Load and Go|Load and Go]]“. Generell muss die Behandlung binnen kürzester Zeit erfolgen, um Hirnschädigungen so gering wie möglich zu halten. Wichtig ist ein Festhalten des zeitlichen Beginns der Symptome und der zeitliche Verlauf (Verschlechterung bzw. Besserung).<br />
Einschränkungen erfährt die CPSS insbesondere durch ihre Fokussierung auf Symptome eines kortikalen Infarkts. Sie ist damit zwar in der Lage, eine Vielzahl von schweren Schlaganfällen mit relativ hoher Sensitivität zu erkennen, verpasst aber unter Umständen seltenere Schlaganfälle in anderen Bereichen. Deshalb wurde vorgeschlagen, das Akronym auf ''BE FAST'' zu erweitern<ref>{{Internetquelle |url=https://pennstatehealthnews.org/2017/05/the-medical-minute-be-fast-to-recognize-stroke-signs/ |titel=The Medical Minute: “BE FAST” to recognize stroke signs |datum=2017-05-04 |abruf=2020-02-18}}</ref>, mit den zusätzlichen Kriterien:<br />
# '''B'''alance (Gleichgewicht): Plötzlich aufgetretene Gleichgewichts- oder Gangstörungen können Symptome eines Schlaganfalls sein.<br />
# '''E'''yes (Augen): Die Person klagt über den plötzlichen Verlust oder Einschränkung der Sehfähigkeit auf einem oder beiden Augen, Doppelbilder, unscharfes Sehen.<br />
<br />
Eine 2021 veröffentlichte Studie, die mit Patienten in den Niederlanden durchgeführt wurde, zeigte, dass bei der präklinischen Schlaganfallerkennung ein Vorgehen nach dem RACE- (Rapid Arterial oCclusion Evaluation), G-FAST- (Gaze, Face, Arms, Speech, Time), oder CG-FAST-Schema (Conveniently-Grasped Field Assessment Stroke Triage) gut geeignet ist, um Schlaganfälle früh zu erkennen.<ref>F. Riederer: [https://www.kup.at/kup/pdf/14886.pdf ''Comparison of eight prehospital stroke scales to detect intracranial large-vessel occlusion in suspected stroke (PRESTO): a prospective observational study''.] (PDF; englisch). In: ''Neurologie, Neurochirurgie und Psychiatrie'', kup.at; abgerufen am 12. Juni 2022</ref><br />
<br />
== Prävention ==<br />
Der persönliche Lebensstil beeinflusst das Risiko, einen Schlaganfall zu erleiden. Vor allem ein normaler [[Blutdruck]], gute [[Blutzucker]]werte und [[Tabakrauchen|Tabak]]-Abstinenz können das Schlaganfallrisiko reduzieren. Allein ein Blutdruck im Normbereich vermindert das Schlaganfallrisiko um 60 Prozent. Weitere Aspekte eines gesunden Lebensstils sind die körperliche Aktivität, die Vermeidung von Übergewicht, normale Cholesterin-Werte und eine gesunde Ernährung.<ref name="DOI10.1161/STROKEAHA.111.000352">A. Kulshreshtha, V. Vaccarino, S. E. Judd, V. J. Howard, W. M. McClellan, P. Muntner, Y. Hong, M. M. Safford, A. Goyal, M. Cushman: ''Life’s Simple 7 and Risk of Incident Stroke: The Reasons for Geographic and Racial Differences in Stroke Study.'' In: ''Stroke.'' 44, 2013, S.&nbsp;1909–1914, [[doi:10.1161/STROKEAHA.111.000352]].</ref> Studien zufolge stellt ein hoher Konsum von Salz einen Risikofaktor dar,<ref>{{Literatur |Autor=P. Strazzullo, L. D’Elia, N. B. Kandala, F. P. Cappuccio |Titel=Salt intake, stroke, and cardiovascular disease: meta-analysis of prospective studies |Sammelwerk=BMJ (Clinical Research Ed.) |Band=339 |Datum=2009-11 |Seiten=b4567 |PMC=2782060 |PMID=19934192}}</ref> der Konsum von Kalium hingegen einen Schutzfaktor.<ref>{{Literatur |Autor=L. D’Elia, G. Barba, F. P. Cappuccio, P. Strazzullo |Titel=Potassium intake, stroke, and cardiovascular disease a meta-analysis of prospective studies |Sammelwerk=Journal of the American College of Cardiology |Band=57 |Nummer=10 |Datum=2011-03 |Seiten=1210–1219 |DOI=10.1016/j.jacc.2010.09.070 |PMID=21371638}}</ref><br />
<br />
Im Rahmen der Ursachensuche und damit im Sinne der Sekundärprävention nach einem Schlaganfall sollte auch nach einem intermittierenden (paroxysmalen) [[Vorhofflimmern]] gesucht werden. Hierbei wird ein Untersuchungszeitraum von 24 bis 72 Stunden empfohlen. Bei Nachweis von auch nur zeitweisem Vorhofflimmern sollte eine Gerinnungshemmung mit [[Phenprocoumon]] oder [[Antikoagulation#Direkte orale Antikoagulanzien (DOAK)|direkten oralen Antikoagulanzien]] (DOAK) erfolgen.<ref>{{Internetquelle |autor=Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) |url=https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/053-011l_S3_Schlaganfall_2012-10.pdf |titel=Leitlinien Schlaganfall |format=PDF |offline=1 |archiv-url=https://web.archive.org/web/20130811025942/http://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/053-011l_S3_Schlaganfall_2012-10.pdf |archiv-datum=2013-08-11 |abruf=2013-12-27}}</ref><br />
<br />
== Therapie ==<br />
Schlaganfallpatienten, auch Verdachtsfälle, sollten unverzüglich ärztlich untersucht werden. Die sogenannte „time-to-needle“ (Zeitspanne, innerhalb derer eine etwaige Lyse-Behandlung [s.&nbsp;u.] begonnen sein muss) liegt bei maximal ''viereinhalb Stunden'' nach Eintritt des Schlaganfalls.<ref>{{Webarchiv |url=http://www.dgn.org/leitlinien-online-2012/inhalte-nach-kapitel/2310-ll-22-2012-akuttherapie-des-ischaemischen-schlaganfalls.html |text=''Akuttherapie des ischämischen Schlaganfalls''. |wayback=20150402102717}} S1-Leitlinie der DGN, September 2012.</ref> Nach dem unverzüglichen Absetzen eines [[Notruf]]s sollte der Patient beobachtet und mit erhöhtem Oberkörper gelagert werden. Zudem sollte er nicht körperlich belastet werden sowie nichts essen und trinken, da [[Aspiration (Medizin)|Aspirationsgefahr]] besteht. Gemeinhin erfolgt ein Notfalltransport mit Rettungswagen – eventuell mit Notarzt – in eine ''[[Stroke Unit]]'' zwecks genauer Diagnostik und entsprechender Behandlung, häufig mittels [[Lysetherapie]]. Allerdings ist die Bezeichnung ''Stroke Unit'' oder auch ''Schlaganfall-Station'' in Deutschland gesetzlich nicht geschützt.<ref>{{Internetquelle |url=https://www.schlaganfall-hilfe.de/de/fuer-betroffene/akutbehandlung/stroke-unit |titel=Versorgung - Spezialstationen für schlaganfallbetroffene Menschen |abruf=2024-02-16}}</ref><br />
<br />
Auf dem Land – mit einer entsprechend geringen Dichte an ''Stroke Units'' – kommt häufig auch ein [[Rettungshubschrauber]] zum Einsatz, da mit diesem ein schnellerer Transport in ein weiter entferntes, dafür geeignetes Krankenhaus durchgeführt werden kann. Zum Teil sind die zurückzulegenden Entfernungen so groß, dass selbst nachts der Einsatz eines [[Intensivtransporthubschrauber]]s, der eine wesentlich höhere Vorlaufzeit als ein Rettungshubschrauber hat, in Erwägung gezogen werden kann. Auch ''[[Mobile Stroke Unit]]s'' (speziell ausgerüstete Rettungswagen) kommen hier zum Teil zum Einsatz.<ref>{{Internetquelle |autor=Alexandra Jane Oliver |url=https://www.spiegel.de/wissenschaft/medizin/spezialambulanz-spart-zeit-bei-der-behandlung-von-schlaganfaellen-a-826668.html |titel=Schlaganfall: Spezial-Rettungswagen beschleunigt Therapie |werk=[[Spiegel Online]] |datum=2012-04-11 |abruf=2018-11-12}}</ref><br />
<br />
Bei hämorrhagischen Schlaganfällen, also Hirnblutungen, ist die Lyse-Behandlung nicht angezeigt. In vielen [[Ischämie]]-Fällen hingegen gelingt es durch die intravenöse Verabreichung von Medikamenten ([[Thrombolyse]]), das [[Thrombus|Blutgerinnsel]] aufzulösen und das Gehirn vor einem dauerhaften Schaden zu bewahren. Eine frühe Thrombolyse verbessert nachweislich die Prognose der Patienten.<ref name="DOI10.1001/jama.2013.6959">Jeffrey L. Saver: ''Time to Treatment With Intravenous Tissue Plasminogen Activator and Outcome From Acute Ischemic Stroke.'' In: ''JAMA.'' 309, 2013, S.&nbsp;2480, [[doi:10.1001/jama.2013.6959]].</ref><br />
<br />
Ein recht neues Verfahren, die [[Neurothrombektomie]], entfernt mechanisch mit einem Katheter ''(neuro thrombectomy catheter<ref>{{Patent| Land=DE| V-Nr=60131859| Code=T2| Titel=Neurothrombektomie Kathether| A-Datum=2001-09-06| V-Datum=2008-11-27| Anmelder=EV3 Endovalcular Inc| Erfinder=Rafael Pintor et al}}</ref>)'' das Blutgerinnsel im Gehirn.<ref>[http://www.innovations-report.de/html/berichte/veranstaltungen/volksleiden_schlaganfall_blutgerinnsel_per_katheter_183153.html www.innovations-report.de]</ref> „Mehr als 60 Prozent der Patienten mit großen Schlaganfällen können nach der Katheterbehandlung bereits nach drei Monaten wieder ein eigenständiges Leben führen. Bei der medikamentösen Therapie liegt diese Quote bei nur etwa 15 Prozent“.<ref>Olav Jansen, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Neurologische Rehabilitation, Direktor des Instituts für [[Neuroradiologie]] am [[Universitätsklinikum Schleswig-Holstein]] in Kiel, 2011.</ref> Insbesondere für Patienten, bei denen das Blutgerinnsel ein großes Gefäß im Gehirn verschließt, ist die Thrombektomie wirkungsvoll. In rund 90 Prozent der Fälle kann das Gefäß wieder eröffnet werden. Die Neurothrombektomie kann allerdings bei nur etwa 10 bis 15 Prozent der ischämischen Schlaganfälle eingesetzt werden. Bislang wird dieses Verfahren in Deutschland in etwa 140 Krankenhäusern angeboten und stetig auf neue Kliniken ausgeweitet (Stand Oktober 2017).<ref>[https://www.zdf.de/verbraucher/volle-kanne/thrombektomie-nach-schlaganfall-100.html ''Neues Verfahren nach Schlaganfall.''] zdf.de; abgerufen am 1. Juni 2018.</ref> Im Lauf des Jahres 2015 zeigten fünf Studien an Patienten mit sehr schweren Schlaganfällen in Folge eines Grossgefässverschlusses eine Überlegenheit der Kombination von Thrombektomie mit Thrombolyse gegenüber der medikamentösen Thrombolyse alleine.<ref>{{Literatur |Autor=Mayank Goyal, Bijoy K Menon, Wim H van Zwam, Diederik W J Dippel, Peter J Mitchell |Titel=Endovascular thrombectomy after large-vessel ischaemic stroke: a meta-analysis of individual patient data from five randomised trials |Sammelwerk=The Lancet |Band=387 |Nummer=10029 |Datum=2016-04 |Seiten=1723–1731 |Online=https://linkinghub.elsevier.com/retrieve/pii/S014067361600163X |Abruf=2020-05-22 |DOI=10.1016/S0140-6736(16)00163-X}}</ref><ref>[http://www.dgn.org/presse/pressemitteilungen/50-pressemitteilungen/pressemitteilung-2015/3126-die-mechanische-thrombektomie-eine-revolution-in-der-schlaganfalltherapie ''Die mechanische Thrombektomie: eine Revolution in der Schlaganfalltherapie.'']</ref><br />
<br />
== Rehabilitation ==<br />
[[Datei:Chronic stroke.jpg|mini|Funktionserholung nach großem kortikalen Schlaganfall (fMRT)]]<br />
<br />
Die [[medizinische Rehabilitation]] von Patienten mit [[Zerebrovaskuläre Insuffizienz|zerebrovaskulärer Insuffizienz]] beginnt idealerweise postakut in einer ''Stroke Unit''. Rehabilitative Ansätze wie das des [[Bobath-Konzept]]s erfordern ein hohes Maß an interdisziplinärer Zusammenarbeit und sind bei konsequenter Ausführung für den Rehabilitationsverlauf maßgeblich mitverantwortlich. Ein neuer und wissenschaftlich mehrfach validierter Ansatz ist die „Constraint-Induced Movement Therapy“ (CIMT),<ref>E. Taub, G. Uswatte, R. Pidikiti: ''Constraint-Induced Movement Therapy: a new family of techniques with broad application to physical rehabilitation – a clinical review.'' In: ''J Rehabil Res Dev.'' 6 (3), Jul 1999, S. 237–251.</ref> bei der durch Immobilisation des gesunden Arms für den Großteil der Wachperiode der Patient zum Gebrauch der erkrankten Hand „gezwungen“ wird, wodurch krankhafte Anpassungsphänomene wie der „erlernte Nichtgebrauch“ verhindert werden können. Diese Therapiemethode ist auch bei schwer betroffenen Patienten und im chronischen Stadium einsetzbar. Die Methode ist im deutschsprachigen Raum auch als ''„Taubsche Bewegungsinduktion“'' bekannt.<ref>{{Literatur |Autor=W. H. R. Miltner, E. Taub, H. Bauder |Titel=Behandlung motorischer Störungen nach Schlaganfall – Die Taubsche Bewegungsindikation |Verlag=[[Hogrefe Verlag|Hogrefe]] |Ort=Göttingen |Datum=2001 |ISBN=3-8017-1464-0}}</ref><br />
<br />
Im Zentrum der neurologischen Rehabilitation stehen vor allem Maßnahmen, welche die Körperwahrnehmung des Betroffenen fördern und im besten Falle zur vollständigen Kompensation verlorener Fähigkeiten führen. So werden beispielsweise zur Wiederherstellung der Gehfähigkeit Gangmuster mit [[Physiotherapie|Physiotherapeuten]] eingeübt.<br />
<br />
[[Datei:Gehen mit Orthese nach Schlaganfall 220.jpg|mini|hochkant|Gehen mit [[Orthese]] nach Schlaganfall]]<br />
Therapiebegleitend kann eine Hilfsmittelversorgung mit [[Orthese]]n erfolgen.<ref>{{Literatur |Autor=S. Hesse, C. Enzinger und andere |Hrsg=H. C. Diener und andere |Titel=Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie, Technische Hilfsmittel |Auflage=5. Auflage |Verlag=Thieme |Ort=Stuttgart |Datum=2012 |ISBN=978-3-13-155455-0}}</ref><ref>{{Literatur |Autor=Gereon Nelles und andere |Hrsg=Deutsche Gesellschaft für Neurologie |Titel=Rehabilitation von sensomotorischen Störungen |Auflage=S2k-Leitlinie |Ort=Berlin |Datum=2018 |Seiten=21 |Online=https://dgn.org/leitlinien/ll-030-123-2018-rehabilitation-von-sensomotorischen-stoerungen/ |Abruf=2021-05-31}}</ref> Klinische Studien belegen den hohen Stellenwert von Orthesen in der Schlaganfallrehabilitation.<ref>{{Literatur |Autor=Maurizio Falso, Eleonora Cattaneo, Elisa Foglia, Marco Zucchini, Franco Zucchini |Hrsg=Journal of Novel Physiotherapy and Rehabilitation |Titel=How does a Personalized Rehabilitative Model influence the Functional Response of Different Ankle Foot Orthoses in a Cohort of Patients Affected by Neurological Gait Pattern? |Band=1 |Verlag=Highten Science |Datum=2017 |ISSN=2573-6264 |Seiten=72–92 |Online=https://www.heighpubs.org/jnpr/jnpr-aid1010.php}}</ref><ref>{{Literatur |Autor=Roy Bowers |Hrsg=Elizabeth Condie, James Campbell, Juan Martina |Titel=Report of a Consensus Conference on the Orthotic Management of Stroke Patients, Non-Articulated Ankle-Foot Ortheses |Verlag=International Society for Prosthetics and Orthotics |Ort=Copenhagen |Datum=2004 |ISBN=87-89809-14-9 |Seiten=87-94 |Sprache=en |Online=https://pure.strath.ac.uk/ws/portalfiles/portal/35599006/Consensus_Conference_On_The_Orthotic_M}}</ref> Mit Hilfe einer Orthese soll physiologisches [[Stehen]] und [[Gehen]] wieder erlernt werden, zudem können Folgeerscheinungen durch ein falsches Gangbild verhindert werden.<ref>{{Literatur |Autor=Elizabeth Condie, Robert James Bowers |Hrsg=John D. Hsu, John W. Michael, John R. Fisk |Titel=Lower limb orthoses for persons who have had a stroke |Sammelwerk=AAOS Atlas of Orthoses and Assistive Devices |Auflage=4. |Verlag=Mosby Elsevier |Ort=Philadelphia |Datum=2008 |ISBN=978-0-323-03931-4 |Seiten=433–440}}</ref><ref>{{Literatur |Autor=Elaine Owen |Hrsg=International Society for Prosthetics and Orthotics |Titel=The Importance of Being Earnest about Shank and Thigh Kinematics especially when using Ankle-Foot Orthoses |Sammelwerk=Prosthetics and Orthotics International |Band=34(3) |Verlag=International Society for Prosthetics and Orthotics |Ort=Brüssel |Datum=2010-09 |ISSN=0309-3646 |Seiten=254–269}}</ref> Im Fall einer [[Hemiparese]] mit einer Bewegungsstörung, die auf einem reduzierten sensorischen Input beruht, kann eine Bewegungskorrektur durch Biofeedback unterstützt werden, das zusätzliche Informationen für die [[Propriozeption]] liefert.<ref>{{Literatur |Autor=K. Genthe, C. Schenck, S. Eicholtz, L. Zajac-Cox, S. Wolf, T. M. Kesar |Titel=Effects of real-time gait biofeedback on paretic propulsion and gait biomechanics in individuals post-stroke |Sammelwerk=Topics in Stroke Rehabilitation |Band=25 |Nummer=3 |Datum=2018-04 |Seiten=186–193 |DOI=10.1080/10749357.2018.1436384 |PMC=5901660 |PMID=29457532}}</ref><ref>{{Literatur |Autor=J. Spencer, S. L. Wolf, T. M. Kesar |Titel=Biofeedback for Post-stroke Gait Retraining: A Review of Current Evidence and Future Research Directions in the Context of Emerging Technologies |Sammelwerk=Frontiers in Neurology |Band=12 |Datum=2021 |Seiten=637199 |DOI=10.3389/fneur.2021.637199 |PMC=8042129 |PMID=33859607}}</ref><ref>{{Internetquelle |url=https://cordis.europa.eu/article/id/231215-a-wearable-device-that-helps-paralysed-patients-walk-again/de |titel=Tragbares Gerät unterstützt Gehversuche gelähmter Patienten |werk=cordis.europa.eu |datum=2017 |abruf=2022-05-26}}</ref><br />
<br />
[[Ergotherapie|Ergotherapeuten]] arbeiten gezielt mit den Patienten an der (teilweisen) Wiederherstellung der [[Sensomotorik|sensomotorischen]], kognitiven und emotionalen Fähigkeiten.<ref>{{Internetquelle |url=https://www.ergotherapie.ch/ergotherapie-de/bei-neurologischen-verletzungen-und-erkrankung-der-neurologie/ |titel=Ergotherapie – bei neurologischen Verletzungen und Erkrankung der Neurologie |abruf=2020-05-07}}</ref><br />
<br />
Die Bedeutung einer gezielten [[Logopädie]] bereits in der Frühphase und über einen langen Zeitraum wird häufig unterschätzt und nur laienhaft angegangen. Für bestimmte Therapiebereiche gibt es bisher kein ausreichendes Angebot im ambulanten Bereich, wie in der Sprachtherapie v.&nbsp;a. bei [[Aphasie]] und Dysarthrie. In der rehabilitativen Therapie ist ein hochfrequentes, repetitives Üben bestimmter Aufgaben sinnvoll, die [[Telerehabilitation]] oder die [[Teletherapie (Telemedizin)|Teletherapie]] ermöglicht eine supervidierte Versorgung von Patienten. Eine intensive Behandlung ist im niedergelassenen Setting nicht zu erbringen. Nur durch Nutzung computergestützter Verfahren kann die Intensität so erhöht werden, dass die sich aus den Vorgaben der Metastudie ergebenden Zielgrößen erreicht werden. Machbarkeitsstudien belegen, dass für etwa 50–60 % der aphasischen Patienten Teletherapie sinnvoll ist. Tatsächlich konnte durch die Teletherapiestudie erstmals gezeigt werden, dass die Therapiefrequenz durch supervidierte Teletherapie ohne Qualitätsverlust so angehoben wird, dass Patienten nachweislich davon profitieren.<br />
<br />
Moderne Ansätze der Neurorehabilitation versuchen krankhafte Hirnaktivität zu beeinflussen. So findet sich bei einigen Patienten eine enthemmte Aktivität der nicht-geschädigten Hemisphäre, welche die motorischen Funktionen der vom Schlaganfall betroffenen Hirnhälfte stört. Eine Reduktion der Überaktivität, zum Beispiel mit Hilfe der [[Transkranielle Magnetstimulation|transkraniellen Magnetstimulation]] (TMS), kann bei einem Teil der Patienten zu einer besseren Funktion der gelähmten Hand führen.<ref>D. A. Nowak, C. Grefkes, G. R. Fink: ''Modern neurophysiological strategies in the rehabilitation of impaired hand function following stroke.'' In: ''Fortschr Neurol Psychiatr.'' 76(6), Jun 2008, S. 354–360.</ref> Derzeit läuft an den [[National Institutes of Health]] (NIH) eine Multicenter-Studie zur Wirksamkeit der Magnetstimulationstherapie in Kombination mit einer pharmakologischen Stimulation mit dem [[Dopamin]]-Präparat „Levo-DOPA“. Durch Letzteres sollen die TMS-Effekte verstärkt werden. Auch andere Medikamente aus der Gruppe der monoaminergen Substanzen wie [[Paroxetin]] (serotonerg), [[Fluoxetin]] (serotonerg) oder [[Reboxetin]] (adrenerg) können Schlaganfall-Defizite [[Temporär|transient]] verbessern, wie in Placebo-kontrollierten Studien gezeigt werden konnte.<ref>J. Pariente, I. Loubinoux, C. Carel, J. F. Albucher, A. Leger, C. Manelfe, O. Rascol, F. Chollet: ''Fluoxetine modulates motor performance and cerebral activation of patients recovering from stroke.'' In: ''Ann Neurol.'' 50 (6), Dez 2001, S. 718–729.</ref> Ein neuer technischer Ansatz zur Verbesserung von Ausfällen besteht in der transkraniellen Gleichstrom-Behandlung (transcranial direct current stimulation, tDCS), was derzeit in mehreren Kliniken, unter anderem in Deutschland, überprüft wird.<ref>F. C. Hummel, B. Voller, P. Celnik, A. Floel, P. Giraux, C. Gerloff, L. G. Cohen: ''Effects of brain polarization on reaction times and pinch force in chronic stroke.'' In: ''BMC Neurosci.'' 7, 3. Nov 2006, S. 73.</ref><br />
<br />
== Langzeitfolgen ==<br />
Schlaganfälle erhöhen wahrscheinlich das Risiko, an einer [[Demenz]] zu erkranken.<ref>{{Internetquelle |url=https://www.pharmazeutische-zeitung.de/ausgabe-302008/schlaganfall-verdoppelt-demenzrisiko/ |titel=Schlaganfall verdoppelt Demenzrisiko |werk=[[Pharmazeutische Zeitung]] |datum=2008-07-22 |abruf=2019-04-03}}</ref><ref>{{Internetquelle |autor=Philip Grätzel von Grätz |url=https://www.aerztezeitung.de/medizin/krankheiten/demenz/article/802338/demenz-nach-apoplex-sekundaerpraevention.html |titel=Demenz nach Apoplex: Sekundärprävention |werk=[[Ärzte Zeitung]] |datum=2012-01-24 |abruf=2019-04-03}}</ref><ref>{{Internetquelle |url=https://www.dw.com/de/auf-schlaganfall-folgt-oft-demenz/a-45903150 |titel=Auf Schlaganfall folgt oft Demenz |werk=[[Deutsche Welle]] |datum=2018-10-16 |abruf=2019-04-03}}</ref><br />
<br />
== Gesundheitsökonomische Aspekte ==<br />
2017 sollen Schlaganfälle in Europa (32 untersuchte Länder) Kosten von etwa 60 Milliarden Euro verursacht haben. Die Studienautoren ermittelten, dass die reine medizinische Versorgung rund 27 Milliarden Euro (45 %) der Kosten ausmachte. Der Produktivitätsverlust habe sich auf 12 Milliarden Euro belaufen, hälftig verursacht durch vorzeitigen Tod und verpasste Arbeitstage. Familienangehörige leisteten rund 1,3 Milliarden Stunden Pflege für ihre erkrankten Verwandten, was etwa 16 Milliarden Euro gekostet haben soll.<br />
<br />
Deutschland habe rund neun Milliarden Euro – und damit 2,6 Prozent der gesamten Gesundheitskosten – für die medizinische Behandlung von Schlaganfallpatienten ausgegeben. Der Produktivitätsverlust lag bei rund 1,5 Milliarden Euro auf Seiten der Erkrankten und knapp 5&nbsp;Milliarden Euro bei den pflegenden Angehörigen.<br />
<br />
Im Rahmen einer bevölkerungsbasierten Gesamtkostenanalyse des Schlaganfalls in 32 europäischen Ländern im Jahr 2017, inklusive der damit verbundenen Einkommensverluste durch Behinderung oder frühen Tod, liegt Deutschland mit 113 Euro pro Einwohner an zweithöchster Stelle. Die Bandbreite der Kosten in den untersuchten Ländern geht von elf Euro in Bulgarien bis zu 140 Euro in Finnland. Mit einbezogen wurden Kosten im Gesundheitssystem, dem Sozialsystem und auch die verursachten Kosten außerhalb dieser Systeme, wie nicht-professionelle Pflege durch Freunde oder Angehörige.<ref name="DOI10.1177/2396987319883160">Ramon Luengo-Fernandez, Mara Violato, Paolo Candio, Shelby D. Reed: ''Economic burden of stroke across Europe: A population-based cost analysis.'' In: ''European stroke journal.'' 2020, Band 5, Nummer 1, S.&nbsp;17–25 [[doi:10.1177/2396987319883160]].</ref><br />
<br />
== Siehe auch ==<br />
Weitere Informationen zu den [[Symptom]]en, der [[Diagnose|Diagnostik]] und der [[Therapie]] finden sich unter:<br />
* [[Ischämischer Schlaganfall]]<br />
* [[Subarachnoidalblutung]]<br />
* [[Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe]]<br />
* [[Modifizierte Rankin-Skala]] als Maß der bleibenden Behinderung nach einem Schlaganfall<br />
* [[European Stroke Conference]]<br />
Weitere Informationen zu Aktionen und [[Veranstaltung]]en finden sich unter:<br />
<br />
* [[Tag gegen den Schlaganfall]]<br />
<br />
Die [[Special-Interest-Zeitschrift]] ''[[not (Magazin)|not]]'' berichtet seit 1992 über Themen aus den Bereichen [[Schädel-Hirn-Trauma]]ta und Schlaganfall-Behandlung.<ref name="media">[https://not-online.de/wp-content/uploads/2021/11/Mediadaten_not_2022_kl.pdf ''Mediadaten 2022''.] (PDF; 160&nbsp;kB), not, abgerufen am 25. Februar 2022.</ref><br />
<br />
== Literatur ==<br />
* K.-F. Gruber-Gerardy, W. Merz, H. Sonnenberg: ''Meilensteine aus der Geschichte des Schlaganfalls. Von Apoplexis, Blutegeln und moderner Sekundärprävention.'' [[Boehringer Ingelheim]], Ingelheim 2005, {{OCLC|891805882}}.<br />
* Jörg Braun, Roland Preuss, Klaus Dalhoff: ''Klinikleitfaden Intensivmedizin.'' 6. Auflage. [[Urban & Fischer]], München / Jena 2005, ISBN 3-437-23760-8 (medizinisches Lehrbuch).<br />
* Manio von Maravic: ''Neurologische Notfälle.'' In: Jörg Braun, Roland Preuss (Hrsg.): ''Klinikleitfaden Intensivmedizin.'' 9. Auflage. Elsevier, München 2016, ISBN 978-3-437-23763-8, S. 311–356, hier: S. 312–324 ''(Schlaganfall und Stroke Unit)''.<br />
* [[Klaus Poeck]], [[Werner Hacke]]: ''Neurologie''. Mit 85 Tabellen [neue Approbationsordnung], 12. Auflage, Springer, Heidelberg 2006, ISBN 3-540-29997-1 (medizinisches Lehrbuch).<br />
* Patricia M. Davies: ''Hemiplegie.'' Ein umfassendes Behandlungskonzept für Patienten nach Schlaganfall und anderen Hirnschädigungen. In: ''Rehabilitation und Prävention.'' 2., vollständig überarbeitete Auflage. Springer, Berlin u.&nbsp;a. 2002, ISBN 3-540-41794-X (Lehrbuch zur krankengymnastischen Rehabilitation nach Schlaganfall).<br />
<br />
== Weblinks ==<br />
{{Commonscat|Stroke|Schlaganfall}}<br />
{{Wiktionary|Gehirnschlag}}<br />
{{Wiktionary}}<br />
{{Wikibooks|Erste Hilfe/ Schlaganfall|Erste Hilfe bei Schlaganfall}}<br />
* [https://www.ars-neurochirurgica.com/tools/nihss-rechner NIHSS Score - Online Rechner]<br />
* {{DNB-Portal|4052588-0}}<br />
* S3-[[Medizinische Leitlinie|Leitlinie]]: ''Schlaganfall'', der [[Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften]] (AWMF), AWMF-Registernummer 053/011 ([https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/053-011.html Volltext.] Stand: 31. Oktober 2012, gültig bis 29. Februar 2016).<br />
<br />
== Einzelnachweise ==<br />
<references /><br />
<br />
{{Gesundheitshinweis}}<br />
{{Normdaten|TYP=s|GND=4052588-0|LCCN=sh85022095}}<br />
<br />
[[Kategorie:Zerebrovaskuläre Störung]]<br />
[[Kategorie:Krankheitsbild in der Neurochirurgie]]<br />
[[Kategorie:Schlaganfall| ]]<br />
[[Kategorie:Krankheitsbild in der Notfallmedizin]]</div>Scriptirhttps://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Schlaganfall&diff=249233002Schlaganfall2024-10-08T02:41:33Z<p>Scriptir: /* Therapie */</p>
<hr />
<div>{{Weiterleitungshinweis|Stroke|Zu dem gleichnamigen Magazin siehe: [[Stroke (Zeitschrift)]]. Zur Kunstmesse siehe: [[Stroke Art Fair]].}}<br />
{{Infobox ICD<br />
|01-CODE= I64<br />
|01-BEZEICHNUNG= Schlaganfall, nicht als Blutung oder Infarkt bezeichnet<br />
}}<br />
Ein '''Schlaganfall''' (umgangssprachlich auch '''Apoplex''',<ref name=":0">Vgl. hierzu {{Literatur |Autor=Roland Veltkamp et al. |Hrsg=Deutsche Gesellschaft für Neurologie |Titel=Akuttherapie des ischämischen Schlaganfalls |Sammelwerk=Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie |Verlag=Thieme Verlag |Datum=2012-09 |Seiten=2 |Online=https://dnvp9c1uo2095.cloudfront.net/cms-content/030046_akuttherapie_des_ischaemischen_schlaganfalls_2012_1683290005685.pdf}}</ref> kurz für lateinisch '''Apoplexia cerebri''') ist eine plötzlich einsetzende, von einem [[Herd (Medizin)|Herd]] ausgehende Ausfallerscheinung einer neurologischen Funktion infolge einer Durchblutungsstörung im Gehirn ([[ischämischer Schlaganfall]]) oder einer [[Gehirnblutung]] (hämorrhagischer Schlaganfall). Die Symptome sind abhängig vom betroffenen Gehirnareal und variieren stark. Beispiele sind: Ausfall oder Störung von Sinneseindrücken, Sprachstörungen, Verwirrtheit, Schwindel, Kopfschmerzen oder halbseitige Muskellähmungen. Der Schlaganfall ist ein medizinischer Notfall und sollte ohne jeden Zeitverlust in einem geeigneten Krankenhaus behandelt werden. Typische Therapieverfahren des ischämischen Schlaganfalls sind [[Thrombolyse]] oder eine kathetergeführte [[Thrombektomie|mechanische Rekanalisation]] der betroffenen Gehirngefäße. Einige Formen der Gehirnblutung können einen [[Neurochirurgie|neurochirurgischen Eingriff]] erfordern.<br />
<br />
Der Schlaganfall ist weltweit die zweithäufigste Todesursache und der zweithäufigste Grund für [[Behinderung]].<ref name="PMID30879893">''Global, regional, and national burden of neurological disorders, 1990–2016: a systematic analysis for the Global Burden of Disease Study 2016.'' In: ''[[The Lancet]]. Neurology'', Band 18, Nummer 5, 05 2019, S.&nbsp;459–480; [[doi:10.1016/S1474-4422(18)30499-X]], PMID 30879893, {{PMC|6459001}}.</ref><br />
<br />
== Begriff ==<br />
Die Terminologie des Schlaganfalls wurde<ref>Irmgard Hort, [[Axel Karenberg]]: ''Überlegungen salernitanischer Magistri zur Apoplexie.'' In: ''Würzburger medizinhistorische Mitteilungen.'' Band 18, 1999, S. 87–92.</ref> und wird nicht einheitlich benutzt. Gleichbedeutend zum Begriff Schlaganfall sind auch die englischen [[Terminus|Termini]] '''Stroke''', ''Cerebrovascular accident (CVA)'' und ''Cerebrovascular Insult (CVI)''.<ref>Gerhard F. Hamann, Mario Siebler, Wolfgang von Scheidt: ''Schlaganfall: Klinik, Diagnostik, Therapie, Interdisziplinäres Handbuch.'' ecomed Verlagsgesellschaft, 2002, ISBN 3-609-51990-8.</ref> Diese Bezeichnungen werden häufig als Oberbegriff für unterschiedliche neurologische Krankheitsbilder benutzt, deren wichtigste Gemeinsamkeit plötzliche Symptome nach einer auf das Gehirn begrenzten [[Durchblutungsstörung]] sind, wobei der Funktionsverlust definitionsgemäß<ref>Definition der [[Weltgesundheitsorganisation|WHO]]</ref> nicht auf primäre Störungen der Erregbarkeit von Nervenzellen zurückzuführen sein darf (''konvulsive Störung'', siehe [[Epilepsie]]).<br />
<br />
=== Synonyme ===<br />
Es existieren viele veraltete Synonyme. Die Begriffe [[Apoplex]], Apoplexia cerebri und apoplextischer Insult sind veraltet.<ref name=":0" /> Gelegentlich und vor allem in der Schweiz wird das Synonym Hirnschlag verwendet.<ref>{{Literatur |Hrsg=Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.&nbsp;V. & Deutsche Schlaganfall-Gesellschaft e.&nbsp;V. |Titel=S2e Leitlinie zur Akuttherapie des ischämischen Schlaganfalls AWMF-Registernummer 030-046 Version 2021 (LANGFASSUNG) |Verlag=AWMF |Datum=2021-05-10 |Seiten=11 |Online=https://register.awmf.org/assets/guidelines/030-046l_S2e_Akuttherapie-des-ischaemischen-Schlaganfalls_2021-05.pdf}}</ref><br />
{| style="float:left; margin-right:1em;"<br />
|-<br />
|<br />
* Zerebraler Insult<br />
* Insult<br />
* Apoplexia cerebri (veraltet)<ref name=":0" /><br />
* Apoplexie<ref name="pschyrembel">{{Internetquelle |autor=Catherina Lücke |url=https://www.pschyrembel.de/schlaganfall/K0PSS/doc/ |titel=Schlaganfall |werk=pschyrembel.de |hrsg=Pschyrembel online |datum=2020-04 |abruf=2021-11-10}}</ref> (veraltet)<ref name=":0" /><br />
* Apoplektischer Insult<ref name="pschyrembel" />(veraltet)<ref name=":0" /><br />
|-<br />
|}<br />
{| style="float:left; margin-right:1em;"<br />
|<br />
* Gehirninfarkt<ref name="pschyrembel" /><br />
* Gehirnschlag<ref name="pschyrembel" /><br />
* Hirnschlag<ref>[https://www.duden.de/rechtschreibung/Hirnschlag duden.de]</ref><br />
* Schlag<br />
|-<br />
|}<br />
{| style="float:left;"<br />
|<br />
* Ictus apoplecticus (veraltet, von „Schlagfluss“)<br />
* Gutta (veraltet, von mittelhochdeutsch ''gutt'', „Tropfen“)<ref>[[Lorenz Diefenbach]]: ''Glossarium latino-germanicum mediae et infimae aetatis.'' Baer, Frankfurt am Main 1857, S. 271.</ref><br />
|-<br />
|}<br />
<div style="clear:both;"></div><br />
<br />
== Epidemiologie ==<br />
Geschätzt gibt es in Deutschland jährlich etwa 270.000 Schlaganfallneuerkrankungen.<ref>Manio von Maravic: ''Neurologische Notfälle.'' In: Jörg Braun, Roland Preuss (Hrsg.): ''Klinikleitfaden Intensivmedizin.'' 9. Auflage. Elsevier, München 2016, ISBN 978-3-437-23763-8, S. 311–356, hier: S. 312–316 (''Akute zerebrovaskuläre Erkrankungen'').</ref><br />
Jährliche Häufigkeiten in Deutschland:<ref>{{Literatur |Autor=Kommission Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie |Titel=Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie |Auflage=3. |Verlag=Georg Thieme |Ort=Stuttgart |Datum=2005 |ISBN=3-13-132413-9 |Online=https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/030-046.html}}</ref><br />
* durch Minderdurchblutung primär [[Ischämischer Schlaganfall|ischämische Hirninfarkte]] ([[Inzidenz (Epidemiologie)|Inzidenz]] 160–240 Ereignisse/100.000 Einwohner)<br />
* [[Hirnblutung]]en (24/100.000)<br />
* Einblutungen in den das Gehirn umgebenden Liquorraum, sogenannte [[Subarachnoidalblutung]]en (6/100.000)<br />
* Schlaganfälle ungeklärter Ursache (8/100.000)<br />
<br />
Der Schlaganfall gehört zu den häufigsten schweren Erkrankungen in Deutschland, hat eine 1-Jahres-Mortalität von 20 bis 30 % und ist auch eine häufige Todesursache in Deutschland: 2015 stellte das Statistische Bundesamt 56.982 Todesfälle durch zerebrovaskuläre Krankheiten fest, was einem Anteil von 6,2 % entspricht.<ref>[https://www-genesis.destatis.de/genesis/online?sequenz=statistikTabellen&selectionname=23211 Tabelle "Todesursachenstatistik"]. Auf: ''genesis-destatis.de'', abgerufen am 1. Juni 2018.</ref><br />
<br />
Darüber hinaus ist der Schlaganfall mit einer Invaliditätsrate von 30 bis 35 % die häufigste Ursache für mittlere und schwere Behinderung.<br />
<br />
51 % aller Schlaganfälle betrafen bis 2010 die Altersgruppe der über 75-Jährigen. Mit zunehmendem Alter steigt das Schlaganfallrisiko überproportional.<ref>E. Rupp: [https://edoc.ub.uni-muenchen.de/15751/1/Rupp_Eckart.pdf ''Fortschritte in Behandlung und Diagnostik zentraler neurogener Sprachstörungen.''] (PDF; 9,0&nbsp;MB) Dissertation. [[Ludwig-Maximilians-Universität München]], 2. Juli 2010.</ref><br />
<br />
In den USA sind Schlaganfälle die fünfthäufigste Todesursache.<ref>{{Literatur |Autor=Emelia J Benjamin und andere für das ''American Heart Association Statistics Committee and Stroke Statistics Subcommittee'' |Titel=Heart Disease and Stroke Statistics—2017 Update |Sammelwerk=Circulation |Band=135 |Nummer=10 |Datum=2017-03-07 |ISBN= |Seiten=e146–e603 |DOI=10.1161/CIR.0000000000000485}}</ref> Weltweit ist der Schlaganfall eine der häufigsten Ursachen für eine Behinderung.<ref>{{Literatur |Autor=for the GBD 2013 Stroke Panel Experts Group, Gregory A. Roth, Christopher J. L. Murray, Theo Vos, Catherine O. Johnson |Titel=Stroke Prevalence, Mortality and Disability-Adjusted Life Years in Adults Aged 20-64 Years in 1990–2013: Data from the Global Burden of Disease 2013 Study |Sammelwerk=Neuroepidemiology |Band=45 |Nummer=3 |Datum=2015 |ISSN=1423-0208 |Seiten=190–202 |Online=https://www.karger.com/Article/FullText/441098 |Abruf=2018-12-23 |DOI=10.1159/000441098 |PMID=26505983}}</ref> In der GBD 2016 ''(Global Burden of Disease 2016 Lifetime Risk of Stroke<ref>{{Literatur |Autor=GBD 2016 DALYs, HALE Collaborators |Titel=Global, regional, and national disability-adjusted life-years (DALYs) for 333 diseases and injuries and healthy life expectancy (HALE) for 195 countries and territories, 1990–2016: a systematic analysis for the Global Burden of Disease Study 2016 |Sammelwerk=Lancet (London, England) |Band=390 |Nummer=10100 |Datum=2017-09-16 |ISSN=1474-547X |Seiten=1260–1344 |DOI=10.1016/S0140-6736(17)32130-X |PMC=5605707 |PMID=28919118}}</ref>)'' wurde weltweit ein Lebenszeitrisiko für Schlaganfall von 24,9 % ermittelt. Männer hatten mit 24,9 % ein geringfügig geringeres Risiko als Frauen mit 25,1 %. Das Risiko eines ischämischen Schlaganfalls betrug weltweit 18,3 %, das eines hämorrhagischen Apoplex 8,2 %. Das höchste Lebenszeitrisiko bestand in Ost[[asien]] (38,8 %), Zentral[[europa]] (31,7 %) und Osteuropa (31,6 %). Das geringste Risiko bestand im östlichen Subsahara-[[Afrika]] (11,8 %).<ref>{{Literatur |Autor=The GBD 2016 Lifetime Risk of Stroke Collaborators |Titel=Global, Regional, and Country-Specific Lifetime Risks of Stroke, 1990 and 2016 |Sammelwerk=New England Journal of Medicine |Band=379 |Nummer=25 |Datum=2018-12-20 |ISSN=0028-4793 |Seiten=2429–2437 |Online=http://www.nejm.org/doi/10.1056/NEJMoa1804492 |Abruf=2019-02-26 |DOI=10.1056/NEJMoa1804492}}</ref><br />
<br />
== Formen eines Schlaganfalls – Minderdurchblutung oder Blutung ==<br />
{{Hauptartikel|Ischämischer Schlaganfall|Hirnblutung}}<br />
[[Datei:Stroke healthy.jpg|mini|Aktivitätsmuster bei Gesunden und Schlaganfall-Patienten, gemessen mit fMRT]]<br />
<br />
Dem ischämischen Schlaganfall liegt ein plötzlicher Mangel an Sauerstoff und anderen Substraten für die [[Nervenzelle]]n zugrunde. Er entstehet meist in Folge von [[Thrombose]], [[Embolie]] oder [[Krampf|Spasmus]]<ref>Immo von Hattingberg: ''Schlaganfall (Apoplexie).'' In: [[Ludwig Heilmeyer]] (Hrsg.): ''Lehrbuch der Inneren Medizin.'' Springer-Verlag, Berlin/Göttingen/Heidelberg 1955; 2. Auflage ebenda 1961, S. 1317–1320.</ref> einer hirnversorgenden Arterie und führt zum Hirninfarkt.<br />
<br />
Die akute [[Hirnblutung]] ([[Blutung|hämorrhagischer]] Schlaganfall) verursacht durch den Volumeneffekt des Hämatoms und des Ödems eine umschriebene Hirnschädigung. Sekundär kann es aufgrund der raumfordernden Wirkung ebenfalls zu einer [[Ischämie]] kommen. Umgekehrt kann es bei primär ischämischen Infarkten zu sekundären Blutungen im Infarktgebiet (hämorrhagische Infarzierung) kommen.<ref>P. L. Kolominsky-Rabas u.&nbsp;a.: ''A prospective community-based study of stroke in Germany--the Erlangen Stroke Project (ESPro): incidence and case fatality at 1, 3, and 12 months.'' In: ''Stroke.'' 29, 1998, S. 2501–2506. PMID 9836758</ref><br />
<br />
Die Unterscheidung zwischen Minderdurchblutung und Blutung ist erst durch bildgebende Verfahren wie der [[Computertomographie]] (CT) oder [[Magnetresonanztomographie]] (MRT, englisch MRI) sicher möglich, wobei in den ersten Stunden beide Bildgebungsmethoden noch unauffällig sein können, dies insbesondere beim primär ischämischen Hirninfarkt. Die Verdachtsdiagnose einer [[Subarachnoidalblutung]], welche infolge einer geplatzten Arterie (zum Beispiel aufgrund eines [[Aneurysma]]s) entsteht, kann – insbesondere bei nur milder Symptomatik (zum Beispiel alleinige Kopfschmerzen) – durch den Nachweis von Blutbestandteilen im [[Liquor cerebrospinalis|Nervenwasser]] bei der [[Lumbalpunktion]] bestätigt werden.<br />
<br />
Minderdurchblutungen, die kürzer als 24 Stunden andauern und von bloßem Auge ohne sichtbare Folgen bleiben, wurden früher als [[transitorische ischämische Attacke]] (TIA) bezeichnet. In den Leitlinien der [[Deutsche Gesellschaft für Neurologie|Deutschen Gesellschaft für Neurologie]] von 2005 wird darauf hingewiesen, dass die klassische Differenzierung von transitorisch ischämischen Attacken (TIA) und vollendeten ischämischen Schlaganfällen als überholt gilt. Gleichwohl wird der Unterschied in manchen Lehrbüchern noch erwähnt. Zwei Gründe dafür sind, dass bei vielen Patienten mit einer sogenannten TIA morphologische Hirnverletzungen nachweisbar sind und dass das Risiko für einen Re-Infarkt nach TIA und vollendetem Schlaganfall etwa gleichermaßen erhöht ist. Abgesehen von der Frage der [[Thrombolyse|Lyse]] sollen sowohl vollendete Schlaganfälle als auch früher als TIA bezeichnete Zustände gleich behandelt werden.<ref>{{Literatur |Autor=Kommission Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie |Titel=Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie |Auflage=3. |Verlag=Georg Thieme |Ort=Stuttgart |Datum=2005 |ISBN=3-13-132413-9 |Online=https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/030-046.html}}</ref> Der Begriff ''(prolongiertes) reversibles ischämisches neurologisches Defizit'' (RIND/PRIND) für länger als 24 Stunden, aber kürzer als drei Wochen anhaltende Befunde soll ebenfalls nicht mehr angewendet werden, da dies bereits einem manifesten Schlaganfall entspricht.<ref>Clearingbericht „Deutsche Leitlinien zum Schlaganfall“, 2005.</ref> Gleiches gilt für die Beschreibung eines ''partiell reversiblen ischämischen neurologischen Syndroms'' (PRINS).<br />
<br />
== Symptome ==<br />
Als Zeichen eines Schlaganfalls können zum Beispiel folgende neurologische Symptome einzeln oder gleichzeitig auftreten:<ref>[http://www.schlaganfall-hilfe.de/symptome ''Symptome''.] schlaganfall-hilfe.de; abgerufen am 29. Mai 2016.</ref><br />
* [[Bewusstseinsstörung]]en ([[Quantitative Bewusstseinsstörung|Bewusstseinstrübung]], [[Somnolenz]], [[Koma]])<br />
* [[Verwirrtheit]]<br />
* Missempfindungen (z.{{Nnbsp}}B. [[Parästhesie]], [[Hypästhesie]]) an Körperteilen oder einer ganzen Körperhälfte<br />
* [[Lähmung]] oder [[Parese|Schwäche]] einer Körperhälfte einschließlich einer Gesichtshälfte, seltener nur in einem Arm, Bein oder in allen vier Extremitäten<br />
* [[Aphasie]], [[Dysarthrie]]<br />
* Schluckstörungen ([[Dysphagie]], vier Grade der NOD = neurogene oropharyngeale Dysphagie)<br />
* schmerzlose [[Sehstörung]] auf einem oder beiden Augen, einseitige [[Pupille]]nerweiterung, [[Anopsie|Gesichtsfeldausfall]], [[Diplopie|Doppelbilder]], [[Blickdeviation]]<br />
* [[Schwindel]], [[Gangstörung]], [[Gleichgewichtssinn|Gleichgewichts]]- oder Koordinationsstörung ([[Ataxie]])<br />
* stärkster [[Kopfschmerz]] ohne erkennbare Ursache bei evtl. entgleistem (überhöhtem) [[Arterielle Hypertonie|Blutdruck]], [[Übelkeit]], [[Emesis|Erbrechen]]<br />
* fehlende Wahrnehmung eines Teils der Umwelt oder des eigenen Körpers ([[Neglect]])<br />
<br />
== Ursachen ==<br />
[[Ischämischer Schlaganfall]]:<br />
* Verschluss einer hirnversorgenden Arterie durch ein [[Thrombus|Blutgerinnsel]] in Folge von arterieller [[Embolie]] oder [[Thrombose]]<br />
* Kritische Minderperfusion in Folge von [[Vasokonstriktion|Gefäßverengungen]] (hämodynamischer Infarkt) oder [[Vasospasmus|Gefäßverkrampfungen]] (vasospastischer Infarkt)<br />
[[Intrazerebrale Blutung|Hirnblutungen]]:<br />
* Austritt von Blut in das Hirngeweb<nowiki />e nach Riss eines Gefäßes, z.&nbsp;B. infolge hohen [[Blutdruck]]s, Blutgerinnungsstörungen oder vorbestehenden Gefässerkrankungen (z.B [[Angiom]])<br />
* Subarachnoidalblutung, sub- oder epidurale [[Hämatom]]e<br />
[[Sinusthrombose]] oder Hirnvenenthrombose:<br />
* Verschluss der [[Vene|venösen]] Abflussgefäße<br />
* als Komplikation können Hirnblutungen (Stauungsblutung) oder Infarkte auftreten<br />
<br />
== Risikofaktoren ==<br />
Eine an tierischen Fetten reiche Ernährung erhöht das Schlaganfallrisiko. 2021 wertete eine Studie 27 Jahre Daten von 117.000 Probanden aus. Die Studie kam zu dem Schluss, dass Fette aus tierischen Lebensmitteln das Schlaganfallrisiko erhöhen, während solche aus pflanzlichen Lebensmitteln es senken.<ref>Wang F, Baden MY, Rexrode KM, Hu FB. RF160 - Dietary Fat Intake and the Risk of Stroke: Results from Two Prospective Cohort Studies. Abstract presented at: American Heart Association’s Scientific Sessions 2021; November 13-15, 2021; virtual meeting.</ref><ref>{{Internetquelle |url=https://www.eurekalert.org/news-releases/933445 |titel=Vegetable fat may decrease stroke risk, while animal fat increases it |sprache=en |abruf=2021-11-10}}</ref><br />
<br />
== Früherkennung eines erhöhten Schlaganfallrisikos ==<br />
Als Früherkennung wird ein Ultraschall der Halsschlagadern angeboten, der Ablagerungen erkennen und so dazu beitragen soll, das Schlaganfallrisiko zu senken. Der [[IGeL-Monitor]] des MDS ([[Medizinischer Dienst Bund|Medizinischer Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen]]) hat diese Untersuchung mit „tendenziell negativ“ bewertet.<ref>[https://www.igel-monitor.de/igel-a-z/igel/show/ultraschall-der-halsschlagadern-zur-schlaganfallvorsoge.html ''Ultraschall der Halsschlagadern zur Schlaganfallvorsorge''.] IGeL-Monitor; abgerufen am 15. März 2019. Die Bewertung gilt für Menschen ab 50, die keine Beschwerden haben. Mehr zur Bewertung im Dokument [https://www.igel-monitor.de/fileadmin/user_upload/Ultraschall_der_Halsschlagader__Evidenz_ausfuehrlich.pdf ''„Evidenz ausführlich“''.] (PDF; 1,0&nbsp;MB) abgerufen am 15. März 2019.</ref> Denn bei der systematischen Literaturrecherche fanden die Wissenschaftler des IGeL-Monitor keine Studien zu der Frage, ob der Ultraschall die Häufigkeit von Krankheit und Tod durch einen Schlaganfall vermindern kann. Zwar könne die Ultraschalluntersuchung viele Verengungen der Halsschlagader früh erkennen, aber ob die Behandlung dann wirklich dazu führe, dass weniger Menschen einen Schlaganfall bekommen, sei unklar.<ref>[https://www.medical-tribune.de/praxis-und-wirtschaft/ehealth/artikel/igel-monitor-bewertet-ultraschall-der-halsschlagader-zur-schlaganfallvorsorge-tendenziell-negativ/ ''IGeL-Monitor bewertet Ultraschall der Halsschlagader zur Schlaganfallvorsorge tendenziell negativ''.] Medical Tribune, 15. Dezember 2016.</ref> Schäden seien dagegen möglich durch unnötige weitere Untersuchungen und unnötige Behandlungen.<ref>[https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/71536/IGeL-Monitor-lehnt-Ultraschall-der-Halsschlagadern-als-Schlaganfallvorsorge-ab ''IGeL-Monitor lehnt Ultraschall der Halsschlagadern als Schlaganfallvorsorge ab''.] Deutsches Ärzteblatt, 18. November 2016.</ref> Wichtigste Quelle ist eine Übersichtsarbeit von 2014.<ref>D.E. Jonas et al.: [https://www.ncbi.nlm.nih.gov/books/NBK223225/ ''Screening for Asymptomatic Carotid Artery Stenosis''.] 2014. Agency for Healthcare Research and Quality. Screening for Asymptomatic Carotid Artery Stenosis: A Systematic Review and Meta-Analysis for the U.S. Preventive Services Task Force. Evidence Synthesis No. 111. Report No.: No. 13-05178-EF-1.</ref> In der „Leitlinie zur Diagnostik, Therapie und Nachsorge der extracraniellen Carotisstenose“ raten mehrere deutsche Fachgesellschaften aufgrund der Studienlage ebenfalls von einer Reihenuntersuchung ab: „Ein routinemäßiges Screening auf das Vorliegen einer Carotisstenose soll nicht durchgeführt werden.“<ref>H.H. Eckstein et al. [https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/004-028l_S3_Extracranielle_Carotisstenose_2012_abgelaufen.pdf ''S3-Leitlinie zur Diagnostik, Therapie und Nachsorge der extracraniellen Carotisstenose''.] (PDF) AWMF-Register Nr. 004/028. 2012. Siehe auch: Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin: [https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/053-011l_S3_Schlaganfall_2012-abgelaufen.pdf ''Schlaganfall. DEGAM-Leitlinie Nr. 8''.] (PDF) AWMF Register Nr. 053/011. 2012.</ref> Auch vier internationale Leitlinien empfehlen keine Reihenuntersuchung von Menschen ohne Beschwerden und ohne besondere Risikofaktoren.<ref>Ricotta, J.J. et al. Updated Society for Vascular Surgery guidelines for management of extracranial carotid disease. J Vasc Surg, 2011; 54 (3): e1-e31. Royal Australian College of General Practitioners. Guidelines for preventive activities in general practice. 8th edition, 2012.</ref> Bei einem Verdacht oder bei Beschwerden, die auf eine verengte Ader zurückgehen können, ist der Ultraschall Kassenleistung.<br />
<br />
== Diagnostik ==<br />
Die Diagnose des Schlaganfalls wird [[Symptom|klinisch]] gestellt, in der Regel durch einen [[Neurologe]]n. Dieser bedient sich hierfür unterschiedlicher Untersuchungsmethoden, um die zahlreichen unterschiedlichen Funktionen des Gehirns zu überprüfen. Häufig orientieren sich diese Untersuchungen an Scoringsystemen wie der [[National Institutes of Health Stroke Scale]] (NIHSS), die eine quantitative Einschätzung der Schwere des Schlaganfalls ermöglicht. Je nach vermuteter Lokalisation des Schlaganfalls im Gehirn können jedoch auch speziellere Untersuchungen, z.&nbsp;B. des Kleinhirns oder der Hirnnerven, indiziert sein. Bei sich erhärtendem oder zumindest nicht mit Sicherheit ausgeschlossenem Verdacht auf Schlaganfall folgt in jedem Fall eine bildgebende Diagnostik.<br />
<br />
Bildgebende Verfahren wie die [[Computertomographie]] (CT) oder [[Magnetresonanztomographie]] (MRT, englisch MRI) ermöglichen die sofortige Diagnose einer Hirn''blutung''. Beim ischämischen Schlaganfall hingegen kann eine native (d.&nbsp;h. ohne [[Kontrastmittel]]) CT- bzw. MRT-Untersuchung während der ersten Stunden unauffällige Bilder liefern. Je nach Ursache, Lokalisation und Schwere des Schlaganfalls können sich eine [[CT-Angiographie]] (CTA) und eine CT-Perfusion anschließen. [[Diffusions-Tensor-Bildgebung|Diffusionsgewichtete Aufnahmen]] (DW-MRI) ermöglichen in der MRT-Untersuchung schon wenige Minuten nach Beginn des Schlaganfalls eine Darstellung des Infarktgebiets.<br />
<br />
Eine feine [[Subarachnoidalblutung]] kann unter Umständen in den bildgebenden Verfahren unsichtbar sein. Sie kann dann sensitiver durch den Nachweis von Blutbestandteilen im [[Liquor cerebrospinalis|Nervenwasser]] durch eine [[Lumbalpunktion]] festgestellt werden.<br />
<br />
Eine Blutabnahme bei Verdacht auf Schlaganfall ist obligatorisch. Hierbei wird neben einem Blutbild insbesondere der [[Hämostase|Gerinnungsstatus]] bestimmt, zudem die Elektrolyte, Harnstoff, Kreatinin, Blutzucker, Leberwerte, CRP, TSH und andere Laborwerte.<ref>Richard Daikeler, Götz Use, Sylke Waibel: ''Diabetes. Evidenzbasierte Diagnosik und Therapie.'' 10. Auflage. Kitteltaschenbuch, Sinsheim 2015, ISBN 978-3-00-050903-2, S. 111.</ref> Blut-Biomarker (z.&nbsp;B. [[S-100-Proteine|S-100B]], [[Neuronenspezifische Enolase|NSE]], [[Saures Gliafaserprotein|GFAP]]), die auf Schäden des Gehirns hinweisen können, können die Diagnostik ergänzen, sind jedoch nicht spezifisch für einen Schlaganfall und in der Frühphase bisweilen unauffällig.<br />
<br />
Speziell für Rettungsdienstpersonal wurde 1997 die ''Cincinnati Prehospital Stroke Scale'' (CPSS) entwickelt.<ref>M. S. Dittmar, B. Vatankhah, M. Horn: ''Präklinische neurologische Untersuchung von Schlaganfallpatienten.'' In: ''Notarzt.'' 20(5), 2004, S. 163–167. [[doi:10.1055/s-2004-828291]]</ref><ref>{{Webarchiv |url=http://www.strokecenter.org/trials/scales/cincinnati.html |text=Illustrierter Test |wayback=20100731181833}} auf der Internetseite der American Stroke Association.</ref> Diese wird aus drei Kriterien der NIHSS gebildet und soll als ein einfaches Instrument zur Diagnose eines Schlaganfalls dienen. Auch in der Laien-Ausbildung für Erste Hilfe werden die Kriterien der CPSS oft mit dem englischen [[Akronym]] ''FAST'' vermittelt (Face, Arms, Speech, Time).<ref>[http://www.schlaganfall-hilfe.de/notfall schlaganfall-hilfe.de]</ref> Dieser Test besteht aus vier Schritten:<br />
[[Datei:Der FAST-Test. Schlaganfall schnell erkennen.pdf|mini]]<br />
# '''F'''ace (Gesicht): Die Person auffordern, z.&nbsp;B. breit zu lächeln oder die Zähne zu zeigen, da eine [[Fazialislähmung#Gesichtslähmung vom zentralen Typ|gelähmte Gesichtshälfte]] ein Symptom eines Schlaganfalls sein kann. Eine andere Methode ist, die betroffene Person die Backen aufblasen zu lassen und darauf leichten Widerstand auszuüben; betroffene Personen können eine Seite nicht aufblasen oder nicht gegen den Widerstand aufgeblasen halten.<br />
# '''A'''rms (Arme): Die Person wird aufgefordert, beide Arme mit nach oben geöffneten Handflächen nach vorne zu strecken, sodass die Arme ohne Unterstützung im 90°-Winkel zur Körperachse gehalten werden. Bei einer Lähmung kann ein Arm nicht in die verlangte Position gebracht oder in ihr gehalten werden, sinkt oder dreht sich nach innen.<br />
# '''S'''peech (Sprache): Man achtet auf die Aussprache der Person. Sie kann undeutlich oder verlangsamt sein, sich „verwaschen“ anhören, oder die Person scheint Schwierigkeiten zu haben, ihre Gedanken in Worte zu fassen.<br />
# '''T'''ime (Zeit): Besteht der Verdacht eines Schlaganfalls, muss die betroffene Person so schnell wie möglich mit dem Rettungsdienst in eine geeignete Klinik – vorzugsweise in eine ''[[Stroke Unit]]'' – transportiert werden. Langwierige Behandlungen vor Ort („stay and play“) sollten nur dann erfolgen, wenn vor Ort eine ''[[Mobile Stroke Unit]]'' zum Einsatz kommt – ansonsten gilt der Grundsatz „[[Rettungskonzept#Load and Go|Load and Go]]“. Generell muss die Behandlung binnen kürzester Zeit erfolgen, um Hirnschädigungen so gering wie möglich zu halten. Wichtig ist ein Festhalten des zeitlichen Beginns der Symptome und der zeitliche Verlauf (Verschlechterung bzw. Besserung).<br />
Einschränkungen erfährt die CPSS insbesondere durch ihre Fokussierung auf Symptome eines kortikalen Infarkts. Sie ist damit zwar in der Lage, eine Vielzahl von schweren Schlaganfällen mit relativ hoher Sensitivität zu erkennen, verpasst aber unter Umständen seltenere Schlaganfälle in anderen Bereichen. Deshalb wurde vorgeschlagen, das Akronym auf ''BE FAST'' zu erweitern<ref>{{Internetquelle |url=https://pennstatehealthnews.org/2017/05/the-medical-minute-be-fast-to-recognize-stroke-signs/ |titel=The Medical Minute: “BE FAST” to recognize stroke signs |datum=2017-05-04 |abruf=2020-02-18}}</ref>, mit den zusätzlichen Kriterien:<br />
# '''B'''alance (Gleichgewicht): Plötzlich aufgetretene Gleichgewichts- oder Gangstörungen können Symptome eines Schlaganfalls sein.<br />
# '''E'''yes (Augen): Die Person klagt über den plötzlichen Verlust oder Einschränkung der Sehfähigkeit auf einem oder beiden Augen, Doppelbilder, unscharfes Sehen.<br />
<br />
Eine 2021 veröffentlichte Studie, die mit Patienten in den Niederlanden durchgeführt wurde, zeigte, dass bei der präklinischen Schlaganfallerkennung ein Vorgehen nach dem RACE- (Rapid Arterial oCclusion Evaluation), G-FAST- (Gaze, Face, Arms, Speech, Time), oder CG-FAST-Schema (Conveniently-Grasped Field Assessment Stroke Triage) gut geeignet ist, um Schlaganfälle früh zu erkennen.<ref>F. Riederer: [https://www.kup.at/kup/pdf/14886.pdf ''Comparison of eight prehospital stroke scales to detect intracranial large-vessel occlusion in suspected stroke (PRESTO): a prospective observational study''.] (PDF; englisch). In: ''Neurologie, Neurochirurgie und Psychiatrie'', kup.at; abgerufen am 12. Juni 2022</ref><br />
<br />
== Prävention ==<br />
Der persönliche Lebensstil beeinflusst das Risiko, einen Schlaganfall zu erleiden. Vor allem ein normaler [[Blutdruck]], gute [[Blutzucker]]werte und [[Tabakrauchen|Tabak]]-Abstinenz können das Schlaganfallrisiko reduzieren. Allein ein Blutdruck im Normbereich vermindert das Schlaganfallrisiko um 60 Prozent. Weitere Aspekte eines gesunden Lebensstils sind die körperliche Aktivität, die Vermeidung von Übergewicht, normale Cholesterin-Werte und eine gesunde Ernährung.<ref name="DOI10.1161/STROKEAHA.111.000352">A. Kulshreshtha, V. Vaccarino, S. E. Judd, V. J. Howard, W. M. McClellan, P. Muntner, Y. Hong, M. M. Safford, A. Goyal, M. Cushman: ''Life’s Simple 7 and Risk of Incident Stroke: The Reasons for Geographic and Racial Differences in Stroke Study.'' In: ''Stroke.'' 44, 2013, S.&nbsp;1909–1914, [[doi:10.1161/STROKEAHA.111.000352]].</ref> Studien zufolge stellt ein hoher Konsum von Salz einen Risikofaktor dar,<ref>{{Literatur |Autor=P. Strazzullo, L. D’Elia, N. B. Kandala, F. P. Cappuccio |Titel=Salt intake, stroke, and cardiovascular disease: meta-analysis of prospective studies |Sammelwerk=BMJ (Clinical Research Ed.) |Band=339 |Datum=2009-11 |Seiten=b4567 |PMC=2782060 |PMID=19934192}}</ref> der Konsum von Kalium hingegen einen Schutzfaktor.<ref>{{Literatur |Autor=L. D’Elia, G. Barba, F. P. Cappuccio, P. Strazzullo |Titel=Potassium intake, stroke, and cardiovascular disease a meta-analysis of prospective studies |Sammelwerk=Journal of the American College of Cardiology |Band=57 |Nummer=10 |Datum=2011-03 |Seiten=1210–1219 |DOI=10.1016/j.jacc.2010.09.070 |PMID=21371638}}</ref><br />
<br />
Im Rahmen der Ursachensuche und damit im Sinne der Sekundärprävention nach einem Schlaganfall sollte auch nach einem intermittierenden (paroxysmalen) [[Vorhofflimmern]] gesucht werden. Hierbei wird ein Untersuchungszeitraum von 24 bis 72 Stunden empfohlen. Bei Nachweis von auch nur zeitweisem Vorhofflimmern sollte eine Gerinnungshemmung mit [[Phenprocoumon]] oder [[Antikoagulation#Direkte orale Antikoagulanzien (DOAK)|direkten oralen Antikoagulanzien]] (DOAK) erfolgen.<ref>{{Internetquelle |autor=Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) |url=https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/053-011l_S3_Schlaganfall_2012-10.pdf |titel=Leitlinien Schlaganfall |format=PDF |offline=1 |archiv-url=https://web.archive.org/web/20130811025942/http://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/053-011l_S3_Schlaganfall_2012-10.pdf |archiv-datum=2013-08-11 |abruf=2013-12-27}}</ref><br />
<br />
== Therapie ==<br />
Die sogenannte „time-to-needle“ (Zeitspanne, innerhalb derer eine etwaige Lyse-Behandlung [s &nbsp;u.] begonnen sein muss) liegt bei maximal ''viereinhalb Stunden'' nach Eintritt des Schlaganfalls.<ref>{{Webarchiv |url=http://www.dgn.org/leitlinien-online-2012/inhalte-nach-kapitel/2310-ll-22-2012-akuttherapie-des-ischaemischen-schlaganfalls.html |text=''Akuttherapie des ischämischen Schlaganfalls''. |wayback=20150402102717}} S1-Leitlinie der DGN, September 2012.</ref> Nach dem unverzüglichen Absetzen eines [[Notruf]]s sollte der Patient beobachtet und mit erhöhtem Oberkörper gelagert werden, und ruhig. Zudem sollte er nicht körperlich belastet werden sowie nichts essen und trinken, da [[Aspiration (Medizin)|Aspirationsgefahr]] besteht. Gemeinhin erfolgt ein Notfalltransport mit Rettungswagen – eventuell mit Notarzt – in eine ''[[Stroke Unit]]'' zwecks genauer Diagnostik und entsprechender Behandlung, häufig mittels [[Lysetherapie]]. Allerdings ist die Bezeichnung ''Stroke Unit'' oder auch ''Schlaganfall-Station'' in Deutschland gesetzlich nicht geschützt.<ref>{{Internetquelle |url=https://www.schlaganfall-hilfe.de/de/fuer-betroffene/akutbehandlung/stroke-unit |titel=Versorgung - Spezialstationen für schlaganfallbetroffene Menschen |abruf=2024-02-16}}</ref><br />
<br />
Auf dem Land – mit einer entsprechend geringen Dichte an ''Stroke Units'' – kommt häufig auch ein [[Rettungshubschrauber]] zum Einsatz, da mit diesem ein schnellerer Transport in ein weiter entferntes, dafür geeignetes Krankenhaus durchgeführt werden kann. Zum Teil sind die zurückzulegenden Entfernungen so groß, dass selbst nachts der Einsatz eines [[Intensivtransporthubschrauber]]s, der eine wesentlich höhere Vorlaufzeit als ein Rettungshubschrauber hat, in Erwägung gezogen werden kann. Auch ''[[Mobile Stroke Unit]]s'' (speziell ausgerüstete Rettungswagen) kommen hier zum Teil zum Einsatz.<ref>{{Internetquelle |autor=Alexandra Jane Oliver |url=https://www.spiegel.de/wissenschaft/medizin/spezialambulanz-spart-zeit-bei-der-behandlung-von-schlaganfaellen-a-826668.html |titel=Schlaganfall: Spezial-Rettungswagen beschleunigt Therapie |werk=[[Spiegel Online]] |datum=2012-04-11 |abruf=2018-11-12}}</ref><br />
<br />
Bei hämorrhagischen Schlaganfällen, also Hirnblutungen, ist die Lyse-Behandlung nicht angezeigt. In vielen [[Ischämie]]-Fällen hingegen gelingt es durch die intravenöse Verabreichung von Medikamenten ([[Thrombolyse]]), das [[Thrombus|Blutgerinnsel]] aufzulösen und das Gehirn vor einem dauerhaften Schaden zu bewahren. Eine frühe Thrombolyse verbessert nachweislich die Prognose der Patienten.<ref name="DOI10.1001/jama.2013.6959">Jeffrey L. Saver: ''Time to Treatment With Intravenous Tissue Plasminogen Activator and Outcome From Acute Ischemic Stroke.'' In: ''JAMA.'' 309, 2013, S.&nbsp;2480, [[doi:10.1001/jama.2013.6959]].</ref><br />
<br />
Ein recht neues Verfahren, die [[Neurothrombektomie]], entfernt mechanisch mit einem Katheter ''(neuro thrombectomy catheter<ref>{{Patent| Land=DE| V-Nr=60131859| Code=T2| Titel=Neurothrombektomie Kathether| A-Datum=2001-09-06| V-Datum=2008-11-27| Anmelder=EV3 Endovalcular Inc| Erfinder=Rafael Pintor et al}}</ref>)'' das Blutgerinnsel im Gehirn.<ref>[http://www.innovations-report.de/html/berichte/veranstaltungen/volksleiden_schlaganfall_blutgerinnsel_per_katheter_183153.html www.innovations-report.de]</ref> „Mehr als 60 Prozent der Patienten mit großen Schlaganfällen können nach der Katheterbehandlung bereits nach drei Monaten wieder ein eigenständiges Leben führen. Bei der medikamentösen Therapie liegt diese Quote bei nur etwa 15 Prozent“.<ref>Olav Jansen, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Neurologische Rehabilitation, Direktor des Instituts für [[Neuroradiologie]] am [[Universitätsklinikum Schleswig-Holstein]] in Kiel, 2011.</ref> Insbesondere für Patienten, bei denen das Blutgerinnsel ein großes Gefäß im Gehirn verschließt, ist die Thrombektomie wirkungsvoll. In rund 90 Prozent der Fälle kann das Gefäß wieder eröffnet werden. Die Neurothrombektomie kann allerdings bei nur etwa 10 bis 15 Prozent der ischämischen Schlaganfälle eingesetzt werden. Bislang wird dieses Verfahren in Deutschland in etwa 140 Krankenhäusern angeboten und stetig auf neue Kliniken ausgeweitet (Stand Oktober 2017).<ref>[https://www.zdf.de/verbraucher/volle-kanne/thrombektomie-nach-schlaganfall-100.html ''Neues Verfahren nach Schlaganfall.''] zdf.de; abgerufen am 1. Juni 2018.</ref> Im Lauf des Jahres 2015 zeigten fünf Studien an Patienten mit sehr schweren Schlaganfällen in Folge eines Grossgefässverschlusses eine Überlegenheit der Kombination von Thrombektomie mit Thrombolyse gegenüber der medikamentösen Thrombolyse alleine.<ref>{{Literatur |Autor=Mayank Goyal, Bijoy K Menon, Wim H van Zwam, Diederik W J Dippel, Peter J Mitchell |Titel=Endovascular thrombectomy after large-vessel ischaemic stroke: a meta-analysis of individual patient data from five randomised trials |Sammelwerk=The Lancet |Band=387 |Nummer=10029 |Datum=2016-04 |Seiten=1723–1731 |Online=https://linkinghub.elsevier.com/retrieve/pii/S014067361600163X |Abruf=2020-05-22 |DOI=10.1016/S0140-6736(16)00163-X}}</ref><ref>[http://www.dgn.org/presse/pressemitteilungen/50-pressemitteilungen/pressemitteilung-2015/3126-die-mechanische-thrombektomie-eine-revolution-in-der-schlaganfalltherapie ''Die mechanische Thrombektomie: eine Revolution in der Schlaganfalltherapie.'']</ref><br />
<br />
== Rehabilitation ==<br />
[[Datei:Chronic stroke.jpg|mini|Funktionserholung nach großem kortikalen Schlaganfall (fMRT)]]<br />
<br />
Die [[medizinische Rehabilitation]] von Patienten mit [[Zerebrovaskuläre Insuffizienz|zerebrovaskulärer Insuffizienz]] beginnt idealerweise postakut in einer ''Stroke Unit''. Rehabilitative Ansätze wie das des [[Bobath-Konzept]]s erfordern ein hohes Maß an interdisziplinärer Zusammenarbeit und sind bei konsequenter Ausführung für den Rehabilitationsverlauf maßgeblich mitverantwortlich. Ein neuer und wissenschaftlich mehrfach validierter Ansatz ist die „Constraint-Induced Movement Therapy“ (CIMT),<ref>E. Taub, G. Uswatte, R. Pidikiti: ''Constraint-Induced Movement Therapy: a new family of techniques with broad application to physical rehabilitation – a clinical review.'' In: ''J Rehabil Res Dev.'' 6 (3), Jul 1999, S. 237–251.</ref> bei der durch Immobilisation des gesunden Arms für den Großteil der Wachperiode der Patient zum Gebrauch der erkrankten Hand „gezwungen“ wird, wodurch krankhafte Anpassungsphänomene wie der „erlernte Nichtgebrauch“ verhindert werden können. Diese Therapiemethode ist auch bei schwer betroffenen Patienten und im chronischen Stadium einsetzbar. Die Methode ist im deutschsprachigen Raum auch als ''„Taubsche Bewegungsinduktion“'' bekannt.<ref>{{Literatur |Autor=W. H. R. Miltner, E. Taub, H. Bauder |Titel=Behandlung motorischer Störungen nach Schlaganfall – Die Taubsche Bewegungsindikation |Verlag=[[Hogrefe Verlag|Hogrefe]] |Ort=Göttingen |Datum=2001 |ISBN=3-8017-1464-0}}</ref><br />
<br />
Im Zentrum der neurologischen Rehabilitation stehen vor allem Maßnahmen, welche die Körperwahrnehmung des Betroffenen fördern und im besten Falle zur vollständigen Kompensation verlorener Fähigkeiten führen. So werden beispielsweise zur Wiederherstellung der Gehfähigkeit Gangmuster mit [[Physiotherapie|Physiotherapeuten]] eingeübt.<br />
<br />
[[Datei:Gehen mit Orthese nach Schlaganfall 220.jpg|mini|hochkant|Gehen mit [[Orthese]] nach Schlaganfall]]<br />
Therapiebegleitend kann eine Hilfsmittelversorgung mit [[Orthese]]n erfolgen.<ref>{{Literatur |Autor=S. Hesse, C. Enzinger und andere |Hrsg=H. C. Diener und andere |Titel=Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie, Technische Hilfsmittel |Auflage=5. Auflage |Verlag=Thieme |Ort=Stuttgart |Datum=2012 |ISBN=978-3-13-155455-0}}</ref><ref>{{Literatur |Autor=Gereon Nelles und andere |Hrsg=Deutsche Gesellschaft für Neurologie |Titel=Rehabilitation von sensomotorischen Störungen |Auflage=S2k-Leitlinie |Ort=Berlin |Datum=2018 |Seiten=21 |Online=https://dgn.org/leitlinien/ll-030-123-2018-rehabilitation-von-sensomotorischen-stoerungen/ |Abruf=2021-05-31}}</ref> Klinische Studien belegen den hohen Stellenwert von Orthesen in der Schlaganfallrehabilitation.<ref>{{Literatur |Autor=Maurizio Falso, Eleonora Cattaneo, Elisa Foglia, Marco Zucchini, Franco Zucchini |Hrsg=Journal of Novel Physiotherapy and Rehabilitation |Titel=How does a Personalized Rehabilitative Model influence the Functional Response of Different Ankle Foot Orthoses in a Cohort of Patients Affected by Neurological Gait Pattern? |Band=1 |Verlag=Highten Science |Datum=2017 |ISSN=2573-6264 |Seiten=72–92 |Online=https://www.heighpubs.org/jnpr/jnpr-aid1010.php}}</ref><ref>{{Literatur |Autor=Roy Bowers |Hrsg=Elizabeth Condie, James Campbell, Juan Martina |Titel=Report of a Consensus Conference on the Orthotic Management of Stroke Patients, Non-Articulated Ankle-Foot Ortheses |Verlag=International Society for Prosthetics and Orthotics |Ort=Copenhagen |Datum=2004 |ISBN=87-89809-14-9 |Seiten=87-94 |Sprache=en |Online=https://pure.strath.ac.uk/ws/portalfiles/portal/35599006/Consensus_Conference_On_The_Orthotic_M}}</ref> Mit Hilfe einer Orthese soll physiologisches [[Stehen]] und [[Gehen]] wieder erlernt werden, zudem können Folgeerscheinungen durch ein falsches Gangbild verhindert werden.<ref>{{Literatur |Autor=Elizabeth Condie, Robert James Bowers |Hrsg=John D. Hsu, John W. Michael, John R. Fisk |Titel=Lower limb orthoses for persons who have had a stroke |Sammelwerk=AAOS Atlas of Orthoses and Assistive Devices |Auflage=4. |Verlag=Mosby Elsevier |Ort=Philadelphia |Datum=2008 |ISBN=978-0-323-03931-4 |Seiten=433–440}}</ref><ref>{{Literatur |Autor=Elaine Owen |Hrsg=International Society for Prosthetics and Orthotics |Titel=The Importance of Being Earnest about Shank and Thigh Kinematics especially when using Ankle-Foot Orthoses |Sammelwerk=Prosthetics and Orthotics International |Band=34(3) |Verlag=International Society for Prosthetics and Orthotics |Ort=Brüssel |Datum=2010-09 |ISSN=0309-3646 |Seiten=254–269}}</ref> Im Fall einer [[Hemiparese]] mit einer Bewegungsstörung, die auf einem reduzierten sensorischen Input beruht, kann eine Bewegungskorrektur durch Biofeedback unterstützt werden, das zusätzliche Informationen für die [[Propriozeption]] liefert.<ref>{{Literatur |Autor=K. Genthe, C. Schenck, S. Eicholtz, L. Zajac-Cox, S. Wolf, T. M. Kesar |Titel=Effects of real-time gait biofeedback on paretic propulsion and gait biomechanics in individuals post-stroke |Sammelwerk=Topics in Stroke Rehabilitation |Band=25 |Nummer=3 |Datum=2018-04 |Seiten=186–193 |DOI=10.1080/10749357.2018.1436384 |PMC=5901660 |PMID=29457532}}</ref><ref>{{Literatur |Autor=J. Spencer, S. L. Wolf, T. M. Kesar |Titel=Biofeedback for Post-stroke Gait Retraining: A Review of Current Evidence and Future Research Directions in the Context of Emerging Technologies |Sammelwerk=Frontiers in Neurology |Band=12 |Datum=2021 |Seiten=637199 |DOI=10.3389/fneur.2021.637199 |PMC=8042129 |PMID=33859607}}</ref><ref>{{Internetquelle |url=https://cordis.europa.eu/article/id/231215-a-wearable-device-that-helps-paralysed-patients-walk-again/de |titel=Tragbares Gerät unterstützt Gehversuche gelähmter Patienten |werk=cordis.europa.eu |datum=2017 |abruf=2022-05-26}}</ref><br />
<br />
[[Ergotherapie|Ergotherapeuten]] arbeiten gezielt mit den Patienten an der (teilweisen) Wiederherstellung der [[Sensomotorik|sensomotorischen]], kognitiven und emotionalen Fähigkeiten.<ref>{{Internetquelle |url=https://www.ergotherapie.ch/ergotherapie-de/bei-neurologischen-verletzungen-und-erkrankung-der-neurologie/ |titel=Ergotherapie – bei neurologischen Verletzungen und Erkrankung der Neurologie |abruf=2020-05-07}}</ref><br />
<br />
Die Bedeutung einer gezielten [[Logopädie]] bereits in der Frühphase und über einen langen Zeitraum wird häufig unterschätzt und nur laienhaft angegangen. Für bestimmte Therapiebereiche gibt es bisher kein ausreichendes Angebot im ambulanten Bereich, wie in der Sprachtherapie v.&nbsp;a. bei [[Aphasie]] und Dysarthrie. In der rehabilitativen Therapie ist ein hochfrequentes, repetitives Üben bestimmter Aufgaben sinnvoll, die [[Telerehabilitation]] oder die [[Teletherapie (Telemedizin)|Teletherapie]] ermöglicht eine supervidierte Versorgung von Patienten. Eine intensive Behandlung ist im niedergelassenen Setting nicht zu erbringen. Nur durch Nutzung computergestützter Verfahren kann die Intensität so erhöht werden, dass die sich aus den Vorgaben der Metastudie ergebenden Zielgrößen erreicht werden. Machbarkeitsstudien belegen, dass für etwa 50–60 % der aphasischen Patienten Teletherapie sinnvoll ist. Tatsächlich konnte durch die Teletherapiestudie erstmals gezeigt werden, dass die Therapiefrequenz durch supervidierte Teletherapie ohne Qualitätsverlust so angehoben wird, dass Patienten nachweislich davon profitieren.<br />
<br />
Moderne Ansätze der Neurorehabilitation versuchen krankhafte Hirnaktivität zu beeinflussen. So findet sich bei einigen Patienten eine enthemmte Aktivität der nicht-geschädigten Hemisphäre, welche die motorischen Funktionen der vom Schlaganfall betroffenen Hirnhälfte stört. Eine Reduktion der Überaktivität, zum Beispiel mit Hilfe der [[Transkranielle Magnetstimulation|transkraniellen Magnetstimulation]] (TMS), kann bei einem Teil der Patienten zu einer besseren Funktion der gelähmten Hand führen.<ref>D. A. Nowak, C. Grefkes, G. R. Fink: ''Modern neurophysiological strategies in the rehabilitation of impaired hand function following stroke.'' In: ''Fortschr Neurol Psychiatr.'' 76(6), Jun 2008, S. 354–360.</ref> Derzeit läuft an den [[National Institutes of Health]] (NIH) eine Multicenter-Studie zur Wirksamkeit der Magnetstimulationstherapie in Kombination mit einer pharmakologischen Stimulation mit dem [[Dopamin]]-Präparat „Levo-DOPA“. Durch Letzteres sollen die TMS-Effekte verstärkt werden. Auch andere Medikamente aus der Gruppe der monoaminergen Substanzen wie [[Paroxetin]] (serotonerg), [[Fluoxetin]] (serotonerg) oder [[Reboxetin]] (adrenerg) können Schlaganfall-Defizite [[Temporär|transient]] verbessern, wie in Placebo-kontrollierten Studien gezeigt werden konnte.<ref>J. Pariente, I. Loubinoux, C. Carel, J. F. Albucher, A. Leger, C. Manelfe, O. Rascol, F. Chollet: ''Fluoxetine modulates motor performance and cerebral activation of patients recovering from stroke.'' In: ''Ann Neurol.'' 50 (6), Dez 2001, S. 718–729.</ref> Ein neuer technischer Ansatz zur Verbesserung von Ausfällen besteht in der transkraniellen Gleichstrom-Behandlung (transcranial direct current stimulation, tDCS), was derzeit in mehreren Kliniken, unter anderem in Deutschland, überprüft wird.<ref>F. C. Hummel, B. Voller, P. Celnik, A. Floel, P. Giraux, C. Gerloff, L. G. Cohen: ''Effects of brain polarization on reaction times and pinch force in chronic stroke.'' In: ''BMC Neurosci.'' 7, 3. Nov 2006, S. 73.</ref><br />
<br />
== Langzeitfolgen ==<br />
Schlaganfälle erhöhen wahrscheinlich das Risiko, an einer [[Demenz]] zu erkranken.<ref>{{Internetquelle |url=https://www.pharmazeutische-zeitung.de/ausgabe-302008/schlaganfall-verdoppelt-demenzrisiko/ |titel=Schlaganfall verdoppelt Demenzrisiko |werk=[[Pharmazeutische Zeitung]] |datum=2008-07-22 |abruf=2019-04-03}}</ref><ref>{{Internetquelle |autor=Philip Grätzel von Grätz |url=https://www.aerztezeitung.de/medizin/krankheiten/demenz/article/802338/demenz-nach-apoplex-sekundaerpraevention.html |titel=Demenz nach Apoplex: Sekundärprävention |werk=[[Ärzte Zeitung]] |datum=2012-01-24 |abruf=2019-04-03}}</ref><ref>{{Internetquelle |url=https://www.dw.com/de/auf-schlaganfall-folgt-oft-demenz/a-45903150 |titel=Auf Schlaganfall folgt oft Demenz |werk=[[Deutsche Welle]] |datum=2018-10-16 |abruf=2019-04-03}}</ref><br />
<br />
== Gesundheitsökonomische Aspekte ==<br />
2017 sollen Schlaganfälle in Europa (32 untersuchte Länder) Kosten von etwa 60 Milliarden Euro verursacht haben. Die Studienautoren ermittelten, dass die reine medizinische Versorgung rund 27 Milliarden Euro (45 %) der Kosten ausmachte. Der Produktivitätsverlust habe sich auf 12 Milliarden Euro belaufen, hälftig verursacht durch vorzeitigen Tod und verpasste Arbeitstage. Familienangehörige leisteten rund 1,3 Milliarden Stunden Pflege für ihre erkrankten Verwandten, was etwa 16 Milliarden Euro gekostet haben soll.<br />
<br />
Deutschland habe rund neun Milliarden Euro – und damit 2,6 Prozent der gesamten Gesundheitskosten – für die medizinische Behandlung von Schlaganfallpatienten ausgegeben. Der Produktivitätsverlust lag bei rund 1,5 Milliarden Euro auf Seiten der Erkrankten und knapp 5&nbsp;Milliarden Euro bei den pflegenden Angehörigen.<br />
<br />
Im Rahmen einer bevölkerungsbasierten Gesamtkostenanalyse des Schlaganfalls in 32 europäischen Ländern im Jahr 2017, inklusive der damit verbundenen Einkommensverluste durch Behinderung oder frühen Tod, liegt Deutschland mit 113 Euro pro Einwohner an zweithöchster Stelle. Die Bandbreite der Kosten in den untersuchten Ländern geht von elf Euro in Bulgarien bis zu 140 Euro in Finnland. Mit einbezogen wurden Kosten im Gesundheitssystem, dem Sozialsystem und auch die verursachten Kosten außerhalb dieser Systeme, wie nicht-professionelle Pflege durch Freunde oder Angehörige.<ref name="DOI10.1177/2396987319883160">Ramon Luengo-Fernandez, Mara Violato, Paolo Candio, Shelby D. Reed: ''Economic burden of stroke across Europe: A population-based cost analysis.'' In: ''European stroke journal.'' 2020, Band 5, Nummer 1, S.&nbsp;17–25 [[doi:10.1177/2396987319883160]].</ref><br />
<br />
== Siehe auch ==<br />
Weitere Informationen zu den [[Symptom]]en, der [[Diagnose|Diagnostik]] und der [[Therapie]] finden sich unter:<br />
* [[Ischämischer Schlaganfall]]<br />
* [[Subarachnoidalblutung]]<br />
* [[Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe]]<br />
* [[Modifizierte Rankin-Skala]] als Maß der bleibenden Behinderung nach einem Schlaganfall<br />
* [[European Stroke Conference]]<br />
Weitere Informationen zu Aktionen und [[Veranstaltung]]en finden sich unter:<br />
<br />
* [[Tag gegen den Schlaganfall]]<br />
<br />
Die [[Special-Interest-Zeitschrift]] ''[[not (Magazin)|not]]'' berichtet seit 1992 über Themen aus den Bereichen [[Schädel-Hirn-Trauma]]ta und Schlaganfall-Behandlung.<ref name="media">[https://not-online.de/wp-content/uploads/2021/11/Mediadaten_not_2022_kl.pdf ''Mediadaten 2022''.] (PDF; 160&nbsp;kB), not, abgerufen am 25. Februar 2022.</ref><br />
<br />
== Literatur ==<br />
* K.-F. Gruber-Gerardy, W. Merz, H. Sonnenberg: ''Meilensteine aus der Geschichte des Schlaganfalls. Von Apoplexis, Blutegeln und moderner Sekundärprävention.'' [[Boehringer Ingelheim]], Ingelheim 2005, {{OCLC|891805882}}.<br />
* Jörg Braun, Roland Preuss, Klaus Dalhoff: ''Klinikleitfaden Intensivmedizin.'' 6. Auflage. [[Urban & Fischer]], München / Jena 2005, ISBN 3-437-23760-8 (medizinisches Lehrbuch).<br />
* Manio von Maravic: ''Neurologische Notfälle.'' In: Jörg Braun, Roland Preuss (Hrsg.): ''Klinikleitfaden Intensivmedizin.'' 9. Auflage. Elsevier, München 2016, ISBN 978-3-437-23763-8, S. 311–356, hier: S. 312–324 ''(Schlaganfall und Stroke Unit)''.<br />
* [[Klaus Poeck]], [[Werner Hacke]]: ''Neurologie''. Mit 85 Tabellen [neue Approbationsordnung], 12. Auflage, Springer, Heidelberg 2006, ISBN 3-540-29997-1 (medizinisches Lehrbuch).<br />
* Patricia M. Davies: ''Hemiplegie.'' Ein umfassendes Behandlungskonzept für Patienten nach Schlaganfall und anderen Hirnschädigungen. In: ''Rehabilitation und Prävention.'' 2., vollständig überarbeitete Auflage. Springer, Berlin u.&nbsp;a. 2002, ISBN 3-540-41794-X (Lehrbuch zur krankengymnastischen Rehabilitation nach Schlaganfall).<br />
<br />
== Weblinks ==<br />
{{Commonscat|Stroke|Schlaganfall}}<br />
{{Wiktionary|Gehirnschlag}}<br />
{{Wiktionary}}<br />
{{Wikibooks|Erste Hilfe/ Schlaganfall|Erste Hilfe bei Schlaganfall}}<br />
* [https://www.ars-neurochirurgica.com/tools/nihss-rechner NIHSS Score - Online Rechner]<br />
* {{DNB-Portal|4052588-0}}<br />
* S3-[[Medizinische Leitlinie|Leitlinie]]: ''Schlaganfall'', der [[Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften]] (AWMF), AWMF-Registernummer 053/011 ([https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/053-011.html Volltext.] Stand: 31. Oktober 2012, gültig bis 29. Februar 2016).<br />
<br />
== Einzelnachweise ==<br />
<references /><br />
<br />
{{Gesundheitshinweis}}<br />
{{Normdaten|TYP=s|GND=4052588-0|LCCN=sh85022095}}<br />
<br />
[[Kategorie:Zerebrovaskuläre Störung]]<br />
[[Kategorie:Krankheitsbild in der Neurochirurgie]]<br />
[[Kategorie:Schlaganfall| ]]<br />
[[Kategorie:Krankheitsbild in der Notfallmedizin]]</div>Scriptirhttps://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Herzinfarkt&diff=249232843Herzinfarkt2024-10-08T02:08:46Z<p>Scriptir: </p>
<hr />
<div>{{Weiterleitungshinweis|Herzattacke|Zur Kunstzeitschrift siehe [[Herzattacke (Kunstzeitschrift)]].}}<br />
{{QS-Medizin}}<br />
{{Überarbeiten|grund= Der Artikel ist in wichtigen Punkten veraltet und bedarf einer dringenden Aktualisierung. Siehe Diskussionsseite. -- --[[Spezial:Beiträge/2A02:3030:800:BA1F:A0AC:5D3B:7A98:32C6|2A02:3030:800:BA1F:A0AC:5D3B:7A98:32C6]] 14:08, 26. Mär. 2023 (CEST)}}<br />
<br />
{{Infobox ICD<br />
| BREITE = 250<br />
| 01-CODE = I21<br />
| 01-BEZEICHNUNG = Akuter Myokardinfarkt<br />
| 02-CODE = I22<br />
| 02-BEZEICHNUNG = Rezidivierender Myokardinfarkt<br />
}}<br />
<br />
[[Datei:AMI scheme.png|mini|hochkant|Myokardinfarkt der Vorderwandspitze (2) nach Verschluss (1) des vorderen absteigenden Astes ([[Koronargefäß#Koronararterien|LAD]]) der linken Kranzarterie (LCA), schematische Darstellung]]<br />
<br />
Der '''Herzinfarkt''' oder (genauer) '''Herzmuskelinfarkt''' bzw. '''Myokardinfarkt''', auch '''Koronarinfarkt''' genannt, ist ein akutes und lebensbedrohliches Ereignis infolge einer Erkrankung des [[Herz]]ens, bei der eine [[Koronararterie]] oder einer ihrer Äste verlegt oder stärker eingeengt wird. In der [[Humanmedizin]] gebräuchliche Abkürzungen sind HI, MI ''(myocardial infarction)'' oder AMI ''(acute myocardial infarction)''.<br />
<br />
Es handelt sich um eine anhaltende [[Durchblutungsstörung]] ''([[Ischämie]])'' von Teilen des [[Herzmuskel]]s (Myokard), die in den meisten Fällen durch [[Blutgerinnsel]] in einer [[Atherosklerose|atherosklerotisch]] veränderten Engstelle eines [[Herzkranzgefäß]]es verursacht wird. [[Leitsymptom]] des Herzinfarktes ist ein plötzlich auftretender, anhaltender und meist starker [[Schmerz]] im Brustbereich, der vorwiegend linksseitig in die [[Schulter]]n, [[Arm]]e, [[Unterkiefer]], [[Rücken]] und [[Oberbauch]] ausstrahlen kann. Er wird oft von [[Schweißausbruch|Schweißausbrüchen]]/[[Kaltschweißigkeit]], [[Übelkeit]] und eventuell [[Erbrechen]] begleitet. Bei etwa 25 % aller Herzinfarkte treten nur geringe oder keine Beschwerden auf (sogenannter stummer Infarkt). In der Akutphase eines Herzinfarktes kommen häufig gefährliche [[Herzrhythmusstörung]]en vor; auch kleinere Infarkte führen nicht selten über [[Kammerflimmern]] zum [[Plötzlicher Herztod|plötzlichen Herztod]]. Etwa 30 % aller Todesfälle beim Herzinfarkt ereignen sich vor jeder [[Laienhelfer|Laienhilfe]] oder medizinischen Therapie.<br />
<br />
Der Artikel behandelt den Myokardinfarkt im Wesentlichen beim Menschen; [[#Myokardinfarkt bei Tieren|Myokardinfarkte bei Tieren]] sind gesondert am Schluss beschrieben.<br />
<br />
== Epidemiologie ==<br />
[[Datei:So entsteht ein Herzinfarkt.webm|mini|Video: So entsteht ein Herzinfarkt]]<br />
[[Datei:Heart attack video.webm|mini|Video: Mechanismus von Herzinfarkten (englisch)]]<br />
Der Herzinfarkt ist eine der [[Todesursache|Haupttodesursachen]] in den [[Industrienation]]en. Die [[Inzidenz (Epidemiologie)|Inzidenz]] beträgt in Österreich/Deutschland etwa 300 Infarkte jährlich pro 100.000 Einwohner (in Japan < 100; Mittelmeer, Schweiz, Frankreich < 200; 300 bis 400 in Skandinavien; 400 bis 500 in England, Ungarn), in Deutschland erleiden jedes Jahr etwa 280.000 Menschen einen Herzinfarkt. Laut Todesursachenstatistik des [[Statistisches Bundesamt|Statistischen Bundesamtes]] starben in Deutschland im Jahr 2015 über 49.000 Menschen infolge eines akuten Herzinfarktes. Damit liegt der akute Herzinfarkt seit 1998 immer an zweiter Stelle der Todesursachen in Deutschland.<ref>[https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesellschaftStaat/Gesundheit/Todesursachen/Tabellen/SterbefaelleInsgesamt.html ''Sterbefälle insgesamt 2011 nach den zehn häufigsten Todesursachen der ICD-10''.] Statistisches Bundesamt. Abgerufen am 17. Januar 2013.</ref> Sowohl die absolute Anzahl der Sterbefälle infolge eines Herzinfarktes als auch die relative Häufigkeit sind in Deutschland seit Jahren stetig rückläufig (siehe Tabelle).<ref>[http://www.gbe-bund.de/gbe10/F?F=218D Sterbefälle (absolut, Sterbeziffer, Ränge, Anteile) für die 10/20/50/100 häufigsten Todesursachen (ab 1998)] Gesundheitsberichterstattung des Bundes. Abgerufen am 3. August 2020.</ref><ref name="Herzbericht 2009">[[Deutscher Herzbericht]] 2010, Ernst Bruckenberger, ISBN 978-3-00-032101-6, Oktober 2010.</ref><br />
<br />
{| class="wikitable" style="text-align:center"<br />
|-<br />
! Jahr<br />
! absolute Anzahl<br />
! männlich<br />
! weiblich<br />
|-<br />
| 2000<br />
| 67.282<br />
| 36.458<br />
| 30.824<br />
|-<br />
| 2001<br />
| 65.228<br />
| 35.473<br />
| 29.755<br />
|-<br />
| 2002<br />
| 64.218<br />
| 34.907<br />
| 29.311<br />
|-<br />
| 2003<br />
| 64.229<br />
| 34.679<br />
| 29.550<br />
|-<br />
| 2004<br />
| 61.736<br />
| 33.348<br />
| 28.388<br />
|-<br />
| 2005<br />
| 61.056<br />
| 32.973<br />
| 28.083<br />
|-<br />
| 2006<br />
| 59.938<br />
| 32.471<br />
| 27.467<br />
|-<br />
| 2007<br />
| 57.788<br />
| 31.195<br />
| 26.593<br />
|-<br />
| 2008<br />
| 56.775<br />
| 30.559<br />
| 26.216<br />
|-<br />
| 2009<br />
| 56.226<br />
| 30.934<br />
| 25.292<br />
|-<br />
| 2010<br />
| 55.541<br />
| 30.651<br />
| 24.890<br />
|-<br />
| 2011<br />
| 52.113<br />
| 28.621<br />
| 23.492<br />
|-<br />
| 2012<br />
| 52.516<br />
| 28.951<br />
| 23.565<br />
|-<br />
| 2013<br />
| 52.044<br />
| 28.991<br />
| 23.053<br />
|-<br />
| 2014<br />
| 48.181<br />
| 27.188<br />
| 20.993<br />
|-<br />
| 2015<br />
| 49.210<br />
| 27.835<br />
| 21.375<br />
|-<br />
| 2016<br />
| 48.669<br />
| 28.130<br />
| 20.539<br />
|-<br />
| 2017<br />
| 46.966<br />
| 27.130<br />
| 19.836<br />
|-<br />
| 2018<br />
| 46.207<br />
| 26.884<br />
| 19.323<br />
|}<br />
<br />
Herzinfarkte treten deutlich häufiger in sozial ärmeren Stadtteilen auf. Zudem sind die Patienten aus diesen Vierteln im Gegensatz zu Patienten aus sozial privilegierteren Bezirken jünger und haben ein höheres Risiko, innerhalb eines Jahres nach dem Herzinfarkt zu versterben.<ref name="aerzteblatt-55742">{{Internetquelle |autor=hil |url=http://www.aerzteblatt.de/nachrichten/55742/Bremen-Mehr-Herzinfarkte-in-aermeren-Stadtteilen |titel=Bremen: Mehr Herzinfarkte in ärmeren Stadtteilen |werk=[[Deutsches Ärzteblatt|aerzteblatt.de]] |datum=2013-09-04 |abruf=2014-12-26}}</ref> Auf dem Land in Deutschland sterben mehr Menschen ab 65 Jahren an den Folgen eines Herzinfarkts als in der Stadt. Anders als angenommen, ist dies höchstwahrscheinlich nicht auf eine schlechtere notfallmedizinische Versorgung zurückzuführen, sondern darauf, dass mehr Menschen einen Herzinfarkt erleiden.<ref>{{Literatur |Autor=Marcus Ebeling, Michael Mühlichen, Mats Talbäck, Roland Rau, Alexander Goedel, Sebastian Klüsener |Titel=Disease incidence and not case fatality drives the rural disadvantage in myocardial-infarction-related mortality in Germany |Sammelwerk=Preventive Medicine |Band=179 |Datum=2024-02 |DOI=10.1016/j.ypmed.2023.107833 |Seiten=107833 |Online=https://linkinghub.elsevier.com/retrieve/pii/S009174352300419X |Abruf=2024-02-13}}</ref> <br />
<br />
== Terminologie und Pathologie ==<br />
Das Verständnis vom Herzinfarkt hat sich seit den 1970er Jahren grundlegend gewandelt. Neue [[Diagnose]]- und [[Therapie]]verfahren haben wichtige Erkenntnisse zur [[Pathophysiologie]] besonders der ersten Stunden nach Beginn der [[Symptom]]e beigetragen und die Definition und [[Terminologie]] des Herzinfarktes verändert.<br />
<br />
=== Terminologie ===<br />
Eine in jeder Situation gültige Definition des Herzinfarktes existiert nicht. Allgemein ist akzeptiert, dass der Begriff ''Herzinfarkt'' den [[Nekrose|Zelltod]] von Herzmuskelzellen auf Grund einer länger andauernden Durchblutungsstörung ([[Ischämie]]) beschreibt.<ref name="ESC2003">F. van de Werf, D. Ardissino u.&nbsp;a.: ''Management of acute myocardial infarction in patients presenting with ST-segment elevation. The Task Force on the Management of Acute Myocardial Infarction of the European Society of Cardiology.'' In: ''European heart journal.'' Band 24, Nummer 1, Januar 2003, S.&nbsp;28–66, PMID 12559937.</ref> Schwieriger ist die Frage, welche Kriterien für einen solchen Zelltod zugrunde gelegt werden. Die eingesetzten Messinstrumente unterscheiden sich teilweise erheblich:<br />
* [[Rettungsdienst]]e diagnostizieren den Herzinfarkt anhand von Symptomen und [[Elektrokardiogramm|EKG]]-Veränderungen,<br />
* [[Intensivmedizin]]er zusätzlich mit Hilfe von [[Laboratoriumsmedizin|Laboruntersuchungen]],<br />
* [[Pathologie|Pathologen]] ausschließlich auf der Grundlage von [[Makroskopische Anatomie|makroskopischen]] oder noch seltener auch [[Mikroskopie|mikroskopischen]] Gewebeveränderungen und<br />
* [[Epidemiologie|Epidemiologen]] schließlich meist unter Verwendung von mehr oder weniger exakten Todesursachenstatistiken (vgl. [[Leichenschau]]) oder Entlassungsdiagnosen der Krankenhäuser.<br />
<br />
[[Datei:ACS abbreviations.png|mini|350px|Terminologie des akuten Koronarsyndroms, Erläuterungen im Text]]<br />
Bei länger als 20 Minuten anhaltenden infarkttypischen Brustschmerzen wird zunächst von einem [[Akutes Koronarsyndrom|akuten Koronarsyndrom]] gesprochen, was die Möglichkeit eines Herzinfarktes einschließt. Wenn sich dann in einem möglichst rasch anzufertigenden [[Elektrokardiogramm]] (EKG) Hebungen der ST-Strecke (vgl. [[Elektrokardiogramm#Nomenklatur und Normwerte|EKG-Nomenklatur]]) zeigen, so wird der Begriff ''ST-Hebungsinfarkt'' (Abk. ''STEMI'' für ''ST-elevation myocardial infarction'') verwendet. Bei Patienten ohne eine solche ST-Hebung kann erst nach drei bis vier Stunden mit Hilfe von Laboruntersuchungen zwischen Nicht-ST-Hebungsinfarkt (Abk. ''NSTEMI'' für ''Non-ST-elevation myocardial infarction'') und instabiler [[Angina pectoris]] unterschieden werden. Während in den für Deutschland geltenden Leitlinien<ref>C. W. Hamm: ''Leitlinien: Akutes Koronarsyndrom (ACS) – Teil 1: ACS ohne persistierende ST-Hebung.'' In: ''Z Kardiol'', 2004, 93, S.&nbsp;72–90, [http://leitlinien.dgk.org/images/pdf/leitlinien_volltext/2004-02_acs_teil_1.pdf leitlinien.dgk.org] (PDF)</ref> STEMI und NSTEMI als endgültige Diagnosen angesehen werden, unterscheiden die US-amerikanischen Leitlinien<ref name="Antman">{{Cite journal|author = Elliott M. Antman u.&nbsp;a. | title = ACC/AHA guidelines for the management of patients with ST-elevation myocardial infarction; A report of the American College of Cardiology/American Heart Association Task Force on Practice Guidelines (Committee to Revise the 1999 Guidelines for the Management of patients with acute myocardial infarction) | journal = [[Journal of the American College of Cardiology]] | date = 2004-08-04 | pages = E1–E211 | volume = 44 | doi = 10.1016/j.jacc.2004.07.014 | pmid = 15358047}}</ref> zwischen ''Q-wave myocardial infarction'' (Qw MI) und ''Non-Q-wave myocardial infarction'' (NQMI) als abschließender Diagnose. Diese Unterscheidung zwischen transmuralen (die gesamte Dicke der Wandschicht des Herzens betreffend) und nicht-transmuralen Myokardinfarkten ist auch in den deutschsprachigen Ländern gebräuchlich und wird anhand von Veränderungen des QRS-Komplexes im EKG getroffen, die in der Regel erst nach zwölf Stunden, oft auch erst nach einem Tag, erkennbar sind.<br />
<br />
=== Pathophysiologie ===<br />
Die Mehrzahl der Herzinfarkte entsteht im Rahmen einer [[Koronare Herzkrankheit|koronaren Herzkrankheit]] (KHK). Wie alle akuten Koronarsyndrome beim Menschen werden sie fast immer durch eine plötzliche Minderdurchblutung in einem Herzkranzgefäß hervorgerufen, die auf eine [[Arteriosklerose|arteriosklerotische]] Gefäßveränderung mit zusätzlichen Blutgerinnseln („Koronarthrombose“) zurückzuführen ist und von einer krampfartigen Gefäßverengung (Koronarspasmus) begleitet sein kann.<ref name="ESC2003" /> Das sich daraus entwickelnde Krankheitsbild hängt von der Lokalisation, der Schwere und der Dauer der Durchblutungsstörung des Herzmuskels ab. Bei ST-Hebungsinfarkten zeigt sich im akuten Stadium bei über 90 % ein durch Blutgerinnsel ''([[Thrombus|Thromben]])'' verschlossenes [[Herzkranzgefäß]]. Bei NSTEMI sind nur in etwa 50 % der Fälle Thromben in den Kranzgefäßen nachweisbar.<br />
<br />
65–75 % der ST-Hebungsinfarkte entstehen durch die Ruptur eines [[Vulnerable Plaque|„vulnerablen“ Plaques]], also den Einriss der dünnen [[Bindegewebe|fibrösen]] Kappe einer entzündlich veränderten [[Lipide|lipid]]<nowiki />reichen Gefäßwandveränderung. Etwa 75 % der Infarkte entstehen an nur leicht oder mittelgradig veränderten Abschnitten der Herzkranzgefäße.<br />
<br />
Deutlich seltener ist ein Herzinfarkt die Folge einer anderen Erkrankung. In Frage kommen Verschlüsse der Herzkranzgefäße durch andere Ursachen, wie langanhaltende „Verkrampfungen“ ''([[Spasmus|Spasmen]])'' bei [[Prinzmetal-Angina]] oder im Rahmen einer allergischen Reaktion ([[Kounis-Syndrom]]) und [[Embolie]]n bei einer [[Endokarditis]] oder einer [[Disseminierte intravasale Koagulopathie|disseminierten intravasalen Koagulopathie (DIC)]]. Auch Blutungen oder Tumoren am Herzen sowie Einrisse der Gefäßinnenwand ''(Intima)'' bei einer [[Aortendissektion]] können zum Verschluss eines Kranzgefäßes und damit zum Herzinfarkt führen.<br />
<br />
Wenn seine Blutzufuhr komplett unterbrochen ist, beginnt der Herzmuskel nach 15–30&nbsp;Minuten abzusterben. Dieser Vorgang der Infarzierung beginnt innen, in der den Herzkammern zugewandten Schicht, und setzt sich zeitabhängig nach außen, zum Herzbeutel hin, fort.<br />
<br />
=== Infarktlokalisation ===<br />
[[Datei:Coronary arteries.svg|mini|350px|Die Herzkranzgefäße sind mit roter Schrift gekennzeichnet.]]<br />
Herzinfarkte ereignen sich in unterschiedlichen Bereichen des Herzmuskels, abhängig davon, welches Gefäß betroffen ist und welcher Abschnitt des Herzmuskels von dem jeweiligen Gefäß mit Blut versorgt wird. Da es eine große Variabilität der Herzarterien gibt, kann man keine strengen Regeln für die Infarktlokalisation aufstellen.<ref>Gerd Herold und Mitarbeiter: ''Innere Medizin. Eine vorlesungsorientierte Darstellung.'' 2011, S.&nbsp;247.</ref> Häufig führen Verschlüsse der rechten Koronararterie (RCA – Right Coronary Artery) zu sogenannten Hinterwandinfarkten und krankhafte Veränderungen der linken Herzarterie (LCA – Left Coronary Artery) zu Vorderwandinfarkten. Der übliche Ausdruck Hinterwandinfarkt ist dabei insofern irreführend, als es sich zumeist um einen inferioren Infarkt handelt, also in einem dem Zwerchfell (Diaphragma) zugewandten unteren Areal (zum streng posterioren Infarkt siehe unten). Je näher der Verschluss zum Abgang der jeweiligen Arterie von der Aorta liegt (man sagt proximal), desto größer ist das Infarktareal; je weiter entfernt (man sagt distal), desto kleiner ist das minderversorgte Muskelgebiet.<br />
<br />
Im Einzelnen unterscheidet man so proximale Verschlüsse der RCA, die zu einem rechtsventrikulären Infarkt oder einem inferioren (zur Herzspitze gelegenen) Hinterwandinfarkt führen, und Prozesse in einem Ast der RCA, dem Ramus posterolateralis dexter, die zu einem Hinterseitenwandinfarkt führen. Die Einteilung ist komplizierter, wenn die linke Herzarterie (LCA) betroffen ist, da diese mehr Äste besitzt. Der sogenannte Hauptstamm der LCA ist sehr kurz und teilt sich gleich in den Ramus circumflexus (RCX) und den Ramus interventricularis anterior (RIVA). Der RIVA wird im englischsprachigen Raum als LAD (Left Anterior Descending) bezeichnet; doch auch im deutschsprachigen Raum (zum Beispiel in der Herzchirurgie) wird anstelle von RIVA oft der Begriff ''LAD'' verwendet. Verschlüsse der RCX führen oft zu einem posterioren (zum Rücken) gelegenen Hinterwandinfarkt. Der posteriore Hinterwandinfarkt heißt in der Nomenklatur der Pathologen Seitenwand- oder Kanteninfarkt.<ref>Werner Böcker (Hrsg.): ''Pathologie.'' 4. Auflage. Urban und Fischer, 2008, S.&nbsp;479.</ref> Proximale Verschlüsse der RIVA führen zu einem großen Vorderwandinfarkt, distale RIVA-Verschlüsse führen zu einem anteroseptalen Infarkt; dabei ist die Herzscheidewand betroffen. Ein Verschluss des Diagonalastes der RIVA führt zu einem Lateralinfarkt. Die verschiedenen Infarkttypen verursachen charakteristische EKG-Veränderungen. Sieht man zum Beispiel direkte Infarktzeichen (ST-Hebungen) in allen Brustwandableitungen (V1-V6), handelt es sich (bezogen auf das Gefäßversorgungsgebiet) um einen großen Vorderwandinfarkt. Dann findet sich meistens ein proximaler Verschluss der RIVA. Die entsprechende Zuordnung aufgrund des EKGs ist aber vorläufig und kann nur durch eine Coronarangiographie bewiesen werden. Da die Muskelmasse und damit auch das Versorgungsgebiet des rechten Ventrikels kleiner als des linken ist und zu dessen Durchblutung folglich auch eine längere Gefäßstrecke notwendig ist, die erkranken kann, ist bei den Herzinfarkten auch statistisch überwiegend die linke Koronararterie betroffen.<br />
<br />
=== Risikofaktoren ===<br />
[[Datei:Ursachen Herzinfarkt etc.png|mini|200px|Ursachen des Herzinfarktes]]<br />
<br />
Da Herzinfarkte die Folge einer [[Atherosklerose]] der Herzkranzgefäße ([[Koronare Herzkrankheit]]) sind, sind die Hauptrisikofaktoren solche, die zur Atherosklerose führen:<br />
* [[Tabakrauchen|Tabakkonsum]],<br />
* [[Diabetes mellitus]] (Zuckerkrankheit),<br />
* [[Bluthochdruck]]<br />
* [[Hypercholesterinämie]]<br />
* familiäre Belastung (früh auftretende Herzkreislauferkrankungen wie Infarkt oder [[Schlaganfall]] bei nahen [[Blutsverwandtschaft|Blutsverwandten]])<br />
* ererbte oder erworbene [[Hyperlipoproteinämie|Störung des Fettstoffwechsels]]. Hierbei sind vor allem ein erhöhtes [[Low Density Lipoprotein|LDL]], erhöhtes [[Intermediate Density Lipoprotein|IDL]], niedriges [[High Density Lipoprotein|HDL]] und erhöhte [[Triglyceride]] problematisch.<br />
<br />
Einige der o. g. Risikofaktoren verstärken sich bei [[Übergewicht]], [[Fehlernährung]] und [[Bewegungsmangel]]. Für die Berechnung des individuellen Risikos gibt es Software wie den [[Arriba-Rechner]]. Trotz tendenzieller Gewichtszunahme bei Rauchstopp verringert dieser das Risiko, an einer Herz-Kreislauf-Erkrankung zu erkranken.<ref name="PMID23483176">C. Clair, N. A. Rigotti u.&nbsp;a.: ''Association of smoking cessation and weight change with cardiovascular disease among adults with and without diabetes.'' In: ''JAMA.'' Band 309, Nummer 10, März 2013, S.&nbsp;1014–1021, [[doi:10.1001/jama.2013.1644]]. PMID 23483176. {{PMC|3791107}}.</ref><br />
<br />
==== Stress und Wut ====<br />
<br />
Auslösende Faktoren für einen Infarkt können plötzliche Belastungen und Stresssituationen mit starken Blutdruckschwankungen sein; 40 % aller Infarkte ereignen sich in den frühen Morgenstunden (zwischen 6 und 10 Uhr). Infarkte treten montags häufiger als an anderen Wochentagen auf, auch bei Rentnern nach dem 60. Lebensjahr.<br />
<br />
In Japan bezeichnet [[Karōshi]] den „Tod durch Überarbeiten“, der meist als Herzinfarkt oder Schlaganfall auftritt.<br />
<br />
Der Anteil psychosozialer Faktoren wie Depression, Angst, Persönlichkeit, Charakter, sozialer Isolation und chronischem Stress bei der Entstehung einer KHK wird seit Jahrzehnten ohne klares Ergebnis untersucht.<ref>Zu den Studien, in denen emotionale [[Prognose|Prädiktoren]] nachgewiesen werden konnten, zählt z.&nbsp;B. die folgende: Stephen Manuck, Frederick N. Garland: ''Coronary-Prone Behavior Pattern, Task Incentive, and Cardiovascular Response'', Psychophysiology, Band 16, Heft 2, März 1979, S.&nbsp;136–142, [[doi:10.1111/j.1469-8986.1979.tb01458.x]].</ref> Gesundheitsschädliches Verhalten, Stress, Rauchen, zu reichliche Ernährung etc. haben unzweifelhaft Einfluss. Diskutiert wird weiter, inwieweit beispielsweise eine Aktivierung von Blutplättchen oder des neuroendokrinen Systems mit Ausschüttung von Stresshormonen mit den Folgen einer Verengung der Blutgefäße, Verschlechterung der Fließeigenschaften des Blutes sowie Anstieg von Herzfrequenz und Blutdruck zusätzliche auslösende Qualitäten aufweist.<ref>{{cite journal|author=A. Rozanski, J. A. Blumenthal, J. Kaplan|title=Impact of Psychological Factors on the Pathogenesis of Cardiovascular Disease and Implications for Therapy|journal=[[circulation]]|volume=|issue=|pages=2192–2217|year=1999|pmid=10217662|doi=}}</ref> Eine Studie aus dem Jahr 2006 zur Zeit der [[Fußball-Weltmeisterschaft 2006|Fußball-Weltmeisterschaft]] hat gezeigt, dass die mit [[Fußball]] verbundenen Emotionen das Risiko für einen Infarkt erheblich steigern und dass dies besonders für Menschen zutrifft, die eine bekannte koronare Herzkrankheit haben.<ref>{{cite journal|author=U. Wilbert-Lampen, D. Leistner, S. Greven, T. Pohl, S. Sper, C. Völker, D. Güthlin, A. Plasse, A. Knez, H. Küchenhoff, G. Steinbeck |title=Cardiovascular Events during World Cup Soccer |journal=[[The New England Journal of Medicine]] |volume=358 |issue=5 |pages=475–483 |year=2008 |pmid= |doi= 10.1056/NEJMoa0707427 }}</ref> Diese Erkenntnis wird jedoch in der wissenschaftlichen Literatur kontrovers diskutiert: So konnte eine zweite Studie im gleichen Zeitintervall in der gleichen Region (Bayern) keinen Einfluss der Fußballweltmeisterschaft 2006 auf das Risiko eines Myokardinfarkts nachweisen.<ref name="PMID24182671">D. Niederseer, C. W. Thaler u.&nbsp;a.: ''Watching soccer is not associated with an increase in cardiac events.'' In: ''International journal of cardiology.'' Band 170, Nummer 2, Dezember 2013, S.&nbsp;189–194, [[doi:10.1016/j.ijcard.2013.10.066]]. PMID 24182671.</ref><br />
<br />
Auch andere emotionale Faktoren leisten der Krankheit Vorschub. So konnte nachgewiesen werden, dass gewohnheitsmäßige, schlecht gehandhabte [[Wut]] ein machtvoller Prädiktor für Herzinfarkte ist. Infarktpatienten, die sich einem [[Anti-Aggressivitäts-Training]] unterzogen, erlitten unter Studienbedingungen weniger häufig einen zweiten Infarkt als Personen der Vergleichsgruppe.<ref name="PMID1632389">G. Ironson, C. B. Taylor u.&nbsp;a.: ''Effects of anger on left ventricular ejection fraction in coronary artery disease.'' In: ''The American journal of cardiology.'' Band 70, Nummer 3, August 1992, S.&nbsp;281–285, PMID 1632389.</ref><ref>Redford Williams: ''The Trusting Heart'', New York: Times Books/Random House, 1989.</ref><ref>Lyndra H. Powell: ''Emotional Arousal as a Predictor of Long-Term Mortality and Morbidity in Post M. I. Men'', Circulation, Band 82, Heft 4, Supplement III, Oktober 1990</ref><ref name="PMID7671353">M. A. Mittleman, M. Maclure u.&nbsp;a.: ''Triggering of acute myocardial infarction onset by episodes of anger. Determinants of Myocardial Infarction Onset Study Investigators.'' In: ''Circulation.'' Band 92, Nummer 7, Oktober 1995, S.&nbsp;1720–1725, PMID 7671353.</ref><br />
<br />
==== Alkohol ====<br />
<br />
Bei übermäßigem [[Alkoholkonsum]] ist das Risiko für einen Herzinfarkt und verschiedene andere schwere Erkrankungen erhöht. Hinsichtlich der Sterblichkeit gibt es Hinweise auf eine [[Korrelation]] zwischen einem regelmäßigen Konsum von ''geringen'' und mehr noch „mäßigen“ Mengen [[Ethanol|Alkohol]] und einem niedrigeren Risiko, an Herzkreislauferkrankungen zu sterben.<ref>{{cite journal|author=K. J. Mukamal, C. M. Chen, S. R. Rao und R. A. Breslow|title=Alcohol consumption and cardiovascular mortality among US adults, 1987 to 2002|journal=Am Coll Cardiol|issue=55|pages=1328–1335|year=2010|doi=10.1016/j.jacc.2009.10.056}}</ref> Insgesamt betrachtet stellen dennoch selbst geringe Mengen Alkohol eine Schädigung für den Körper dar.<ref>{{Literatur |Autor=Iona Y. Millwood, Robin G. Walters, Xue W. Mei, Yu Guo, Ling Yang |Titel=Conventional and genetic evidence on alcohol and vascular disease aetiology: a prospective study of 500 000 men and women in China |Sammelwerk=The Lancet |Band=393 |Nummer=10183 |Datum=2019-05-04 |ISSN=0140-6736 |Sprache=en |DOI=10.1016/S0140-6736(18)31772-0 |PMID=30955975}}</ref><br />
<br />
==== Infektion ====<br />
Eine akute Infektionskrankheit erhöht das Risiko eines Herzinfarktes. Bereits in den 1920er Jahren wurde erkannt, dass während einer Influenza-Epidemie die Herzinfarktrate anstieg.<ref>{{Literatur |Autor=S D Collins |Titel=Excess mortality from causes other than influenza and pneumonia during influenza epidemics. |Sammelwerk=Public Health Rep (1896–1970) |Band=47 |Datum=1932 |Seiten=2159-2179 |Sprache=en}}</ref> Die gleiche Beobachtung wurde bei Lungenentzündung, akuter Bronchitis und anderen Atemwegsinfektionen gemacht. Eine neuere Studie ergab nach einer Influenza-Infektion ein sechsfach erhöhtes Infarktrisiko, nach [[Respiratory-Syncytial-Virus|RSV-Infektion]] ein vierfach und nach anderen virusbedingten Atemwegserkrankungen ein dreifach erhöhtes Infarktrisiko.<ref>{{Literatur |Autor=Jeffrey C. Kwong, Kevin L. Schwartz, Michael A. Campitelli, Hannah Chung, Natasha S. Crowcroft |Titel=Acute Myocardial Infarction after Laboratory-Confirmed Influenza Infection |Sammelwerk=The New England Journal of Medicine |Band=378 |Nummer=4 |Datum=2018-01-25 |ISSN=1533-4406 |Seiten=345–353 |Sprache=en |DOI=10.1056/NEJMoa1702090 |PMID=29365305}}</ref> Auch für bakterielle Infektionen mit Pneumokokken und Haemophilus influenzae wurde eine Steigerung der Infarktrate nachgewiesen.<ref>{{Literatur |Autor=Julio Ramirez, Stefano Aliberti, Mehdi Mirsaeidi, Paula Peyrani, Giovanni Filardo |Titel=Acute myocardial infarction in hospitalized patients with community-acquired pneumonia |Sammelwerk=Clinical Infectious Diseases: An Official Publication of the Infectious Diseases Society of America |Band=47 |Nummer=2 |Datum=2008-07-15 |ISSN=1537-6591 |Seiten=182–187 |Sprache=en |DOI=10.1086/589246 |PMID=18533841}}</ref> Harnwegsinfektionen und Bakteriaemien erhöhen ebenfalls das Infarktrisiko.<ref>{{Literatur |Autor=Liam Smeeth, Sara L Thomas, Andrew J Hall, Richard Hubbard, Paddy Farrington |Titel=Risk of myocardial infarction and stroke after acute infection or vaccination |Sammelwerk=The New England Journal of Medicine |Band=351 |Nummer=25 |Datum=2004-12-16 |ISSN=1533-4406 |Seiten=2611–2618 |Sprache=en |DOI=10.1056/NEJMoa041747 |PMID=15602021}}</ref> Als Erklärung wird angenommen, dass [[Atherosklerose|atheroskleroischer Plaques]] zahlreiche [[Entzündung]]szellen enthalten. Bei einer Infektion werden verschiedene [[Zytokine]] wie zum Beispiel [[IL1]], [[Interleukin-6|IL6]], [[IL8]] und [[TNF-alpha]] ausgeschüttet. Diese stimulieren die Entzündungszellen im atheroskleroischen Plaque und begünstigen eine Destabilisierung mit folgender Thrombose und Verschluss.<ref>{{Literatur |Autor=Daniel M Musher, Michael S Abers, Vicente F Corrales-Medina |Titel=Acute Infection and Myocardial Infarction |Sammelwerk=New England Journal of Medicine |Band=380 |Nummer=2 |Datum=2019-01-10 |ISSN=0028-4793 |Seiten=171–176 |Sprache=en |DOI=10.1056/NEJMra1808137}}</ref><br />
<br />
==== Weitere Risikofaktoren ====<br />
<br />
Ein erhöhter Blutspiegel von [[Homocystein]] ''(Hyperhomocysteinämie)'' ist ebenfalls ein unabhängiger Risikofaktor, die verfügbaren Therapieansätze zur Senkung des Homocysteinspiegels führen allerdings nicht zu einer Senkung des kardiovaskulären Risikos.<br />
<br />
Auch ein niedriger Blutspiegel des [[Cholecalciferol|Vitamin D3]] (25-Hydroxy-Cholecalciferol) korreliert möglicherweise mit einem erhöhten Infarktrisiko. Eine prospektive Fall-Kontroll-Studie zeigte, dass Männer mit niedrigeren Vitamin-D3-Spiegeln ein doppelt so hohes Infarktrisiko hatten wie jene mit höheren. Männer mit mittleren Spiegeln an Vitamin D3 (15,0–22,5&nbsp;ng/ml) waren im Vergleich zu jenen mit höheren offenbar noch vermehrt infarktgefährdet.<ref>Leicht abgewandelt zitiert nach E. Giovannuchi et al.: ''25-hydroxyvitamin D and risk of myocardial infarction in men: a prospective study''. [[Arch Intern Med]] (2008) 168, 11: S.&nbsp;1174–1180, PMID 18541825.</ref> Ob dies in einer mangelhaften Zufuhr des Vitamin D oder einem verminderten Umbau des [[7-Dehydrocholesterol]] bzw. 25-Hydroxy-Cholecalciferol in der Leber und Haut begründet ist, der auf einer auch für den Herzinfarkt ursächlichen Disposition beruhen könnte, wurde nicht untersucht.<br />
<br />
Schlechte [[Compliance (Medizin)|Compliance]] ist ein Risikofaktor für ein Fortschreiten der Erkrankung. Eine Analyse der Einnahme fettsenkender Medikamente ([[Statin]]e), [[Betablocker]] und [[Calciumantagonist]]en nach Herzinfarkt zeigte, dass eine schlechte Compliance eine Erhöhung der [[Mortalität]] innerhalb von 2,4 Jahren für Statine um 25 % und für Betablocker um 13 % hatte. Bei den Kalziumantagonisten ergab sich keine Beziehung zwischen Mortalität und Zusammenarbeit.<ref>Zitiert nach ''Schlechte Compliance ist tödlich.'' MMW-Fortschr. Med. Nr. 5/2007 (149. Jg.), S.&nbsp;22 und zitiert nach J. N. Rasmussen et al.: JAMA, 297 (2007) S.&nbsp;177–186.</ref><br />
<br />
Träger der [[Blutgruppe]] AB sind am stärksten herzinfarktgefährdet, diejenigen der Gruppe 0 dagegen am wenigsten.<ref name="welt-108632484">{{Internetquelle |url=https://www.welt.de/gesundheit/article108632484/Blutgruppe-hat-Einfluss-auf-Herzinfarkt-Risiko.html |titel=Blutgruppe hat Einfluss auf Herzinfarkt-Risiko |werk=[[Die Welt#Online-Ausgabe|welt.de]] |datum=2012-08-15 |abruf=2014-12-26}}</ref><ref>{{Cite journal|author = Meian He u.&nbsp;a. | title = ABO Blood Group and Risk of Coronary Heart Disease in Two Prospective Cohort Studies | url = http://atvb.ahajournals.org/content/early/2012/08/14/ATVBAHA.112.248757 | journal = [[Arteriosclerosis, Thrombosis, and Vascular Biology]] | date = 2012-08-14 | accessdate = 2013-06-08 | doi = 10.1161/ATVBAHA.112.248757 | pmid = 22895671}}</ref><br />
<br />
Ein weiterer Risikofaktor ist das Vorhandensein einer [[Migräne]] mit [[Aura (Migräne)|Aura]]. Dieser Risikofaktor ist laut einer Studie nach der [[Arterielle Hypertonie|arteriellen Hypertonie]] der zweitwichtigste Risikofaktor für Herzinfarkt und [[Schlaganfall]].<ref name="aerzteblatt-53048">{{Internetquelle |autor=rme |url=http://www.aerzteblatt.de/nachrichten/53048/Migraene-mit-Aura-als-Herzinfarkt-und-Thromboserisiko |titel=Migräne mit Aura als Herzinfarkt- und Thromboserisiko |werk=[[Deutsches Ärzteblatt|aerzteblatt.de]] |datum=2013-01-16 |abruf=2014-12-26}}</ref><br />
<br />
Auch eine Allergieneigung kann das Risiko für ein kardiales Ereignis erhöhen ([[Kounis-Syndrom]]).<br />
<br />
Epidemiologische Studien zur Wirtschaftskrise in Griechenland und zum Tropensturm Katrina in New Orleans zeigen auch, dass es nach Krisen vermehrt zu Herzinfarkten kommt. Dies könnte entweder an fehlenden Medikamenten oder posttraumatischem Stress liegen, dem die Menschen ausgesetzt sind.<ref>[https://www.eurekalert.org/news-releases/697053 Heart attack rates rise with plunging GDP in Greece’s financial crisis]</ref><ref>[https://www.eurekalert.org/news-releases/710150 Higher heart attack rates continue 6 years after Katrina]</ref><ref>[https://www.eurekalert.org/news-releases/814628 Changes in heart attack timing continue years after hurricane]</ref><ref>[https://www.eurekalert.org/news-releases/745720 PTSD linked to insulin resistance and metabolic syndrome, early markers of heart disease]</ref><br />
<br />
Auch der Wohnort könnte eine gewisse Rolle spielen. So zeigt eine neue europäische [[Kohortenstudie]], dass eine Feinstaubbelastung bereits unterhalb der EU-Grenzwerte zu einem höheren Risiko für ein koronares Ereignis führt.<ref name="DOI10.1136/bmj.f7412">G. Cesaroni, F. Forastiere u.&nbsp;a.: ''Long term exposure to ambient air pollution and incidence of acute coronary events: prospective cohort study and meta-analysis in 11 European cohorts from the ESCAPE Project.'' In: ''BMJ.'' Band 348, 2014, S.&nbsp;f7412, PMID 24452269. {{PMC|3898420}}.</ref><br />
<br />
An sehr kalten Tagen steigt die Zahl der Herzinfarkte.<ref>{{Literatur |Autor=Marc J. Claeys, Sanjay Rajagopalan, Tim S. Nawrot, Robert D. Brook |Titel=Climate and environmental triggers of acute myocardial infarction |Sammelwerk=European Heart Journal |Datum=2016-04-22 |ISSN=0195-668X |Seiten=ehw151 |Sprache=en |DOI=10.1093/eurheartj/ehw151}}</ref> Starke Kälte belastet die Herzkranzgefäße, indem sich die Gefäße verengen und die Blutversorgung des Herzmuskels vermindern, der dadurch weniger Sauerstoff bekommt. Gleichzeitig werden auch die Widerstandsgefäße im übrigen Körper verengt – das hat einen Blutdruckanstieg zur Folge-, so dass das Herz gegen einen größeren Widerstand anpumpen muss. Darüber hinaus existieren erste Hinweise auf ähnliche Zusammenhänge zwischen der kälteren Jahreszeit und dem häufigeren Auftreten von Schlaganfällen, Lungenembolien und bestimmten Herzrhythmusstörungen.<ref>{{Internetquelle |url=https://www.herzstiftung.de/ihre-herzgesundheit/gesund-bleiben/klima-und-umwelt/herzprobleme-bei-kaelte |titel=Herzprobleme bei Kälte |abruf=2021-02-09}}</ref> Andererseits gibt es aber auch kanadische Studien, die einen Zusammenhang zwischen zu warmen Nächten und dem Herzinfarkt belegen, besonders bei Männern. Zwei Drittel der Opfer in den besonders heißen Sommerphasen im Juni und Juli waren Männer. Mit jedem Grad wärmer in der Nacht stieg das Risiko eines tödlichen Herzinfarkts für die Männer um vier Prozent.<ref>Tödliche warme Nächte, In: [[Frankfurter Allgemeine Zeitung]] vom 6. April 2022</ref><br />
<br />
==== Prävention ====<br />
Die Empfehlungen der ''American Heart Association (AHA)'' von 2021 beinhalten folgende evidenzbasierte Richtlinien zur Ernährung:<ref>{{Literatur |Autor=Alice H. Lichtenstein, Lawrence J. Appel, Maya Vadiveloo, Frank B. Hu, Penny M. Kris-Etherton |Titel=2021 Dietary Guidance to Improve Cardiovascular Health: A Scientific Statement From the American Heart Association |Sammelwerk=Circulation |Datum=2021-11-02 |ISSN=0009-7322 |Seiten=CIR.0000000000001031 |Sprache=en |DOI=10.1161/CIR.0000000000001031}}</ref><ref>{{Internetquelle |url=https://www.foodpolitics.com/2021/11/american-heart-association-issues-forward-thinking-dietary-guidelines/ |autor=Marion Nestle |titel=The American Heart Association’s new and groundbreaking dietary guidelines |hrsg=Food Politics |datum=2021-11-16 |abruf=2022-06-29 |sprache=en-US}}</ref><br />
* Energiezufuhr auf Verbrauch einstellen, um ein gesundes Körpergewicht zu erreichen und zu halten<br />
* Viel Obst und Gemüse essen und eine bunte Vielzahl wählen<br />
* Vollkornprodukte statt Weißmehlprodukten konsumieren<br />
* Gesunde Formen von Eiweiß konsumieren:<br />
# vorwiegend pflanzliches Eiweiß wählen (Hülsenfrüchte, Nüsse)<br />
# Fisch und Meeresfrüchte<br />
# fettarme Milchprodukte<br />
# wenn Fleisch oder Geflügel gewünscht sind, fettarmes und unbearbeitetes Fleisch wählen<br />
* flüssige Pflanzenöle bevorzugen gegenüber tropischen Ölen (Kokos, Palm, Palmkern), tierischen Fetten oder gehärteten Fetten<br />
* Minimal verarbeitete Lebensmittel statt [[NOVA (Lebensmittelklassifikation)#Hochverarbeitete Lebensmittel|hochverarbeitete Lebensmittel]] wählen<br />
* Mahlzeiten mit keinem oder wenig Salz zubereiten<br />
* Wer keinen Alkohol trinkt, sollte nicht damit anfangen, wer doch Alkohol trinkt, sollte den Konsum reduzieren<br />
* Sich immer an diese Richtlinien halten, unabhängig davon, wo Lebensmittel zubereitet oder konsumiert werden<br />
<br />
== Krankheitsbild ==<br />
=== Symptome ===<br />
[[Datei:AMI pain front.png|mini|Schmerzempfindung<br />rot: häufig und stark<br />rosa: selten oder ausstrahlend]]<br />
[[Datei:AMI pain back.png|mini|Legende s. o.]]<br />
<br />
Die meisten Patienten klagen über Brustschmerzen unterschiedlicher Stärke und Qualität. Typisch ist ein starkes Druckgefühl hinter dem Brustbein ''([[retrosternal]])'' oder Engegefühl im ganzen Brustkorb (als ob „jemand auf einem sitzen würde“). Auch stechende oder reißende Schmerzen werden beschrieben. Die Schmerzen können in die Arme (häufiger links), den Hals, die Schulter, den Oberbauch und den Rücken ausstrahlen. Oft wird von einem „[[Vernichtungsschmerz]]“ gesprochen, der mit [[Atemnot]], Übelkeit und Angstgefühl („Todesangst“) einhergeht.<br />
<br />
Im Gegensatz zum [[Angina pectoris|Angina-pectoris]]-Anfall bessern sich diese Beschwerden oft nicht durch Anwendung von [[Nitroglycerin]].<br />
<br />
Frauen sowie ältere Patienten zeigen im Vergleich zu Männern bzw. jüngeren Patienten häufiger atypische, diffusere Symptome;<ref name="ACSwomen">{{cite journal |author=J. G. Canto, R. J. Goldberg, M. M. Hand et al.|title=Symptom presentation of women with acute coronary syndromes: myth vs reality |journal=Arch. Intern. Med. |volume=167 |issue=22 |pages=2405–2413 |year=2007 |month=December |pmid=18071161 |doi=10.1001/archinte.167.22.2405}}</ref> häufig sind es Atemnot, Schwäche, Magenverstimmungen und körperliche Erschöpfungszustände.<ref name="Kosuge">{{cite journal|last=Kosuge | first=M. | coauthors= K. Kimura, T. Ishikawa et al.| title=Differences between men and women in terms of clinical features of ST-segment elevation acute myocardial infarction | journal=Circulation Journal | volume=70 | issue=3 | pages=222–226 | date=2006-03 | pmid=16501283 | doi=10.1253/circj.70.222 }}</ref> Erschöpfung, Schlafstörungen und Atemnot wurden als häufig auftretende Symptome genannt, welche bereits bis zu einem Monat vor dem eigentlichen Infarktereignis auftreten können. Schmerzen im Brustkorb können bei Frauen eine geringere Voraussagekraft haben als bei Männern.<ref name="McSweeney">{{cite journal |author=J. C. McSweeney, M. Cody, P. O’Sullivan, K. Elberson, D. K. Moser, B. J. Garvin| title=Women’s early warning symptoms of acute myocardial infarction | journal=Circulation | year=2003 | pages=2619–2623 | volume=108 | issue=21 | pmid=14597589 | doi = 10.1161/01.CIR.0000097116.29625.7C}}</ref><br />
<br />
Manche Herzinfarkte verursachen keine, nur geringe oder untypische Symptome und werden manchmal erst zu einem späteren Zeitpunkt diagnostiziert, z.&nbsp;B. anlässlich einer [[Elektrokardiogramm|EKG]]-Untersuchung. So wurde ein Teil der in den 30 Jahren der [[Framingham-Herz-Studie|Framingham-Studie]] diagnostizierten Infarkte nur auf Grund der routinemäßig angefertigten EKG festgestellt; fast die Hälfte von ihnen war ohne Symptome verlaufen („stille“ oder „stumme“ Infarkte). Der Anteil unbemerkter Infarkte war bei Frauen (35 %) höher als bei Männern (28 %).<ref name="PMID3779719">[[William B. Kannel|W. B. Kannel]]: ''Silent myocardial ischemia and infarction: insights from the Framingham Study.'' In: ''Cardiology clinics.'' Band 4, Nummer 4, November 1986, S.&nbsp;583–591, PMID 3779719.</ref><br />
<br />
Von den mehr als 430.000 Patienten, die bis 1998 in US-amerikanischen Krankenhäusern in das Register ''National Registry of Myocardial Infarction 2'' aufgenommen wurden, hatten 33 % bei Krankenhausaufnahme keine Brustschmerzen. Bei den Patienten ohne Brustschmerzen fanden sich mehr Frauen, mehr Ältere und mehr Diabetiker.<ref name="PMID10866870">J. G. Canto, M. G. Shlipak u.&nbsp;a.: ''Prevalence, clinical characteristics, and mortality among patients with myocardial infarction presenting without chest pain.'' In: ''JAMA.'' Band 283, Nummer 24, Juni 2000, S.&nbsp;3223–3229, PMID 10866870.</ref> Auch in der EKG-Untersuchung werden zahlreiche stumme Infarkte nicht erkannt, die sich aber im [[Einzelphotonen-Emissionscomputertomographie|SPECT]] nachweisen lassen,<ref name="PMID23597799">N. Arenja, C. Mueller u.&nbsp;a.: ''Prevalence, extent, and independent predictors of silent myocardial infarction.'' In: ''The American journal of medicine.'' Band 126, Nummer 6, Juni 2013, S.&nbsp;515–522, [[doi:10.1016/j.amjmed.2012.11.028]]. PMID 23597799.</ref> insbesondere bei Diabetikern.<br />
<br />
Menschen mit [[Diabetes mellitus]] haben häufig ein vermindertes Schmerzempfinden. Sie nehmen aufgrund von Nervenschädigungen erste Symptome wie Brustschmerz kaum wahr. Ein chronisch hoher Blutzucker begünstigt die Arteriosklerose als Ursache von Herzinfarkt und Schlaganfall, so dass bei Männern mit Diabetes das Herzinfarktrisiko um das Zwei- bis Vierfache und bei Frauen um das Sechsfache erhöht ist.<ref>[https://www.herzstiftung.de/service-und-aktuelles/presse/pressemitteilungen/archiv/ploetzlicher-herztod-diabetes-erhoeht-risiko ''Plötzlicher Herztod – Diabetes erhöht Risiko.''] Herzstiftung.de, 11. November 2019; abgerufen am 28. März 2022.</ref><br />
<br />
=== Klinische Zeichen ===<br />
Die Befunde der [[Körperliche Untersuchung|körperlichen Untersuchung]] sind variabel; sie reichen vom Normalbefund eines unbeeinträchtigten Patienten bis hin zum bewusstlosen Patienten mit einem Herz-Kreislauf-Stillstand. Eindeutige [[Symptom|klinische Zeichen]] des Herzinfarktes gibt es zwar nicht, typisch aber ist der Gesamteindruck eines schmerzgeplagten Patienten mit Blässe, ängstlich wirkendem Gesichtsausdruck, Erbrechen und Schweißneigung.<br />
<br />
Andere Befunde weisen bereits auf eingetretene Komplikationen hin:<br />
* Pulsunregelmäßigkeiten auf die beim Infarkt häufigen [[Extrasystole]]n,<br />
* Pulsbeschleunigung, beim Abhören ''([[Auskultation]])'' neben den zwei normalen ein dritter Herzton und Rasselgeräusche über der Lunge sowie [[Halsvenenstauung]] auf eine Pumpschwäche des Herzens ([[Herzinsuffizienz]]),<br />
* [[Herzgeräusch]]e auf eine [[Mitralklappeninsuffizienz]], eine [[Perikarditis|Herzbeutelentzündung]] (Perikarditis) oder eine Ventrikelruptur (Herzkammerriss) und<br />
* Kollaps, Bewusstlosigkeit und Herz-Kreislaufstillstand auf schwerwiegende Rhythmusstörungen wie [[Kammerflimmern]], [[ventrikuläre Tachykardie]]n oder [[Asystolie]]n.<br />
<br />
=== Technische Befunde ===<br />
==== Elektrokardiogramm ====<br />
[[Datei:HWI akut.jpg|mini|EKG bei akutem Hinterwand-ST-Strecken-Hebungs-Infarkt (besser: inferiorer Infarkt). Die Pfeile weisen auf deutliche ST-Strecken-Hebungen (STEMI) in den Ableitungen II, III und aVF.]]<br />
<br />
Das wichtigste Untersuchungsverfahren bei Infarktverdacht ist das [[Elektrokardiogramm|EKG]]. Im Akutstadium treten gelegentlich Überhöhungen der T-Wellen (vgl. [[QT-Zeit|EKG-Nomenklatur]]) und häufig Veränderungen der ST-Strecke auf, wobei ST-Strecken-Hebungen auf den kompletten Verschluss eines Herzkranzgefäßes hinweisen. Im weiteren Verlauf kommt es nach etwa einem Tag oft zu einer „Negativierung“ (Ausschlag unterhalb der sogenannten Nulllinie) von T-Wellen. Veränderungen des QRS-Komplexes weisen in dieser Phase auf eine ''transmurale Infarzierung'' hin, einen Gewebsuntergang, der alle Wandschichten des Herzmuskels betrifft. Diese QRS-Veränderungen bleiben in der Regel lebenslang sichtbar und werden oft als „Infarktnarbe“ bezeichnet.<br />
<br />
Auch für die Erkennung und Beurteilung von [[Herzrhythmusstörung]]en als häufige Komplikationen eines Infarktes ist das EKG von entscheidender Bedeutung. Um [[Extrasystole]]n, [[Kammerflimmern]] und [[AV-Block]]ierungen in der Akutphase so rasch wie möglich erkennen und ggf. behandeln zu können, wird in der Akutphase eine kontinuierliche EKG-Überwachung (EKG-[[Monitor (Medizin)|Monitoring]]) durchgeführt.<br />
<br />
Im Anschluss an die Akutphase dient ein [[Belastungs-EKG]] der Beurteilung der Belastbarkeit und Erkennung fortbestehender Durchblutungsstörungen des Herzmuskels, ein [[Langzeit-EKG]] der Aufdeckung anderweitig unbemerkter Herzrhythmusstörungen.<br />
<br />
==== Laboruntersuchungen ====<br />
[[Datei:AMI bloodtests.png|mini|Typischer Verlauf der Blutkonzentration von kardialem Troponin und CK-MB nach einem ST-Hebungsinfarkt<ref name="Antman" />]]<br />
<br />
Als sogenannte [[Biomarker (Medizin)|Biomarker]] werden [[Enzym]]e und andere [[Protein|Eiweiße]] bezeichnet, die von absterbenden Herzmuskelzellen freigesetzt werden. Sie sind im Blut nach einem Herzinfarkt in erhöhter Konzentration messbar.<br />
<br />
Die klassischen und bis Anfang der 1990er Jahre einzigen Biomarker sind die [[Creatin-Kinase]] (CK), deren [[Isoenzym]] CK-MB, die [[Aspartat-Aminotransferase]] (AST, meist noch als GOT abgekürzt) und die [[Lactatdehydrogenase]] (LDH). Hinzugekommen sind seither das [[Myoglobin]] und das [[Kardiales Troponin|Troponin]] (Troponin T und Troponin I, oft abgekürzt als „Trop“). Der neueste Biomarker ist die [[Glycogenphosphorylase]] BB (GPBB). Dieser Biomarker ist herzspezifisch und ein Frühmarker,<ref name="pps1351-1358">D. Peetz, F. Post u.&nbsp;a.: ''Glycogen phosphorylase BB in acute coronary syndromes.'' In: ''Clinical chemistry and laboratory medicine: CCLM / FESCC.'' Band 43, Nummer 12, 2005, S.&nbsp;1351–1358, [[doi:10.1515/CCLM.2005.231]]. PMID 16309372.</ref> findet derzeit (2013) klinisch aber keine Anwendung.<br />
<br />
Die Messung der Blutkonzentrationen dieser Biomarker wird meist in regelmäßigen Abständen wiederholt, da Anstieg, höchster Wert und Abfall der Konzentration Rückschlüsse auf den Zeitpunkt des Infarktbeginns, die Größe des Herzinfarktes und den Erfolg der Therapie erlauben.<br />
<br />
==== Bildgebende Verfahren ====<br />
Die Ultraschalluntersuchung des Herzens ([[Echokardiografie]]) zeigt beim Herzinfarkt eine Wandbewegungsstörung im betroffenen Herzmuskelbereich. Da das Ausmaß dieser Wandbewegungsstörung für die [[Prognose]] des Patienten sehr wichtig ist, wird die Untersuchung bei fast allen Infarktpatienten durchgeführt. In der Akutphase liefert die Echokardiografie bei diagnostischen Unsicherheiten und Komplikationen wichtige Zusatzinformationen, weil sie hilft, die Pumpfunktion und evtl. Einrisse (Ruptur) des Herzmuskels, Schlussunfähigkeiten der Mitralklappe ([[Mitralklappeninsuffizienz]]) und Flüssigkeitsansammlungen im Herzbeutel ([[Perikarderguss]]) zuverlässig zu beurteilen.<br />
<br />
Die Gefäßdarstellung ([[Angiografie]]) der Herzkranzgefäße im Rahmen einer [[Herzkatheteruntersuchung]] erlaubt den direkten Nachweis von Verschlüssen und Verengungen. Sie wird entweder so früh wie möglich als Notfall-Untersuchung zur Vorbereitung einer [[Perkutane transluminale coronare Angioplastie|PTCA]] (vgl. [[#Reperfusionstherapie|Reperfusionstherapie]]) oder im weiteren Verlauf bei Hinweisen auf fortbestehende Durchblutungsstörungen des Herzmuskels durchgeführt.<br />
Nachteilig kann die hohe Strahlenbelastung von bis zu 14,52 mSv sein. Das ist so viel wie bei 725 Röntgen-Thorax-Bildern.<ref>Prashant Kaul von der Abteilung für Kardiovaskuläre Medizin des Duke University Medical Centers in Durham und Kollegen: ''Bericht auf der AHA-Tagung 2009.''</ref> Jedes Jahr werden weltweit mehrere Milliarden Bilder mittels der Strahlentechnik angefertigt – ungefähr ein Drittel dieser Aufnahmen bei Patienten mit akutem Myokardinfarkt. Zwischen den Jahren 1980 und 2006 ist die jährliche Dosis um schätzungsweise 700 % angestiegen.<ref>Zitiert nach Medical Tribune, 27. November 2009, S.&nbsp;3.</ref><br />
<br />
== Diagnostik ==<br />
=== Gängige und neuere Diagnoseverfahren ===<br />
Die Diagnose Herzinfarkt wird gestellt, wenn einer der sogenannten „Biomarker“ (vorzugshalber [[kardiales Troponin]], ersatzweise [[Creatin-Kinase|CK-MB]]) im Blut erhöht und mindestens eines der folgenden Kriterien erfüllt ist:<br />
* typische EKG-Veränderungen oder<br />
* typische Brustschmerzen oder<br />
* unlängst durchgeführte Intervention an einem Herzkranzgefäß (beispielsweise eine [[Angioplastie#Koronarangioplastie|PTCA]]).<br />
<br />
Die Blutkonzentration der Biomarker [[Kardiales Troponin|Troponin]] und [[Creatin-Kinase|CK-MB]] steigt allerdings erst nach drei bis sechs Stunden an, so dass eine verlässliche Diagnose bisher erst nach vier bis sechs Stunden möglich war.<br />
<br />
Neuesten Studien zufolge kann nun eine schnellere und spezifischere Diagnose mittels des neu entdeckten Herzmarkers [[Glycogenphosphorylase]] BB (GPBB) zeitnah erfolgen. Bereits ab der ersten Stunde kann durch GPBB ein Herzinfarkt diagnostiziert werden, so dass die Gefahr der irreversiblen Schädigung des Herzgewebes eingedämmt werden kann.<ref name="pps1351-1358" /><br />
<br />
In dieser Akutphase ist das wichtigste Untersuchungsverfahren ein so schnell wie möglich angefertigtes [[Elektrokardiogramm|EKG]]. Beim Nachweis von ST-Strecken-Hebungen (Vorderwandinfarkt) wird mit einer diagnostischen Sicherheit von über 95 % von einem Infarkt ausgegangen und die entsprechende Behandlung möglichst unverzüglich eingeleitet.<ref>H. R. Arntz et al.: ''Leitlinien zur Diagnostik und Therapie des akuten Herzinfarktes in der Prähospitalphase.'' [[Zeitschrift für Kardiologie]] (2000) 89: S.&nbsp;364–372, [[doi:10.1007/s100490070009]].</ref><br />
<br />
Zeigt das EKG hingegen ST-Strecken-Senkungen oder keine Veränderungen, so kann ein Infarkt (Hinterwandinfarkt) anhand der Biomarker erst sechs Stunden nach Beginn der Symptome mit Sicherheit ausgeschlossen oder bestätigt werden. Bei diagnostischer Unsicherheit in dieser Phase kann der Nachweis einer Wandbewegungsstörung in der Echokardiografie helfen, die Wahrscheinlichkeit und das Ausmaß eines Infarktes besser einzuschätzen.<br />
<br />
=== Differentialdiagnose ===<br />
Wegen der möglicherweise weitreichenden Konsequenzen wurde die Verdachtsdiagnose Herzinfarkt früher oft gestellt, in der Akutsituation mussten dann die [[Differentialdiagnose]]n [[Pneumothorax]], [[Lungenembolie]], [[Aortendissektion]], [[Lungenödem]] anderer Ursache, [[Herpes Zoster]], [[Stress-Kardiomyopathie]], [[Roemheld-Syndrom]], [[Herzneurose]] oder auch [[Kolik|Gallenkolik]] berücksichtigt werden. Nur bei etwa 32 % der Patienten mit Infarktverdacht fand sich tatsächlich ein Herzinfarkt. Heute wird der Begriff ''Infarkt'' bis zu seinem definitiven Nachweis meist vermieden und stattdessen vom [[Akutes Koronarsyndrom|akuten Koronarsyndrom]] gesprochen, um der häufigen diagnostischen Unsicherheit in den ersten Stunden Ausdruck zu verleihen.<br />
<br />
Auch die Infarktdiagnostik ist mit möglichen Fehlern behaftet: Bei einigen Patienten (in einer Untersuchung 0,8 %), vor allem bei älteren Patienten und solchen mit [[Diabetes mellitus]], wird auch im Krankenhaus der Infarkt nicht richtig erkannt.<br />
<br />
Eine außergewöhnliche Verwechslung der Symptome wurden bei einem (eher seltenen) Fall des Verzehrs von [[Pontischer Honig|Honig von der türkischen Schwarzmeerküste]] beobachtet<ref>''Typischer Brustschmerz, aber: Herzinfarkt war Honig-Vergiftung!'' {{Webarchiv |url=http://cme.springer.de/pages/journalArticle/171616/230421/230602.pdf |text=cme.springer.de |wayback=20141226203410}} (PDF; 1,4&nbsp;MB)</ref> (siehe dazu [[Honig#Giftstoffe in Honig und giftige Honigsorten]]).<br />
<br />
== Therapie ==<br />
=== Erste Hilfe ===<br />
Die ersten Minuten und Stunden eines Herzinfarktes sind für den Patienten von entscheidender Bedeutung.<br />
<br />
Innerhalb der ersten Stunde (der sogenannten ''goldenen Stunde'' oder ''golden hour'') bestehen gute Aussichten, den Gefäßverschluss durch eine [[Thrombolyse|Lysetherapie]] oder [[Perkutane transluminale coronare Angioplastie|Herzkatheterbehandlung]] fast vollständig rückgängig zu machen. Daher steht die unverzügliche Alarmierung des [[Rettungsdienst]]es an erster Stelle der für Laien sinnvollen Maßnahmen. Die [[Deutsche Herzstiftung]] empfiehlt für diese Situation:<ref>Deutsche Herzstiftung: ''Herzinfarkt – jede Minute zählt!''. [http://www.herzstiftung.de/herzinfarkt_fehler.php online], abgerufen am 24. Oktober 2006.</ref><br />
* Nicht warten.<br />
* Rettungsdienst über die Rufnummer 112 (in Europa) oder eine andere örtliche [[Notruf]]nummer alarmieren und Verdacht auf Herzinfarkt äußern.<br />
* Niemals selbst mit dem Auto in die Klinik fahren, wegen der Gefahr eines Zusammenbruchs während der Fahrt. Krankenwagen (oder Hubschrauber, wenn sie verfügbar sind) mit einem medizinischen Personal sind normalerweise die schnellste und sicherste Methode.<ref>{{Literatur |Autor=Peter T Pons, Vincent J Markovchick |Titel=Ambulance response time guideline |Sammelwerk=The Journal of Emergency Medicine |Band= |Nummer=1 |Datum=2002-07 |ISSN=0736-4679 |DOI=10.1016/s0736-4679(02)00460-2 |Seiten=43–48 |Online=https://jem-journal.com/article/S0736-4679(02)00460-2/abstract |Abruf=2024-03-20}}</ref><br />
<br />
Aspirin hat eine hemmende Wirkung auf die Blutgerinnung. Deshalb wird es manchmal verwendet um den Status eines Infarktopfers zu verbessern.<ref>{{Literatur |Autor=Grant W Reed, Jeffrey E Rossi, Christopher P Cannon |Titel=Acute myocardial infarction |Sammelwerk=The Lancet |Band=389 |Nummer=10065 |Datum=2017-01 |ISSN=1474-547X |DOI=10.1016/s0140-6736(16)30677-8 |Seiten=197–210 |Online=https://thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736(16)30677-8/abstract |Abruf=2024-03-20}}</ref> Es ist jedoch erforderlich, zuvor eine Blutung, beispielsweises durch ein [[Aneurysma]] (sehr selten in einem Infarkt des Herzens), als Ursache auszuschließen.<br />
<br />
Die Patienten sollten in einer bequemen Position beruhigt bleiben. Im Falle eines Herzinfarkts, die beste Position ist normalerweise nicht, sich zu legen, sondern sich mit gefalteten Knien zu setzen oder sich zu setzen (aber die Patienten würden bemerken, welche die beste Position für sie ist).<ref>{{Literatur |Autor=Teruhiko Imamura, Masakazu Hori, Takatoshi Koi, Takuya Fukui, Akira Oshima, Hayato Fujioka, Yohei Ueno, Hiroshi Onoda, Shuhei Tanaka, Nobuyuki Fukuda, Hiroshi Ueno, Koichiro Kinugawa |Titel=Relationship Between Body Posture and Lung Fluid Volume Assessed Using a Novel Noninvasive Remote Dielectric Sensing System |Sammelwerk=Circulation Reports |Band=4 |Nummer=1 |Datum=2022-01-07 |ISSN=2434-0790 |DOI=10.1253/circrep.CR-21-0130 |PMC=8710642 |PMID=35083385 |Online=https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/35083385/ |Abruf=2024-10-08}}</ref><br />
<br />
Die Gefahr des [[Herzstillstand]]es durch [[Kammerflimmern]] ist in der ersten Stunde am größten. Nur durch eine rasch einsetzende [[Herz-Lungen-Wiederbelebung]] durch Ersthelfer und Rettungsdienst kann in diesem Fall der Tod oder schwere Schäden durch Sauerstoffunterversorgung des [[Gehirn]]s verhindert werden. Durch eine [[Defibrillation]] durch medizinisches Fachpersonal oder mittels eines öffentlich zugänglichen [[Automatisierter Externer Defibrillator|automatisierten externen Defibrillators]], der durch Laien bedient werden kann, besteht die Möglichkeit, dass das Kammerflimmern gestoppt wird und sich wieder ein stabiler Eigenrhythmus einstellt.<ref>{{Webarchiv |url=http://www.erc.edu/download_gl.php?d=3 |text=Richtlinien des European Resuscitation Council zur Herz-Lungen-Wiederbelebung |wayback=20071217125850}} (PDF, englisch)</ref><br />
<br />
=== Medizinische Erstversorgung ===<br />
Im Rahmen der [[Erstversorgung]] konzentriert sich das [[Rettungsfachpersonal]] des [[Rettungsdienst]]es zunächst auf eine möglichst rasche Erkennung von Akutgefährdung und Komplikationen. Dazu gehört eine zügige [[Körperliche Untersuchung|klinische Untersuchung]] mit Blutdruckmessung und [[Auskultation]] (Abhören) von Herz und Lunge. Nur ein schnell angefertigtes [[Elektrokardiogramm|Zwölf-Kanal-EKG]] lässt den ST-Hebungsinfarkt erkennen und erlaubt die Einleitung der dann dringlichen Lysetherapie oder Katheterbehandlung. Um Herzrhythmusstörungen sofort erkennen zu können, wird eine kontinuierliche EKG-Überwachung (Rhythmusmonitoring) begonnen und zur Medikamentengabe eine [[Venenverweilkanüle|periphere Verweilkanüle]] angelegt.<br />
<br />
Die medikamentöse Therapie zielt in der Akutsituation auf eine möglichst optimale Sauerstoffversorgung des Herzens, die Schmerzbekämpfung und eine Vermeidung weiterer Blutgerinnselbildung. Verabreicht werden in der Regel [[Nitroglycerin]]-Spray oder -Kapseln [[sublingual]] und [[Morphin]]präparate, [[Acetylsalicylsäure]] und [[Clopidogrel]] sowie [[Heparin]] [[intravenös]]. [[Sauerstoff|Sauerstoff (O<sub>2</sub>)]] wird nach den aktuellen Leitlinien der ERC nur noch bei niedriger [[Sauerstoffsättigung]] des Bluts verabreicht.<ref name="ERC 2010">H.-R. Arntz et al.: ''Initiales Management von Patienten mit akutem Koronarsyndrom.'' Sektion 5 der Leitlinien zur Reanimation 2010 des European Resuscitation Council, [[doi:10.1007/s10049-006-0794-2]].</ref> Die generelle Gabe von Sauerstoff wird wegen seiner möglicherweise schädlichen Auswirkungen allerdings nicht mehr empfohlen.<ref>{{Internetquelle |url=http://www.rettungsdienst-updates.de/die-praklinische-gabe-von-sauerstoff-teil-1-das-akute-koronarsyndrom-acs/ |titel=Die präklinische Gabe von Sauerstoff Teil 1: Das Akute Koronarsyndrom (ACS) |datum=2012-01-18 |abruf=2012-02-16}}</ref><br />
<br />
In speziellen Situationen und bei Komplikationen können weitere Medikamente erforderlich sein, zur Beruhigung ([[Sedierung]]) beispielsweise [[Benzodiazepin]]e wie [[Diazepam]] oder [[Midazolam]], bei [[Nervus vagus|vagaler]] Reaktion [[Atropin]], bei Übelkeit oder Erbrechen [[Antiemetikum|Antiemetika]] (beispielsweise [[Metoclopramid]]), bei [[Tachykardie]] trotz Schmerzfreiheit und fehlenden Zeichen der Linksherzinsuffizienz [[Betablocker]] (beispielsweise [[Metoprolol]]) und bei kardiogenem Schock die Gabe von [[Katecholamin]]en.<br />
<br />
=== Reperfusionstherapie ===<br />
[[Datei:HWI PTCA.jpg|mini|300px|Angiografie der rechten Herzkranzarterie (RCA) bei akutem Hinterwandinfarkt, links: RCA verschlossen, rechts: RCA nach Ballondilatation offen]]<br />
Vordringliches Therapieziel beim ST-Hebungsinfarkt ist die möglichst rasche Eröffnung des betroffenen und in dieser Situation meist verschlossenen [[Herzkranzgefäße]]s. Diese Wiederherstellung der Durchblutung im Infarktgebiet wird Reperfusionstherapie genannt. Je früher diese erfolgt, umso besser kann eine Infarktausdehnung verhindert werden („time is muscle“). Gelingt es, die Reperfusionstherapie bereits in der ersten Stunde nach Infarkteintritt anzuwenden, so können viele dieser Infarkte sogar verhindert werden.<br />
<br />
Als Reperfusionstherapie sind zwei Behandlungsverfahren etabliert:<br />
* Primär-[[Perkutane transluminale coronare Angioplastie|Perkutane Koronarintervention]] (auch Direkt-PTCA oder Primär-PTCA): mechanische Öffnung ''(Rekanalisation)'' des Gefäßes mit anschließender [[Ballondilatation]] und [[Stent]]<nowiki />implantation mittels Herzkatheter. Zeigt sich ein mittels PTCA nicht angehbarer Befund, kann in Einzelfällen eine akute [[Koronararterien-Bypass|operative Myokardrevaskularisation]] indiziert sein.<br />
* Lysetherapie oder [[Thrombolyse]]: intravenöse Gabe eines gerinnselauflösenden Medikamentes. Dieses Thrombolytikum kann vom [[Notarzt]] bereits am Einsatzort verabreicht werden ''(prästationäre Lyse)'' und führt durch frühen Behandlungsbeginn zu besseren Ergebnissen als eine Therapieeinleitung im Krankenhaus.<br />
<br />
Bei gleichzeitiger Verfügbarkeit ist die Primär-PCI in einem erfahrenen Zentrum die bevorzugte Strategie. Da aber weniger als 20 % der deutschen Krankenhäuser über die Möglichkeit zur Primär-PCI verfügen, muss die Entscheidung zur optimalen Therapie im Einzelfall getroffen werden. Viele Notärzte sind mit Zwölf-Kanal-EKG-Geräten und Medikamenten für eine Lysetherapie ausgerüstet, so dass sie heute sofort nach Diagnosestellung in Abhängigkeit von der Infarktdauer, dem Patientenzustand, der Verfügbarkeit eines erfahrenen Herzkatheterteams und der Transportentfernung die bestmögliche Reperfusionstherapie auswählen können.<br />
<br />
Bei Nicht-ST-Hebungsinfarkten (NSTEMI) ist ein Nutzen der unverzüglichen Reperfusionstherapie nicht belegt, eine Lysetherapie ist [[Kontraindikation|kontraindiziert]]. Ob und zu welchem Zeitpunkt eine Herzkatheteruntersuchung erforderlich ist, ist trotz vieler Studien zu diesem Thema strittig. Die vorherrschende und auch in den Leitlinien der kardiologischen Fachgesellschaften verankerte Empfehlung sieht eine „frühe Intervention“ innerhalb von 48&nbsp;Stunden vor. Erneute Diskussionen sind durch eine weitere im Herbst 2005 veröffentlichte Studie entstanden, die bei 1200 Patienten mit NSTEMI kein höheres Risiko fand, wenn die Intervention nur bei Patienten mit anhaltenden Beschwerden erfolgte.<ref name="PMID16162880">R. J. de Winter, F. Windhausen u.&nbsp;a.: ''Early invasive versus selectively invasive management for acute coronary syndromes.'' In: ''[[The New England Journal of Medicine]].'' Band 353, Nummer 11, September 2005, S.&nbsp;1095–1104, [[doi:10.1056/NEJMoa044259]]. PMID 16162880.</ref><br />
<br />
=== Weitere Behandlung ===<br />
Im Krankenhaus werden Infarktpatienten wegen möglicher [[Herzrhythmusstörung]]en in der Akutphase auf einer [[Intensivstation|Intensiv-]] oder Überwachungsstation behandelt, wo eine kontinuierliche EKG-Überwachung ''(Monitoring)'' möglich ist. Bei einem unkomplizierten Verlauf können sie oft bereits am Folgetag Schritt für Schritt [[Mobilisation|mobilisiert]] und nach fünf bis acht Tagen entlassen werden. Patienten mit großen Infarkten, die zu einer Pumpschwäche ([[Herzinsuffizienz]]) des Herzmuskels geführt haben, benötigen manchmal bis zu drei Wochen, um die gewohnten Alltagsaktivitäten wiederaufnehmen zu können.<br />
<br />
Nach einem Herzinfarkt ist bei den meisten Patienten eine lebenslange medikamentöse Therapie sinnvoll, die Komplikationen wie Herzrhythmusstörungen und [[Herzinsuffizienz|Herzmuskelschwäche]] sowie erneuten Herzinfarkten vorbeugt. Dazu zählt die Therapie mit [[Betablocker]]n, [[Acetylsalicylsäure|ASS]], [[Statin]]en, [[ACE-Hemmer]]n und bei einigen Patienten [[Clopidogrel]] oder [[Prasugrel]].<ref name="PMID22052934">S. C. Smith, E. J. Benjamin u.&nbsp;a.: [http://circ.ahajournals.org/content/124/22/2458.full ''AHA/ACCF Secondary Prevention and Risk Reduction Therapy for Patients with Coronary and other Atherosclerotic Vascular Disease: 2011 update: a guideline from the American Heart Association and American College of Cardiology Foundation.''] In: ''Circulation.'' Band 124, Nummer 22, November 2011, S.&nbsp;2458–2473, [[doi:10.1161/CIR.0b013e318235eb4d]]. PMID 22052934.</ref> In der Realität zeigt sich allerdings, dass die medikamentöse Therapie oft nicht leitliniengerecht umgesetzt wird und eine deutliche Unterversorgung der betroffenen Patienten besteht.<ref name="aerzteblatt-117140">{{Literatur |Autor=Sandra Mangiapane, Reinhard Busse |Titel=Verordnungsprävalenz medikamentöser Sekundärprävention und Therapiepersistenz nach Myokardinfarkt: Eine Routinedatenanalyse der Versorgungsrealität |Sammelwerk=[[Deutsches Ärzteblatt]] Int |Band=108 |Nummer=50 |Datum=2011-12-16 |Seiten=856–862 |DOI=10.3238/arztebl.2011.0856}}</ref><br />
<br />
Bei stark eingeschränkter Pumpfunktion des Herzens wird die prophylaktische Anlage eines [[Implantierbarer Kardioverter-Defibrillator|implantierbaren Defibrillators]] zum Schutz vor [[Plötzlicher Herztod|plötzlichem Herztod]] empfohlen.<ref>[http://leitlinien.dgk.org/images/pdf/leitlinien_pocket/2010_pll_15.pdf Pocket Leitlinie ''Akutes Koronarsyndrom mit persistierender ST-Streckenhebung (STEMI)''.] (PDF)</ref><br />
<br />
Nach dem Auftreten von großen Vorderwandinfarkten kann es (< 50 %) zur [[Thrombus|Thrombenbildung]] in der linken Schlagkammer kommen, die die Gefahr eines Hirninfarktes nach sich ziehen können. Sollten sich echokardiografisch Thromben nachweisen lassen, wird meist eine mehrmonatige Antikoagulantientherapie mit [[Phenprocoumon]] durchgeführt.<br />
<br />
Besondere Aufmerksamkeit erfordern die Risikofaktoren, die die Lebenserwartung der Infarktpatienten erheblich beeinträchtigen können. Vorteilhaft sind strikter Nikotinverzicht und eine optimale Einstellung von Blutdruck, Blutzucker und Blutfettwerten. Neben der Normalisierung des Lebenswandels, dem Stressabbau und der Gewichtsnormalisierung spielen eine gesunde Ernährung und regelmäßiges körperliches [[Ausdauertraining]] nach ärztlicher Empfehlung dabei eine wesentliche Rolle.<br />
<br />
Im Anschluss an die Krankenhausbehandlung wird in Deutschland oft eine ambulante oder stationäre [[Medizinische Rehabilitation|Anschlussheilbehandlung]] empfohlen. Diese meist drei Wochen dauernde Maßnahme soll durch Krankengymnastik ([[Physiotherapie]]), dosiertes körperliches Training, Schulungsmaßnahmen und psychosoziale Betreuung eine möglichst gute und vollständige Wiedereingliederung in den Alltag ermöglichen. Zur dauerhaften Lebensstilveränderung kann der Besuch einer [[Herzschule]] sinnvoll sein.<br />
<br />
== Weitere Therapie der koronaren Herzerkrankung mit Koronararterien-Bypass oder PTCA ==<br />
Um weiteren Infarkten vorzubeugen, ist eine definitive Versorgung der (oftmals mehreren) kritischen Stenosen mittels Stentimplantation oder [[Koronararterien-Bypass]] notwendig. Die aktuellen Leitlinien der [[European Society of Cardiology|Europäischen kardiologischen Gesellschaft]] zur Revaskularisierung geben für Patienten mit hohem Operationsrisiko und einer oder zwei betroffenen Koronararterien ohne Beteiligung des linkskoronaren Hauptstamms (oder einer äquivalenten proximalen Stenose des Ramus interventrikularis anterior) die Empfehlung, bevorzugt mittels PTCA zu behandeln. Für alle anderen Patienten gilt eine höhergradige Empfehlung zur operativen Versorgung mit Koronararterien-Bypässen.<ref name="ESC2010">W. Wijns u.&nbsp;a.: ''Guidelines on myocardial revascularization.'' In: ''European heart journal.'' Band 31, Nummer 20, Oktober 2010, S.&nbsp;2501–2555, [[doi:10.1093/eurheartj/ehq277]]. PMID 20802248.</ref> Es wird ein insbesondere hinsichtlich der Begleiterkrankungen (wie hämodynamisch relevantes Aneurysma, thorakale Re-Operation) ein auf den individuellen Patienten zugeschnittenes Prozedere propagiert. Die Therapieplanung und Beratung des Patienten sollte hierbei durch ein „Heart Team“ erfolgen, also eine interdisziplinäre Zusammenkunft von Kardiologen und Herzchirurgen. Dies ist in der täglichen Praxis in Deutschland erfahrungsgemäß jedoch eher die Ausnahme.<br />
<br />
=== Experimentelle Ansätze ===<br />
Seit den 1990er Jahren werden Versuche unternommen, die Pumpfunktion des Herzmuskels nach einem Herzinfarkt durch [[Stammzelle]]n positiv zu beeinflussen. Dabei werden verschiedene Techniken eingesetzt, unter anderem die Injektion von Stammzellen, die aus Blut oder Knochenmark gewonnen werden, in das betroffene Herzkranzgefäß (''intrakoronar'', mittels Herzkatheter). Auch die [[subkutan]]e Injektion von ''granulocyte-colony stimulating factor'' ([[G-CSF]]), der die Stammzellproduktion fördert, wird untersucht. Mehrere in den Jahren 2004 bis 2006 veröffentlichte [[Klinische Studie|Studien]] weisen darauf hin, dass die intrakoronare Anwendung von Knochenmark-Stammzellen die Pumpfunktion tatsächlich verbessern kann<ref name="PMID16413875">S. Janssens, C. Dubois u.&nbsp;a.: ''Autologous bone marrow-derived stem-cell transfer in patients with ST-segment elevation myocardial infarction: double-blind, randomised controlled trial.'' In: ''Lancet.'' Band 367, Nummer 9505, Januar 2006, S.&nbsp;113–121, [[doi:10.1016/S0140-6736(05)67861-0]]. PMID 16413875.</ref>, die alleinige Gabe von G-CSF hingegen keinen Vorteil bringt.<ref name="PMID16507801">D. Zohlnhöfer, I. Ott u.&nbsp;a.: ''Stem cell mobilization by granulocyte colony-stimulating factor in patients with acute myocardial infarction: a randomized controlled trial.'' In: ''JAMA.'' Band 295, Nummer 9, März 2006, S.&nbsp;1003–1010, [[doi:10.1001/jama.295.9.1003]]. PMID 16507801.</ref><ref name="PMID16531621">R. S. Ripa, E. Jørgensen u.&nbsp;a.: ''Stem cell mobilization induced by subcutaneous granulocyte-colony stimulating factor to improve cardiac regeneration after acute ST-elevation myocardial infarction: result of the double-blind, randomized, placebo-controlled stem cells in myocardial infarction (STEMMI) trial.'' In: ''Circulation.'' Band 113, Nummer 16, April 2006, S.&nbsp;1983–1992, [[doi:10.1161/CIRCULATIONAHA.105.610469]]. PMID 16531621.</ref><br />
Eine Studie aus dem Jahr 2012 hat jedoch keinen positiven Effekt festgestellt.<ref name="PMID23896972">J. Wöhrle, F. von Scheidt u.&nbsp;a.: ''Impact of cell number and microvascular obstruction in patients with bone-marrow derived cell therapy: final results from the randomized, double-blind, placebo controlled intracoronary Stem Cell therapy in patients with Acute Myocardial Infarction (SCAMI) trial.'' In: ''Clinical research in cardiology.'' Band 102, Nummer 10, Oktober 2013, S.&nbsp;765–770, [[doi:10.1007/s00392-013-0595-9]]. PMID 23896972.</ref> Ein weiterer, in jüngerer Zeit in präklinischen Studien verfolgter Therapieansatz ist der Einsatz von [[Wachstumsfaktor (Protein)|Wachstumsfaktoren]] wie ''Fibroblast-like Growth Factor'' ([[Fibroblast Growth Factor|FGF]]-1), Insuline-like Growth Factors ([[Insulin-like growth factor|IGFs]]) und ''Vascular Endothelial Growth Factor'' ([[Vascular Endothelial Growth Factor|VEGF]]), die die Gefäßneubildung ([[Angiogenese]]) anregen.<br />
<br />
== Krankheitsverlauf und Prognose ==<br />
Die ersten beiden Stunden nach Eintritt eines Herzinfarktes sind zumindest bei einem ST-Hebungsinfarkt (STEMI) für den weiteren Verlauf und die Überlebenschance des Patienten von entscheidender Bedeutung, weil<br />
* sich die Mehrzahl der Todesfälle, die in der Regel durch [[Kammerflimmern]] verursacht sind, in diesem kurzen Zeitraum ereignet<ref name="Antman" /> und<br />
* eine während dieser Zeit eingeleitete Reperfusionstherapie die [[Prognose]] maßgeblich beeinflusst.<br />
<br />
Die Akutsterblichkeit jener Patienten, die im Krankenhaus aufgenommen werden, beträgt heute nach verschiedenen Untersuchungen zwischen weniger als zehn und knapp zwölf Prozent. Weiterhin stirbt aber fast ein Drittel aller Patienten vor Aufnahme in eine Klinik, so dass die Einjahressterblichkeit aller Infarktpatienten in den letzten 30&nbsp;Jahren nahezu unverändert bei etwa 50 % verblieben ist.<br />
<br />
Die Sterblichkeit im Zusammenhang mit einem Herzinfarkt wird vom Alter des Patienten stark beeinflusst. Aus dem Berliner Herzinfarktregister wurde für die Jahre 1999 bis 2003 bei über 75-Jährigen eine Krankenhaussterblichkeit von 23,9 %, bei jüngeren Patienten von 7,3 % ermittelt.<ref name="Schuler">J. Schuler, B. Maier u.&nbsp;a.: ''Present treatment of acute myocardial infarction in patients over 75 years–data from the Berlin Myocardial Infarction Registry (BHIR).'' In: ''Clinical research in cardiology.'' Band 95, Nummer 7, Juli 2006, S.&nbsp;360–367, [[doi:10.1007/s00392-006-0393-8]]. PMID 16741630.</ref> Insgesamt ist die Rate an Sterbefällen nach Herzinfarkten jedoch stark abgesunken, wie eine epidemiologische Studie mit Daten der WHO zeigte. So haben sich die Herzinfarkt-Sterbefälle seit 1980 in Europa halbiert. In Deutschland lag sie 2009 bei 15–17 %, in Österreich bei 19–20 %, in Frankreich bei 6–8 %.<ref name="DOI10.1093/eurheartj/eht159">M. Nichols, N. Townsend u.&nbsp;a.: ''Trends in age-specific coronary heart disease mortality in the European Union over three decades: 1980–2009.'' In: ''European heart journal.'' Band 34, Nummer 39, Oktober 2013, S.&nbsp;3017–3027, [[doi:10.1093/eurheartj/eht159]]. PMID 23801825. {{PMC|3796269}}.</ref><br />
<br />
Eine 2023 veröffentlichte Studie unter 884 Patienten deutet darauf hin, dass die Sterblichkeit nach einem Herzinfarkt bei Frauen zwei- bis dreimal höher liegt als bei Männern.<ref>{{Internetquelle |url=https://www.eurekalert.org/news-releases/989635 |titel=Women more likely to die after heart attack than men |werk=eurekalert.org |hrsg=European Society of Cardiology |datum=2023-05-22 |abruf=2024-03-11 |sprache=en}}</ref><ref>{{Internetquelle |url=https://www.pharmazeutische-zeitung.de/frauen-sterben-nach-herzinfarkt-haeufiger-als-maenner-140300/ |titel=Frauen sterben nach Herzinfarkt häufiger als Männer |werk=pharmazeutische-zeitung.de |datum=2023-05-24 |abruf=2024-03-11 |sprache=de}}</ref><br />
<br />
{{Siehe auch|Killip-Klassifikation}}<br />
<br />
=== Komplikationen ===<br />
Sehr häufig sind [[Herzrhythmusstörung]]en, auch bei kleinen Infarkten vor allem in der Frühphase. [[Ventrikuläre Tachykardie]]n bis hin zum [[Kammerflimmern]] sind die häufigste Todesursache beim Herzinfarkt, deshalb wird in der Akutphase eine ständige Überwachung und [[Defibrillation]]sbereitschaft auf einer [[Intensivstation]] gesichert. In Einzelfällen ist eine Behandlung mit einem [[Antiarrhythmikum]] nötig. Besonders Hinterwandinfarkte können über eine Ischämie des [[AV-Knoten]]s zum [[AV-Block]] und bei Ischämie des [[Sinusknoten]] zum [[Sick-Sinus-Syndrom]] führen, was vorübergehend (oder dauerhaft) den Einsatz eines [[Herzschrittmacher]]s erfordert.<br />
<br />
Wenn der Infarkt große Areale des Herzens (mehr als 30 % der Muskulatur) betrifft, kann es zur Ausbildung eines kardiogenen [[Schock (Medizin)|Schocks]] kommen, bei dem das Herz durch die Herzmuskelschädigung nicht mehr in der Lage ist, eine ausreichende Kreislauffunktion aufrechtzuerhalten. Diese Patienten haben eine deutlich schlechtere Prognose, der kardiogene Schock ist die zweithäufigste Todesursache im Rahmen eines akuten Herzinfarktes. Hier kann eine [[intraaortale Ballonpumpe]] (IABP) vorübergehend das Herz unterstützen.<br />
<br />
Ein Herzwand[[aneurysma]] kann sich aufgrund der Wandschwäche nach einem Herzinfarkt ausbilden. Hierbei entwickelt sich eine Auswölbung der geschädigten Herzwand. Chronisch kommt es zu einer verschlechterten Herzfunktion, der Bildung eines [[Thrombus]] durch gestörten Blutfluss mit der Möglichkeit arterieller [[Embolie]]n. In der direkten Phase nach einem Infarkt kann es zu einer [[Ruptur]] (Platzen) der Auswölbung kommen mit nachfolgender [[Herzbeuteltamponade]], welche sofort entlastet und im Allgemeinen chirurgisch versorgt werden muss.<br />
<br />
Durch [[Nekrose]] im Herzscheidewandbereich kann es auch hier zu einer [[Ventrikelseptumdefekt|Septumperforation]] kommen. Nachfolgend kommt es zum Übertritt von Blut aus dem linken in den rechten Teil des Herzens.<br />
<br />
Insbesondere bei Hinterwandinfarkten kann eine akute [[Mitralklappeninsuffizienz|Insuffizienz der Mitralklappe]] durch Nekrose der [[Papillarmuskel]]n mit nachfolgendem Abriss eines Sehnenfadens auftreten. Der Rückfluss von Blut in den [[Linker Vorhof|linken Vorhof]] kann zu einer akuten [[Herzinsuffizienz]] führen und eine schnelle Herzoperation notwendig machen. Ein neu auftretendes [[Systole|systolisches]] [[Herzgeräusch]] kann zu dieser Verdachtsdiagnose führen, daher sollen Patienten nach Herzinfarkt regelmäßig abgehört ([[Auskultation|auskultiert]]) werden.<br />
<br />
Im weiteren Verlauf (einige Tage bis ca. acht Wochen) kann sich im Rahmen einer Autoimmunreaktion eine [[Perikarditis|Entzündung des Herzbeutels]], das sogenannte [[Dressler-Syndrom]], entwickeln.<br />
<br />
=== Infarkte bei älteren Menschen ===<br />
{| class="wikitable float-right" style="font-size:95%;"<br />
|+ Charakteristika von Infarktpatienten abhängig vom Lebensalter<ref name="Schuler" /><br />
|-<br />
!<br />
! style="text-align:right; background:#ABCDEF;"|≤&nbsp;75&nbsp;Jahre<br />
! style="text-align:right; background:#FFEBAD;"|>&nbsp;75&nbsp;Jahre<br />
|-<br />
|Herzversagen<br />
|style="text-align:center; background:#ABCDEF;"| {{0}}3,5 %<br />
|style="text-align:center; background:#FFEBAD;"| 14,4 %<br />
|-<br />
|Niereninsuffizienz<br />
|style="text-align:center; background:#ABCDEF;"| {{0}}3,9 %<br />
|style="text-align:center; background:#FFEBAD;"| 11,5 %<br />
|-<br />
|Diabetes mellitus<br />
|style="text-align:center; background:#ABCDEF;"| 24,3 %<br />
|style="text-align:center; background:#FFEBAD;"| 37,3 %<br />
|-<br />
|Lungenstauung<br />
|style="text-align:center; background:#ABCDEF;"| 19,7 %<br />
|style="text-align:center; background:#FFEBAD;"| 45,4 %<br />
|-<br />
|Linksschenkelblock<br />
|style="text-align:center; background:#ABCDEF;"| {{0}}3,6 %<br />
|style="text-align:center; background:#FFEBAD;"| 12,7 %<br />
|}<br />
<br />
In den europäischen Ländern betreffen etwa ein Drittel (24 bis 42 %) aller Infarkte Menschen im Alter von über 74 Jahren. Dieser Anteil wird aufgrund der [[Demografie|demografischen]] Entwicklung mit der Zeit zunehmen. Schätzungen zufolge soll der Anteil über 75-Jähriger im Jahr 2050 bereits zwei Drittel betragen.<br />
<br />
Ältere Infarktpatienten leiden häufiger an bedeutsamen Begleiterkrankungen wie [[Herzinsuffizienz#Laiensprache und Doppeldeutungen|Herzversagen]], [[Chronisches Nierenversagen|Niereninsuffizienz]] und [[Diabetes mellitus]] (Zuckerkrankheit). Bei ihnen werden öfter Zeichen eines schweren Infarktes wie [[Lungenödem#Lungenstauung|Lungenstauung]] und [[Linksschenkelblock]] festgestellt. Die Zeit zwischen Symptombeginn und Aufnahme im Krankenhaus ist bei ihnen länger und gemessen am Einsatz der [[#Reperfusionstherapie|Reperfusionstherapie]] sowie der Anwendung von [[Betablocker]]n und [[Statin]]en kommt eine leitliniengerechte Therapie seltener zur Anwendung.<ref name="Schuler" /><br />
<br />
Zusätzlich erhöhen kardiale Erkrankungen, wie der Herzinfarkt, auch das Risiko für kognitive Probleme. Vor allem Frauen mit Herzerkrankungen leiden im Alter öfter an einer leichten nicht-amnestischen kognitiven Beeinträchtigung ([[Aphasie|Wortfindungsstörungen]], Aufmerksamkeitsprobleme, Desorientierung usw.).<ref>R. O. Roberts, Y. E. Geda u.&nbsp;a.: ''Cardiac disease associated with increased risk of nonamnestic cognitive impairment: stronger effect on women.'' In: ''JAMA neurology.'' Band 70, Nummer 3, März 2013, S.&nbsp;374–382, [[doi:10.1001/jamaneurol.2013.607]]. PMID 23358884. {{PMC|3734560}}.</ref><br />
<br />
== Geschichte ==<br />
=== Von den Anfängen bis 1950 ===<br />
Seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts ist bekannt, dass eine [[Thrombose]] im Herzkranzgefäß zum Tode führen kann. Tierexperimente mit Unterbindung eines Kranzgefäßes und Sektionsbefunde legten nahe, dass die Koronarthrombose ein fatales Ereignis darstellte. Im Mai 1876 diagnostizierte [[Adam Hammer]] in Wien als Erster den Herzinfarkt an einem lebenden Menschen. 1901 wies der Deutsche [[Ludolf von Krehl]] nach, dass sie nicht immer tödlich ausging, die erste ausführliche Beschreibung nicht-tödlicher Herzinfarkte stammt von den Russen ''V. P. Obraztsov'' und ''N. D. Strazhesko'' aus dem Jahr 1910.<ref name="PMID327787">J. E. Muller: ''Diagnosis of myocardial infarction: historical notes from the Soviet Union and the United States.'' In: ''The American journal of cardiology.'' Band 40, Nummer 2, August 1977, S.&nbsp;269–271, PMID 327787.</ref><br />
<br />
1912 bezog sich der US-Amerikaner ''James B. Herrick'' auf diese Veröffentlichung und führte körperliche Ruhe als Therapieprinzip für Infarktpatienten ein. Sie blieb bis in die frühen 1950er Jahre einzige Behandlungsmöglichkeit und wurde konsequent betrieben: Die Patienten durften sich zwei Wochen nicht bewegen und sollten deshalb auch gefüttert werden. Herrick war es auch, der die 1903 von dem Niederländer [[Willem Einthoven]] entwickelte Elektrokardiografie zur Diagnostik des Herzinfarktes einführte.<br />
<br />
1923 veröffentlichte ''Wearn'' die Beschreibung des Krankheitsverlaufes von 19 Patienten mit Herzinfarkt, denen absolute Bettruhe und eine Beschränkung der Flüssigkeitszufuhr verordnet wurden. Sie erhielten [[Herzglykoside|Digitalispräparate]] gegen eine Lungenstauung sowie [[Koffein]] und [[Campher]] zur Vorbeugung und Behandlung von erniedrigtem Blutdruck, [[Synkope (Medizin)|Synkopen]] und Herzrhythmusstörungen. 1928 beschrieben [[John Parkinson (Kardiologe)|Parkinson]] und [[Evan Bedford|Bedford]] ihre Erfahrungen mit der Schmerzbehandlung durch [[Morphin]] bei 100&nbsp;Infarktpatienten, [[Nitrate]] hielten sie wegen der blutdrucksenkenden Wirkung für kontraindiziert.<br />
<br />
1929 veröffentlichte [[Samuel A. Levine (Mediziner)|Samuel A. Levine]] das erste ausschließlich der Infarktbehandlung gewidmete Fachbuch, in dem unter anderem auf die Bedeutung der Herzrhythmusstörungen eingegangen und [[Chinidin]] gegen [[ventrikuläre Tachykardie]]n und [[Adrenalin]] gegen [[AV-Block|Blockierungen]] empfohlen wurde.<br />
<br />
In den 1950er Jahren wurde der Herzinfarkt bereits als wichtige Todesursache in den Industrieländern angesehen. Wegen der hohen Gefährdung durch Thrombosen und [[Lungenembolie]]n auf Grund der langen Bettruhe gewann das von [[Bernard Lown]] propagierte Konzept einer früheren [[Mobilisation|Mobilisierung]] ''(arm chair treatment)'' an Bedeutung. Großzügige Flüssigkeitszufuhr und regelmäßige Sauerstoffgabe wurden empfohlen.<ref name="PMID11799435">R. Sarmento-Leite, A. M. Krepsky, C. A. Gottschall: ''Acute myocardial infarction. One century of history.'' In: ''Arquivos brasileiros de cardiologia.'' Band 77, Nummer 6, Dezember 2001, S.&nbsp;593–610, PMID 11799435.</ref><br />
<br />
=== Die „Thrombolyse-Ära“ ===<br />
Bereits 1948 wurde empfohlen, nach einem überstandenen Herzinfarkt vorbeugend [[Phenprocoumon|Cumarine]] als Antikoagulanzien einzunehmen. Hauptsächlich [[Anthony P. Fletcher|Fletcher]] und [[Marc Verstraete|Verstraete]] wiesen in den 1950er und 1960er Jahren experimentell nach, dass frische Koronarthrombosen medikamentös aufgelöst werden können. 1959 brachten die deutschen [[Behring-Werke]] [[Streptokinase]] auf den Markt, das unter anderem die Lysetherapie beim akuten Herzinfarkt ermöglichte. In den 1970er Jahren waren es dann zwei Arbeitsgruppen um [[Jewgeni Tschasow]] und [[Klaus Peter Rentrop]], die den Nachweis einer erfolgreichen Lysetherapie durch intrakoronare Infusion von Streptokinase führten. Ihre Ergebnisse wurden unterstützt durch Befunde von [[Marcus De Wood|De Wood]], der bei 90 % der Patienten mit ST-Strecken-Hebung okkludierende (das Gefäßlumen verschließende) Koronarthromben nachwies. Anfang der 1980er Jahre wurde deutlich, dass eine intravenöse Infusion der intrakoronaren gleichwertig war, was die Verbreitung der Methode sehr förderte.<br />
<br />
1986 wurde die als ''GISSI-Studie'' bezeichnete erste randomisierte klinische Studie zur Lysetherapie veröffentlicht, die an 11.806 Patienten durchgeführt wurde und eine Senkung der 21-Tage-Sterblichkeit von 13 auf 10,7 % nachwies, was einem geretteten Menschenleben pro 43 Behandlungen entsprach.<ref name="PMID2868337">Gruppo Italiano per lo Studio della Streptochinasi nell'Infarto Miocardico (GISSI): ''Effectiveness of intravenous thrombolytic treatment in acute myocardial infarction.'' In: ''Lancet.'' Band 1, Nummer 8478, Februar 1986, S.&nbsp;397–402, PMID 2868337.</ref><br />
<br />
=== Weiterentwicklung der Therapie ===<br />
1960 veröffentlichte die ''[[American Heart Association]]'' die ''[[Framingham-Studie]]'', die den Zusammenhang zwischen dem Rauchen und dem Auftreten von Herzinfarkten bewies. Mitte der 1990er Jahre wurde die erst 1977 von [[Andreas Grüntzig]] eingeführte Ballondilatation der Herzkranzgefäße als Therapieoption auch beim akuten Herzinfarkt in größerem Umfang eingesetzt. Heute ist dies die Behandlung der Wahl und wird in Deutschland bei mehr als 200.000 Patienten jährlich angewandt.<br />
<br />
== Myokardinfarkt bei Tieren ==<br />
Anders als beim Menschen wird der Herzmuskelinfarkt bei Tieren nur selten beobachtet. Zudem sind bei Haussäugetieren, im Gegensatz zur meist nichtinfektiösen Genese beim Menschen, vor allem [[Infektion|infektiös]] bedingte [[Endokarditis|Endokarditiden]] der [[Mitralklappe]] mit Abschwemmung von Thromben in die Herzkranzgefäße Auslöser eines Myokardinfarkts.<br />
<br />
Bei Tieren, die auch in menschlicher Obhut ein hohes Alter erreichen, wie etwa [[Haushund]]en, [[Papageien]] und Zootieren (z.&nbsp;B. [[Walross|Pazifisches Walross]]),<ref name="PMID12398303">A. D. Gruber, M. Peters u.&nbsp;a.: ''Atherosclerosis with multifocal myocardial infarction in a Pacific walrus (Odobenus rosmarus divergens Illiger).'' In: ''[[Journal of Zoo and Wildlife Medicine]]'' Band 33, Nummer 2, Juni 2002, S.&nbsp;139–144, PMID 12398303.</ref> sind auch vereinzelt Myokardinfarkte infolge [[Atherosklerose|atherosklerotischer]] Veränderungen wie beim Menschen beschrieben. Beim Hund wird auch eine verminderte Sauerstoffversorgung des Herzmuskels infolge einer [[Amyloidose]] kleiner Herzarterien beobachtet. Diese –&nbsp;in der Regel kleinen&nbsp;– Infarkte bleiben klinisch zumeist unbemerkt und werden als Zufallsbefunde bei pathologischen Untersuchungen relativ häufig als lokale Vernarbungen des Herzmuskels gefunden. Bei [[Hauskatze|Katzen]] scheinen Infarkte vor allem als Komplikation bereits bestehender Herzmuskelerkrankungen ([[Kardiomyopathie|Hypertrophe Kardiomyopathie]]) aufzutreten.<ref>S. Driehuys, T. J. van Winkle, C. D. Sammarco, K. J. Drobatz.: ''Myocardial infarction in dogs and cats: 37 cases (1985–1994).'' In: ''J. Am. Vet. Med. Assoc.'', 1998, 213 (10), S.&nbsp;1444–1448, PMID 9828941.</ref><br />
<br />
Die erhöhte Anfälligkeit des Herzmuskels von [[Hausschwein|Schweinen]] auf Stress ist dagegen nicht auf eine Mangeldurchblutung zurückzuführen, sondern beruht auf einer [[Maligne Hyperthermie#Epidemiologie|massiven und unkontrollierten Calciumfreisetzung innerhalb der Muskelzelle mit Muskeluntergang]] ([[Porcine stress syndrome]]).<br />
<br />
== Literatur ==<br />
* [[Deutsche Gesellschaft für Kardiologie – Herz- und Kreislaufforschung]]: AWMF-Leitlinie 2019–2024: [https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/019-013.html ''Infarkt-bedingter kardiogener Schock – Diagnose, Monitoring und Therapie''].<br />
* [[European Society of Cardiology]]: ESC Clinical Practice Guidelines 2018: [https://www.escardio.org/Guidelines/Clinical-Practice-Guidelines/Fourth-Universal-Definition-of-Myocardial-Infarction K. Thygesen, J. S. Alpert, A. S. Jaffe und andere: ''Fourth Universal Definition of Myocardial Infarction Guidelines'']. In: ''European Heart Journal.'' Band 40, S. 237–269.<br />
* Douglas P. Zipes, Peter Libby, Robert O. Bonow, Douglas L. Mann, Gordon F. Tomaselli: ''Braunwald’s Heart Disease: A Textbook of Cardiovascular Medicine.'' 11. Auflage. Elsevier Health Sciences, Philadelphia 2019, ISBN 978-0-323-55593-7, [https://books.google.de/books?id=LwBGDwAAQBAJ&printsec=frontcover&dq=braunwald's+heart+disease+a+textbook+of+cardiovascular+medicine+11th+edition&hl=de&sa=X&ved=0ahUKEwiQuf7c38npAhVF2aYKHS9gCCcQuwUIMDAA#v=onepage&q=braunwald's%20heart%20disease%20a%20textbook%20of%20cardiovascular%20medicine%2011th%20edition&f=false Vorschau Google Books].<br />
* [[Herbert Reindell]], Helmut Klepzig: ''Krankheiten des Herzens und der Gefäße.'' In: [[Ludwig Heilmeyer]] (Hrsg.): ''Lehrbuch der Inneren Medizin.'' Springer-Verlag, Berlin/Göttingen/Heidelberg 1955; 2. Auflage ebenda 1961, S. 450–598, hier: S. 555–559 ''(Der Herzinfarkt)''.<br />
<br />
== Weblinks ==<br />
{{Commonscat|Myocardial infarction|Myokardinfarkt}}<br />
{{Wikibooks|Erste Hilfe/ Herzinfarkt|Erste Hilfe bei Herzinfarkt}}<br />
{{Wiktionary|Herzinfarkt}}<br />
* {{DNB-Portal|4024654-1}}<br />
* {{Gesundheitsinformation.de|koronare-herzkrankheit.2170.de.html|Herzinfarkt}}<br />
* [http://www.herzstiftung.de/risiko Herzinfarktrisiko online testen] – Deutsche Herzstiftung<br />
<br />
== Einzelnachweise ==<br />
<references responsive /><br />
<br />
{{Gesundheitshinweis}}<br />
{{Lesenswert|26. Juni 2006|18284409}}<br />
{{Normdaten|TYP=s|GND=4024654-1|LCCN=sh85059683|NDL=00571052}}<br />
<br />
[[Kategorie:Krankheitsbild in der Kardiologie]]<br />
[[Kategorie:Krankheitsbild in der Notfallmedizin]]<br />
[[Kategorie:Wikipedia:Artikel mit Video]]</div>Scriptirhttps://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Herzinfarkt&diff=249232420Herzinfarkt2024-10-08T00:53:33Z<p>Scriptir: Position</p>
<hr />
<div>{{Weiterleitungshinweis|Herzattacke|Zur Kunstzeitschrift siehe [[Herzattacke (Kunstzeitschrift)]].}}<br />
{{QS-Medizin}}<br />
{{Überarbeiten|grund= Der Artikel ist in wichtigen Punkten veraltet und bedarf einer dringenden Aktualisierung. Siehe Diskussionsseite. -- --[[Spezial:Beiträge/2A02:3030:800:BA1F:A0AC:5D3B:7A98:32C6|2A02:3030:800:BA1F:A0AC:5D3B:7A98:32C6]] 14:08, 26. Mär. 2023 (CEST)}}<br />
<br />
{{Infobox ICD<br />
| BREITE = 250<br />
| 01-CODE = I21<br />
| 01-BEZEICHNUNG = Akuter Myokardinfarkt<br />
| 02-CODE = I22<br />
| 02-BEZEICHNUNG = Rezidivierender Myokardinfarkt<br />
}}<br />
<br />
[[Datei:AMI scheme.png|mini|hochkant|Myokardinfarkt der Vorderwandspitze (2) nach Verschluss (1) des vorderen absteigenden Astes ([[Koronargefäß#Koronararterien|LAD]]) der linken Kranzarterie (LCA), schematische Darstellung]]<br />
<br />
Der '''Herzinfarkt''' oder (genauer) '''Herzmuskelinfarkt''' bzw. '''Myokardinfarkt''', auch '''Koronarinfarkt''' genannt, ist ein akutes und lebensbedrohliches Ereignis infolge einer Erkrankung des [[Herz]]ens, bei der eine [[Koronararterie]] oder einer ihrer Äste verlegt oder stärker eingeengt wird. In der [[Humanmedizin]] gebräuchliche Abkürzungen sind HI, MI ''(myocardial infarction)'' oder AMI ''(acute myocardial infarction)''.<br />
<br />
Es handelt sich um eine anhaltende [[Durchblutungsstörung]] ''([[Ischämie]])'' von Teilen des [[Herzmuskel]]s (Myokard), die in den meisten Fällen durch [[Blutgerinnsel]] in einer [[Atherosklerose|atherosklerotisch]] veränderten Engstelle eines [[Herzkranzgefäß]]es verursacht wird. [[Leitsymptom]] des Herzinfarktes ist ein plötzlich auftretender, anhaltender und meist starker [[Schmerz]] im Brustbereich, der vorwiegend linksseitig in die [[Schulter]]n, [[Arm]]e, [[Unterkiefer]], [[Rücken]] und [[Oberbauch]] ausstrahlen kann. Er wird oft von [[Schweißausbruch|Schweißausbrüchen]]/[[Kaltschweißigkeit]], [[Übelkeit]] und eventuell [[Erbrechen]] begleitet. Bei etwa 25 % aller Herzinfarkte treten nur geringe oder keine Beschwerden auf (sogenannter stummer Infarkt). In der Akutphase eines Herzinfarktes kommen häufig gefährliche [[Herzrhythmusstörung]]en vor; auch kleinere Infarkte führen nicht selten über [[Kammerflimmern]] zum [[Plötzlicher Herztod|plötzlichen Herztod]]. Etwa 30 % aller Todesfälle beim Herzinfarkt ereignen sich vor jeder [[Laienhelfer|Laienhilfe]] oder medizinischen Therapie.<br />
<br />
Der Artikel behandelt den Myokardinfarkt im Wesentlichen beim Menschen; [[#Myokardinfarkt bei Tieren|Myokardinfarkte bei Tieren]] sind gesondert am Schluss beschrieben.<br />
<br />
== Epidemiologie ==<br />
[[Datei:So entsteht ein Herzinfarkt.webm|mini|Video: So entsteht ein Herzinfarkt]]<br />
[[Datei:Heart attack video.webm|mini|Video: Mechanismus von Herzinfarkten (englisch)]]<br />
Der Herzinfarkt ist eine der [[Todesursache|Haupttodesursachen]] in den [[Industrienation]]en. Die [[Inzidenz (Epidemiologie)|Inzidenz]] beträgt in Österreich/Deutschland etwa 300 Infarkte jährlich pro 100.000 Einwohner (in Japan < 100; Mittelmeer, Schweiz, Frankreich < 200; 300 bis 400 in Skandinavien; 400 bis 500 in England, Ungarn), in Deutschland erleiden jedes Jahr etwa 280.000 Menschen einen Herzinfarkt. Laut Todesursachenstatistik des [[Statistisches Bundesamt|Statistischen Bundesamtes]] starben in Deutschland im Jahr 2015 über 49.000 Menschen infolge eines akuten Herzinfarktes. Damit liegt der akute Herzinfarkt seit 1998 immer an zweiter Stelle der Todesursachen in Deutschland.<ref>[https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesellschaftStaat/Gesundheit/Todesursachen/Tabellen/SterbefaelleInsgesamt.html ''Sterbefälle insgesamt 2011 nach den zehn häufigsten Todesursachen der ICD-10''.] Statistisches Bundesamt. Abgerufen am 17. Januar 2013.</ref> Sowohl die absolute Anzahl der Sterbefälle infolge eines Herzinfarktes als auch die relative Häufigkeit sind in Deutschland seit Jahren stetig rückläufig (siehe Tabelle).<ref>[http://www.gbe-bund.de/gbe10/F?F=218D Sterbefälle (absolut, Sterbeziffer, Ränge, Anteile) für die 10/20/50/100 häufigsten Todesursachen (ab 1998)] Gesundheitsberichterstattung des Bundes. Abgerufen am 3. August 2020.</ref><ref name="Herzbericht 2009">[[Deutscher Herzbericht]] 2010, Ernst Bruckenberger, ISBN 978-3-00-032101-6, Oktober 2010.</ref><br />
<br />
{| class="wikitable" style="text-align:center"<br />
|-<br />
! Jahr<br />
! absolute Anzahl<br />
! männlich<br />
! weiblich<br />
|-<br />
| 2000<br />
| 67.282<br />
| 36.458<br />
| 30.824<br />
|-<br />
| 2001<br />
| 65.228<br />
| 35.473<br />
| 29.755<br />
|-<br />
| 2002<br />
| 64.218<br />
| 34.907<br />
| 29.311<br />
|-<br />
| 2003<br />
| 64.229<br />
| 34.679<br />
| 29.550<br />
|-<br />
| 2004<br />
| 61.736<br />
| 33.348<br />
| 28.388<br />
|-<br />
| 2005<br />
| 61.056<br />
| 32.973<br />
| 28.083<br />
|-<br />
| 2006<br />
| 59.938<br />
| 32.471<br />
| 27.467<br />
|-<br />
| 2007<br />
| 57.788<br />
| 31.195<br />
| 26.593<br />
|-<br />
| 2008<br />
| 56.775<br />
| 30.559<br />
| 26.216<br />
|-<br />
| 2009<br />
| 56.226<br />
| 30.934<br />
| 25.292<br />
|-<br />
| 2010<br />
| 55.541<br />
| 30.651<br />
| 24.890<br />
|-<br />
| 2011<br />
| 52.113<br />
| 28.621<br />
| 23.492<br />
|-<br />
| 2012<br />
| 52.516<br />
| 28.951<br />
| 23.565<br />
|-<br />
| 2013<br />
| 52.044<br />
| 28.991<br />
| 23.053<br />
|-<br />
| 2014<br />
| 48.181<br />
| 27.188<br />
| 20.993<br />
|-<br />
| 2015<br />
| 49.210<br />
| 27.835<br />
| 21.375<br />
|-<br />
| 2016<br />
| 48.669<br />
| 28.130<br />
| 20.539<br />
|-<br />
| 2017<br />
| 46.966<br />
| 27.130<br />
| 19.836<br />
|-<br />
| 2018<br />
| 46.207<br />
| 26.884<br />
| 19.323<br />
|}<br />
<br />
Herzinfarkte treten deutlich häufiger in sozial ärmeren Stadtteilen auf. Zudem sind die Patienten aus diesen Vierteln im Gegensatz zu Patienten aus sozial privilegierteren Bezirken jünger und haben ein höheres Risiko, innerhalb eines Jahres nach dem Herzinfarkt zu versterben.<ref name="aerzteblatt-55742">{{Internetquelle |autor=hil |url=http://www.aerzteblatt.de/nachrichten/55742/Bremen-Mehr-Herzinfarkte-in-aermeren-Stadtteilen |titel=Bremen: Mehr Herzinfarkte in ärmeren Stadtteilen |werk=[[Deutsches Ärzteblatt|aerzteblatt.de]] |datum=2013-09-04 |abruf=2014-12-26}}</ref> Auf dem Land in Deutschland sterben mehr Menschen ab 65 Jahren an den Folgen eines Herzinfarkts als in der Stadt. Anders als angenommen, ist dies höchstwahrscheinlich nicht auf eine schlechtere notfallmedizinische Versorgung zurückzuführen, sondern darauf, dass mehr Menschen einen Herzinfarkt erleiden.<ref>{{Literatur |Autor=Marcus Ebeling, Michael Mühlichen, Mats Talbäck, Roland Rau, Alexander Goedel, Sebastian Klüsener |Titel=Disease incidence and not case fatality drives the rural disadvantage in myocardial-infarction-related mortality in Germany |Sammelwerk=Preventive Medicine |Band=179 |Datum=2024-02 |DOI=10.1016/j.ypmed.2023.107833 |Seiten=107833 |Online=https://linkinghub.elsevier.com/retrieve/pii/S009174352300419X |Abruf=2024-02-13}}</ref> <br />
<br />
== Terminologie und Pathologie ==<br />
Das Verständnis vom Herzinfarkt hat sich seit den 1970er Jahren grundlegend gewandelt. Neue [[Diagnose]]- und [[Therapie]]verfahren haben wichtige Erkenntnisse zur [[Pathophysiologie]] besonders der ersten Stunden nach Beginn der [[Symptom]]e beigetragen und die Definition und [[Terminologie]] des Herzinfarktes verändert.<br />
<br />
=== Terminologie ===<br />
Eine in jeder Situation gültige Definition des Herzinfarktes existiert nicht. Allgemein ist akzeptiert, dass der Begriff ''Herzinfarkt'' den [[Nekrose|Zelltod]] von Herzmuskelzellen auf Grund einer länger andauernden Durchblutungsstörung ([[Ischämie]]) beschreibt.<ref name="ESC2003">F. van de Werf, D. Ardissino u.&nbsp;a.: ''Management of acute myocardial infarction in patients presenting with ST-segment elevation. The Task Force on the Management of Acute Myocardial Infarction of the European Society of Cardiology.'' In: ''European heart journal.'' Band 24, Nummer 1, Januar 2003, S.&nbsp;28–66, PMID 12559937.</ref> Schwieriger ist die Frage, welche Kriterien für einen solchen Zelltod zugrunde gelegt werden. Die eingesetzten Messinstrumente unterscheiden sich teilweise erheblich:<br />
* [[Rettungsdienst]]e diagnostizieren den Herzinfarkt anhand von Symptomen und [[Elektrokardiogramm|EKG]]-Veränderungen,<br />
* [[Intensivmedizin]]er zusätzlich mit Hilfe von [[Laboratoriumsmedizin|Laboruntersuchungen]],<br />
* [[Pathologie|Pathologen]] ausschließlich auf der Grundlage von [[Makroskopische Anatomie|makroskopischen]] oder noch seltener auch [[Mikroskopie|mikroskopischen]] Gewebeveränderungen und<br />
* [[Epidemiologie|Epidemiologen]] schließlich meist unter Verwendung von mehr oder weniger exakten Todesursachenstatistiken (vgl. [[Leichenschau]]) oder Entlassungsdiagnosen der Krankenhäuser.<br />
<br />
[[Datei:ACS abbreviations.png|mini|350px|Terminologie des akuten Koronarsyndroms, Erläuterungen im Text]]<br />
Bei länger als 20 Minuten anhaltenden infarkttypischen Brustschmerzen wird zunächst von einem [[Akutes Koronarsyndrom|akuten Koronarsyndrom]] gesprochen, was die Möglichkeit eines Herzinfarktes einschließt. Wenn sich dann in einem möglichst rasch anzufertigenden [[Elektrokardiogramm]] (EKG) Hebungen der ST-Strecke (vgl. [[Elektrokardiogramm#Nomenklatur und Normwerte|EKG-Nomenklatur]]) zeigen, so wird der Begriff ''ST-Hebungsinfarkt'' (Abk. ''STEMI'' für ''ST-elevation myocardial infarction'') verwendet. Bei Patienten ohne eine solche ST-Hebung kann erst nach drei bis vier Stunden mit Hilfe von Laboruntersuchungen zwischen Nicht-ST-Hebungsinfarkt (Abk. ''NSTEMI'' für ''Non-ST-elevation myocardial infarction'') und instabiler [[Angina pectoris]] unterschieden werden. Während in den für Deutschland geltenden Leitlinien<ref>C. W. Hamm: ''Leitlinien: Akutes Koronarsyndrom (ACS) – Teil 1: ACS ohne persistierende ST-Hebung.'' In: ''Z Kardiol'', 2004, 93, S.&nbsp;72–90, [http://leitlinien.dgk.org/images/pdf/leitlinien_volltext/2004-02_acs_teil_1.pdf leitlinien.dgk.org] (PDF)</ref> STEMI und NSTEMI als endgültige Diagnosen angesehen werden, unterscheiden die US-amerikanischen Leitlinien<ref name="Antman">{{Cite journal|author = Elliott M. Antman u.&nbsp;a. | title = ACC/AHA guidelines for the management of patients with ST-elevation myocardial infarction; A report of the American College of Cardiology/American Heart Association Task Force on Practice Guidelines (Committee to Revise the 1999 Guidelines for the Management of patients with acute myocardial infarction) | journal = [[Journal of the American College of Cardiology]] | date = 2004-08-04 | pages = E1–E211 | volume = 44 | doi = 10.1016/j.jacc.2004.07.014 | pmid = 15358047}}</ref> zwischen ''Q-wave myocardial infarction'' (Qw MI) und ''Non-Q-wave myocardial infarction'' (NQMI) als abschließender Diagnose. Diese Unterscheidung zwischen transmuralen (die gesamte Dicke der Wandschicht des Herzens betreffend) und nicht-transmuralen Myokardinfarkten ist auch in den deutschsprachigen Ländern gebräuchlich und wird anhand von Veränderungen des QRS-Komplexes im EKG getroffen, die in der Regel erst nach zwölf Stunden, oft auch erst nach einem Tag, erkennbar sind.<br />
<br />
=== Pathophysiologie ===<br />
Die Mehrzahl der Herzinfarkte entsteht im Rahmen einer [[Koronare Herzkrankheit|koronaren Herzkrankheit]] (KHK). Wie alle akuten Koronarsyndrome beim Menschen werden sie fast immer durch eine plötzliche Minderdurchblutung in einem Herzkranzgefäß hervorgerufen, die auf eine [[Arteriosklerose|arteriosklerotische]] Gefäßveränderung mit zusätzlichen Blutgerinnseln („Koronarthrombose“) zurückzuführen ist und von einer krampfartigen Gefäßverengung (Koronarspasmus) begleitet sein kann.<ref name="ESC2003" /> Das sich daraus entwickelnde Krankheitsbild hängt von der Lokalisation, der Schwere und der Dauer der Durchblutungsstörung des Herzmuskels ab. Bei ST-Hebungsinfarkten zeigt sich im akuten Stadium bei über 90 % ein durch Blutgerinnsel ''([[Thrombus|Thromben]])'' verschlossenes [[Herzkranzgefäß]]. Bei NSTEMI sind nur in etwa 50 % der Fälle Thromben in den Kranzgefäßen nachweisbar.<br />
<br />
65–75 % der ST-Hebungsinfarkte entstehen durch die Ruptur eines [[Vulnerable Plaque|„vulnerablen“ Plaques]], also den Einriss der dünnen [[Bindegewebe|fibrösen]] Kappe einer entzündlich veränderten [[Lipide|lipid]]<nowiki />reichen Gefäßwandveränderung. Etwa 75 % der Infarkte entstehen an nur leicht oder mittelgradig veränderten Abschnitten der Herzkranzgefäße.<br />
<br />
Deutlich seltener ist ein Herzinfarkt die Folge einer anderen Erkrankung. In Frage kommen Verschlüsse der Herzkranzgefäße durch andere Ursachen, wie langanhaltende „Verkrampfungen“ ''([[Spasmus|Spasmen]])'' bei [[Prinzmetal-Angina]] oder im Rahmen einer allergischen Reaktion ([[Kounis-Syndrom]]) und [[Embolie]]n bei einer [[Endokarditis]] oder einer [[Disseminierte intravasale Koagulopathie|disseminierten intravasalen Koagulopathie (DIC)]]. Auch Blutungen oder Tumoren am Herzen sowie Einrisse der Gefäßinnenwand ''(Intima)'' bei einer [[Aortendissektion]] können zum Verschluss eines Kranzgefäßes und damit zum Herzinfarkt führen.<br />
<br />
Wenn seine Blutzufuhr komplett unterbrochen ist, beginnt der Herzmuskel nach 15–30&nbsp;Minuten abzusterben. Dieser Vorgang der Infarzierung beginnt innen, in der den Herzkammern zugewandten Schicht, und setzt sich zeitabhängig nach außen, zum Herzbeutel hin, fort.<br />
<br />
=== Infarktlokalisation ===<br />
[[Datei:Coronary arteries.svg|mini|350px|Die Herzkranzgefäße sind mit roter Schrift gekennzeichnet.]]<br />
Herzinfarkte ereignen sich in unterschiedlichen Bereichen des Herzmuskels, abhängig davon, welches Gefäß betroffen ist und welcher Abschnitt des Herzmuskels von dem jeweiligen Gefäß mit Blut versorgt wird. Da es eine große Variabilität der Herzarterien gibt, kann man keine strengen Regeln für die Infarktlokalisation aufstellen.<ref>Gerd Herold und Mitarbeiter: ''Innere Medizin. Eine vorlesungsorientierte Darstellung.'' 2011, S.&nbsp;247.</ref> Häufig führen Verschlüsse der rechten Koronararterie (RCA – Right Coronary Artery) zu sogenannten Hinterwandinfarkten und krankhafte Veränderungen der linken Herzarterie (LCA – Left Coronary Artery) zu Vorderwandinfarkten. Der übliche Ausdruck Hinterwandinfarkt ist dabei insofern irreführend, als es sich zumeist um einen inferioren Infarkt handelt, also in einem dem Zwerchfell (Diaphragma) zugewandten unteren Areal (zum streng posterioren Infarkt siehe unten). Je näher der Verschluss zum Abgang der jeweiligen Arterie von der Aorta liegt (man sagt proximal), desto größer ist das Infarktareal; je weiter entfernt (man sagt distal), desto kleiner ist das minderversorgte Muskelgebiet.<br />
<br />
Im Einzelnen unterscheidet man so proximale Verschlüsse der RCA, die zu einem rechtsventrikulären Infarkt oder einem inferioren (zur Herzspitze gelegenen) Hinterwandinfarkt führen, und Prozesse in einem Ast der RCA, dem Ramus posterolateralis dexter, die zu einem Hinterseitenwandinfarkt führen. Die Einteilung ist komplizierter, wenn die linke Herzarterie (LCA) betroffen ist, da diese mehr Äste besitzt. Der sogenannte Hauptstamm der LCA ist sehr kurz und teilt sich gleich in den Ramus circumflexus (RCX) und den Ramus interventricularis anterior (RIVA). Der RIVA wird im englischsprachigen Raum als LAD (Left Anterior Descending) bezeichnet; doch auch im deutschsprachigen Raum (zum Beispiel in der Herzchirurgie) wird anstelle von RIVA oft der Begriff ''LAD'' verwendet. Verschlüsse der RCX führen oft zu einem posterioren (zum Rücken) gelegenen Hinterwandinfarkt. Der posteriore Hinterwandinfarkt heißt in der Nomenklatur der Pathologen Seitenwand- oder Kanteninfarkt.<ref>Werner Böcker (Hrsg.): ''Pathologie.'' 4. Auflage. Urban und Fischer, 2008, S.&nbsp;479.</ref> Proximale Verschlüsse der RIVA führen zu einem großen Vorderwandinfarkt, distale RIVA-Verschlüsse führen zu einem anteroseptalen Infarkt; dabei ist die Herzscheidewand betroffen. Ein Verschluss des Diagonalastes der RIVA führt zu einem Lateralinfarkt. Die verschiedenen Infarkttypen verursachen charakteristische EKG-Veränderungen. Sieht man zum Beispiel direkte Infarktzeichen (ST-Hebungen) in allen Brustwandableitungen (V1-V6), handelt es sich (bezogen auf das Gefäßversorgungsgebiet) um einen großen Vorderwandinfarkt. Dann findet sich meistens ein proximaler Verschluss der RIVA. Die entsprechende Zuordnung aufgrund des EKGs ist aber vorläufig und kann nur durch eine Coronarangiographie bewiesen werden. Da die Muskelmasse und damit auch das Versorgungsgebiet des rechten Ventrikels kleiner als des linken ist und zu dessen Durchblutung folglich auch eine längere Gefäßstrecke notwendig ist, die erkranken kann, ist bei den Herzinfarkten auch statistisch überwiegend die linke Koronararterie betroffen.<br />
<br />
=== Risikofaktoren ===<br />
[[Datei:Ursachen Herzinfarkt etc.png|mini|200px|Ursachen des Herzinfarktes]]<br />
<br />
Da Herzinfarkte die Folge einer [[Atherosklerose]] der Herzkranzgefäße ([[Koronare Herzkrankheit]]) sind, sind die Hauptrisikofaktoren solche, die zur Atherosklerose führen:<br />
* [[Tabakrauchen|Tabakkonsum]],<br />
* [[Diabetes mellitus]] (Zuckerkrankheit),<br />
* [[Bluthochdruck]]<br />
* [[Hypercholesterinämie]]<br />
* familiäre Belastung (früh auftretende Herzkreislauferkrankungen wie Infarkt oder [[Schlaganfall]] bei nahen [[Blutsverwandtschaft|Blutsverwandten]])<br />
* ererbte oder erworbene [[Hyperlipoproteinämie|Störung des Fettstoffwechsels]]. Hierbei sind vor allem ein erhöhtes [[Low Density Lipoprotein|LDL]], erhöhtes [[Intermediate Density Lipoprotein|IDL]], niedriges [[High Density Lipoprotein|HDL]] und erhöhte [[Triglyceride]] problematisch.<br />
<br />
Einige der o. g. Risikofaktoren verstärken sich bei [[Übergewicht]], [[Fehlernährung]] und [[Bewegungsmangel]]. Für die Berechnung des individuellen Risikos gibt es Software wie den [[Arriba-Rechner]]. Trotz tendenzieller Gewichtszunahme bei Rauchstopp verringert dieser das Risiko, an einer Herz-Kreislauf-Erkrankung zu erkranken.<ref name="PMID23483176">C. Clair, N. A. Rigotti u.&nbsp;a.: ''Association of smoking cessation and weight change with cardiovascular disease among adults with and without diabetes.'' In: ''JAMA.'' Band 309, Nummer 10, März 2013, S.&nbsp;1014–1021, [[doi:10.1001/jama.2013.1644]]. PMID 23483176. {{PMC|3791107}}.</ref><br />
<br />
==== Stress und Wut ====<br />
<br />
Auslösende Faktoren für einen Infarkt können plötzliche Belastungen und Stresssituationen mit starken Blutdruckschwankungen sein; 40 % aller Infarkte ereignen sich in den frühen Morgenstunden (zwischen 6 und 10 Uhr). Infarkte treten montags häufiger als an anderen Wochentagen auf, auch bei Rentnern nach dem 60. Lebensjahr.<br />
<br />
In Japan bezeichnet [[Karōshi]] den „Tod durch Überarbeiten“, der meist als Herzinfarkt oder Schlaganfall auftritt.<br />
<br />
Der Anteil psychosozialer Faktoren wie Depression, Angst, Persönlichkeit, Charakter, sozialer Isolation und chronischem Stress bei der Entstehung einer KHK wird seit Jahrzehnten ohne klares Ergebnis untersucht.<ref>Zu den Studien, in denen emotionale [[Prognose|Prädiktoren]] nachgewiesen werden konnten, zählt z.&nbsp;B. die folgende: Stephen Manuck, Frederick N. Garland: ''Coronary-Prone Behavior Pattern, Task Incentive, and Cardiovascular Response'', Psychophysiology, Band 16, Heft 2, März 1979, S.&nbsp;136–142, [[doi:10.1111/j.1469-8986.1979.tb01458.x]].</ref> Gesundheitsschädliches Verhalten, Stress, Rauchen, zu reichliche Ernährung etc. haben unzweifelhaft Einfluss. Diskutiert wird weiter, inwieweit beispielsweise eine Aktivierung von Blutplättchen oder des neuroendokrinen Systems mit Ausschüttung von Stresshormonen mit den Folgen einer Verengung der Blutgefäße, Verschlechterung der Fließeigenschaften des Blutes sowie Anstieg von Herzfrequenz und Blutdruck zusätzliche auslösende Qualitäten aufweist.<ref>{{cite journal|author=A. Rozanski, J. A. Blumenthal, J. Kaplan|title=Impact of Psychological Factors on the Pathogenesis of Cardiovascular Disease and Implications for Therapy|journal=[[circulation]]|volume=|issue=|pages=2192–2217|year=1999|pmid=10217662|doi=}}</ref> Eine Studie aus dem Jahr 2006 zur Zeit der [[Fußball-Weltmeisterschaft 2006|Fußball-Weltmeisterschaft]] hat gezeigt, dass die mit [[Fußball]] verbundenen Emotionen das Risiko für einen Infarkt erheblich steigern und dass dies besonders für Menschen zutrifft, die eine bekannte koronare Herzkrankheit haben.<ref>{{cite journal|author=U. Wilbert-Lampen, D. Leistner, S. Greven, T. Pohl, S. Sper, C. Völker, D. Güthlin, A. Plasse, A. Knez, H. Küchenhoff, G. Steinbeck |title=Cardiovascular Events during World Cup Soccer |journal=[[The New England Journal of Medicine]] |volume=358 |issue=5 |pages=475–483 |year=2008 |pmid= |doi= 10.1056/NEJMoa0707427 }}</ref> Diese Erkenntnis wird jedoch in der wissenschaftlichen Literatur kontrovers diskutiert: So konnte eine zweite Studie im gleichen Zeitintervall in der gleichen Region (Bayern) keinen Einfluss der Fußballweltmeisterschaft 2006 auf das Risiko eines Myokardinfarkts nachweisen.<ref name="PMID24182671">D. Niederseer, C. W. Thaler u.&nbsp;a.: ''Watching soccer is not associated with an increase in cardiac events.'' In: ''International journal of cardiology.'' Band 170, Nummer 2, Dezember 2013, S.&nbsp;189–194, [[doi:10.1016/j.ijcard.2013.10.066]]. PMID 24182671.</ref><br />
<br />
Auch andere emotionale Faktoren leisten der Krankheit Vorschub. So konnte nachgewiesen werden, dass gewohnheitsmäßige, schlecht gehandhabte [[Wut]] ein machtvoller Prädiktor für Herzinfarkte ist. Infarktpatienten, die sich einem [[Anti-Aggressivitäts-Training]] unterzogen, erlitten unter Studienbedingungen weniger häufig einen zweiten Infarkt als Personen der Vergleichsgruppe.<ref name="PMID1632389">G. Ironson, C. B. Taylor u.&nbsp;a.: ''Effects of anger on left ventricular ejection fraction in coronary artery disease.'' In: ''The American journal of cardiology.'' Band 70, Nummer 3, August 1992, S.&nbsp;281–285, PMID 1632389.</ref><ref>Redford Williams: ''The Trusting Heart'', New York: Times Books/Random House, 1989.</ref><ref>Lyndra H. Powell: ''Emotional Arousal as a Predictor of Long-Term Mortality and Morbidity in Post M. I. Men'', Circulation, Band 82, Heft 4, Supplement III, Oktober 1990</ref><ref name="PMID7671353">M. A. Mittleman, M. Maclure u.&nbsp;a.: ''Triggering of acute myocardial infarction onset by episodes of anger. Determinants of Myocardial Infarction Onset Study Investigators.'' In: ''Circulation.'' Band 92, Nummer 7, Oktober 1995, S.&nbsp;1720–1725, PMID 7671353.</ref><br />
<br />
==== Alkohol ====<br />
<br />
Bei übermäßigem [[Alkoholkonsum]] ist das Risiko für einen Herzinfarkt und verschiedene andere schwere Erkrankungen erhöht. Hinsichtlich der Sterblichkeit gibt es Hinweise auf eine [[Korrelation]] zwischen einem regelmäßigen Konsum von ''geringen'' und mehr noch „mäßigen“ Mengen [[Ethanol|Alkohol]] und einem niedrigeren Risiko, an Herzkreislauferkrankungen zu sterben.<ref>{{cite journal|author=K. J. Mukamal, C. M. Chen, S. R. Rao und R. A. Breslow|title=Alcohol consumption and cardiovascular mortality among US adults, 1987 to 2002|journal=Am Coll Cardiol|issue=55|pages=1328–1335|year=2010|doi=10.1016/j.jacc.2009.10.056}}</ref> Insgesamt betrachtet stellen dennoch selbst geringe Mengen Alkohol eine Schädigung für den Körper dar.<ref>{{Literatur |Autor=Iona Y. Millwood, Robin G. Walters, Xue W. Mei, Yu Guo, Ling Yang |Titel=Conventional and genetic evidence on alcohol and vascular disease aetiology: a prospective study of 500 000 men and women in China |Sammelwerk=The Lancet |Band=393 |Nummer=10183 |Datum=2019-05-04 |ISSN=0140-6736 |Sprache=en |DOI=10.1016/S0140-6736(18)31772-0 |PMID=30955975}}</ref><br />
<br />
==== Infektion ====<br />
Eine akute Infektionskrankheit erhöht das Risiko eines Herzinfarktes. Bereits in den 1920er Jahren wurde erkannt, dass während einer Influenza-Epidemie die Herzinfarktrate anstieg.<ref>{{Literatur |Autor=S D Collins |Titel=Excess mortality from causes other than influenza and pneumonia during influenza epidemics. |Sammelwerk=Public Health Rep (1896–1970) |Band=47 |Datum=1932 |Seiten=2159-2179 |Sprache=en}}</ref> Die gleiche Beobachtung wurde bei Lungenentzündung, akuter Bronchitis und anderen Atemwegsinfektionen gemacht. Eine neuere Studie ergab nach einer Influenza-Infektion ein sechsfach erhöhtes Infarktrisiko, nach [[Respiratory-Syncytial-Virus|RSV-Infektion]] ein vierfach und nach anderen virusbedingten Atemwegserkrankungen ein dreifach erhöhtes Infarktrisiko.<ref>{{Literatur |Autor=Jeffrey C. Kwong, Kevin L. Schwartz, Michael A. Campitelli, Hannah Chung, Natasha S. Crowcroft |Titel=Acute Myocardial Infarction after Laboratory-Confirmed Influenza Infection |Sammelwerk=The New England Journal of Medicine |Band=378 |Nummer=4 |Datum=2018-01-25 |ISSN=1533-4406 |Seiten=345–353 |Sprache=en |DOI=10.1056/NEJMoa1702090 |PMID=29365305}}</ref> Auch für bakterielle Infektionen mit Pneumokokken und Haemophilus influenzae wurde eine Steigerung der Infarktrate nachgewiesen.<ref>{{Literatur |Autor=Julio Ramirez, Stefano Aliberti, Mehdi Mirsaeidi, Paula Peyrani, Giovanni Filardo |Titel=Acute myocardial infarction in hospitalized patients with community-acquired pneumonia |Sammelwerk=Clinical Infectious Diseases: An Official Publication of the Infectious Diseases Society of America |Band=47 |Nummer=2 |Datum=2008-07-15 |ISSN=1537-6591 |Seiten=182–187 |Sprache=en |DOI=10.1086/589246 |PMID=18533841}}</ref> Harnwegsinfektionen und Bakteriaemien erhöhen ebenfalls das Infarktrisiko.<ref>{{Literatur |Autor=Liam Smeeth, Sara L Thomas, Andrew J Hall, Richard Hubbard, Paddy Farrington |Titel=Risk of myocardial infarction and stroke after acute infection or vaccination |Sammelwerk=The New England Journal of Medicine |Band=351 |Nummer=25 |Datum=2004-12-16 |ISSN=1533-4406 |Seiten=2611–2618 |Sprache=en |DOI=10.1056/NEJMoa041747 |PMID=15602021}}</ref> Als Erklärung wird angenommen, dass [[Atherosklerose|atheroskleroischer Plaques]] zahlreiche [[Entzündung]]szellen enthalten. Bei einer Infektion werden verschiedene [[Zytokine]] wie zum Beispiel [[IL1]], [[Interleukin-6|IL6]], [[IL8]] und [[TNF-alpha]] ausgeschüttet. Diese stimulieren die Entzündungszellen im atheroskleroischen Plaque und begünstigen eine Destabilisierung mit folgender Thrombose und Verschluss.<ref>{{Literatur |Autor=Daniel M Musher, Michael S Abers, Vicente F Corrales-Medina |Titel=Acute Infection and Myocardial Infarction |Sammelwerk=New England Journal of Medicine |Band=380 |Nummer=2 |Datum=2019-01-10 |ISSN=0028-4793 |Seiten=171–176 |Sprache=en |DOI=10.1056/NEJMra1808137}}</ref><br />
<br />
==== Weitere Risikofaktoren ====<br />
<br />
Ein erhöhter Blutspiegel von [[Homocystein]] ''(Hyperhomocysteinämie)'' ist ebenfalls ein unabhängiger Risikofaktor, die verfügbaren Therapieansätze zur Senkung des Homocysteinspiegels führen allerdings nicht zu einer Senkung des kardiovaskulären Risikos.<br />
<br />
Auch ein niedriger Blutspiegel des [[Cholecalciferol|Vitamin D3]] (25-Hydroxy-Cholecalciferol) korreliert möglicherweise mit einem erhöhten Infarktrisiko. Eine prospektive Fall-Kontroll-Studie zeigte, dass Männer mit niedrigeren Vitamin-D3-Spiegeln ein doppelt so hohes Infarktrisiko hatten wie jene mit höheren. Männer mit mittleren Spiegeln an Vitamin D3 (15,0–22,5&nbsp;ng/ml) waren im Vergleich zu jenen mit höheren offenbar noch vermehrt infarktgefährdet.<ref>Leicht abgewandelt zitiert nach E. Giovannuchi et al.: ''25-hydroxyvitamin D and risk of myocardial infarction in men: a prospective study''. [[Arch Intern Med]] (2008) 168, 11: S.&nbsp;1174–1180, PMID 18541825.</ref> Ob dies in einer mangelhaften Zufuhr des Vitamin D oder einem verminderten Umbau des [[7-Dehydrocholesterol]] bzw. 25-Hydroxy-Cholecalciferol in der Leber und Haut begründet ist, der auf einer auch für den Herzinfarkt ursächlichen Disposition beruhen könnte, wurde nicht untersucht.<br />
<br />
Schlechte [[Compliance (Medizin)|Compliance]] ist ein Risikofaktor für ein Fortschreiten der Erkrankung. Eine Analyse der Einnahme fettsenkender Medikamente ([[Statin]]e), [[Betablocker]] und [[Calciumantagonist]]en nach Herzinfarkt zeigte, dass eine schlechte Compliance eine Erhöhung der [[Mortalität]] innerhalb von 2,4 Jahren für Statine um 25 % und für Betablocker um 13 % hatte. Bei den Kalziumantagonisten ergab sich keine Beziehung zwischen Mortalität und Zusammenarbeit.<ref>Zitiert nach ''Schlechte Compliance ist tödlich.'' MMW-Fortschr. Med. Nr. 5/2007 (149. Jg.), S.&nbsp;22 und zitiert nach J. N. Rasmussen et al.: JAMA, 297 (2007) S.&nbsp;177–186.</ref><br />
<br />
Träger der [[Blutgruppe]] AB sind am stärksten herzinfarktgefährdet, diejenigen der Gruppe 0 dagegen am wenigsten.<ref name="welt-108632484">{{Internetquelle |url=https://www.welt.de/gesundheit/article108632484/Blutgruppe-hat-Einfluss-auf-Herzinfarkt-Risiko.html |titel=Blutgruppe hat Einfluss auf Herzinfarkt-Risiko |werk=[[Die Welt#Online-Ausgabe|welt.de]] |datum=2012-08-15 |abruf=2014-12-26}}</ref><ref>{{Cite journal|author = Meian He u.&nbsp;a. | title = ABO Blood Group and Risk of Coronary Heart Disease in Two Prospective Cohort Studies | url = http://atvb.ahajournals.org/content/early/2012/08/14/ATVBAHA.112.248757 | journal = [[Arteriosclerosis, Thrombosis, and Vascular Biology]] | date = 2012-08-14 | accessdate = 2013-06-08 | doi = 10.1161/ATVBAHA.112.248757 | pmid = 22895671}}</ref><br />
<br />
Ein weiterer Risikofaktor ist das Vorhandensein einer [[Migräne]] mit [[Aura (Migräne)|Aura]]. Dieser Risikofaktor ist laut einer Studie nach der [[Arterielle Hypertonie|arteriellen Hypertonie]] der zweitwichtigste Risikofaktor für Herzinfarkt und [[Schlaganfall]].<ref name="aerzteblatt-53048">{{Internetquelle |autor=rme |url=http://www.aerzteblatt.de/nachrichten/53048/Migraene-mit-Aura-als-Herzinfarkt-und-Thromboserisiko |titel=Migräne mit Aura als Herzinfarkt- und Thromboserisiko |werk=[[Deutsches Ärzteblatt|aerzteblatt.de]] |datum=2013-01-16 |abruf=2014-12-26}}</ref><br />
<br />
Auch eine Allergieneigung kann das Risiko für ein kardiales Ereignis erhöhen ([[Kounis-Syndrom]]).<br />
<br />
Epidemiologische Studien zur Wirtschaftskrise in Griechenland und zum Tropensturm Katrina in New Orleans zeigen auch, dass es nach Krisen vermehrt zu Herzinfarkten kommt. Dies könnte entweder an fehlenden Medikamenten oder posttraumatischem Stress liegen, dem die Menschen ausgesetzt sind.<ref>[https://www.eurekalert.org/news-releases/697053 Heart attack rates rise with plunging GDP in Greece’s financial crisis]</ref><ref>[https://www.eurekalert.org/news-releases/710150 Higher heart attack rates continue 6 years after Katrina]</ref><ref>[https://www.eurekalert.org/news-releases/814628 Changes in heart attack timing continue years after hurricane]</ref><ref>[https://www.eurekalert.org/news-releases/745720 PTSD linked to insulin resistance and metabolic syndrome, early markers of heart disease]</ref><br />
<br />
Auch der Wohnort könnte eine gewisse Rolle spielen. So zeigt eine neue europäische [[Kohortenstudie]], dass eine Feinstaubbelastung bereits unterhalb der EU-Grenzwerte zu einem höheren Risiko für ein koronares Ereignis führt.<ref name="DOI10.1136/bmj.f7412">G. Cesaroni, F. Forastiere u.&nbsp;a.: ''Long term exposure to ambient air pollution and incidence of acute coronary events: prospective cohort study and meta-analysis in 11 European cohorts from the ESCAPE Project.'' In: ''BMJ.'' Band 348, 2014, S.&nbsp;f7412, PMID 24452269. {{PMC|3898420}}.</ref><br />
<br />
An sehr kalten Tagen steigt die Zahl der Herzinfarkte.<ref>{{Literatur |Autor=Marc J. Claeys, Sanjay Rajagopalan, Tim S. Nawrot, Robert D. Brook |Titel=Climate and environmental triggers of acute myocardial infarction |Sammelwerk=European Heart Journal |Datum=2016-04-22 |ISSN=0195-668X |Seiten=ehw151 |Sprache=en |DOI=10.1093/eurheartj/ehw151}}</ref> Starke Kälte belastet die Herzkranzgefäße, indem sich die Gefäße verengen und die Blutversorgung des Herzmuskels vermindern, der dadurch weniger Sauerstoff bekommt. Gleichzeitig werden auch die Widerstandsgefäße im übrigen Körper verengt – das hat einen Blutdruckanstieg zur Folge-, so dass das Herz gegen einen größeren Widerstand anpumpen muss. Darüber hinaus existieren erste Hinweise auf ähnliche Zusammenhänge zwischen der kälteren Jahreszeit und dem häufigeren Auftreten von Schlaganfällen, Lungenembolien und bestimmten Herzrhythmusstörungen.<ref>{{Internetquelle |url=https://www.herzstiftung.de/ihre-herzgesundheit/gesund-bleiben/klima-und-umwelt/herzprobleme-bei-kaelte |titel=Herzprobleme bei Kälte |abruf=2021-02-09}}</ref> Andererseits gibt es aber auch kanadische Studien, die einen Zusammenhang zwischen zu warmen Nächten und dem Herzinfarkt belegen, besonders bei Männern. Zwei Drittel der Opfer in den besonders heißen Sommerphasen im Juni und Juli waren Männer. Mit jedem Grad wärmer in der Nacht stieg das Risiko eines tödlichen Herzinfarkts für die Männer um vier Prozent.<ref>Tödliche warme Nächte, In: [[Frankfurter Allgemeine Zeitung]] vom 6. April 2022</ref><br />
<br />
==== Prävention ====<br />
Die Empfehlungen der ''American Heart Association (AHA)'' von 2021 beinhalten folgende evidenzbasierte Richtlinien zur Ernährung:<ref>{{Literatur |Autor=Alice H. Lichtenstein, Lawrence J. Appel, Maya Vadiveloo, Frank B. Hu, Penny M. Kris-Etherton |Titel=2021 Dietary Guidance to Improve Cardiovascular Health: A Scientific Statement From the American Heart Association |Sammelwerk=Circulation |Datum=2021-11-02 |ISSN=0009-7322 |Seiten=CIR.0000000000001031 |Sprache=en |DOI=10.1161/CIR.0000000000001031}}</ref><ref>{{Internetquelle |url=https://www.foodpolitics.com/2021/11/american-heart-association-issues-forward-thinking-dietary-guidelines/ |autor=Marion Nestle |titel=The American Heart Association’s new and groundbreaking dietary guidelines |hrsg=Food Politics |datum=2021-11-16 |abruf=2022-06-29 |sprache=en-US}}</ref><br />
* Energiezufuhr auf Verbrauch einstellen, um ein gesundes Körpergewicht zu erreichen und zu halten<br />
* Viel Obst und Gemüse essen und eine bunte Vielzahl wählen<br />
* Vollkornprodukte statt Weißmehlprodukten konsumieren<br />
* Gesunde Formen von Eiweiß konsumieren:<br />
# vorwiegend pflanzliches Eiweiß wählen (Hülsenfrüchte, Nüsse)<br />
# Fisch und Meeresfrüchte<br />
# fettarme Milchprodukte<br />
# wenn Fleisch oder Geflügel gewünscht sind, fettarmes und unbearbeitetes Fleisch wählen<br />
* flüssige Pflanzenöle bevorzugen gegenüber tropischen Ölen (Kokos, Palm, Palmkern), tierischen Fetten oder gehärteten Fetten<br />
* Minimal verarbeitete Lebensmittel statt [[NOVA (Lebensmittelklassifikation)#Hochverarbeitete Lebensmittel|hochverarbeitete Lebensmittel]] wählen<br />
* Mahlzeiten mit keinem oder wenig Salz zubereiten<br />
* Wer keinen Alkohol trinkt, sollte nicht damit anfangen, wer doch Alkohol trinkt, sollte den Konsum reduzieren<br />
* Sich immer an diese Richtlinien halten, unabhängig davon, wo Lebensmittel zubereitet oder konsumiert werden<br />
<br />
== Krankheitsbild ==<br />
=== Symptome ===<br />
[[Datei:AMI pain front.png|mini|Schmerzempfindung<br />rot: häufig und stark<br />rosa: selten oder ausstrahlend]]<br />
[[Datei:AMI pain back.png|mini|Legende s. o.]]<br />
<br />
Die meisten Patienten klagen über Brustschmerzen unterschiedlicher Stärke und Qualität. Typisch ist ein starkes Druckgefühl hinter dem Brustbein ''([[retrosternal]])'' oder Engegefühl im ganzen Brustkorb (als ob „jemand auf einem sitzen würde“). Auch stechende oder reißende Schmerzen werden beschrieben. Die Schmerzen können in die Arme (häufiger links), den Hals, die Schulter, den Oberbauch und den Rücken ausstrahlen. Oft wird von einem „[[Vernichtungsschmerz]]“ gesprochen, der mit [[Atemnot]], Übelkeit und Angstgefühl („Todesangst“) einhergeht.<br />
<br />
Im Gegensatz zum [[Angina pectoris|Angina-pectoris]]-Anfall bessern sich diese Beschwerden oft nicht durch Anwendung von [[Nitroglycerin]].<br />
<br />
Frauen sowie ältere Patienten zeigen im Vergleich zu Männern bzw. jüngeren Patienten häufiger atypische, diffusere Symptome;<ref name="ACSwomen">{{cite journal |author=J. G. Canto, R. J. Goldberg, M. M. Hand et al.|title=Symptom presentation of women with acute coronary syndromes: myth vs reality |journal=Arch. Intern. Med. |volume=167 |issue=22 |pages=2405–2413 |year=2007 |month=December |pmid=18071161 |doi=10.1001/archinte.167.22.2405}}</ref> häufig sind es Atemnot, Schwäche, Magenverstimmungen und körperliche Erschöpfungszustände.<ref name="Kosuge">{{cite journal|last=Kosuge | first=M. | coauthors= K. Kimura, T. Ishikawa et al.| title=Differences between men and women in terms of clinical features of ST-segment elevation acute myocardial infarction | journal=Circulation Journal | volume=70 | issue=3 | pages=222–226 | date=2006-03 | pmid=16501283 | doi=10.1253/circj.70.222 }}</ref> Erschöpfung, Schlafstörungen und Atemnot wurden als häufig auftretende Symptome genannt, welche bereits bis zu einem Monat vor dem eigentlichen Infarktereignis auftreten können. Schmerzen im Brustkorb können bei Frauen eine geringere Voraussagekraft haben als bei Männern.<ref name="McSweeney">{{cite journal |author=J. C. McSweeney, M. Cody, P. O’Sullivan, K. Elberson, D. K. Moser, B. J. Garvin| title=Women’s early warning symptoms of acute myocardial infarction | journal=Circulation | year=2003 | pages=2619–2623 | volume=108 | issue=21 | pmid=14597589 | doi = 10.1161/01.CIR.0000097116.29625.7C}}</ref><br />
<br />
Manche Herzinfarkte verursachen keine, nur geringe oder untypische Symptome und werden manchmal erst zu einem späteren Zeitpunkt diagnostiziert, z.&nbsp;B. anlässlich einer [[Elektrokardiogramm|EKG]]-Untersuchung. So wurde ein Teil der in den 30 Jahren der [[Framingham-Herz-Studie|Framingham-Studie]] diagnostizierten Infarkte nur auf Grund der routinemäßig angefertigten EKG festgestellt; fast die Hälfte von ihnen war ohne Symptome verlaufen („stille“ oder „stumme“ Infarkte). Der Anteil unbemerkter Infarkte war bei Frauen (35 %) höher als bei Männern (28 %).<ref name="PMID3779719">[[William B. Kannel|W. B. Kannel]]: ''Silent myocardial ischemia and infarction: insights from the Framingham Study.'' In: ''Cardiology clinics.'' Band 4, Nummer 4, November 1986, S.&nbsp;583–591, PMID 3779719.</ref><br />
<br />
Von den mehr als 430.000 Patienten, die bis 1998 in US-amerikanischen Krankenhäusern in das Register ''National Registry of Myocardial Infarction 2'' aufgenommen wurden, hatten 33 % bei Krankenhausaufnahme keine Brustschmerzen. Bei den Patienten ohne Brustschmerzen fanden sich mehr Frauen, mehr Ältere und mehr Diabetiker.<ref name="PMID10866870">J. G. Canto, M. G. Shlipak u.&nbsp;a.: ''Prevalence, clinical characteristics, and mortality among patients with myocardial infarction presenting without chest pain.'' In: ''JAMA.'' Band 283, Nummer 24, Juni 2000, S.&nbsp;3223–3229, PMID 10866870.</ref> Auch in der EKG-Untersuchung werden zahlreiche stumme Infarkte nicht erkannt, die sich aber im [[Einzelphotonen-Emissionscomputertomographie|SPECT]] nachweisen lassen,<ref name="PMID23597799">N. Arenja, C. Mueller u.&nbsp;a.: ''Prevalence, extent, and independent predictors of silent myocardial infarction.'' In: ''The American journal of medicine.'' Band 126, Nummer 6, Juni 2013, S.&nbsp;515–522, [[doi:10.1016/j.amjmed.2012.11.028]]. PMID 23597799.</ref> insbesondere bei Diabetikern.<br />
<br />
Menschen mit [[Diabetes mellitus]] haben häufig ein vermindertes Schmerzempfinden. Sie nehmen aufgrund von Nervenschädigungen erste Symptome wie Brustschmerz kaum wahr. Ein chronisch hoher Blutzucker begünstigt die Arteriosklerose als Ursache von Herzinfarkt und Schlaganfall, so dass bei Männern mit Diabetes das Herzinfarktrisiko um das Zwei- bis Vierfache und bei Frauen um das Sechsfache erhöht ist.<ref>[https://www.herzstiftung.de/service-und-aktuelles/presse/pressemitteilungen/archiv/ploetzlicher-herztod-diabetes-erhoeht-risiko ''Plötzlicher Herztod – Diabetes erhöht Risiko.''] Herzstiftung.de, 11. November 2019; abgerufen am 28. März 2022.</ref><br />
<br />
=== Klinische Zeichen ===<br />
Die Befunde der [[Körperliche Untersuchung|körperlichen Untersuchung]] sind variabel; sie reichen vom Normalbefund eines unbeeinträchtigten Patienten bis hin zum bewusstlosen Patienten mit einem Herz-Kreislauf-Stillstand. Eindeutige [[Symptom|klinische Zeichen]] des Herzinfarktes gibt es zwar nicht, typisch aber ist der Gesamteindruck eines schmerzgeplagten Patienten mit Blässe, ängstlich wirkendem Gesichtsausdruck, Erbrechen und Schweißneigung.<br />
<br />
Andere Befunde weisen bereits auf eingetretene Komplikationen hin:<br />
* Pulsunregelmäßigkeiten auf die beim Infarkt häufigen [[Extrasystole]]n,<br />
* Pulsbeschleunigung, beim Abhören ''([[Auskultation]])'' neben den zwei normalen ein dritter Herzton und Rasselgeräusche über der Lunge sowie [[Halsvenenstauung]] auf eine Pumpschwäche des Herzens ([[Herzinsuffizienz]]),<br />
* [[Herzgeräusch]]e auf eine [[Mitralklappeninsuffizienz]], eine [[Perikarditis|Herzbeutelentzündung]] (Perikarditis) oder eine Ventrikelruptur (Herzkammerriss) und<br />
* Kollaps, Bewusstlosigkeit und Herz-Kreislaufstillstand auf schwerwiegende Rhythmusstörungen wie [[Kammerflimmern]], [[ventrikuläre Tachykardie]]n oder [[Asystolie]]n.<br />
<br />
=== Technische Befunde ===<br />
==== Elektrokardiogramm ====<br />
[[Datei:HWI akut.jpg|mini|EKG bei akutem Hinterwand-ST-Strecken-Hebungs-Infarkt (besser: inferiorer Infarkt). Die Pfeile weisen auf deutliche ST-Strecken-Hebungen (STEMI) in den Ableitungen II, III und aVF.]]<br />
<br />
Das wichtigste Untersuchungsverfahren bei Infarktverdacht ist das [[Elektrokardiogramm|EKG]]. Im Akutstadium treten gelegentlich Überhöhungen der T-Wellen (vgl. [[QT-Zeit|EKG-Nomenklatur]]) und häufig Veränderungen der ST-Strecke auf, wobei ST-Strecken-Hebungen auf den kompletten Verschluss eines Herzkranzgefäßes hinweisen. Im weiteren Verlauf kommt es nach etwa einem Tag oft zu einer „Negativierung“ (Ausschlag unterhalb der sogenannten Nulllinie) von T-Wellen. Veränderungen des QRS-Komplexes weisen in dieser Phase auf eine ''transmurale Infarzierung'' hin, einen Gewebsuntergang, der alle Wandschichten des Herzmuskels betrifft. Diese QRS-Veränderungen bleiben in der Regel lebenslang sichtbar und werden oft als „Infarktnarbe“ bezeichnet.<br />
<br />
Auch für die Erkennung und Beurteilung von [[Herzrhythmusstörung]]en als häufige Komplikationen eines Infarktes ist das EKG von entscheidender Bedeutung. Um [[Extrasystole]]n, [[Kammerflimmern]] und [[AV-Block]]ierungen in der Akutphase so rasch wie möglich erkennen und ggf. behandeln zu können, wird in der Akutphase eine kontinuierliche EKG-Überwachung (EKG-[[Monitor (Medizin)|Monitoring]]) durchgeführt.<br />
<br />
Im Anschluss an die Akutphase dient ein [[Belastungs-EKG]] der Beurteilung der Belastbarkeit und Erkennung fortbestehender Durchblutungsstörungen des Herzmuskels, ein [[Langzeit-EKG]] der Aufdeckung anderweitig unbemerkter Herzrhythmusstörungen.<br />
<br />
==== Laboruntersuchungen ====<br />
[[Datei:AMI bloodtests.png|mini|Typischer Verlauf der Blutkonzentration von kardialem Troponin und CK-MB nach einem ST-Hebungsinfarkt<ref name="Antman" />]]<br />
<br />
Als sogenannte [[Biomarker (Medizin)|Biomarker]] werden [[Enzym]]e und andere [[Protein|Eiweiße]] bezeichnet, die von absterbenden Herzmuskelzellen freigesetzt werden. Sie sind im Blut nach einem Herzinfarkt in erhöhter Konzentration messbar.<br />
<br />
Die klassischen und bis Anfang der 1990er Jahre einzigen Biomarker sind die [[Creatin-Kinase]] (CK), deren [[Isoenzym]] CK-MB, die [[Aspartat-Aminotransferase]] (AST, meist noch als GOT abgekürzt) und die [[Lactatdehydrogenase]] (LDH). Hinzugekommen sind seither das [[Myoglobin]] und das [[Kardiales Troponin|Troponin]] (Troponin T und Troponin I, oft abgekürzt als „Trop“). Der neueste Biomarker ist die [[Glycogenphosphorylase]] BB (GPBB). Dieser Biomarker ist herzspezifisch und ein Frühmarker,<ref name="pps1351-1358">D. Peetz, F. Post u.&nbsp;a.: ''Glycogen phosphorylase BB in acute coronary syndromes.'' In: ''Clinical chemistry and laboratory medicine: CCLM / FESCC.'' Band 43, Nummer 12, 2005, S.&nbsp;1351–1358, [[doi:10.1515/CCLM.2005.231]]. PMID 16309372.</ref> findet derzeit (2013) klinisch aber keine Anwendung.<br />
<br />
Die Messung der Blutkonzentrationen dieser Biomarker wird meist in regelmäßigen Abständen wiederholt, da Anstieg, höchster Wert und Abfall der Konzentration Rückschlüsse auf den Zeitpunkt des Infarktbeginns, die Größe des Herzinfarktes und den Erfolg der Therapie erlauben.<br />
<br />
==== Bildgebende Verfahren ====<br />
Die Ultraschalluntersuchung des Herzens ([[Echokardiografie]]) zeigt beim Herzinfarkt eine Wandbewegungsstörung im betroffenen Herzmuskelbereich. Da das Ausmaß dieser Wandbewegungsstörung für die [[Prognose]] des Patienten sehr wichtig ist, wird die Untersuchung bei fast allen Infarktpatienten durchgeführt. In der Akutphase liefert die Echokardiografie bei diagnostischen Unsicherheiten und Komplikationen wichtige Zusatzinformationen, weil sie hilft, die Pumpfunktion und evtl. Einrisse (Ruptur) des Herzmuskels, Schlussunfähigkeiten der Mitralklappe ([[Mitralklappeninsuffizienz]]) und Flüssigkeitsansammlungen im Herzbeutel ([[Perikarderguss]]) zuverlässig zu beurteilen.<br />
<br />
Die Gefäßdarstellung ([[Angiografie]]) der Herzkranzgefäße im Rahmen einer [[Herzkatheteruntersuchung]] erlaubt den direkten Nachweis von Verschlüssen und Verengungen. Sie wird entweder so früh wie möglich als Notfall-Untersuchung zur Vorbereitung einer [[Perkutane transluminale coronare Angioplastie|PTCA]] (vgl. [[#Reperfusionstherapie|Reperfusionstherapie]]) oder im weiteren Verlauf bei Hinweisen auf fortbestehende Durchblutungsstörungen des Herzmuskels durchgeführt.<br />
Nachteilig kann die hohe Strahlenbelastung von bis zu 14,52 mSv sein. Das ist so viel wie bei 725 Röntgen-Thorax-Bildern.<ref>Prashant Kaul von der Abteilung für Kardiovaskuläre Medizin des Duke University Medical Centers in Durham und Kollegen: ''Bericht auf der AHA-Tagung 2009.''</ref> Jedes Jahr werden weltweit mehrere Milliarden Bilder mittels der Strahlentechnik angefertigt – ungefähr ein Drittel dieser Aufnahmen bei Patienten mit akutem Myokardinfarkt. Zwischen den Jahren 1980 und 2006 ist die jährliche Dosis um schätzungsweise 700 % angestiegen.<ref>Zitiert nach Medical Tribune, 27. November 2009, S.&nbsp;3.</ref><br />
<br />
== Diagnostik ==<br />
=== Gängige und neuere Diagnoseverfahren ===<br />
Die Diagnose Herzinfarkt wird gestellt, wenn einer der sogenannten „Biomarker“ (vorzugshalber [[kardiales Troponin]], ersatzweise [[Creatin-Kinase|CK-MB]]) im Blut erhöht und mindestens eines der folgenden Kriterien erfüllt ist:<br />
* typische EKG-Veränderungen oder<br />
* typische Brustschmerzen oder<br />
* unlängst durchgeführte Intervention an einem Herzkranzgefäß (beispielsweise eine [[Angioplastie#Koronarangioplastie|PTCA]]).<br />
<br />
Die Blutkonzentration der Biomarker [[Kardiales Troponin|Troponin]] und [[Creatin-Kinase|CK-MB]] steigt allerdings erst nach drei bis sechs Stunden an, so dass eine verlässliche Diagnose bisher erst nach vier bis sechs Stunden möglich war.<br />
<br />
Neuesten Studien zufolge kann nun eine schnellere und spezifischere Diagnose mittels des neu entdeckten Herzmarkers [[Glycogenphosphorylase]] BB (GPBB) zeitnah erfolgen. Bereits ab der ersten Stunde kann durch GPBB ein Herzinfarkt diagnostiziert werden, so dass die Gefahr der irreversiblen Schädigung des Herzgewebes eingedämmt werden kann.<ref name="pps1351-1358" /><br />
<br />
In dieser Akutphase ist das wichtigste Untersuchungsverfahren ein so schnell wie möglich angefertigtes [[Elektrokardiogramm|EKG]]. Beim Nachweis von ST-Strecken-Hebungen (Vorderwandinfarkt) wird mit einer diagnostischen Sicherheit von über 95 % von einem Infarkt ausgegangen und die entsprechende Behandlung möglichst unverzüglich eingeleitet.<ref>H. R. Arntz et al.: ''Leitlinien zur Diagnostik und Therapie des akuten Herzinfarktes in der Prähospitalphase.'' [[Zeitschrift für Kardiologie]] (2000) 89: S.&nbsp;364–372, [[doi:10.1007/s100490070009]].</ref><br />
<br />
Zeigt das EKG hingegen ST-Strecken-Senkungen oder keine Veränderungen, so kann ein Infarkt (Hinterwandinfarkt) anhand der Biomarker erst sechs Stunden nach Beginn der Symptome mit Sicherheit ausgeschlossen oder bestätigt werden. Bei diagnostischer Unsicherheit in dieser Phase kann der Nachweis einer Wandbewegungsstörung in der Echokardiografie helfen, die Wahrscheinlichkeit und das Ausmaß eines Infarktes besser einzuschätzen.<br />
<br />
=== Differentialdiagnose ===<br />
Wegen der möglicherweise weitreichenden Konsequenzen wurde die Verdachtsdiagnose Herzinfarkt früher oft gestellt, in der Akutsituation mussten dann die [[Differentialdiagnose]]n [[Pneumothorax]], [[Lungenembolie]], [[Aortendissektion]], [[Lungenödem]] anderer Ursache, [[Herpes Zoster]], [[Stress-Kardiomyopathie]], [[Roemheld-Syndrom]], [[Herzneurose]] oder auch [[Kolik|Gallenkolik]] berücksichtigt werden. Nur bei etwa 32 % der Patienten mit Infarktverdacht fand sich tatsächlich ein Herzinfarkt. Heute wird der Begriff ''Infarkt'' bis zu seinem definitiven Nachweis meist vermieden und stattdessen vom [[Akutes Koronarsyndrom|akuten Koronarsyndrom]] gesprochen, um der häufigen diagnostischen Unsicherheit in den ersten Stunden Ausdruck zu verleihen.<br />
<br />
Auch die Infarktdiagnostik ist mit möglichen Fehlern behaftet: Bei einigen Patienten (in einer Untersuchung 0,8 %), vor allem bei älteren Patienten und solchen mit [[Diabetes mellitus]], wird auch im Krankenhaus der Infarkt nicht richtig erkannt.<br />
<br />
Eine außergewöhnliche Verwechslung der Symptome wurden bei einem (eher seltenen) Fall des Verzehrs von [[Pontischer Honig|Honig von der türkischen Schwarzmeerküste]] beobachtet<ref>''Typischer Brustschmerz, aber: Herzinfarkt war Honig-Vergiftung!'' {{Webarchiv |url=http://cme.springer.de/pages/journalArticle/171616/230421/230602.pdf |text=cme.springer.de |wayback=20141226203410}} (PDF; 1,4&nbsp;MB)</ref> (siehe dazu [[Honig#Giftstoffe in Honig und giftige Honigsorten]]).<br />
<br />
== Therapie ==<br />
=== Erste Hilfe ===<br />
Die ersten Minuten und Stunden eines Herzinfarktes sind für den Patienten von entscheidender Bedeutung.<br />
<br />
Innerhalb der ersten Stunde (der sogenannten ''goldenen Stunde'' oder ''golden hour'') bestehen gute Aussichten, den Gefäßverschluss durch eine [[Thrombolyse|Lysetherapie]] oder [[Perkutane transluminale coronare Angioplastie|Herzkatheterbehandlung]] fast vollständig rückgängig zu machen. Daher steht die unverzügliche Alarmierung des [[Rettungsdienst]]es an erster Stelle der für Laien sinnvollen Maßnahmen. Die [[Deutsche Herzstiftung]] empfiehlt für diese Situation:<ref>Deutsche Herzstiftung: ''Herzinfarkt – jede Minute zählt!''. [http://www.herzstiftung.de/herzinfarkt_fehler.php online], abgerufen am 24. Oktober 2006.</ref><br />
* Nicht warten.<br />
* Rettungsdienst über die Rufnummer 112 (in Europa) oder eine andere örtliche [[Notruf]]nummer alarmieren und Verdacht auf Herzinfarkt äußern.<br />
* Niemals selbst mit dem Auto in die Klinik fahren, wegen der Gefahr eines Zusammenbruchs während der Fahrt. Krankenwagen (oder Hubschrauber, wenn sie verfügbar sind) mit einem medizinischen Personal sind normalerweise die schnellste und sicherste Methode.<ref>{{Literatur |Autor=Peter T Pons, Vincent J Markovchick |Titel=Ambulance response time guideline |Sammelwerk=The Journal of Emergency Medicine |Band= |Nummer=1 |Datum=2002-07 |ISSN=0736-4679 |DOI=10.1016/s0736-4679(02)00460-2 |Seiten=43–48 |Online=https://jem-journal.com/article/S0736-4679(02)00460-2/abstract |Abruf=2024-03-20}}</ref><br />
<br />
Aspirin hat eine hemmende Wirkung auf die Blutgerinnung. Deshalb wird es manchmal verwendet um den Status eines Infarktopfers zu verbessern.<ref>{{Literatur |Autor=Grant W Reed, Jeffrey E Rossi, Christopher P Cannon |Titel=Acute myocardial infarction |Sammelwerk=The Lancet |Band=389 |Nummer=10065 |Datum=2017-01 |ISSN=1474-547X |DOI=10.1016/s0140-6736(16)30677-8 |Seiten=197–210 |Online=https://thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736(16)30677-8/abstract |Abruf=2024-03-20}}</ref> Es ist jedoch erforderlich, zuvor eine Blutung, beispielsweises durch ein [[Aneurysma]] (ehr selten), als Ursache auszuschließen.<br />
<br />
Die Patienten sollten in einer bequemen Position beruhigt bleiben. Im Falle eines Herzinfarkts, die beste Position ist normalerweise nicht, sich zu legen, sondern sich mit gefalteten Knien zu setzen oder sich zu setzen (aber die Patienten würden bemerken, welche die beste Position für sie ist).<ref>{{Literatur |Autor=Teruhiko Imamura, Masakazu Hori, Takatoshi Koi, Takuya Fukui, Akira Oshima, Hayato Fujioka, Yohei Ueno, Hiroshi Onoda, Shuhei Tanaka, Nobuyuki Fukuda, Hiroshi Ueno, Koichiro Kinugawa |Titel=Relationship Between Body Posture and Lung Fluid Volume Assessed Using a Novel Noninvasive Remote Dielectric Sensing System |Sammelwerk=Circulation Reports |Band=4 |Nummer=1 |Datum=2022-01-07 |ISSN=2434-0790 |DOI=10.1253/circrep.CR-21-0130 |PMC=8710642 |PMID=35083385 |Online=https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/35083385/ |Abruf=2024-10-08}}</ref><br />
<br />
Die Gefahr des [[Herzstillstand]]es durch [[Kammerflimmern]] ist in der ersten Stunde am größten. Nur durch eine rasch einsetzende [[Herz-Lungen-Wiederbelebung]] durch Ersthelfer und Rettungsdienst kann in diesem Fall der Tod oder schwere Schäden durch Sauerstoffunterversorgung des [[Gehirn]]s verhindert werden. Durch eine [[Defibrillation]] durch medizinisches Fachpersonal oder mittels eines öffentlich zugänglichen [[Automatisierter Externer Defibrillator|automatisierten externen Defibrillators]], der durch Laien bedient werden kann, besteht die Möglichkeit, dass das Kammerflimmern gestoppt wird und sich wieder ein stabiler Eigenrhythmus einstellt.<ref>{{Webarchiv |url=http://www.erc.edu/download_gl.php?d=3 |text=Richtlinien des European Resuscitation Council zur Herz-Lungen-Wiederbelebung |wayback=20071217125850}} (PDF, englisch)</ref><br />
<br />
=== Medizinische Erstversorgung ===<br />
Im Rahmen der [[Erstversorgung]] konzentriert sich das [[Rettungsfachpersonal]] des [[Rettungsdienst]]es zunächst auf eine möglichst rasche Erkennung von Akutgefährdung und Komplikationen. Dazu gehört eine zügige [[Körperliche Untersuchung|klinische Untersuchung]] mit Blutdruckmessung und [[Auskultation]] (Abhören) von Herz und Lunge. Nur ein schnell angefertigtes [[Elektrokardiogramm|Zwölf-Kanal-EKG]] lässt den ST-Hebungsinfarkt erkennen und erlaubt die Einleitung der dann dringlichen Lysetherapie oder Katheterbehandlung. Um Herzrhythmusstörungen sofort erkennen zu können, wird eine kontinuierliche EKG-Überwachung (Rhythmusmonitoring) begonnen und zur Medikamentengabe eine [[Venenverweilkanüle|periphere Verweilkanüle]] angelegt.<br />
<br />
Die medikamentöse Therapie zielt in der Akutsituation auf eine möglichst optimale Sauerstoffversorgung des Herzens, die Schmerzbekämpfung und eine Vermeidung weiterer Blutgerinnselbildung. Verabreicht werden in der Regel [[Nitroglycerin]]-Spray oder -Kapseln [[sublingual]] und [[Morphin]]präparate, [[Acetylsalicylsäure]] und [[Clopidogrel]] sowie [[Heparin]] [[intravenös]]. [[Sauerstoff|Sauerstoff (O<sub>2</sub>)]] wird nach den aktuellen Leitlinien der ERC nur noch bei niedriger [[Sauerstoffsättigung]] des Bluts verabreicht.<ref name="ERC 2010">H.-R. Arntz et al.: ''Initiales Management von Patienten mit akutem Koronarsyndrom.'' Sektion 5 der Leitlinien zur Reanimation 2010 des European Resuscitation Council, [[doi:10.1007/s10049-006-0794-2]].</ref> Die generelle Gabe von Sauerstoff wird wegen seiner möglicherweise schädlichen Auswirkungen allerdings nicht mehr empfohlen.<ref>{{Internetquelle |url=http://www.rettungsdienst-updates.de/die-praklinische-gabe-von-sauerstoff-teil-1-das-akute-koronarsyndrom-acs/ |titel=Die präklinische Gabe von Sauerstoff Teil 1: Das Akute Koronarsyndrom (ACS) |datum=2012-01-18 |abruf=2012-02-16}}</ref><br />
<br />
In speziellen Situationen und bei Komplikationen können weitere Medikamente erforderlich sein, zur Beruhigung ([[Sedierung]]) beispielsweise [[Benzodiazepin]]e wie [[Diazepam]] oder [[Midazolam]], bei [[Nervus vagus|vagaler]] Reaktion [[Atropin]], bei Übelkeit oder Erbrechen [[Antiemetikum|Antiemetika]] (beispielsweise [[Metoclopramid]]), bei [[Tachykardie]] trotz Schmerzfreiheit und fehlenden Zeichen der Linksherzinsuffizienz [[Betablocker]] (beispielsweise [[Metoprolol]]) und bei kardiogenem Schock die Gabe von [[Katecholamin]]en.<br />
<br />
=== Reperfusionstherapie ===<br />
[[Datei:HWI PTCA.jpg|mini|300px|Angiografie der rechten Herzkranzarterie (RCA) bei akutem Hinterwandinfarkt, links: RCA verschlossen, rechts: RCA nach Ballondilatation offen]]<br />
Vordringliches Therapieziel beim ST-Hebungsinfarkt ist die möglichst rasche Eröffnung des betroffenen und in dieser Situation meist verschlossenen [[Herzkranzgefäße]]s. Diese Wiederherstellung der Durchblutung im Infarktgebiet wird Reperfusionstherapie genannt. Je früher diese erfolgt, umso besser kann eine Infarktausdehnung verhindert werden („time is muscle“). Gelingt es, die Reperfusionstherapie bereits in der ersten Stunde nach Infarkteintritt anzuwenden, so können viele dieser Infarkte sogar verhindert werden.<br />
<br />
Als Reperfusionstherapie sind zwei Behandlungsverfahren etabliert:<br />
* Primär-[[Perkutane transluminale coronare Angioplastie|Perkutane Koronarintervention]] (auch Direkt-PTCA oder Primär-PTCA): mechanische Öffnung ''(Rekanalisation)'' des Gefäßes mit anschließender [[Ballondilatation]] und [[Stent]]<nowiki />implantation mittels Herzkatheter. Zeigt sich ein mittels PTCA nicht angehbarer Befund, kann in Einzelfällen eine akute [[Koronararterien-Bypass|operative Myokardrevaskularisation]] indiziert sein.<br />
* Lysetherapie oder [[Thrombolyse]]: intravenöse Gabe eines gerinnselauflösenden Medikamentes. Dieses Thrombolytikum kann vom [[Notarzt]] bereits am Einsatzort verabreicht werden ''(prästationäre Lyse)'' und führt durch frühen Behandlungsbeginn zu besseren Ergebnissen als eine Therapieeinleitung im Krankenhaus.<br />
<br />
Bei gleichzeitiger Verfügbarkeit ist die Primär-PCI in einem erfahrenen Zentrum die bevorzugte Strategie. Da aber weniger als 20 % der deutschen Krankenhäuser über die Möglichkeit zur Primär-PCI verfügen, muss die Entscheidung zur optimalen Therapie im Einzelfall getroffen werden. Viele Notärzte sind mit Zwölf-Kanal-EKG-Geräten und Medikamenten für eine Lysetherapie ausgerüstet, so dass sie heute sofort nach Diagnosestellung in Abhängigkeit von der Infarktdauer, dem Patientenzustand, der Verfügbarkeit eines erfahrenen Herzkatheterteams und der Transportentfernung die bestmögliche Reperfusionstherapie auswählen können.<br />
<br />
Bei Nicht-ST-Hebungsinfarkten (NSTEMI) ist ein Nutzen der unverzüglichen Reperfusionstherapie nicht belegt, eine Lysetherapie ist [[Kontraindikation|kontraindiziert]]. Ob und zu welchem Zeitpunkt eine Herzkatheteruntersuchung erforderlich ist, ist trotz vieler Studien zu diesem Thema strittig. Die vorherrschende und auch in den Leitlinien der kardiologischen Fachgesellschaften verankerte Empfehlung sieht eine „frühe Intervention“ innerhalb von 48&nbsp;Stunden vor. Erneute Diskussionen sind durch eine weitere im Herbst 2005 veröffentlichte Studie entstanden, die bei 1200 Patienten mit NSTEMI kein höheres Risiko fand, wenn die Intervention nur bei Patienten mit anhaltenden Beschwerden erfolgte.<ref name="PMID16162880">R. J. de Winter, F. Windhausen u.&nbsp;a.: ''Early invasive versus selectively invasive management for acute coronary syndromes.'' In: ''[[The New England Journal of Medicine]].'' Band 353, Nummer 11, September 2005, S.&nbsp;1095–1104, [[doi:10.1056/NEJMoa044259]]. PMID 16162880.</ref><br />
<br />
=== Weitere Behandlung ===<br />
Im Krankenhaus werden Infarktpatienten wegen möglicher [[Herzrhythmusstörung]]en in der Akutphase auf einer [[Intensivstation|Intensiv-]] oder Überwachungsstation behandelt, wo eine kontinuierliche EKG-Überwachung ''(Monitoring)'' möglich ist. Bei einem unkomplizierten Verlauf können sie oft bereits am Folgetag Schritt für Schritt [[Mobilisation|mobilisiert]] und nach fünf bis acht Tagen entlassen werden. Patienten mit großen Infarkten, die zu einer Pumpschwäche ([[Herzinsuffizienz]]) des Herzmuskels geführt haben, benötigen manchmal bis zu drei Wochen, um die gewohnten Alltagsaktivitäten wiederaufnehmen zu können.<br />
<br />
Nach einem Herzinfarkt ist bei den meisten Patienten eine lebenslange medikamentöse Therapie sinnvoll, die Komplikationen wie Herzrhythmusstörungen und [[Herzinsuffizienz|Herzmuskelschwäche]] sowie erneuten Herzinfarkten vorbeugt. Dazu zählt die Therapie mit [[Betablocker]]n, [[Acetylsalicylsäure|ASS]], [[Statin]]en, [[ACE-Hemmer]]n und bei einigen Patienten [[Clopidogrel]] oder [[Prasugrel]].<ref name="PMID22052934">S. C. Smith, E. J. Benjamin u.&nbsp;a.: [http://circ.ahajournals.org/content/124/22/2458.full ''AHA/ACCF Secondary Prevention and Risk Reduction Therapy for Patients with Coronary and other Atherosclerotic Vascular Disease: 2011 update: a guideline from the American Heart Association and American College of Cardiology Foundation.''] In: ''Circulation.'' Band 124, Nummer 22, November 2011, S.&nbsp;2458–2473, [[doi:10.1161/CIR.0b013e318235eb4d]]. PMID 22052934.</ref> In der Realität zeigt sich allerdings, dass die medikamentöse Therapie oft nicht leitliniengerecht umgesetzt wird und eine deutliche Unterversorgung der betroffenen Patienten besteht.<ref name="aerzteblatt-117140">{{Literatur |Autor=Sandra Mangiapane, Reinhard Busse |Titel=Verordnungsprävalenz medikamentöser Sekundärprävention und Therapiepersistenz nach Myokardinfarkt: Eine Routinedatenanalyse der Versorgungsrealität |Sammelwerk=[[Deutsches Ärzteblatt]] Int |Band=108 |Nummer=50 |Datum=2011-12-16 |Seiten=856–862 |DOI=10.3238/arztebl.2011.0856}}</ref><br />
<br />
Bei stark eingeschränkter Pumpfunktion des Herzens wird die prophylaktische Anlage eines [[Implantierbarer Kardioverter-Defibrillator|implantierbaren Defibrillators]] zum Schutz vor [[Plötzlicher Herztod|plötzlichem Herztod]] empfohlen.<ref>[http://leitlinien.dgk.org/images/pdf/leitlinien_pocket/2010_pll_15.pdf Pocket Leitlinie ''Akutes Koronarsyndrom mit persistierender ST-Streckenhebung (STEMI)''.] (PDF)</ref><br />
<br />
Nach dem Auftreten von großen Vorderwandinfarkten kann es (< 50 %) zur [[Thrombus|Thrombenbildung]] in der linken Schlagkammer kommen, die die Gefahr eines Hirninfarktes nach sich ziehen können. Sollten sich echokardiografisch Thromben nachweisen lassen, wird meist eine mehrmonatige Antikoagulantientherapie mit [[Phenprocoumon]] durchgeführt.<br />
<br />
Besondere Aufmerksamkeit erfordern die Risikofaktoren, die die Lebenserwartung der Infarktpatienten erheblich beeinträchtigen können. Vorteilhaft sind strikter Nikotinverzicht und eine optimale Einstellung von Blutdruck, Blutzucker und Blutfettwerten. Neben der Normalisierung des Lebenswandels, dem Stressabbau und der Gewichtsnormalisierung spielen eine gesunde Ernährung und regelmäßiges körperliches [[Ausdauertraining]] nach ärztlicher Empfehlung dabei eine wesentliche Rolle.<br />
<br />
Im Anschluss an die Krankenhausbehandlung wird in Deutschland oft eine ambulante oder stationäre [[Medizinische Rehabilitation|Anschlussheilbehandlung]] empfohlen. Diese meist drei Wochen dauernde Maßnahme soll durch Krankengymnastik ([[Physiotherapie]]), dosiertes körperliches Training, Schulungsmaßnahmen und psychosoziale Betreuung eine möglichst gute und vollständige Wiedereingliederung in den Alltag ermöglichen. Zur dauerhaften Lebensstilveränderung kann der Besuch einer [[Herzschule]] sinnvoll sein.<br />
<br />
== Weitere Therapie der koronaren Herzerkrankung mit Koronararterien-Bypass oder PTCA ==<br />
Um weiteren Infarkten vorzubeugen, ist eine definitive Versorgung der (oftmals mehreren) kritischen Stenosen mittels Stentimplantation oder [[Koronararterien-Bypass]] notwendig. Die aktuellen Leitlinien der [[European Society of Cardiology|Europäischen kardiologischen Gesellschaft]] zur Revaskularisierung geben für Patienten mit hohem Operationsrisiko und einer oder zwei betroffenen Koronararterien ohne Beteiligung des linkskoronaren Hauptstamms (oder einer äquivalenten proximalen Stenose des Ramus interventrikularis anterior) die Empfehlung, bevorzugt mittels PTCA zu behandeln. Für alle anderen Patienten gilt eine höhergradige Empfehlung zur operativen Versorgung mit Koronararterien-Bypässen.<ref name="ESC2010">W. Wijns u.&nbsp;a.: ''Guidelines on myocardial revascularization.'' In: ''European heart journal.'' Band 31, Nummer 20, Oktober 2010, S.&nbsp;2501–2555, [[doi:10.1093/eurheartj/ehq277]]. PMID 20802248.</ref> Es wird ein insbesondere hinsichtlich der Begleiterkrankungen (wie hämodynamisch relevantes Aneurysma, thorakale Re-Operation) ein auf den individuellen Patienten zugeschnittenes Prozedere propagiert. Die Therapieplanung und Beratung des Patienten sollte hierbei durch ein „Heart Team“ erfolgen, also eine interdisziplinäre Zusammenkunft von Kardiologen und Herzchirurgen. Dies ist in der täglichen Praxis in Deutschland erfahrungsgemäß jedoch eher die Ausnahme.<br />
<br />
=== Experimentelle Ansätze ===<br />
Seit den 1990er Jahren werden Versuche unternommen, die Pumpfunktion des Herzmuskels nach einem Herzinfarkt durch [[Stammzelle]]n positiv zu beeinflussen. Dabei werden verschiedene Techniken eingesetzt, unter anderem die Injektion von Stammzellen, die aus Blut oder Knochenmark gewonnen werden, in das betroffene Herzkranzgefäß (''intrakoronar'', mittels Herzkatheter). Auch die [[subkutan]]e Injektion von ''granulocyte-colony stimulating factor'' ([[G-CSF]]), der die Stammzellproduktion fördert, wird untersucht. Mehrere in den Jahren 2004 bis 2006 veröffentlichte [[Klinische Studie|Studien]] weisen darauf hin, dass die intrakoronare Anwendung von Knochenmark-Stammzellen die Pumpfunktion tatsächlich verbessern kann<ref name="PMID16413875">S. Janssens, C. Dubois u.&nbsp;a.: ''Autologous bone marrow-derived stem-cell transfer in patients with ST-segment elevation myocardial infarction: double-blind, randomised controlled trial.'' In: ''Lancet.'' Band 367, Nummer 9505, Januar 2006, S.&nbsp;113–121, [[doi:10.1016/S0140-6736(05)67861-0]]. PMID 16413875.</ref>, die alleinige Gabe von G-CSF hingegen keinen Vorteil bringt.<ref name="PMID16507801">D. Zohlnhöfer, I. Ott u.&nbsp;a.: ''Stem cell mobilization by granulocyte colony-stimulating factor in patients with acute myocardial infarction: a randomized controlled trial.'' In: ''JAMA.'' Band 295, Nummer 9, März 2006, S.&nbsp;1003–1010, [[doi:10.1001/jama.295.9.1003]]. PMID 16507801.</ref><ref name="PMID16531621">R. S. Ripa, E. Jørgensen u.&nbsp;a.: ''Stem cell mobilization induced by subcutaneous granulocyte-colony stimulating factor to improve cardiac regeneration after acute ST-elevation myocardial infarction: result of the double-blind, randomized, placebo-controlled stem cells in myocardial infarction (STEMMI) trial.'' In: ''Circulation.'' Band 113, Nummer 16, April 2006, S.&nbsp;1983–1992, [[doi:10.1161/CIRCULATIONAHA.105.610469]]. PMID 16531621.</ref><br />
Eine Studie aus dem Jahr 2012 hat jedoch keinen positiven Effekt festgestellt.<ref name="PMID23896972">J. Wöhrle, F. von Scheidt u.&nbsp;a.: ''Impact of cell number and microvascular obstruction in patients with bone-marrow derived cell therapy: final results from the randomized, double-blind, placebo controlled intracoronary Stem Cell therapy in patients with Acute Myocardial Infarction (SCAMI) trial.'' In: ''Clinical research in cardiology.'' Band 102, Nummer 10, Oktober 2013, S.&nbsp;765–770, [[doi:10.1007/s00392-013-0595-9]]. PMID 23896972.</ref> Ein weiterer, in jüngerer Zeit in präklinischen Studien verfolgter Therapieansatz ist der Einsatz von [[Wachstumsfaktor (Protein)|Wachstumsfaktoren]] wie ''Fibroblast-like Growth Factor'' ([[Fibroblast Growth Factor|FGF]]-1), Insuline-like Growth Factors ([[Insulin-like growth factor|IGFs]]) und ''Vascular Endothelial Growth Factor'' ([[Vascular Endothelial Growth Factor|VEGF]]), die die Gefäßneubildung ([[Angiogenese]]) anregen.<br />
<br />
== Krankheitsverlauf und Prognose ==<br />
Die ersten beiden Stunden nach Eintritt eines Herzinfarktes sind zumindest bei einem ST-Hebungsinfarkt (STEMI) für den weiteren Verlauf und die Überlebenschance des Patienten von entscheidender Bedeutung, weil<br />
* sich die Mehrzahl der Todesfälle, die in der Regel durch [[Kammerflimmern]] verursacht sind, in diesem kurzen Zeitraum ereignet<ref name="Antman" /> und<br />
* eine während dieser Zeit eingeleitete Reperfusionstherapie die [[Prognose]] maßgeblich beeinflusst.<br />
<br />
Die Akutsterblichkeit jener Patienten, die im Krankenhaus aufgenommen werden, beträgt heute nach verschiedenen Untersuchungen zwischen weniger als zehn und knapp zwölf Prozent. Weiterhin stirbt aber fast ein Drittel aller Patienten vor Aufnahme in eine Klinik, so dass die Einjahressterblichkeit aller Infarktpatienten in den letzten 30&nbsp;Jahren nahezu unverändert bei etwa 50 % verblieben ist.<br />
<br />
Die Sterblichkeit im Zusammenhang mit einem Herzinfarkt wird vom Alter des Patienten stark beeinflusst. Aus dem Berliner Herzinfarktregister wurde für die Jahre 1999 bis 2003 bei über 75-Jährigen eine Krankenhaussterblichkeit von 23,9 %, bei jüngeren Patienten von 7,3 % ermittelt.<ref name="Schuler">J. Schuler, B. Maier u.&nbsp;a.: ''Present treatment of acute myocardial infarction in patients over 75 years–data from the Berlin Myocardial Infarction Registry (BHIR).'' In: ''Clinical research in cardiology.'' Band 95, Nummer 7, Juli 2006, S.&nbsp;360–367, [[doi:10.1007/s00392-006-0393-8]]. PMID 16741630.</ref> Insgesamt ist die Rate an Sterbefällen nach Herzinfarkten jedoch stark abgesunken, wie eine epidemiologische Studie mit Daten der WHO zeigte. So haben sich die Herzinfarkt-Sterbefälle seit 1980 in Europa halbiert. In Deutschland lag sie 2009 bei 15–17 %, in Österreich bei 19–20 %, in Frankreich bei 6–8 %.<ref name="DOI10.1093/eurheartj/eht159">M. Nichols, N. Townsend u.&nbsp;a.: ''Trends in age-specific coronary heart disease mortality in the European Union over three decades: 1980–2009.'' In: ''European heart journal.'' Band 34, Nummer 39, Oktober 2013, S.&nbsp;3017–3027, [[doi:10.1093/eurheartj/eht159]]. PMID 23801825. {{PMC|3796269}}.</ref><br />
<br />
Eine 2023 veröffentlichte Studie unter 884 Patienten deutet darauf hin, dass die Sterblichkeit nach einem Herzinfarkt bei Frauen zwei- bis dreimal höher liegt als bei Männern.<ref>{{Internetquelle |url=https://www.eurekalert.org/news-releases/989635 |titel=Women more likely to die after heart attack than men |werk=eurekalert.org |hrsg=European Society of Cardiology |datum=2023-05-22 |abruf=2024-03-11 |sprache=en}}</ref><ref>{{Internetquelle |url=https://www.pharmazeutische-zeitung.de/frauen-sterben-nach-herzinfarkt-haeufiger-als-maenner-140300/ |titel=Frauen sterben nach Herzinfarkt häufiger als Männer |werk=pharmazeutische-zeitung.de |datum=2023-05-24 |abruf=2024-03-11 |sprache=de}}</ref><br />
<br />
{{Siehe auch|Killip-Klassifikation}}<br />
<br />
=== Komplikationen ===<br />
Sehr häufig sind [[Herzrhythmusstörung]]en, auch bei kleinen Infarkten vor allem in der Frühphase. [[Ventrikuläre Tachykardie]]n bis hin zum [[Kammerflimmern]] sind die häufigste Todesursache beim Herzinfarkt, deshalb wird in der Akutphase eine ständige Überwachung und [[Defibrillation]]sbereitschaft auf einer [[Intensivstation]] gesichert. In Einzelfällen ist eine Behandlung mit einem [[Antiarrhythmikum]] nötig. Besonders Hinterwandinfarkte können über eine Ischämie des [[AV-Knoten]]s zum [[AV-Block]] und bei Ischämie des [[Sinusknoten]] zum [[Sick-Sinus-Syndrom]] führen, was vorübergehend (oder dauerhaft) den Einsatz eines [[Herzschrittmacher]]s erfordert.<br />
<br />
Wenn der Infarkt große Areale des Herzens (mehr als 30 % der Muskulatur) betrifft, kann es zur Ausbildung eines kardiogenen [[Schock (Medizin)|Schocks]] kommen, bei dem das Herz durch die Herzmuskelschädigung nicht mehr in der Lage ist, eine ausreichende Kreislauffunktion aufrechtzuerhalten. Diese Patienten haben eine deutlich schlechtere Prognose, der kardiogene Schock ist die zweithäufigste Todesursache im Rahmen eines akuten Herzinfarktes. Hier kann eine [[intraaortale Ballonpumpe]] (IABP) vorübergehend das Herz unterstützen.<br />
<br />
Ein Herzwand[[aneurysma]] kann sich aufgrund der Wandschwäche nach einem Herzinfarkt ausbilden. Hierbei entwickelt sich eine Auswölbung der geschädigten Herzwand. Chronisch kommt es zu einer verschlechterten Herzfunktion, der Bildung eines [[Thrombus]] durch gestörten Blutfluss mit der Möglichkeit arterieller [[Embolie]]n. In der direkten Phase nach einem Infarkt kann es zu einer [[Ruptur]] (Platzen) der Auswölbung kommen mit nachfolgender [[Herzbeuteltamponade]], welche sofort entlastet und im Allgemeinen chirurgisch versorgt werden muss.<br />
<br />
Durch [[Nekrose]] im Herzscheidewandbereich kann es auch hier zu einer [[Ventrikelseptumdefekt|Septumperforation]] kommen. Nachfolgend kommt es zum Übertritt von Blut aus dem linken in den rechten Teil des Herzens.<br />
<br />
Insbesondere bei Hinterwandinfarkten kann eine akute [[Mitralklappeninsuffizienz|Insuffizienz der Mitralklappe]] durch Nekrose der [[Papillarmuskel]]n mit nachfolgendem Abriss eines Sehnenfadens auftreten. Der Rückfluss von Blut in den [[Linker Vorhof|linken Vorhof]] kann zu einer akuten [[Herzinsuffizienz]] führen und eine schnelle Herzoperation notwendig machen. Ein neu auftretendes [[Systole|systolisches]] [[Herzgeräusch]] kann zu dieser Verdachtsdiagnose führen, daher sollen Patienten nach Herzinfarkt regelmäßig abgehört ([[Auskultation|auskultiert]]) werden.<br />
<br />
Im weiteren Verlauf (einige Tage bis ca. acht Wochen) kann sich im Rahmen einer Autoimmunreaktion eine [[Perikarditis|Entzündung des Herzbeutels]], das sogenannte [[Dressler-Syndrom]], entwickeln.<br />
<br />
=== Infarkte bei älteren Menschen ===<br />
{| class="wikitable float-right" style="font-size:95%;"<br />
|+ Charakteristika von Infarktpatienten abhängig vom Lebensalter<ref name="Schuler" /><br />
|-<br />
!<br />
! style="text-align:right; background:#ABCDEF;"|≤&nbsp;75&nbsp;Jahre<br />
! style="text-align:right; background:#FFEBAD;"|>&nbsp;75&nbsp;Jahre<br />
|-<br />
|Herzversagen<br />
|style="text-align:center; background:#ABCDEF;"| {{0}}3,5 %<br />
|style="text-align:center; background:#FFEBAD;"| 14,4 %<br />
|-<br />
|Niereninsuffizienz<br />
|style="text-align:center; background:#ABCDEF;"| {{0}}3,9 %<br />
|style="text-align:center; background:#FFEBAD;"| 11,5 %<br />
|-<br />
|Diabetes mellitus<br />
|style="text-align:center; background:#ABCDEF;"| 24,3 %<br />
|style="text-align:center; background:#FFEBAD;"| 37,3 %<br />
|-<br />
|Lungenstauung<br />
|style="text-align:center; background:#ABCDEF;"| 19,7 %<br />
|style="text-align:center; background:#FFEBAD;"| 45,4 %<br />
|-<br />
|Linksschenkelblock<br />
|style="text-align:center; background:#ABCDEF;"| {{0}}3,6 %<br />
|style="text-align:center; background:#FFEBAD;"| 12,7 %<br />
|}<br />
<br />
In den europäischen Ländern betreffen etwa ein Drittel (24 bis 42 %) aller Infarkte Menschen im Alter von über 74 Jahren. Dieser Anteil wird aufgrund der [[Demografie|demografischen]] Entwicklung mit der Zeit zunehmen. Schätzungen zufolge soll der Anteil über 75-Jähriger im Jahr 2050 bereits zwei Drittel betragen.<br />
<br />
Ältere Infarktpatienten leiden häufiger an bedeutsamen Begleiterkrankungen wie [[Herzinsuffizienz#Laiensprache und Doppeldeutungen|Herzversagen]], [[Chronisches Nierenversagen|Niereninsuffizienz]] und [[Diabetes mellitus]] (Zuckerkrankheit). Bei ihnen werden öfter Zeichen eines schweren Infarktes wie [[Lungenödem#Lungenstauung|Lungenstauung]] und [[Linksschenkelblock]] festgestellt. Die Zeit zwischen Symptombeginn und Aufnahme im Krankenhaus ist bei ihnen länger und gemessen am Einsatz der [[#Reperfusionstherapie|Reperfusionstherapie]] sowie der Anwendung von [[Betablocker]]n und [[Statin]]en kommt eine leitliniengerechte Therapie seltener zur Anwendung.<ref name="Schuler" /><br />
<br />
Zusätzlich erhöhen kardiale Erkrankungen, wie der Herzinfarkt, auch das Risiko für kognitive Probleme. Vor allem Frauen mit Herzerkrankungen leiden im Alter öfter an einer leichten nicht-amnestischen kognitiven Beeinträchtigung ([[Aphasie|Wortfindungsstörungen]], Aufmerksamkeitsprobleme, Desorientierung usw.).<ref>R. O. Roberts, Y. E. Geda u.&nbsp;a.: ''Cardiac disease associated with increased risk of nonamnestic cognitive impairment: stronger effect on women.'' In: ''JAMA neurology.'' Band 70, Nummer 3, März 2013, S.&nbsp;374–382, [[doi:10.1001/jamaneurol.2013.607]]. PMID 23358884. {{PMC|3734560}}.</ref><br />
<br />
== Geschichte ==<br />
=== Von den Anfängen bis 1950 ===<br />
Seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts ist bekannt, dass eine [[Thrombose]] im Herzkranzgefäß zum Tode führen kann. Tierexperimente mit Unterbindung eines Kranzgefäßes und Sektionsbefunde legten nahe, dass die Koronarthrombose ein fatales Ereignis darstellte. Im Mai 1876 diagnostizierte [[Adam Hammer]] in Wien als Erster den Herzinfarkt an einem lebenden Menschen. 1901 wies der Deutsche [[Ludolf von Krehl]] nach, dass sie nicht immer tödlich ausging, die erste ausführliche Beschreibung nicht-tödlicher Herzinfarkte stammt von den Russen ''V. P. Obraztsov'' und ''N. D. Strazhesko'' aus dem Jahr 1910.<ref name="PMID327787">J. E. Muller: ''Diagnosis of myocardial infarction: historical notes from the Soviet Union and the United States.'' In: ''The American journal of cardiology.'' Band 40, Nummer 2, August 1977, S.&nbsp;269–271, PMID 327787.</ref><br />
<br />
1912 bezog sich der US-Amerikaner ''James B. Herrick'' auf diese Veröffentlichung und führte körperliche Ruhe als Therapieprinzip für Infarktpatienten ein. Sie blieb bis in die frühen 1950er Jahre einzige Behandlungsmöglichkeit und wurde konsequent betrieben: Die Patienten durften sich zwei Wochen nicht bewegen und sollten deshalb auch gefüttert werden. Herrick war es auch, der die 1903 von dem Niederländer [[Willem Einthoven]] entwickelte Elektrokardiografie zur Diagnostik des Herzinfarktes einführte.<br />
<br />
1923 veröffentlichte ''Wearn'' die Beschreibung des Krankheitsverlaufes von 19 Patienten mit Herzinfarkt, denen absolute Bettruhe und eine Beschränkung der Flüssigkeitszufuhr verordnet wurden. Sie erhielten [[Herzglykoside|Digitalispräparate]] gegen eine Lungenstauung sowie [[Koffein]] und [[Campher]] zur Vorbeugung und Behandlung von erniedrigtem Blutdruck, [[Synkope (Medizin)|Synkopen]] und Herzrhythmusstörungen. 1928 beschrieben [[John Parkinson (Kardiologe)|Parkinson]] und [[Evan Bedford|Bedford]] ihre Erfahrungen mit der Schmerzbehandlung durch [[Morphin]] bei 100&nbsp;Infarktpatienten, [[Nitrate]] hielten sie wegen der blutdrucksenkenden Wirkung für kontraindiziert.<br />
<br />
1929 veröffentlichte [[Samuel A. Levine (Mediziner)|Samuel A. Levine]] das erste ausschließlich der Infarktbehandlung gewidmete Fachbuch, in dem unter anderem auf die Bedeutung der Herzrhythmusstörungen eingegangen und [[Chinidin]] gegen [[ventrikuläre Tachykardie]]n und [[Adrenalin]] gegen [[AV-Block|Blockierungen]] empfohlen wurde.<br />
<br />
In den 1950er Jahren wurde der Herzinfarkt bereits als wichtige Todesursache in den Industrieländern angesehen. Wegen der hohen Gefährdung durch Thrombosen und [[Lungenembolie]]n auf Grund der langen Bettruhe gewann das von [[Bernard Lown]] propagierte Konzept einer früheren [[Mobilisation|Mobilisierung]] ''(arm chair treatment)'' an Bedeutung. Großzügige Flüssigkeitszufuhr und regelmäßige Sauerstoffgabe wurden empfohlen.<ref name="PMID11799435">R. Sarmento-Leite, A. M. Krepsky, C. A. Gottschall: ''Acute myocardial infarction. One century of history.'' In: ''Arquivos brasileiros de cardiologia.'' Band 77, Nummer 6, Dezember 2001, S.&nbsp;593–610, PMID 11799435.</ref><br />
<br />
=== Die „Thrombolyse-Ära“ ===<br />
Bereits 1948 wurde empfohlen, nach einem überstandenen Herzinfarkt vorbeugend [[Phenprocoumon|Cumarine]] als Antikoagulanzien einzunehmen. Hauptsächlich [[Anthony P. Fletcher|Fletcher]] und [[Marc Verstraete|Verstraete]] wiesen in den 1950er und 1960er Jahren experimentell nach, dass frische Koronarthrombosen medikamentös aufgelöst werden können. 1959 brachten die deutschen [[Behring-Werke]] [[Streptokinase]] auf den Markt, das unter anderem die Lysetherapie beim akuten Herzinfarkt ermöglichte. In den 1970er Jahren waren es dann zwei Arbeitsgruppen um [[Jewgeni Tschasow]] und [[Klaus Peter Rentrop]], die den Nachweis einer erfolgreichen Lysetherapie durch intrakoronare Infusion von Streptokinase führten. Ihre Ergebnisse wurden unterstützt durch Befunde von [[Marcus De Wood|De Wood]], der bei 90 % der Patienten mit ST-Strecken-Hebung okkludierende (das Gefäßlumen verschließende) Koronarthromben nachwies. Anfang der 1980er Jahre wurde deutlich, dass eine intravenöse Infusion der intrakoronaren gleichwertig war, was die Verbreitung der Methode sehr förderte.<br />
<br />
1986 wurde die als ''GISSI-Studie'' bezeichnete erste randomisierte klinische Studie zur Lysetherapie veröffentlicht, die an 11.806 Patienten durchgeführt wurde und eine Senkung der 21-Tage-Sterblichkeit von 13 auf 10,7 % nachwies, was einem geretteten Menschenleben pro 43 Behandlungen entsprach.<ref name="PMID2868337">Gruppo Italiano per lo Studio della Streptochinasi nell'Infarto Miocardico (GISSI): ''Effectiveness of intravenous thrombolytic treatment in acute myocardial infarction.'' In: ''Lancet.'' Band 1, Nummer 8478, Februar 1986, S.&nbsp;397–402, PMID 2868337.</ref><br />
<br />
=== Weiterentwicklung der Therapie ===<br />
1960 veröffentlichte die ''[[American Heart Association]]'' die ''[[Framingham-Studie]]'', die den Zusammenhang zwischen dem Rauchen und dem Auftreten von Herzinfarkten bewies. Mitte der 1990er Jahre wurde die erst 1977 von [[Andreas Grüntzig]] eingeführte Ballondilatation der Herzkranzgefäße als Therapieoption auch beim akuten Herzinfarkt in größerem Umfang eingesetzt. Heute ist dies die Behandlung der Wahl und wird in Deutschland bei mehr als 200.000 Patienten jährlich angewandt.<br />
<br />
== Myokardinfarkt bei Tieren ==<br />
Anders als beim Menschen wird der Herzmuskelinfarkt bei Tieren nur selten beobachtet. Zudem sind bei Haussäugetieren, im Gegensatz zur meist nichtinfektiösen Genese beim Menschen, vor allem [[Infektion|infektiös]] bedingte [[Endokarditis|Endokarditiden]] der [[Mitralklappe]] mit Abschwemmung von Thromben in die Herzkranzgefäße Auslöser eines Myokardinfarkts.<br />
<br />
Bei Tieren, die auch in menschlicher Obhut ein hohes Alter erreichen, wie etwa [[Haushund]]en, [[Papageien]] und Zootieren (z.&nbsp;B. [[Walross|Pazifisches Walross]]),<ref name="PMID12398303">A. D. Gruber, M. Peters u.&nbsp;a.: ''Atherosclerosis with multifocal myocardial infarction in a Pacific walrus (Odobenus rosmarus divergens Illiger).'' In: ''[[Journal of Zoo and Wildlife Medicine]]'' Band 33, Nummer 2, Juni 2002, S.&nbsp;139–144, PMID 12398303.</ref> sind auch vereinzelt Myokardinfarkte infolge [[Atherosklerose|atherosklerotischer]] Veränderungen wie beim Menschen beschrieben. Beim Hund wird auch eine verminderte Sauerstoffversorgung des Herzmuskels infolge einer [[Amyloidose]] kleiner Herzarterien beobachtet. Diese –&nbsp;in der Regel kleinen&nbsp;– Infarkte bleiben klinisch zumeist unbemerkt und werden als Zufallsbefunde bei pathologischen Untersuchungen relativ häufig als lokale Vernarbungen des Herzmuskels gefunden. Bei [[Hauskatze|Katzen]] scheinen Infarkte vor allem als Komplikation bereits bestehender Herzmuskelerkrankungen ([[Kardiomyopathie|Hypertrophe Kardiomyopathie]]) aufzutreten.<ref>S. Driehuys, T. J. van Winkle, C. D. Sammarco, K. J. Drobatz.: ''Myocardial infarction in dogs and cats: 37 cases (1985–1994).'' In: ''J. Am. Vet. Med. Assoc.'', 1998, 213 (10), S.&nbsp;1444–1448, PMID 9828941.</ref><br />
<br />
Die erhöhte Anfälligkeit des Herzmuskels von [[Hausschwein|Schweinen]] auf Stress ist dagegen nicht auf eine Mangeldurchblutung zurückzuführen, sondern beruht auf einer [[Maligne Hyperthermie#Epidemiologie|massiven und unkontrollierten Calciumfreisetzung innerhalb der Muskelzelle mit Muskeluntergang]] ([[Porcine stress syndrome]]).<br />
<br />
== Literatur ==<br />
* [[Deutsche Gesellschaft für Kardiologie – Herz- und Kreislaufforschung]]: AWMF-Leitlinie 2019–2024: [https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/019-013.html ''Infarkt-bedingter kardiogener Schock – Diagnose, Monitoring und Therapie''].<br />
* [[European Society of Cardiology]]: ESC Clinical Practice Guidelines 2018: [https://www.escardio.org/Guidelines/Clinical-Practice-Guidelines/Fourth-Universal-Definition-of-Myocardial-Infarction K. Thygesen, J. S. Alpert, A. S. Jaffe und andere: ''Fourth Universal Definition of Myocardial Infarction Guidelines'']. In: ''European Heart Journal.'' Band 40, S. 237–269.<br />
* Douglas P. Zipes, Peter Libby, Robert O. Bonow, Douglas L. Mann, Gordon F. Tomaselli: ''Braunwald’s Heart Disease: A Textbook of Cardiovascular Medicine.'' 11. Auflage. Elsevier Health Sciences, Philadelphia 2019, ISBN 978-0-323-55593-7, [https://books.google.de/books?id=LwBGDwAAQBAJ&printsec=frontcover&dq=braunwald's+heart+disease+a+textbook+of+cardiovascular+medicine+11th+edition&hl=de&sa=X&ved=0ahUKEwiQuf7c38npAhVF2aYKHS9gCCcQuwUIMDAA#v=onepage&q=braunwald's%20heart%20disease%20a%20textbook%20of%20cardiovascular%20medicine%2011th%20edition&f=false Vorschau Google Books].<br />
* [[Herbert Reindell]], Helmut Klepzig: ''Krankheiten des Herzens und der Gefäße.'' In: [[Ludwig Heilmeyer]] (Hrsg.): ''Lehrbuch der Inneren Medizin.'' Springer-Verlag, Berlin/Göttingen/Heidelberg 1955; 2. Auflage ebenda 1961, S. 450–598, hier: S. 555–559 ''(Der Herzinfarkt)''.<br />
<br />
== Weblinks ==<br />
{{Commonscat|Myocardial infarction|Myokardinfarkt}}<br />
{{Wikibooks|Erste Hilfe/ Herzinfarkt|Erste Hilfe bei Herzinfarkt}}<br />
{{Wiktionary|Herzinfarkt}}<br />
* {{DNB-Portal|4024654-1}}<br />
* {{Gesundheitsinformation.de|koronare-herzkrankheit.2170.de.html|Herzinfarkt}}<br />
* [http://www.herzstiftung.de/risiko Herzinfarktrisiko online testen] – Deutsche Herzstiftung<br />
<br />
== Einzelnachweise ==<br />
<references responsive /><br />
<br />
{{Gesundheitshinweis}}<br />
{{Lesenswert|26. Juni 2006|18284409}}<br />
{{Normdaten|TYP=s|GND=4024654-1|LCCN=sh85059683|NDL=00571052}}<br />
<br />
[[Kategorie:Krankheitsbild in der Kardiologie]]<br />
[[Kategorie:Krankheitsbild in der Notfallmedizin]]<br />
[[Kategorie:Wikipedia:Artikel mit Video]]</div>Scriptirhttps://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Benutzer_Diskussion:Scriptir&diff=247328846Benutzer Diskussion:Scriptir2024-08-02T14:58:08Z<p>Scriptir: /* Hinweis zur Löschung der Seite Fremdkörperobstruktion */ Antwort</p>
<hr />
<div>== Willkommen bei Wikipedia! ==<br />
Hallo Scriptir!<br />
<br />
Schön, dass [[Wikipedia:Warum sich hier alle duzen|du]] bei Wikipedia mitmachst! Wir freuen uns über jeden neuen Autor, der mithilft, diese Enzyklopädie zu erweitern und zu verbessern.<br />
<br />
Weil du neu hier bist, empfehle ich dir, einmal auf der Seite '''[[Wikipedia:Starthilfe|Starthilfe]]''' vorbeizuschauen. Dort findest du viele hilfreiche Links zu weiterführenden Hilfeseiten. Für den Schnelleinstieg als Autor bietet sich auch unser '''[[Wikipedia:Tutorial|Tutorial]]''' an. Dort ist in sechs Kapiteln das Wichtigste für deine ersten Schritte hier zusammengefasst.<br />
<br />
Wenn du dann noch Fragen hast, kannst du dich gerne an erfahrenere Autoren auf der Seite [[Wikipedia:Fragen von Neulingen|Fragen von Neulingen]] wenden. Außerdem hast du die Möglichkeit, über das '''[[Wikipedia:Mentorenprogramm|Mentorenprogramm]]''' einen festen Ansprechpartner für deine Anfangszeit zu finden oder über die '''[[Wikipedia:Telefonberatung|Telefonberatung]]''' Fragen zu stellen.<br />
<br />
Ich wünsche dir viel Spaß in der Wikipedia. --[[Benutzer:RoBri|Roger]] ([[Benutzer Diskussion:RoBri|Diskussion]]) 09:28, 20. Nov. 2021 (CET)<br />
<br />
== STOP! ==<br />
Bitte keine fehlerhaften und unverständlichen Übersetzungen einfügen. Danke und Gruß, --[[Benutzer:RoBri|Roger]] ([[Benutzer Diskussion:RoBri|Diskussion]]) 09:29, 20. Nov. 2021 (CET)<br />
<br />
== Schlaganfall ==<br />
<br />
[[Schlaganfall#Therapie]] behandelt das ganze ohne ratgeberischen Tonfall. --[[Spezial:Beiträge/147.161.229.19|147.161.229.19]] 12:25, 20. Mär. 2024 (CET)<br />
== Hinweis zur Löschung der Seite Fremdkörperobstruktion ==<br />
Hallo Scriptir, <br />
<br />
die am 2. August 2024 um 12:54:07 Uhr von Dir angelegte Seite [https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Spezial:Logbuch&page=Fremdk%C3%B6rperobstruktion Fremdkörperobstruktion] (Logbuch der Seite [[Fremdkörperobstruktion]]) wurde soeben um 16:19:34 Uhr gelöscht. Der die Seite ''Fremdkörperobstruktion'' löschende [[Wikipedia:Administratoren|Administrator]] Altkatholik62 hat die Löschung wie folgt begründet: „[[WP:ART|Kein ausreichender Artikel]] und/oder [[WP:WWNI|kein enzyklopädischer Inhalt]]“.<br /><br />
Alle Artikel der Wikipedia müssen bestimmte [[Wikipedia:Artikel#Mindestanforderungen|Mindestanforderungen]] erfüllen, sonst werden sie [[WP:SLA|sofort]] oder nach einem [[WP:LA|Löschantrag]] gelöscht. Orientiere Dich an themengleichen Artikeln der Wikipedia und lies Dir ''[[WP:WSIGA|Wie schreibe ich gute Artikel?]]'' und ''[[Wikipedia:Wie gute Artikel aussehen|Wie gute Artikel aussehen]]'' durch, bevor Du einen neuen Artikel in die Wikipedia einstellst.<br />Wenn Du mit der Löschung der Seite nicht einverstanden bist oder Fragen dazu hast, solltest Du zuerst Altkatholik62 auf [[Benutzer Diskussion:Altkatholik62|seiner Diskussionsseite]] kontaktieren. Er wird Dir gerne weitere Gründe für die Löschentscheidung nennen. Solltest Du danach immer noch nicht mit der Löschung einverstanden sein, so kannst Du bei der [[WP:LP|Löschprüfung]] eine Überprüfung der Löschung beantragen.<br />
<br />
Beste Grüße vom --[[Benutzer:TabellenBot|TabellenBot]] • [[Benutzer Diskussion:Kuebi|Diskussion]] 16:20, 2. Aug. 2024 (CEST)<br />
<br />
:Hallo. Ich schlage Ihnen eine neue Version vor, mit mehr enzyklopädischen Inhalten. Bitte schätzen Sie es. --[[Benutzer:Scriptir|Scriptir]] ([[Benutzer Diskussion:Scriptir|Diskussion]]) 16:58, 2. Aug. 2024 (CEST)</div>Scriptirhttps://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Erstickung&diff=247321186Erstickung2024-08-02T10:59:37Z<p>Scriptir: </p>
<hr />
<div>'''Erstickung''' (auch [[latein]]isch '''Suffocatio''' oder [[Deutsche Sprache|deutsch]] '''Suffokation''', von ''suffocare'' „die Kehle zuschnüren, ersticken, strangulieren“<ref>[[Alois Walde]], [[Johann Baptist Hofmann]]: ''Lateinisches etymologisches Wörterbuch.'' Heidelberg 1938, Band 1, S. 469 f., und Band II, S. 625 (''faux'').</ref>) ist die medizinische Bezeichnung für alle Vorgänge, die aufgrund einer verminderten Atmung ([[Asphyxie]]), aber auch einer beeinträchtigten Sauerstoffaufnahme oder -verarbeitung zum [[Tod]] durch [[Hypoxie (Medizin)|Sauerstoffmangel]] führen. In der Antike, im Mittelalter und selbst in der Neuzeit wurden nicht selten [[Todesstrafe]]n auf diese Weise vollstreckt ([[Garrotte|Garottieren]] sowie [[Hängen|Erhängen]] am kurzen Strick).<br />
<br />
== Formen ==<br />
Ursachen für Erstickung sind:<br />
* eine Beeinträchtigung der ''Atemtätigkeit'', siehe [[Atemlähmung]], [[Atemstillstand]] z.&nbsp;B. in Folge einer Verschüttung oder unter Wasser<br />
* eine unzureichende Konzentration von [[Sauerstoff]] in der ''Atemluft'' (z.&nbsp;B. in großen Höhen, abgedichteten Räumen oder bei einer zu hohen Konzentration an erstickenden Gasen, wie beispielsweise Kohlenstoffdioxid<ref>[https://www.apotheken.de/medikamente/lexikon/k0244-kohlendioxidvergiftung-kohlenstoffdioxidvergiftung Kohlenstoffdioxidvergiftung], bei apotheken.de</ref> oder [[Narkosegas]])<br />
* als ''inneres Ersticken'' eine Blockade der ''Atmungskette'' oder der Sauerstoffaufnahme durch die [[Erythrozyt|roten Blutkörperchen]], beispielsweise infolge [[Kohlenstoffmonoxidintoxikation]] oder bei der [[Taucherkrankheit]]<br />
* vagale Reflexe, der [[Bolustod]]<br />
<br />
Wie bei der Atmung selbst wird auch hier in äußere und innere Formen der Erstickung unterteilt:<br />
=== Äußere Erstickung ===<br />
Als äußere Erstickung gelten diejenige durch<br />
* eine erniedrigte Sauerstoffkonzentration der [[Atemluft]] von weniger als 130 mbar O<sub>2</sub>-[[Partialdruck]] in<br />
** großer Höhe (hypobare [[Hypoxie (Medizin)|Hypoxie]]): bei unterschiedlicher individueller Empfindlichkeit meist in Höhenlagen ab 4000&nbsp;m. Dies gilt nicht für einzelne, entsprechend gut vorbereitete Extremsportler. So bestiegen der Südtiroler [[Reinhold Messner]] und der Österreicher [[Peter Habeler]] 1978 als erste Bergsteiger den 8848 Meter hohen [[Mount Everest]] ohne [[Sauerstoffgerät]]. ''Siehe auch'': [[Höhenmedizin]]<br />
** abgedichteten Räumen: durch Verbrauch des Sauerstoffs in der Atemluft. [[Taphephobie]] als die [[Angst]] vor einem [[Scheintod]] mit Ersticken im [[Sarg]] ist eine der sog. [[spezifische Phobie|isolierten Phobien]].<br />
** Anwesenheit von [[Inertgas]]en, meist [[Stickstoff]], die den Sauerstoff verdrängen; in engen, unbelüfteten Räumen wie Tanks, Behältern und Schächten und Kellern. Der deutsche Name für das chemische Element Stickstoff beruht auf ebendieser seiner Eigenschaft, Flammen und Lebewesen zu „ersticken“.<br />
* Verlegung oder Einengung der Atemwege durch:<br />
** ein Zurücksinken der Zunge bei [[Bewusstseinsstörung|Bewusstlosigkeit]] ([[Glossoptose]])<br />
** [[Aspiration (Medizin)|Aspiration]], beispielsweise als Aspiration von Blut oder Mageninhalt oder als [[Fremdkörperobstruktion]] mit [[Ertrinken]] als spezifischer Form<br />
** körpereigene [[Sekret]]e (Schleim) oder [[Gewebe (Biologie)|Gewebe]]:<br />
*** Schleimhautschwellungen infolge von [[Entzündung|entzündlichen]] Veränderungen oder allergischen Reaktionen, zum Beispiel Stimmritzen-[[Ödem]] (Glottisödem)<br />
** [[Gewalt]] (etwa Strangulation durch Erwürgen, Erdrosseln oder Erhängen)<br />
* [[Atemlähmung]]en unterschiedlicher Ursache<br />
<br />
=== Innere Erstickung ===<br />
Bei der inneren Erstickung (das heißt bei normaler Sauerstoffkonzentration in der Atemluft und ungehinderter Atemtätigkeit) kann eine Einteilung anhand der spezifischen Angriffspunkte oder&nbsp;– wie hier&nbsp;– anhand der Auslöser erfolgen:<br />
* [[Erstickungsgas]]e, die nicht über eine bloße Verdrängung des Sauerstoffs aus der Atemluft wirken, sind<br />
** [[Kohlenmonoxid]] (CO): bindet 250-mal besser an [[Hämoglobin]] als Sauerstoff ([[Kompetitive Hemmung|kompetitiver Antagonismus]]), siehe [[Kohlenmonoxidvergiftung]]<br />
** [[Schwefelwasserstoff]] (H<sub>2</sub>S): ein Hemmer der [[Mitochondrium|mitochondrialen]] [[Atmungskette]], siehe [[Schwefelwasserstoffvergiftung]]<br />
** [[Cyanwasserstoff|Blausäure]] (Cyanwasserstoff, HCN): führt ebenso wie Schwefelwasserstoff zur Blockade der Atmungskette und wurde in den [[Gaskammer (Massenmord)|Gaskammern]] der [[Zeit des Nationalsozialismus|nationalsozialistischen]] [[Vernichtungslager]] (als sog. [[Zyklon B]]) eingesetzt. Auch heute noch wird sie zur Vollstreckung der [[Todesstrafe]] in den [[Gaskammer (Todesstrafe)|Gaskammern]] der US-Bundesstaaten Arizona, Kalifornien und Missouri verwendet.<br />
<br />
== Atemstillstand ==<br />
<br />
{{Hauptartikel|Atemstillstand}}Zwar ist jeder Endzustand einer Erstickung mit einem Atemstillstand verbunden, doch führt nicht jeder Atemstillstand zum Ersticken. So können beim [[Obstruktives Schlafapnoesyndrom|obstruktiven Schlafapnoesyndrom]] (OSAS) im [[Schlaflabor]] pro Nacht Atemstillstände von jeweils wenigen Sekunden bis hin zu mehreren Minuten mit entsprechendem Abfall der [[Sauerstoffsättigung]] im [[Gewebe (Biologie)|Gewebe]] registriert werden, meist ohne dass akute Schädigungen auftreten.<br />
<br />
== Rechtsmedizin ==<br />
<br />
[[Rechtsmedizin]]isch wird die äußere Erstickung allerdings nicht unter dem Gesichtspunkt [[Pathophysiologie|pathophysiologischer]] Grundsätze, sondern dem der äußeren Verursachung betrachtet, letztlich somit im Rahmen eines Untersuchungsauftrags bei Fragen nach [[Schuld (Strafrecht)|Schuld]] und [[Verpflichtetsein|Haftung]] untersucht. Unter dieser Sichtweise hat auch die innere Erstickung als Folge des Einsatzes von Cyanwasserstoff eine äußere Ursache.<br />
<br />
== ICD-10 ==<br />
<br />
{{Infobox ICD<br />
| BREITE = <br />
| 01-CODE = T17<br />
| 01-BEZEICHNUNG = Fremdkörper in den Atemwegen<br />
| 02-CODE = T17.5<br />
| 02-BEZEICHNUNG = Fremdkörper im Bronchus<br />
| 03-CODE = T17.8<br />
| 03-BEZEICHNUNG = Fremdkörper an sonstigen und mehreren Lokalisationen der Atemwege<br />
| 04-CODE = T17.9<br />
| 04-BEZEICHNUNG = Fremdkörper in den Atemwegen, Teil nicht näher bezeichnet<br />
| 05-CODE = T58<br />
| 05-BEZEICHNUNG = Toxische Wirkung von Kohlenmonoxid<br />
| 06-CODE = T59<br />
| 06-BEZEICHNUNG = Toxische Wirkung sonstiger Gase, Dämpfe oder sonstigen Rauches<br />
| 07-CODE = T70.2<br />
| 07-BEZEICHNUNG = Sonstige und nicht näher bezeichnete Schäden durch große Höhe<br />
| 08-CODE = T71<br />
| 08-BEZEICHNUNG = Erstickung<br />
}}<br />
<br />
Nach [[ICD-10]] werden nur das Ersticken durch [[Erhängen|Strangulation]] sowie ein systemischer Sauerstoffmangel durch mechanische Behinderung der Atmung oder niedrigen Sauerstoffgehalt der Umgebungsluft als „T71“ unter Erstickung zusammengefasst.<br />
<br />
* Der Sauerstoffmangel in großer Höhe wird unter „Sonstige und nicht näher bezeichnete Schäden durch äußere Ursachen“ als „Sonstige und nicht näher bezeichnete Schäden durch große Höhe“ (T70.2) erwähnt.<br />
* Die [[Aspiration (Medizin)|Aspiration]] von Fremdkörpern ist eine der „Folgen des Eindringens eines Fremdkörpers durch eine natürliche Körperöffnung“, genauer ein „Fremdkörper in den Atemwegen“ (T17.-) mit weiterer Einteilung nach anatomischer Lokalisation (so „Fremdkörper in der [[Luftröhre|Trachea]]“, T17.5; „Fremdkörper an sonstigen und mehreren Lokalisationen der Atemwegen“, T17.8; „Fremdkörper in den Atemwegen, Teil nicht näher bezeichnet“, T 17.9)[http://www.lumrix.de/icd/t17.html]<br />
* Die Kohlenmonoxidvergiftung jeder Herkunft wird unter „Toxische Wirkungen von vorwiegend nicht medizinisch verwendeten Substanzen“ als „Toxische Wirkung von Kohlenmonoxid“ eingeordnet und erhält das Kürzel T58<br />
* Die Wirkung von Schwefelwasserstoff wird unter „Asphyxie durch sonstige Gase, Dämpfe oder sonstiger Rauch“ mit T59.- eingeordnet.<br />
<br />
== Siehe auch ==<br />
* [[Erdrosseln]], [[Erwürgen]]<br />
* [[Heimlich-Handgriff]]<br />
* [[Trainingsgeräte zur Erstickungsrettung]]<br />
<br />
== Literatur ==<br />
* Wolfgang Schwerd: ''Erstickung (Sauerstoffmangel).'' In: Wolfgang Schwerd (Hrsg.): ''Kurzgefaßtes Lehrbuch der Rechtsmedizin für Mediziner und Juristen.'' Deutscher Ärzte-Verlag, Köln-Lövenich, 3., überarbeitete und ergänzte Auflage 1979, ISBN 3-7691-0050-6, 71–84.<br />
<br />
== Weblinks ==<br />
* [http://www.irm.unizh.ch/modules.php?name=News&file=article&sid=29 Vorlesungsbegleitung Rechtsmedizin I des Instituts für Rechtsmedizin der Universität Zürich]<br />
<br />
== Einzelnachweise ==<br />
<references /><br />
<br />
[[Kategorie:Krankheitsbild in der Notfallmedizin]]<br />
[[Kategorie:Rechtsmedizin]]<br />
<br />
{{Gesundheitshinweis}}</div>Scriptirhttps://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Hitzschlag_bei_Menschen&diff=246833539Hitzschlag bei Menschen2024-07-17T10:21:13Z<p>Scriptir: </p>
<hr />
<div>{{Dieser Artikel|1=behandelt das durch Hitze verursachte Krankheitsbild des Menschen. Für Hitzschläge bei Tieren siehe [[Hitzschlag bei Tieren]].}}<br />
{{Infobox ICD<br />
| 01-CODE = T67.0<br />
| 01-BEZEICHNUNG = Hitzschlag und Sonnenstich<br />
}}<br />
{{Infobox International Classification of Diseases 11<br />
| Code-01 = NF01.0<br />
| Data-01 = Heat stroke<br />
| Code-02 = NF06.0<br />
| Data-02 = Exertional heat stroke<br />
}}<br />
Ein '''Hitz(e)schlag''' ist ein lebensbedrohlicher [[Hitzeschaden]] des Menschen mit einer Erhöhung der [[Körpertemperatur|Körperkerntemperatur]] auf über 40&nbsp;°C mit [[Bewusstseinsstörung]] (Verwirrtheit, [[Delir]] und [[Koma]], aber auch [[Krampfanfall|Krampfanfälle]]) durch hohe Umgebungstemperaturen ('''klassischer Hitzschlag''') oder übermäßige körperliche Aktivität ('''anstrengungsbedingter Hitzschlag'''). Klassische Hitzschläge treten hauptsächlich in heißen Klimazonen bei nicht Akklimatisierten sowie während sommerlicher [[Hitzewelle]]n in gemäßigten Klimazonen auf, wo sie in diesen Phasen einen großen Anteil der zusätzlichen hitzebedingten Todesfälle ausmachen. Der klassische Hitzschlag betrifft vor allem Kinder und ältere, vorerkrankte Menschen, während anstrengungsbedingte Hitzschläge typischerweise junge, ansonsten gesunde Erwachsene ereilen: Sportler, Militärangehörige und Berufstätige mit schwerer körperlicher Arbeit. Beim Hitzschlag werden die Möglichkeiten des Körpers, Wärme an seine Umgebung abzugeben, überfordert, wodurch die Körpertemperatur unkontrolliert steigt. Die durch die Hitze entstehenden Schäden an den Körperzellen lösen eine [[Systemisches inflammatorisches Response-Syndrom|systemische Entzündungsreaktion]] aus, die zu weiteren Schäden an den Organen führt. Daraus kann sich ein zum Tode führendes [[Multiorganversagen]] entwickeln. Bei Älteren mit klassischem Hitzschlag soll die Sterblichkeit über 50 % liegen, bei Jüngeren mit anstrengungsbedingten Hitzschlägen unter 5 %.<br />
<br />
Die einzige ursächliche Therapie ist die rasche Kühlung auf Temperaturen unter 39&nbsp;°C. Hitzschläge sind durch Verhaltensmaßnahmen vermeidbar. Während Hitzewellen sollte man sich immer wieder im Kühlen aufhalten und zusätzliche kalte Duschen nehmen, sich angemessen kleiden und körperliche Anstrengung meiden. Freunde, Familienmitglieder und Nachbarn sollten auf gefährdete Personen achten. Beim Sport gilt es, das Training an die eigene Belastbarkeit anzupassen und außerhalb der höchsten Tageshitze zu trainieren.<br />
<br />
Durch die [[globale Erwärmung]] werden weltweit häufigere und längere Hitzewellen erwartet. Bei steigenden [[Treibhausgas]]emissionen könnten 2100 bis zu drei von vier Menschen weltweit an mehr als 20 Tagen im Jahr extremer Hitze ausgesetzt sein. <br />
<br />
== Verbreitung und Risikofaktoren ==<br />
Genaue Zahlen zur Häufigkeit von Hitzschlägen und Todesfällen durch Hitzschläge gibt es nicht, da die Krankheit zu selten richtig diagnostiziert wird und nur am Lebenden zu diagnostizieren ist. Nach dem Eintritt des Todes ist die Diagnose nicht mehr sicherzustellen.<ref name="NEJM 2002">{{Literatur |Autor=Abderrezak Bouchama, James P. Knochel |Titel=Heat Stroke |Sammelwerk=New England Journal of Medicine |Band=346 |Nummer=25 |Datum=2002-06-20 |ISSN=0028-4793 |DOI=10.1056/NEJMra011089 |PMID=12075060 |Seiten=1978–1988 }}</ref><ref name="nrdp 2022">{{Literatur |Autor=Abderrezak Bouchama, Bisher Abuyassin, Cynthia Lehe, Orlando Laitano, Ollie Jay |Titel=Classic and exertional heatstroke |Sammelwerk=Nature Reviews Disease Primers |Band=8 |Nummer=1 |Datum=2022-02-03 |ISSN=2056-676X |DOI=10.1038/s41572-021-00334-6 |Seiten=1–23 }}</ref> Zwar wird der klassische Hitzschlag vom anstrengungsbedingten Hitzschlag unterschieden, in der Praxis spielen aber häufig beides – äußere Hitze und übermäßige körperliche Aktivität – bei der Entstehung des Hitzschlages eine Rolle, die beiden Formen überlappen sich also.<ref name="Lee-Chiong 1995">{{Literatur |Autor=Teofilo L. Lee-Chiong, John T. Stitt |Titel=Heatstroke and other heat-related illnesses |Sammelwerk=Postgraduate Medicine |Band=98 |Nummer=1 |Datum=1995-07-01 |ISSN=0032-5481 |DOI=10.1080/00325481.1995.11946015 |PMID=29224478 |Seiten=26–36 }}</ref> Hitzschläge sind sehr viel seltener als mildere Formen von Hitzeschäden wie die [[Hitzeerschöpfung]].<ref name="DEGAM S1 2020" /><br />
<br />
=== Klassischer Hitzschlag ===<br />
Klassische Hitzschläge sind in heißen Klimazonen ein bekanntes Phänomen bei nicht Akklimatisierten. Anhand des [[Haddsch]], der großen islamischen Pilgerfahrt nach [[Mekka]] in [[Saudi-Arabien]], die zu unterschiedlichen Zeitpunkten des [[Sonnenjahr]]es stattfindet, konnte das saisonale Auftreten von Hitzschlägen unter Pilgern gezeigt werden: von 1980 bis 1985 verschob sich der Zeitpunkt des Haddsch vom Oktober in den August. Entsprechend nahm die Zahl der Hitzschläge von 22 auf 251 pro 100.000 Pilger zu. Für 1985 konnten von knapp 1800 Todesfällen an den Pilgerstätten etwa 1000 auf Hitzschläge zurückgeführt werden. Die Hitzschläge trafen fast ausschließlich Pilger von außerhalb Saudi-Arabiens, die an die durchschnittlichen Tageshöchsttemperaturen von 54&nbsp;°C nicht angepasst waren.<ref>{{Literatur |Autor=Hassan I. Ghaznawi, Mohammad A. Ibrahim |Titel=Heat Stroke and Heat Exhaustion in Pilgrims Performing the Haj (Annual Pilgrimage) in Saudi Arabia |Sammelwerk=Annals of Saudi Medicine |Band=7 |Nummer=4 |Datum=1987-10-01 |DOI=10.5144/0256-4947.1987.323 |Seiten=323–326 }}</ref><br />
<br />
In gemäßigten Klimazonen treten Hitzschläge während sommerlicher Hitzewellen [[Epidemie|epidemisch]] auf. Ihr jährliches Auftreten kann stark schwanken, unter anderem abhängig von Anzahl, Dauer und Temperaturen der Hitzewellen. Hitzewellen führen allgemein zu einer Zunahme von Todesfällen, nicht nur durch Hitzschläge, sondern auch durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen, [[Dehydratation (Medizin)|Flüssigkeitsmangel]] und andere Erkrankungen, die sich durch Hitze verschlechtern. Die Gesamtzahl der Hitzetoten kann durch eine Berechnung der [[Übersterblichkeit]] geschätzt werden, der genaue Anteil der Hitzschläge an allen Todesfällen, oder auch nur die Gesamtzahl aller Hitzschläge kann dabei nicht genau ermittelt werden. Die dazu vorhandenen Zahlen unterschätzen wahrscheinlich sowohl die Zahl aller Hitzschläge, als auch die Todesfälle, und sind daher mit Vorsicht zu interpretieren.<ref name="nrdp 2022" /> Der bislang folgenschwerste<ref name="nrdp 2022" /> Sommer in Europa war die [[Hitzewelle in Europa 2003|Hitzewelle von 2003]] mit über 70.000 Hitzetoten,<ref>{{Literatur |Autor=Jean-Marie Robine, Siu Lan K. Cheung, Sophie Le Roy, Herman Van Oyen, Clare Griffiths |Titel=Death toll exceeded 70,000 in Europe during the summer of 2003 |Sammelwerk=Comptes Rendus Biologies |Band=331 |Nummer=2 |Datum=2008-02-01 |Reihe=Dossier : Nouveautés en cancérogenèse / New developments in carcinogenesis |ISSN=1631-0691 |DOI=10.1016/j.crvi.2007.12.001 |Seiten=171–178 |Online=https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S1631069107003770 |Abruf= }}</ref> davon geschätzt 7.600<ref>{{Literatur |Autor=Matthias an der Heiden, Stefan Muthers, Hildegard Niemann, Udo Buchholz, Linus Grabenhenrich |Titel=Schätzung hitzebedingter Todesfälle in Deutschland zwischen 2001 und 2015 |Sammelwerk=Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz |Band=62 |Nummer=5 |Datum=2019-05-01 |ISSN=1437-1588 |DOI=10.1007/s00103-019-02932-y |Seiten=571–579 }}</ref> in Deutschland. Von 14.539 zusätzlichen Todesfällen in Frankreich mit bekannten Todesursachen wurden 1.313 (9 %) auf klassische Hitzschläge zurückgeführt.<ref>{{Literatur |Autor=A. Fouillet, G. Rey, F. Laurent, G. Pavillon, S. Bellec |Titel=Excess mortality related to the August 2003 heat wave in France |Sammelwerk=International Archives of Occupational and Environmental Health |Band=80 |Nummer=1 |Datum=2006-10-01 |ISSN=1432-1246 |DOI=10.1007/s00420-006-0089-4 |PMC=1950160 |PMID=16523319 |Seiten=16–24}}</ref> <br />
<br />
Die Zahl und Intensität der Hitzewellen hat in der Vergangenheit zugenommen.<ref name="nrdp 2022" /> Aktuell sind etwa 30 % der Weltbevölkerung an mehr als zwanzig Tagen im Jahr potenziell tödlicher Hitze ausgesetzt. Bis 2100 könnte dieser Anteil im günstigsten Fall bei ca. 50 % liegen. Bei weiter steigendem Treibhausgasausstoß könnte er auch auf etwa 75 % steigen.<ref>{{Literatur |Autor=Camilo Mora, Bénédicte Dousset, Iain R. Caldwell, Farrah E. Powell, Rollan C. Geronimo |Titel=Global risk of deadly heat |Sammelwerk=Nature Climate Change |Band=7 |Nummer=7 |Datum=2017-07 |ISSN=1758-6798 |DOI=10.1038/nclimate3322 |Seiten=501–506 }}</ref> Hitzschläge und andere hitzebedingte Tode werden damit zu einer globalen Herausforderung für die Gesundheitssysteme.<ref name="nrdp 2022" /><br />
<br />
Ein erhöhtes Risiko für klassische Hitzschläge haben präpubertäre Kinder, sowie Ältere, die vorerkrankt und wenig wohlhabend sind und alleine leben.<ref name="NEJM 2002" /><ref name="nrdp 2022" /> Die höchsten Risiken für einen hitzebedingten Tod (inklusive Tod durch Hitzschlag) bringen Bettlägerigkeit, die Unfähigkeit, täglich das Zuhause zu verlassen sowie Pflegebedürftigkeit. Darauf folgen psychiatrische Erkrankungen (weil viele hier eingesetzte Medikamente in die Wärmeregulation des Körpers eingreifen) sowie Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems und der Lungen.<ref>{{Literatur |Autor=Abderrezak Bouchamam, Mohammed Dehbi, Gamal Mohamed, Franziska Matthies, Mohamed Shoukri, Bettina Menne |Titel=Prognostic Factors in Heat Wave–Related DeathsA Meta-analysis |Sammelwerk=Archives of Internal Medicine |Band=167 |Nummer=20 |Datum=2007-11-12 |ISSN=0003-9926 |DOI=10.1001/archinte.167.20.ira70009 |Seiten=2170 |Online=https://jamanetwork.com/journals/jamainternalmedicine/fullarticle/413470 |Abruf= }}</ref> Auch Medikamente wie [[Betablocker]], [[Diuretikum|Diuretika]] und weitere werden aufgrund meist theoretischer Überlegungen zu ihrer Wirkung als Risikofaktoren angesehen.<ref name="DEGAM S1 2020" /><ref name="NEJM 2019" /><br />
<br />
=== Anstrengungsbedingter Hitzschlag ===<br />
Anstrengungsbedingte Hitzschläge sind durch körperliche Anstrengung verursacht, sie treffen Amateur- und Profisportler, Rekruten in der Grundausbildung und Arbeiter, die körperlich schwer arbeiten. Belastbare Zahlen für die Häufigkeit anstrengungsbedingter Hitzschläge gibt es nicht, da sie insgesamt selten sind. Die meisten Studien dazu erfassen sie gemeinsam mit anderen Hitzeschäden und schlüsseln die Unterarten nicht weiter auf.<ref name="nrdp 2022" /> Zwei Studien an [[Straßenlauf|Straßenläufern]] fanden Raten von 1,0<ref>{{Literatur |Autor=Rebecca G. Breslow, Swastina Shrestha, Aliya G. Feroe, Jeffrey N. Katz, Chris Troyanos |Titel=Medical Tent Utilization at 10-km Road Races: Injury, Illness, and Influencing Factors |Sammelwerk=Medicine & Science in Sports & Exercise |Band=51 |Nummer=12 |Datum=2019-12 |ISSN=0195-9131 |DOI=10.1249/MSS.0000000000002068 |PMC=7371445 |PMID=31730563 |Seiten=2451–2457 |Online=https://journals.lww.com/acsm-msse/Fulltext/2019/12000/Medical_Tent_Utilization_at_10_km_Road_Races_.4.aspx |Abruf= }}</ref> respektive 2,13<ref>{{Literatur |Autor=Julie K. Demartini, Douglas J. Casa, Rebecca Stearns, Luke Belval, Arthur Crago |Titel=Effectiveness of Cold Water Immersion in the Treatment of Exertional Heat Stroke at the Falmouth Road Race |Sammelwerk=Medicine & Science in Sports & Exercise |Band=47 |Nummer=2 |Datum=2015-02 |ISSN=0195-9131 |DOI=10.1249/MSS.0000000000000409 |Seiten=240–245 |Online=https://journals.lww.com/acsm-msse/Fulltext/2015/02000/Effectiveness_of_Cold_Water_Immersion_in_the.3.aspx |Abruf= }}</ref> Hitzschlägen auf 1000 Läufer im Ziel. Hitzschläge werden für etwa 2 % aller Todesfälle unter jungen Sportlern in den USA verantwortlich gemacht, was sie zur vierthäufigsten Todesursache nach dem [[Plötzlicher Herztod beim Sport|plötzlichen Herztod]] (56 %), Unfällen (22 %) und [[Commotio Cordis]] (3 %) macht.<ref>{{Literatur |Autor=Barry J. Maron, Joseph J. Doerer, Tammy S. Haas, David M. Tierney, Frederick O. Mueller |Titel=Sudden Deaths in Young Competitive Athletes: Analysis of 1866 Deaths in the United States, 1980–2006 |Sammelwerk=Circulation |Band=119 |Nummer=8 |Datum=2009-03-03 |ISSN=0009-7322 |DOI=10.1161/CIRCULATIONAHA.108.804617 |Seiten=1085–1092 }}</ref><br />
<br />
Zu den individuellen Risikofaktoren für einen anstrengungsbedingten Hitzschlag gehören eine mangelhafte Akklimatisierung an hohe Temperaturen, ein aktiver fieberhafter Infekt, Hautkrankheiten (insbesondere [[Sonnenbrand]] und [[Anhidrose]], die Unfähigkeit zu Schwitzen), [[Dehydratation (Medizin)|Dehydratation]], Schlafmangel, Alkoholkonsum, mangelnde Fitness, Übergewicht und kardiovaskuläre Erkrankungen,<ref name="Navarro 2017" /> sowie übermäßiger Ehrgeiz und Druck durch Umstehende und Übungsleiter, über die Grenzen der eigenen Leistungsfähigkeit zu gehen.<ref name="NEJM 2019" /> Insbesondere für schlechte Fitness und Übergewicht wurde nachgewiesen, dass sie die Hitzetoleranz deutlich verschlechtern. Untrainierte Übergewichtige haben bei sportlicher Anstrengung ein acht Mal so hohes Risiko für alle Arten von Hitzeschäden.<ref name="ärzteblatt 2019">{{Literatur |Autor=Dieter Leyk, Joachim Hoitz, Clemens Becker, Karl Jochen Glitz, Kai Nestler, Claus Piekarski |Titel=Gesundheitsgefahren und Interventionen bei anstrengungsbedingter Überhitzung |Sammelwerk=Deutsches Ärzteblatt international |Datum=2019-08-05 |ISSN=1866-0452 |DOI=10.3238/arztebl.2019.0537 |PMC=6783627 |PMID=31554541 }}</ref> Auch eine Prädisposition für [[Maligne Hyperthermie]] soll das Risiko für einen anstrengungsbedingten Hitzschlag erhöhen. Die äußeren Risikofaktoren betreffen unter anderem die Trainingsintensität, schwere Ausrüstung und Bekleidung, ungenügende Ruhepausen und andere Aspekte der Trainingsgestaltung.<ref name="Navarro 2017">{{Literatur |Autor=Chelsea S. Navarro, Douglas J. Casa, Luke N. Belval, Nathaniel S. Nye |Titel=Exertional Heat Stroke |Sammelwerk=Current Sports Medicine Reports |Band=16 |Nummer=5 |Datum=2017 |ISSN=1537-8918 |DOI=10.1249/JSR.0000000000000403 |Seiten=304–305 |Online=https://journals.lww.com/acsm-csmr/Fulltext/2017/09000/Exertional_Heat_Stroke.5.aspx |Abruf= }}</ref> Auch hohe Umgebungstemperaturen und hohe Luftfeuchtigkeit tragen zu einem Hitzschlag bei Anstrengung bei,<ref name="Navarro 2017" /> ein anstrengungsbedingter Hitzschlag kann aber grundsätzlich unter allen Witterungsbedingungen auftreten.<ref>{{Literatur |Autor=Allyson S. Howe, Barry P. Boden |Titel=Heat-related illness in athletes |Sammelwerk=The American Journal of Sports Medicine |Band=35 |Nummer=8 |Datum=2007-08 |ISSN=0363-5465 |DOI=10.1177/0363546507305013 |PMID=17609528 |Seiten=1384–1395 }}</ref><br />
<br />
== Pathophysiologie ==<br />
<br />
=== Wärmeabgabe ===<br />
{{Hauptartikel|Thermoregulation}}<br />
Der Körper produziert permanent Wärme, in Ruhe zu 80 % in den inneren Organen, bei körperlicher Betätigung kann der Anteil der Skelettmuskulatur an der Gesamtwärmeproduktion auf bis zu 90 % steigen.<ref>{{Literatur |Autor=Hanns-Christian Gunger |Titel=Kapitel 16: Wärmehaushalt und Temperaturregulation |Hrsg=Erwin-Josef Speckmann, Jürgen Hescheler, Rüdiger Köhling |Sammelwerk=Physiologie |Auflage=6 |Verlag=Urban&Fischer |Ort=München |Datum=2013 |Seiten=606}}</ref> Die Körpertemperatur wird von Zentren im [[Gehirn]] (genauer im [[Hypothalamus]]) überwacht. Steigt sie zu hoch, werden von dort aus Gegenmaßnahmen veranlasst. Diese betreffen das Verhalten (z. B. das Entfernen von Kleidung und das Aufsuchen eines kühleren Ortes) und das [[Vegetatives Nervensystem|vegetative Nervensystem]].<ref>{{Literatur |Autor=Hanns-Christian Gunger |Titel=Kapitel 16: Wärmehaushalt und Temperaturregulation |Hrsg=Erwin-Josef Speckmann, Jürgen Hescheler, Rüdiger Köhling |Sammelwerk=Physiologie |Auflage=6 |Verlag=Urban&Fischer |Ort=München |Datum=2013 |Seiten=614}}</ref> Durch letzteres wird zunächst über eine Weitstellung von Arterien ([[Vasodilatation]]) in der Haut deren Durchblutung gesteigert, insbesondere an den Extremitäten. Es verbleibt auch mehr Blut im [[Vene|venösen]] Gefäßsystem der Haut (sog. venöses Pooling). Dadurch wird mit dem Blut Wärme vom Körperkern an die Oberfläche transportiert, wo sie über [[Konduktion]], [[Konvektion (Wärmeübertragung)|Konvektion]] und [[Infrarotstrahlung]] an die Umgebung abgegeben wird.<ref>{{Literatur |Autor=Hanns-Christian Gunger |Titel=Kapitel 16: Wärmehaushalt und Temperaturregulation |Hrsg=Erwin-Josef Speckmann, Jürgen Hescheler, Rüdiger Köhling |Sammelwerk=Physiologie |Auflage=6 |Verlag=Urban&Fischer |Ort=München |Datum=2013 |Seiten=609-611}}</ref> Diese Mechanismen funktionieren umso besser, je kühler und windiger die Umgebung ist. Hohe Umgebungstemperaturen (ab ca. 36&nbsp;°C) führen dagegen über die gleichen Mechanismen zur Wärmeaufnahme des Körpers.<ref>{{Literatur |Autor=Hanns-Christian Gunger |Titel=Kapitel 16: Wärmehaushalt und Temperaturregulation |Hrsg=Erwin-Josef Speckmann, Jürgen Hescheler, Rüdiger Köhling |Sammelwerk=Physiologie |Auflage=6 |Verlag=Urban&Fischer |Ort=München |Datum=2013 |Seiten=613}}</ref> Als Gegenmaßnahme vermittelt das vegetative Nervensystem das [[Schweiß|Schwitzen]], das bei einer Hauttemperatur von etwa 35,5&nbsp;°C (die sogenannte Schwitzschwelle) einsetzt. Das Verdunsten des Schweißes kühlt die Haut und das sie durchströmende Blut. Bei hohen Temperaturen kommt dem Schwitzen die zentrale Rolle in der Temperaturregulation zu. Eine hohe Luftfeuchtigkeit erschwert die Wärmeabgabe über das Schwitzen.<ref>{{Literatur |Autor=Hanns-Christian Gunger |Titel=Kapitel 16: Wärmehaushalt und Temperaturregulation |Hrsg=Erwin-Josef Speckmann, Jürgen Hescheler, Rüdiger Köhling |Sammelwerk=Physiologie |Auflage=6 |Verlag=Urban&Fischer |Ort=München |Datum=2013 |Seiten=612 f.}}</ref><br />
<br />
Die zusätzliche Durchblutung der Haut stellt eine Belastung für das Herz dar, das mehr pumpen muss: das [[Herzzeitvolumen]] kann sich verdoppeln. Zudem fließt durch das angesprochene venöse Pooling weniger Blut zum Herzen zurück, wodurch die [[Vorlast]] sinkt. Außerdem verringert sich durch das Schwitzen das Blutvolumen. Das Herz kann die nötige Erhöhung des Herzzeitvolumens nur über eine höhere Herzfrequenz (Tachykardie) und eine kräftigere Muskelkontraktion erreichen. Diese zusätzliche Belastung kann von kranken Herzen (zum Beispiel mit [[Koronare Herzkrankheit|Koronarer Herzkrankheit]]) nur eingeschränkt getragen werden. Das erklärt, warum Herzerkrankungen das Risiko für Hitzschläge erhöhen, und es zur Verschlechterung der Krankheit oder zum Tod kommen kann.<ref name="nrdp 2022" /> Kinder hingegen sind deswegen stärker gefährdet, weil sie eine im Vergleich zur Körpermasse große Oberfläche haben, über die sie Wärme leichter aufnehmen. Gleichzeitig haben sie aber ein geringeres Blutvolumen und eine geringere Schweißproduktion, was ihre Wärmeabgabe limitiert.<ref name="NEJM 2019" /><br />
<br />
Bei der langfristigen [[Akklimatisierung]] an Hitze sinkt die Schwitzschwelle, die maximal abgegebene Schweißmenge steigt, und der [[Elektrolyte|Elektrolytgehalt]] des Schweißes sinkt. Letzteres bedeutet zum einen, dass der Körper weniger Elektrolyte durch das Schwitzen verliert, zum anderen verdunstet der elektrolytarme Schweiß leichter. Außerdem werden mehr [[Plasmaprotein]]e gebildet, was das Blutvolumen vergrößert und damit das Herz-Kreislauf-System an die oben beschriebene Belastung angepasst.<ref>{{Literatur |Autor=Hanns-Christian Gunger |Titel=Kapitel 16: Wärmehaushalt und Temperaturregulation |Hrsg=Erwin-Josef Speckmann, Jürgen Hescheler, Rüdiger Köhling |Sammelwerk=Physiologie |Auflage=6 |Verlag=Urban&Fischer |Ort=München |Datum=2013 |Seiten=618}}</ref><br />
<br />
Beim Hitzschlag reichen die Möglichkeiten des Körpers zur Wärmeabgabe nicht mehr aus, um die Körpertemperatur zu senken. Der entscheidende Unterschied zwischen dem klassischen und dem anstrengungsbedingten Hitzschlag ist, dass die anfallende Wärme beim anstrengungsbedingten Hitzschlag wesentlich von der Skelettmuskulatur produziert wird, während es beim klassischen Hitzschlag die hohen Umgebungstemperaturen sind, die die normale Thermoregulation behindern und zum Überhitzen des Körpers führen.<ref name="nrdp 2022" /><br />
<br />
=== Hitzeschockantwort ===<br />
Die [[Protein]]e des menschlichen Körpers funktionieren nur in einem engen Temperaturrahmen optimal, Abweichungen von dieser Temperatur beeinträchtigen sie. Bei Hitze (ab etwa 40&nbsp;°C) kann sich die [[Tertiärstruktur]] von Proteinen verändern. Sie können sich entfalten, falsch falten und [[Einschlusskörperchen|Aggregate bilden]], was die Funktionsfähigkeit der [[Zelle (Biologie)|Zellen]] bedroht. Dies aktiviert ein Schutzprogramm, die [[Hitzeschock]]antwort. Dabei werden (unter anderem) [[Hitzeschockproteine]] produziert, die anderen Proteinen bei der Faltung helfen, und nicht mehr reparable Proteine zum Abbau markieren. Es werden auch weitere zelluläre Schutzprogramme induziert, zum Beispiel zur Stabilisierung des [[Cytoskelett]]s und zum Schutz der [[DNA]] und des [[Chromatin]]s. Im Alter wird die Hitzeschockantwort ineffizienter, weswegen Alter ein Risikofaktor für einen Hitzschlag ist.<ref name="nrdp 2022" /><br />
<br />
=== Hitzetoxizität und systemische Immunreaktion ===<br />
Werden die zellulären und molekularen Schutzmechanismen gegen Hitze überfordert, werden viele Körperzellen irreparabel geschädigt, sodass sie kontrolliert ([[Apoptose]]) oder unkontrolliert ([[Nekrose]]) absterben. Durch die Zellschäden werden unter anderem proinflammatorische Zytokine und andere Moleküle (sogenannte [[Damage-associated molecular Patterns|DAMPs]] und [[Pathogen-assoziierte molekulare Muster|PAMPs]]) freigesetzt, die eine starke Aktivierung des [[Angeborene Immunantwort|angeborenen Immunsystems]] bewirken ([[Systemisches inflammatorisches Response-Syndrom|SIRS]]). Das führt zu einer Schädigung der Zellen, die die Blutgefäße von innen auskleiden ([[Endothel]]) und zu einem sogenannten Kapillarleck, wobei die kleinsten Blutgefäße ([[Kapillare (Anatomie)|Kapillaren]]) durchlässig werden, wodurch Immunzellen und Flüssigkeit ins umliegende Gewebe treten können. Gleichzeitig wird die Gerinnung aktiviert, was [[Thrombozyt|Blutplättchen]] und [[Hämostase|Gerinnungsfaktoren]] verbraucht. Hierdurch bilden sich in schweren Fällen überall kleine [[Thrombose]]n, andererseits kommt es zu diffusen Einblutungen ([[Disseminierte intravasale Koagulopathie|DIC]]).<ref name="nrdp 2022" /> Es ist die undifferenzierte Entzündungsreaktion des Immunsystems, die weitere Schäden in den Organen anrichtet, was wiederum die Immunaktivität verstärkt. Es bildet sich ein Teufelskreis aus Schäden durch das Immunsystem und einer Verstärkung der Immunreaktion. Die oben beschriebenen Vorgänge finden generalisiert im ganzen Körper statt. Dementsprechend findet man in den Organen der nach einem Hitzschlag Verstorbenen ausgebreitete Mikrothrombosen, Einblutungen, apoptotische und nekrotische Zelltode und Muster der Schädigung durch das Immunsystem.<ref name="NEJM 2019">{{Literatur |Autor=Yoram Epstein, Ran Yanovich |Titel=Heatstroke |Sammelwerk=New England Journal of Medicine |Band=380 |Nummer=25 |Datum=2019-06-20 |ISSN=0028-4793 |DOI=10.1056/NEJMra1810762 |Seiten=2449–2459 }}</ref><br />
<br />
Es ist diese Immunreaktion, die den Hitzschlag von anderen hitzebedingten Erkrankungen wie dem Hitzekollaps oder der Hitzeerschöpfung unterscheidet.<ref name="NEJM 2002" /><ref name="nrdp 2022" /><ref name="NEJM 2019" /><br />
<br />
== Symptome ==<br />
In zwei von drei Fällen treten die Symptome des Hitzschlags plötzlich und ohne Vorwarnung auf. Bei den übrigen Fällen kann es eine [[Prodromalphase]] geben, zu der unspezifische Symptome wie Unwohlsein, Ohnmachtsanfälle, Kopfschmerzen oder innere Unruhe gehören, sowie mildere [[Hitzeschaden|Hitzeschäden]], die sich zu einem Hitzschlag entwickeln. Der Beginn dieser Symptome kann dem Hitzschlag um Minuten, Stunden oder sogar Tage vorausgehen.<ref name="nrdp 2022" /><br />
<br />
Die Hauptsymptome des Hitzschlags (neben der hohen Körpertemperatur >40&nbsp;°C) gehen auf die Störung des [[Zentralnervensystem]]s zurück: Verwirrtheit, [[Delir]], [[Bewusstseinsstörung#Quantitative Bewusstseinsstörungen|Bewusstseinsverlust]] bis hin zum [[Koma]], und gelegentlich generalisierte [[Krampfanfall|Krampfanfälle]]. Ein großer Teil der Patienten hat Herzrasen ([[Tachykardie]]) und einen niedrigen Blutdruck ([[arterielle Hypotonie]]), in schweren Fällen kommt es zum [[Schock (Medizin)|Schock]]. Ebenfalls häufig ist eine beschleunigte Atmung ([[Tachypnoe]]). Ein weiteres häufiges Symptom ist [[Durchfall]]. Die Haut ist gerötet und verschwitzt, bei klassischen Hitzschlägen kann sie aber auch blass und trocken sein.<ref name="NEJM 2019" /> Die meisten Symptome, insbesondere die des zentralen Nervensystems, bessern sich bei einer Normalisierung der Körpertemperatur wieder.<ref name="nrdp 2022" /><br />
<br />
== Organkomplikationen ==<br />
Durch die oben beschriebenen Prozesse können viele Organe in Mitleidenschaft gezogen werden. Das Spektrum reicht von milden Funktionseinschränkungen einzelner Organe bis zum [[Multiorganversagen]] und Tod bei längerem Verlauf der Erkrankung.<br />
<br />
;Zentrales Nervensystem<br />
Das Gehirn reagiert sehr sensibel auf eine Hyperthermie, weswegen neurologische Symptome und Beeinträchtigungen des Bewusstseins praktisch immer vorhanden sind. Die Schäden treten vor allem im [[Kleinhirn]] auf. In schweren Fällen bildet sich ein [[Hirnödem]]. Mancherorts ist zu lesen, dass ein Schaden im Hypothalamus verantwortlich sei für eine ausbleibende Wärmeregulation, dafür gibt es jedoch keine Belege.<ref name="NEJM 2019" /><br />
<br />
;Herz-Kreislauf-System<br />
Wie oben beschrieben stellt die Thermoregulation eine Belastung für das Herz dar. Durch die systemische Entzündungsreaktion stellen sich überall im Körper Arterien weit und es geht Blutvolumen durch Flüssigkeitsaustritt ins Gewebe verloren. Daher ist beim Hitzeschlag meistens der Herzschlag beschleunigt und der Blutdruck niedrig. In schweren Fällen kommt es zum [[Schock (Medizin)|Schock]]. Bei Jüngeren mit einem anstrengungsbedingten Hitzschlag ist dies eher ein [[Schock (Medizin)#Distributiver Schock|distributiver Schock]] (ähnlich einem [[Schock (Medizin)#Septischer Schock|septischen Schock]]) mit hoher Pumpleistung des Herzens. Bei Älteren mit einem klassischen Hitzschlag liegt eher ein [[Schock (Medizin)|kardiogener Schock]] mit verminderter Pumpleistung des Herzens vor.<ref name="nrdp 2022" /><br />
<br />
;Lunge<br />
Durch die Hitze beschleunigt sich die Atmung, es kommt zur [[Hyperventilation]] und zur [[Respiratorische Alkalose|respiratorischen Alkalose]]. Auch ein Sauerstoffmangel im Blut ([[Hypoxie (Medizin)|Hypoxie]]) kann auftreten. In schweren Fällen entwickeln sich [[Lungenödem]], Nekrosen oder ein [[Akutes Lungenversagen|Lungenversagen]] (ARDS). Durch Bewusstlosigkeit und Krampfanfälle kann Mageninhalt aspiriert werden und zur [[Aspirationspneumonie]] führen.<ref name="nrdp 2022" /><ref name="shapiro 1990">{{Literatur |Autor=Y. Shapiro, D. S. Seidman |Titel=Field and clinical observations of exertional heat stroke patients |Sammelwerk=Medicine and Science in Sports and Exercise |Band=22 |Nummer=1 |Datum=1990-02 |ISSN=0195-9131 |PMID=2406546 |Seiten=6–14 }}</ref><br />
<br />
;Magen-Darm-Trakt<br />
Eine milde Schädigung der Leber ist sehr häufig, selten schreitet sie bis zum [[Leberversagen]] fort.<ref name="nrdp 2022" /> Die Darmdurchblutung wird bei Hyperthermie zunächst weit verringert, um die Durchblutung der Haut zu gewährleisten. Man vermutet, dass die Minderdurchblutung in Kombination mit der Überhitzung die Barrierefunktion der Darmschleimhaut stört, wodurch bakterielle [[Endotoxin]]e ins Blut gelangen und die systemische Entzündungsreaktion weiter anfachen können.<ref name="NEJM 2019" /> Es kommt zu Durchfall.<ref name="nrdp 2022" /><br />
<br />
;Nieren<br />
Eine Nierenschädigung ist typisch. Meistens kommt es zu einer vorübergehenden Störung der Filterfunktion, wodurch auch größere Proteine in den Urin gelangen ([[Albuminurie]]). Bei bis zu 25 %<ref name="shapiro 1990" /> kommt es zum [[Akutes Nierenversagen|akuten Nierenversagen]], was eine Vielzahl möglicher Ursachen haben: unter anderem direkte Schäden durch Hitze, Schock, [[Disseminierte intravasale Koagulopathie|disseminierte intravasale Gerinnung]] und [[Rhabdomyolyse]]. In schweren Fällen muss [[Dialyse|dialysiert]] werden.<ref name="nrdp 2022" /> <br />
<br />
;Skelettmuskeln<br />
Die [[Skelettmuskulatur]] hat eine an sich hohe Hitzetoleranz. Gelegentlich kann es aber zu einem Untergang der Muskelzellen, einer [[Rhabdomyolyse]], kommen. Warum, ist nicht ganz klar, es gibt aber verschiedene Faktoren, die eine Rolle spielen könnten: eine erhöhte Muskelspannung, eine Minderdurchblutung oder genetische Varianten an Calcium-Kanälen, die eine wichtige Rolle für die Muskelfunktion spielen.<ref name="nrdp 2022" /><br />
<br />
== Diagnosestellung ==<br />
Die Diagnose ist gesichert, wenn die Körpertemperatur über 40&nbsp;°C liegt (vorzugsweise wiederholte [[Mastdarm|rektale]] Messung<ref name="ärzteblatt 2019" />), neurologische Symptome wie oben beschrieben vorliegen, und die hohe Körpertemperatur entweder auf hohe Umgebungstemperaturen oder starke körperliche Anstrengung (oder die Kombination aus beidem) zurückgeführt werden kann.<ref name="nrdp 2022" /> Eine gemessene Körpertemperatur unter 40&nbsp;°C schließt einen Hitzschlag allerdings nicht aus, da die Temperaturmessung verfälscht oder der Körper schon wieder abgekühlt sein kann. Bei entsprechenden Symptomen und passenden Umständen sollte trotzdem von einem Hitzschlag ausgegangen werden. Gleichzeitig können Sportler durchaus eine Körpertemperatur über 40&nbsp;°C haben, ohne dass ein Hitzeschaden vorliegt.<ref name="nrdp 2022" /><ref name="DEGAM S1 2020" /><br />
<br />
== Differentialdiagnosen ==<br />
Als Differentialdiagnosen kommen alle Erkrankungen in Betracht, die eine ähnliche Symptomatik zeigen. Dazu gehören auch, aber nicht nur: [[Meningitis]], [[Enzephalitis]], [[Epilepsie]], Drogen und Medikamente (z.&nbsp;B. [[MDMA]], [[Kokain]] und [[Amphetamin]]e, [[Malignes Neuroleptika-Syndrom]]), schwere Dehydratation und andere Syndrome (z. B. [[Thyreotoxische Krise]], [[Serotoninsyndrom]], perniziöse [[Katatonie]]).<ref name="NEJM 2019" /><br />
<br />
== Vorbeugung ==<br />
Vorbeugung ist wichtig für Hitzschlag.<ref name="nrdp 2022" /><br />
<br />
Es gibt eine Reihe von allgemeinen Verhaltensmaßregeln in Hitzewellen, die vor allen Arten von Gesundheitsschäden durch Hitze schützen. So sollte man sich in klimatisierten Räumlichkeiten aufhalten. Steht eine heimische [[Klimaanlage]] nicht zur Verfügung und die Wohnung heizt sich stark auf, sollten zeitweise klimatisierte Räumlichkeiten (z. B. Einkaufszentren) aufgesucht werden, da auch diese kurzen Aufenthalte in kühler Luft den Körper bei der Regulation der Körpertemperatur unterstützen. Ventilatoren, zusätzliche kalte Duschen oder Bäder und das Aufsprühen von Wasser auf die Haut können ebenfalls helfen. Es ist wichtig, nicht der Sonne ausgesetzt zu sein besonders in den zentralen Stunden des Tages und an Orten, die leicht zu heizen sind (wie Autos unter der Sonne). Bei Hitzewetter, eine periodische Pause in Schattenbereichen kann erforderlich sein. Darüber hinaus, ein wirksamer Schlaf wird allgemein als vorbeugende Maßnahme praktiziert. Außerdem sollte ausreichend getrunken (die Aufnahme von Wasser und isotonischen Getränken wird empfohlen) und übermäßige körperliche Anstrengung gemieden werden. Die Kleidung sollte hell und luftig sei, und der Kopf kann mit Kappen oder Hüten bedeckt sein. Nachbarn und Angehörige sollten auf besonders gefährdete Menschen wie alleinlebende Ältere, die ihre Wohnung nur noch selten verlassen, Acht geben. Die amerikanische Seuchenschutzbehörde [[Centers for Disease Control and Prevention|CDC]] empfiehlt allen über 65-jährigen, sich während Hitzewellen zwei Mal täglich von Verwandten oder Freunden anrufen zu lassen, damit eine Verschlechterung des Gesundheitszustands rechtzeitig erkannt werden kann.<ref name="nrdp 2022" /><ref>{{Internetquelle |url=https://www.cdc.gov/disasters/extremeheat/heattips.html |titel=Tips for Preventing Heat-Related Illness {{!}} Natural Disasters and Severe Weather {{!}} CDC |datum=2020-04-14 |sprache=en-us |abruf=2022-03-27}}</ref><ref>{{Internetquelle |url=https://www.dwd.de/DE/leistungen/hitzewarnung/verhaltensempfehlungen.pdf?__blob=publicationFile&v=4 |titel=Verhaltensempfehlungen bei Hitze |werk=dwd.de |hrsg=Deutscher Wetterdienst |sprache=de |abruf=2022-03-27}}</ref><ref>{{Internetquelle |autor=Ulrich Lindemann, Patrick Roigk |url=https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/5_Publikationen/Praevention/Broschueren/Alter_und_Hitze_RBK_BMG.pdf |titel=Alter + Hitze: Tipps zur Vermeidung von gesundheitlichen Schäden. |werk=bundesgesundheitsministerium.de |sprache=de |abruf=2022-03-27}}</ref><br />
<br />
Für den sportlichen Bereich gilt eine Anpassung der Belastung an die klimatischen Bedingungen, eine ausreichende Trinkmenge, präventive kühlende Maßnahmen und ausreichende Ruhephasen. Wird ein Training unter heißen Bedingungen aufgenommen, sollte zunächst eine 10–14 Tage dauernde Hitzeakklimatisierung erfolgen. Trainer und Sportler sollten ein Bewusstsein für Hitzegefahren haben sowie die Risiken für einen Hitzeschaden und dessen Anzeichen kennen und darauf vorbereitet sein, indem Maßnahmen zur Kühlung bereitgestellt werden.<ref>Beispielhaft: {{Internetquelle |autor= |url=https://ksi.uconn.edu/wp-content/uploads/sites/1222/2018/01/Preventing-Surviving-EHS-September-2017.pdf |titel=6 Pillars of Exertional Heat Stroke Prevention |werk=ksi.uconn.edu |hrsg=Korey Stringer Institute, University of Connecticut |datum=2017-09 |sprache=en |abruf=2022-03-27}}</ref><br />
<br />
Solarverbrennungen sind normalerweise mit Hitzschlag verbunden und können durch Bedeckung der Haut mit leichter Kleidung und hoher Schutzlotion verhindert werden.<br />
<br />
== Therapie ==<br />
Entscheidend ist der zügige Beginn von kühlenden Maßnahmen noch vor Ort, denn je länger die Körpertemperatur über 40&nbsp;°C liegt, desto größer sind die Schäden an den Organen, und umso schlechter sind die Heilungsaussichten. Im Idealfall gelingt es, die Körpertemperatur innerhalb von 30 Minuten auf Werte von 38–39&nbsp;°C zu senken. Maßgebend für den Erfolg ist ein möglichst großer Temperaturunterschied zwischen dem überhitzten Körper und der kühlenden Umgebung. Mittel der Wahl ist daher das Eintauchen des ganzen Körpers in Eiswasser. Weniger wirksam ist kühles Wasser aus der Leitung, das Auflegen von [[Kühlakku]]s,<ref name="ärzteblatt 2019" /> oder das Besprühen der Haut mit Wasser und Beströmen mit Luft. Wenn Kühlakkus verwendet werden, sollten sie in den Achseln, den Leisten und am Hals platziert werden, wo unter der Haut große Blutgefäße verlaufen.<ref name="nrdp 2022" /> Bei jungen Menschen, die einen anstrengungsbedingten Hitzschlag erlitten haben, hat das Eiswasserbad nachweislich die besten Heilungsaussichten und kann sicher angewendet werden.<ref name="ärzteblatt 2019" /> Beim klassischen Hitzschlag konnte für keine Kühlmethode eine eindeutige Überlegenheit gezeigt werden, auch ein pragmatischer Ansatz mit Kühlakkus, Benässen des Körpers und Beströmen mit Luft (z. B. durch einen Ventilator) kann also sinnvoll sein.<ref name="nrdp 2022" /> Womit gekühlt wird, hängt auch von der Verfügbarkeit (z. B. von Eiswasser) ab.<ref name="DEGAM S1 2020">R. Jendyk, P. Maisel: ''Hitzebedingte Gesundheitsstörungen in der hausärztlichen Praxis.'' DGAM S1-Handlungsempfehlung, Stand 06/2020, AWMF-Registernummer 053-052. [https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/053-052l_S1_Hitzebedingte-Gesundheitsstoerungen-Hausarztpraxis_2020-09.pdf Langfassung (PDF)], [https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/053-052k_S1_Hitzebedingte-Gesundheitsstoerungen-Hausarztpraxis_2020-09.pdf Kurzfassung], [https://www.awmf.org/fileadmin/user_upload/Leitlinien/053_D_Ges_fuer_Allgemeinmedizin_und_Familienmedizin/053-052pi_S1_Hitzebedingte-Gesundheitsstoerungen-Hausarztpraxis_2021-06.pdf Patienteninformation].</ref> Die Kühlmaßnahmen sollten beendet werden, wenn die Körpertemperatur bei 38–39&nbsp;°C liegt, weil es durch den weiteren Rückstrom von kaltem Blut von der Haut zum Körperkern sonst zeitversetzt zu einer Unterkühlung kommen kann. Eine medikamentöse Alternative zur physikalischen Kühlung gibt es nicht.<ref name="ärzteblatt 2019" /><br />
<br />
Die weiteren Therapien richten sich nach den Symptomen und Komplikationen. Im Falle eines Herz-Kreislauf-Stillstands hat die [[Herz-Lungen-Wiederbelebung]] Vorrang vor den Kühlmaßnahmen. Bei Krampfanfällen können [[Benzodiazepine]] eingesetzt werden. Wer einen Hitzschlag erlitten hat, wird in der Regel danach stationär im Krankenhaus überwacht, damit ein sich möglicherweise entwickelndes (Mulit-)Organversagen erkannt und rechtzeitig behandelt werden kann. Nach einem anstrengungsbedingten Hitzschlag sollte eine einwöchige Schonungsphase eingelegt werden. Danach kann über zwei bis vier Wochen die Belastung wieder gesteigert werden.<ref name="DEGAM S1 2020" /><br />
<br />
== Prognose ==<br />
Die Angaben zur Sterblichkeit nach Hitzschlägen liegen weit auseinander.<ref name="DEGAM S1 2020" /> In Japan wurde ermittelt, dass 7,1 % der Patienten im Krankenhaus sterben.<ref>{{Literatur |Autor=Toru Hifumi, Yutaka Kondo, Junya Shimazaki, Yasutaka Oda, Shinichiro Shiraishi |Titel=Prognostic significance of disseminated intravascular coagulation in patients with heat stroke in a nationwide registry |Sammelwerk=Journal of Critical Care |Band=44 |Datum=2018-04 |DOI=10.1016/j.jcrc.2017.12.003 |Seiten=306–311 |Online=https://linkinghub.elsevier.com/retrieve/pii/S0883944117317458 |Abruf= }}</ref> Nach der Hitzewelle in Frankreich 2003 wurde ermittelt, dass nach 28 Tagen bzw. zwei Jahren 59 respektive 71 % der Opfer verstorben waren, was allerdings nach Einschätzung der Wissenschaftler auch an der damals mangelnden Erfahrung im Umgang mit Hitze und hitzebedingten Erkrankungen lag.<ref>{{Literatur |Autor=Laurent Argaud |Titel=Short- and Long-term Outcomes of Heatstroke Following the 2003 Heat Wave in Lyon, France |Sammelwerk=Archives of Internal Medicine |Band=167 |Nummer=20 |Datum=2007-11-12 |ISSN=0003-9926 |DOI=10.1001/archinte.167.20.ioi70147 |Seiten=2177 |Online=https://jamanetwork.com/journals/jamainternalmedicine/fullarticle/413443 |Abruf= }}</ref> Allgemein geht man bei Älteren mit klassischen Hitzschlägen von einer Sterblichkeit über 50 % aus. Die Prognose des anstrengungsbedingten Hitzschlags ist besser, hier liegt die Sterblichkeit bei unter 5 %.<ref name="NEJM 2019" /> Bei anstrengungsbedingtem Hitzschlag kann die Überlebensrate auf 100 % steigen, wenn eine schnelle Kühlung auf unter 39&nbsp;°C gelingt. 10–28 % der Überlebenden haben kognitive Einschränkungen (wie Konzentrationsschwäche) oder motorische Störungen (wie [[zerebelläre Ataxie]], oder [[Dysarthrie]]) und einen Gedächtnisverlust ([[anterograde Amnesie]]). Die meisten Schäden sind im [[Kleinhirn]] lokalisiert. Die Probleme können einige Wochen bis Monate anhalten.<ref name="nrdp 2022" /><ref name="NEJM 2019" /><br />
<br />
== Historische Perspektive ==<br />
Hitzschläge als gesundheitliches Problem bei arbeitenden Menschen und Militärangehörigen lassen sich in der schriftlich fixierten Geschichte weit zurückverfolgen. Im [[Turiner Papyrus (Landkarte)|Turiner Papyrus]] (ca. 12. Jahrhundert v. Chr.) wird beschrieben, dass sich die Arbeitszeiten auf je vier Stunden am Morgen und am Nachmittag verteilten, mit einer längeren Pause in der Mittagszeit – wohl, um Hitzschlägen (und anderen Hitzeschäden) vorzubeugen.<ref>{{Internetquelle |autor=Sameh M. Arab |url=https://www.arabworldbooks.com/en/e-zine/medicine-in-ancient-egypt-part-3-of-3 |titel=Medicine in Ancient Egypt Part 3 of 3 |werk=arabworldbooks.com |datum=2017-11-05 |sprache=en |abruf=2022-05-08}}</ref><ref>{{Literatur |Autor=Kate Kelly |Titel=The History of Medicine. Early Civilizations: Prehistoric Times to 500 C. E. |Verlag=Infobase Publishing |Ort=New York |Datum=2009 |ISBN=9780816072057 |Seiten=44 |Online=https://books.google.de/books?id=BzXJP5s-psYC&pg=PA44&lpg=PA44&dq=turin+papyrus+sunstroke&source=bl&ots=H-38N6Bh53&sig=ACfU3U0ydcnHz7a0kxVCyB6G84L3q3Lqig&hl=de&sa=X&ved=2ahUKEwjq8Yqups73AhUOgP0HHdf9B7gQ6AF6BAgCEAM#v=onepage&q=turin%20papyrus%20sunstroke&f=false}}</ref> <br />
<br />
Tödliche Hitzschläge finden in der Bibel respektive dem [[Tanach]] Erwähnung. Im [[2. Buch der Könige]] aus dem 6. Jhd. v. Chr. wird geschildert, wie ein Kind auf dem Feld zusammenbricht und nach kurzer Zeit stirbt ({{B|2 Kön|4|18-20|EU}}), was von manchen Lesern als Hitzschlag interpretiert wird.<ref>{{Internetquelle |autor=Richard T. Ritenbaugh |url=https://www.bibletools.org/index.cfm/fuseaction/Topical.show/RTD/cgg/ID/2337/Sunstroke.htm |titel=What the Bible says about Sunstroke |werk=bibletools.org |abruf=2022-05-08}}</ref> Der Junge kann allerdings durch göttliches Eingreifen wiederbelebt werden ({{B|2 Kön|4|32-36|EU}}). Im [[Buch Judit]] aus dem ersten vorchristlichen Jahrhundert stirbt Judits Ehemann Manasse bei der Feldarbeit an einem Hitzschlag ({{B|Jdt|8|2-3|EU}}).<ref>„Ihr Mann Manasse, der aus ihrem Stamm und ihrer Sippe war, hatte zur Zeit der Gerstenernte den Tod gefunden. Als er nämlich bei den Garbenbindern auf dem Feld stand, traf ihn ein Hitzschlag; er musste sich zu Bett legen und starb in seiner Heimatstadt Betulia. Man begrub ihn bei seinen Vätern auf dem Feld zwischen Dotan und Jibleam.“ {{B|Jdt|8|2-3|EU}}</ref><br />
<br />
Zum Zeitpunkt der Abfassung dieses biblischen Buches war das Erkrankungsbild in der antiken Medizin gut bekannt. Im [[Corpus Hippocraticum]] findet sich eine Beschreibung ca. aus dem Jahr 400 v. Chr., wie starke Sonneneinstrahlung zu Fieber und Krampfanfällen führt. Die antiken Griechen, Römer und Ägypter brachten die Zeit der größten Sommerhitze mit dem [[heliakisch]]en Aufgang des „Hundsterns“ [[Sirius]] (damals im [[Juli]]) in Verbindung. Wegen dieser Verbindung zwischen dem Aufgang des Sirius und der Hitze der sprichwörtlichen „[[Hundstage]]“ wurden Hitzschläge in der Antike oft als ''Siriasis'' bezeichnet. Hitzschläge als militärisch relevantes Problem wurden erstmals von [[Herodot]] (5. Jhd. v. Chr.) beschrieben: Die Soldaten [[Sparta]]s und [[Athen]]s litten unter der Kombination aus hohen Umgebungstemperaturen, [[Rüstung (Schutzkleidung)|Rüstung]] und schwerem Gepäck. [[Alexander der Große]] musste für seine Feldzüge im 4. Jhd. v. Chr. auf die Gefahr von Hitzschlägen in seiner Armee Rücksicht nehmen.<ref name="historical perspectives on heat stroke 1">{{Literatur |Autor=Douglas J. Casa, Lawrence E. Armstrong, Robert Carter, Rebecca Lopez, Brendon Mcdermott |Titel=Historical Perspectives on Medical Care for Heat Stroke, Part 1: Ancient Times Through the Nineteenth Century: A Review of the Literature |Sammelwerk=Athletic Training & Sports Health Care |Band=2 |Nummer=3 |Datum=2010-01 |ISSN=1942-5864 |DOI=10.3928/19425864-20100428-07 |Seiten=132–138 }}</ref> [[Aelius Gallus]], Präfekt der römischen [[Aegyptus|Provinz Ägypten]], scheiterte um 24 v. Chr. mit einem Feldzug zur Eroberung der südlichen [[Arabische Halbinsel|Arabischen Halbinsel]] ([[Arabia Felix]]). Nach einem Bericht des [[Cassius Dio]] wurden die Legionäre durch den Einfluss der Wüste und der Sonne von einem tödlichen Leiden getroffen, wodurch Gallus einen Großteil seiner Armee verlor. Derartig geschwächt, wurde sie von den Verteidigern zurückgeschlagen.<ref name="historical perspectives on heat stroke 1" /><ref name="a roman experience">{{Literatur |Titel=A roman experience with heat stroke in 24 B.C |Sammelwerk=Bulletin of the New York Academy of Medicine |Band=43 |Nummer=8 |Datum=1967-08 |ISSN=0028-7091 |PMC=1806712 |PMID=19312771 |Seiten=767–768 }}</ref><br />
<br />
Als Therapie empfahl Hippokrates, den Körper mit kaltem Wasser zu übergießen – aus heutiger Sicht eine sinnvolle Therapie. Das einzige Gegenmittel für die Krankheit, welche die römische Legion des Aelius Gallus dezimierte, war laut Cassius Dio eine Mischung aus Wein und Olivenöl, die getrunken oder auf die Haut aufgetragen wurde. Für die meisten Soldaten war sie jedoch nicht verfügbar (kaltes Wasser allerdings auch nicht).<ref name="historical perspectives on heat stroke 1" /><ref name="a roman experience" /> Der [[Aderlass]], der auf der insbesondere in den Schriften [[Galenos|Galens]] begründeten [[Humoralpathologie|Viersäftelehre]] beruht, wurde erst in späteren Jahrhunderten zur Therapie des Hitzschlags propagiert.<ref name="historical perspectives on heat stroke 1" /><br />
<br />
Der [[Kanon der Medizin]], geschrieben im frühen 11. Jahrhundert n. Chr. vom persischen Universalgelehrten und Arzt [[Avicenna|Ibn Sīnā]] (latinisiert ''Avicenna''), stellt das (insbesondere auf Galens Schriften beruhende) [[Medizin in der mittelalterlichen islamischen Welt|zeitgenössische medizinische Wissen in der islamischen Welt]] dar. In seiner lateinischen Übersetzung wurde der Kanon die europäische Medizin ab dem 14. Jahrhundert prägend. Darin werden auch verschiedene vorbeugende Maßnahmen und Therapien für Hitzschläge genannt. Zum Schutz vor Hitze und Sonne wird das Einreiben der Brust mit [[Portulak|Portulak-Saft]] oder [[Sand-Wegerich|Sand-Wegerich-Schleim]] empfohlen. Um die Belastungen von Reisen in der Hitze zu mildern, soll [[Rosenöl]] mit [[Veilchen]] auf die Haut aufgetragen werden – oder man in kaltem Wasser schwimmen. Auch das Benetzen von Kopf und Gliedmaßen mit kaltem Wasser und der Aufenthalt im Kühlen findet eine Empfehlung. Von Geschlechtsverkehr wird jedoch abgeraten. Bei Hitzschlag sollen der Konsum von gesalzenem Fisch, verdünntem Wein und saurer Buttermilch helfen. Im Kanon der Medizin findet sich auch erstmals die Vorstellung, dass das Trinken von kaltem Wasser bei einem Hitzschlag schädlich sei und zu einem tödlichen Schock führen könne. Es sei besser, den Mund mit Wasser nur auszuspülen. Diese Ansicht wurde bis ins 20. Jahrhundert hinein in der westlichen Medizin vertreten.<ref name="historical perspectives on heat stroke 1" /><br />
<br />
== Weiterführende Literatur und Weblinks ==<br />
;Weblinks<br />
{{Wiktionary|Hitzschlag}}<br />
<br />
*{{Internetquelle |autor=Sibylle Wilke |url=https://www.umweltbundesamt.de/daten/umwelt-gesundheit/gesundheitsrisiken-durch-hitze |titel=Gesundheitsrisiken durch Hitze |werk=umweltbundesamt.de |datum=2022-01-07 |sprache=de |abruf=2022-03-31}}<br />
*{{Internetquelle |autor= |url=https://www.rki.de/DE/Content/GesundAZ/H/Hitzefolgekrankheiten/Hitzefolgekrankheiten_node.html |titel=Hitzefolgekrankheiten |werk=rki.de|hrsg=[[Robert Koch-Institut]] |datum=2021-06-15 |sprache=de |abruf=2022-03-31}}<br />
*{{Internetquelle |autor= |url=https://www.patienten-information.de/kurzinformationen/hitze |titel=Klimawandel und Gesundheit – wenn Hitze zum Risiko wird |werk=patienten-information.de |hrsg= [[Bundesärztekammer]] & [[Kassenärztliche Bundesvereinigung]] |datum=2021-05 |sprache=de |abruf=2022-03-31}}<br />
*{{Internetquelle |autor=Ulrich Lindemann, Patrick Roigk |url=https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/5_Publikationen/Praevention/Broschueren/Alter_und_Hitze_RBK_BMG.pdf |titel=Alter + Hitze: Tipps zur Vermeidung von gesundheitlichen Schäden. |werk=bundesgesundheitsministerium.de |sprache=de |abruf=2022-03-27}}<br />
*{{Internetquelle |autor=Walter E. Haefeli, David Czock |url=https://dosing.de/Hitze/Medikamentenmanagement_bei_Hitzewellen.pdf |titel=Heidelberger Hitze-Tabelle, Arzneistoffe mit potenziellen Risiken in Hitzewellen (PDF-Datei) |werk=dosing.de (Universitätsklinikum Heidelberg) |datum=2024-04-26 |sprache=de |abruf=2024-07-11}}<br />
<br />
;Fachartikel auf Deutsch<br />
* {{Literatur |Autor=Dieter Leyk, Joachim Hoitz, Clemens Becker, Karl Jochen Glitz, Kai Nestler, Claus Piekarski |Titel=Gesundheitsgefahren und Interventionen bei anstrengungsbedingter Überhitzung |Sammelwerk=Deutsches Ärzteblatt international |Datum=2019-08-05 |ISSN=1866-0452 |DOI=10.3238/arztebl.2019.0537 |PMC=6783627 |PMID=31554541 }}<br />
*R. Jendyk, P. Maisel: ''Hitzebedingte Gesundheitsstörungen in der hausärztlichen Praxis.'' DGAM S1-Handlungsempfehlung, Stand 06/2020, AWMF-Registernummer 053-052. [https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/053-052l_S1_Hitzebedingte-Gesundheitsstoerungen-Hausarztpraxis_2020-09.pdf Langfassung (PDF)], [https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/053-052k_S1_Hitzebedingte-Gesundheitsstoerungen-Hausarztpraxis_2020-09.pdf Kurzfassung], [https://www.awmf.org/fileadmin/user_upload/Leitlinien/053_D_Ges_fuer_Allgemeinmedizin_und_Familienmedizin/053-052pi_S1_Hitzebedingte-Gesundheitsstoerungen-Hausarztpraxis_2021-06.pdf Patienteninformation].<br />
<br />
;Fachartikel auf Englisch<br />
*{{Literatur |Autor=Abderrezak Bouchama, James P. Knochel |Titel=Heat Stroke |Sammelwerk=New England Journal of Medicine |Band=346 |Nummer=25 |Datum=2002-06-20 |ISSN=0028-4793 |DOI=10.1056/NEJMra011089 |PMID=12075060 |Seiten=1978–1988 }}<br />
*{{Literatur |Autor=Abderrezak Bouchama, Bisher Abuyassin, Cynthia Lehe, Orlando Laitano, Ollie Jay |Titel=Classic and exertional heatstroke |Sammelwerk=Nature Reviews Disease Primers |Band=8 |Nummer=1 |Datum=2022-02-03 |ISSN=2056-676X |DOI=10.1038/s41572-021-00334-6 |Seiten=1–23 }}<br />
*{{Literatur |Autor=Yoram Epstein, Ran Yanovich |Titel=Heatstroke |Sammelwerk=New England Journal of Medicine |Band=380 |Nummer=25 |Datum=2019-06-20 |ISSN=0028-4793 |DOI=10.1056/NEJMra1810762 |Seiten=2449–2459 }}<br />
<br />
;Fachartikel zur Medizingeschichte<br />
*{{Literatur |Autor=Douglas J. Casa, Lawrence E. Armstrong, Robert Carter, Rebecca Lopez, Brendon Mcdermott |Titel=Historical Perspectives on Medical Care for Heat Stroke, Part 1: Ancient Times Through the Nineteenth Century: A Review of the Literature |Sammelwerk=Athletic Training & Sports Health Care |Band=2 |Nummer=3 |Datum=2010-01 |ISSN=1942-5864 |DOI=10.3928/19425864-20100428-07 |Seiten=132–138 }}<br />
*{{Literatur |Autor=Douglas J. Casa, Lawrence E. Armstrong, Robert Carter, Rebecca Lopez, Brendon McDermott |Titel=Historical Perspectives on Medical Care for Heat Stroke, Part 2: 1850 Through the Present: A Review of the Literature |Sammelwerk=Athletic Training & Sports Health Care |Band=2 |Nummer=4 |Datum=2010-07 |ISSN=1942-5864 |DOI=10.3928/19425864-20100514-01 |Seiten=178–190 }}<br />
<br />
== Einzelnachweise ==<br />
<references responsive/><br />
<br />
[[Kategorie:Krankheitsbild in der Notfallmedizin]]<br />
[[Kategorie:Krankheitsbild in der Sportmedizin]]<br />
[[Kategorie:Krankheitsbild in der Wehrmedizin]]</div>Scriptirhttps://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Herzinfarkt&diff=243295103Herzinfarkt2024-03-20T18:54:03Z<p>Scriptir: Zeit der Krankenwagen</p>
<hr />
<div>{{Weiterleitungshinweis|Herzattacke|Zur Kunstzeitschrift siehe [[Herzattacke (Kunstzeitschrift)]].}}<br />
<br />
{{Überarbeiten|grund= Der Artikel ist in wichtigen Punkten veraltet und bedarf einer dringenden Aktualisierung. Siehe Diskussionsseite. -- --[[Spezial:Beiträge/2A02:3030:800:BA1F:A0AC:5D3B:7A98:32C6|2A02:3030:800:BA1F:A0AC:5D3B:7A98:32C6]] 14:08, 26. Mär. 2023 (CEST)}}<br />
<br />
{{Infobox ICD<br />
| BREITE = 250<br />
| 01-CODE = I21<br />
| 01-BEZEICHNUNG = Akuter Myokardinfarkt<br />
| 02-CODE = I22<br />
| 02-BEZEICHNUNG = Rezidivierender Myokardinfarkt<br />
}}<br />
<br />
[[Datei:AMI scheme.png|mini|hochkant|Myokardinfarkt der Vorderwandspitze (2) nach Verschluss (1) des vorderen absteigenden Astes ([[Koronargefäß#Koronararterien|LAD]]) der linken Kranzarterie (LCA), schematische Darstellung]]<br />
<br />
Der '''Herzinfarkt''' oder (genauer) '''Herzmuskelinfarkt''' bzw. '''Myokardinfarkt''', auch '''Koronarinfarkt''' genannt, ist ein akutes und lebensbedrohliches Ereignis infolge einer Erkrankung des [[Herz]]ens, bei der eine [[Koronararterie]] oder einer ihrer Äste verlegt oder stärker eingeengt wird. In der [[Humanmedizin]] gebräuchliche Abkürzungen sind HI, MI (''myocardial infarction'') oder AMI (''acute myocardial infarction'').<br />
<br />
Es handelt sich um eine anhaltende [[Durchblutungsstörung]] (''[[Ischämie]]'') von Teilen des [[Herzmuskel]]s (Myokard), die in den meisten Fällen durch [[Blutgerinnsel]] in einer [[Atherosklerose|atherosklerotisch]] veränderten Engstelle eines [[Herzkranzgefäß]]es verursacht wird. [[Leitsymptom]] des Herzinfarktes ist ein plötzlich auftretender, anhaltender und meist starker [[Schmerz]] im Brustbereich, der vorwiegend linksseitig in die [[Schulter]]n, [[Arm]]e, [[Unterkiefer]], [[Rücken]] und [[Oberbauch]] ausstrahlen kann. Er wird oft von [[Schweißausbruch|Schweißausbrüchen]]/[[Kaltschweißigkeit]], [[Übelkeit]] und eventuell [[Erbrechen]] begleitet. Bei etwa 25 % aller Herzinfarkte treten nur geringe oder keine Beschwerden auf (sogenannter stummer Infarkt). In der Akutphase eines Herzinfarktes kommen häufig gefährliche [[Herzrhythmusstörung]]en vor; auch kleinere Infarkte führen nicht selten über [[Kammerflimmern]] zum [[Plötzlicher Herztod|plötzlichen Herztod]]. Etwa 30 % aller Todesfälle beim Herzinfarkt ereignen sich vor jeder [[Laienhelfer|Laienhilfe]] oder medizinischen Therapie.<br />
<br />
Der Artikel behandelt den Myokardinfarkt im Wesentlichen beim Menschen; [[#Myokardinfarkt bei Tieren|Myokardinfarkte bei Tieren]] sind gesondert am Schluss beschrieben.<br />
<br />
== Epidemiologie ==<br />
[[Datei:So entsteht ein Herzinfarkt.webm|mini|Video: So entsteht ein Herzinfarkt]]<br />
[[Datei:Heart attack video.webm|mini|Video: Mechanismus von Herzinfarkten (englisch)]]<br />
Der Herzinfarkt ist eine der [[Todesursache|Haupttodesursachen]] in den [[Industrienation]]en. Die [[Inzidenz (Epidemiologie)|Inzidenz]] beträgt in Österreich/Deutschland etwa 300 Infarkte jährlich pro 100.000 Einwohner (in Japan < 100; Mittelmeer, Schweiz, Frankreich < 200; 300 bis 400 in Skandinavien; 400 bis 500 in England, Ungarn), in Deutschland erleiden jedes Jahr etwa 280.000 Menschen einen Herzinfarkt. Laut Todesursachenstatistik des [[Statistisches Bundesamt|Statistischen Bundesamtes]] starben in Deutschland im Jahr 2015 über 49.000 Menschen infolge eines akuten Herzinfarktes. Damit liegt der akute Herzinfarkt seit 1998 immer an zweiter Stelle der Todesursachen in Deutschland.<ref>[https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesellschaftStaat/Gesundheit/Todesursachen/Tabellen/SterbefaelleInsgesamt.html ''Sterbefälle insgesamt 2011 nach den zehn häufigsten Todesursachen der ICD-10''.] Statistisches Bundesamt. Abgerufen am 17. Januar 2013.</ref> Sowohl die absolute Anzahl der Sterbefälle infolge eines Herzinfarktes als auch die relative Häufigkeit sind in Deutschland seit Jahren stetig rückläufig (siehe Tabelle).<ref>[http://www.gbe-bund.de/gbe10/F?F=218D Sterbefälle (absolut, Sterbeziffer, Ränge, Anteile) für die 10/20/50/100 häufigsten Todesursachen (ab 1998)] Gesundheitsberichterstattung des Bundes. Abgerufen am 3. August 2020.</ref><ref name="Herzbericht 2009">[[Deutscher Herzbericht]] 2010, Ernst Bruckenberger, ISBN 978-3-00-032101-6, Oktober 2010.</ref><br />
<br />
{| class="wikitable" style="text-align:center"<br />
|-<br />
! Jahr<br />
! absolute Anzahl<br />
! männlich<br />
! weiblich<br />
|-<br />
| 2000<br />
| 67.282<br />
| 36.458<br />
| 30.824<br />
|-<br />
| 2001<br />
| 65.228<br />
| 35.473<br />
| 29.755<br />
|-<br />
| 2002<br />
| 64.218<br />
| 34.907<br />
| 29.311<br />
|-<br />
| 2003<br />
| 64.229<br />
| 34.679<br />
| 29.550<br />
|-<br />
| 2004<br />
| 61.736<br />
| 33.348<br />
| 28.388<br />
|-<br />
| 2005<br />
| 61.056<br />
| 32.973<br />
| 28.083<br />
|-<br />
| 2006<br />
| 59.938<br />
| 32.471<br />
| 27.467<br />
|-<br />
| 2007<br />
| 57.788<br />
| 31.195<br />
| 26.593<br />
|-<br />
| 2008<br />
| 56.775<br />
| 30.559<br />
| 26.216<br />
|-<br />
| 2009<br />
| 56.226<br />
| 30.934<br />
| 25.292<br />
|-<br />
| 2010<br />
| 55.541<br />
| 30.651<br />
| 24.890<br />
|-<br />
| 2011<br />
| 52.113<br />
| 28.621<br />
| 23.492<br />
|-<br />
| 2012<br />
| 52.516<br />
| 28.951<br />
| 23.565<br />
|-<br />
| 2013<br />
| 52.044<br />
| 28.991<br />
| 23.053<br />
|-<br />
| 2014<br />
| 48.181<br />
| 27.188<br />
| 20.993<br />
|-<br />
| 2015<br />
| 49.210<br />
| 27.835<br />
| 21.375<br />
|-<br />
| 2016<br />
| 48.669<br />
| 28.130<br />
| 20.539<br />
|-<br />
| 2017<br />
| 46.966<br />
| 27.130<br />
| 19.836<br />
|-<br />
| 2018<br />
| 46.207<br />
| 26.884<br />
| 19.323<br />
|}<br />
<br />
Herzinfarkte treten deutlich häufiger in sozial ärmeren Stadtteilen auf. Zudem sind die Patienten aus diesen Vierteln im Gegensatz zu Patienten aus sozial privilegierteren Bezirken jünger und haben ein höheres Risiko, innerhalb eines Jahres nach dem Herzinfarkt zu versterben.<ref name="aerzteblatt-55742">{{Internetquelle |autor=hil |url=http://www.aerzteblatt.de/nachrichten/55742/Bremen-Mehr-Herzinfarkte-in-aermeren-Stadtteilen |titel=Bremen: Mehr Herzinfarkte in ärmeren Stadtteilen |werk=[[Deutsches Ärzteblatt|aerzteblatt.de]] |datum=2013-09-04 |abruf=2014-12-26}}</ref> Auf dem Land in Deutschland sterben mehr Menschen ab 65 Jahren an den Folgen eines Herzinfarkts als in der Stadt. Anders als angenommen, ist dies höchstwahrscheinlich nicht auf eine schlechtere notfallmedizinische Versorgung zurückzuführen, sondern darauf, dass mehr Menschen einen Herzinfarkt erleiden.<ref>{{Literatur |Autor=Marcus Ebeling, Michael Mühlichen, Mats Talbäck, Roland Rau, Alexander Goedel, Sebastian Klüsener |Titel=Disease incidence and not case fatality drives the rural disadvantage in myocardial-infarction-related mortality in Germany |Sammelwerk=Preventive Medicine |Band=179 |Datum=2024-02 |DOI=10.1016/j.ypmed.2023.107833 |Seiten=107833 |Online=https://linkinghub.elsevier.com/retrieve/pii/S009174352300419X |Abruf=2024-02-13}}</ref> <br />
<br />
== Terminologie und Pathologie ==<br />
Das Verständnis vom Herzinfarkt hat sich seit den 1970er Jahren grundlegend gewandelt. Neue [[Diagnose]]- und [[Therapie]]verfahren haben wichtige Erkenntnisse zur [[Pathophysiologie]] besonders der ersten Stunden nach Beginn der [[Symptom]]e beigetragen und die Definition und [[Terminologie]] des Herzinfarktes verändert.<br />
<br />
=== Terminologie ===<br />
Eine in jeder Situation gültige Definition des Herzinfarktes existiert nicht. Allgemein ist akzeptiert, dass der Begriff ''Herzinfarkt'' den [[Nekrose|Zelltod]] von Herzmuskelzellen auf Grund einer länger andauernden Durchblutungsstörung ([[Ischämie]]) beschreibt.<ref name="ESC2003">F. van de Werf, D. Ardissino u.&nbsp;a.: ''Management of acute myocardial infarction in patients presenting with ST-segment elevation. The Task Force on the Management of Acute Myocardial Infarction of the European Society of Cardiology.'' In: ''European heart journal.'' Band 24, Nummer 1, Januar 2003, S.&nbsp;28–66, PMID 12559937.</ref> Schwieriger ist die Frage, welche Kriterien für einen solchen Zelltod zugrunde gelegt werden. Die eingesetzten Messinstrumente unterscheiden sich teilweise erheblich:<br />
* [[Rettungsdienst]]e diagnostizieren den Herzinfarkt anhand von Symptomen und [[Elektrokardiogramm|EKG]]-Veränderungen,<br />
* [[Intensivmedizin]]er zusätzlich mit Hilfe von [[Laboratoriumsmedizin|Laboruntersuchungen]],<br />
* [[Pathologie|Pathologen]] ausschließlich auf der Grundlage von [[Makroskopische Anatomie|makroskopischen]] oder noch seltener auch [[Mikroskopie|mikroskopischen]] Gewebeveränderungen und<br />
* [[Epidemiologie|Epidemiologen]] schließlich meist unter Verwendung von mehr oder weniger exakten Todesursachenstatistiken (vgl. [[Leichenschau]]) oder Entlassungsdiagnosen der Krankenhäuser.<br />
<br />
[[Datei:ACS abbreviations.png|mini|350px|Terminologie des akuten Koronarsyndroms, Erläuterungen im Text]]<br />
Bei länger als 20 Minuten anhaltenden infarkttypischen Brustschmerzen wird zunächst von einem [[Akutes Koronarsyndrom|akuten Koronarsyndrom]] gesprochen, was die Möglichkeit eines Herzinfarktes einschließt. Wenn sich dann in einem möglichst rasch anzufertigenden [[Elektrokardiogramm]] (EKG) Hebungen der ST-Strecke (vgl. [[Elektrokardiogramm#Nomenklatur und Normwerte|EKG-Nomenklatur]]) zeigen, so wird der Begriff ''ST-Hebungsinfarkt'' (Abk. ''STEMI'' für ''ST-elevation myocardial infarction'') verwendet. Bei Patienten ohne eine solche ST-Hebung kann erst nach drei bis vier Stunden mit Hilfe von Laboruntersuchungen zwischen Nicht-ST-Hebungsinfarkt (Abk. ''NSTEMI'' für ''Non-ST-elevation myocardial infarction'') und instabiler [[Angina pectoris]] unterschieden werden. Während in den für Deutschland geltenden Leitlinien<ref>C. W. Hamm: ''Leitlinien: Akutes Koronarsyndrom (ACS) – Teil 1: ACS ohne persistierende ST-Hebung.'' In: ''Z Kardiol'', 2004, 93, S.&nbsp;72–90, [http://leitlinien.dgk.org/images/pdf/leitlinien_volltext/2004-02_acs_teil_1.pdf leitlinien.dgk.org] (PDF)</ref> STEMI und NSTEMI als endgültige Diagnosen angesehen werden, unterscheiden die US-amerikanischen Leitlinien<ref name="Antman">{{Cite journal|author = Elliott M. Antman u.&nbsp;a. | title = ACC/AHA guidelines for the management of patients with ST-elevation myocardial infarction; A report of the American College of Cardiology/American Heart Association Task Force on Practice Guidelines (Committee to Revise the 1999 Guidelines for the Management of patients with acute myocardial infarction) | journal = [[Journal of the American College of Cardiology]] | date = 2004-08-04 | pages = E1–E211 | volume = 44 | doi = 10.1016/j.jacc.2004.07.014 | pmid = 15358047}}</ref> zwischen ''Q-wave myocardial infarction'' (Qw MI) und ''Non-Q-wave myocardial infarction'' (NQMI) als abschließender Diagnose. Diese Unterscheidung zwischen transmuralen (die gesamte Dicke der Wandschicht des Herzens betreffend) und nicht-transmuralen Myokardinfarkten ist auch in den deutschsprachigen Ländern gebräuchlich und wird anhand von Veränderungen des QRS-Komplexes im EKG getroffen, die in der Regel erst nach zwölf Stunden, oft auch erst nach einem Tag, erkennbar sind.<br />
<br />
=== Pathophysiologie ===<br />
Die Mehrzahl der Herzinfarkte entsteht im Rahmen einer [[Koronare Herzkrankheit|koronaren Herzkrankheit]] (KHK). Wie alle akuten Koronarsyndrome beim Menschen werden sie fast immer durch eine plötzliche Minderdurchblutung in einem Herzkranzgefäß hervorgerufen, die auf eine [[Arteriosklerose|arteriosklerotische]] Gefäßveränderung mit zusätzlichen Blutgerinnseln („Koronarthrombose“) zurückzuführen ist und von einer krampfartigen Gefäßverengung (Koronarspasmus) begleitet sein kann.<ref name="ESC2003" /> Das sich daraus entwickelnde Krankheitsbild hängt von der Lokalisation, der Schwere und der Dauer der Durchblutungsstörung des Herzmuskels ab. Bei ST-Hebungsinfarkten zeigt sich im akuten Stadium bei über 90 % ein durch Blutgerinnsel (''[[Thrombus|Thromben]]'') verschlossenes [[Herzkranzgefäß]]. Bei NSTEMI sind nur in etwa 50 % der Fälle Thromben in den Kranzgefäßen nachweisbar.<br />
<br />
65–75 % der ST-Hebungsinfarkte entstehen durch die Ruptur eines [[Vulnerable Plaque|„vulnerablen“ Plaques]], also den Einriss der dünnen [[Bindegewebe|fibrösen]] Kappe einer entzündlich veränderten [[Lipide|lipid]]<nowiki />reichen Gefäßwandveränderung. Etwa 75 % der Infarkte entstehen an nur leicht oder mittelgradig veränderten Abschnitten der Herzkranzgefäße.<br />
<br />
Deutlich seltener ist ein Herzinfarkt die Folge einer anderen Erkrankung. In Frage kommen Verschlüsse der Herzkranzgefäße durch andere Ursachen, wie langanhaltende „Verkrampfungen“ (''[[Spasmus|Spasmen]]'') bei [[Prinzmetal-Angina]] oder im Rahmen einer allergischen Reaktion ([[Kounis-Syndrom]]) und [[Embolie]]n bei einer [[Endokarditis]] oder einer [[Disseminierte intravasale Koagulopathie|disseminierten intravasalen Koagulopathie (DIC)]]. Auch Blutungen oder Tumoren am Herzen sowie Einrisse der Gefäßinnenwand (''Intima'') bei einer [[Aortendissektion]] können zum Verschluss eines Kranzgefäßes und damit zum Herzinfarkt führen.<br />
<br />
Wenn seine Blutzufuhr komplett unterbrochen ist, beginnt der Herzmuskel nach 15–30&nbsp;Minuten abzusterben. Dieser Vorgang der Infarzierung beginnt innen, in der den Herzkammern zugewandten Schicht, und setzt sich zeitabhängig nach außen, zum Herzbeutel hin, fort.<br />
<br />
=== Infarktlokalisation ===<br />
[[Datei:Coronary arteries.svg|mini|350px|Die Herzkranzgefäße sind mit roter Schrift gekennzeichnet.]]<br />
Herzinfarkte ereignen sich in unterschiedlichen Bereichen des Herzmuskels, abhängig davon, welches Gefäß betroffen ist und welcher Abschnitt des Herzmuskels von dem jeweiligen Gefäß mit Blut versorgt wird. Da es eine große Variabilität der Herzarterien gibt, kann man keine strengen Regeln für die Infarktlokalisation aufstellen.<ref>Gerd Herold und Mitarbeiter: ''Innere Medizin. Eine vorlesungsorientierte Darstellung.'' 2011, S.&nbsp;247.</ref> Häufig führen Verschlüsse der rechten Koronararterie (RCA – Right Coronary Artery) zu sogenannten Hinterwandinfarkten und krankhafte Veränderungen der linken Herzarterie (LCA – Left Coronary Artery) zu Vorderwandinfarkten. Der übliche Ausdruck Hinterwandinfarkt ist dabei insofern irreführend, als es sich zumeist um einen inferioren Infarkt handelt, also in einem dem Zwerchfell (Diaphragma) zugewandten unteren Areal (zum streng posterioren Infarkt siehe unten). Je näher der Verschluss zum Abgang der jeweiligen Arterie von der Aorta liegt (man sagt proximal), desto größer ist das Infarktareal; je weiter entfernt (man sagt distal), desto kleiner ist das minderversorgte Muskelgebiet.<br />
<br />
Im Einzelnen unterscheidet man so proximale Verschlüsse der RCA, die zu einem rechtsventrikulären Infarkt oder einem inferioren (zur Herzspitze gelegenen) Hinterwandinfarkt führen, und Prozesse in einem Ast der RCA, dem Ramus posterolateralis dexter, die zu einem Hinterseitenwandinfarkt führen. Die Einteilung ist komplizierter, wenn die linke Herzarterie (LCA) betroffen ist, da diese mehr Äste besitzt. Der sogenannte Hauptstamm der LCA ist sehr kurz und teilt sich gleich in den Ramus circumflexus (RCX) und den Ramus interventricularis anterior (RIVA). Der RIVA wird im englischsprachigen Raum als LAD (Left Anterior Descending) bezeichnet; doch auch im deutschsprachigen Raum (zum Beispiel in der Herzchirurgie) wird anstelle von RIVA oft der Begriff ''LAD'' verwendet. Verschlüsse der RCX führen oft zu einem posterioren (zum Rücken) gelegenen Hinterwandinfarkt. Der posteriore Hinterwandinfarkt heißt in der Nomenklatur der Pathologen Seitenwand- oder Kanteninfarkt.<ref>Werner Böcker (Hrsg.): ''Pathologie.'' 4. Auflage. Urban und Fischer, 2008, S.&nbsp;479.</ref> Proximale Verschlüsse der RIVA führen zu einem großen Vorderwandinfarkt, distale RIVA-Verschlüsse führen zu einem anteroseptalen Infarkt; dabei ist die Herzscheidewand betroffen. Ein Verschluss des Diagonalastes der RIVA führt zu einem Lateralinfarkt. Die verschiedenen Infarkttypen verursachen charakteristische EKG-Veränderungen. Sieht man zum Beispiel direkte Infarktzeichen (ST-Hebungen) in allen Brustwandableitungen (V1-V6), handelt es sich (bezogen auf das Gefäßversorgungsgebiet) um einen großen Vorderwandinfarkt. Dann findet sich meistens ein proximaler Verschluss der RIVA. Die entsprechende Zuordnung aufgrund des EKGs ist aber vorläufig und kann nur durch eine Coronarangiographie bewiesen werden. Da die Muskelmasse und damit auch das Versorgungsgebiet des rechten Ventrikels kleiner als des linken ist und zu dessen Durchblutung folglich auch eine längere Gefäßstrecke notwendig ist, die erkranken kann, ist bei den Herzinfarkten auch statistisch überwiegend die linke Koronararterie betroffen.<br />
<br />
=== Risikofaktoren ===<br />
[[Datei:Ursachen Herzinfarkt etc.png|mini|200px|Ursachen des Herzinfarktes]]<br />
<br />
Da Herzinfarkte die Folge einer [[Atherosklerose]] der Herzkranzgefäße ([[Koronare Herzkrankheit]]) sind, sind die Hauptrisikofaktoren solche, die zur Atherosklerose führen:<br />
* [[Tabakrauchen|Tabakkonsum]],<br />
* [[Diabetes mellitus]] (Zuckerkrankheit),<br />
* [[Bluthochdruck]]<br />
* [[Hypercholesterinämie]]<br />
* familiäre Belastung (früh auftretende Herzkreislauferkrankungen wie Infarkt oder [[Schlaganfall]] bei nahen [[Blutsverwandtschaft|Blutsverwandten]])<br />
* ererbte oder erworbene [[Hyperlipoproteinämie|Störung des Fettstoffwechsels]]. Hierbei sind vor allem ein erhöhtes [[Low Density Lipoprotein|LDL]], erhöhtes [[Intermediate Density Lipoprotein|IDL]], niedriges [[High Density Lipoprotein|HDL]] und erhöhte [[Triglyceride]] problematisch.<br />
<br />
Einige der o. g. Risikofaktoren verstärken sich bei [[Übergewicht]], [[Fehlernährung]] und [[Bewegungsmangel]]. Für die Berechnung des individuellen Risikos gibt es Software wie den [[Arriba-Rechner]]. Trotz tendenzieller Gewichtszunahme bei Rauchstopp verringert dieser das Risiko, an einer Herz-Kreislauf-Erkrankung zu erkranken.<ref name="PMID23483176">C. Clair, N. A. Rigotti u.&nbsp;a.: ''Association of smoking cessation and weight change with cardiovascular disease among adults with and without diabetes.'' In: ''JAMA.'' Band 309, Nummer 10, März 2013, S.&nbsp;1014–1021, [[doi:10.1001/jama.2013.1644]]. PMID 23483176. {{PMC|3791107}}.</ref><br />
<br />
==== Stress und Wut ====<br />
<br />
Auslösende Faktoren für einen Infarkt können plötzliche Belastungen und Stresssituationen mit starken Blutdruckschwankungen sein; 40 % aller Infarkte ereignen sich in den frühen Morgenstunden (zwischen 6 und 10 Uhr). Infarkte treten montags häufiger als an anderen Wochentagen auf, auch bei Rentnern nach dem 60. Lebensjahr.<br />
<br />
In Japan bezeichnet [[Karōshi]] den „Tod durch Überarbeiten“, der meist als Herzinfarkt oder Schlaganfall auftritt.<br />
<br />
Der Anteil psychosozialer Faktoren wie Depression, Angst, Persönlichkeit, Charakter, sozialer Isolation und chronischem Stress bei der Entstehung einer KHK wird seit Jahrzehnten ohne klares Ergebnis untersucht.<ref>Zu den Studien, in denen emotionale [[Prognose|Prädiktoren]] nachgewiesen werden konnten, zählt z.&nbsp;B. die folgende: Stephen Manuck, Frederick N. Garland: ''Coronary-Prone Behavior Pattern, Task Incentive, and Cardiovascular Response'', Psychophysiology, Band 16, Heft 2, März 1979, S.&nbsp;136–142, [[doi:10.1111/j.1469-8986.1979.tb01458.x]].</ref> Gesundheitsschädliches Verhalten, Stress, Rauchen, zu reichliche Ernährung etc. haben unzweifelhaft Einfluss. Diskutiert wird weiter, inwieweit beispielsweise eine Aktivierung von Blutplättchen oder des neuroendokrinen Systems mit Ausschüttung von Stresshormonen mit den Folgen einer Verengung der Blutgefäße, Verschlechterung der Fließeigenschaften des Blutes sowie Anstieg von Herzfrequenz und Blutdruck zusätzliche auslösende Qualitäten aufweist.<ref>{{cite journal|author=A. Rozanski, J. A. Blumenthal, J. Kaplan|title=Impact of Psychological Factors on the Pathogenesis of Cardiovascular Disease and Implications for Therapy|journal=[[circulation]]|volume=|issue=|pages=2192–2217|year=1999|pmid=10217662|doi=}}</ref> Eine Studie aus dem Jahr 2006 zur Zeit der [[Fußball-Weltmeisterschaft 2006|Fußball-Weltmeisterschaft]] hat gezeigt, dass die mit [[Fußball]] verbundenen Emotionen das Risiko für einen Infarkt erheblich steigern und dass dies besonders für Menschen zutrifft, die eine bekannte koronare Herzkrankheit haben.<ref>{{cite journal|author=U. Wilbert-Lampen, D. Leistner, S. Greven, T. Pohl, S. Sper, C. Völker, D. Güthlin, A. Plasse, A. Knez, H. Küchenhoff, G. Steinbeck |title=Cardiovascular Events during World Cup Soccer |journal=[[The New England Journal of Medicine]] |volume=358 |issue=5 |pages=475–483 |year=2008 |pmid= |doi= 10.1056/NEJMoa0707427 }}</ref> Diese Erkenntnis wird jedoch in der wissenschaftlichen Literatur kontrovers diskutiert: So konnte eine zweite Studie im gleichen Zeitintervall in der gleichen Region (Bayern) keinen Einfluss der Fußballweltmeisterschaft 2006 auf das Risiko eines Myokardinfarkts nachweisen.<ref name="PMID24182671">D. Niederseer, C. W. Thaler u.&nbsp;a.: ''Watching soccer is not associated with an increase in cardiac events.'' In: ''International journal of cardiology.'' Band 170, Nummer 2, Dezember 2013, S.&nbsp;189–194, [[doi:10.1016/j.ijcard.2013.10.066]]. PMID 24182671.</ref><br />
<br />
Auch andere emotionale Faktoren leisten der Krankheit Vorschub. So konnte nachgewiesen werden, dass gewohnheitsmäßige, schlecht gehandhabte [[Wut]] ein machtvoller Prädiktor für Herzinfarkte ist. Infarktpatienten, die sich einem [[Anti-Aggressivitäts-Training]] unterzogen, erlitten unter Studienbedingungen weniger häufig einen zweiten Infarkt als Personen der Vergleichsgruppe.<ref name="PMID1632389">G. Ironson, C. B. Taylor u.&nbsp;a.: ''Effects of anger on left ventricular ejection fraction in coronary artery disease.'' In: ''The American journal of cardiology.'' Band 70, Nummer 3, August 1992, S.&nbsp;281–285, PMID 1632389.</ref><ref>Redford Williams: ''The Trusting Heart'', New York: Times Books/Random House, 1989.</ref><ref>Lyndra H. Powell: ''Emotional Arousal as a Predictor of Long-Term Mortality and Morbidity in Post M. I. Men'', Circulation, Band 82, Heft 4, Supplement III, Oktober 1990</ref><ref name="PMID7671353">M. A. Mittleman, M. Maclure u.&nbsp;a.: ''Triggering of acute myocardial infarction onset by episodes of anger. Determinants of Myocardial Infarction Onset Study Investigators.'' In: ''Circulation.'' Band 92, Nummer 7, Oktober 1995, S.&nbsp;1720–1725, PMID 7671353.</ref><br />
<br />
==== Alkohol ====<br />
<br />
Bei übermäßigem [[Alkoholkonsum]] ist das Risiko für einen Herzinfarkt und verschiedene andere schwere Erkrankungen erhöht. Hinsichtlich der Sterblichkeit gibt es Hinweise auf eine [[Korrelation]] zwischen einem regelmäßigen Konsum von ''geringen'' und mehr noch „mäßigen“ Mengen [[Ethanol|Alkohol]] und einem niedrigeren Risiko, an Herzkreislauferkrankungen zu sterben.<ref>{{cite journal|author=K. J. Mukamal, C. M. Chen, S. R. Rao und R. A. Breslow|title=Alcohol consumption and cardiovascular mortality among US adults, 1987 to 2002|journal=Am Coll Cardiol|issue=55|pages=1328–1335|year=2010|doi=10.1016/j.jacc.2009.10.056}}</ref> Insgesamt betrachtet stellen dennoch selbst geringe Mengen Alkohol eine Schädigung für den Körper dar.<ref>{{Literatur |Autor=Iona Y. Millwood, Robin G. Walters, Xue W. Mei, Yu Guo, Ling Yang |Titel=Conventional and genetic evidence on alcohol and vascular disease aetiology: a prospective study of 500 000 men and women in China |Sammelwerk=The Lancet |Band=393 |Nummer=10183 |Datum=2019-05-04 |ISSN=0140-6736 |Sprache=en |DOI=10.1016/S0140-6736(18)31772-0 |PMID=30955975}}</ref><br />
<br />
==== Infektion ====<br />
Eine akute Infektionskrankheit erhöht das Risiko eines Herzinfarktes. Bereits in den 1920er Jahren wurde erkannt, dass während einer Influenza-Epidemie die Herzinfarktrate anstieg.<ref>{{Literatur |Autor=S D Collins |Titel=Excess mortality from causes other than influenza and pneumonia during influenza epidemics. |Sammelwerk=Public Health Rep (1896–1970) |Band=47 |Datum=1932 |Seiten=2159-2179 |Sprache=en}}</ref> Die gleiche Beobachtung wurde bei Lungenentzündung, akuter Bronchitis und anderen Atemwegsinfektionen gemacht. Eine neuere Studie ergab nach einer Influenza-Infektion ein sechsfach erhöhtes Infarktrisiko, nach [[Respiratory-Syncytial-Virus|RSV-Infektion]] ein vierfach und nach anderen virusbedingten Atemwegserkrankungen ein dreifach erhöhtes Infarktrisiko.<ref>{{Literatur |Autor=Jeffrey C. Kwong, Kevin L. Schwartz, Michael A. Campitelli, Hannah Chung, Natasha S. Crowcroft |Titel=Acute Myocardial Infarction after Laboratory-Confirmed Influenza Infection |Sammelwerk=The New England Journal of Medicine |Band=378 |Nummer=4 |Datum=2018-01-25 |ISSN=1533-4406 |Seiten=345–353 |Sprache=en |DOI=10.1056/NEJMoa1702090 |PMID=29365305}}</ref> Auch für bakterielle Infektionen mit Pneumokokken und Haemophilus influenzae wurde eine Steigerung der Infarktrate nachgewiesen.<ref>{{Literatur |Autor=Julio Ramirez, Stefano Aliberti, Mehdi Mirsaeidi, Paula Peyrani, Giovanni Filardo |Titel=Acute myocardial infarction in hospitalized patients with community-acquired pneumonia |Sammelwerk=Clinical Infectious Diseases: An Official Publication of the Infectious Diseases Society of America |Band=47 |Nummer=2 |Datum=2008-07-15 |ISSN=1537-6591 |Seiten=182–187 |Sprache=en |DOI=10.1086/589246 |PMID=18533841}}</ref> Harnwegsinfektionen und Bakteriaemien erhöhen ebenfalls das Infarktrisiko.<ref>{{Literatur |Autor=Liam Smeeth, Sara L Thomas, Andrew J Hall, Richard Hubbard, Paddy Farrington |Titel=Risk of myocardial infarction and stroke after acute infection or vaccination |Sammelwerk=The New England Journal of Medicine |Band=351 |Nummer=25 |Datum=2004-12-16 |ISSN=1533-4406 |Seiten=2611–2618 |Sprache=en |DOI=10.1056/NEJMoa041747 |PMID=15602021}}</ref> Als Erklärung wird angenommen, dass [[Atherosklerose|atheroskleroischer Plaques]] zahlreiche [[Entzündung]]szellen enthalten. Bei einer Infektion werden verschiedene [[Zytokine]] wie zum Beispiel [[IL1]], [[Interleukin-6|IL6]], [[IL8]] und [[TNF-alpha]] ausgeschüttet. Diese stimulieren die Entzündungszellen im atheroskleroischen Plaque und begünstigen eine Destabilisierung mit folgender Thrombose und Verschluss.<ref>{{Literatur |Autor=Daniel M Musher, Michael S Abers, Vicente F Corrales-Medina |Titel=Acute Infection and Myocardial Infarction |Sammelwerk=New England Journal of Medicine |Band=380 |Nummer=2 |Datum=2019-01-10 |ISSN=0028-4793 |Seiten=171–176 |Sprache=en |DOI=10.1056/NEJMra1808137}}</ref><br />
<br />
==== Weitere Risikofaktoren ====<br />
<br />
Ein erhöhter Blutspiegel von [[Homocystein]] (''Hyperhomocysteinämie'') ist ebenfalls ein unabhängiger Risikofaktor, die verfügbaren Therapieansätze zur Senkung des Homocysteinspiegels führen allerdings nicht zu einer Senkung des kardiovaskulären Risikos.<br />
<br />
Auch ein niedriger Blutspiegel des [[Cholecalciferol|Vitamin D3]] (25-Hydroxy-Cholecalciferol) korreliert möglicherweise mit einem erhöhten Infarktrisiko. In einer prospektiven Fall-Kontroll-Studie konnte gezeigt werden, dass Männer mit niedrigeren Vitamin-D3-Spiegeln ein doppelt so hohes Infarktrisiko hatten wie jene mit höheren. Männer mit mittleren Spiegeln an Vitamin D3 (15,0–22,5&nbsp;ng/ml) waren im Vergleich zu jenen mit höheren offenbar noch vermehrt infarktgefährdet.<ref>Leicht abgewandelt zitiert nach E. Giovannuchi et al.: ''25-hydroxyvitamin D and risk of myocardial infarction in men: a prospective study''. [[Arch Intern Med]] (2008) 168, 11: S.&nbsp;1174–1180, PMID 18541825.</ref> Ob dies in einer mangelhaften Zufuhr des Vitamin D oder einem verminderten Umbau des [[7-Dehydrocholesterol]] bzw. 25-Hydroxy-Cholecalciferol in der Leber und Haut begründet ist, der auf einer auch für den Herzinfarkt ursächlichen Disposition beruhen könnte, wurde nicht untersucht.<br />
<br />
Schlechte [[Compliance (Medizin)|Compliance]] ist ein Risikofaktor für ein Fortschreiten der Erkrankung. Eine Analyse der Einnahme fettsenkender Medikamente ([[Statin]]e), [[Betablocker]] und [[Calciumantagonist]]en nach Herzinfarkt zeigte, dass eine schlechte Compliance eine Erhöhung der [[Mortalität]] innerhalb von 2,4 Jahren für Statine um 25 % und für Betablocker um 13 % hatte. Bei den Kalziumantagonisten ergab sich keine Beziehung zwischen Mortalität und Zusammenarbeit.<ref>Zitiert nach ''Schlechte Compliance ist tödlich.'' MMW-Fortschr. Med. Nr. 5/2007 (149. Jg.), S.&nbsp;22 und zitiert nach J. N. Rasmussen et al.: JAMA, 297 (2007) S.&nbsp;177–186.</ref><br />
<br />
Träger der [[Blutgruppe]] AB sind am stärksten herzinfarktgefährdet, diejenigen der Gruppe 0 dagegen am wenigsten.<ref name="welt-108632484">{{Internetquelle |url=https://www.welt.de/gesundheit/article108632484/Blutgruppe-hat-Einfluss-auf-Herzinfarkt-Risiko.html |titel=Blutgruppe hat Einfluss auf Herzinfarkt-Risiko |werk=[[Die Welt#Online-Ausgabe|welt.de]] |datum=2012-08-15 |abruf=2014-12-26}}</ref><ref>{{Cite journal|author = Meian He u.&nbsp;a. | title = ABO Blood Group and Risk of Coronary Heart Disease in Two Prospective Cohort Studies | url = http://atvb.ahajournals.org/content/early/2012/08/14/ATVBAHA.112.248757 | journal = [[Arteriosclerosis, Thrombosis, and Vascular Biology]] | date = 2012-08-14 | accessdate = 2013-06-08 | doi = 10.1161/ATVBAHA.112.248757 | pmid = 22895671}}</ref><br />
<br />
Ein weiterer Risikofaktor ist das Vorhandensein einer [[Migräne]] mit [[Aura (Migräne)|Aura]]. Dieser Risikofaktor ist laut einer Studie nach der [[Arterielle Hypertonie|arteriellen Hypertonie]] der zweitwichtigste Risikofaktor für Herzinfarkt und [[Schlaganfall]].<ref name="aerzteblatt-53048">{{Internetquelle |autor=rme |url=http://www.aerzteblatt.de/nachrichten/53048/Migraene-mit-Aura-als-Herzinfarkt-und-Thromboserisiko |titel=Migräne mit Aura als Herzinfarkt- und Thromboserisiko |werk=[[Deutsches Ärzteblatt|aerzteblatt.de]] |datum=2013-01-16 |abruf=2014-12-26}}</ref><br />
<br />
Auch eine Allergieneigung kann das Risiko für ein kardiales Ereignis erhöhen ([[Kounis-Syndrom]]).<br />
<br />
Epidemiologische Studien zur Wirtschaftskrise in Griechenland und zum Tropensturm Katrina in New Orleans zeigen auch, dass es nach Krisen vermehrt zu Herzinfarkten kommt. Dies könnte entweder an fehlenden Medikamenten oder posttraumatischem Stress liegen, dem die Menschen ausgesetzt sind.<ref>[https://www.eurekalert.org/news-releases/697053 Heart attack rates rise with plunging GDP in Greece’s financial crisis]</ref><ref>[https://www.eurekalert.org/news-releases/710150 Higher heart attack rates continue 6 years after Katrina]</ref><ref>[https://www.eurekalert.org/news-releases/814628 Changes in heart attack timing continue years after hurricane]</ref><ref>[https://www.eurekalert.org/news-releases/745720 PTSD linked to insulin resistance and metabolic syndrome, early markers of heart disease]</ref><br />
<br />
Auch der Wohnort könnte eine gewisse Rolle spielen. So zeigt eine neue europäische [[Kohortenstudie]], dass eine Feinstaubbelastung bereits unterhalb der EU-Grenzwerte zu einem höheren Risiko für ein koronares Ereignis führt.<ref name="DOI10.1136/bmj.f7412">G. Cesaroni, F. Forastiere u.&nbsp;a.: ''Long term exposure to ambient air pollution and incidence of acute coronary events: prospective cohort study and meta-analysis in 11 European cohorts from the ESCAPE Project.'' In: ''BMJ.'' Band 348, 2014, S.&nbsp;f7412, PMID 24452269. {{PMC|3898420}}.</ref><br />
<br />
An sehr kalten Tagen steigt die Zahl der Herzinfarkte.<ref>{{Literatur |Autor=Marc J. Claeys, Sanjay Rajagopalan, Tim S. Nawrot, Robert D. Brook |Titel=Climate and environmental triggers of acute myocardial infarction |Sammelwerk=European Heart Journal |Datum=2016-04-22 |ISSN=0195-668X |Seiten=ehw151 |Sprache=en |DOI=10.1093/eurheartj/ehw151}}</ref> Starke Kälte belastet die Herzkranzgefäße, indem sich die Gefäße verengen und die Blutversorgung des Herzmuskels vermindern, der dadurch weniger Sauerstoff bekommt. Gleichzeitig werden auch die Widerstandsgefäße im übrigen Körper verengt – das hat einen Blutdruckanstieg zur Folge-, so dass das Herz gegen einen größeren Widerstand anpumpen muss. Darüber hinaus existieren erste Hinweise auf ähnliche Zusammenhänge zwischen der kälteren Jahreszeit und dem häufigeren Auftreten von Schlaganfällen, Lungenembolien und bestimmten Herzrhythmusstörungen.<ref>{{Internetquelle |url=https://www.herzstiftung.de/ihre-herzgesundheit/gesund-bleiben/klima-und-umwelt/herzprobleme-bei-kaelte |titel=Herzprobleme bei Kälte |abruf=2021-02-09}}</ref> Andererseits gibt es aber auch kanadische Studien, die einen Zusammenhang zwischen zu warmen Nächten und dem Herzinfarkt belegen, besonders bei Männern. Zwei Drittel der Opfer in den besonders heißen Sommerphasen im Juni und Juli waren Männer. Mit jedem Grad wärmer in der Nacht stieg das Risiko eines tödlichen Herzinfarkts für die Männer um vier Prozent.<ref>Tödliche warme Nächte, In: [[Frankfurter Allgemeine Zeitung]] vom 6. April 2022</ref><br />
<br />
==== Prävention ====<br />
Die Empfehlungen der ''American Heart Association (AHA)'' von 2021 beinhalten folgende evidenzbasierte Richtlinien zur Ernährung:<ref>{{Literatur |Autor=Alice H. Lichtenstein, Lawrence J. Appel, Maya Vadiveloo, Frank B. Hu, Penny M. Kris-Etherton |Titel=2021 Dietary Guidance to Improve Cardiovascular Health: A Scientific Statement From the American Heart Association |Sammelwerk=Circulation |Datum=2021-11-02 |ISSN=0009-7322 |Seiten=CIR.0000000000001031 |Sprache=en |DOI=10.1161/CIR.0000000000001031}}</ref><ref>{{Internetquelle |url=https://www.foodpolitics.com/2021/11/american-heart-association-issues-forward-thinking-dietary-guidelines/ |autor=Marion Nestle |titel=The American Heart Association’s new and groundbreaking dietary guidelines |hrsg=Food Politics |datum=2021-11-16 |abruf=2022-06-29 |sprache=en-US}}</ref><br />
* Energiezufuhr auf Verbrauch einstellen, um ein gesundes Körpergewicht zu erreichen und zu halten<br />
* Viel Obst und Gemüse essen und eine bunte Vielzahl wählen<br />
* Vollkornprodukte statt Weißmehlprodukten konsumieren<br />
* Gesunde Formen von Eiweiß konsumieren:<br />
# vorwiegend pflanzliches Eiweiß wählen (Hülsenfrüchte, Nüsse)<br />
# Fisch und Meeresfrüchte<br />
# fettarme Milchprodukte<br />
# wenn Fleisch oder Geflügel gewünscht sind, fettarmes und unbearbeitetes Fleisch wählen<br />
* flüssige Pflanzenöle bevorzugen gegenüber tropischen Ölen (Kokos, Palm, Palmkern), tierischen Fetten oder gehärteten Fetten<br />
* Minimal verarbeitete Lebensmittel statt [[NOVA (Lebensmittelklassifikation)#Hochverarbeitete Lebensmittel|hochverarbeitete Lebensmittel]] wählen<br />
* Mahlzeiten mit keinem oder wenig Salz zubereiten<br />
* Wer keinen Alkohol trinkt, sollte nicht damit anfangen, wer doch Alkohol trinkt, sollte den Konsum reduzieren<br />
* Sich immer an diese Richtlinien halten, unabhängig davon, wo Lebensmittel zubereitet oder konsumiert werden<br />
<br />
== Krankheitsbild ==<br />
=== Symptome ===<br />
[[Datei:AMI pain front.png|mini|Schmerzempfindung<br />rot: häufig und stark<br />rosa: selten oder ausstrahlend]]<br />
[[Datei:AMI pain back.png|mini|Legende s. o.]]<br />
<br />
Die meisten Patienten klagen über Brustschmerzen unterschiedlicher Stärke und Qualität. Typisch ist ein starkes Druckgefühl hinter dem Brustbein (''[[retrosternal]]'') oder Engegefühl im ganzen Brustkorb (als ob „jemand auf einem sitzen würde“). Auch stechende oder reißende Schmerzen werden beschrieben. Die Schmerzen können in die Arme (häufiger links), den Hals, die Schulter, den Oberbauch und den Rücken ausstrahlen. Oft wird von einem „[[Vernichtungsschmerz]]“ gesprochen, der mit [[Atemnot]], Übelkeit und Angstgefühl („Todesangst“) einhergeht.<br />
<br />
Im Gegensatz zum [[Angina pectoris|Angina-pectoris]]-Anfall bessern sich diese Beschwerden oft nicht durch Anwendung von [[Nitroglycerin]].<br />
<br />
Frauen sowie ältere Patienten zeigen im Vergleich zu Männern bzw. jüngeren Patienten häufiger atypische, diffusere Symptome;<ref name="ACSwomen">{{cite journal|author=J. G. Canto, R. J. Goldberg, M. M. Hand et al.|title=Symptom presentation of women with acute coronary syndromes: myth vs reality |journal=Arch. Intern. Med. |volume=167 |issue=22 |pages=2405–2413 |year=2007 |month=December |pmid=18071161 |doi=10.1001/archinte.167.22.2405}}</ref> häufig sind es Atemnot, Schwäche, Magenverstimmungen und körperliche Erschöpfungszustände.<ref name="Kosuge">{{cite journal|last=Kosuge | first=M. | coauthors= K. Kimura, T. Ishikawa et al.| title=Differences between men and women in terms of clinical features of ST-segment elevation acute myocardial infarction | journal=Circulation Journal | volume=70 | issue=3 | pages=222–226 | date=2006-03 | pmid=16501283 | doi=10.1253/circj.70.222 }}</ref> Erschöpfung, Schlafstörungen und Atemnot wurden als häufig auftretende Symptome genannt, welche bereits bis zu einem Monat vor dem eigentlichen Infarktereignis auftreten können. Schmerzen im Brustkorb können bei Frauen eine geringere Voraussagekraft haben als bei Männern.<ref name="McSweeney">{{cite journal|author=J. C. McSweeney, M. Cody, P. O’Sullivan, K. Elberson, D. K. Moser, B. J. Garvin| title=Women’s early warning symptoms of acute myocardial infarction | journal=Circulation | year=2003 | pages=2619–2623 | volume=108 | issue=21 | pmid=14597589 | doi = 10.1161/01.CIR.0000097116.29625.7C}}</ref><br />
<br />
Manche Herzinfarkte verursachen keine, nur geringe oder untypische Symptome und werden manchmal erst zu einem späteren Zeitpunkt diagnostiziert, z.&nbsp;B. anlässlich einer [[Elektrokardiogramm|EKG]]-Untersuchung. So wurde ein Teil der in den 30 Jahren der [[Framingham-Herz-Studie|Framingham-Studie]] diagnostizierten Infarkte nur auf Grund der routinemäßig angefertigten EKG festgestellt; fast die Hälfte von ihnen war ohne Symptome verlaufen („stille“ oder „stumme“ Infarkte). Der Anteil unbemerkter Infarkte war bei Frauen (35 %) höher als bei Männern (28 %).<ref name="PMID3779719">[[William B. Kannel|W. B. Kannel]]: ''Silent myocardial ischemia and infarction: insights from the Framingham Study.'' In: ''Cardiology clinics.'' Band 4, Nummer 4, November 1986, S.&nbsp;583–591, PMID 3779719.</ref><br />
<br />
Von den mehr als 430.000 Patienten, die bis 1998 in US-amerikanischen Krankenhäusern in das Register ''National Registry of Myocardial Infarction 2'' aufgenommen wurden, hatten 33 % bei Krankenhausaufnahme keine Brustschmerzen. Bei den Patienten ohne Brustschmerzen fanden sich mehr Frauen, mehr Ältere und mehr Diabetiker.<ref name="PMID10866870">J. G. Canto, M. G. Shlipak u.&nbsp;a.: ''Prevalence, clinical characteristics, and mortality among patients with myocardial infarction presenting without chest pain.'' In: ''JAMA.'' Band 283, Nummer 24, Juni 2000, S.&nbsp;3223–3229, PMID 10866870.</ref> Auch in der EKG-Untersuchung werden zahlreiche stumme Infarkte nicht erkannt, die sich aber im [[Einzelphotonen-Emissionscomputertomographie|SPECT]] nachweisen lassen,<ref name="PMID23597799">N. Arenja, C. Mueller u.&nbsp;a.: ''Prevalence, extent, and independent predictors of silent myocardial infarction.'' In: ''The American journal of medicine.'' Band 126, Nummer 6, Juni 2013, S.&nbsp;515–522, [[doi:10.1016/j.amjmed.2012.11.028]]. PMID 23597799.</ref> insbesondere bei Diabetikern.<br />
<br />
Menschen mit [[Diabetes mellitus]] haben häufig ein vermindertes Schmerzempfinden. Sie nehmen aufgrund von Nervenschädigungen erste Symptome wie Brustschmerz kaum wahr. Ein chronisch hoher Blutzucker begünstigt die Arteriosklerose als Ursache von Herzinfarkt und Schlaganfall, so dass bei Männern mit Diabetes das Herzinfarktrisiko um das Zwei- bis Vierfache und bei Frauen um das Sechsfache erhöht ist.<ref>[https://www.herzstiftung.de/service-und-aktuelles/presse/pressemitteilungen/archiv/ploetzlicher-herztod-diabetes-erhoeht-risiko ''Plötzlicher Herztod – Diabetes erhöht Risiko.''] Herzstiftung.de, 11. November 2019; abgerufen am 28. März 2022.</ref><br />
<br />
=== Klinische Zeichen ===<br />
Die Befunde der [[Körperliche Untersuchung|körperlichen Untersuchung]] sind variabel; sie reichen vom Normalbefund eines unbeeinträchtigten Patienten bis hin zum bewusstlosen Patienten mit einem Herz-Kreislauf-Stillstand. Eindeutige [[Symptom|klinische Zeichen]] des Herzinfarktes gibt es zwar nicht, typisch aber ist der Gesamteindruck eines schmerzgeplagten Patienten mit Blässe, ängstlich wirkendem Gesichtsausdruck, Erbrechen und Schweißneigung.<br />
<br />
Andere Befunde weisen bereits auf eingetretene Komplikationen hin:<br />
* Pulsunregelmäßigkeiten auf die beim Infarkt häufigen [[Extrasystole]]n,<br />
* Pulsbeschleunigung, beim Abhören (''[[Auskultation]]'') neben den zwei normalen ein dritter Herzton und Rasselgeräusche über der Lunge sowie [[Halsvenenstauung]] auf eine Pumpschwäche des Herzens ([[Herzinsuffizienz]]),<br />
* [[Herzgeräusch]]e auf eine [[Mitralklappeninsuffizienz]], eine [[Perikarditis|Herzbeutelentzündung]] (Perikarditis) oder eine Ventrikelruptur (Herzkammerriss) und<br />
* Kollaps, Bewusstlosigkeit und Herz-Kreislaufstillstand auf schwerwiegende Rhythmusstörungen wie [[Kammerflimmern]], [[ventrikuläre Tachykardie]]n oder [[Asystolie]]n.<br />
<br />
=== Technische Befunde ===<br />
==== Elektrokardiogramm ====<br />
[[Datei:HWI akut.jpg|mini|EKG bei akutem Hinterwand-ST-Strecken-Hebungs-Infarkt (besser: inferiorer Infarkt). Die Pfeile weisen auf deutliche ST-Strecken-Hebungen (STEMI) in den Ableitungen II, III und aVF.]]<br />
<br />
Das wichtigste Untersuchungsverfahren bei Infarktverdacht ist das [[Elektrokardiogramm|EKG]]. Im Akutstadium treten gelegentlich Überhöhungen der T-Wellen (vgl. [[QT-Zeit|EKG-Nomenklatur]]) und häufig Veränderungen der ST-Strecke auf, wobei ST-Strecken-Hebungen auf den kompletten Verschluss eines Herzkranzgefäßes hinweisen. Im weiteren Verlauf kommt es nach etwa einem Tag oft zu einer „Negativierung“ (Ausschlag unterhalb der sogenannten Nulllinie) von T-Wellen. Veränderungen des QRS-Komplexes weisen in dieser Phase auf eine ''transmurale Infarzierung'' hin, einen Gewebsuntergang, der alle Wandschichten des Herzmuskels betrifft. Diese QRS-Veränderungen bleiben in der Regel lebenslang sichtbar und werden oft als „Infarktnarbe“ bezeichnet.<br />
<br />
Auch für die Erkennung und Beurteilung von [[Herzrhythmusstörung]]en als häufige Komplikationen eines Infarktes ist das EKG von entscheidender Bedeutung. Um [[Extrasystole]]n, [[Kammerflimmern]] und [[AV-Block]]ierungen in der Akutphase so rasch wie möglich erkennen und ggf. behandeln zu können, wird in der Akutphase eine kontinuierliche EKG-Überwachung (EKG-[[Monitor (Medizin)|Monitoring]]) durchgeführt.<br />
<br />
Im Anschluss an die Akutphase dient ein [[Belastungs-EKG]] der Beurteilung der Belastbarkeit und Erkennung fortbestehender Durchblutungsstörungen des Herzmuskels, ein [[Langzeit-EKG]] der Aufdeckung anderweitig unbemerkter Herzrhythmusstörungen.<br />
<br />
==== Laboruntersuchungen ====<br />
[[Datei:AMI bloodtests.png|mini|Typischer Verlauf der Blutkonzentration von kardialem Troponin und CK-MB nach einem ST-Hebungsinfarkt<ref name="Antman" />]]<br />
<br />
Als sogenannte [[Biomarker (Medizin)|Biomarker]] werden [[Enzym]]e und andere [[Protein|Eiweiße]] bezeichnet, die von absterbenden Herzmuskelzellen freigesetzt werden. Sie sind im Blut nach einem Herzinfarkt in erhöhter Konzentration messbar.<br />
<br />
Die klassischen und bis Anfang der 1990er Jahre einzigen Biomarker sind die [[Creatin-Kinase]] (CK), deren [[Isoenzym]] CK-MB, die [[Aspartat-Aminotransferase]] (AST, meist noch als GOT abgekürzt) und die [[Lactatdehydrogenase]] (LDH). Hinzugekommen sind seither das [[Myoglobin]] und das [[Kardiales Troponin|Troponin]] (Troponin T und Troponin I, oft abgekürzt als „Trop“). Der neueste Biomarker ist die [[Glycogenphosphorylase]] BB (GPBB). Dieser Biomarker ist herzspezifisch und ein Frühmarker,<ref name="pps1351-1358">D. Peetz, F. Post u.&nbsp;a.: ''Glycogen phosphorylase BB in acute coronary syndromes.'' In: ''Clinical chemistry and laboratory medicine: CCLM / FESCC.'' Band 43, Nummer 12, 2005, S.&nbsp;1351–1358, [[doi:10.1515/CCLM.2005.231]]. PMID 16309372.</ref> findet derzeit (2013) klinisch aber keine Anwendung.<br />
<br />
Die Messung der Blutkonzentrationen dieser Biomarker wird meist in regelmäßigen Abständen wiederholt, da Anstieg, höchster Wert und Abfall der Konzentration Rückschlüsse auf den Zeitpunkt des Infarktbeginns, die Größe des Herzinfarktes und den Erfolg der Therapie erlauben.<br />
<br />
==== Bildgebende Verfahren ====<br />
Die Ultraschalluntersuchung des Herzens ([[Echokardiografie]]) zeigt beim Herzinfarkt eine Wandbewegungsstörung im betroffenen Herzmuskelbereich. Da das Ausmaß dieser Wandbewegungsstörung für die [[Prognose]] des Patienten sehr wichtig ist, wird die Untersuchung bei fast allen Infarktpatienten durchgeführt. In der Akutphase liefert die Echokardiografie bei diagnostischen Unsicherheiten und Komplikationen wichtige Zusatzinformationen, weil sie hilft, die Pumpfunktion und evtl. Einrisse (Ruptur) des Herzmuskels, Schlussunfähigkeiten der Mitralklappe ([[Mitralklappeninsuffizienz]]) und Flüssigkeitsansammlungen im Herzbeutel ([[Perikarderguss]]) zuverlässig zu beurteilen.<br />
<br />
Die Gefäßdarstellung ([[Angiografie]]) der Herzkranzgefäße im Rahmen einer [[Herzkatheteruntersuchung]] erlaubt den direkten Nachweis von Verschlüssen und Verengungen. Sie wird entweder so früh wie möglich als Notfall-Untersuchung zur Vorbereitung einer [[Perkutane transluminale coronare Angioplastie|PTCA]] (vgl. [[#Reperfusionstherapie|Reperfusionstherapie]]) oder im weiteren Verlauf bei Hinweisen auf fortbestehende Durchblutungsstörungen des Herzmuskels durchgeführt.<br />
Nachteilig kann die hohe Strahlenbelastung von bis zu 14,52 mSv sein. Das ist so viel wie bei 725 Röntgen-Thorax-Bildern.<ref>Prashant Kaul von der Abteilung für Kardiovaskuläre Medizin des Duke University Medical Centers in Durham und Kollegen: ''Bericht auf der AHA-Tagung 2009.''</ref> Jedes Jahr werden weltweit mehrere Milliarden Bilder mittels der Strahlentechnik angefertigt – ungefähr ein Drittel dieser Aufnahmen bei Patienten mit akutem Myokardinfarkt. Zwischen den Jahren 1980 und 2006 ist die jährliche Dosis um schätzungsweise 700 % angestiegen.<ref>Zitiert nach Medical Tribune, 27. November 2009, S.&nbsp;3.</ref><br />
<br />
== Diagnostik ==<br />
=== Gängige und neuere Diagnoseverfahren ===<br />
Die Diagnose Herzinfarkt wird gestellt, wenn einer der sogenannten „Biomarker“ (vorzugshalber [[kardiales Troponin]], ersatzweise [[Creatin-Kinase|CK-MB]]) im Blut erhöht und mindestens eines der folgenden Kriterien erfüllt ist:<br />
* typische EKG-Veränderungen oder<br />
* typische Brustschmerzen oder<br />
* unlängst durchgeführte Intervention an einem Herzkranzgefäß (beispielsweise eine [[Angioplastie#Koronarangioplastie|PTCA]]).<br />
<br />
Die Blutkonzentration der Biomarker [[Kardiales Troponin|Troponin]] und [[Creatin-Kinase|CK-MB]] steigt allerdings erst nach drei bis sechs Stunden an, so dass eine verlässliche Diagnose bisher erst nach vier bis sechs Stunden möglich war.<br />
<br />
Neuesten Studien zufolge kann nun eine schnellere und spezifischere Diagnose mittels des neu entdeckten Herzmarkers [[Glycogenphosphorylase]] BB (GPBB) zeitnah erfolgen. Bereits ab der ersten Stunde kann durch GPBB ein Herzinfarkt diagnostiziert werden, so dass die Gefahr der irreversiblen Schädigung des Herzgewebes eingedämmt werden kann.<ref name="pps1351-1358" /><br />
<br />
In dieser Akutphase ist das wichtigste Untersuchungsverfahren ein so schnell wie möglich angefertigtes [[Elektrokardiogramm|EKG]]. Beim Nachweis von ST-Strecken-Hebungen wird mit einer diagnostischen Sicherheit von über 95 % von einem Infarkt ausgegangen und die entsprechende Behandlung möglichst unverzüglich eingeleitet.<ref>H. R. Arntz et al.: ''Leitlinien zur Diagnostik und Therapie des akuten Herzinfarktes in der Prähospitalphase.'' [[Zeitschrift für Kardiologie]] (2000) 89: S.&nbsp;364–372, [[doi:10.1007/s100490070009]].</ref><br />
<br />
Zeigt das EKG hingegen ST-Strecken-Senkungen oder keine Veränderungen, so kann ein Infarkt anhand der Biomarker erst sechs Stunden nach Beginn der Symptome mit Sicherheit ausgeschlossen oder bestätigt werden. Bei diagnostischer Unsicherheit in dieser Phase kann der Nachweis einer Wandbewegungsstörung in der Echokardiografie helfen, die Wahrscheinlichkeit und das Ausmaß eines Infarktes besser einzuschätzen.<br />
<br />
=== Differentialdiagnose ===<br />
Wegen der möglicherweise weitreichenden Konsequenzen wurde die Verdachtsdiagnose Herzinfarkt früher oft gestellt, in der Akutsituation mussten dann die [[Differentialdiagnose]]n [[Pneumothorax]], [[Lungenembolie]], [[Aortendissektion]], [[Lungenödem]] anderer Ursache, [[Herpes Zoster]], [[Stress-Kardiomyopathie]], [[Roemheld-Syndrom]], [[Herzneurose]] oder auch [[Kolik|Gallenkolik]] berücksichtigt werden. Nur bei etwa 32 % der Patienten mit Infarktverdacht fand sich tatsächlich ein Herzinfarkt. Heute wird der Begriff ''Infarkt'' bis zu seinem definitiven Nachweis meist vermieden und stattdessen vom [[Akutes Koronarsyndrom|akuten Koronarsyndrom]] gesprochen, um der häufigen diagnostischen Unsicherheit in den ersten Stunden Ausdruck zu verleihen.<br />
<br />
Auch die Infarktdiagnostik ist mit möglichen Fehlern behaftet: Bei einigen Patienten (in einer Untersuchung 0,8 %), vor allem bei älteren Patienten und solchen mit [[Diabetes mellitus]], wird auch im Krankenhaus der Infarkt nicht richtig erkannt.<br />
<br />
Eine außergewöhnliche Verwechslung der Symptome wurden bei einem (eher seltenen) Fall des Verzehrs von [[Pontischer Honig|Honig von der türkischen Schwarzmeerküste]] beobachtet<ref>''Typischer Brustschmerz, aber: Herzinfarkt war Honig-Vergiftung!'' {{Webarchiv |url=http://cme.springer.de/pages/journalArticle/171616/230421/230602.pdf |text=cme.springer.de |wayback=20141226203410}} (PDF; 1,4&nbsp;MB)</ref> (siehe dazu [[Honig#Giftstoffe in Honig und giftige Honigsorten]]).<br />
<br />
== Therapie ==<br />
=== Erste Hilfe ===<br />
Die ersten Minuten und Stunden eines Herzinfarktes sind für den Patienten von entscheidender Bedeutung.<br />
<br />
Innerhalb der ersten Stunde (der sogenannten ''goldenen Stunde'' oder ''golden hour'') bestehen gute Aussichten, den Gefäßverschluss durch eine [[Thrombolyse|Lysetherapie]] oder [[Perkutane transluminale coronare Angioplastie|Herzkatheterbehandlung]] fast vollständig rückgängig zu machen. Daher steht die unverzügliche Alarmierung des [[Rettungsdienst]]es an erster Stelle der für Laien sinnvollen Maßnahmen. Die [[Deutsche Herzstiftung]] empfiehlt für diese Situation:<ref>Deutsche Herzstiftung: ''Herzinfarkt – jede Minute zählt!''. [http://www.herzstiftung.de/herzinfarkt_fehler.php online], abgerufen am 24. Oktober 2006.</ref><br />
* Nicht warten.<br />
* Rettungsdienst über die Rufnummer 112 (in Europa) oder eine andere örtliche [[Notruf]]nummer alarmieren und Verdacht auf Herzinfarkt äußern.<br />
* Niemals selbst mit dem Auto in die Klinik fahren, wegen der Gefahr eines Zusammenbruchs während der Fahrt. Krankenwagen (oder Hubschrauber, wenn sie verfügbar sind) mit einem medizinischen Personal sind normalerweise die schnellste und sicherste Methode.<ref>{{Literatur |Autor=Peter T Pons, Vincent J Markovchick |Titel=Ambulance response time guideline |Sammelwerk=The Journal of Emergency Medicine |Band= |Nummer=1 |Datum=2002-07 |ISSN=0736-4679 |DOI=10.1016/s0736-4679(02)00460-2 |Seiten=43–48 |Online=https://jem-journal.com/article/S0736-4679(02)00460-2/abstract |Abruf=2024-03-20}}</ref><br />
<br />
Aspirin hat eine hemmende und reduzierende Wirkung in Koagulation, und deshalb wird es manchmal verwendet um den Status eines Infarktopfers zu verbessern.<ref>{{Literatur |Autor=Grant W Reed, Jeffrey E Rossi, Christopher P Cannon |Titel=Acute myocardial infarction |Sammelwerk=The Lancet |Band=389 |Nummer=10065 |Datum=2017-01 |ISSN=1474-547X |DOI=10.1016/s0140-6736(16)30677-8 |Seiten=197–210 |Online=https://thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736(16)30677-8/abstract |Abruf=2024-03-20}}</ref> Jedoch eine gewisse Sicherheit ist erforderlich, dass das Problem ein Herzinfarkt ist, den wenn, saltener, es ist für Blutverlust (zum Beispiel im Falle von Aneurysma), würde das Aspirin es in gewissem Verhältnis fördern.<br />
<br />
Und, wie im Fall von Aspirin, Patienten mit koronarer Herzerkrankungen (was in der Lage ist, Infarkt zu erzeugen) denen der Arzt eine geeignete Medizin verschrieben hat (Zum Beispiel: mit einem inhibitor Effekt oder mit einem reduzierenden Effekt von Gerinnseln oder anderen Effekten) könnten sich besser fühlen wenn sie es damals aufnehmen,<ref>{{Internetquelle |url=https://web.archive.org/web/20240305092914/http://mayoclinic.org/first-aid/first-aid-heart-attack/basics/art-20056679 |titel=Heart attack: First aid - Mayo Clinic |datum=2024-03-05 |abruf=2024-03-20}}</ref> jedoch die Effekte können je nach Medikamenten variieren.<br />
<br />
Die Gefahr des [[Herzstillstand]]es durch [[Kammerflimmern]] ist in der ersten Stunde am größten. Nur durch eine rasch einsetzende [[Herz-Lungen-Wiederbelebung]] durch Ersthelfer und Rettungsdienst kann in diesem Fall der Tod oder schwere Schäden durch Sauerstoffunterversorgung des [[Gehirn]]s verhindert werden. Durch eine [[Defibrillation]] durch medizinisches Fachpersonal oder mittels eines öffentlich zugänglichen [[Automatisierter Externer Defibrillator|automatisierten externen Defibrillators]], der durch Laien bedient werden kann, besteht die Möglichkeit, dass das Kammerflimmern gestoppt wird und sich wieder ein stabiler Eigenrhythmus einstellt.<ref>{{Webarchiv |url=http://www.erc.edu/download_gl.php?d=3 |text=Richtlinien des European Resuscitation Council zur Herz-Lungen-Wiederbelebung |wayback=20071217125850}} (PDF, englisch)</ref><br />
<br />
=== Medizinische Erstversorgung ===<br />
Das [[Rettungsfachpersonal]] des [[Rettungsdienst]]es konzentriert sich zunächst auf eine möglichst rasche Erkennung von Akutgefährdung und Komplikationen. Dazu gehört eine zügige [[Körperliche Untersuchung|klinische Untersuchung]] mit Blutdruckmessung und [[Auskultation]] (Abhören) von Herz und Lunge. Nur ein schnell angefertigtes [[Elektrokardiogramm|Zwölf-Kanal-EKG]] lässt den ST-Hebungsinfarkt erkennen und erlaubt die Einleitung der dann dringlichen Lysetherapie oder Katheterbehandlung. Um Herzrhythmusstörungen sofort erkennen zu können, wird eine kontinuierliche EKG-Überwachung (Rhythmusmonitoring) begonnen und zur Medikamentengabe eine [[Venenverweilkanüle|periphere Verweilkanüle]] angelegt.<br />
<br />
Die medikamentöse Therapie zielt in der Akutsituation auf eine möglichst optimale Sauerstoffversorgung des Herzens, die Schmerzbekämpfung und eine Vermeidung weiterer Blutgerinnselbildung. Verabreicht werden in der Regel [[Nitroglycerin]]-Spray oder -Kapseln [[sublingual]] und [[Morphin]]präparate, [[Acetylsalicylsäure]] und [[Clopidogrel]] sowie [[Heparin]] [[intravenös]]. [[Sauerstoff|Sauerstoff (O<sub>2</sub>)]] wird nach den aktuellen Leitlinien der ERC nur noch bei niedriger [[Sauerstoffsättigung]] des Bluts verabreicht.<ref name="ERC 2010">H.-R. Arntz et al.: ''Initiales Management von Patienten mit akutem Koronarsyndrom.'' Sektion 5 der Leitlinien zur Reanimation 2010 des European Resuscitation Council, [[doi:10.1007/s10049-006-0794-2]].</ref> Die generelle Gabe von Sauerstoff wird wegen seiner möglicherweise schädlichen Auswirkungen allerdings nicht mehr empfohlen.<ref>{{Internetquelle |url=http://www.rettungsdienst-updates.de/die-praklinische-gabe-von-sauerstoff-teil-1-das-akute-koronarsyndrom-acs/ |titel=Die präklinische Gabe von Sauerstoff Teil 1: Das Akute Koronarsyndrom (ACS) |datum=2012-01-18 |abruf=2012-02-16}}</ref><br />
<br />
In speziellen Situationen und bei Komplikationen können weitere Medikamente erforderlich sein, zur Beruhigung ([[Sedierung]]) beispielsweise [[Benzodiazepin]]e wie [[Diazepam]] oder [[Midazolam]], bei [[Nervus vagus|vagaler]] Reaktion [[Atropin]], bei Übelkeit oder Erbrechen [[Antiemetikum|Antiemetika]] (beispielsweise [[Metoclopramid]]), bei [[Tachykardie]] trotz Schmerzfreiheit und fehlenden Zeichen der Linksherzinsuffizienz [[Betablocker]] (beispielsweise [[Metoprolol]]) und bei kardiogenem Schock die Gabe von [[Katecholamin]]en.<br />
<br />
=== Reperfusionstherapie ===<br />
[[Datei:HWI PTCA.jpg|mini|300px|Angiografie der rechten Herzkranzarterie (RCA) bei akutem Hinterwandinfarkt, links: RCA verschlossen, rechts: RCA nach Ballondilatation offen]]<br />
Vordringliches Therapieziel beim ST-Hebungsinfarkt ist die möglichst rasche Eröffnung des betroffenen und in dieser Situation meist verschlossenen [[Herzkranzgefäße]]s. Diese Wiederherstellung der Durchblutung im Infarktgebiet wird Reperfusionstherapie genannt. Je früher diese erfolgt, umso besser kann eine Infarktausdehnung verhindert werden („time is muscle“). Gelingt es, die Reperfusionstherapie bereits in der ersten Stunde nach Infarkteintritt anzuwenden, so können viele dieser Infarkte sogar verhindert werden.<br />
<br />
Als Reperfusionstherapie sind zwei Behandlungsverfahren etabliert:<br />
* Primär-[[Perkutane transluminale coronare Angioplastie|Perkutane Koronarintervention]] (auch Direkt-PTCA oder Primär-PTCA): mechanische Öffnung (''Rekanalisation'') des Gefäßes mit anschließender [[Ballondilatation]] und [[Stent]]<nowiki />implantation mittels Herzkatheter. Zeigt sich ein mittels PTCA nicht angehbarer Befund, kann in Einzelfällen eine akute [[Koronararterien-Bypass|operative Myokardrevaskularisation]] indiziert sein.<br />
* Lysetherapie oder [[Thrombolyse]]: intravenöse Gabe eines gerinnselauflösenden Medikamentes. Dieses Thrombolytikum kann vom [[Notarzt]] bereits am Einsatzort verabreicht werden (''prästationäre Lyse'') und führt durch frühen Behandlungsbeginn zu besseren Ergebnissen als eine Therapieeinleitung im Krankenhaus.<br />
<br />
Bei gleichzeitiger Verfügbarkeit ist die Primär-PCI in einem erfahrenen Zentrum die bevorzugte Strategie. Da aber weniger als 20 % der deutschen Krankenhäuser über die Möglichkeit zur Primär-PCI verfügen, muss die Entscheidung zur optimalen Therapie im Einzelfall getroffen werden. Viele Notärzte sind mit Zwölf-Kanal-EKG-Geräten und Medikamenten für eine Lysetherapie ausgerüstet, so dass sie heute sofort nach Diagnosestellung in Abhängigkeit von der Infarktdauer, dem Patientenzustand, der Verfügbarkeit eines erfahrenen Herzkatheterteams und der Transportentfernung die bestmögliche Reperfusionstherapie auswählen können.<br />
<br />
Bei Nicht-ST-Hebungsinfarkten (NSTEMI) ist ein Nutzen der unverzüglichen Reperfusionstherapie nicht belegt, eine Lysetherapie ist [[Kontraindikation|kontraindiziert]]. Ob und zu welchem Zeitpunkt eine Herzkatheteruntersuchung erforderlich ist, ist trotz vieler Studien zu diesem Thema strittig. Die vorherrschende und auch in den Leitlinien der kardiologischen Fachgesellschaften verankerte Empfehlung sieht eine „frühe Intervention“ innerhalb von 48&nbsp;Stunden vor. Erneute Diskussionen sind durch eine weitere im Herbst 2005 veröffentlichte Studie entstanden, die bei 1200 Patienten mit NSTEMI kein höheres Risiko fand, wenn die Intervention nur bei Patienten mit anhaltenden Beschwerden erfolgte.<ref name="PMID16162880">R. J. de Winter, F. Windhausen u.&nbsp;a.: ''Early invasive versus selectively invasive management for acute coronary syndromes.'' In: ''[[The New England Journal of Medicine]].'' Band 353, Nummer 11, September 2005, S.&nbsp;1095–1104, [[doi:10.1056/NEJMoa044259]]. PMID 16162880.</ref><br />
<br />
=== Weitere Behandlung ===<br />
Im Krankenhaus werden Infarktpatienten wegen möglicher [[Herzrhythmusstörung]]en in der Akutphase auf einer [[Intensivstation|Intensiv-]] oder Überwachungsstation behandelt, wo eine kontinuierliche EKG-Überwachung (''Monitoring'') möglich ist. Bei einem unkomplizierten Verlauf können sie oft bereits am Folgetag Schritt für Schritt [[Mobilisation|mobilisiert]] und nach fünf bis acht Tagen entlassen werden. Patienten mit großen Infarkten, die zu einer Pumpschwäche ([[Herzinsuffizienz]]) des Herzmuskels geführt haben, benötigen manchmal bis zu drei Wochen, um die gewohnten Alltagsaktivitäten wiederaufnehmen zu können.<br />
<br />
Nach einem Herzinfarkt ist bei den meisten Patienten eine lebenslange medikamentöse Therapie sinnvoll, die Komplikationen wie Herzrhythmusstörungen und [[Herzinsuffizienz|Herzmuskelschwäche]] sowie erneuten Herzinfarkten vorbeugt. Dazu zählt die Therapie mit [[Betablocker]]n, [[Acetylsalicylsäure|ASS]], [[Statin]]en, [[ACE-Hemmer]]n und bei einigen Patienten [[Clopidogrel]] oder [[Prasugrel]].<ref name="PMID22052934">S. C. Smith, E. J. Benjamin u.&nbsp;a.: [http://circ.ahajournals.org/content/124/22/2458.full ''AHA/ACCF Secondary Prevention and Risk Reduction Therapy for Patients with Coronary and other Atherosclerotic Vascular Disease: 2011 update: a guideline from the American Heart Association and American College of Cardiology Foundation.''] In: ''Circulation.'' Band 124, Nummer 22, November 2011, S.&nbsp;2458–2473, [[doi:10.1161/CIR.0b013e318235eb4d]]. PMID 22052934.</ref> In der Realität zeigt sich allerdings, dass die medikamentöse Therapie oft nicht leitliniengerecht umgesetzt wird und eine deutliche Unterversorgung der betroffenen Patienten besteht.<ref name="aerzteblatt-117140">{{Literatur |Autor=Sandra Mangiapane, Reinhard Busse |Titel=Verordnungsprävalenz medikamentöser Sekundärprävention und Therapiepersistenz nach Myokardinfarkt: Eine Routinedatenanalyse der Versorgungsrealität |Sammelwerk=[[Deutsches Ärzteblatt]] Int |Band=108 |Nummer=50 |Datum=2011-12-16 |Seiten=856–862 |DOI=10.3238/arztebl.2011.0856}}</ref><br />
<br />
Bei stark eingeschränkter Pumpfunktion des Herzens wird die prophylaktische Anlage eines [[Implantierbarer Kardioverter-Defibrillator|implantierbaren Defibrillators]] zum Schutz vor [[Plötzlicher Herztod|plötzlichem Herztod]] empfohlen.<ref>[http://leitlinien.dgk.org/images/pdf/leitlinien_pocket/2010_pll_15.pdf Pocket Leitlinie ''Akutes Koronarsyndrom mit persistierender ST-Streckenhebung (STEMI)''.] (PDF)</ref><br />
<br />
Nach dem Auftreten von großen Vorderwandinfarkten kann es (< 50 %) zur [[Thrombus|Thrombenbildung]] in der linken Schlagkammer kommen, die die Gefahr eines Hirninfarktes nach sich ziehen können. Sollten sich echokardiografisch Thromben nachweisen lassen, wird meist eine mehrmonatige Antikoagulantientherapie mit [[Phenprocoumon]] durchgeführt.<br />
<br />
Besondere Aufmerksamkeit erfordern die Risikofaktoren, die die Lebenserwartung der Infarktpatienten erheblich beeinträchtigen können. Vorteilhaft sind strikter Nikotinverzicht und eine optimale Einstellung von Blutdruck, Blutzucker und Blutfettwerten. Neben der Normalisierung des Lebenswandels, dem Stressabbau und der Gewichtsnormalisierung spielen eine gesunde Ernährung und regelmäßiges körperliches [[Ausdauertraining]] nach ärztlicher Empfehlung dabei eine wesentliche Rolle.<br />
<br />
Im Anschluss an die Krankenhausbehandlung wird in Deutschland oft eine ambulante oder stationäre [[Medizinische Rehabilitation|Anschlussheilbehandlung]] empfohlen. Diese meist drei Wochen dauernde Maßnahme soll durch Krankengymnastik ([[Physiotherapie]]), dosiertes körperliches Training, Schulungsmaßnahmen und psychosoziale Betreuung eine möglichst gute und vollständige Wiedereingliederung in den Alltag ermöglichen. Zur dauerhaften Lebensstilveränderung kann der Besuch einer [[Herzschule]] sinnvoll sein.<br />
<br />
== Weitere Therapie der koronaren Herzerkrankung mit Koronararterien-Bypass oder PTCA ==<br />
Um weiteren Infarkten vorzubeugen, ist eine definitive Versorgung der (oftmals mehreren) kritischen Stenosen mittels Stentimplantation oder [[Koronararterien-Bypass]] notwendig. Die aktuellen Leitlinien der [[European Society of Cardiology|Europäischen kardiologischen Gesellschaft]] zur Revaskularisierung geben für Patienten mit hohem Operationsrisiko und einer oder zwei betroffenen Koronararterien ohne Beteiligung des linkskoronaren Hauptstamms (oder einer äquivalenten proximalen Stenose des Ramus interventrikularis anterior) die Empfehlung, bevorzugt mittels PTCA zu behandeln. Für alle anderen Patienten gilt eine höhergradige Empfehlung zur operativen Versorgung mit Koronararterien-Bypässen.<ref name="ESC2010">W. Wijns u.&nbsp;a.: ''Guidelines on myocardial revascularization.'' In: ''European heart journal.'' Band 31, Nummer 20, Oktober 2010, S.&nbsp;2501–2555, [[doi:10.1093/eurheartj/ehq277]]. PMID 20802248.</ref> Es wird ein insbesondere hinsichtlich der Begleiterkrankungen (wie hämodynamisch relevantes Aneurysma, thorakale Re-Operation) ein auf den individuellen Patienten zugeschnittenes Prozedere propagiert. Die Therapieplanung und Beratung des Patienten sollte hierbei durch ein „Heart Team“ erfolgen, also eine interdisziplinäre Zusammenkunft von Kardiologen und Herzchirurgen. Dies ist in der täglichen Praxis in Deutschland erfahrungsgemäß jedoch eher die Ausnahme.<br />
<br />
=== Experimentelle Ansätze ===<br />
Seit den 1990er Jahren werden Versuche unternommen, die Pumpfunktion des Herzmuskels nach einem Herzinfarkt durch [[Stammzelle]]n positiv zu beeinflussen. Dabei werden verschiedene Techniken eingesetzt, unter anderem die Injektion von Stammzellen, die aus Blut oder Knochenmark gewonnen werden, in das betroffene Herzkranzgefäß (''intrakoronar'', mittels Herzkatheter). Auch die [[subkutan]]e Injektion von ''granulocyte-colony stimulating factor'' ([[G-CSF]]), der die Stammzellproduktion fördert, wird untersucht. Mehrere in den Jahren 2004 bis 2006 veröffentlichte [[Klinische Studie|Studien]] weisen darauf hin, dass die intrakoronare Anwendung von Knochenmark-Stammzellen die Pumpfunktion tatsächlich verbessern kann<ref name="PMID16413875">S. Janssens, C. Dubois u.&nbsp;a.: ''Autologous bone marrow-derived stem-cell transfer in patients with ST-segment elevation myocardial infarction: double-blind, randomised controlled trial.'' In: ''Lancet.'' Band 367, Nummer 9505, Januar 2006, S.&nbsp;113–121, [[doi:10.1016/S0140-6736(05)67861-0]]. PMID 16413875.</ref>, die alleinige Gabe von G-CSF hingegen keinen Vorteil bringt.<ref name="PMID16507801">D. Zohlnhöfer, I. Ott u.&nbsp;a.: ''Stem cell mobilization by granulocyte colony-stimulating factor in patients with acute myocardial infarction: a randomized controlled trial.'' In: ''JAMA.'' Band 295, Nummer 9, März 2006, S.&nbsp;1003–1010, [[doi:10.1001/jama.295.9.1003]]. PMID 16507801.</ref><ref name="PMID16531621">R. S. Ripa, E. Jørgensen u.&nbsp;a.: ''Stem cell mobilization induced by subcutaneous granulocyte-colony stimulating factor to improve cardiac regeneration after acute ST-elevation myocardial infarction: result of the double-blind, randomized, placebo-controlled stem cells in myocardial infarction (STEMMI) trial.'' In: ''Circulation.'' Band 113, Nummer 16, April 2006, S.&nbsp;1983–1992, [[doi:10.1161/CIRCULATIONAHA.105.610469]]. PMID 16531621.</ref><br />
Eine Studie aus dem Jahr 2012 hat jedoch keinen positiven Effekt festgestellt.<ref name="PMID23896972">J. Wöhrle, F. von Scheidt u.&nbsp;a.: ''Impact of cell number and microvascular obstruction in patients with bone-marrow derived cell therapy: final results from the randomized, double-blind, placebo controlled intracoronary Stem Cell therapy in patients with Acute Myocardial Infarction (SCAMI) trial.'' In: ''Clinical research in cardiology.'' Band 102, Nummer 10, Oktober 2013, S.&nbsp;765–770, [[doi:10.1007/s00392-013-0595-9]]. PMID 23896972.</ref> Ein weiterer, in jüngerer Zeit in präklinischen Studien verfolgter Therapieansatz ist der Einsatz von [[Wachstumsfaktor (Protein)|Wachstumsfaktoren]] wie ''Fibroblast-like Growth Factor'' ([[Fibroblast Growth Factor|FGF]]-1), Insuline-like Growth Factors ([[Insulin-like growth factor|IGFs]]) und ''Vascular Endothelial Growth Factor'' ([[Vascular Endothelial Growth Factor|VEGF]]), die die Gefäßneubildung ([[Angiogenese]]) anregen.<br />
<br />
== Krankheitsverlauf und Prognose ==<br />
Die ersten beiden Stunden nach Eintritt eines Herzinfarktes sind zumindest bei einem ST-Hebungsinfarkt (STEMI) für den weiteren Verlauf und die Überlebenschance des Patienten von entscheidender Bedeutung, weil<br />
* sich die Mehrzahl der Todesfälle, die in der Regel durch [[Kammerflimmern]] verursacht sind, in diesem kurzen Zeitraum ereignet<ref name="Antman" /> und<br />
* eine während dieser Zeit eingeleitete Reperfusionstherapie die [[Prognose]] maßgeblich beeinflusst.<br />
<br />
Die Akutsterblichkeit jener Patienten, die im Krankenhaus aufgenommen werden, beträgt heute nach verschiedenen Untersuchungen zwischen weniger als zehn und knapp zwölf Prozent. Weiterhin stirbt aber fast ein Drittel aller Patienten vor Aufnahme in eine Klinik, so dass die Einjahressterblichkeit aller Infarktpatienten in den letzten 30&nbsp;Jahren nahezu unverändert bei etwa 50 % verblieben ist.<br />
<br />
Die Sterblichkeit im Zusammenhang mit einem Herzinfarkt wird vom Alter des Patienten stark beeinflusst. Aus dem Berliner Herzinfarktregister wurde für die Jahre 1999 bis 2003 bei über 75-Jährigen eine Krankenhaussterblichkeit von 23,9 %, bei jüngeren Patienten von 7,3 % ermittelt.<ref name="Schuler">J. Schuler, B. Maier u.&nbsp;a.: ''Present treatment of acute myocardial infarction in patients over 75 years–data from the Berlin Myocardial Infarction Registry (BHIR).'' In: ''Clinical research in cardiology.'' Band 95, Nummer 7, Juli 2006, S.&nbsp;360–367, [[doi:10.1007/s00392-006-0393-8]]. PMID 16741630.</ref> Insgesamt ist die Rate an Sterbefällen nach Herzinfarkten jedoch stark abgesunken, wie eine epidemiologische Studie mit Daten der WHO zeigte. So haben sich die Herzinfarkt-Sterbefälle seit 1980 in Europa halbiert. In Deutschland lag sie 2009 bei 15–17 %, in Österreich bei 19–20 %, in Frankreich bei 6–8 %.<ref name="DOI10.1093/eurheartj/eht159">M. Nichols, N. Townsend u.&nbsp;a.: ''Trends in age-specific coronary heart disease mortality in the European Union over three decades: 1980–2009.'' In: ''European heart journal.'' Band 34, Nummer 39, Oktober 2013, S.&nbsp;3017–3027, [[doi:10.1093/eurheartj/eht159]]. PMID 23801825. {{PMC|3796269}}.</ref><br />
<br />
Eine 2023 veröffentlichte Studie unter 884 Patienten deutet darauf hin, dass die Sterblichkeit nach einem Herzinfarkt bei Frauen zwei- bis dreimal höher liegt als bei Männern.<ref>{{Internetquelle |url=https://www.eurekalert.org/news-releases/989635 |titel=Women more likely to die after heart attack than men |werk=eurekalert.org |hrsg=European Society of Cardiology |datum=2023-05-22 |abruf=2024-03-11 |sprache=en}}</ref><ref>{{Internetquelle |url=https://www.pharmazeutische-zeitung.de/frauen-sterben-nach-herzinfarkt-haeufiger-als-maenner-140300/ |titel=Frauen sterben nach Herzinfarkt häufiger als Männer |werk=pharmazeutische-zeitung.de |datum=2023-05-24 |abruf=2024-03-11 |sprache=de}}</ref><br />
<br />
{{Siehe auch|Killip-Klassifikation}}<br />
<br />
=== Komplikationen ===<br />
Sehr häufig sind [[Herzrhythmusstörung]]en, auch bei kleinen Infarkten vor allem in der Frühphase. [[Ventrikuläre Tachykardie]]n bis hin zum [[Kammerflimmern]] sind die häufigste Todesursache beim Herzinfarkt, deshalb wird in der Akutphase eine ständige Überwachung und [[Defibrillation]]sbereitschaft auf einer [[Intensivstation]] gesichert. In Einzelfällen ist eine Behandlung mit einem [[Antiarrhythmikum]] nötig. Besonders Hinterwandinfarkte können über eine Ischämie des [[AV-Knoten]]s zum [[AV-Block]] und bei Ischämie des [[Sinusknoten]] zum [[Sick-Sinus-Syndrom]] führen, was vorübergehend (oder dauerhaft) den Einsatz eines [[Herzschrittmacher]]s erfordert.<br />
<br />
Wenn der Infarkt große Areale des Herzens (mehr als 30 % der Muskulatur) betrifft, kann es zur Ausbildung eines kardiogenen [[Schock (Medizin)|Schocks]] kommen, bei dem das Herz durch die Herzmuskelschädigung nicht mehr in der Lage ist, eine ausreichende Kreislauffunktion aufrechtzuerhalten. Diese Patienten haben eine deutlich schlechtere Prognose, der kardiogene Schock ist die zweithäufigste Todesursache im Rahmen eines akuten Herzinfarktes. Hier kann eine [[intraaortale Ballonpumpe]] (IABP) vorübergehend das Herz unterstützen.<br />
<br />
Ein Herzwand[[aneurysma]] kann sich aufgrund der Wandschwäche nach einem Herzinfarkt ausbilden. Hierbei entwickelt sich eine Auswölbung der geschädigten Herzwand. Chronisch kommt es zu einer verschlechterten Herzfunktion, der Bildung eines [[Thrombus]] durch gestörten Blutfluss mit der Möglichkeit arterieller [[Embolie]]n. In der direkten Phase nach einem Infarkt kann es zu einer [[Ruptur]] (Platzen) der Auswölbung kommen mit nachfolgender [[Herzbeuteltamponade]], welche sofort entlastet und im Allgemeinen chirurgisch versorgt werden muss.<br />
<br />
Durch [[Nekrose]] im Herzscheidewandbereich kann es auch hier zu einer [[Ventrikelseptumdefekt|Septumperforation]] kommen. Nachfolgend kommt es zum Übertritt von Blut aus dem linken in den rechten Teil des Herzens.<br />
<br />
Insbesondere bei Hinterwandinfarkten kann eine akute [[Mitralklappeninsuffizienz|Insuffizienz der Mitralklappe]] durch Nekrose der [[Papillarmuskel]]n mit nachfolgendem Abriss eines Sehnenfadens auftreten. Der Rückfluss von Blut in den [[Linker Vorhof|linken Vorhof]] kann zu einer akuten [[Herzinsuffizienz]] führen und eine schnelle Herzoperation notwendig machen. Ein neu auftretendes [[Systole|systolisches]] [[Herzgeräusch]] kann zu dieser Verdachtsdiagnose führen, daher sollen Patienten nach Herzinfarkt regelmäßig abgehört ([[Auskultation|auskultiert]]) werden.<br />
<br />
Im weiteren Verlauf (einige Tage bis ca. acht Wochen) kann sich im Rahmen einer Autoimmunreaktion eine [[Perikarditis|Entzündung des Herzbeutels]], das sogenannte [[Dressler-Syndrom]], entwickeln.<br />
<br />
=== Infarkte bei älteren Menschen ===<br />
{| class="wikitable float-right" style="font-size:95%;"<br />
|+ Charakteristika von Infarktpatienten abhängig vom Lebensalter<ref name="Schuler" /><br />
|-<br />
!<br />
! style="text-align:right; background:#ABCDEF;"|≤&nbsp;75&nbsp;Jahre<br />
! style="text-align:right; background:#FFEBAD;"|>&nbsp;75&nbsp;Jahre<br />
|-<br />
|Herzversagen<br />
|style="text-align:right; background:#ABCDEF;"| 3,5 %<br />
|style="text-align:right; background:#FFEBAD;"| 14,4 %<br />
|-<br />
|Niereninsuffizienz<br />
|style="text-align:right; background:#ABCDEF;"| 3,9 %<br />
|style="text-align:right; background:#FFEBAD;"| 11,5 %<br />
|-<br />
|Diabetes mellitus<br />
|style="text-align:right; background:#ABCDEF;"| 24,3 %<br />
|style="text-align:right; background:#FFEBAD;"| 37,3 %<br />
|-<br />
|Lungenstauung<br />
|style="text-align:right; background:#ABCDEF;"| 19,7 %<br />
|style="text-align:right; background:#FFEBAD;"| 45,4 %<br />
|-<br />
|Linksschenkelblock<br />
|style="text-align:right; background:#ABCDEF;"| 3,6 %<br />
|style="text-align:right; background:#FFEBAD;"| 12,7 %<br />
|}<br />
<br />
In den europäischen Ländern betreffen etwa ein Drittel (24 bis 42 %) aller Infarkte Menschen im Alter von über 74 Jahren. Dieser Anteil wird aufgrund der [[Demografie|demografischen]] Entwicklung mit der Zeit zunehmen. Schätzungen zufolge soll der Anteil über 75-Jähriger im Jahr 2050 bereits zwei Drittel betragen.<br />
<br />
Ältere Infarktpatienten leiden häufiger an bedeutsamen Begleiterkrankungen wie [[Herzinsuffizienz#Laiensprache und Doppeldeutungen|Herzversagen]], [[Chronisches Nierenversagen|Niereninsuffizienz]] und [[Diabetes mellitus]] (Zuckerkrankheit). Bei ihnen werden öfter Zeichen eines schweren Infarktes wie [[Lungenödem#Lungenstauung|Lungenstauung]] und [[Linksschenkelblock]] festgestellt. Die Zeit zwischen Symptombeginn und Aufnahme im Krankenhaus ist bei ihnen länger und gemessen am Einsatz der [[#Reperfusionstherapie|Reperfusionstherapie]] sowie der Anwendung von [[Betablocker]]n und [[Statin]]en kommt eine leitliniengerechte Therapie seltener zur Anwendung.<ref name="Schuler" /><br />
<br />
Zusätzlich erhöhen kardiale Erkrankungen, wie der Herzinfarkt, auch das Risiko für kognitive Probleme. Vor allem Frauen mit Herzerkrankungen leiden im Alter öfter an einer leichten nicht-amnestischen kognitiven Beeinträchtigung ([[Aphasie|Wortfindungsstörungen]], Aufmerksamkeitsprobleme, Desorientierung usw.).<ref>R. O. Roberts, Y. E. Geda u.&nbsp;a.: ''Cardiac disease associated with increased risk of nonamnestic cognitive impairment: stronger effect on women.'' In: ''JAMA neurology.'' Band 70, Nummer 3, März 2013, S.&nbsp;374–382, [[doi:10.1001/jamaneurol.2013.607]]. PMID 23358884. {{PMC|3734560}}.</ref><br />
<br />
== Geschichte ==<br />
<br />
=== Von den Anfängen bis 1950 ===<br />
<br />
Seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts ist bekannt, dass eine [[Thrombose]] im Herzkranzgefäß zum Tode führen kann. Tierexperimente mit Unterbindung eines Kranzgefäßes und Sektionsbefunde legten nahe, dass die Koronarthrombose ein fatales Ereignis darstellte. Im Mai 1876 diagnostizierte [[Adam Hammer]] in Wien als Erster den Herzinfarkt an einem lebenden Menschen. 1901 wies der Deutsche [[Ludolf von Krehl]] nach, dass sie nicht immer tödlich ausging, die erste ausführliche Beschreibung nicht-tödlicher Herzinfarkte stammt von den Russen ''V. P. Obraztsov'' und ''N. D. Strazhesko'' aus dem Jahr 1910.<ref name="PMID327787">J. E. Muller: ''Diagnosis of myocardial infarction: historical notes from the Soviet Union and the United States.'' In: ''The American journal of cardiology.'' Band 40, Nummer 2, August 1977, S.&nbsp;269–271, PMID 327787.</ref><br />
<br />
1912 bezog sich der US-Amerikaner ''James B. Herrick'' auf diese Veröffentlichung und führte körperliche Ruhe als Therapieprinzip für Infarktpatienten ein. Sie blieb bis in die frühen 1950er Jahre einzige Behandlungsmöglichkeit und wurde konsequent betrieben: Die Patienten durften sich zwei Wochen nicht bewegen und sollten deshalb auch gefüttert werden. Herrick war es auch, der die 1903 vom Holländer [[Willem Einthoven|Einthoven]] entwickelte Elektrokardiografie zur Diagnostik des Herzinfarktes einführte.<br />
<br />
1923 veröffentlichte ''Wearn'' die Beschreibung des Krankheitsverlaufes von 19 Patienten mit Herzinfarkt, denen absolute Bettruhe und eine Beschränkung der Flüssigkeitszufuhr verordnet wurden. Sie erhielten [[Herzglykoside|Digitalispräparate]] gegen eine Lungenstauung sowie [[Koffein]] und [[Campher]] zur Vorbeugung und Behandlung von erniedrigtem Blutdruck, [[Synkope (Medizin)|Synkopen]] und Herzrhythmusstörungen. 1928 beschrieben [[John Parkinson (Kardiologe)|Parkinson]] und [[Evan Bedford|Bedford]] ihre Erfahrungen mit der Schmerzbehandlung durch [[Morphin]] bei 100&nbsp;Infarktpatienten, [[Nitrate]] hielten sie wegen der blutdrucksenkenden Wirkung für kontraindiziert.<br />
<br />
1929 veröffentlichte [[Samuel A. Levine (Mediziner)|Samuel A. Levine]] das erste ausschließlich der Infarktbehandlung gewidmete Fachbuch, in dem unter anderem auf die Bedeutung der Herzrhythmusstörungen eingegangen und [[Chinidin]] gegen [[ventrikuläre Tachykardie]]n und [[Adrenalin]] gegen [[AV-Block|Blockierungen]] empfohlen wurde.<br />
<br />
In den 1950er Jahren wurde der Herzinfarkt bereits als wichtige Todesursache in den Industrieländern angesehen. Wegen der hohen Gefährdung durch Thrombosen und [[Lungenembolie]]n auf Grund der langen Bettruhe gewann das von [[Bernard Lown]] propagierte Konzept einer früheren [[Mobilisation|Mobilisierung]] (''arm chair treatment'') an Bedeutung. Großzügige Flüssigkeitszufuhr und regelmäßige Sauerstoffgabe wurden empfohlen.<ref name="PMID11799435">R. Sarmento-Leite, A. M. Krepsky, C. A. Gottschall: ''Acute myocardial infarction. One century of history.'' In: ''Arquivos brasileiros de cardiologia.'' Band 77, Nummer 6, Dezember 2001, S.&nbsp;593–610, PMID 11799435.</ref><br />
<br />
=== Die „Thrombolyse-Ära“ ===<br />
<br />
Bereits 1948 wurde empfohlen, nach einem überstandenen Herzinfarkt vorbeugend [[Phenprocoumon|Cumarine]] als Antikoagulanzien einzunehmen. Hauptsächlich [[Anthony P. Fletcher|Fletcher]] und [[Marc Verstraete|Verstraete]] wiesen in den 1950er und 1960er Jahren experimentell nach, dass frische Koronarthrombosen medikamentös aufgelöst werden können. 1959 brachten die deutschen [[Behring-Werke]] [[Streptokinase]] auf den Markt, das unter anderem die Lysetherapie beim akuten Herzinfarkt ermöglichte. In den 1970er Jahren waren es dann zwei Arbeitsgruppen um [[Jewgeni Tschasow]] und [[Klaus Peter Rentrop]], die den Nachweis einer erfolgreichen Lysetherapie durch intrakoronare Infusion von Streptokinase führten. Ihre Ergebnisse wurden unterstützt durch Befunde von [[Marcus De Wood|De Wood]], der bei 90 % der Patienten mit ST-Strecken-Hebung okkludierende (das Gefäßlumen verschließende) Koronarthromben nachwies. Anfang der 1980er Jahre wurde deutlich, dass eine intravenöse Infusion der intrakoronaren gleichwertig war, was die Verbreitung der Methode sehr förderte.<br />
<br />
1986 wurde die als ''GISSI-Studie'' bezeichnete erste randomisierte klinische Studie zur Lysetherapie veröffentlicht, die an 11.806 Patienten durchgeführt wurde und eine Senkung der 21-Tage-Sterblichkeit von 13 auf 10,7 % nachwies, was einem geretteten Menschenleben pro 43 Behandlungen entsprach.<ref name="PMID2868337">Gruppo Italiano per lo Studio della Streptochinasi nell'Infarto Miocardico (GISSI): ''Effectiveness of intravenous thrombolytic treatment in acute myocardial infarction.'' In: ''Lancet.'' Band 1, Nummer 8478, Februar 1986, S.&nbsp;397–402, PMID 2868337.</ref><br />
<br />
=== Weiterentwicklung der Therapie ===<br />
<br />
1960 veröffentlichte die ''[[American Heart Association]]'' die ''[[Framingham-Studie]]'', die den Zusammenhang zwischen dem Rauchen und dem Auftreten von Herzinfarkten bewies. Mitte der 1990er Jahre wurde die erst 1977 von [[Andreas Grüntzig]] eingeführte Ballondilatation der Herzkranzgefäße als Therapieoption auch beim akuten Herzinfarkt in größerem Umfang eingesetzt. Heute ist dies die Behandlung der Wahl und wird in Deutschland bei mehr als 200.000 Patienten jährlich angewandt.<br />
<br />
== Myokardinfarkt bei Tieren ==<br />
Anders als beim Menschen wird der Herzmuskelinfarkt bei Tieren nur selten beobachtet. Zudem sind bei Haussäugetieren, im Gegensatz zur meist nichtinfektiösen Genese beim Menschen, vor allem [[Infektion|infektiös]] bedingte [[Endokarditis|Endokarditiden]] der [[Mitralklappe]] mit Abschwemmung von Thromben in die Herzkranzgefäße Auslöser eines Myokardinfarkts.<br />
<br />
Bei Tieren, die auch in menschlicher Obhut ein hohes Alter erreichen, wie etwa [[Haushund]]en, [[Papageien]] und Zootieren (z.&nbsp;B. [[Walross|Pazifisches Walross]]),<ref name="PMID12398303">A. D. Gruber, M. Peters u.&nbsp;a.: ''Atherosclerosis with multifocal myocardial infarction in a Pacific walrus (Odobenus rosmarus divergens Illiger).'' In: ''[[Journal of Zoo and Wildlife Medicine]]'' Band 33, Nummer 2, Juni 2002, S.&nbsp;139–144, PMID 12398303.</ref> sind auch vereinzelt Myokardinfarkte infolge [[Atherosklerose|atherosklerotischer]] Veränderungen wie beim Menschen beschrieben. Beim Hund wird auch eine verminderte Sauerstoffversorgung des Herzmuskels infolge einer [[Amyloidose]] kleiner Herzarterien beobachtet. Diese –&nbsp;in der Regel kleinen&nbsp;– Infarkte bleiben klinisch zumeist unbemerkt und werden als Zufallsbefunde bei pathologischen Untersuchungen relativ häufig als lokale Vernarbungen des Herzmuskels gefunden. Bei [[Hauskatze|Katzen]] scheinen Infarkte vor allem als Komplikation bereits bestehender Herzmuskelerkrankungen ([[Kardiomyopathie|Hypertrophe Kardiomyopathie]]) aufzutreten.<ref>S. Driehuys, T. J. van Winkle, C. D. Sammarco, K. J. Drobatz.: ''Myocardial infarction in dogs and cats: 37 cases (1985–1994).'' In: ''J. Am. Vet. Med. Assoc.'', 1998, 213 (10), S.&nbsp;1444–1448, PMID 9828941.</ref><br />
<br />
Die erhöhte Anfälligkeit des Herzmuskels von [[Hausschwein|Schweinen]] auf Stress ist dagegen nicht auf eine Mangeldurchblutung zurückzuführen, sondern beruht auf einer [[Maligne Hyperthermie#Epidemiologie|massiven und unkontrollierten Calciumfreisetzung innerhalb der Muskelzelle mit Muskeluntergang]] ([[Porcine stress syndrome]]).<br />
<br />
== Literatur ==<br />
* [[Deutsche Gesellschaft für Kardiologie – Herz- und Kreislaufforschung]]: AWMF-Leitlinie 2019–2024: [https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/019-013.html ''Infarkt-bedingter kardiogener Schock – Diagnose, Monitoring und Therapie''].<br />
* [[European Society of Cardiology]]: ESC Clinical Practice Guidelines 2018: [https://www.escardio.org/Guidelines/Clinical-Practice-Guidelines/Fourth-Universal-Definition-of-Myocardial-Infarction K. Thygesen, J. S. Alpert, A. S. Jaffe und andere: ''Fourth Universal Definition of Myocardial Infarction Guidelines'']. In: ''European Heart Journal.'' Band 40, S. 237–269.<br />
* Douglas P. Zipes, Peter Libby, Robert O. Bonow, Douglas L. Mann, Gordon F. Tomaselli: ''Braunwald’s Heart Disease: A Textbook of Cardiovascular Medicine.'' 11. Auflage. Elsevier Health Sciences, Philadelphia 2019, ISBN 978-0-323-55593-7, [https://books.google.de/books?id=LwBGDwAAQBAJ&printsec=frontcover&dq=braunwald's+heart+disease+a+textbook+of+cardiovascular+medicine+11th+edition&hl=de&sa=X&ved=0ahUKEwiQuf7c38npAhVF2aYKHS9gCCcQuwUIMDAA#v=onepage&q=braunwald's%20heart%20disease%20a%20textbook%20of%20cardiovascular%20medicine%2011th%20edition&f=false Vorschau Google Books].<br />
* [[Herbert Reindell]], Helmut Klepzig: ''Krankheiten des Herzens und der Gefäße.'' In: [[Ludwig Heilmeyer]] (Hrsg.): ''Lehrbuch der Inneren Medizin.'' Springer-Verlag, Berlin/Göttingen/Heidelberg 1955; 2. Auflage ebenda 1961, S. 450–598, hier: S. 555–559 (''Der Herzinfarkt'').<br />
<br />
== Weblinks ==<br />
{{Commonscat|Myocardial infarction|Myokardinfarkt}}<br />
{{Wikibooks|Erste Hilfe/ Herzinfarkt|Erste Hilfe bei Herzinfarkt}}<br />
{{Wiktionary|Herzinfarkt}}<br />
* {{Gesundheitsinformation.de|koronare-herzkrankheit.2170.de.html|Herzinfarkt}}<br />
* [http://www.herzstiftung.de/risiko Herzinfarktrisiko online testen] – Deutsche Herzstiftung<br />
<br />
== Einzelnachweise ==<br />
<references responsive /><br />
<br />
{{Gesundheitshinweis}}<br />
<br />
{{Lesenswert|26. Juni 2006|18284409}}<br />
<br />
{{Normdaten|TYP=s|GND=4024654-1|LCCN=sh85059683}}<br />
<br />
[[Kategorie:Krankheitsbild in der Kardiologie]]<br />
[[Kategorie:Krankheitsbild in der Notfallmedizin]]<br />
[[Kategorie:Wikipedia:Artikel mit Video]]</div>Scriptirhttps://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Herzinfarkt&diff=243291233Herzinfarkt2024-03-20T16:08:02Z<p>Scriptir: Aspirin</p>
<hr />
<div>{{Weiterleitungshinweis|Herzattacke|Zur Kunstzeitschrift siehe [[Herzattacke (Kunstzeitschrift)]].}}<br />
<br />
{{Überarbeiten|grund= Der Artikel ist in wichtigen Punkten veraltet und bedarf einer dringenden Aktualisierung. Siehe Diskussionsseite. -- --[[Spezial:Beiträge/2A02:3030:800:BA1F:A0AC:5D3B:7A98:32C6|2A02:3030:800:BA1F:A0AC:5D3B:7A98:32C6]] 14:08, 26. Mär. 2023 (CEST)}}<br />
<br />
{{Infobox ICD<br />
| BREITE = 250<br />
| 01-CODE = I21<br />
| 01-BEZEICHNUNG = Akuter Myokardinfarkt<br />
| 02-CODE = I22<br />
| 02-BEZEICHNUNG = Rezidivierender Myokardinfarkt<br />
}}<br />
<br />
[[Datei:AMI scheme.png|mini|hochkant|Myokardinfarkt der Vorderwandspitze (2) nach Verschluss (1) des vorderen absteigenden Astes ([[Koronargefäß#Koronararterien|LAD]]) der linken Kranzarterie (LCA), schematische Darstellung]]<br />
<br />
Der '''Herzinfarkt''' oder (genauer) '''Herzmuskelinfarkt''' bzw. '''Myokardinfarkt''', auch '''Koronarinfarkt''' genannt, ist ein akutes und lebensbedrohliches Ereignis infolge einer Erkrankung des [[Herz]]ens, bei der eine [[Koronararterie]] oder einer ihrer Äste verlegt oder stärker eingeengt wird. In der [[Humanmedizin]] gebräuchliche Abkürzungen sind HI, MI (''myocardial infarction'') oder AMI (''acute myocardial infarction'').<br />
<br />
Es handelt sich um eine anhaltende [[Durchblutungsstörung]] (''[[Ischämie]]'') von Teilen des [[Herzmuskel]]s (Myokard), die in den meisten Fällen durch [[Blutgerinnsel]] in einer [[Atherosklerose|atherosklerotisch]] veränderten Engstelle eines [[Herzkranzgefäß]]es verursacht wird. [[Leitsymptom]] des Herzinfarktes ist ein plötzlich auftretender, anhaltender und meist starker [[Schmerz]] im Brustbereich, der vorwiegend linksseitig in die [[Schulter]]n, [[Arm]]e, [[Unterkiefer]], [[Rücken]] und [[Oberbauch]] ausstrahlen kann. Er wird oft von [[Schweißausbruch|Schweißausbrüchen]]/[[Kaltschweißigkeit]], [[Übelkeit]] und eventuell [[Erbrechen]] begleitet. Bei etwa 25 % aller Herzinfarkte treten nur geringe oder keine Beschwerden auf (sogenannter stummer Infarkt). In der Akutphase eines Herzinfarktes kommen häufig gefährliche [[Herzrhythmusstörung]]en vor; auch kleinere Infarkte führen nicht selten über [[Kammerflimmern]] zum [[Plötzlicher Herztod|plötzlichen Herztod]]. Etwa 30 % aller Todesfälle beim Herzinfarkt ereignen sich vor jeder [[Laienhelfer|Laienhilfe]] oder medizinischen Therapie.<br />
<br />
Der Artikel behandelt den Myokardinfarkt im Wesentlichen beim Menschen; [[#Myokardinfarkt bei Tieren|Myokardinfarkte bei Tieren]] sind gesondert am Schluss beschrieben.<br />
<br />
== Epidemiologie ==<br />
[[Datei:So entsteht ein Herzinfarkt.webm|mini|Video: So entsteht ein Herzinfarkt]]<br />
[[Datei:Heart attack video.webm|mini|Video: Mechanismus von Herzinfarkten (englisch)]]<br />
Der Herzinfarkt ist eine der [[Todesursache|Haupttodesursachen]] in den [[Industrienation]]en. Die [[Inzidenz (Epidemiologie)|Inzidenz]] beträgt in Österreich/Deutschland etwa 300 Infarkte jährlich pro 100.000 Einwohner (in Japan < 100; Mittelmeer, Schweiz, Frankreich < 200; 300 bis 400 in Skandinavien; 400 bis 500 in England, Ungarn), in Deutschland erleiden jedes Jahr etwa 280.000 Menschen einen Herzinfarkt. Laut Todesursachenstatistik des [[Statistisches Bundesamt|Statistischen Bundesamtes]] starben in Deutschland im Jahr 2015 über 49.000 Menschen infolge eines akuten Herzinfarktes. Damit liegt der akute Herzinfarkt seit 1998 immer an zweiter Stelle der Todesursachen in Deutschland.<ref>[https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesellschaftStaat/Gesundheit/Todesursachen/Tabellen/SterbefaelleInsgesamt.html ''Sterbefälle insgesamt 2011 nach den zehn häufigsten Todesursachen der ICD-10''.] Statistisches Bundesamt. Abgerufen am 17. Januar 2013.</ref> Sowohl die absolute Anzahl der Sterbefälle infolge eines Herzinfarktes als auch die relative Häufigkeit sind in Deutschland seit Jahren stetig rückläufig (siehe Tabelle).<ref>[http://www.gbe-bund.de/gbe10/F?F=218D Sterbefälle (absolut, Sterbeziffer, Ränge, Anteile) für die 10/20/50/100 häufigsten Todesursachen (ab 1998)] Gesundheitsberichterstattung des Bundes. Abgerufen am 3. August 2020.</ref><ref name="Herzbericht 2009">[[Deutscher Herzbericht]] 2010, Ernst Bruckenberger, ISBN 978-3-00-032101-6, Oktober 2010.</ref><br />
<br />
{| class="wikitable" style="text-align:center"<br />
|-<br />
! Jahr<br />
! absolute Anzahl<br />
! männlich<br />
! weiblich<br />
|-<br />
| 2000<br />
| 67.282<br />
| 36.458<br />
| 30.824<br />
|-<br />
| 2001<br />
| 65.228<br />
| 35.473<br />
| 29.755<br />
|-<br />
| 2002<br />
| 64.218<br />
| 34.907<br />
| 29.311<br />
|-<br />
| 2003<br />
| 64.229<br />
| 34.679<br />
| 29.550<br />
|-<br />
| 2004<br />
| 61.736<br />
| 33.348<br />
| 28.388<br />
|-<br />
| 2005<br />
| 61.056<br />
| 32.973<br />
| 28.083<br />
|-<br />
| 2006<br />
| 59.938<br />
| 32.471<br />
| 27.467<br />
|-<br />
| 2007<br />
| 57.788<br />
| 31.195<br />
| 26.593<br />
|-<br />
| 2008<br />
| 56.775<br />
| 30.559<br />
| 26.216<br />
|-<br />
| 2009<br />
| 56.226<br />
| 30.934<br />
| 25.292<br />
|-<br />
| 2010<br />
| 55.541<br />
| 30.651<br />
| 24.890<br />
|-<br />
| 2011<br />
| 52.113<br />
| 28.621<br />
| 23.492<br />
|-<br />
| 2012<br />
| 52.516<br />
| 28.951<br />
| 23.565<br />
|-<br />
| 2013<br />
| 52.044<br />
| 28.991<br />
| 23.053<br />
|-<br />
| 2014<br />
| 48.181<br />
| 27.188<br />
| 20.993<br />
|-<br />
| 2015<br />
| 49.210<br />
| 27.835<br />
| 21.375<br />
|-<br />
| 2016<br />
| 48.669<br />
| 28.130<br />
| 20.539<br />
|-<br />
| 2017<br />
| 46.966<br />
| 27.130<br />
| 19.836<br />
|-<br />
| 2018<br />
| 46.207<br />
| 26.884<br />
| 19.323<br />
|}<br />
<br />
Herzinfarkte treten deutlich häufiger in sozial ärmeren Stadtteilen auf. Zudem sind die Patienten aus diesen Vierteln im Gegensatz zu Patienten aus sozial privilegierteren Bezirken jünger und haben ein höheres Risiko, innerhalb eines Jahres nach dem Herzinfarkt zu versterben.<ref name="aerzteblatt-55742">{{Internetquelle |autor=hil |url=http://www.aerzteblatt.de/nachrichten/55742/Bremen-Mehr-Herzinfarkte-in-aermeren-Stadtteilen |titel=Bremen: Mehr Herzinfarkte in ärmeren Stadtteilen |werk=[[Deutsches Ärzteblatt|aerzteblatt.de]] |datum=2013-09-04 |abruf=2014-12-26}}</ref> Auf dem Land in Deutschland sterben mehr Menschen ab 65 Jahren an den Folgen eines Herzinfarkts als in der Stadt. Anders als angenommen, ist dies höchstwahrscheinlich nicht auf eine schlechtere notfallmedizinische Versorgung zurückzuführen, sondern darauf, dass mehr Menschen einen Herzinfarkt erleiden.<ref>{{Literatur |Autor=Marcus Ebeling, Michael Mühlichen, Mats Talbäck, Roland Rau, Alexander Goedel, Sebastian Klüsener |Titel=Disease incidence and not case fatality drives the rural disadvantage in myocardial-infarction-related mortality in Germany |Sammelwerk=Preventive Medicine |Band=179 |Datum=2024-02 |DOI=10.1016/j.ypmed.2023.107833 |Seiten=107833 |Online=https://linkinghub.elsevier.com/retrieve/pii/S009174352300419X |Abruf=2024-02-13}}</ref> <br />
<br />
== Terminologie und Pathologie ==<br />
Das Verständnis vom Herzinfarkt hat sich seit den 1970er Jahren grundlegend gewandelt. Neue [[Diagnose]]- und [[Therapie]]verfahren haben wichtige Erkenntnisse zur [[Pathophysiologie]] besonders der ersten Stunden nach Beginn der [[Symptom]]e beigetragen und die Definition und [[Terminologie]] des Herzinfarktes verändert.<br />
<br />
=== Terminologie ===<br />
Eine in jeder Situation gültige Definition des Herzinfarktes existiert nicht. Allgemein ist akzeptiert, dass der Begriff ''Herzinfarkt'' den [[Nekrose|Zelltod]] von Herzmuskelzellen auf Grund einer länger andauernden Durchblutungsstörung ([[Ischämie]]) beschreibt.<ref name="ESC2003">F. van de Werf, D. Ardissino u.&nbsp;a.: ''Management of acute myocardial infarction in patients presenting with ST-segment elevation. The Task Force on the Management of Acute Myocardial Infarction of the European Society of Cardiology.'' In: ''European heart journal.'' Band 24, Nummer 1, Januar 2003, S.&nbsp;28–66, PMID 12559937.</ref> Schwieriger ist die Frage, welche Kriterien für einen solchen Zelltod zugrunde gelegt werden. Die eingesetzten Messinstrumente unterscheiden sich teilweise erheblich:<br />
* [[Rettungsdienst]]e diagnostizieren den Herzinfarkt anhand von Symptomen und [[Elektrokardiogramm|EKG]]-Veränderungen,<br />
* [[Intensivmedizin]]er zusätzlich mit Hilfe von [[Laboratoriumsmedizin|Laboruntersuchungen]],<br />
* [[Pathologie|Pathologen]] ausschließlich auf der Grundlage von [[Makroskopische Anatomie|makroskopischen]] oder noch seltener auch [[Mikroskopie|mikroskopischen]] Gewebeveränderungen und<br />
* [[Epidemiologie|Epidemiologen]] schließlich meist unter Verwendung von mehr oder weniger exakten Todesursachenstatistiken (vgl. [[Leichenschau]]) oder Entlassungsdiagnosen der Krankenhäuser.<br />
<br />
[[Datei:ACS abbreviations.png|mini|350px|Terminologie des akuten Koronarsyndroms, Erläuterungen im Text]]<br />
Bei länger als 20 Minuten anhaltenden infarkttypischen Brustschmerzen wird zunächst von einem [[Akutes Koronarsyndrom|akuten Koronarsyndrom]] gesprochen, was die Möglichkeit eines Herzinfarktes einschließt. Wenn sich dann in einem möglichst rasch anzufertigenden [[Elektrokardiogramm]] (EKG) Hebungen der ST-Strecke (vgl. [[Elektrokardiogramm#Nomenklatur und Normwerte|EKG-Nomenklatur]]) zeigen, so wird der Begriff ''ST-Hebungsinfarkt'' (Abk. ''STEMI'' für ''ST-elevation myocardial infarction'') verwendet. Bei Patienten ohne eine solche ST-Hebung kann erst nach drei bis vier Stunden mit Hilfe von Laboruntersuchungen zwischen Nicht-ST-Hebungsinfarkt (Abk. ''NSTEMI'' für ''Non-ST-elevation myocardial infarction'') und instabiler [[Angina pectoris]] unterschieden werden. Während in den für Deutschland geltenden Leitlinien<ref>C. W. Hamm: ''Leitlinien: Akutes Koronarsyndrom (ACS) – Teil 1: ACS ohne persistierende ST-Hebung.'' In: ''Z Kardiol'', 2004, 93, S.&nbsp;72–90, [http://leitlinien.dgk.org/images/pdf/leitlinien_volltext/2004-02_acs_teil_1.pdf leitlinien.dgk.org] (PDF)</ref> STEMI und NSTEMI als endgültige Diagnosen angesehen werden, unterscheiden die US-amerikanischen Leitlinien<ref name="Antman">{{Cite journal|author = Elliott M. Antman u.&nbsp;a. | title = ACC/AHA guidelines for the management of patients with ST-elevation myocardial infarction; A report of the American College of Cardiology/American Heart Association Task Force on Practice Guidelines (Committee to Revise the 1999 Guidelines for the Management of patients with acute myocardial infarction) | journal = [[Journal of the American College of Cardiology]] | date = 2004-08-04 | pages = E1–E211 | volume = 44 | doi = 10.1016/j.jacc.2004.07.014 | pmid = 15358047}}</ref> zwischen ''Q-wave myocardial infarction'' (Qw MI) und ''Non-Q-wave myocardial infarction'' (NQMI) als abschließender Diagnose. Diese Unterscheidung zwischen transmuralen (die gesamte Dicke der Wandschicht des Herzens betreffend) und nicht-transmuralen Myokardinfarkten ist auch in den deutschsprachigen Ländern gebräuchlich und wird anhand von Veränderungen des QRS-Komplexes im EKG getroffen, die in der Regel erst nach zwölf Stunden, oft auch erst nach einem Tag, erkennbar sind.<br />
<br />
=== Pathophysiologie ===<br />
Die Mehrzahl der Herzinfarkte entsteht im Rahmen einer [[Koronare Herzkrankheit|koronaren Herzkrankheit]] (KHK). Wie alle akuten Koronarsyndrome beim Menschen werden sie fast immer durch eine plötzliche Minderdurchblutung in einem Herzkranzgefäß hervorgerufen, die auf eine [[Arteriosklerose|arteriosklerotische]] Gefäßveränderung mit zusätzlichen Blutgerinnseln („Koronarthrombose“) zurückzuführen ist und von einer krampfartigen Gefäßverengung (Koronarspasmus) begleitet sein kann.<ref name="ESC2003" /> Das sich daraus entwickelnde Krankheitsbild hängt von der Lokalisation, der Schwere und der Dauer der Durchblutungsstörung des Herzmuskels ab. Bei ST-Hebungsinfarkten zeigt sich im akuten Stadium bei über 90 % ein durch Blutgerinnsel (''[[Thrombus|Thromben]]'') verschlossenes [[Herzkranzgefäß]]. Bei NSTEMI sind nur in etwa 50 % der Fälle Thromben in den Kranzgefäßen nachweisbar.<br />
<br />
65–75 % der ST-Hebungsinfarkte entstehen durch die Ruptur eines [[Vulnerable Plaque|„vulnerablen“ Plaques]], also den Einriss der dünnen [[Bindegewebe|fibrösen]] Kappe einer entzündlich veränderten [[Lipide|lipid]]<nowiki />reichen Gefäßwandveränderung. Etwa 75 % der Infarkte entstehen an nur leicht oder mittelgradig veränderten Abschnitten der Herzkranzgefäße.<br />
<br />
Deutlich seltener ist ein Herzinfarkt die Folge einer anderen Erkrankung. In Frage kommen Verschlüsse der Herzkranzgefäße durch andere Ursachen, wie langanhaltende „Verkrampfungen“ (''[[Spasmus|Spasmen]]'') bei [[Prinzmetal-Angina]] oder im Rahmen einer allergischen Reaktion ([[Kounis-Syndrom]]) und [[Embolie]]n bei einer [[Endokarditis]] oder einer [[Disseminierte intravasale Koagulopathie|disseminierten intravasalen Koagulopathie (DIC)]]. Auch Blutungen oder Tumoren am Herzen sowie Einrisse der Gefäßinnenwand (''Intima'') bei einer [[Aortendissektion]] können zum Verschluss eines Kranzgefäßes und damit zum Herzinfarkt führen.<br />
<br />
Wenn seine Blutzufuhr komplett unterbrochen ist, beginnt der Herzmuskel nach 15–30&nbsp;Minuten abzusterben. Dieser Vorgang der Infarzierung beginnt innen, in der den Herzkammern zugewandten Schicht, und setzt sich zeitabhängig nach außen, zum Herzbeutel hin, fort.<br />
<br />
=== Infarktlokalisation ===<br />
[[Datei:Coronary arteries.svg|mini|350px|Die Herzkranzgefäße sind mit roter Schrift gekennzeichnet.]]<br />
Herzinfarkte ereignen sich in unterschiedlichen Bereichen des Herzmuskels, abhängig davon, welches Gefäß betroffen ist und welcher Abschnitt des Herzmuskels von dem jeweiligen Gefäß mit Blut versorgt wird. Da es eine große Variabilität der Herzarterien gibt, kann man keine strengen Regeln für die Infarktlokalisation aufstellen.<ref>Gerd Herold und Mitarbeiter: ''Innere Medizin. Eine vorlesungsorientierte Darstellung.'' 2011, S.&nbsp;247.</ref> Häufig führen Verschlüsse der rechten Koronararterie (RCA – Right Coronary Artery) zu sogenannten Hinterwandinfarkten und krankhafte Veränderungen der linken Herzarterie (LCA – Left Coronary Artery) zu Vorderwandinfarkten. Der übliche Ausdruck Hinterwandinfarkt ist dabei insofern irreführend, als es sich zumeist um einen inferioren Infarkt handelt, also in einem dem Zwerchfell (Diaphragma) zugewandten unteren Areal (zum streng posterioren Infarkt siehe unten). Je näher der Verschluss zum Abgang der jeweiligen Arterie von der Aorta liegt (man sagt proximal), desto größer ist das Infarktareal; je weiter entfernt (man sagt distal), desto kleiner ist das minderversorgte Muskelgebiet.<br />
<br />
Im Einzelnen unterscheidet man so proximale Verschlüsse der RCA, die zu einem rechtsventrikulären Infarkt oder einem inferioren (zur Herzspitze gelegenen) Hinterwandinfarkt führen, und Prozesse in einem Ast der RCA, dem Ramus posterolateralis dexter, die zu einem Hinterseitenwandinfarkt führen. Die Einteilung ist komplizierter, wenn die linke Herzarterie (LCA) betroffen ist, da diese mehr Äste besitzt. Der sogenannte Hauptstamm der LCA ist sehr kurz und teilt sich gleich in den Ramus circumflexus (RCX) und den Ramus interventricularis anterior (RIVA). Der RIVA wird im englischsprachigen Raum als LAD (Left Anterior Descending) bezeichnet; doch auch im deutschsprachigen Raum (zum Beispiel in der Herzchirurgie) wird anstelle von RIVA oft der Begriff ''LAD'' verwendet. Verschlüsse der RCX führen oft zu einem posterioren (zum Rücken) gelegenen Hinterwandinfarkt. Der posteriore Hinterwandinfarkt heißt in der Nomenklatur der Pathologen Seitenwand- oder Kanteninfarkt.<ref>Werner Böcker (Hrsg.): ''Pathologie.'' 4. Auflage. Urban und Fischer, 2008, S.&nbsp;479.</ref> Proximale Verschlüsse der RIVA führen zu einem großen Vorderwandinfarkt, distale RIVA-Verschlüsse führen zu einem anteroseptalen Infarkt; dabei ist die Herzscheidewand betroffen. Ein Verschluss des Diagonalastes der RIVA führt zu einem Lateralinfarkt. Die verschiedenen Infarkttypen verursachen charakteristische EKG-Veränderungen. Sieht man zum Beispiel direkte Infarktzeichen (ST-Hebungen) in allen Brustwandableitungen (V1-V6), handelt es sich (bezogen auf das Gefäßversorgungsgebiet) um einen großen Vorderwandinfarkt. Dann findet sich meistens ein proximaler Verschluss der RIVA. Die entsprechende Zuordnung aufgrund des EKGs ist aber vorläufig und kann nur durch eine Coronarangiographie bewiesen werden. Da die Muskelmasse und damit auch das Versorgungsgebiet des rechten Ventrikels kleiner als des linken ist und zu dessen Durchblutung folglich auch eine längere Gefäßstrecke notwendig ist, die erkranken kann, ist bei den Herzinfarkten auch statistisch überwiegend die linke Koronararterie betroffen.<br />
<br />
=== Risikofaktoren ===<br />
[[Datei:Ursachen Herzinfarkt etc.png|mini|200px|Ursachen des Herzinfarktes]]<br />
<br />
Da Herzinfarkte die Folge einer [[Atherosklerose]] der Herzkranzgefäße ([[Koronare Herzkrankheit]]) sind, sind die Hauptrisikofaktoren solche, die zur Atherosklerose führen:<br />
* [[Tabakrauchen|Tabakkonsum]],<br />
* [[Diabetes mellitus]] (Zuckerkrankheit),<br />
* [[Bluthochdruck]]<br />
* [[Hypercholesterinämie]]<br />
* familiäre Belastung (früh auftretende Herzkreislauferkrankungen wie Infarkt oder [[Schlaganfall]] bei nahen [[Blutsverwandtschaft|Blutsverwandten]])<br />
* ererbte oder erworbene [[Hyperlipoproteinämie|Störung des Fettstoffwechsels]]. Hierbei sind vor allem ein erhöhtes [[Low Density Lipoprotein|LDL]], erhöhtes [[Intermediate Density Lipoprotein|IDL]], niedriges [[High Density Lipoprotein|HDL]] und erhöhte [[Triglyceride]] problematisch.<br />
<br />
Einige der o. g. Risikofaktoren verstärken sich bei [[Übergewicht]], [[Fehlernährung]] und [[Bewegungsmangel]]. Für die Berechnung des individuellen Risikos gibt es Software wie den [[Arriba-Rechner]]. Trotz tendenzieller Gewichtszunahme bei Rauchstopp verringert dieser das Risiko, an einer Herz-Kreislauf-Erkrankung zu erkranken.<ref name="PMID23483176">C. Clair, N. A. Rigotti u.&nbsp;a.: ''Association of smoking cessation and weight change with cardiovascular disease among adults with and without diabetes.'' In: ''JAMA.'' Band 309, Nummer 10, März 2013, S.&nbsp;1014–1021, [[doi:10.1001/jama.2013.1644]]. PMID 23483176. {{PMC|3791107}}.</ref><br />
<br />
==== Stress und Wut ====<br />
<br />
Auslösende Faktoren für einen Infarkt können plötzliche Belastungen und Stresssituationen mit starken Blutdruckschwankungen sein; 40 % aller Infarkte ereignen sich in den frühen Morgenstunden (zwischen 6 und 10 Uhr). Infarkte treten montags häufiger als an anderen Wochentagen auf, auch bei Rentnern nach dem 60. Lebensjahr.<br />
<br />
In Japan bezeichnet [[Karōshi]] den „Tod durch Überarbeiten“, der meist als Herzinfarkt oder Schlaganfall auftritt.<br />
<br />
Der Anteil psychosozialer Faktoren wie Depression, Angst, Persönlichkeit, Charakter, sozialer Isolation und chronischem Stress bei der Entstehung einer KHK wird seit Jahrzehnten ohne klares Ergebnis untersucht.<ref>Zu den Studien, in denen emotionale [[Prognose|Prädiktoren]] nachgewiesen werden konnten, zählt z.&nbsp;B. die folgende: Stephen Manuck, Frederick N. Garland: ''Coronary-Prone Behavior Pattern, Task Incentive, and Cardiovascular Response'', Psychophysiology, Band 16, Heft 2, März 1979, S.&nbsp;136–142, [[doi:10.1111/j.1469-8986.1979.tb01458.x]].</ref> Gesundheitsschädliches Verhalten, Stress, Rauchen, zu reichliche Ernährung etc. haben unzweifelhaft Einfluss. Diskutiert wird weiter, inwieweit beispielsweise eine Aktivierung von Blutplättchen oder des neuroendokrinen Systems mit Ausschüttung von Stresshormonen mit den Folgen einer Verengung der Blutgefäße, Verschlechterung der Fließeigenschaften des Blutes sowie Anstieg von Herzfrequenz und Blutdruck zusätzliche auslösende Qualitäten aufweist.<ref>{{cite journal|author=A. Rozanski, J. A. Blumenthal, J. Kaplan|title=Impact of Psychological Factors on the Pathogenesis of Cardiovascular Disease and Implications for Therapy|journal=[[circulation]]|volume=|issue=|pages=2192–2217|year=1999|pmid=10217662|doi=}}</ref> Eine Studie aus dem Jahr 2006 zur Zeit der [[Fußball-Weltmeisterschaft 2006|Fußball-Weltmeisterschaft]] hat gezeigt, dass die mit [[Fußball]] verbundenen Emotionen das Risiko für einen Infarkt erheblich steigern und dass dies besonders für Menschen zutrifft, die eine bekannte koronare Herzkrankheit haben.<ref>{{cite journal|author=U. Wilbert-Lampen, D. Leistner, S. Greven, T. Pohl, S. Sper, C. Völker, D. Güthlin, A. Plasse, A. Knez, H. Küchenhoff, G. Steinbeck |title=Cardiovascular Events during World Cup Soccer |journal=[[The New England Journal of Medicine]] |volume=358 |issue=5 |pages=475–483 |year=2008 |pmid= |doi= 10.1056/NEJMoa0707427 }}</ref> Diese Erkenntnis wird jedoch in der wissenschaftlichen Literatur kontrovers diskutiert: So konnte eine zweite Studie im gleichen Zeitintervall in der gleichen Region (Bayern) keinen Einfluss der Fußballweltmeisterschaft 2006 auf das Risiko eines Myokardinfarkts nachweisen.<ref name="PMID24182671">D. Niederseer, C. W. Thaler u.&nbsp;a.: ''Watching soccer is not associated with an increase in cardiac events.'' In: ''International journal of cardiology.'' Band 170, Nummer 2, Dezember 2013, S.&nbsp;189–194, [[doi:10.1016/j.ijcard.2013.10.066]]. PMID 24182671.</ref><br />
<br />
Auch andere emotionale Faktoren leisten der Krankheit Vorschub. So konnte nachgewiesen werden, dass gewohnheitsmäßige, schlecht gehandhabte [[Wut]] ein machtvoller Prädiktor für Herzinfarkte ist. Infarktpatienten, die sich einem [[Anti-Aggressivitäts-Training]] unterzogen, erlitten unter Studienbedingungen weniger häufig einen zweiten Infarkt als Personen der Vergleichsgruppe.<ref name="PMID1632389">G. Ironson, C. B. Taylor u.&nbsp;a.: ''Effects of anger on left ventricular ejection fraction in coronary artery disease.'' In: ''The American journal of cardiology.'' Band 70, Nummer 3, August 1992, S.&nbsp;281–285, PMID 1632389.</ref><ref>Redford Williams: ''The Trusting Heart'', New York: Times Books/Random House, 1989.</ref><ref>Lyndra H. Powell: ''Emotional Arousal as a Predictor of Long-Term Mortality and Morbidity in Post M. I. Men'', Circulation, Band 82, Heft 4, Supplement III, Oktober 1990</ref><ref name="PMID7671353">M. A. Mittleman, M. Maclure u.&nbsp;a.: ''Triggering of acute myocardial infarction onset by episodes of anger. Determinants of Myocardial Infarction Onset Study Investigators.'' In: ''Circulation.'' Band 92, Nummer 7, Oktober 1995, S.&nbsp;1720–1725, PMID 7671353.</ref><br />
<br />
==== Alkohol ====<br />
<br />
Bei übermäßigem [[Alkoholkonsum]] ist das Risiko für einen Herzinfarkt und verschiedene andere schwere Erkrankungen erhöht. Hinsichtlich der Sterblichkeit gibt es Hinweise auf eine [[Korrelation]] zwischen einem regelmäßigen Konsum von ''geringen'' und mehr noch „mäßigen“ Mengen [[Ethanol|Alkohol]] und einem niedrigeren Risiko, an Herzkreislauferkrankungen zu sterben.<ref>{{cite journal|author=K. J. Mukamal, C. M. Chen, S. R. Rao und R. A. Breslow|title=Alcohol consumption and cardiovascular mortality among US adults, 1987 to 2002|journal=Am Coll Cardiol|issue=55|pages=1328–1335|year=2010|doi=10.1016/j.jacc.2009.10.056}}</ref> Insgesamt betrachtet stellen dennoch selbst geringe Mengen Alkohol eine Schädigung für den Körper dar.<ref>{{Literatur |Autor=Iona Y. Millwood, Robin G. Walters, Xue W. Mei, Yu Guo, Ling Yang |Titel=Conventional and genetic evidence on alcohol and vascular disease aetiology: a prospective study of 500 000 men and women in China |Sammelwerk=The Lancet |Band=393 |Nummer=10183 |Datum=2019-05-04 |ISSN=0140-6736 |Sprache=en |DOI=10.1016/S0140-6736(18)31772-0 |PMID=30955975}}</ref><br />
<br />
==== Infektion ====<br />
Eine akute Infektionskrankheit erhöht das Risiko eines Herzinfarktes. Bereits in den 1920er Jahren wurde erkannt, dass während einer Influenza-Epidemie die Herzinfarktrate anstieg.<ref>{{Literatur |Autor=S D Collins |Titel=Excess mortality from causes other than influenza and pneumonia during influenza epidemics. |Sammelwerk=Public Health Rep (1896–1970) |Band=47 |Datum=1932 |Seiten=2159-2179 |Sprache=en}}</ref> Die gleiche Beobachtung wurde bei Lungenentzündung, akuter Bronchitis und anderen Atemwegsinfektionen gemacht. Eine neuere Studie ergab nach einer Influenza-Infektion ein sechsfach erhöhtes Infarktrisiko, nach [[Respiratory-Syncytial-Virus|RSV-Infektion]] ein vierfach und nach anderen virusbedingten Atemwegserkrankungen ein dreifach erhöhtes Infarktrisiko.<ref>{{Literatur |Autor=Jeffrey C. Kwong, Kevin L. Schwartz, Michael A. Campitelli, Hannah Chung, Natasha S. Crowcroft |Titel=Acute Myocardial Infarction after Laboratory-Confirmed Influenza Infection |Sammelwerk=The New England Journal of Medicine |Band=378 |Nummer=4 |Datum=2018-01-25 |ISSN=1533-4406 |Seiten=345–353 |Sprache=en |DOI=10.1056/NEJMoa1702090 |PMID=29365305}}</ref> Auch für bakterielle Infektionen mit Pneumokokken und Haemophilus influenzae wurde eine Steigerung der Infarktrate nachgewiesen.<ref>{{Literatur |Autor=Julio Ramirez, Stefano Aliberti, Mehdi Mirsaeidi, Paula Peyrani, Giovanni Filardo |Titel=Acute myocardial infarction in hospitalized patients with community-acquired pneumonia |Sammelwerk=Clinical Infectious Diseases: An Official Publication of the Infectious Diseases Society of America |Band=47 |Nummer=2 |Datum=2008-07-15 |ISSN=1537-6591 |Seiten=182–187 |Sprache=en |DOI=10.1086/589246 |PMID=18533841}}</ref> Harnwegsinfektionen und Bakteriaemien erhöhen ebenfalls das Infarktrisiko.<ref>{{Literatur |Autor=Liam Smeeth, Sara L Thomas, Andrew J Hall, Richard Hubbard, Paddy Farrington |Titel=Risk of myocardial infarction and stroke after acute infection or vaccination |Sammelwerk=The New England Journal of Medicine |Band=351 |Nummer=25 |Datum=2004-12-16 |ISSN=1533-4406 |Seiten=2611–2618 |Sprache=en |DOI=10.1056/NEJMoa041747 |PMID=15602021}}</ref> Als Erklärung wird angenommen, dass [[Atherosklerose|atheroskleroischer Plaques]] zahlreiche [[Entzündung]]szellen enthalten. Bei einer Infektion werden verschiedene [[Zytokine]] wie zum Beispiel [[IL1]], [[Interleukin-6|IL6]], [[IL8]] und [[TNF-alpha]] ausgeschüttet. Diese stimulieren die Entzündungszellen im atheroskleroischen Plaque und begünstigen eine Destabilisierung mit folgender Thrombose und Verschluss.<ref>{{Literatur |Autor=Daniel M Musher, Michael S Abers, Vicente F Corrales-Medina |Titel=Acute Infection and Myocardial Infarction |Sammelwerk=New England Journal of Medicine |Band=380 |Nummer=2 |Datum=2019-01-10 |ISSN=0028-4793 |Seiten=171–176 |Sprache=en |DOI=10.1056/NEJMra1808137}}</ref><br />
<br />
==== Weitere Risikofaktoren ====<br />
<br />
Ein erhöhter Blutspiegel von [[Homocystein]] (''Hyperhomocysteinämie'') ist ebenfalls ein unabhängiger Risikofaktor, die verfügbaren Therapieansätze zur Senkung des Homocysteinspiegels führen allerdings nicht zu einer Senkung des kardiovaskulären Risikos.<br />
<br />
Auch ein niedriger Blutspiegel des [[Cholecalciferol|Vitamin D3]] (25-Hydroxy-Cholecalciferol) korreliert möglicherweise mit einem erhöhten Infarktrisiko. In einer prospektiven Fall-Kontroll-Studie konnte gezeigt werden, dass Männer mit niedrigeren Vitamin-D3-Spiegeln ein doppelt so hohes Infarktrisiko hatten wie jene mit höheren. Männer mit mittleren Spiegeln an Vitamin D3 (15,0–22,5&nbsp;ng/ml) waren im Vergleich zu jenen mit höheren offenbar noch vermehrt infarktgefährdet.<ref>Leicht abgewandelt zitiert nach E. Giovannuchi et al.: ''25-hydroxyvitamin D and risk of myocardial infarction in men: a prospective study''. [[Arch Intern Med]] (2008) 168, 11: S.&nbsp;1174–1180, PMID 18541825.</ref> Ob dies in einer mangelhaften Zufuhr des Vitamin D oder einem verminderten Umbau des [[7-Dehydrocholesterol]] bzw. 25-Hydroxy-Cholecalciferol in der Leber und Haut begründet ist, der auf einer auch für den Herzinfarkt ursächlichen Disposition beruhen könnte, wurde nicht untersucht.<br />
<br />
Schlechte [[Compliance (Medizin)|Compliance]] ist ein Risikofaktor für ein Fortschreiten der Erkrankung. Eine Analyse der Einnahme fettsenkender Medikamente ([[Statin]]e), [[Betablocker]] und [[Calciumantagonist]]en nach Herzinfarkt zeigte, dass eine schlechte Compliance eine Erhöhung der [[Mortalität]] innerhalb von 2,4 Jahren für Statine um 25 % und für Betablocker um 13 % hatte. Bei den Kalziumantagonisten ergab sich keine Beziehung zwischen Mortalität und Zusammenarbeit.<ref>Zitiert nach ''Schlechte Compliance ist tödlich.'' MMW-Fortschr. Med. Nr. 5/2007 (149. Jg.), S.&nbsp;22 und zitiert nach J. N. Rasmussen et al.: JAMA, 297 (2007) S.&nbsp;177–186.</ref><br />
<br />
Träger der [[Blutgruppe]] AB sind am stärksten herzinfarktgefährdet, diejenigen der Gruppe 0 dagegen am wenigsten.<ref name="welt-108632484">{{Internetquelle |url=https://www.welt.de/gesundheit/article108632484/Blutgruppe-hat-Einfluss-auf-Herzinfarkt-Risiko.html |titel=Blutgruppe hat Einfluss auf Herzinfarkt-Risiko |werk=[[Die Welt#Online-Ausgabe|welt.de]] |datum=2012-08-15 |abruf=2014-12-26}}</ref><ref>{{Cite journal|author = Meian He u.&nbsp;a. | title = ABO Blood Group and Risk of Coronary Heart Disease in Two Prospective Cohort Studies | url = http://atvb.ahajournals.org/content/early/2012/08/14/ATVBAHA.112.248757 | journal = [[Arteriosclerosis, Thrombosis, and Vascular Biology]] | date = 2012-08-14 | accessdate = 2013-06-08 | doi = 10.1161/ATVBAHA.112.248757 | pmid = 22895671}}</ref><br />
<br />
Ein weiterer Risikofaktor ist das Vorhandensein einer [[Migräne]] mit [[Aura (Migräne)|Aura]]. Dieser Risikofaktor ist laut einer Studie nach der [[Arterielle Hypertonie|arteriellen Hypertonie]] der zweitwichtigste Risikofaktor für Herzinfarkt und [[Schlaganfall]].<ref name="aerzteblatt-53048">{{Internetquelle |autor=rme |url=http://www.aerzteblatt.de/nachrichten/53048/Migraene-mit-Aura-als-Herzinfarkt-und-Thromboserisiko |titel=Migräne mit Aura als Herzinfarkt- und Thromboserisiko |werk=[[Deutsches Ärzteblatt|aerzteblatt.de]] |datum=2013-01-16 |abruf=2014-12-26}}</ref><br />
<br />
Auch eine Allergieneigung kann das Risiko für ein kardiales Ereignis erhöhen ([[Kounis-Syndrom]]).<br />
<br />
Epidemiologische Studien zur Wirtschaftskrise in Griechenland und zum Tropensturm Katrina in New Orleans zeigen auch, dass es nach Krisen vermehrt zu Herzinfarkten kommt. Dies könnte entweder an fehlenden Medikamenten oder posttraumatischem Stress liegen, dem die Menschen ausgesetzt sind.<ref>[https://www.eurekalert.org/news-releases/697053 Heart attack rates rise with plunging GDP in Greece’s financial crisis]</ref><ref>[https://www.eurekalert.org/news-releases/710150 Higher heart attack rates continue 6 years after Katrina]</ref><ref>[https://www.eurekalert.org/news-releases/814628 Changes in heart attack timing continue years after hurricane]</ref><ref>[https://www.eurekalert.org/news-releases/745720 PTSD linked to insulin resistance and metabolic syndrome, early markers of heart disease]</ref><br />
<br />
Auch der Wohnort könnte eine gewisse Rolle spielen. So zeigt eine neue europäische [[Kohortenstudie]], dass eine Feinstaubbelastung bereits unterhalb der EU-Grenzwerte zu einem höheren Risiko für ein koronares Ereignis führt.<ref name="DOI10.1136/bmj.f7412">G. Cesaroni, F. Forastiere u.&nbsp;a.: ''Long term exposure to ambient air pollution and incidence of acute coronary events: prospective cohort study and meta-analysis in 11 European cohorts from the ESCAPE Project.'' In: ''BMJ.'' Band 348, 2014, S.&nbsp;f7412, PMID 24452269. {{PMC|3898420}}.</ref><br />
<br />
An sehr kalten Tagen steigt die Zahl der Herzinfarkte.<ref>{{Literatur |Autor=Marc J. Claeys, Sanjay Rajagopalan, Tim S. Nawrot, Robert D. Brook |Titel=Climate and environmental triggers of acute myocardial infarction |Sammelwerk=European Heart Journal |Datum=2016-04-22 |ISSN=0195-668X |Seiten=ehw151 |Sprache=en |DOI=10.1093/eurheartj/ehw151}}</ref> Starke Kälte belastet die Herzkranzgefäße, indem sich die Gefäße verengen und die Blutversorgung des Herzmuskels vermindern, der dadurch weniger Sauerstoff bekommt. Gleichzeitig werden auch die Widerstandsgefäße im übrigen Körper verengt – das hat einen Blutdruckanstieg zur Folge-, so dass das Herz gegen einen größeren Widerstand anpumpen muss. Darüber hinaus existieren erste Hinweise auf ähnliche Zusammenhänge zwischen der kälteren Jahreszeit und dem häufigeren Auftreten von Schlaganfällen, Lungenembolien und bestimmten Herzrhythmusstörungen.<ref>{{Internetquelle |url=https://www.herzstiftung.de/ihre-herzgesundheit/gesund-bleiben/klima-und-umwelt/herzprobleme-bei-kaelte |titel=Herzprobleme bei Kälte |abruf=2021-02-09}}</ref> Andererseits gibt es aber auch kanadische Studien, die einen Zusammenhang zwischen zu warmen Nächten und dem Herzinfarkt belegen, besonders bei Männern. Zwei Drittel der Opfer in den besonders heißen Sommerphasen im Juni und Juli waren Männer. Mit jedem Grad wärmer in der Nacht stieg das Risiko eines tödlichen Herzinfarkts für die Männer um vier Prozent.<ref>Tödliche warme Nächte, In: [[Frankfurter Allgemeine Zeitung]] vom 6. April 2022</ref><br />
<br />
==== Prävention ====<br />
Die Empfehlungen der ''American Heart Association (AHA)'' von 2021 beinhalten folgende evidenzbasierte Richtlinien zur Ernährung:<ref>{{Literatur |Autor=Alice H. Lichtenstein, Lawrence J. Appel, Maya Vadiveloo, Frank B. Hu, Penny M. Kris-Etherton |Titel=2021 Dietary Guidance to Improve Cardiovascular Health: A Scientific Statement From the American Heart Association |Sammelwerk=Circulation |Datum=2021-11-02 |ISSN=0009-7322 |Seiten=CIR.0000000000001031 |Sprache=en |DOI=10.1161/CIR.0000000000001031}}</ref><ref>{{Internetquelle |url=https://www.foodpolitics.com/2021/11/american-heart-association-issues-forward-thinking-dietary-guidelines/ |autor=Marion Nestle |titel=The American Heart Association’s new and groundbreaking dietary guidelines |hrsg=Food Politics |datum=2021-11-16 |abruf=2022-06-29 |sprache=en-US}}</ref><br />
* Energiezufuhr auf Verbrauch einstellen, um ein gesundes Körpergewicht zu erreichen und zu halten<br />
* Viel Obst und Gemüse essen und eine bunte Vielzahl wählen<br />
* Vollkornprodukte statt Weißmehlprodukten konsumieren<br />
* Gesunde Formen von Eiweiß konsumieren:<br />
# vorwiegend pflanzliches Eiweiß wählen (Hülsenfrüchte, Nüsse)<br />
# Fisch und Meeresfrüchte<br />
# fettarme Milchprodukte<br />
# wenn Fleisch oder Geflügel gewünscht sind, fettarmes und unbearbeitetes Fleisch wählen<br />
* flüssige Pflanzenöle bevorzugen gegenüber tropischen Ölen (Kokos, Palm, Palmkern), tierischen Fetten oder gehärteten Fetten<br />
* Minimal verarbeitete Lebensmittel statt [[NOVA (Lebensmittelklassifikation)#Hochverarbeitete Lebensmittel|hochverarbeitete Lebensmittel]] wählen<br />
* Mahlzeiten mit keinem oder wenig Salz zubereiten<br />
* Wer keinen Alkohol trinkt, sollte nicht damit anfangen, wer doch Alkohol trinkt, sollte den Konsum reduzieren<br />
* Sich immer an diese Richtlinien halten, unabhängig davon, wo Lebensmittel zubereitet oder konsumiert werden<br />
<br />
== Krankheitsbild ==<br />
=== Symptome ===<br />
[[Datei:AMI pain front.png|mini|Schmerzempfindung<br />rot: häufig und stark<br />rosa: selten oder ausstrahlend]]<br />
[[Datei:AMI pain back.png|mini|Legende s. o.]]<br />
<br />
Die meisten Patienten klagen über Brustschmerzen unterschiedlicher Stärke und Qualität. Typisch ist ein starkes Druckgefühl hinter dem Brustbein (''[[retrosternal]]'') oder Engegefühl im ganzen Brustkorb (als ob „jemand auf einem sitzen würde“). Auch stechende oder reißende Schmerzen werden beschrieben. Die Schmerzen können in die Arme (häufiger links), den Hals, die Schulter, den Oberbauch und den Rücken ausstrahlen. Oft wird von einem „[[Vernichtungsschmerz]]“ gesprochen, der mit [[Atemnot]], Übelkeit und Angstgefühl („Todesangst“) einhergeht.<br />
<br />
Im Gegensatz zum [[Angina pectoris|Angina-pectoris]]-Anfall bessern sich diese Beschwerden oft nicht durch Anwendung von [[Nitroglycerin]].<br />
<br />
Frauen sowie ältere Patienten zeigen im Vergleich zu Männern bzw. jüngeren Patienten häufiger atypische, diffusere Symptome;<ref name="ACSwomen">{{cite journal|author=J. G. Canto, R. J. Goldberg, M. M. Hand et al.|title=Symptom presentation of women with acute coronary syndromes: myth vs reality |journal=Arch. Intern. Med. |volume=167 |issue=22 |pages=2405–2413 |year=2007 |month=December |pmid=18071161 |doi=10.1001/archinte.167.22.2405}}</ref> häufig sind es Atemnot, Schwäche, Magenverstimmungen und körperliche Erschöpfungszustände.<ref name="Kosuge">{{cite journal|last=Kosuge | first=M. | coauthors= K. Kimura, T. Ishikawa et al.| title=Differences between men and women in terms of clinical features of ST-segment elevation acute myocardial infarction | journal=Circulation Journal | volume=70 | issue=3 | pages=222–226 | date=2006-03 | pmid=16501283 | doi=10.1253/circj.70.222 }}</ref> Erschöpfung, Schlafstörungen und Atemnot wurden als häufig auftretende Symptome genannt, welche bereits bis zu einem Monat vor dem eigentlichen Infarktereignis auftreten können. Schmerzen im Brustkorb können bei Frauen eine geringere Voraussagekraft haben als bei Männern.<ref name="McSweeney">{{cite journal|author=J. C. McSweeney, M. Cody, P. O’Sullivan, K. Elberson, D. K. Moser, B. J. Garvin| title=Women’s early warning symptoms of acute myocardial infarction | journal=Circulation | year=2003 | pages=2619–2623 | volume=108 | issue=21 | pmid=14597589 | doi = 10.1161/01.CIR.0000097116.29625.7C}}</ref><br />
<br />
Manche Herzinfarkte verursachen keine, nur geringe oder untypische Symptome und werden manchmal erst zu einem späteren Zeitpunkt diagnostiziert, z.&nbsp;B. anlässlich einer [[Elektrokardiogramm|EKG]]-Untersuchung. So wurde ein Teil der in den 30 Jahren der [[Framingham-Herz-Studie|Framingham-Studie]] diagnostizierten Infarkte nur auf Grund der routinemäßig angefertigten EKG festgestellt; fast die Hälfte von ihnen war ohne Symptome verlaufen („stille“ oder „stumme“ Infarkte). Der Anteil unbemerkter Infarkte war bei Frauen (35 %) höher als bei Männern (28 %).<ref name="PMID3779719">[[William B. Kannel|W. B. Kannel]]: ''Silent myocardial ischemia and infarction: insights from the Framingham Study.'' In: ''Cardiology clinics.'' Band 4, Nummer 4, November 1986, S.&nbsp;583–591, PMID 3779719.</ref><br />
<br />
Von den mehr als 430.000 Patienten, die bis 1998 in US-amerikanischen Krankenhäusern in das Register ''National Registry of Myocardial Infarction 2'' aufgenommen wurden, hatten 33 % bei Krankenhausaufnahme keine Brustschmerzen. Bei den Patienten ohne Brustschmerzen fanden sich mehr Frauen, mehr Ältere und mehr Diabetiker.<ref name="PMID10866870">J. G. Canto, M. G. Shlipak u.&nbsp;a.: ''Prevalence, clinical characteristics, and mortality among patients with myocardial infarction presenting without chest pain.'' In: ''JAMA.'' Band 283, Nummer 24, Juni 2000, S.&nbsp;3223–3229, PMID 10866870.</ref> Auch in der EKG-Untersuchung werden zahlreiche stumme Infarkte nicht erkannt, die sich aber im [[Einzelphotonen-Emissionscomputertomographie|SPECT]] nachweisen lassen,<ref name="PMID23597799">N. Arenja, C. Mueller u.&nbsp;a.: ''Prevalence, extent, and independent predictors of silent myocardial infarction.'' In: ''The American journal of medicine.'' Band 126, Nummer 6, Juni 2013, S.&nbsp;515–522, [[doi:10.1016/j.amjmed.2012.11.028]]. PMID 23597799.</ref> insbesondere bei Diabetikern.<br />
<br />
Menschen mit [[Diabetes mellitus]] haben häufig ein vermindertes Schmerzempfinden. Sie nehmen aufgrund von Nervenschädigungen erste Symptome wie Brustschmerz kaum wahr. Ein chronisch hoher Blutzucker begünstigt die Arteriosklerose als Ursache von Herzinfarkt und Schlaganfall, so dass bei Männern mit Diabetes das Herzinfarktrisiko um das Zwei- bis Vierfache und bei Frauen um das Sechsfache erhöht ist.<ref>[https://www.herzstiftung.de/service-und-aktuelles/presse/pressemitteilungen/archiv/ploetzlicher-herztod-diabetes-erhoeht-risiko ''Plötzlicher Herztod – Diabetes erhöht Risiko.''] Herzstiftung.de, 11. November 2019; abgerufen am 28. März 2022.</ref><br />
<br />
=== Klinische Zeichen ===<br />
Die Befunde der [[Körperliche Untersuchung|körperlichen Untersuchung]] sind variabel; sie reichen vom Normalbefund eines unbeeinträchtigten Patienten bis hin zum bewusstlosen Patienten mit einem Herz-Kreislauf-Stillstand. Eindeutige [[Symptom|klinische Zeichen]] des Herzinfarktes gibt es zwar nicht, typisch aber ist der Gesamteindruck eines schmerzgeplagten Patienten mit Blässe, ängstlich wirkendem Gesichtsausdruck, Erbrechen und Schweißneigung.<br />
<br />
Andere Befunde weisen bereits auf eingetretene Komplikationen hin:<br />
* Pulsunregelmäßigkeiten auf die beim Infarkt häufigen [[Extrasystole]]n,<br />
* Pulsbeschleunigung, beim Abhören (''[[Auskultation]]'') neben den zwei normalen ein dritter Herzton und Rasselgeräusche über der Lunge sowie [[Halsvenenstauung]] auf eine Pumpschwäche des Herzens ([[Herzinsuffizienz]]),<br />
* [[Herzgeräusch]]e auf eine [[Mitralklappeninsuffizienz]], eine [[Perikarditis|Herzbeutelentzündung]] (Perikarditis) oder eine Ventrikelruptur (Herzkammerriss) und<br />
* Kollaps, Bewusstlosigkeit und Herz-Kreislaufstillstand auf schwerwiegende Rhythmusstörungen wie [[Kammerflimmern]], [[ventrikuläre Tachykardie]]n oder [[Asystolie]]n.<br />
<br />
=== Technische Befunde ===<br />
==== Elektrokardiogramm ====<br />
[[Datei:HWI akut.jpg|mini|EKG bei akutem Hinterwand-ST-Strecken-Hebungs-Infarkt (besser: inferiorer Infarkt). Die Pfeile weisen auf deutliche ST-Strecken-Hebungen (STEMI) in den Ableitungen II, III und aVF.]]<br />
<br />
Das wichtigste Untersuchungsverfahren bei Infarktverdacht ist das [[Elektrokardiogramm|EKG]]. Im Akutstadium treten gelegentlich Überhöhungen der T-Wellen (vgl. [[QT-Zeit|EKG-Nomenklatur]]) und häufig Veränderungen der ST-Strecke auf, wobei ST-Strecken-Hebungen auf den kompletten Verschluss eines Herzkranzgefäßes hinweisen. Im weiteren Verlauf kommt es nach etwa einem Tag oft zu einer „Negativierung“ (Ausschlag unterhalb der sogenannten Nulllinie) von T-Wellen. Veränderungen des QRS-Komplexes weisen in dieser Phase auf eine ''transmurale Infarzierung'' hin, einen Gewebsuntergang, der alle Wandschichten des Herzmuskels betrifft. Diese QRS-Veränderungen bleiben in der Regel lebenslang sichtbar und werden oft als „Infarktnarbe“ bezeichnet.<br />
<br />
Auch für die Erkennung und Beurteilung von [[Herzrhythmusstörung]]en als häufige Komplikationen eines Infarktes ist das EKG von entscheidender Bedeutung. Um [[Extrasystole]]n, [[Kammerflimmern]] und [[AV-Block]]ierungen in der Akutphase so rasch wie möglich erkennen und ggf. behandeln zu können, wird in der Akutphase eine kontinuierliche EKG-Überwachung (EKG-[[Monitor (Medizin)|Monitoring]]) durchgeführt.<br />
<br />
Im Anschluss an die Akutphase dient ein [[Belastungs-EKG]] der Beurteilung der Belastbarkeit und Erkennung fortbestehender Durchblutungsstörungen des Herzmuskels, ein [[Langzeit-EKG]] der Aufdeckung anderweitig unbemerkter Herzrhythmusstörungen.<br />
<br />
==== Laboruntersuchungen ====<br />
[[Datei:AMI bloodtests.png|mini|Typischer Verlauf der Blutkonzentration von kardialem Troponin und CK-MB nach einem ST-Hebungsinfarkt<ref name="Antman" />]]<br />
<br />
Als sogenannte [[Biomarker (Medizin)|Biomarker]] werden [[Enzym]]e und andere [[Protein|Eiweiße]] bezeichnet, die von absterbenden Herzmuskelzellen freigesetzt werden. Sie sind im Blut nach einem Herzinfarkt in erhöhter Konzentration messbar.<br />
<br />
Die klassischen und bis Anfang der 1990er Jahre einzigen Biomarker sind die [[Creatin-Kinase]] (CK), deren [[Isoenzym]] CK-MB, die [[Aspartat-Aminotransferase]] (AST, meist noch als GOT abgekürzt) und die [[Lactatdehydrogenase]] (LDH). Hinzugekommen sind seither das [[Myoglobin]] und das [[Kardiales Troponin|Troponin]] (Troponin T und Troponin I, oft abgekürzt als „Trop“). Der neueste Biomarker ist die [[Glycogenphosphorylase]] BB (GPBB). Dieser Biomarker ist herzspezifisch und ein Frühmarker,<ref name="pps1351-1358">D. Peetz, F. Post u.&nbsp;a.: ''Glycogen phosphorylase BB in acute coronary syndromes.'' In: ''Clinical chemistry and laboratory medicine: CCLM / FESCC.'' Band 43, Nummer 12, 2005, S.&nbsp;1351–1358, [[doi:10.1515/CCLM.2005.231]]. PMID 16309372.</ref> findet derzeit (2013) klinisch aber keine Anwendung.<br />
<br />
Die Messung der Blutkonzentrationen dieser Biomarker wird meist in regelmäßigen Abständen wiederholt, da Anstieg, höchster Wert und Abfall der Konzentration Rückschlüsse auf den Zeitpunkt des Infarktbeginns, die Größe des Herzinfarktes und den Erfolg der Therapie erlauben.<br />
<br />
==== Bildgebende Verfahren ====<br />
Die Ultraschalluntersuchung des Herzens ([[Echokardiografie]]) zeigt beim Herzinfarkt eine Wandbewegungsstörung im betroffenen Herzmuskelbereich. Da das Ausmaß dieser Wandbewegungsstörung für die [[Prognose]] des Patienten sehr wichtig ist, wird die Untersuchung bei fast allen Infarktpatienten durchgeführt. In der Akutphase liefert die Echokardiografie bei diagnostischen Unsicherheiten und Komplikationen wichtige Zusatzinformationen, weil sie hilft, die Pumpfunktion und evtl. Einrisse (Ruptur) des Herzmuskels, Schlussunfähigkeiten der Mitralklappe ([[Mitralklappeninsuffizienz]]) und Flüssigkeitsansammlungen im Herzbeutel ([[Perikarderguss]]) zuverlässig zu beurteilen.<br />
<br />
Die Gefäßdarstellung ([[Angiografie]]) der Herzkranzgefäße im Rahmen einer [[Herzkatheteruntersuchung]] erlaubt den direkten Nachweis von Verschlüssen und Verengungen. Sie wird entweder so früh wie möglich als Notfall-Untersuchung zur Vorbereitung einer [[Perkutane transluminale coronare Angioplastie|PTCA]] (vgl. [[#Reperfusionstherapie|Reperfusionstherapie]]) oder im weiteren Verlauf bei Hinweisen auf fortbestehende Durchblutungsstörungen des Herzmuskels durchgeführt.<br />
Nachteilig kann die hohe Strahlenbelastung von bis zu 14,52 mSv sein. Das ist so viel wie bei 725 Röntgen-Thorax-Bildern.<ref>Prashant Kaul von der Abteilung für Kardiovaskuläre Medizin des Duke University Medical Centers in Durham und Kollegen: ''Bericht auf der AHA-Tagung 2009.''</ref> Jedes Jahr werden weltweit mehrere Milliarden Bilder mittels der Strahlentechnik angefertigt – ungefähr ein Drittel dieser Aufnahmen bei Patienten mit akutem Myokardinfarkt. Zwischen den Jahren 1980 und 2006 ist die jährliche Dosis um schätzungsweise 700 % angestiegen.<ref>Zitiert nach Medical Tribune, 27. November 2009, S.&nbsp;3.</ref><br />
<br />
== Diagnostik ==<br />
=== Gängige und neuere Diagnoseverfahren ===<br />
Die Diagnose Herzinfarkt wird gestellt, wenn einer der sogenannten „Biomarker“ (vorzugshalber [[kardiales Troponin]], ersatzweise [[Creatin-Kinase|CK-MB]]) im Blut erhöht und mindestens eines der folgenden Kriterien erfüllt ist:<br />
* typische EKG-Veränderungen oder<br />
* typische Brustschmerzen oder<br />
* unlängst durchgeführte Intervention an einem Herzkranzgefäß (beispielsweise eine [[Angioplastie#Koronarangioplastie|PTCA]]).<br />
<br />
Die Blutkonzentration der Biomarker [[Kardiales Troponin|Troponin]] und [[Creatin-Kinase|CK-MB]] steigt allerdings erst nach drei bis sechs Stunden an, so dass eine verlässliche Diagnose bisher erst nach vier bis sechs Stunden möglich war.<br />
<br />
Neuesten Studien zufolge kann nun eine schnellere und spezifischere Diagnose mittels des neu entdeckten Herzmarkers [[Glycogenphosphorylase]] BB (GPBB) zeitnah erfolgen. Bereits ab der ersten Stunde kann durch GPBB ein Herzinfarkt diagnostiziert werden, so dass die Gefahr der irreversiblen Schädigung des Herzgewebes eingedämmt werden kann.<ref name="pps1351-1358" /><br />
<br />
In dieser Akutphase ist das wichtigste Untersuchungsverfahren ein so schnell wie möglich angefertigtes [[Elektrokardiogramm|EKG]]. Beim Nachweis von ST-Strecken-Hebungen wird mit einer diagnostischen Sicherheit von über 95 % von einem Infarkt ausgegangen und die entsprechende Behandlung möglichst unverzüglich eingeleitet.<ref>H. R. Arntz et al.: ''Leitlinien zur Diagnostik und Therapie des akuten Herzinfarktes in der Prähospitalphase.'' [[Zeitschrift für Kardiologie]] (2000) 89: S.&nbsp;364–372, [[doi:10.1007/s100490070009]].</ref><br />
<br />
Zeigt das EKG hingegen ST-Strecken-Senkungen oder keine Veränderungen, so kann ein Infarkt anhand der Biomarker erst sechs Stunden nach Beginn der Symptome mit Sicherheit ausgeschlossen oder bestätigt werden. Bei diagnostischer Unsicherheit in dieser Phase kann der Nachweis einer Wandbewegungsstörung in der Echokardiografie helfen, die Wahrscheinlichkeit und das Ausmaß eines Infarktes besser einzuschätzen.<br />
<br />
=== Differentialdiagnose ===<br />
Wegen der möglicherweise weitreichenden Konsequenzen wurde die Verdachtsdiagnose Herzinfarkt früher oft gestellt, in der Akutsituation mussten dann die [[Differentialdiagnose]]n [[Pneumothorax]], [[Lungenembolie]], [[Aortendissektion]], [[Lungenödem]] anderer Ursache, [[Herpes Zoster]], [[Stress-Kardiomyopathie]], [[Roemheld-Syndrom]], [[Herzneurose]] oder auch [[Kolik|Gallenkolik]] berücksichtigt werden. Nur bei etwa 32 % der Patienten mit Infarktverdacht fand sich tatsächlich ein Herzinfarkt. Heute wird der Begriff ''Infarkt'' bis zu seinem definitiven Nachweis meist vermieden und stattdessen vom [[Akutes Koronarsyndrom|akuten Koronarsyndrom]] gesprochen, um der häufigen diagnostischen Unsicherheit in den ersten Stunden Ausdruck zu verleihen.<br />
<br />
Auch die Infarktdiagnostik ist mit möglichen Fehlern behaftet: Bei einigen Patienten (in einer Untersuchung 0,8 %), vor allem bei älteren Patienten und solchen mit [[Diabetes mellitus]], wird auch im Krankenhaus der Infarkt nicht richtig erkannt.<br />
<br />
Eine außergewöhnliche Verwechslung der Symptome wurden bei einem (eher seltenen) Fall des Verzehrs von [[Pontischer Honig|Honig von der türkischen Schwarzmeerküste]] beobachtet<ref>''Typischer Brustschmerz, aber: Herzinfarkt war Honig-Vergiftung!'' {{Webarchiv |url=http://cme.springer.de/pages/journalArticle/171616/230421/230602.pdf |text=cme.springer.de |wayback=20141226203410}} (PDF; 1,4&nbsp;MB)</ref> (siehe dazu [[Honig#Giftstoffe in Honig und giftige Honigsorten]]).<br />
<br />
== Therapie ==<br />
=== Erste Hilfe ===<br />
Die ersten Minuten und Stunden eines Herzinfarktes sind für den Patienten von entscheidender Bedeutung.<br />
<br />
Innerhalb der ersten Stunde (der sogenannten ''goldenen Stunde'' oder ''golden hour'') bestehen gute Aussichten, den Gefäßverschluss durch eine [[Thrombolyse|Lysetherapie]] oder [[Perkutane transluminale coronare Angioplastie|Herzkatheterbehandlung]] fast vollständig rückgängig zu machen. Daher steht die unverzügliche Alarmierung des [[Rettungsdienst]]es an erster Stelle der für Laien sinnvollen Maßnahmen. Die [[Deutsche Herzstiftung]] empfiehlt für diese Situation:<ref>Deutsche Herzstiftung: ''Herzinfarkt – jede Minute zählt!''. [http://www.herzstiftung.de/herzinfarkt_fehler.php online], abgerufen am 24. Oktober 2006.</ref><br />
* Nicht warten.<br />
* Rettungsdienst über die Rufnummer 112 (in Europa) oder eine andere örtliche [[Notruf]]nummer alarmieren und Verdacht auf Herzinfarkt äußern.<br />
* Niemals selbst mit dem Auto in die Klinik fahren, wegen der Gefahr eines Zusammenbruchs während der Fahrt.<br />
<br />
Aspirin hat eine hemmende und reduzierende Wirkung in Koagulation, und deshalb wird es manchmal verwendet um den Status eines Infarktopfers zu verbessern.<ref>{{Literatur |Autor=Grant W Reed, Jeffrey E Rossi, Christopher P Cannon |Titel=Acute myocardial infarction |Sammelwerk=The Lancet |Band=389 |Nummer=10065 |Datum=2017-01 |ISSN=1474-547X |DOI=10.1016/s0140-6736(16)30677-8 |Seiten=197–210 |Online=https://thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736(16)30677-8/abstract |Abruf=2024-03-20}}</ref> Jedoch eine gewisse Sicherheit ist erforderlich, dass das Problem ein Herzinfarkt ist, den wenn, saltener, es ist für Blutverlust (zum Beispiel im Falle von Aneurysma), würde das Aspirin es in gewissem Verhältnis fördern.<br />
<br />
Und, wie im Fall von Aspirin, Patienten mit koronarer Herzerkrankungen (was in der Lage ist, Infarkt zu erzeugen) denen der Arzt eine geeignete Medizin verschrieben hat (Zum Beispiel: mit einem inhibitor Effekt oder mit einem reduzierenden Effekt von Gerinnseln oder anderen Effekten) könnten sich besser fühlen wenn sie es damals aufnehmen,<ref>{{Internetquelle |url=https://web.archive.org/web/20240305092914/http://mayoclinic.org/first-aid/first-aid-heart-attack/basics/art-20056679 |titel=Heart attack: First aid - Mayo Clinic |datum=2024-03-05 |abruf=2024-03-20}}</ref> jedoch die Effekte können je nach Medikamenten variieren.<br />
<br />
Die Gefahr des [[Herzstillstand]]es durch [[Kammerflimmern]] ist in der ersten Stunde am größten. Nur durch eine rasch einsetzende [[Herz-Lungen-Wiederbelebung]] durch Ersthelfer und Rettungsdienst kann in diesem Fall der Tod oder schwere Schäden durch Sauerstoffunterversorgung des [[Gehirn]]s verhindert werden. Durch eine [[Defibrillation]] durch medizinisches Fachpersonal oder mittels eines öffentlich zugänglichen [[Automatisierter Externer Defibrillator|automatisierten externen Defibrillators]], der durch Laien bedient werden kann, besteht die Möglichkeit, dass das Kammerflimmern gestoppt wird und sich wieder ein stabiler Eigenrhythmus einstellt.<ref>{{Webarchiv |url=http://www.erc.edu/download_gl.php?d=3 |text=Richtlinien des European Resuscitation Council zur Herz-Lungen-Wiederbelebung |wayback=20071217125850}} (PDF, englisch)</ref><br />
<br />
=== Medizinische Erstversorgung ===<br />
Das [[Rettungsfachpersonal]] des [[Rettungsdienst]]es konzentriert sich zunächst auf eine möglichst rasche Erkennung von Akutgefährdung und Komplikationen. Dazu gehört eine zügige [[Körperliche Untersuchung|klinische Untersuchung]] mit Blutdruckmessung und [[Auskultation]] (Abhören) von Herz und Lunge. Nur ein schnell angefertigtes [[Elektrokardiogramm|Zwölf-Kanal-EKG]] lässt den ST-Hebungsinfarkt erkennen und erlaubt die Einleitung der dann dringlichen Lysetherapie oder Katheterbehandlung. Um Herzrhythmusstörungen sofort erkennen zu können, wird eine kontinuierliche EKG-Überwachung (Rhythmusmonitoring) begonnen und zur Medikamentengabe eine [[Venenverweilkanüle|periphere Verweilkanüle]] angelegt.<br />
<br />
Die medikamentöse Therapie zielt in der Akutsituation auf eine möglichst optimale Sauerstoffversorgung des Herzens, die Schmerzbekämpfung und eine Vermeidung weiterer Blutgerinnselbildung. Verabreicht werden in der Regel [[Nitroglycerin]]-Spray oder -Kapseln [[sublingual]] und [[Morphin]]präparate, [[Acetylsalicylsäure]] und [[Clopidogrel]] sowie [[Heparin]] [[intravenös]]. [[Sauerstoff|Sauerstoff (O<sub>2</sub>)]] wird nach den aktuellen Leitlinien der ERC nur noch bei niedriger [[Sauerstoffsättigung]] des Bluts verabreicht.<ref name="ERC 2010">H.-R. Arntz et al.: ''Initiales Management von Patienten mit akutem Koronarsyndrom.'' Sektion 5 der Leitlinien zur Reanimation 2010 des European Resuscitation Council, [[doi:10.1007/s10049-006-0794-2]].</ref> Die generelle Gabe von Sauerstoff wird wegen seiner möglicherweise schädlichen Auswirkungen allerdings nicht mehr empfohlen.<ref>{{Internetquelle |url=http://www.rettungsdienst-updates.de/die-praklinische-gabe-von-sauerstoff-teil-1-das-akute-koronarsyndrom-acs/ |titel=Die präklinische Gabe von Sauerstoff Teil 1: Das Akute Koronarsyndrom (ACS) |datum=2012-01-18 |abruf=2012-02-16}}</ref><br />
<br />
In speziellen Situationen und bei Komplikationen können weitere Medikamente erforderlich sein, zur Beruhigung ([[Sedierung]]) beispielsweise [[Benzodiazepin]]e wie [[Diazepam]] oder [[Midazolam]], bei [[Nervus vagus|vagaler]] Reaktion [[Atropin]], bei Übelkeit oder Erbrechen [[Antiemetikum|Antiemetika]] (beispielsweise [[Metoclopramid]]), bei [[Tachykardie]] trotz Schmerzfreiheit und fehlenden Zeichen der Linksherzinsuffizienz [[Betablocker]] (beispielsweise [[Metoprolol]]) und bei kardiogenem Schock die Gabe von [[Katecholamin]]en.<br />
<br />
=== Reperfusionstherapie ===<br />
[[Datei:HWI PTCA.jpg|mini|300px|Angiografie der rechten Herzkranzarterie (RCA) bei akutem Hinterwandinfarkt, links: RCA verschlossen, rechts: RCA nach Ballondilatation offen]]<br />
Vordringliches Therapieziel beim ST-Hebungsinfarkt ist die möglichst rasche Eröffnung des betroffenen und in dieser Situation meist verschlossenen [[Herzkranzgefäße]]s. Diese Wiederherstellung der Durchblutung im Infarktgebiet wird Reperfusionstherapie genannt. Je früher diese erfolgt, umso besser kann eine Infarktausdehnung verhindert werden („time is muscle“). Gelingt es, die Reperfusionstherapie bereits in der ersten Stunde nach Infarkteintritt anzuwenden, so können viele dieser Infarkte sogar verhindert werden.<br />
<br />
Als Reperfusionstherapie sind zwei Behandlungsverfahren etabliert:<br />
* Primär-[[Perkutane transluminale coronare Angioplastie|Perkutane Koronarintervention]] (auch Direkt-PTCA oder Primär-PTCA): mechanische Öffnung (''Rekanalisation'') des Gefäßes mit anschließender [[Ballondilatation]] und [[Stent]]<nowiki />implantation mittels Herzkatheter. Zeigt sich ein mittels PTCA nicht angehbarer Befund, kann in Einzelfällen eine akute [[Koronararterien-Bypass|operative Myokardrevaskularisation]] indiziert sein.<br />
* Lysetherapie oder [[Thrombolyse]]: intravenöse Gabe eines gerinnselauflösenden Medikamentes. Dieses Thrombolytikum kann vom [[Notarzt]] bereits am Einsatzort verabreicht werden (''prästationäre Lyse'') und führt durch frühen Behandlungsbeginn zu besseren Ergebnissen als eine Therapieeinleitung im Krankenhaus.<br />
<br />
Bei gleichzeitiger Verfügbarkeit ist die Primär-PCI in einem erfahrenen Zentrum die bevorzugte Strategie. Da aber weniger als 20 % der deutschen Krankenhäuser über die Möglichkeit zur Primär-PCI verfügen, muss die Entscheidung zur optimalen Therapie im Einzelfall getroffen werden. Viele Notärzte sind mit Zwölf-Kanal-EKG-Geräten und Medikamenten für eine Lysetherapie ausgerüstet, so dass sie heute sofort nach Diagnosestellung in Abhängigkeit von der Infarktdauer, dem Patientenzustand, der Verfügbarkeit eines erfahrenen Herzkatheterteams und der Transportentfernung die bestmögliche Reperfusionstherapie auswählen können.<br />
<br />
Bei Nicht-ST-Hebungsinfarkten (NSTEMI) ist ein Nutzen der unverzüglichen Reperfusionstherapie nicht belegt, eine Lysetherapie ist [[Kontraindikation|kontraindiziert]]. Ob und zu welchem Zeitpunkt eine Herzkatheteruntersuchung erforderlich ist, ist trotz vieler Studien zu diesem Thema strittig. Die vorherrschende und auch in den Leitlinien der kardiologischen Fachgesellschaften verankerte Empfehlung sieht eine „frühe Intervention“ innerhalb von 48&nbsp;Stunden vor. Erneute Diskussionen sind durch eine weitere im Herbst 2005 veröffentlichte Studie entstanden, die bei 1200 Patienten mit NSTEMI kein höheres Risiko fand, wenn die Intervention nur bei Patienten mit anhaltenden Beschwerden erfolgte.<ref name="PMID16162880">R. J. de Winter, F. Windhausen u.&nbsp;a.: ''Early invasive versus selectively invasive management for acute coronary syndromes.'' In: ''[[The New England Journal of Medicine]].'' Band 353, Nummer 11, September 2005, S.&nbsp;1095–1104, [[doi:10.1056/NEJMoa044259]]. PMID 16162880.</ref><br />
<br />
=== Weitere Behandlung ===<br />
Im Krankenhaus werden Infarktpatienten wegen möglicher [[Herzrhythmusstörung]]en in der Akutphase auf einer [[Intensivstation|Intensiv-]] oder Überwachungsstation behandelt, wo eine kontinuierliche EKG-Überwachung (''Monitoring'') möglich ist. Bei einem unkomplizierten Verlauf können sie oft bereits am Folgetag Schritt für Schritt [[Mobilisation|mobilisiert]] und nach fünf bis acht Tagen entlassen werden. Patienten mit großen Infarkten, die zu einer Pumpschwäche ([[Herzinsuffizienz]]) des Herzmuskels geführt haben, benötigen manchmal bis zu drei Wochen, um die gewohnten Alltagsaktivitäten wiederaufnehmen zu können.<br />
<br />
Nach einem Herzinfarkt ist bei den meisten Patienten eine lebenslange medikamentöse Therapie sinnvoll, die Komplikationen wie Herzrhythmusstörungen und [[Herzinsuffizienz|Herzmuskelschwäche]] sowie erneuten Herzinfarkten vorbeugt. Dazu zählt die Therapie mit [[Betablocker]]n, [[Acetylsalicylsäure|ASS]], [[Statin]]en, [[ACE-Hemmer]]n und bei einigen Patienten [[Clopidogrel]] oder [[Prasugrel]].<ref name="PMID22052934">S. C. Smith, E. J. Benjamin u.&nbsp;a.: [http://circ.ahajournals.org/content/124/22/2458.full ''AHA/ACCF Secondary Prevention and Risk Reduction Therapy for Patients with Coronary and other Atherosclerotic Vascular Disease: 2011 update: a guideline from the American Heart Association and American College of Cardiology Foundation.''] In: ''Circulation.'' Band 124, Nummer 22, November 2011, S.&nbsp;2458–2473, [[doi:10.1161/CIR.0b013e318235eb4d]]. PMID 22052934.</ref> In der Realität zeigt sich allerdings, dass die medikamentöse Therapie oft nicht leitliniengerecht umgesetzt wird und eine deutliche Unterversorgung der betroffenen Patienten besteht.<ref name="aerzteblatt-117140">{{Literatur |Autor=Sandra Mangiapane, Reinhard Busse |Titel=Verordnungsprävalenz medikamentöser Sekundärprävention und Therapiepersistenz nach Myokardinfarkt: Eine Routinedatenanalyse der Versorgungsrealität |Sammelwerk=[[Deutsches Ärzteblatt]] Int |Band=108 |Nummer=50 |Datum=2011-12-16 |Seiten=856–862 |DOI=10.3238/arztebl.2011.0856}}</ref><br />
<br />
Bei stark eingeschränkter Pumpfunktion des Herzens wird die prophylaktische Anlage eines [[Implantierbarer Kardioverter-Defibrillator|implantierbaren Defibrillators]] zum Schutz vor [[Plötzlicher Herztod|plötzlichem Herztod]] empfohlen.<ref>[http://leitlinien.dgk.org/images/pdf/leitlinien_pocket/2010_pll_15.pdf Pocket Leitlinie ''Akutes Koronarsyndrom mit persistierender ST-Streckenhebung (STEMI)''.] (PDF)</ref><br />
<br />
Nach dem Auftreten von großen Vorderwandinfarkten kann es (< 50 %) zur [[Thrombus|Thrombenbildung]] in der linken Schlagkammer kommen, die die Gefahr eines Hirninfarktes nach sich ziehen können. Sollten sich echokardiografisch Thromben nachweisen lassen, wird meist eine mehrmonatige Antikoagulantientherapie mit [[Phenprocoumon]] durchgeführt.<br />
<br />
Besondere Aufmerksamkeit erfordern die Risikofaktoren, die die Lebenserwartung der Infarktpatienten erheblich beeinträchtigen können. Vorteilhaft sind strikter Nikotinverzicht und eine optimale Einstellung von Blutdruck, Blutzucker und Blutfettwerten. Neben der Normalisierung des Lebenswandels, dem Stressabbau und der Gewichtsnormalisierung spielen eine gesunde Ernährung und regelmäßiges körperliches [[Ausdauertraining]] nach ärztlicher Empfehlung dabei eine wesentliche Rolle.<br />
<br />
Im Anschluss an die Krankenhausbehandlung wird in Deutschland oft eine ambulante oder stationäre [[Medizinische Rehabilitation|Anschlussheilbehandlung]] empfohlen. Diese meist drei Wochen dauernde Maßnahme soll durch Krankengymnastik ([[Physiotherapie]]), dosiertes körperliches Training, Schulungsmaßnahmen und psychosoziale Betreuung eine möglichst gute und vollständige Wiedereingliederung in den Alltag ermöglichen. Zur dauerhaften Lebensstilveränderung kann der Besuch einer [[Herzschule]] sinnvoll sein.<br />
<br />
== Weitere Therapie der koronaren Herzerkrankung mit Koronararterien-Bypass oder PTCA ==<br />
Um weiteren Infarkten vorzubeugen, ist eine definitive Versorgung der (oftmals mehreren) kritischen Stenosen mittels Stentimplantation oder [[Koronararterien-Bypass]] notwendig. Die aktuellen Leitlinien der [[European Society of Cardiology|Europäischen kardiologischen Gesellschaft]] zur Revaskularisierung geben für Patienten mit hohem Operationsrisiko und einer oder zwei betroffenen Koronararterien ohne Beteiligung des linkskoronaren Hauptstamms (oder einer äquivalenten proximalen Stenose des Ramus interventrikularis anterior) die Empfehlung, bevorzugt mittels PTCA zu behandeln. Für alle anderen Patienten gilt eine höhergradige Empfehlung zur operativen Versorgung mit Koronararterien-Bypässen.<ref name="ESC2010">W. Wijns u.&nbsp;a.: ''Guidelines on myocardial revascularization.'' In: ''European heart journal.'' Band 31, Nummer 20, Oktober 2010, S.&nbsp;2501–2555, [[doi:10.1093/eurheartj/ehq277]]. PMID 20802248.</ref> Es wird ein insbesondere hinsichtlich der Begleiterkrankungen (wie hämodynamisch relevantes Aneurysma, thorakale Re-Operation) ein auf den individuellen Patienten zugeschnittenes Prozedere propagiert. Die Therapieplanung und Beratung des Patienten sollte hierbei durch ein „Heart Team“ erfolgen, also eine interdisziplinäre Zusammenkunft von Kardiologen und Herzchirurgen. Dies ist in der täglichen Praxis in Deutschland erfahrungsgemäß jedoch eher die Ausnahme.<br />
<br />
=== Experimentelle Ansätze ===<br />
Seit den 1990er Jahren werden Versuche unternommen, die Pumpfunktion des Herzmuskels nach einem Herzinfarkt durch [[Stammzelle]]n positiv zu beeinflussen. Dabei werden verschiedene Techniken eingesetzt, unter anderem die Injektion von Stammzellen, die aus Blut oder Knochenmark gewonnen werden, in das betroffene Herzkranzgefäß (''intrakoronar'', mittels Herzkatheter). Auch die [[subkutan]]e Injektion von ''granulocyte-colony stimulating factor'' ([[G-CSF]]), der die Stammzellproduktion fördert, wird untersucht. Mehrere in den Jahren 2004 bis 2006 veröffentlichte [[Klinische Studie|Studien]] weisen darauf hin, dass die intrakoronare Anwendung von Knochenmark-Stammzellen die Pumpfunktion tatsächlich verbessern kann<ref name="PMID16413875">S. Janssens, C. Dubois u.&nbsp;a.: ''Autologous bone marrow-derived stem-cell transfer in patients with ST-segment elevation myocardial infarction: double-blind, randomised controlled trial.'' In: ''Lancet.'' Band 367, Nummer 9505, Januar 2006, S.&nbsp;113–121, [[doi:10.1016/S0140-6736(05)67861-0]]. PMID 16413875.</ref>, die alleinige Gabe von G-CSF hingegen keinen Vorteil bringt.<ref name="PMID16507801">D. Zohlnhöfer, I. Ott u.&nbsp;a.: ''Stem cell mobilization by granulocyte colony-stimulating factor in patients with acute myocardial infarction: a randomized controlled trial.'' In: ''JAMA.'' Band 295, Nummer 9, März 2006, S.&nbsp;1003–1010, [[doi:10.1001/jama.295.9.1003]]. PMID 16507801.</ref><ref name="PMID16531621">R. S. Ripa, E. Jørgensen u.&nbsp;a.: ''Stem cell mobilization induced by subcutaneous granulocyte-colony stimulating factor to improve cardiac regeneration after acute ST-elevation myocardial infarction: result of the double-blind, randomized, placebo-controlled stem cells in myocardial infarction (STEMMI) trial.'' In: ''Circulation.'' Band 113, Nummer 16, April 2006, S.&nbsp;1983–1992, [[doi:10.1161/CIRCULATIONAHA.105.610469]]. PMID 16531621.</ref><br />
Eine Studie aus dem Jahr 2012 hat jedoch keinen positiven Effekt festgestellt.<ref name="PMID23896972">J. Wöhrle, F. von Scheidt u.&nbsp;a.: ''Impact of cell number and microvascular obstruction in patients with bone-marrow derived cell therapy: final results from the randomized, double-blind, placebo controlled intracoronary Stem Cell therapy in patients with Acute Myocardial Infarction (SCAMI) trial.'' In: ''Clinical research in cardiology.'' Band 102, Nummer 10, Oktober 2013, S.&nbsp;765–770, [[doi:10.1007/s00392-013-0595-9]]. PMID 23896972.</ref> Ein weiterer, in jüngerer Zeit in präklinischen Studien verfolgter Therapieansatz ist der Einsatz von [[Wachstumsfaktor (Protein)|Wachstumsfaktoren]] wie ''Fibroblast-like Growth Factor'' ([[Fibroblast Growth Factor|FGF]]-1), Insuline-like Growth Factors ([[Insulin-like growth factor|IGFs]]) und ''Vascular Endothelial Growth Factor'' ([[Vascular Endothelial Growth Factor|VEGF]]), die die Gefäßneubildung ([[Angiogenese]]) anregen.<br />
<br />
== Krankheitsverlauf und Prognose ==<br />
Die ersten beiden Stunden nach Eintritt eines Herzinfarktes sind zumindest bei einem ST-Hebungsinfarkt (STEMI) für den weiteren Verlauf und die Überlebenschance des Patienten von entscheidender Bedeutung, weil<br />
* sich die Mehrzahl der Todesfälle, die in der Regel durch [[Kammerflimmern]] verursacht sind, in diesem kurzen Zeitraum ereignet<ref name="Antman" /> und<br />
* eine während dieser Zeit eingeleitete Reperfusionstherapie die [[Prognose]] maßgeblich beeinflusst.<br />
<br />
Die Akutsterblichkeit jener Patienten, die im Krankenhaus aufgenommen werden, beträgt heute nach verschiedenen Untersuchungen zwischen weniger als zehn und knapp zwölf Prozent. Weiterhin stirbt aber fast ein Drittel aller Patienten vor Aufnahme in eine Klinik, so dass die Einjahressterblichkeit aller Infarktpatienten in den letzten 30&nbsp;Jahren nahezu unverändert bei etwa 50 % verblieben ist.<br />
<br />
Die Sterblichkeit im Zusammenhang mit einem Herzinfarkt wird vom Alter des Patienten stark beeinflusst. Aus dem Berliner Herzinfarktregister wurde für die Jahre 1999 bis 2003 bei über 75-Jährigen eine Krankenhaussterblichkeit von 23,9 %, bei jüngeren Patienten von 7,3 % ermittelt.<ref name="Schuler">J. Schuler, B. Maier u.&nbsp;a.: ''Present treatment of acute myocardial infarction in patients over 75 years–data from the Berlin Myocardial Infarction Registry (BHIR).'' In: ''Clinical research in cardiology.'' Band 95, Nummer 7, Juli 2006, S.&nbsp;360–367, [[doi:10.1007/s00392-006-0393-8]]. PMID 16741630.</ref> Insgesamt ist die Rate an Sterbefällen nach Herzinfarkten jedoch stark abgesunken, wie eine epidemiologische Studie mit Daten der WHO zeigte. So haben sich die Herzinfarkt-Sterbefälle seit 1980 in Europa halbiert. In Deutschland lag sie 2009 bei 15–17 %, in Österreich bei 19–20 %, in Frankreich bei 6–8 %.<ref name="DOI10.1093/eurheartj/eht159">M. Nichols, N. Townsend u.&nbsp;a.: ''Trends in age-specific coronary heart disease mortality in the European Union over three decades: 1980–2009.'' In: ''European heart journal.'' Band 34, Nummer 39, Oktober 2013, S.&nbsp;3017–3027, [[doi:10.1093/eurheartj/eht159]]. PMID 23801825. {{PMC|3796269}}.</ref><br />
<br />
Eine 2023 veröffentlichte Studie unter 884 Patienten deutet darauf hin, dass die Sterblichkeit nach einem Herzinfarkt bei Frauen zwei- bis dreimal höher liegt als bei Männern.<ref>{{Internetquelle |url=https://www.eurekalert.org/news-releases/989635 |titel=Women more likely to die after heart attack than men |werk=eurekalert.org |hrsg=European Society of Cardiology |datum=2023-05-22 |abruf=2024-03-11 |sprache=en}}</ref><ref>{{Internetquelle |url=https://www.pharmazeutische-zeitung.de/frauen-sterben-nach-herzinfarkt-haeufiger-als-maenner-140300/ |titel=Frauen sterben nach Herzinfarkt häufiger als Männer |werk=pharmazeutische-zeitung.de |datum=2023-05-24 |abruf=2024-03-11 |sprache=de}}</ref><br />
<br />
{{Siehe auch|Killip-Klassifikation}}<br />
<br />
=== Komplikationen ===<br />
Sehr häufig sind [[Herzrhythmusstörung]]en, auch bei kleinen Infarkten vor allem in der Frühphase. [[Ventrikuläre Tachykardie]]n bis hin zum [[Kammerflimmern]] sind die häufigste Todesursache beim Herzinfarkt, deshalb wird in der Akutphase eine ständige Überwachung und [[Defibrillation]]sbereitschaft auf einer [[Intensivstation]] gesichert. In Einzelfällen ist eine Behandlung mit einem [[Antiarrhythmikum]] nötig. Besonders Hinterwandinfarkte können über eine Ischämie des [[AV-Knoten]]s zum [[AV-Block]] und bei Ischämie des [[Sinusknoten]] zum [[Sick-Sinus-Syndrom]] führen, was vorübergehend (oder dauerhaft) den Einsatz eines [[Herzschrittmacher]]s erfordert.<br />
<br />
Wenn der Infarkt große Areale des Herzens (mehr als 30 % der Muskulatur) betrifft, kann es zur Ausbildung eines kardiogenen [[Schock (Medizin)|Schocks]] kommen, bei dem das Herz durch die Herzmuskelschädigung nicht mehr in der Lage ist, eine ausreichende Kreislauffunktion aufrechtzuerhalten. Diese Patienten haben eine deutlich schlechtere Prognose, der kardiogene Schock ist die zweithäufigste Todesursache im Rahmen eines akuten Herzinfarktes. Hier kann eine [[intraaortale Ballonpumpe]] (IABP) vorübergehend das Herz unterstützen.<br />
<br />
Ein Herzwand[[aneurysma]] kann sich aufgrund der Wandschwäche nach einem Herzinfarkt ausbilden. Hierbei entwickelt sich eine Auswölbung der geschädigten Herzwand. Chronisch kommt es zu einer verschlechterten Herzfunktion, der Bildung eines [[Thrombus]] durch gestörten Blutfluss mit der Möglichkeit arterieller [[Embolie]]n. In der direkten Phase nach einem Infarkt kann es zu einer [[Ruptur]] (Platzen) der Auswölbung kommen mit nachfolgender [[Herzbeuteltamponade]], welche sofort entlastet und im Allgemeinen chirurgisch versorgt werden muss.<br />
<br />
Durch [[Nekrose]] im Herzscheidewandbereich kann es auch hier zu einer [[Ventrikelseptumdefekt|Septumperforation]] kommen. Nachfolgend kommt es zum Übertritt von Blut aus dem linken in den rechten Teil des Herzens.<br />
<br />
Insbesondere bei Hinterwandinfarkten kann eine akute [[Mitralklappeninsuffizienz|Insuffizienz der Mitralklappe]] durch Nekrose der [[Papillarmuskel]]n mit nachfolgendem Abriss eines Sehnenfadens auftreten. Der Rückfluss von Blut in den [[Linker Vorhof|linken Vorhof]] kann zu einer akuten [[Herzinsuffizienz]] führen und eine schnelle Herzoperation notwendig machen. Ein neu auftretendes [[Systole|systolisches]] [[Herzgeräusch]] kann zu dieser Verdachtsdiagnose führen, daher sollen Patienten nach Herzinfarkt regelmäßig abgehört ([[Auskultation|auskultiert]]) werden.<br />
<br />
Im weiteren Verlauf (einige Tage bis ca. acht Wochen) kann sich im Rahmen einer Autoimmunreaktion eine [[Perikarditis|Entzündung des Herzbeutels]], das sogenannte [[Dressler-Syndrom]], entwickeln.<br />
<br />
=== Infarkte bei älteren Menschen ===<br />
{| class="wikitable float-right" style="font-size:95%;"<br />
|+ Charakteristika von Infarktpatienten abhängig vom Lebensalter<ref name="Schuler" /><br />
|-<br />
!<br />
! style="text-align:right; background:#ABCDEF;"|≤&nbsp;75&nbsp;Jahre<br />
! style="text-align:right; background:#FFEBAD;"|>&nbsp;75&nbsp;Jahre<br />
|-<br />
|Herzversagen<br />
|style="text-align:right; background:#ABCDEF;"| 3,5 %<br />
|style="text-align:right; background:#FFEBAD;"| 14,4 %<br />
|-<br />
|Niereninsuffizienz<br />
|style="text-align:right; background:#ABCDEF;"| 3,9 %<br />
|style="text-align:right; background:#FFEBAD;"| 11,5 %<br />
|-<br />
|Diabetes mellitus<br />
|style="text-align:right; background:#ABCDEF;"| 24,3 %<br />
|style="text-align:right; background:#FFEBAD;"| 37,3 %<br />
|-<br />
|Lungenstauung<br />
|style="text-align:right; background:#ABCDEF;"| 19,7 %<br />
|style="text-align:right; background:#FFEBAD;"| 45,4 %<br />
|-<br />
|Linksschenkelblock<br />
|style="text-align:right; background:#ABCDEF;"| 3,6 %<br />
|style="text-align:right; background:#FFEBAD;"| 12,7 %<br />
|}<br />
<br />
In den europäischen Ländern betreffen etwa ein Drittel (24 bis 42 %) aller Infarkte Menschen im Alter von über 74 Jahren. Dieser Anteil wird aufgrund der [[Demografie|demografischen]] Entwicklung mit der Zeit zunehmen. Schätzungen zufolge soll der Anteil über 75-Jähriger im Jahr 2050 bereits zwei Drittel betragen.<br />
<br />
Ältere Infarktpatienten leiden häufiger an bedeutsamen Begleiterkrankungen wie [[Herzinsuffizienz#Laiensprache und Doppeldeutungen|Herzversagen]], [[Chronisches Nierenversagen|Niereninsuffizienz]] und [[Diabetes mellitus]] (Zuckerkrankheit). Bei ihnen werden öfter Zeichen eines schweren Infarktes wie [[Lungenödem#Lungenstauung|Lungenstauung]] und [[Linksschenkelblock]] festgestellt. Die Zeit zwischen Symptombeginn und Aufnahme im Krankenhaus ist bei ihnen länger und gemessen am Einsatz der [[#Reperfusionstherapie|Reperfusionstherapie]] sowie der Anwendung von [[Betablocker]]n und [[Statin]]en kommt eine leitliniengerechte Therapie seltener zur Anwendung.<ref name="Schuler" /><br />
<br />
Zusätzlich erhöhen kardiale Erkrankungen, wie der Herzinfarkt, auch das Risiko für kognitive Probleme. Vor allem Frauen mit Herzerkrankungen leiden im Alter öfter an einer leichten nicht-amnestischen kognitiven Beeinträchtigung ([[Aphasie|Wortfindungsstörungen]], Aufmerksamkeitsprobleme, Desorientierung usw.).<ref>R. O. Roberts, Y. E. Geda u.&nbsp;a.: ''Cardiac disease associated with increased risk of nonamnestic cognitive impairment: stronger effect on women.'' In: ''JAMA neurology.'' Band 70, Nummer 3, März 2013, S.&nbsp;374–382, [[doi:10.1001/jamaneurol.2013.607]]. PMID 23358884. {{PMC|3734560}}.</ref><br />
<br />
== Geschichte ==<br />
<br />
=== Von den Anfängen bis 1950 ===<br />
<br />
Seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts ist bekannt, dass eine [[Thrombose]] im Herzkranzgefäß zum Tode führen kann. Tierexperimente mit Unterbindung eines Kranzgefäßes und Sektionsbefunde legten nahe, dass die Koronarthrombose ein fatales Ereignis darstellte. Im Mai 1876 diagnostizierte [[Adam Hammer]] in Wien als Erster den Herzinfarkt an einem lebenden Menschen. 1901 wies der Deutsche [[Ludolf von Krehl]] nach, dass sie nicht immer tödlich ausging, die erste ausführliche Beschreibung nicht-tödlicher Herzinfarkte stammt von den Russen ''V. P. Obraztsov'' und ''N. D. Strazhesko'' aus dem Jahr 1910.<ref name="PMID327787">J. E. Muller: ''Diagnosis of myocardial infarction: historical notes from the Soviet Union and the United States.'' In: ''The American journal of cardiology.'' Band 40, Nummer 2, August 1977, S.&nbsp;269–271, PMID 327787.</ref><br />
<br />
1912 bezog sich der US-Amerikaner ''James B. Herrick'' auf diese Veröffentlichung und führte körperliche Ruhe als Therapieprinzip für Infarktpatienten ein. Sie blieb bis in die frühen 1950er Jahre einzige Behandlungsmöglichkeit und wurde konsequent betrieben: Die Patienten durften sich zwei Wochen nicht bewegen und sollten deshalb auch gefüttert werden. Herrick war es auch, der die 1903 vom Holländer [[Willem Einthoven|Einthoven]] entwickelte Elektrokardiografie zur Diagnostik des Herzinfarktes einführte.<br />
<br />
1923 veröffentlichte ''Wearn'' die Beschreibung des Krankheitsverlaufes von 19 Patienten mit Herzinfarkt, denen absolute Bettruhe und eine Beschränkung der Flüssigkeitszufuhr verordnet wurden. Sie erhielten [[Herzglykoside|Digitalispräparate]] gegen eine Lungenstauung sowie [[Koffein]] und [[Campher]] zur Vorbeugung und Behandlung von erniedrigtem Blutdruck, [[Synkope (Medizin)|Synkopen]] und Herzrhythmusstörungen. 1928 beschrieben [[John Parkinson (Kardiologe)|Parkinson]] und [[Evan Bedford|Bedford]] ihre Erfahrungen mit der Schmerzbehandlung durch [[Morphin]] bei 100&nbsp;Infarktpatienten, [[Nitrate]] hielten sie wegen der blutdrucksenkenden Wirkung für kontraindiziert.<br />
<br />
1929 veröffentlichte [[Samuel A. Levine (Mediziner)|Samuel A. Levine]] das erste ausschließlich der Infarktbehandlung gewidmete Fachbuch, in dem unter anderem auf die Bedeutung der Herzrhythmusstörungen eingegangen und [[Chinidin]] gegen [[ventrikuläre Tachykardie]]n und [[Adrenalin]] gegen [[AV-Block|Blockierungen]] empfohlen wurde.<br />
<br />
In den 1950er Jahren wurde der Herzinfarkt bereits als wichtige Todesursache in den Industrieländern angesehen. Wegen der hohen Gefährdung durch Thrombosen und [[Lungenembolie]]n auf Grund der langen Bettruhe gewann das von [[Bernard Lown]] propagierte Konzept einer früheren [[Mobilisation|Mobilisierung]] (''arm chair treatment'') an Bedeutung. Großzügige Flüssigkeitszufuhr und regelmäßige Sauerstoffgabe wurden empfohlen.<ref name="PMID11799435">R. Sarmento-Leite, A. M. Krepsky, C. A. Gottschall: ''Acute myocardial infarction. One century of history.'' In: ''Arquivos brasileiros de cardiologia.'' Band 77, Nummer 6, Dezember 2001, S.&nbsp;593–610, PMID 11799435.</ref><br />
<br />
=== Die „Thrombolyse-Ära“ ===<br />
<br />
Bereits 1948 wurde empfohlen, nach einem überstandenen Herzinfarkt vorbeugend [[Phenprocoumon|Cumarine]] als Antikoagulanzien einzunehmen. Hauptsächlich [[Anthony P. Fletcher|Fletcher]] und [[Marc Verstraete|Verstraete]] wiesen in den 1950er und 1960er Jahren experimentell nach, dass frische Koronarthrombosen medikamentös aufgelöst werden können. 1959 brachten die deutschen [[Behring-Werke]] [[Streptokinase]] auf den Markt, das unter anderem die Lysetherapie beim akuten Herzinfarkt ermöglichte. In den 1970er Jahren waren es dann zwei Arbeitsgruppen um [[Jewgeni Tschasow]] und [[Klaus Peter Rentrop]], die den Nachweis einer erfolgreichen Lysetherapie durch intrakoronare Infusion von Streptokinase führten. Ihre Ergebnisse wurden unterstützt durch Befunde von [[Marcus De Wood|De Wood]], der bei 90 % der Patienten mit ST-Strecken-Hebung okkludierende (das Gefäßlumen verschließende) Koronarthromben nachwies. Anfang der 1980er Jahre wurde deutlich, dass eine intravenöse Infusion der intrakoronaren gleichwertig war, was die Verbreitung der Methode sehr förderte.<br />
<br />
1986 wurde die als ''GISSI-Studie'' bezeichnete erste randomisierte klinische Studie zur Lysetherapie veröffentlicht, die an 11.806 Patienten durchgeführt wurde und eine Senkung der 21-Tage-Sterblichkeit von 13 auf 10,7 % nachwies, was einem geretteten Menschenleben pro 43 Behandlungen entsprach.<ref name="PMID2868337">Gruppo Italiano per lo Studio della Streptochinasi nell'Infarto Miocardico (GISSI): ''Effectiveness of intravenous thrombolytic treatment in acute myocardial infarction.'' In: ''Lancet.'' Band 1, Nummer 8478, Februar 1986, S.&nbsp;397–402, PMID 2868337.</ref><br />
<br />
=== Weiterentwicklung der Therapie ===<br />
<br />
1960 veröffentlichte die ''[[American Heart Association]]'' die ''[[Framingham-Studie]]'', die den Zusammenhang zwischen dem Rauchen und dem Auftreten von Herzinfarkten bewies. Mitte der 1990er Jahre wurde die erst 1977 von [[Andreas Grüntzig]] eingeführte Ballondilatation der Herzkranzgefäße als Therapieoption auch beim akuten Herzinfarkt in größerem Umfang eingesetzt. Heute ist dies die Behandlung der Wahl und wird in Deutschland bei mehr als 200.000 Patienten jährlich angewandt.<br />
<br />
== Myokardinfarkt bei Tieren ==<br />
Anders als beim Menschen wird der Herzmuskelinfarkt bei Tieren nur selten beobachtet. Zudem sind bei Haussäugetieren, im Gegensatz zur meist nichtinfektiösen Genese beim Menschen, vor allem [[Infektion|infektiös]] bedingte [[Endokarditis|Endokarditiden]] der [[Mitralklappe]] mit Abschwemmung von Thromben in die Herzkranzgefäße Auslöser eines Myokardinfarkts.<br />
<br />
Bei Tieren, die auch in menschlicher Obhut ein hohes Alter erreichen, wie etwa [[Haushund]]en, [[Papageien]] und Zootieren (z.&nbsp;B. [[Walross|Pazifisches Walross]]),<ref name="PMID12398303">A. D. Gruber, M. Peters u.&nbsp;a.: ''Atherosclerosis with multifocal myocardial infarction in a Pacific walrus (Odobenus rosmarus divergens Illiger).'' In: ''[[Journal of Zoo and Wildlife Medicine]]'' Band 33, Nummer 2, Juni 2002, S.&nbsp;139–144, PMID 12398303.</ref> sind auch vereinzelt Myokardinfarkte infolge [[Atherosklerose|atherosklerotischer]] Veränderungen wie beim Menschen beschrieben. Beim Hund wird auch eine verminderte Sauerstoffversorgung des Herzmuskels infolge einer [[Amyloidose]] kleiner Herzarterien beobachtet. Diese –&nbsp;in der Regel kleinen&nbsp;– Infarkte bleiben klinisch zumeist unbemerkt und werden als Zufallsbefunde bei pathologischen Untersuchungen relativ häufig als lokale Vernarbungen des Herzmuskels gefunden. Bei [[Hauskatze|Katzen]] scheinen Infarkte vor allem als Komplikation bereits bestehender Herzmuskelerkrankungen ([[Kardiomyopathie|Hypertrophe Kardiomyopathie]]) aufzutreten.<ref>S. Driehuys, T. J. van Winkle, C. D. Sammarco, K. J. Drobatz.: ''Myocardial infarction in dogs and cats: 37 cases (1985–1994).'' In: ''J. Am. Vet. Med. Assoc.'', 1998, 213 (10), S.&nbsp;1444–1448, PMID 9828941.</ref><br />
<br />
Die erhöhte Anfälligkeit des Herzmuskels von [[Hausschwein|Schweinen]] auf Stress ist dagegen nicht auf eine Mangeldurchblutung zurückzuführen, sondern beruht auf einer [[Maligne Hyperthermie#Epidemiologie|massiven und unkontrollierten Calciumfreisetzung innerhalb der Muskelzelle mit Muskeluntergang]] ([[Porcine stress syndrome]]).<br />
<br />
== Literatur ==<br />
* [[Deutsche Gesellschaft für Kardiologie – Herz- und Kreislaufforschung]]: AWMF-Leitlinie 2019–2024: [https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/019-013.html ''Infarkt-bedingter kardiogener Schock – Diagnose, Monitoring und Therapie''].<br />
* [[European Society of Cardiology]]: ESC Clinical Practice Guidelines 2018: [https://www.escardio.org/Guidelines/Clinical-Practice-Guidelines/Fourth-Universal-Definition-of-Myocardial-Infarction K. Thygesen, J. S. Alpert, A. S. Jaffe und andere: ''Fourth Universal Definition of Myocardial Infarction Guidelines'']. In: ''European Heart Journal.'' Band 40, S. 237–269.<br />
* Douglas P. Zipes, Peter Libby, Robert O. Bonow, Douglas L. Mann, Gordon F. Tomaselli: ''Braunwald’s Heart Disease: A Textbook of Cardiovascular Medicine.'' 11. Auflage. Elsevier Health Sciences, Philadelphia 2019, ISBN 978-0-323-55593-7, [https://books.google.de/books?id=LwBGDwAAQBAJ&printsec=frontcover&dq=braunwald's+heart+disease+a+textbook+of+cardiovascular+medicine+11th+edition&hl=de&sa=X&ved=0ahUKEwiQuf7c38npAhVF2aYKHS9gCCcQuwUIMDAA#v=onepage&q=braunwald's%20heart%20disease%20a%20textbook%20of%20cardiovascular%20medicine%2011th%20edition&f=false Vorschau Google Books].<br />
* [[Herbert Reindell]], Helmut Klepzig: ''Krankheiten des Herzens und der Gefäße.'' In: [[Ludwig Heilmeyer]] (Hrsg.): ''Lehrbuch der Inneren Medizin.'' Springer-Verlag, Berlin/Göttingen/Heidelberg 1955; 2. Auflage ebenda 1961, S. 450–598, hier: S. 555–559 (''Der Herzinfarkt'').<br />
<br />
== Weblinks ==<br />
{{Commonscat|Myocardial infarction|Myokardinfarkt}}<br />
{{Wikibooks|Erste Hilfe/ Herzinfarkt|Erste Hilfe bei Herzinfarkt}}<br />
{{Wiktionary|Herzinfarkt}}<br />
* {{Gesundheitsinformation.de|koronare-herzkrankheit.2170.de.html|Herzinfarkt}}<br />
* [http://www.herzstiftung.de/risiko Herzinfarktrisiko online testen] – Deutsche Herzstiftung<br />
<br />
== Einzelnachweise ==<br />
<references responsive /><br />
<br />
{{Gesundheitshinweis}}<br />
<br />
{{Lesenswert|26. Juni 2006|18284409}}<br />
<br />
{{Normdaten|TYP=s|GND=4024654-1|LCCN=sh85059683}}<br />
<br />
[[Kategorie:Krankheitsbild in der Kardiologie]]<br />
[[Kategorie:Krankheitsbild in der Notfallmedizin]]<br />
[[Kategorie:Wikipedia:Artikel mit Video]]</div>Scriptirhttps://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Schlaganfall&diff=243284844Schlaganfall2024-03-20T11:24:03Z<p>Scriptir: </p>
<hr />
<div>{{Weiterleitungshinweis|Stroke|Zu dem gleichnamigen Magazin siehe: [[Stroke (Zeitschrift)]]. Zur Kunstmesse siehe: [[Stroke Art Fair]].}}<br />
{{Infobox ICD<br />
|01-CODE= I64<br />
|01-BEZEICHNUNG= Schlaganfall, nicht als Blutung oder Infarkt bezeichnet<br />
}}<br />
Ein '''Schlaganfall''' (umgangssprachlich auch '''Apoplex''',<ref name=":0">Vgl. hierzu {{Literatur |Autor=Roland Veltkamp et al. |Titel=Akuttherapie des ischämischen Schlaganfalls |Hrsg=Deutsche Gesellschaft für Neurologie |Sammelwerk=Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie |Verlag=Thieme Verlag |Datum=2012-09 |Seiten=2 |Online=https://dnvp9c1uo2095.cloudfront.net/cms-content/030046_akuttherapie_des_ischaemischen_schlaganfalls_2012_1683290005685.pdf}}</ref> kurz für lateinisch '''Apoplexia cerebri'''; {{enS|Stroke}}) ist eine plötzlich einsetzende, von einem [[Herd (Medizin)|Herd]] ausgehende Ausfallerscheinung einer neurologischen Funktion infolge einer Durchblutungsstörung im Gehirn ([[ischämischer Schlaganfall]]) oder einer [[Gehirnblutung]] (hämorrhagischer Schlaganfall). Die Symptome sind abhängig vom betroffenen Gehirnareal und variieren stark. Beispiele sind: Ausfall oder Störung von Sinneseindrücken, Sprachstörungen, Verwirrtheit, Schwindel, Kopfschmerzen oder halbseitige Muskellähmungen. Der Schlaganfall ist ein medizinischer Notfall und sollte ohne jeden Zeitverlust in einem geeigneten Krankenhaus behandelt werden. Typische Therapieverfahren des ischämischen Schlaganfalls sind [[Thrombolyse]] oder eine kathetergeführte [[Thrombektomie|mechanische Rekanalisation]] der betroffenen Gehirngefäße. Eine Gehirnblutung wird [[Neurochirurgie|neurochirurgisch]] behandelt.<br />
<br />
Der Schlaganfall ist weltweit die zweithäufigste Todesursache und der zweithäufigste Grund für [[Behinderung]].<ref name="PMID30879893">''Global, regional, and national burden of neurological disorders, 1990–2016: a systematic analysis for the Global Burden of Disease Study 2016.'' In: ''[[The Lancet]]. Neurology'', Band 18, Nummer 5, 05 2019, S.&nbsp;459–480; [[doi:10.1016/S1474-4422(18)30499-X]], PMID 30879893, {{PMC|6459001}}.</ref><br />
<br />
== Begriff ==<br />
Die Terminologie des Schlaganfalls wurde<ref>Irmgard Hort, [[Axel Karenberg]]: ''Überlegungen salernitanischer Magistri zur Apoplexie.'' In: ''Würzburger medizinhistorische Mitteilungen.'' Band 18, 1999, S. 87–92.</ref> und wird nicht einheitlich benutzt. Gleichbedeutend zum Begriff Schlaganfall sind auch die englischen [[Terminus|Termini]] ''Stroke'', ''Cerebrovascular accident (CVA)'' und ''Cerebrovascular Insult (CVI)''.<ref>Gerhard F. Hamann, Mario Siebler, Wolfgang von Scheidt: ''Schlaganfall: Klinik, Diagnostik, Therapie, Interdisziplinäres Handbuch.'' ecomed Verlagsgesellschaft, 2002, ISBN 3-609-51990-8.</ref> Diese Bezeichnungen werden häufig als Oberbegriff für unterschiedliche neurologische Krankheitsbilder benutzt, deren wichtigste Gemeinsamkeit plötzliche Symptome nach einer auf das Gehirn begrenzten [[Durchblutungsstörung]] sind, wobei der Funktionsverlust definitionsgemäß<ref>Definition der [[Weltgesundheitsorganisation|WHO]]</ref> nicht auf primäre Störungen der Erregbarkeit von Nervenzellen zurückzuführen sein darf (''konvulsive Störung'', siehe [[Epilepsie]]).<br />
<br />
=== Synonyme ===<br />
Es existieren viele veraltete Synonyme. Die Begriffe [[Apoplex]], Apoplexia cerebri und apoplextischer Insult sind veraltet.<ref name=":0" /> Gelegentlich und vor allem in der Schweiz wird das Synonym Hirnschlag verwendet.<ref>{{Literatur |Titel=S2e Leitlinie zur Akuttherapie des ischämischen Schlaganfalls AWMF-Registernummer 030-046 Version 2021 (LANGFASSUNG) |Hrsg=Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.&nbsp;V. & Deutsche Schlaganfall-Gesellschaft e.&nbsp;V. |Verlag=AWMF |Datum=2021-05-10 |Seiten=11 |Online=https://register.awmf.org/assets/guidelines/030-046l_S2e_Akuttherapie-des-ischaemischen-Schlaganfalls_2021-05.pdf}}</ref><br />
{| style="float:left; margin-right:1em;"<br />
|-<br />
|<br />
* Zerebraler Insult<br />
* Insult<br />
* Apoplexia cerebri (veraltet)<ref name=":0" /><br />
* Apoplexie<ref name="pschyrembel">{{Internetquelle |autor=Catherina Lücke |url=https://www.pschyrembel.de/schlaganfall/K0PSS/doc/ |titel=Schlaganfall |werk=pschyrembel.de |hrsg=Pschyrembel online |datum=2020-04 |abruf=2021-11-10}}</ref>(veraltet)<ref name=":0" /><br />
* Apoplektischer Insult<ref name="pschyrembel" />(veraltet)<ref name=":0" /><br />
|-<br />
|}<br />
{| style="float:left; margin-right:1em;"<br />
|<br />
* Gehirninfarkt<ref name="pschyrembel" /><br />
* Gehirnschlag<ref name="pschyrembel" /><br />
* Hirnschlag<ref>[https://www.duden.de/rechtschreibung/Hirnschlag duden.de]</ref><br />
* Schlag<br />
|-<br />
|}<br />
{| style="float:left;"<br />
|<br />
* Ictus apoplecticus (veraltet, von „Schlagfluss“)<br />
* Gutta (veraltet, von mittelhochdeutsch ''gutt'', „Tropfen“)<ref>[[Lorenz Diefenbach]]: ''Glossarium latino-germanicum mediae et infimae aetatis.'' Baer, Frankfurt am Main 1857, S. 271.</ref><br />
|-<br />
|}<br />
<div style="clear:both;"></div><br />
<br />
== Epidemiologie ==<br />
Geschätzt gibt es in Deutschland jährlich etwa 270.000 Schlaganfallneuerkrankungen.<ref>Manio von Maravic: ''Neurologische Notfälle.'' In: Jörg Braun, Roland Preuss (Hrsg.): ''Klinikleitfaden Intensivmedizin.'' 9. Auflage. Elsevier, München 2016, ISBN 978-3-437-23763-8, S. 311–356, hier: S. 312–316 (''Akute zerebrovaskuläre Erkrankungen'').</ref><br />
Jährliche Häufigkeiten in Deutschland:<ref>{{Literatur |Autor=Kommission Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie |Titel=Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie |Auflage=3 |Verlag=Georg Thieme |Ort=Stuttgart |Datum=2005 |ISBN=3-13-132413-9 |Online=https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/030-046.html}}</ref><br />
* durch Minderdurchblutung primär [[Ischämischer Schlaganfall|ischämische Hirninfarkte]] ([[Inzidenz (Epidemiologie)|Inzidenz]] 160–240 Ereignisse/100.000 Einwohner)<br />
* [[Hirnblutung]]en (24/100.000)<br />
* Einblutungen in den das Gehirn umgebenden Liquorraum, sogenannte [[Subarachnoidalblutung]]en (6/100.000)<br />
* Schlaganfälle ungeklärter Ursache (8/100.000)<br />
<br />
Der Schlaganfall gehört zu den häufigsten schweren Erkrankungen in Deutschland, hat eine 1-Jahres-Mortalität von 20 bis 30 % und ist auch eine häufige Todesursache in Deutschland: 2015 stellte das Statistische Bundesamt 56.982 Todesfälle durch zerebrovaskuläre Krankheiten fest, was einem Anteil von 6,2 % entspricht.<ref>[https://www-genesis.destatis.de/genesis/online?sequenz=statistikTabellen&selectionname=23211 Tabelle "Todesursachenstatistik"]. Auf: ''genesis-destatis.de'', abgerufen am 1. Juni 2018.</ref><br />
<br />
Darüber hinaus ist der Schlaganfall mit einer Invaliditätsrate von 30 bis 35 % die häufigste Ursache für mittlere und schwere Behinderung.<br />
<br />
51 % aller Schlaganfälle betrafen bis 2010 die Altersgruppe der über 75-Jährigen. Mit zunehmendem Alter steigt das Schlaganfallrisiko überproportional.<ref>E. Rupp: [https://edoc.ub.uni-muenchen.de/15751/1/Rupp_Eckart.pdf ''Fortschritte in Behandlung und Diagnostik zentraler neurogener Sprachstörungen.''] (PDF; 9,0&nbsp;MB) Dissertation. [[Ludwig-Maximilians-Universität München]], 2. Juli 2010.</ref><br />
<br />
In den USA sind Schlaganfälle die fünfthäufigste Todesursache.<ref>{{Literatur |Autor=Emelia J Benjamin und andere für das ''American Heart Association Statistics Committee and Stroke Statistics Subcommittee'' |Titel=Heart Disease and Stroke Statistics—2017 Update |Sammelwerk=Circulation |Band=135 |Nummer=10 |Datum=2017-03-07 |ISBN= |Seiten=e146–e603 |DOI=10.1161/CIR.0000000000000485}}</ref> Weltweit ist der Schlaganfall eine der häufigsten Ursachen für eine Behinderung.<ref>{{Literatur |Autor=for the GBD 2013 Stroke Panel Experts Group, Gregory A. Roth, Christopher J. L. Murray, Theo Vos, Catherine O. Johnson |Titel=Stroke Prevalence, Mortality and Disability-Adjusted Life Years in Adults Aged 20-64 Years in 1990–2013: Data from the Global Burden of Disease 2013 Study |Sammelwerk=Neuroepidemiology |Band=45 |Nummer=3 |Datum=2015 |ISSN=1423-0208 |Seiten=190–202 |Online=https://www.karger.com/Article/FullText/441098 |Abruf=2018-12-23 |DOI=10.1159/000441098 |PMID=26505983}}</ref> In der GBD 2016 ''(Global Burden of Disease 2016 Lifetime Risk of Stroke<ref>{{Literatur |Autor=GBD 2016 DALYs, HALE Collaborators |Titel=Global, regional, and national disability-adjusted life-years (DALYs) for 333 diseases and injuries and healthy life expectancy (HALE) for 195 countries and territories, 1990–2016: a systematic analysis for the Global Burden of Disease Study 2016 |Sammelwerk=Lancet (London, England) |Band=390 |Nummer=10100 |Datum=2017-09-16 |ISSN=1474-547X |Seiten=1260–1344 |DOI=10.1016/S0140-6736(17)32130-X |PMC=5605707 |PMID=28919118}}</ref>)'' wurde weltweit ein Lebenszeitrisiko für Schlaganfall von 24,9 % ermittelt. Männer hatten mit 24,9 % ein geringfügig geringeres Risiko als Frauen mit 25,1 %. Das Risiko eines ischämischen Schlaganfalls betrug weltweit 18,3 %, das eines hämorrhagischen Apoplex 8,2 %. Das höchste Lebenszeitrisiko bestand in Ost[[asien]] (38,8 %), Zentral[[europa]] (31,7 %) und Osteuropa (31,6 %). Das geringste Risiko bestand im östlichen Subsahara-[[Afrika]] (11,8 %).<ref>{{Literatur |Autor=The GBD 2016 Lifetime Risk of Stroke Collaborators |Titel=Global, Regional, and Country-Specific Lifetime Risks of Stroke, 1990 and 2016 |Sammelwerk=New England Journal of Medicine |Band=379 |Nummer=25 |Datum=2018-12-20 |ISSN=0028-4793 |Seiten=2429–2437 |Online=http://www.nejm.org/doi/10.1056/NEJMoa1804492 |Abruf=2019-02-26 |DOI=10.1056/NEJMoa1804492}}</ref><br />
<br />
== Formen eines Schlaganfalls – Minderdurchblutung oder Blutung ==<br />
{{Hauptartikel|Ischämischer Schlaganfall|Hirnblutung}}<br />
[[Datei:Stroke healthy.jpg|mini|Aktivitätsmuster bei Gesunden und Schlaganfall-Patienten, gemessen mit fMRT]]<br />
<br />
Dem Schlaganfall liegt ein plötzlicher Mangel an Sauerstoff und anderen Substraten für die [[Nervenzelle]]n zugrunde. Grob unterscheiden lassen sich die plötzlich auftretende Minderdurchblutung (Ischämischer Schlaganfall oder Hirninfarkt, früher auch „malacischer Insult“, entstehend durch [[Thrombose]]n, [[Embolie]] oder [[Krampf|Spasmus]]<ref>Immo von Hattingberg: ''Schlaganfall (Apoplexie).'' In: [[Ludwig Heilmeyer]] (Hrsg.): ''Lehrbuch der Inneren Medizin.'' Springer-Verlag, Berlin/Göttingen/Heidelberg 1955; 2. Auflage ebenda 1961, S. 1317–1320.</ref>) und die akute [[Hirnblutung]] ([[Blutung|hämorrhagischer]] Infarkt oder Insult), die sekundär aufgrund ihrer raumfordernden Wirkung bzw. aufgrund des Fehlens des Bluts in nachgeordneten Regionen ebenfalls zu einer [[Ischämie]] führt. Bei primär ischämischen Infarkten kann es ebenfalls zu sekundären Blutungen im Infarktgebiet (hämorrhagische Infarzierung) kommen.<ref>P. L. Kolominsky-Rabas u.&nbsp;a.: ''A prospective community-based study of stroke in Germany--the Erlangen Stroke Project (ESPro): incidence and case fatality at 1, 3, and 12 months.'' In: ''Stroke.'' 29, 1998, S. 2501–2506. PMID 9836758</ref><br />
<br />
Die Unterscheidung zwischen Minderdurchblutung und Blutung ist erst durch bildgebende Verfahren wie die [[Computertomographie]] (CT) oder [[Magnetresonanztomographie]] (MRT, englisch MRI) sicher möglich, wobei in den ersten Stunden beide Bildgebungsmethoden noch unauffällig sein können, dies insbesondere beim primär ischämischen Hirninfarkt. Die Verdachtsdiagnose einer [[Subarachnoidalblutung]], welche infolge einer geplatzten Arterie (zum Beispiel aufgrund eines [[Aneurysma]]s) entsteht, kann – insbesondere bei nur milder Symptomatik (zum Beispiel alleinige Kopfschmerzen) – durch den Nachweis von Blutbestandteilen im [[Liquor cerebrospinalis|Nervenwasser]] bei der [[Lumbalpunktion]] bestätigt werden.<br />
<br />
Minderdurchblutungen, die kürzer als 24 Stunden andauern und von bloßem Auge ohne sichtbare Folgen bleiben, wurden früher als [[transitorische ischämische Attacke]] (TIA) bezeichnet. In den Leitlinien der [[Deutsche Gesellschaft für Neurologie|Deutschen Gesellschaft für Neurologie]] von 2005 wird darauf hingewiesen, dass die klassische Differenzierung von transitorisch ischämischen Attacken (TIA) und vollendeten ischämischen Schlaganfällen als überholt gilt. Gleichwohl wird der Unterschied in manchen Lehrbüchern noch erwähnt. Zwei Gründe dafür sind, dass bei vielen Patienten mit einer sogenannten TIA morphologische Hirnverletzungen nachweisbar sind und dass das Risiko für einen Re-Infarkt nach TIA und vollendetem Schlaganfall etwa gleichermaßen erhöht ist. Abgesehen von der Frage der [[Thrombolyse|Lyse]] sollen sowohl vollendete Schlaganfälle als auch früher als TIA bezeichnete Zustände gleich behandelt werden.<ref>{{Literatur |Autor=Kommission Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie |Titel=Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie |Auflage=3 |Verlag=Georg Thieme |Ort=Stuttgart |Datum=2005 |ISBN=3-13-132413-9 |Online=https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/030-046.html}}</ref> Der Begriff ''(prolongiertes) reversibles ischämisches neurologisches Defizit'' (RIND/PRIND) für länger als 24 Stunden, aber kürzer als drei Wochen anhaltende Befunde soll ebenfalls nicht mehr angewendet werden, da dies bereits einem manifesten Schlaganfall entspricht.<ref>Clearingbericht „Deutsche Leitlinien zum Schlaganfall“, 2005.</ref> Gleiches gilt für die Beschreibung eines ''partiell reversiblen ischämischen neurologischen Syndroms'' (PRINS).<br />
<br />
== Symptome ==<br />
Als Zeichen eines Schlaganfalls können zum Beispiel folgende neurologische Symptome einzeln oder gleichzeitig auftreten:<ref>[http://www.schlaganfall-hilfe.de/symptome ''Symptome''.] schlaganfall-hilfe.de; abgerufen am 29. Mai 2016.</ref><br />
* [[Bewusstseinsstörung]]en ([[Bewusstseinstrübung]], [[Somnolenz]], [[Koma]])<br />
* [[Verwirrtheit]]<br />
* Missempfindungen (z.{{Nnbsp}}B. [[Parästhesie]], [[Hypästhesie]]) an Körperteilen oder einer ganzen Körperhälfte<br />
* [[Lähmung]] oder [[Parese|Schwäche]] im Gesicht, in einem Arm, Bein oder einer ganzen Körperhälfte<br />
* [[Aphasie]], [[Dysarthrie]]<br />
* Schluckstörungen ([[Dysphagie]], vier Grade der NOD = neurogene oropharyngeale Dysphagie)<br />
* schmerzlose [[Sehstörung]] auf einem oder beiden Augen, einseitige [[Pupille]]nerweiterung, [[Anopsie|Gesichtsfeldausfall]], [[Diplopie|Doppelbilder]], [[Blickdeviation]]<br />
* [[Schwindel]], [[Gangstörung]], [[Gleichgewichtssinn|Gleichgewichts]]- oder Koordinationsstörung ([[Ataxie]])<br />
* stärkster [[Kopfschmerz]] ohne erkennbare Ursache bei evtl. entgleistem (überhöhtem) [[Arterielle Hypertonie|Blutdruck]], [[Übelkeit]], [[Emesis|Erbrechen]]<br />
* fehlende Wahrnehmung eines Teils der Umwelt oder des eigenen Körpers ([[Neglect]])<br />
<br />
== Ursachen ==<br />
* [[Arterielle Embolie|arterielle Embolien]] durch [[Thrombus|Blutgerinnsel]]<br />
* [[Thrombose]]n der venösen Abflussgefäße<br />
* [[Vasokonstriktion|Gefäßverengung]] durch [[Vasospasmus|Gefäßverkrampfungen]]<br />
* Gefäßrisse: entweder spontan oder z.&nbsp;B. infolge hohen [[Blutdruck]]s oder vorbestehender Gefäßerkrankung<br />
* Spontanblutungen bei gestörter Blutgerinnung<br />
* Subarachnoidalblutung, sub- oder epidurale [[Hämatom]]e<br />
<br />
== Risikofaktoren ==<br />
Eine an tierischen Fetten reiche Ernährung erhöht das Schlaganfallrisiko. 2021 wertete eine Studie 27 Jahre Daten von 117.000 Probanden aus. Die Studie kam zu dem Schluss, dass Fette aus tierischen Lebensmitteln das Schlaganfallrisiko erhöhen, während solche aus pflanzlichen Lebensmitteln es senken.<ref>Wang F, Baden MY, Rexrode KM, Hu FB. RF160 - Dietary Fat Intake and the Risk of Stroke: Results from Two Prospective Cohort Studies. Abstract presented at: American Heart Association’s Scientific Sessions 2021; November 13-15, 2021; virtual meeting.</ref><ref>{{Internetquelle |url=https://www.eurekalert.org/news-releases/933445 |titel=Vegetable fat may decrease stroke risk, while animal fat increases it |sprache=en |abruf=2021-11-10}}</ref><br />
<br />
== Früherkennung eines erhöhten Schlaganfallrisikos ==<br />
Als Früherkennung wird ein Ultraschall der Halsschlagadern angeboten, der Ablagerungen erkennen und so dazu beitragen soll, das Schlaganfallrisiko zu senken. Der [[IGeL-Monitor]] des MDS ([[Medizinischer Dienst Bund|Medizinischer Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen]]) hat diese Untersuchung mit „tendenziell negativ“ bewertet.<ref>[https://www.igel-monitor.de/igel-a-z/igel/show/ultraschall-der-halsschlagadern-zur-schlaganfallvorsoge.html ''Ultraschall der Halsschlagadern zur Schlaganfallvorsorge''.] IGeL-Monitor; abgerufen am 15. März 2019. Die Bewertung gilt für Menschen ab 50, die keine Beschwerden haben. Mehr zur Bewertung im Dokument [https://www.igel-monitor.de/fileadmin/user_upload/Ultraschall_der_Halsschlagader__Evidenz_ausfuehrlich.pdf ''„Evidenz ausführlich“''.] (PDF; 1,0&nbsp;MB) abgerufen am 15. März 2019.</ref> Denn bei der systematischen Literaturrecherche fanden die Wissenschaftler des IGeL-Monitor keine Studien zu der Frage, ob der Ultraschall die Häufigkeit von Krankheit und Tod durch einen Schlaganfall vermindern kann. Zwar könne die Ultraschalluntersuchung viele Verengungen der Halsschlagader früh erkennen, aber ob die Behandlung dann wirklich dazu führe, dass weniger Menschen einen Schlaganfall bekommen, sei unklar.<ref>[https://www.medical-tribune.de/praxis-und-wirtschaft/ehealth/artikel/igel-monitor-bewertet-ultraschall-der-halsschlagader-zur-schlaganfallvorsorge-tendenziell-negativ/ ''IGeL-Monitor bewertet Ultraschall der Halsschlagader zur Schlaganfallvorsorge tendenziell negativ''.] Medical Tribune, 15. Dezember 2016.</ref> Schäden seien dagegen möglich durch unnötige weitere Untersuchungen und unnötige Behandlungen.<ref>[https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/71536/IGeL-Monitor-lehnt-Ultraschall-der-Halsschlagadern-als-Schlaganfallvorsorge-ab ''IGeL-Monitor lehnt Ultraschall der Halsschlagadern als Schlaganfallvorsorge ab''.] Deutsches Ärzteblatt, 18. November 2016.</ref> Wichtigste Quelle ist eine Übersichtsarbeit von 2014.<ref>D.E. Jonas et al.: [https://www.ncbi.nlm.nih.gov/books/NBK223225/ ''Screening for Asymptomatic Carotid Artery Stenosis''.] 2014. Agency for Healthcare Research and Quality. Screening for Asymptomatic Carotid Artery Stenosis: A Systematic Review and Meta-Analysis for the U.S. Preventive Services Task Force. Evidence Synthesis No. 111. Report No.: No. 13-05178-EF-1.</ref> In der „Leitlinie zur Diagnostik, Therapie und Nachsorge der extracraniellen Carotisstenose“ raten mehrere deutsche Fachgesellschaften aufgrund der Studienlage ebenfalls von einer Reihenuntersuchung ab: „Ein routinemäßiges Screening auf das Vorliegen einer Carotisstenose soll nicht durchgeführt werden.“<ref>H.H. Eckstein et al. [https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/004-028l_S3_Extracranielle_Carotisstenose_2012_abgelaufen.pdf ''S3-Leitlinie zur Diagnostik, Therapie und Nachsorge der extracraniellen Carotisstenose''.] (PDF) AWMF-Register Nr. 004/028. 2012. Siehe auch: Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin: [https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/053-011l_S3_Schlaganfall_2012-abgelaufen.pdf ''Schlaganfall. DEGAM-Leitlinie Nr. 8''.] (PDF) AWMF Register Nr. 053/011. 2012.</ref> Auch vier internationale Leitlinien empfehlen keine Reihenuntersuchung von Menschen ohne Beschwerden und ohne besondere Risikofaktoren.<ref>Ricotta, J.J. et al. Updated Society for Vascular Surgery guidelines for management of extracranial carotid disease. J Vasc Surg, 2011; 54 (3): e1-e31. Royal Australian College of General Practitioners. Guidelines for preventive activities in general practice. 8th edition, 2012.</ref> Bei einem Verdacht oder bei Beschwerden, die auf eine verengte Ader zurückgehen können, ist der Ultraschall Kassenleistung.<br />
<br />
== Diagnostik ==<br />
Die Diagnose des Schlaganfalls wird [[Symptom|klinisch]] gestellt, in der Regel durch einen [[Neurologe]]n. Dieser bedient sich hierfür unterschiedlicher Untersuchungsmethoden, um die zahlreichen unterschiedlichen Funktionen des Gehirns zu überprüfen. Häufig orientieren sich diese Untersuchungen an Scoringsystemen wie der [[National Institutes of Health Stroke Scale]] (NIHSS), die eine quantitative Einschätzung der Schwere des Schlaganfalls ermöglicht. Je nach vermuteter Lokalisation des Schlaganfalls im Gehirn können jedoch auch speziellere Untersuchungen, z.&nbsp;B. des Kleinhirns oder der Hirnnerven, indiziert sein. Bei sich erhärtendem oder zumindest nicht mit Sicherheit ausgeschlossenem Verdacht auf Schlaganfall folgt in jedem Fall eine bildgebende Diagnostik.<br />
<br />
Bildgebende Verfahren wie die [[Computertomographie]] (CT) oder [[Magnetresonanztomographie]] (MRT, englisch MRI) ermöglichen die sofortige Diagnose einer Hirn''blutung''. Beim ischämischen Schlaganfall hingegen kann eine native (d.&nbsp;h. ohne [[Kontrastmittel]]) CT- bzw. MRT-Untersuchung während der ersten Stunden unauffällige Bilder liefern. Je nach Ursache, Lokalisation und Schwere des Schlaganfalls können sich eine [[CT-Angiographie]] (CTA) und eine CT-Perfusion anschließen. [[Diffusions-Tensor-Bildgebung|Diffusionsgewichtete Aufnahmen]] (DW-MRI) ermöglichen in der MRT-Untersuchung schon wenige Minuten nach Beginn des Schlaganfalls eine Darstellung des Infarktgebiets.<br />
<br />
Eine feine [[Subarachnoidalblutung]] kann unter Umständen in den bildgebenden Verfahren unsichtbar sein. Sie kann dann sensitiver durch den Nachweis von Blutbestandteilen im [[Liquor cerebrospinalis|Nervenwasser]] durch eine [[Lumbalpunktion]] festgestellt werden.<br />
<br />
Eine Blutabnahme bei Verdacht auf Schlaganfall ist obligatorisch. Hierbei wird neben einem Blutbild insbesondere der [[Hämostase|Gerinnungsstatus]] bestimmt, zudem die Elektrolyte, Harnstoff, Kreatinin, Blutzucker, Leberwerte, CRP, TSH und andere Laborwerte.<ref>Richard Daikeler, Götz Use, Sylke Waibel: ''Diabetes. Evidenzbasierte Diagnosik und Therapie.'' 10. Auflage. Kitteltaschenbuch, Sinsheim 2015, ISBN 978-3-00-050903-2, S. 111.</ref> Blut-Biomarker (z.&nbsp;B. [[S-100-Proteine|S-100B]], [[Neuronenspezifische Enolase|NSE]], [[Saures Gliafaserprotein|GFAP]]), die auf Schäden des Gehirns hinweisen können, können die Diagnostik ergänzen, sind jedoch nicht spezifisch für einen Schlaganfall und in der Frühphase bisweilen unauffällig.<br />
<br />
Speziell für Rettungsdienstpersonal wurde 1997 die ''Cincinnati Prehospital Stroke Scale'' (CPSS) entwickelt.<ref>M. S. Dittmar, B. Vatankhah, M. Horn: ''Präklinische neurologische Untersuchung von Schlaganfallpatienten.'' In: ''Notarzt.'' 20(5), 2004, S. 163–167. [[doi:10.1055/s-2004-828291]]</ref><ref>{{Webarchiv |url=http://www.strokecenter.org/trials/scales/cincinnati.html |text=Illustrierter Test |wayback=20100731181833}} auf der Internetseite der American Stroke Association.</ref> Diese wird aus drei Kriterien der NIHSS gebildet und soll als ein einfaches Instrument zur Diagnose eines Schlaganfalls dienen. Auch in der Laien-Ausbildung für Erste Hilfe werden die Kriterien der CPSS oft mit dem englischen [[Akronym]] ''FAST'' vermittelt (Face, Arms, Speech, Time).<ref>[http://www.schlaganfall-hilfe.de/notfall schlaganfall-hilfe.de]</ref> Dieser Test besteht aus vier Schritten:<br />
[[Datei:Der FAST-Test. Schlaganfall schnell erkennen.pdf|mini]]<br />
# '''F'''ace (Gesicht): Die Person auffordern, z.&nbsp;B. breit zu lächeln oder die Zähne zu zeigen, da eine [[Fazialislähmung#Gesichtslähmung vom zentralen Typ|gelähmte Gesichtshälfte]] ein Symptom eines Schlaganfalls sein kann. Eine andere Methode ist, die betroffene Person die Backen aufblasen zu lassen und darauf leichten Widerstand auszuüben; betroffene Personen können eine Seite nicht aufblasen oder nicht gegen den Widerstand aufgeblasen halten.<br />
# '''A'''rms (Arme): Die Person wird aufgefordert, beide Arme mit nach oben geöffneten Handflächen nach vorne zu strecken, sodass die Arme ohne Unterstützung im 90°-Winkel zur Körperachse gehalten werden. Bei einer Lähmung kann ein Arm nicht in die verlangte Position gebracht oder in ihr gehalten werden, sinkt oder dreht sich nach innen.<br />
# '''S'''peech (Sprache): Man achtet auf die Aussprache der Person. Sie kann undeutlich oder verlangsamt sein, sich „verwaschen“ anhören, oder die Person scheint Schwierigkeiten zu haben, ihre Gedanken in Worte zu fassen.<br />
# '''T'''ime (Zeit): Besteht der Verdacht eines Schlaganfalls, muss die betroffene Person so schnell wie möglich mit dem Rettungsdienst in eine geeignete Klinik – vorzugsweise in eine ''[[Stroke Unit]]'' – transportiert werden. Langwierige Behandlungen vor Ort („stay and play“) sollten nur dann erfolgen, wenn vor Ort eine ''[[Mobile Stroke Unit]]'' zum Einsatz kommt – ansonsten gilt der Grundsatz „[[Rettungskonzept#Load and Go|Load and Go]]“. Generell muss die Behandlung binnen kürzester Zeit erfolgen, um Hirnschädigungen so gering wie möglich zu halten. Wichtig ist ein Festhalten des zeitlichen Beginns der Symptome und der zeitliche Verlauf (Verschlechterung bzw. Besserung).<br />
Einschränkungen erfährt die CPSS insbesondere durch ihre Fokussierung auf Symptome eines kortikalen Infarkts. Sie ist damit zwar in der Lage, eine Vielzahl von schweren Schlaganfällen mit relativ hoher Sensitivität zu erkennen, verpasst aber unter Umständen seltenere Schlaganfälle in anderen Bereichen. Deshalb wurde vorgeschlagen, das Akronym auf ''BE FAST'' zu erweitern<ref>{{Internetquelle |url=https://pennstatehealthnews.org/2017/05/the-medical-minute-be-fast-to-recognize-stroke-signs/ |titel=The Medical Minute: “BE FAST” to recognize stroke signs |datum=2017-05-04 |abruf=2020-02-18}}</ref>, mit den zusätzlichen Kriterien:<br />
# '''B'''alance (Gleichgewicht): Plötzlich aufgetretene Gleichgewichts- oder Gangstörungen können Symptome eines Schlaganfalls sein.<br />
# '''E'''yes (Augen): Die Person klagt über den plötzlichen Verlust oder Einschränkung der Sehfähigkeit auf einem oder beiden Augen, Doppelbilder, unscharfes Sehen.<br />
<br />
Eine 2021 veröffentlichte Studie, die mit Patienten in den Niederlanden durchgeführt wurde, zeigte, dass bei der präklinischen Schlaganfallerkennung ein Vorgehen nach dem RACE- (Rapid Arterial oCclusion Evaluation), G-FAST- (Gaze, Face, Arms, Speech, Time), oder CG-FAST-Schema (Conveniently-Grasped Field Assessment Stroke Triage) gut geeignet ist, um Schlaganfälle früh zu erkennen.<ref>F. Riederer: [https://www.kup.at/kup/pdf/14886.pdf ''Comparison of eight prehospital stroke scales to detect intracranial large-vessel occlusion in suspected stroke (PRESTO): a prospective observational study''.] (PDF; englisch). In: ''Neurologie, Neurochirurgie und Psychiatrie'', kup.at; abgerufen am 12. Juni 2022</ref><br />
<br />
== Prävention ==<br />
Der persönliche Lebensstil beeinflusst das Risiko, einen Schlaganfall zu erleiden. Vor allem ein normaler [[Blutdruck]], gute [[Blutzucker]]werte und [[Tabakrauchen|Tabak]]-Abstinenz können das Schlaganfallrisiko reduzieren. Allein ein Blutdruck im Normbereich vermindert das Schlaganfallrisiko um 60 Prozent. Weitere Aspekte eines gesunden Lebensstils sind die körperliche Aktivität, die Vermeidung von Übergewicht, normale Cholesterin-Werte und eine gesunde Ernährung.<ref name="DOI10.1161/STROKEAHA.111.000352">A. Kulshreshtha, V. Vaccarino, S. E. Judd, V. J. Howard, W. M. McClellan, P. Muntner, Y. Hong, M. M. Safford, A. Goyal, M. Cushman: ''Life’s Simple 7 and Risk of Incident Stroke: The Reasons for Geographic and Racial Differences in Stroke Study.'' In: ''Stroke.'' 44, 2013, S.&nbsp;1909–1914, [[doi:10.1161/STROKEAHA.111.000352]].</ref> Studien zufolge stellt ein hoher Konsum von Salz einen Risikofaktor dar,<ref>{{Literatur |Autor=P. Strazzullo, L. D’Elia, N. B. Kandala, F. P. Cappuccio |Titel=Salt intake, stroke, and cardiovascular disease: meta-analysis of prospective studies |Sammelwerk=BMJ (Clinical Research Ed.) |Band=339 |Datum=2009-11 |Seiten=b4567 |PMC=2782060 |PMID=19934192}}</ref> der Konsum von Kalium hingegen einen Schutzfaktor.<ref>{{Literatur |Autor=L. D’Elia, G. Barba, F. P. Cappuccio, P. Strazzullo |Titel=Potassium intake, stroke, and cardiovascular disease a meta-analysis of prospective studies |Sammelwerk=Journal of the American College of Cardiology |Band=57 |Nummer=10 |Datum=2011-03 |Seiten=1210–1219 |DOI=10.1016/j.jacc.2010.09.070 |PMID=21371638}}</ref><br />
<br />
Im Rahmen der Ursachensuche und damit im Sinne der Sekundärprävention nach einem Schlaganfall sollte auch nach einem intermittierenden (paroxysmalen) [[Vorhofflimmern]] gesucht werden. Hierbei wird ein Untersuchungszeitraum von 24 bis 72 Stunden empfohlen. Bei Nachweis von auch nur zeitweisem Vorhofflimmern sollte eine Gerinnungshemmung mit [[Phenprocoumon]] oder [[Antikoagulation#Direkte orale Antikoagulanzien (DOAK)|direkten oralen Antikoagulanzien]] (DOAK) erfolgen.<ref>{{Internetquelle |autor=Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) |url=https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/053-011l_S3_Schlaganfall_2012-10.pdf |titel=Leitlinien Schlaganfall |format=PDF |offline=1 |archiv-url=https://web.archive.org/web/20130811025942/http://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/053-011l_S3_Schlaganfall_2012-10.pdf |archiv-datum=2013-08-11 |abruf=2013-12-27}}</ref><br />
<br />
== Erste Hilfe ==<br />
Wenn ein Schlaganfall entdeckt wird es ist erforderlich Notfalldienste anzurufen, um so bald wie möglich professionelle medizinische Hilfe zu erhalten.<br />
<br />
Der Patient muss sitzen oder hinlegen bleiben, mit Ihrem hohen Kopf, in einem ruhigen Zustand, ohne Anstrengungen und ohne Gewalt zu unternehmen, bis Sie eine professionelle medizinische Behandlung erhalten. Die ersten vier Stunden sind von entscheidender Bedeutung, und daher wird die Teilnahme des medizinischen Personals in diesem Zeitraum erwartet.<br />
<br />
Aspirin hat eine hemmende und reduzierende Wirkung in Koagulation, einige Leute empfehlen daher Aspirin zu nehmen (oder einige andere ähnliche Medikamente, die vom Arzt dem Patienten verschrieben wurden) im Falle eines Gehirnangriffs (wie in vielen Fällen von Herzinfarkt),<ref>{{Internetquelle |url=https://web.archive.org/web/20240305092914/http://mayoclinic.org/first-aid/first-aid-heart-attack/basics/art-20056679 |titel=Heart attack: First aid - Mayo Clinic |datum=2024-03-05 |abruf=2024-03-20}}</ref> aber nicht immer das Problem ist ein Gerinnsel, denn der Ursprung des Problems kann der Blutverlust aufgrund der Riss eines Blutgefäßes sein (etwas wahrscheinlicheres in einem Schlaganfall als in einem Herzinfarkt), und in diesem Fall würde das Aspirin es in gewissem Verhältnis fördern.<br />
<br />
Und, über den Schlaganfall, [[Schlaganfall#Prävention|ihre Prävention]], und die medizinischen Untersuchungen um die Faktoren<ref>{{Internetquelle |url=https://web.archive.org/web/20230204045258/https://stroke.org/en/about-stroke/stroke-risk-factors/risk-factors-under-your-control |titel=Risk Factors Under Your Control |sprache=en |abruf=2024-03-20}}</ref> zu überprüfen die es verursachen, sind grundlegend.<br />
<br />
== Therapie ==<br />
Schlaganfallpatienten, auch Verdachtsfälle, sollten unverzüglich ärztlich untersucht werden. Die sogenannte „time-to-needle“ (Zeitspanne, innerhalb derer eine etwaige Lyse-Behandlung [s.&nbsp;u.] begonnen sein muss) liegt bei maximal ''viereinhalb Stunden'' nach Eintritt des Schlaganfalls.<ref>{{Webarchiv |url=http://www.dgn.org/leitlinien-online-2012/inhalte-nach-kapitel/2310-ll-22-2012-akuttherapie-des-ischaemischen-schlaganfalls.html |text=''Akuttherapie des ischämischen Schlaganfalls''. |wayback=20150402102717}} S1-Leitlinie der DGN, September 2012.</ref> Nach dem unverzüglichen Absetzen eines [[Notruf]]s sollte der Patient beobachtet und mit erhöhtem Oberkörper gelagert werden. Zudem sollte er nicht körperlich belastet werden sowie nichts essen und trinken, da [[Aspiration (Medizin)|Aspirationsgefahr]] besteht. Gemeinhin erfolgt ein Notfalltransport mit Rettungswagen – eventuell mit Notarzt – in eine ''[[Stroke Unit]]'' zwecks genauer Diagnostik und entsprechender Behandlung, häufig mittels [[Lysetherapie]]. Allerdings ist die Bezeichnung ''Stroke Unit'' oder auch ''Schlaganfall-Station'' in Deutschland gesetzlich nicht geschützt.<ref>{{Internetquelle |url=https://www.schlaganfall-hilfe.de/de/fuer-betroffene/akutbehandlung/stroke-unit |titel=Versorgung - Spezialstationen für schlaganfallbetroffene Menschen |abruf=2024-02-16}}</ref><br />
<br />
Auf dem Land – mit einer entsprechend geringen Dichte an ''Stroke Units'' – kommt häufig auch ein [[Rettungshubschrauber]] zum Einsatz, da mit diesem ein schnellerer Transport in ein weiter entferntes, dafür geeignetes Krankenhaus durchgeführt werden kann. Zum Teil sind die zurückzulegenden Entfernungen so groß, dass selbst nachts der Einsatz eines [[Intensivtransporthubschrauber]]s, der eine wesentlich höhere Vorlaufzeit als ein Rettungshubschrauber hat, in Erwägung gezogen werden kann. Auch ''[[Mobile Stroke Unit]]s'' (speziell ausgerüstete Rettungswagen) kommen hier zum Teil zum Einsatz.<ref>{{Internetquelle |autor=Alexandra Jane Oliver |url=https://www.spiegel.de/wissenschaft/medizin/spezialambulanz-spart-zeit-bei-der-behandlung-von-schlaganfaellen-a-826668.html |titel=Schlaganfall: Spezial-Rettungswagen beschleunigt Therapie |werk=[[Spiegel Online]] |datum=2012-04-11 |abruf=2018-11-12}}</ref><br />
<br />
Bei hämorrhagischen Schlaganfällen, also Hirnblutungen, ist die Lyse-Behandlung nicht angezeigt. In vielen [[Ischämie]]-Fällen hingegen gelingt es durch die intravenöse Verabreichung von Medikamenten ([[Thrombolyse]]), das [[Thrombus|Blutgerinnsel]] aufzulösen und das Gehirn vor einem dauerhaften Schaden zu bewahren. Eine frühe Thrombolyse verbessert nachweislich die Prognose der Patienten.<ref name="DOI10.1001/jama.2013.6959">Jeffrey L. Saver: ''Time to Treatment With Intravenous Tissue Plasminogen Activator and Outcome From Acute Ischemic Stroke.'' In: ''JAMA.'' 309, 2013, S.&nbsp;2480, [[doi:10.1001/jama.2013.6959]].</ref><br />
<br />
Ein recht neues Verfahren, die [[Neurothrombektomie]], entfernt mechanisch mit einem Katheter ''(neuro thrombectomy catheter<ref>{{Patent| Land=DE| V-Nr=60131859| Code=T2| Titel=Neurothrombektomie Kathether| A-Datum=2001-09-06| V-Datum=2008-11-27| Anmelder=EV3 Endovalcular Inc| Erfinder=Rafael Pintor et al}}</ref>)'' das Blutgerinnsel im Gehirn.<ref>[http://www.innovations-report.de/html/berichte/veranstaltungen/volksleiden_schlaganfall_blutgerinnsel_per_katheter_183153.html www.innovations-report.de]</ref> „Mehr als 60 Prozent der Patienten mit großen Schlaganfällen können nach der Katheterbehandlung bereits nach drei Monaten wieder ein eigenständiges Leben führen. Bei der medikamentösen Therapie liegt diese Quote bei nur etwa 15 Prozent“.<ref>Olav Jansen, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Neurologische Rehabilitation, Direktor des Instituts für [[Neuroradiologie]] am [[Universitätsklinikum Schleswig-Holstein]] in Kiel, 2011.</ref> Insbesondere für Patienten, bei denen das Blutgerinnsel ein großes Gefäß im Gehirn verschließt, ist die Thrombektomie wirkungsvoll. In rund 90 Prozent der Fälle kann das Gefäß wieder eröffnet werden. Die Neurothrombektomie kann allerdings bei nur etwa 10 bis 15 Prozent der ischämischen Schlaganfälle eingesetzt werden. Bislang wird dieses Verfahren in Deutschland in etwa 140 Krankenhäusern angeboten und stetig auf neue Kliniken ausgeweitet (Stand Oktober 2017).<ref>[https://www.zdf.de/verbraucher/volle-kanne/thrombektomie-nach-schlaganfall-100.html ''Neues Verfahren nach Schlaganfall.''] zdf.de; abgerufen am 1. Juni 2018.</ref> Im Lauf des Jahres 2015 zeigten fünf Studien eine Überlegenheit des Katheters gegenüber der medikamentösen Therapie.<ref>{{Literatur |Autor=Mayank Goyal, Bijoy K Menon, Wim H van Zwam, Diederik W J Dippel, Peter J Mitchell |Titel=Endovascular thrombectomy after large-vessel ischaemic stroke: a meta-analysis of individual patient data from five randomised trials |Sammelwerk=The Lancet |Band=387 |Nummer=10029 |Datum=2016-04 |Seiten=1723–1731 |Online=https://linkinghub.elsevier.com/retrieve/pii/S014067361600163X |Abruf=2020-05-22 |DOI=10.1016/S0140-6736(16)00163-X}}</ref><ref>[http://www.dgn.org/presse/pressemitteilungen/50-pressemitteilungen/pressemitteilung-2015/3126-die-mechanische-thrombektomie-eine-revolution-in-der-schlaganfalltherapie ''Die mechanische Thrombektomie: eine Revolution in der Schlaganfalltherapie.'']</ref><br />
<br />
== Rehabilitation ==<br />
[[Datei:Chronic stroke.jpg|mini|Funktionserholung nach großem kortikalen Schlaganfall (fMRT)]]<br />
<br />
Die [[medizinische Rehabilitation]] von Patienten mit [[Zerebrovaskuläre Insuffizienz|zerebrovaskulärer Insuffizienz]] beginnt idealerweise postakut in einer ''Stroke Unit''. Rehabilitative Ansätze wie das des [[Bobath-Konzept]]s erfordern ein hohes Maß an interdisziplinärer Zusammenarbeit und sind bei konsequenter Ausführung für den Rehabilitationsverlauf maßgeblich mitverantwortlich. Ein neuer und wissenschaftlich mehrfach validierter Ansatz ist die „Constraint-Induced Movement Therapy“ (CIMT),<ref>E. Taub, G. Uswatte, R. Pidikiti: ''Constraint-Induced Movement Therapy: a new family of techniques with broad application to physical rehabilitation – a clinical review.'' In: ''J Rehabil Res Dev.'' 6 (3), Jul 1999, S. 237–251.</ref> bei der durch Immobilisation des gesunden Arms für den Großteil der Wachperiode der Patient zum Gebrauch der erkrankten Hand „gezwungen“ wird, wodurch krankhafte Anpassungsphänomene wie der „erlernte Nichtgebrauch“ verhindert werden können. Diese Therapiemethode ist auch bei schwer betroffenen Patienten und im chronischen Stadium einsetzbar. Die Methode ist im deutschsprachigen Raum auch als ''„Taubsche Bewegungsinduktion“'' bekannt.<ref>{{Literatur |Autor=W. H. R. Miltner, E. Taub, H. Bauder |Titel=Behandlung motorischer Störungen nach Schlaganfall – Die Taubsche Bewegungsindikation |Verlag=[[Hogrefe Verlag|Hogrefe]] |Ort=Göttingen |Datum=2001 |ISBN=3-8017-1464-0}}</ref><br />
<br />
Im Zentrum der neurologischen Rehabilitation stehen vor allem Maßnahmen, welche die Körperwahrnehmung des Betroffenen fördern und im besten Falle zur vollständigen Kompensation verlorener Fähigkeiten führen. So werden beispielsweise zur Wiederherstellung der Gehfähigkeit Gangmuster mit [[Physiotherapie|Physiotherapeuten]] eingeübt.<br />
<br />
[[Datei:Gehen mit Orthese nach Schlaganfall 220.jpg|mini|Gehen mit [[Orthese]] nach Schlaganfall]]<br />
Therapiebegleitend kann eine Hilfsmittelversorgung mit [[Orthese]]n erfolgen.<ref>{{Literatur |Autor=S. Hesse, C. Enzinger und andere |Hrsg=H. C. Diener und andere |Titel=Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie, Technische Hilfsmittel |Auflage=5. Auflage |Verlag=Thieme |Ort=Stuttgart |Datum=2012 |ISBN=978-3-13-155455-0}}</ref><ref>{{Literatur |Autor=Gereon Nelles und andere |Hrsg=Deutsche Gesellschaft für Neurologie |Titel=Rehabilitation von sensomotorischen Störungen |Auflage=S2k-Leitlinie |Ort=Berlin |Datum=2018 |Seiten=21 |Online=https://dgn.org/leitlinien/ll-030-123-2018-rehabilitation-von-sensomotorischen-stoerungen/ |Abruf=2021-05-31}}</ref> Klinische Studien belegen den hohen Stellenwert von Orthesen in der Schlaganfallrehabilitation.<ref>{{Literatur |Autor=Maurizio Falso, Eleonora Cattaneo, Elisa Foglia, Marco Zucchini, Franco Zucchini |Hrsg=Journal of Novel Physiotherapy and Rehabilitation |Titel=How does a Personalized Rehabilitative Model influence the Functional Response of Different Ankle Foot Orthoses in a Cohort of Patients Affected by Neurological Gait Pattern? |Band=1 |Verlag=Highten Science |Datum=2017 |ISSN=2573-6264 |Seiten=072-092 |Online=https://www.heighpubs.org/jnpr/jnpr-aid1010.php}}</ref><ref>{{Literatur |Autor=Roy Bowers |Hrsg=Elizabeth Condie, James Campbell, Juan Martina |Titel=Report of a Consensus Conference on the Orthotic Management of Stroke Patients, Non-Articulated Ankle-Foot Ortheses |Verlag=International Society for Prosthetics and Orthotics |Ort=Copenhagen |Datum=2004 |ISBN=87-89809-14-9 |Seiten=87-94 |Sprache=en |Online=https://pure.strath.ac.uk/ws/portalfiles/portal/35599006/Consensus_Conference_On_The_Orthotic_M}}</ref> Mit Hilfe einer Orthese soll physiologisches [[Stehen]] und [[Gehen]] wieder erlernt werden, zudem können Folgeerscheinungen durch ein falsches Gangbild verhindert werden.<ref>{{Literatur |Autor=Elizabeth Condie, Robert James Bowers |Hrsg=John D. Hsu, John W. Michael, John R. Fisk |Titel=Lower limb orthoses for persons who have had a stroke |Sammelwerk=AAOS Atlas of Orthoses and Assistive Devices |Auflage=4. |Verlag=Mosby Elsevier |Ort=Philadelphia |Datum=2008 |ISBN=978-0-323-03931-4 |Seiten=433-440}}</ref><ref>{{Literatur |Autor=Elaine Owen |Hrsg=International Society for Prosthetics and Orthotics |Titel=The Importance of Being Earnest about Shank and Thigh Kinematics especially when using Ankle-Foot Orthoses |Sammelwerk=Prosthetics and Orthotics International |Band=34(3) |Verlag=International Society for Prosthetics and Orthotics |Ort=Brüssel |Datum=2010-09 |ISSN=0309-3646 |Seiten=254-269}}</ref> Im Fall einer [[Hemiparese]] mit einer Bewegungsstörung, die auf einem reduzierten sensorischen Input beruht, kann eine Bewegungskorrektur durch Biofeedback unterstützt werden, das zusätzliche Informationen für die [[Propriozeption]] liefert.<ref>{{Literatur |Autor=K. Genthe, C. Schenck, S. Eicholtz, L. Zajac-Cox, S. Wolf, T. M. Kesar |Titel=Effects of real-time gait biofeedback on paretic propulsion and gait biomechanics in individuals post-stroke |Sammelwerk=Topics in Stroke Rehabilitation |Band=25 |Nummer=3 |Datum=2018-04 |Seiten=186–193 |DOI=10.1080/10749357.2018.1436384 |PMC=5901660 |PMID=29457532}}</ref><ref>{{Literatur |Autor=J. Spencer, S. L. Wolf, T. M. Kesar |Titel=Biofeedback for Post-stroke Gait Retraining: A Review of Current Evidence and Future Research Directions in the Context of Emerging Technologies |Sammelwerk=Frontiers in Neurology |Band=12 |Datum=2021 |Seiten=637199 |DOI=10.3389/fneur.2021.637199 |PMC=8042129 |PMID=33859607}}</ref><ref>{{Internetquelle |url=https://cordis.europa.eu/article/id/231215-a-wearable-device-that-helps-paralysed-patients-walk-again/de |titel=Tragbares Gerät unterstützt Gehversuche gelähmter Patienten |werk=cordis.europa.eu |datum=2017 |abruf=2022-05-26}}</ref><br />
<br />
[[Ergotherapie|Ergotherapeuten]] arbeiten gezielt mit den Patienten an der (teilweisen) Wiederherstellung der [[Sensomotorik|sensomotorischen]], kognitiven und emotionalen Fähigkeiten.<ref>{{Internetquelle |url=https://www.ergotherapie.ch/ergotherapie-de/bei-neurologischen-verletzungen-und-erkrankung-der-neurologie/ |titel=Ergotherapie – bei neurologischen Verletzungen und Erkrankung der Neurologie |abruf=2020-05-07}}</ref><br />
<br />
Die Bedeutung einer gezielten [[Logopädie]] bereits in der Frühphase und über einen langen Zeitraum wird häufig unterschätzt und nur laienhaft angegangen. Für bestimmte Therapiebereiche gibt es bisher kein ausreichendes Angebot im ambulanten Bereich, wie in der Sprachtherapie v.&nbsp;a. bei [[Aphasie]] und Dysarthrie. In der rehabilitativen Therapie ist ein hochfrequentes, repetitives Üben bestimmter Aufgaben sinnvoll, die [[Telerehabilitation]] oder die [[Teletherapie (Telemedizin)|Teletherapie]] ermöglicht eine supervidierte Versorgung von Patienten. Eine intensive Behandlung ist im niedergelassenen Setting nicht zu erbringen. Nur durch Nutzung computergestützter Verfahren kann die Intensität so erhöht werden, dass die sich aus den Vorgaben der Metastudie ergebenden Zielgrößen erreicht werden. Machbarkeitsstudien belegen, dass für etwa 50–60 % der aphasischen Patienten Teletherapie sinnvoll ist. Tatsächlich konnte durch die Teletherapiestudie erstmals gezeigt werden, dass die Therapiefrequenz durch supervidierte Teletherapie ohne Qualitätsverlust so angehoben wird, dass Patienten nachweislich davon profitieren.<br />
<br />
Moderne Ansätze der Neurorehabilitation versuchen krankhafte Hirnaktivität zu beeinflussen. So findet sich bei einigen Patienten eine enthemmte Aktivität der nicht-geschädigten Hemisphäre, welche die motorischen Funktionen der vom Schlaganfall betroffenen Hirnhälfte stört. Eine Reduktion der Überaktivität, zum Beispiel mit Hilfe der [[Transkranielle Magnetstimulation|transkraniellen Magnetstimulation]] (TMS), kann bei einem Teil der Patienten zu einer besseren Funktion der gelähmten Hand führen.<ref>D. A. Nowak, C. Grefkes, G. R. Fink: ''Modern neurophysiological strategies in the rehabilitation of impaired hand function following stroke.'' In: ''Fortschr Neurol Psychiatr.'' 76(6), Jun 2008, S. 354–360.</ref> Derzeit läuft an den [[National Institutes of Health]] (NIH) eine Multicenter-Studie zur Wirksamkeit der Magnetstimulationstherapie in Kombination mit einer pharmakologischen Stimulation mit dem [[Dopamin]]-Präparat „Levo-DOPA“. Durch Letzteres sollen die TMS-Effekte verstärkt werden. Auch andere Medikamente aus der Gruppe der monoaminergen Substanzen wie [[Paroxetin]] (serotonerg), [[Fluoxetin]] (serotonerg) oder [[Reboxetin]] (adrenerg) können Schlaganfall-Defizite [[Temporär|transient]] verbessern, wie in Placebo-kontrollierten Studien gezeigt werden konnte.<ref>J. Pariente, I. Loubinoux, C. Carel, J. F. Albucher, A. Leger, C. Manelfe, O. Rascol, F. Chollet: ''Fluoxetine modulates motor performance and cerebral activation of patients recovering from stroke.'' In: ''Ann Neurol.'' 50 (6), Dez 2001, S. 718–729.</ref> Ein neuer technischer Ansatz zur Verbesserung von Ausfällen besteht in der transkraniellen Gleichstrom-Behandlung (transcranial direct current stimulation, tDCS), was derzeit in mehreren Kliniken, unter anderem in Deutschland, überprüft wird.<ref>F. C. Hummel, B. Voller, P. Celnik, A. Floel, P. Giraux, C. Gerloff, L. G. Cohen: ''Effects of brain polarization on reaction times and pinch force in chronic stroke.'' In: ''BMC Neurosci.'' 7, 3. Nov 2006, S. 73.</ref><br />
<br />
== Langzeitfolgen ==<br />
Schlaganfälle erhöhen wahrscheinlich das Risiko, an einer [[Demenz]] zu erkranken.<ref>{{Internetquelle |url=https://www.pharmazeutische-zeitung.de/ausgabe-302008/schlaganfall-verdoppelt-demenzrisiko/ |titel=Schlaganfall verdoppelt Demenzrisiko |werk=[[Pharmazeutische Zeitung]] |datum=2008-07-22 |abruf=2019-04-03}}</ref><ref>{{Internetquelle |autor=Philip Grätzel von Grätz |url=https://www.aerztezeitung.de/medizin/krankheiten/demenz/article/802338/demenz-nach-apoplex-sekundaerpraevention.html |titel=Demenz nach Apoplex: Sekundärprävention |werk=[[Ärzte Zeitung]] |datum=2012-01-24 |abruf=2019-04-03}}</ref><ref>{{Internetquelle |url=https://www.dw.com/de/auf-schlaganfall-folgt-oft-demenz/a-45903150 |titel=Auf Schlaganfall folgt oft Demenz |werk=[[Deutsche Welle]] |datum=2018-10-16 |abruf=2019-04-03}}</ref><br />
<br />
== Gesundheitsökonomische Aspekte ==<br />
2017 sollen Schlaganfälle in Europa (32 untersuchte Länder) Kosten von etwa 60 Milliarden Euro verursacht haben. Die Studienautoren ermittelten, dass die reine medizinische Versorgung rund 27 Milliarden Euro (45 %) der Kosten ausmachte. Der Produktivitätsverlust habe sich auf 12 Milliarden Euro belaufen, hälftig verursacht durch vorzeitigen Tod und verpasste Arbeitstage. Familienangehörige leisteten rund 1,3 Milliarden Stunden Pflege für ihre erkrankten Verwandten, was etwa 16 Milliarden Euro gekostet haben soll.<br />
<br />
Deutschland habe rund neun Milliarden Euro – und damit 2,6 Prozent der gesamten Gesundheitskosten – für die medizinische Behandlung von Schlaganfallpatienten ausgegeben. Der Produktivitätsverlust lag bei rund 1,5 Milliarden Euro auf Seiten der Erkrankten und knapp 5&nbsp;Milliarden Euro bei den pflegenden Angehörigen.<br />
<br />
Im Rahmen einer bevölkerungsbasierten Gesamtkostenanalyse des Schlaganfalls in 32 europäischen Ländern im Jahr 2017, inklusive der damit verbundenen Einkommensverluste durch Behinderung oder frühen Tod, liegt Deutschland mit 113 Euro pro Einwohner an zweithöchster Stelle. Die Bandbreite der Kosten in den untersuchten Ländern geht von elf Euro in Bulgarien bis zu 140 Euro in Finnland. Mit einbezogen wurden Kosten im Gesundheitssystem, dem Sozialsystem und auch die verursachten Kosten außerhalb dieser Systeme, wie nicht-professionelle Pflege durch Freunde oder Angehörige.<ref name="DOI10.1177/2396987319883160">Ramon Luengo-Fernandez, Mara Violato, Paolo Candio, Shelby D. Reed: ''Economic burden of stroke across Europe: A population-based cost analysis.'' In: ''European stroke journal.'' 2020, Band 5, Nummer 1, S.&nbsp;17–25 [[doi:10.1177/2396987319883160]].</ref><br />
<br />
== Siehe auch ==<br />
Weitere Informationen zu den [[Symptom]]en, der [[Diagnose|Diagnostik]] und der [[Therapie]] finden sich unter:<br />
* [[Ischämischer Schlaganfall]]<br />
* [[Subarachnoidalblutung]]<br />
* [[Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe]]<br />
* [[Modifizierte Rankin-Skala]] als Maß der bleibenden Behinderung nach einem Schlaganfall<br />
* [[European Stroke Conference]]<br />
Weitere Informationen zu Aktionen und [[Veranstaltung]]en finden sich unter:<br />
<br />
* [[Tag gegen den Schlaganfall]]<br />
<br />
Die [[Special-Interest-Zeitschrift]] ''[[not (Magazin)|not]]'' berichtet seit 1992 über Themen aus den Bereichen [[Schädel-Hirn-Trauma]]ta und Schlaganfall-Behandlung.<ref name="media">[https://not-online.de/wp-content/uploads/2021/11/Mediadaten_not_2022_kl.pdf ''Mediadaten 2022''.] (PDF; 160&nbsp;kB), not, abgerufen am 25. Februar 2022.</ref><br />
<br />
== Literatur ==<br />
* K.-F. Gruber-Gerardy, W. Merz, H. Sonnenberg: ''Meilensteine aus der Geschichte des Schlaganfalls. Von Apoplexis, Blutegeln und moderner Sekundärprävention.'' [[Boehringer Ingelheim]], Ingelheim 2005, {{OCLC|891805882}}.<br />
* Jörg Braun, Roland Preuss, Klaus Dalhoff: ''Klinikleitfaden Intensivmedizin.'' 6. Auflage. [[Urban & Fischer]], München / Jena 2005, ISBN 3-437-23760-8 (medizinisches Lehrbuch).<br />
* Manio von Maravic: ''Neurologische Notfälle.'' In: Jörg Braun, Roland Preuss (Hrsg.): ''Klinikleitfaden Intensivmedizin.'' 9. Auflage. Elsevier, München 2016, ISBN 978-3-437-23763-8, S. 311–356, hier: S. 312–324 ''(Schlaganfall und Stroke Unit)''.<br />
* [[Klaus Poeck]], [[Werner Hacke]]: ''Neurologie''. Mit 85 Tabellen [neue Approbationsordnung], 12. Auflage, Springer, Heidelberg 2006, ISBN 3-540-29997-1 (medizinisches Lehrbuch).<br />
* Patricia M. Davies: ''Hemiplegie.'' Ein umfassendes Behandlungskonzept für Patienten nach Schlaganfall und anderen Hirnschädigungen. In: ''Rehabilitation und Prävention.'' 2., vollständig überarbeitete Auflage. Springer, Berlin u.&nbsp;a. 2002, ISBN 3-540-41794-X (Lehrbuch zur krankengymnastischen Rehabilitation nach Schlaganfall).<br />
<br />
== Weblinks ==<br />
{{Commonscat|Stroke|Schlaganfall}}<br />
{{Wiktionary|Gehirnschlag}}<br />
{{Wiktionary}}<br />
{{Wikibooks|Erste Hilfe/ Schlaganfall|Erste Hilfe bei Schlaganfall}}<br />
* [https://www.ars-neurochirurgica.com/tools/nihss-rechner NIHSS Score - Online Rechner]<br />
* {{DNB-Portal|4052588-0}}<br />
* S3-[[Medizinische Leitlinie|Leitlinie]]: ''Schlaganfall'', der [[Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften]] (AWMF), AWMF-Registernummer 053/011 ([https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/053-011.html Volltext.] Stand: 31. Oktober 2012, gültig bis 29. Februar 2016).<br />
<br />
== Einzelnachweise ==<br />
<references /><br />
<br />
{{Gesundheitshinweis}}<br />
{{Normdaten|TYP=s|GND=4052588-0|LCCN=sh85022095}}<br />
<br />
[[Kategorie:Zerebrovaskuläre Störung]]<br />
[[Kategorie:Krankheitsbild in der Neurochirurgie]]<br />
[[Kategorie:Schlaganfall| ]]<br />
[[Kategorie:Krankheitsbild in der Notfallmedizin]]</div>Scriptirhttps://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Schlaganfall&diff=243284737Schlaganfall2024-03-20T11:19:56Z<p>Scriptir: erste Reaktionen</p>
<hr />
<div>{{Weiterleitungshinweis|Stroke|Zu dem gleichnamigen Magazin siehe: [[Stroke (Zeitschrift)]]. Zur Kunstmesse siehe: [[Stroke Art Fair]].}}<br />
{{Infobox ICD<br />
|01-CODE= I64<br />
|01-BEZEICHNUNG= Schlaganfall, nicht als Blutung oder Infarkt bezeichnet<br />
}}<br />
Ein '''Schlaganfall''' (umgangssprachlich auch '''Apoplex''',<ref name=":0">Vgl. hierzu {{Literatur |Autor=Roland Veltkamp et al. |Titel=Akuttherapie des ischämischen Schlaganfalls |Hrsg=Deutsche Gesellschaft für Neurologie |Sammelwerk=Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie |Verlag=Thieme Verlag |Datum=2012-09 |Seiten=2 |Online=https://dnvp9c1uo2095.cloudfront.net/cms-content/030046_akuttherapie_des_ischaemischen_schlaganfalls_2012_1683290005685.pdf}}</ref> kurz für lateinisch '''Apoplexia cerebri'''; {{enS|Stroke}}) ist eine plötzlich einsetzende, von einem [[Herd (Medizin)|Herd]] ausgehende Ausfallerscheinung einer neurologischen Funktion infolge einer Durchblutungsstörung im Gehirn ([[ischämischer Schlaganfall]]) oder einer [[Gehirnblutung]] (hämorrhagischer Schlaganfall). Die Symptome sind abhängig vom betroffenen Gehirnareal und variieren stark. Beispiele sind: Ausfall oder Störung von Sinneseindrücken, Sprachstörungen, Verwirrtheit, Schwindel, Kopfschmerzen oder halbseitige Muskellähmungen. Der Schlaganfall ist ein medizinischer Notfall und sollte ohne jeden Zeitverlust in einem geeigneten Krankenhaus behandelt werden. Typische Therapieverfahren des ischämischen Schlaganfalls sind [[Thrombolyse]] oder eine kathetergeführte [[Thrombektomie|mechanische Rekanalisation]] der betroffenen Gehirngefäße. Eine Gehirnblutung wird [[Neurochirurgie|neurochirurgisch]] behandelt.<br />
<br />
Der Schlaganfall ist weltweit die zweithäufigste Todesursache und der zweithäufigste Grund für [[Behinderung]].<ref name="PMID30879893">''Global, regional, and national burden of neurological disorders, 1990–2016: a systematic analysis for the Global Burden of Disease Study 2016.'' In: ''[[The Lancet]]. Neurology'', Band 18, Nummer 5, 05 2019, S.&nbsp;459–480; [[doi:10.1016/S1474-4422(18)30499-X]], PMID 30879893, {{PMC|6459001}}.</ref><br />
<br />
== Begriff ==<br />
Die Terminologie des Schlaganfalls wurde<ref>Irmgard Hort, [[Axel Karenberg]]: ''Überlegungen salernitanischer Magistri zur Apoplexie.'' In: ''Würzburger medizinhistorische Mitteilungen.'' Band 18, 1999, S. 87–92.</ref> und wird nicht einheitlich benutzt. Gleichbedeutend zum Begriff Schlaganfall sind auch die englischen [[Terminus|Termini]] ''Stroke'', ''Cerebrovascular accident (CVA)'' und ''Cerebrovascular Insult (CVI)''.<ref>Gerhard F. Hamann, Mario Siebler, Wolfgang von Scheidt: ''Schlaganfall: Klinik, Diagnostik, Therapie, Interdisziplinäres Handbuch.'' ecomed Verlagsgesellschaft, 2002, ISBN 3-609-51990-8.</ref> Diese Bezeichnungen werden häufig als Oberbegriff für unterschiedliche neurologische Krankheitsbilder benutzt, deren wichtigste Gemeinsamkeit plötzliche Symptome nach einer auf das Gehirn begrenzten [[Durchblutungsstörung]] sind, wobei der Funktionsverlust definitionsgemäß<ref>Definition der [[Weltgesundheitsorganisation|WHO]]</ref> nicht auf primäre Störungen der Erregbarkeit von Nervenzellen zurückzuführen sein darf (''konvulsive Störung'', siehe [[Epilepsie]]).<br />
<br />
=== Synonyme ===<br />
Es existieren viele veraltete Synonyme. Die Begriffe [[Apoplex]], Apoplexia cerebri und apoplextischer Insult sind veraltet.<ref name=":0" /> Gelegentlich und vor allem in der Schweiz wird das Synonym Hirnschlag verwendet.<ref>{{Literatur |Titel=S2e Leitlinie zur Akuttherapie des ischämischen Schlaganfalls AWMF-Registernummer 030-046 Version 2021 (LANGFASSUNG) |Hrsg=Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.&nbsp;V. & Deutsche Schlaganfall-Gesellschaft e.&nbsp;V. |Verlag=AWMF |Datum=2021-05-10 |Seiten=11 |Online=https://register.awmf.org/assets/guidelines/030-046l_S2e_Akuttherapie-des-ischaemischen-Schlaganfalls_2021-05.pdf}}</ref><br />
{| style="float:left; margin-right:1em;"<br />
|-<br />
|<br />
* Zerebraler Insult<br />
* Insult<br />
* Apoplexia cerebri (veraltet)<ref name=":0" /><br />
* Apoplexie<ref name="pschyrembel">{{Internetquelle |autor=Catherina Lücke |url=https://www.pschyrembel.de/schlaganfall/K0PSS/doc/ |titel=Schlaganfall |werk=pschyrembel.de |hrsg=Pschyrembel online |datum=2020-04 |abruf=2021-11-10}}</ref>(veraltet)<ref name=":0" /><br />
* Apoplektischer Insult<ref name="pschyrembel" />(veraltet)<ref name=":0" /><br />
|-<br />
|}<br />
{| style="float:left; margin-right:1em;"<br />
|<br />
* Gehirninfarkt<ref name="pschyrembel" /><br />
* Gehirnschlag<ref name="pschyrembel" /><br />
* Hirnschlag<ref>[https://www.duden.de/rechtschreibung/Hirnschlag duden.de]</ref><br />
* Schlag<br />
|-<br />
|}<br />
{| style="float:left;"<br />
|<br />
* Ictus apoplecticus (veraltet, von „Schlagfluss“)<br />
* Gutta (veraltet, von mittelhochdeutsch ''gutt'', „Tropfen“)<ref>[[Lorenz Diefenbach]]: ''Glossarium latino-germanicum mediae et infimae aetatis.'' Baer, Frankfurt am Main 1857, S. 271.</ref><br />
|-<br />
|}<br />
<div style="clear:both;"></div><br />
<br />
== Epidemiologie ==<br />
Geschätzt gibt es in Deutschland jährlich etwa 270.000 Schlaganfallneuerkrankungen.<ref>Manio von Maravic: ''Neurologische Notfälle.'' In: Jörg Braun, Roland Preuss (Hrsg.): ''Klinikleitfaden Intensivmedizin.'' 9. Auflage. Elsevier, München 2016, ISBN 978-3-437-23763-8, S. 311–356, hier: S. 312–316 (''Akute zerebrovaskuläre Erkrankungen'').</ref><br />
Jährliche Häufigkeiten in Deutschland:<ref>{{Literatur |Autor=Kommission Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie |Titel=Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie |Auflage=3 |Verlag=Georg Thieme |Ort=Stuttgart |Datum=2005 |ISBN=3-13-132413-9 |Online=https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/030-046.html}}</ref><br />
* durch Minderdurchblutung primär [[Ischämischer Schlaganfall|ischämische Hirninfarkte]] ([[Inzidenz (Epidemiologie)|Inzidenz]] 160–240 Ereignisse/100.000 Einwohner)<br />
* [[Hirnblutung]]en (24/100.000)<br />
* Einblutungen in den das Gehirn umgebenden Liquorraum, sogenannte [[Subarachnoidalblutung]]en (6/100.000)<br />
* Schlaganfälle ungeklärter Ursache (8/100.000)<br />
<br />
Der Schlaganfall gehört zu den häufigsten schweren Erkrankungen in Deutschland, hat eine 1-Jahres-Mortalität von 20 bis 30 % und ist auch eine häufige Todesursache in Deutschland: 2015 stellte das Statistische Bundesamt 56.982 Todesfälle durch zerebrovaskuläre Krankheiten fest, was einem Anteil von 6,2 % entspricht.<ref>[https://www-genesis.destatis.de/genesis/online?sequenz=statistikTabellen&selectionname=23211 Tabelle "Todesursachenstatistik"]. Auf: ''genesis-destatis.de'', abgerufen am 1. Juni 2018.</ref><br />
<br />
Darüber hinaus ist der Schlaganfall mit einer Invaliditätsrate von 30 bis 35 % die häufigste Ursache für mittlere und schwere Behinderung.<br />
<br />
51 % aller Schlaganfälle betrafen bis 2010 die Altersgruppe der über 75-Jährigen. Mit zunehmendem Alter steigt das Schlaganfallrisiko überproportional.<ref>E. Rupp: [https://edoc.ub.uni-muenchen.de/15751/1/Rupp_Eckart.pdf ''Fortschritte in Behandlung und Diagnostik zentraler neurogener Sprachstörungen.''] (PDF; 9,0&nbsp;MB) Dissertation. [[Ludwig-Maximilians-Universität München]], 2. Juli 2010.</ref><br />
<br />
In den USA sind Schlaganfälle die fünfthäufigste Todesursache.<ref>{{Literatur |Autor=Emelia J Benjamin und andere für das ''American Heart Association Statistics Committee and Stroke Statistics Subcommittee'' |Titel=Heart Disease and Stroke Statistics—2017 Update |Sammelwerk=Circulation |Band=135 |Nummer=10 |Datum=2017-03-07 |ISBN= |Seiten=e146–e603 |DOI=10.1161/CIR.0000000000000485}}</ref> Weltweit ist der Schlaganfall eine der häufigsten Ursachen für eine Behinderung.<ref>{{Literatur |Autor=for the GBD 2013 Stroke Panel Experts Group, Gregory A. Roth, Christopher J. L. Murray, Theo Vos, Catherine O. Johnson |Titel=Stroke Prevalence, Mortality and Disability-Adjusted Life Years in Adults Aged 20-64 Years in 1990–2013: Data from the Global Burden of Disease 2013 Study |Sammelwerk=Neuroepidemiology |Band=45 |Nummer=3 |Datum=2015 |ISSN=1423-0208 |Seiten=190–202 |Online=https://www.karger.com/Article/FullText/441098 |Abruf=2018-12-23 |DOI=10.1159/000441098 |PMID=26505983}}</ref> In der GBD 2016 ''(Global Burden of Disease 2016 Lifetime Risk of Stroke<ref>{{Literatur |Autor=GBD 2016 DALYs, HALE Collaborators |Titel=Global, regional, and national disability-adjusted life-years (DALYs) for 333 diseases and injuries and healthy life expectancy (HALE) for 195 countries and territories, 1990–2016: a systematic analysis for the Global Burden of Disease Study 2016 |Sammelwerk=Lancet (London, England) |Band=390 |Nummer=10100 |Datum=2017-09-16 |ISSN=1474-547X |Seiten=1260–1344 |DOI=10.1016/S0140-6736(17)32130-X |PMC=5605707 |PMID=28919118}}</ref>)'' wurde weltweit ein Lebenszeitrisiko für Schlaganfall von 24,9 % ermittelt. Männer hatten mit 24,9 % ein geringfügig geringeres Risiko als Frauen mit 25,1 %. Das Risiko eines ischämischen Schlaganfalls betrug weltweit 18,3 %, das eines hämorrhagischen Apoplex 8,2 %. Das höchste Lebenszeitrisiko bestand in Ost[[asien]] (38,8 %), Zentral[[europa]] (31,7 %) und Osteuropa (31,6 %). Das geringste Risiko bestand im östlichen Subsahara-[[Afrika]] (11,8 %).<ref>{{Literatur |Autor=The GBD 2016 Lifetime Risk of Stroke Collaborators |Titel=Global, Regional, and Country-Specific Lifetime Risks of Stroke, 1990 and 2016 |Sammelwerk=New England Journal of Medicine |Band=379 |Nummer=25 |Datum=2018-12-20 |ISSN=0028-4793 |Seiten=2429–2437 |Online=http://www.nejm.org/doi/10.1056/NEJMoa1804492 |Abruf=2019-02-26 |DOI=10.1056/NEJMoa1804492}}</ref><br />
<br />
== Formen eines Schlaganfalls – Minderdurchblutung oder Blutung ==<br />
{{Hauptartikel|Ischämischer Schlaganfall|Hirnblutung}}<br />
[[Datei:Stroke healthy.jpg|mini|Aktivitätsmuster bei Gesunden und Schlaganfall-Patienten, gemessen mit fMRT]]<br />
<br />
Dem Schlaganfall liegt ein plötzlicher Mangel an Sauerstoff und anderen Substraten für die [[Nervenzelle]]n zugrunde. Grob unterscheiden lassen sich die plötzlich auftretende Minderdurchblutung (Ischämischer Schlaganfall oder Hirninfarkt, früher auch „malacischer Insult“, entstehend durch [[Thrombose]]n, [[Embolie]] oder [[Krampf|Spasmus]]<ref>Immo von Hattingberg: ''Schlaganfall (Apoplexie).'' In: [[Ludwig Heilmeyer]] (Hrsg.): ''Lehrbuch der Inneren Medizin.'' Springer-Verlag, Berlin/Göttingen/Heidelberg 1955; 2. Auflage ebenda 1961, S. 1317–1320.</ref>) und die akute [[Hirnblutung]] ([[Blutung|hämorrhagischer]] Infarkt oder Insult), die sekundär aufgrund ihrer raumfordernden Wirkung bzw. aufgrund des Fehlens des Bluts in nachgeordneten Regionen ebenfalls zu einer [[Ischämie]] führt. Bei primär ischämischen Infarkten kann es ebenfalls zu sekundären Blutungen im Infarktgebiet (hämorrhagische Infarzierung) kommen.<ref>P. L. Kolominsky-Rabas u.&nbsp;a.: ''A prospective community-based study of stroke in Germany--the Erlangen Stroke Project (ESPro): incidence and case fatality at 1, 3, and 12 months.'' In: ''Stroke.'' 29, 1998, S. 2501–2506. PMID 9836758</ref><br />
<br />
Die Unterscheidung zwischen Minderdurchblutung und Blutung ist erst durch bildgebende Verfahren wie die [[Computertomographie]] (CT) oder [[Magnetresonanztomographie]] (MRT, englisch MRI) sicher möglich, wobei in den ersten Stunden beide Bildgebungsmethoden noch unauffällig sein können, dies insbesondere beim primär ischämischen Hirninfarkt. Die Verdachtsdiagnose einer [[Subarachnoidalblutung]], welche infolge einer geplatzten Arterie (zum Beispiel aufgrund eines [[Aneurysma]]s) entsteht, kann – insbesondere bei nur milder Symptomatik (zum Beispiel alleinige Kopfschmerzen) – durch den Nachweis von Blutbestandteilen im [[Liquor cerebrospinalis|Nervenwasser]] bei der [[Lumbalpunktion]] bestätigt werden.<br />
<br />
Minderdurchblutungen, die kürzer als 24 Stunden andauern und von bloßem Auge ohne sichtbare Folgen bleiben, wurden früher als [[transitorische ischämische Attacke]] (TIA) bezeichnet. In den Leitlinien der [[Deutsche Gesellschaft für Neurologie|Deutschen Gesellschaft für Neurologie]] von 2005 wird darauf hingewiesen, dass die klassische Differenzierung von transitorisch ischämischen Attacken (TIA) und vollendeten ischämischen Schlaganfällen als überholt gilt. Gleichwohl wird der Unterschied in manchen Lehrbüchern noch erwähnt. Zwei Gründe dafür sind, dass bei vielen Patienten mit einer sogenannten TIA morphologische Hirnverletzungen nachweisbar sind und dass das Risiko für einen Re-Infarkt nach TIA und vollendetem Schlaganfall etwa gleichermaßen erhöht ist. Abgesehen von der Frage der [[Thrombolyse|Lyse]] sollen sowohl vollendete Schlaganfälle als auch früher als TIA bezeichnete Zustände gleich behandelt werden.<ref>{{Literatur |Autor=Kommission Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie |Titel=Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie |Auflage=3 |Verlag=Georg Thieme |Ort=Stuttgart |Datum=2005 |ISBN=3-13-132413-9 |Online=https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/030-046.html}}</ref> Der Begriff ''(prolongiertes) reversibles ischämisches neurologisches Defizit'' (RIND/PRIND) für länger als 24 Stunden, aber kürzer als drei Wochen anhaltende Befunde soll ebenfalls nicht mehr angewendet werden, da dies bereits einem manifesten Schlaganfall entspricht.<ref>Clearingbericht „Deutsche Leitlinien zum Schlaganfall“, 2005.</ref> Gleiches gilt für die Beschreibung eines ''partiell reversiblen ischämischen neurologischen Syndroms'' (PRINS).<br />
<br />
== Symptome ==<br />
Als Zeichen eines Schlaganfalls können zum Beispiel folgende neurologische Symptome einzeln oder gleichzeitig auftreten:<ref>[http://www.schlaganfall-hilfe.de/symptome ''Symptome''.] schlaganfall-hilfe.de; abgerufen am 29. Mai 2016.</ref><br />
* [[Bewusstseinsstörung]]en ([[Bewusstseinstrübung]], [[Somnolenz]], [[Koma]])<br />
* [[Verwirrtheit]]<br />
* Missempfindungen (z.{{Nnbsp}}B. [[Parästhesie]], [[Hypästhesie]]) an Körperteilen oder einer ganzen Körperhälfte<br />
* [[Lähmung]] oder [[Parese|Schwäche]] im Gesicht, in einem Arm, Bein oder einer ganzen Körperhälfte<br />
* [[Aphasie]], [[Dysarthrie]]<br />
* Schluckstörungen ([[Dysphagie]], vier Grade der NOD = neurogene oropharyngeale Dysphagie)<br />
* schmerzlose [[Sehstörung]] auf einem oder beiden Augen, einseitige [[Pupille]]nerweiterung, [[Anopsie|Gesichtsfeldausfall]], [[Diplopie|Doppelbilder]], [[Blickdeviation]]<br />
* [[Schwindel]], [[Gangstörung]], [[Gleichgewichtssinn|Gleichgewichts]]- oder Koordinationsstörung ([[Ataxie]])<br />
* stärkster [[Kopfschmerz]] ohne erkennbare Ursache bei evtl. entgleistem (überhöhtem) [[Arterielle Hypertonie|Blutdruck]], [[Übelkeit]], [[Emesis|Erbrechen]]<br />
* fehlende Wahrnehmung eines Teils der Umwelt oder des eigenen Körpers ([[Neglect]])<br />
<br />
== Ursachen ==<br />
* [[Arterielle Embolie|arterielle Embolien]] durch [[Thrombus|Blutgerinnsel]]<br />
* [[Thrombose]]n der venösen Abflussgefäße<br />
* [[Vasokonstriktion|Gefäßverengung]] durch [[Vasospasmus|Gefäßverkrampfungen]]<br />
* Gefäßrisse: entweder spontan oder z.&nbsp;B. infolge hohen [[Blutdruck]]s oder vorbestehender Gefäßerkrankung<br />
* Spontanblutungen bei gestörter Blutgerinnung<br />
* Subarachnoidalblutung, sub- oder epidurale [[Hämatom]]e<br />
<br />
== Risikofaktoren ==<br />
Eine an tierischen Fetten reiche Ernährung erhöht das Schlaganfallrisiko. 2021 wertete eine Studie 27 Jahre Daten von 117.000 Probanden aus. Die Studie kam zu dem Schluss, dass Fette aus tierischen Lebensmitteln das Schlaganfallrisiko erhöhen, während solche aus pflanzlichen Lebensmitteln es senken.<ref>Wang F, Baden MY, Rexrode KM, Hu FB. RF160 - Dietary Fat Intake and the Risk of Stroke: Results from Two Prospective Cohort Studies. Abstract presented at: American Heart Association’s Scientific Sessions 2021; November 13-15, 2021; virtual meeting.</ref><ref>{{Internetquelle |url=https://www.eurekalert.org/news-releases/933445 |titel=Vegetable fat may decrease stroke risk, while animal fat increases it |sprache=en |abruf=2021-11-10}}</ref><br />
<br />
== Früherkennung eines erhöhten Schlaganfallrisikos ==<br />
Als Früherkennung wird ein Ultraschall der Halsschlagadern angeboten, der Ablagerungen erkennen und so dazu beitragen soll, das Schlaganfallrisiko zu senken. Der [[IGeL-Monitor]] des MDS ([[Medizinischer Dienst Bund|Medizinischer Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen]]) hat diese Untersuchung mit „tendenziell negativ“ bewertet.<ref>[https://www.igel-monitor.de/igel-a-z/igel/show/ultraschall-der-halsschlagadern-zur-schlaganfallvorsoge.html ''Ultraschall der Halsschlagadern zur Schlaganfallvorsorge''.] IGeL-Monitor; abgerufen am 15. März 2019. Die Bewertung gilt für Menschen ab 50, die keine Beschwerden haben. Mehr zur Bewertung im Dokument [https://www.igel-monitor.de/fileadmin/user_upload/Ultraschall_der_Halsschlagader__Evidenz_ausfuehrlich.pdf ''„Evidenz ausführlich“''.] (PDF; 1,0&nbsp;MB) abgerufen am 15. März 2019.</ref> Denn bei der systematischen Literaturrecherche fanden die Wissenschaftler des IGeL-Monitor keine Studien zu der Frage, ob der Ultraschall die Häufigkeit von Krankheit und Tod durch einen Schlaganfall vermindern kann. Zwar könne die Ultraschalluntersuchung viele Verengungen der Halsschlagader früh erkennen, aber ob die Behandlung dann wirklich dazu führe, dass weniger Menschen einen Schlaganfall bekommen, sei unklar.<ref>[https://www.medical-tribune.de/praxis-und-wirtschaft/ehealth/artikel/igel-monitor-bewertet-ultraschall-der-halsschlagader-zur-schlaganfallvorsorge-tendenziell-negativ/ ''IGeL-Monitor bewertet Ultraschall der Halsschlagader zur Schlaganfallvorsorge tendenziell negativ''.] Medical Tribune, 15. Dezember 2016.</ref> Schäden seien dagegen möglich durch unnötige weitere Untersuchungen und unnötige Behandlungen.<ref>[https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/71536/IGeL-Monitor-lehnt-Ultraschall-der-Halsschlagadern-als-Schlaganfallvorsorge-ab ''IGeL-Monitor lehnt Ultraschall der Halsschlagadern als Schlaganfallvorsorge ab''.] Deutsches Ärzteblatt, 18. November 2016.</ref> Wichtigste Quelle ist eine Übersichtsarbeit von 2014.<ref>D.E. Jonas et al.: [https://www.ncbi.nlm.nih.gov/books/NBK223225/ ''Screening for Asymptomatic Carotid Artery Stenosis''.] 2014. Agency for Healthcare Research and Quality. Screening for Asymptomatic Carotid Artery Stenosis: A Systematic Review and Meta-Analysis for the U.S. Preventive Services Task Force. Evidence Synthesis No. 111. Report No.: No. 13-05178-EF-1.</ref> In der „Leitlinie zur Diagnostik, Therapie und Nachsorge der extracraniellen Carotisstenose“ raten mehrere deutsche Fachgesellschaften aufgrund der Studienlage ebenfalls von einer Reihenuntersuchung ab: „Ein routinemäßiges Screening auf das Vorliegen einer Carotisstenose soll nicht durchgeführt werden.“<ref>H.H. Eckstein et al. [https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/004-028l_S3_Extracranielle_Carotisstenose_2012_abgelaufen.pdf ''S3-Leitlinie zur Diagnostik, Therapie und Nachsorge der extracraniellen Carotisstenose''.] (PDF) AWMF-Register Nr. 004/028. 2012. Siehe auch: Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin: [https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/053-011l_S3_Schlaganfall_2012-abgelaufen.pdf ''Schlaganfall. DEGAM-Leitlinie Nr. 8''.] (PDF) AWMF Register Nr. 053/011. 2012.</ref> Auch vier internationale Leitlinien empfehlen keine Reihenuntersuchung von Menschen ohne Beschwerden und ohne besondere Risikofaktoren.<ref>Ricotta, J.J. et al. Updated Society for Vascular Surgery guidelines for management of extracranial carotid disease. J Vasc Surg, 2011; 54 (3): e1-e31. Royal Australian College of General Practitioners. Guidelines for preventive activities in general practice. 8th edition, 2012.</ref> Bei einem Verdacht oder bei Beschwerden, die auf eine verengte Ader zurückgehen können, ist der Ultraschall Kassenleistung.<br />
<br />
== Diagnostik ==<br />
Die Diagnose des Schlaganfalls wird [[Symptom|klinisch]] gestellt, in der Regel durch einen [[Neurologe]]n. Dieser bedient sich hierfür unterschiedlicher Untersuchungsmethoden, um die zahlreichen unterschiedlichen Funktionen des Gehirns zu überprüfen. Häufig orientieren sich diese Untersuchungen an Scoringsystemen wie der [[National Institutes of Health Stroke Scale]] (NIHSS), die eine quantitative Einschätzung der Schwere des Schlaganfalls ermöglicht. Je nach vermuteter Lokalisation des Schlaganfalls im Gehirn können jedoch auch speziellere Untersuchungen, z.&nbsp;B. des Kleinhirns oder der Hirnnerven, indiziert sein. Bei sich erhärtendem oder zumindest nicht mit Sicherheit ausgeschlossenem Verdacht auf Schlaganfall folgt in jedem Fall eine bildgebende Diagnostik.<br />
<br />
Bildgebende Verfahren wie die [[Computertomographie]] (CT) oder [[Magnetresonanztomographie]] (MRT, englisch MRI) ermöglichen die sofortige Diagnose einer Hirn''blutung''. Beim ischämischen Schlaganfall hingegen kann eine native (d.&nbsp;h. ohne [[Kontrastmittel]]) CT- bzw. MRT-Untersuchung während der ersten Stunden unauffällige Bilder liefern. Je nach Ursache, Lokalisation und Schwere des Schlaganfalls können sich eine [[CT-Angiographie]] (CTA) und eine CT-Perfusion anschließen. [[Diffusions-Tensor-Bildgebung|Diffusionsgewichtete Aufnahmen]] (DW-MRI) ermöglichen in der MRT-Untersuchung schon wenige Minuten nach Beginn des Schlaganfalls eine Darstellung des Infarktgebiets.<br />
<br />
Eine feine [[Subarachnoidalblutung]] kann unter Umständen in den bildgebenden Verfahren unsichtbar sein. Sie kann dann sensitiver durch den Nachweis von Blutbestandteilen im [[Liquor cerebrospinalis|Nervenwasser]] durch eine [[Lumbalpunktion]] festgestellt werden.<br />
<br />
Eine Blutabnahme bei Verdacht auf Schlaganfall ist obligatorisch. Hierbei wird neben einem Blutbild insbesondere der [[Hämostase|Gerinnungsstatus]] bestimmt, zudem die Elektrolyte, Harnstoff, Kreatinin, Blutzucker, Leberwerte, CRP, TSH und andere Laborwerte.<ref>Richard Daikeler, Götz Use, Sylke Waibel: ''Diabetes. Evidenzbasierte Diagnosik und Therapie.'' 10. Auflage. Kitteltaschenbuch, Sinsheim 2015, ISBN 978-3-00-050903-2, S. 111.</ref> Blut-Biomarker (z.&nbsp;B. [[S-100-Proteine|S-100B]], [[Neuronenspezifische Enolase|NSE]], [[Saures Gliafaserprotein|GFAP]]), die auf Schäden des Gehirns hinweisen können, können die Diagnostik ergänzen, sind jedoch nicht spezifisch für einen Schlaganfall und in der Frühphase bisweilen unauffällig.<br />
<br />
Speziell für Rettungsdienstpersonal wurde 1997 die ''Cincinnati Prehospital Stroke Scale'' (CPSS) entwickelt.<ref>M. S. Dittmar, B. Vatankhah, M. Horn: ''Präklinische neurologische Untersuchung von Schlaganfallpatienten.'' In: ''Notarzt.'' 20(5), 2004, S. 163–167. [[doi:10.1055/s-2004-828291]]</ref><ref>{{Webarchiv |url=http://www.strokecenter.org/trials/scales/cincinnati.html |text=Illustrierter Test |wayback=20100731181833}} auf der Internetseite der American Stroke Association.</ref> Diese wird aus drei Kriterien der NIHSS gebildet und soll als ein einfaches Instrument zur Diagnose eines Schlaganfalls dienen. Auch in der Laien-Ausbildung für Erste Hilfe werden die Kriterien der CPSS oft mit dem englischen [[Akronym]] ''FAST'' vermittelt (Face, Arms, Speech, Time).<ref>[http://www.schlaganfall-hilfe.de/notfall schlaganfall-hilfe.de]</ref> Dieser Test besteht aus vier Schritten:<br />
[[Datei:Der FAST-Test. Schlaganfall schnell erkennen.pdf|mini]]<br />
# '''F'''ace (Gesicht): Die Person auffordern, z.&nbsp;B. breit zu lächeln oder die Zähne zu zeigen, da eine [[Fazialislähmung#Gesichtslähmung vom zentralen Typ|gelähmte Gesichtshälfte]] ein Symptom eines Schlaganfalls sein kann. Eine andere Methode ist, die betroffene Person die Backen aufblasen zu lassen und darauf leichten Widerstand auszuüben; betroffene Personen können eine Seite nicht aufblasen oder nicht gegen den Widerstand aufgeblasen halten.<br />
# '''A'''rms (Arme): Die Person wird aufgefordert, beide Arme mit nach oben geöffneten Handflächen nach vorne zu strecken, sodass die Arme ohne Unterstützung im 90°-Winkel zur Körperachse gehalten werden. Bei einer Lähmung kann ein Arm nicht in die verlangte Position gebracht oder in ihr gehalten werden, sinkt oder dreht sich nach innen.<br />
# '''S'''peech (Sprache): Man achtet auf die Aussprache der Person. Sie kann undeutlich oder verlangsamt sein, sich „verwaschen“ anhören, oder die Person scheint Schwierigkeiten zu haben, ihre Gedanken in Worte zu fassen.<br />
# '''T'''ime (Zeit): Besteht der Verdacht eines Schlaganfalls, muss die betroffene Person so schnell wie möglich mit dem Rettungsdienst in eine geeignete Klinik – vorzugsweise in eine ''[[Stroke Unit]]'' – transportiert werden. Langwierige Behandlungen vor Ort („stay and play“) sollten nur dann erfolgen, wenn vor Ort eine ''[[Mobile Stroke Unit]]'' zum Einsatz kommt – ansonsten gilt der Grundsatz „[[Rettungskonzept#Load and Go|Load and Go]]“. Generell muss die Behandlung binnen kürzester Zeit erfolgen, um Hirnschädigungen so gering wie möglich zu halten. Wichtig ist ein Festhalten des zeitlichen Beginns der Symptome und der zeitliche Verlauf (Verschlechterung bzw. Besserung).<br />
Einschränkungen erfährt die CPSS insbesondere durch ihre Fokussierung auf Symptome eines kortikalen Infarkts. Sie ist damit zwar in der Lage, eine Vielzahl von schweren Schlaganfällen mit relativ hoher Sensitivität zu erkennen, verpasst aber unter Umständen seltenere Schlaganfälle in anderen Bereichen. Deshalb wurde vorgeschlagen, das Akronym auf ''BE FAST'' zu erweitern<ref>{{Internetquelle |url=https://pennstatehealthnews.org/2017/05/the-medical-minute-be-fast-to-recognize-stroke-signs/ |titel=The Medical Minute: “BE FAST” to recognize stroke signs |datum=2017-05-04 |abruf=2020-02-18}}</ref>, mit den zusätzlichen Kriterien:<br />
# '''B'''alance (Gleichgewicht): Plötzlich aufgetretene Gleichgewichts- oder Gangstörungen können Symptome eines Schlaganfalls sein.<br />
# '''E'''yes (Augen): Die Person klagt über den plötzlichen Verlust oder Einschränkung der Sehfähigkeit auf einem oder beiden Augen, Doppelbilder, unscharfes Sehen.<br />
<br />
Eine 2021 veröffentlichte Studie, die mit Patienten in den Niederlanden durchgeführt wurde, zeigte, dass bei der präklinischen Schlaganfallerkennung ein Vorgehen nach dem RACE- (Rapid Arterial oCclusion Evaluation), G-FAST- (Gaze, Face, Arms, Speech, Time), oder CG-FAST-Schema (Conveniently-Grasped Field Assessment Stroke Triage) gut geeignet ist, um Schlaganfälle früh zu erkennen.<ref>F. Riederer: [https://www.kup.at/kup/pdf/14886.pdf ''Comparison of eight prehospital stroke scales to detect intracranial large-vessel occlusion in suspected stroke (PRESTO): a prospective observational study''.] (PDF; englisch). In: ''Neurologie, Neurochirurgie und Psychiatrie'', kup.at; abgerufen am 12. Juni 2022</ref><br />
<br />
== Prävention ==<br />
Der persönliche Lebensstil beeinflusst das Risiko, einen Schlaganfall zu erleiden. Vor allem ein normaler [[Blutdruck]], gute [[Blutzucker]]werte und [[Tabakrauchen|Tabak]]-Abstinenz können das Schlaganfallrisiko reduzieren. Allein ein Blutdruck im Normbereich vermindert das Schlaganfallrisiko um 60 Prozent. Weitere Aspekte eines gesunden Lebensstils sind die körperliche Aktivität, die Vermeidung von Übergewicht, normale Cholesterin-Werte und eine gesunde Ernährung.<ref name="DOI10.1161/STROKEAHA.111.000352">A. Kulshreshtha, V. Vaccarino, S. E. Judd, V. J. Howard, W. M. McClellan, P. Muntner, Y. Hong, M. M. Safford, A. Goyal, M. Cushman: ''Life’s Simple 7 and Risk of Incident Stroke: The Reasons for Geographic and Racial Differences in Stroke Study.'' In: ''Stroke.'' 44, 2013, S.&nbsp;1909–1914, [[doi:10.1161/STROKEAHA.111.000352]].</ref> Studien zufolge stellt ein hoher Konsum von Salz einen Risikofaktor dar,<ref>{{Literatur |Autor=P. Strazzullo, L. D’Elia, N. B. Kandala, F. P. Cappuccio |Titel=Salt intake, stroke, and cardiovascular disease: meta-analysis of prospective studies |Sammelwerk=BMJ (Clinical Research Ed.) |Band=339 |Datum=2009-11 |Seiten=b4567 |PMC=2782060 |PMID=19934192}}</ref> der Konsum von Kalium hingegen einen Schutzfaktor.<ref>{{Literatur |Autor=L. D’Elia, G. Barba, F. P. Cappuccio, P. Strazzullo |Titel=Potassium intake, stroke, and cardiovascular disease a meta-analysis of prospective studies |Sammelwerk=Journal of the American College of Cardiology |Band=57 |Nummer=10 |Datum=2011-03 |Seiten=1210–1219 |DOI=10.1016/j.jacc.2010.09.070 |PMID=21371638}}</ref><br />
<br />
Im Rahmen der Ursachensuche und damit im Sinne der Sekundärprävention nach einem Schlaganfall sollte auch nach einem intermittierenden (paroxysmalen) [[Vorhofflimmern]] gesucht werden. Hierbei wird ein Untersuchungszeitraum von 24 bis 72 Stunden empfohlen. Bei Nachweis von auch nur zeitweisem Vorhofflimmern sollte eine Gerinnungshemmung mit [[Phenprocoumon]] oder [[Antikoagulation#Direkte orale Antikoagulanzien (DOAK)|direkten oralen Antikoagulanzien]] (DOAK) erfolgen.<ref>{{Internetquelle |autor=Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) |url=https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/053-011l_S3_Schlaganfall_2012-10.pdf |titel=Leitlinien Schlaganfall |format=PDF |offline=1 |archiv-url=https://web.archive.org/web/20130811025942/http://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/053-011l_S3_Schlaganfall_2012-10.pdf |archiv-datum=2013-08-11 |abruf=2013-12-27}}</ref><br />
<br />
== Erste Hilfe ==<br />
Wenn ein Schlaganfall entdeckt wird, es ist erforderlich, Notfalldienste anzurufen, um so bald wie möglich professionelle medizinische Hilfe zu erhalten.<br />
<br />
Der Patient muss sitzen oder hinlegen bleiben, mit Ihrem hohen Kopf, in einem ruhigen Zustand, ohne Anstrengungen und ohne Gewalt zu unternehmen, bis Sie eine professionelle medizinische Behandlung erhalten. Die ersten vier Stunden sind von entscheidender Bedeutung, und daher wird die Teilnahme des medizinischen Personals in diesem Zeitraum erwartet.<br />
<br />
Aspirin hat eine hemmende und reduzierende Wirkung in Koagulation, einige Leute empfehlen daher Aspirin zu nehmen (oder einige andere ähnliche Medikamente, die vom Arzt dem Patienten verschrieben wurden) im Falle eines Gehirnangriffs (wie in vielen Fällen von Herzinfarkt),<ref>{{Internetquelle |url=https://web.archive.org/web/20240305092914/http://mayoclinic.org/first-aid/first-aid-heart-attack/basics/art-20056679 |titel=Heart attack: First aid - Mayo Clinic |datum=2024-03-05 |abruf=2024-03-20}}</ref> aber nicht immer das Problem ist ein Gerinnsel, denn der Ursprung des Problems kann der Blutverlust aufgrund der Riss eines Blutgefäßes sein (etwas wahrscheinlicheres in einem Schlaganfall als in einem Herzinfarkt), und in diesem Fall würde das Aspirin es in gewissem Verhältnis fördern.<br />
<br />
Und, über den Schlaganfall, [[Schlaganfall#Prävention|ihre Prävention]], und die medizinischen Untersuchungen um die Faktoren<ref>{{Internetquelle |url=https://web.archive.org/web/20230204045258/https://stroke.org/en/about-stroke/stroke-risk-factors/risk-factors-under-your-control |titel=Risk Factors Under Your Control |sprache=en |abruf=2024-03-20}}</ref> zu überprüfen die es verursachen, sind grundlegend.<br />
<br />
== Therapie ==<br />
Schlaganfallpatienten, auch Verdachtsfälle, sollten unverzüglich ärztlich untersucht werden. Die sogenannte „time-to-needle“ (Zeitspanne, innerhalb derer eine etwaige Lyse-Behandlung [s.&nbsp;u.] begonnen sein muss) liegt bei maximal ''viereinhalb Stunden'' nach Eintritt des Schlaganfalls.<ref>{{Webarchiv |url=http://www.dgn.org/leitlinien-online-2012/inhalte-nach-kapitel/2310-ll-22-2012-akuttherapie-des-ischaemischen-schlaganfalls.html |text=''Akuttherapie des ischämischen Schlaganfalls''. |wayback=20150402102717}} S1-Leitlinie der DGN, September 2012.</ref> Nach dem unverzüglichen Absetzen eines [[Notruf]]s sollte der Patient beobachtet und mit erhöhtem Oberkörper gelagert werden. Zudem sollte er nicht körperlich belastet werden sowie nichts essen und trinken, da [[Aspiration (Medizin)|Aspirationsgefahr]] besteht. Gemeinhin erfolgt ein Notfalltransport mit Rettungswagen – eventuell mit Notarzt – in eine ''[[Stroke Unit]]'' zwecks genauer Diagnostik und entsprechender Behandlung, häufig mittels [[Lysetherapie]]. Allerdings ist die Bezeichnung ''Stroke Unit'' oder auch ''Schlaganfall-Station'' in Deutschland gesetzlich nicht geschützt.<ref>{{Internetquelle |url=https://www.schlaganfall-hilfe.de/de/fuer-betroffene/akutbehandlung/stroke-unit |titel=Versorgung - Spezialstationen für schlaganfallbetroffene Menschen |abruf=2024-02-16}}</ref><br />
<br />
Auf dem Land – mit einer entsprechend geringen Dichte an ''Stroke Units'' – kommt häufig auch ein [[Rettungshubschrauber]] zum Einsatz, da mit diesem ein schnellerer Transport in ein weiter entferntes, dafür geeignetes Krankenhaus durchgeführt werden kann. Zum Teil sind die zurückzulegenden Entfernungen so groß, dass selbst nachts der Einsatz eines [[Intensivtransporthubschrauber]]s, der eine wesentlich höhere Vorlaufzeit als ein Rettungshubschrauber hat, in Erwägung gezogen werden kann. Auch ''[[Mobile Stroke Unit]]s'' (speziell ausgerüstete Rettungswagen) kommen hier zum Teil zum Einsatz.<ref>{{Internetquelle |autor=Alexandra Jane Oliver |url=https://www.spiegel.de/wissenschaft/medizin/spezialambulanz-spart-zeit-bei-der-behandlung-von-schlaganfaellen-a-826668.html |titel=Schlaganfall: Spezial-Rettungswagen beschleunigt Therapie |werk=[[Spiegel Online]] |datum=2012-04-11 |abruf=2018-11-12}}</ref><br />
<br />
Bei hämorrhagischen Schlaganfällen, also Hirnblutungen, ist die Lyse-Behandlung nicht angezeigt. In vielen [[Ischämie]]-Fällen hingegen gelingt es durch die intravenöse Verabreichung von Medikamenten ([[Thrombolyse]]), das [[Thrombus|Blutgerinnsel]] aufzulösen und das Gehirn vor einem dauerhaften Schaden zu bewahren. Eine frühe Thrombolyse verbessert nachweislich die Prognose der Patienten.<ref name="DOI10.1001/jama.2013.6959">Jeffrey L. Saver: ''Time to Treatment With Intravenous Tissue Plasminogen Activator and Outcome From Acute Ischemic Stroke.'' In: ''JAMA.'' 309, 2013, S.&nbsp;2480, [[doi:10.1001/jama.2013.6959]].</ref><br />
<br />
Ein recht neues Verfahren, die [[Neurothrombektomie]], entfernt mechanisch mit einem Katheter ''(neuro thrombectomy catheter<ref>{{Patent| Land=DE| V-Nr=60131859| Code=T2| Titel=Neurothrombektomie Kathether| A-Datum=2001-09-06| V-Datum=2008-11-27| Anmelder=EV3 Endovalcular Inc| Erfinder=Rafael Pintor et al}}</ref>)'' das Blutgerinnsel im Gehirn.<ref>[http://www.innovations-report.de/html/berichte/veranstaltungen/volksleiden_schlaganfall_blutgerinnsel_per_katheter_183153.html www.innovations-report.de]</ref> „Mehr als 60 Prozent der Patienten mit großen Schlaganfällen können nach der Katheterbehandlung bereits nach drei Monaten wieder ein eigenständiges Leben führen. Bei der medikamentösen Therapie liegt diese Quote bei nur etwa 15 Prozent“.<ref>Olav Jansen, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Neurologische Rehabilitation, Direktor des Instituts für [[Neuroradiologie]] am [[Universitätsklinikum Schleswig-Holstein]] in Kiel, 2011.</ref> Insbesondere für Patienten, bei denen das Blutgerinnsel ein großes Gefäß im Gehirn verschließt, ist die Thrombektomie wirkungsvoll. In rund 90 Prozent der Fälle kann das Gefäß wieder eröffnet werden. Die Neurothrombektomie kann allerdings bei nur etwa 10 bis 15 Prozent der ischämischen Schlaganfälle eingesetzt werden. Bislang wird dieses Verfahren in Deutschland in etwa 140 Krankenhäusern angeboten und stetig auf neue Kliniken ausgeweitet (Stand Oktober 2017).<ref>[https://www.zdf.de/verbraucher/volle-kanne/thrombektomie-nach-schlaganfall-100.html ''Neues Verfahren nach Schlaganfall.''] zdf.de; abgerufen am 1. Juni 2018.</ref> Im Lauf des Jahres 2015 zeigten fünf Studien eine Überlegenheit des Katheters gegenüber der medikamentösen Therapie.<ref>{{Literatur |Autor=Mayank Goyal, Bijoy K Menon, Wim H van Zwam, Diederik W J Dippel, Peter J Mitchell |Titel=Endovascular thrombectomy after large-vessel ischaemic stroke: a meta-analysis of individual patient data from five randomised trials |Sammelwerk=The Lancet |Band=387 |Nummer=10029 |Datum=2016-04 |Seiten=1723–1731 |Online=https://linkinghub.elsevier.com/retrieve/pii/S014067361600163X |Abruf=2020-05-22 |DOI=10.1016/S0140-6736(16)00163-X}}</ref><ref>[http://www.dgn.org/presse/pressemitteilungen/50-pressemitteilungen/pressemitteilung-2015/3126-die-mechanische-thrombektomie-eine-revolution-in-der-schlaganfalltherapie ''Die mechanische Thrombektomie: eine Revolution in der Schlaganfalltherapie.'']</ref><br />
<br />
== Rehabilitation ==<br />
[[Datei:Chronic stroke.jpg|mini|Funktionserholung nach großem kortikalen Schlaganfall (fMRT)]]<br />
<br />
Die [[medizinische Rehabilitation]] von Patienten mit [[Zerebrovaskuläre Insuffizienz|zerebrovaskulärer Insuffizienz]] beginnt idealerweise postakut in einer ''Stroke Unit''. Rehabilitative Ansätze wie das des [[Bobath-Konzept]]s erfordern ein hohes Maß an interdisziplinärer Zusammenarbeit und sind bei konsequenter Ausführung für den Rehabilitationsverlauf maßgeblich mitverantwortlich. Ein neuer und wissenschaftlich mehrfach validierter Ansatz ist die „Constraint-Induced Movement Therapy“ (CIMT),<ref>E. Taub, G. Uswatte, R. Pidikiti: ''Constraint-Induced Movement Therapy: a new family of techniques with broad application to physical rehabilitation – a clinical review.'' In: ''J Rehabil Res Dev.'' 6 (3), Jul 1999, S. 237–251.</ref> bei der durch Immobilisation des gesunden Arms für den Großteil der Wachperiode der Patient zum Gebrauch der erkrankten Hand „gezwungen“ wird, wodurch krankhafte Anpassungsphänomene wie der „erlernte Nichtgebrauch“ verhindert werden können. Diese Therapiemethode ist auch bei schwer betroffenen Patienten und im chronischen Stadium einsetzbar. Die Methode ist im deutschsprachigen Raum auch als ''„Taubsche Bewegungsinduktion“'' bekannt.<ref>{{Literatur |Autor=W. H. R. Miltner, E. Taub, H. Bauder |Titel=Behandlung motorischer Störungen nach Schlaganfall – Die Taubsche Bewegungsindikation |Verlag=[[Hogrefe Verlag|Hogrefe]] |Ort=Göttingen |Datum=2001 |ISBN=3-8017-1464-0}}</ref><br />
<br />
Im Zentrum der neurologischen Rehabilitation stehen vor allem Maßnahmen, welche die Körperwahrnehmung des Betroffenen fördern und im besten Falle zur vollständigen Kompensation verlorener Fähigkeiten führen. So werden beispielsweise zur Wiederherstellung der Gehfähigkeit Gangmuster mit [[Physiotherapie|Physiotherapeuten]] eingeübt.<br />
<br />
[[Datei:Gehen mit Orthese nach Schlaganfall 220.jpg|mini|Gehen mit [[Orthese]] nach Schlaganfall]]<br />
Therapiebegleitend kann eine Hilfsmittelversorgung mit [[Orthese]]n erfolgen.<ref>{{Literatur |Autor=S. Hesse, C. Enzinger und andere |Hrsg=H. C. Diener und andere |Titel=Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie, Technische Hilfsmittel |Auflage=5. Auflage |Verlag=Thieme |Ort=Stuttgart |Datum=2012 |ISBN=978-3-13-155455-0}}</ref><ref>{{Literatur |Autor=Gereon Nelles und andere |Hrsg=Deutsche Gesellschaft für Neurologie |Titel=Rehabilitation von sensomotorischen Störungen |Auflage=S2k-Leitlinie |Ort=Berlin |Datum=2018 |Seiten=21 |Online=https://dgn.org/leitlinien/ll-030-123-2018-rehabilitation-von-sensomotorischen-stoerungen/ |Abruf=2021-05-31}}</ref> Klinische Studien belegen den hohen Stellenwert von Orthesen in der Schlaganfallrehabilitation.<ref>{{Literatur |Autor=Maurizio Falso, Eleonora Cattaneo, Elisa Foglia, Marco Zucchini, Franco Zucchini |Hrsg=Journal of Novel Physiotherapy and Rehabilitation |Titel=How does a Personalized Rehabilitative Model influence the Functional Response of Different Ankle Foot Orthoses in a Cohort of Patients Affected by Neurological Gait Pattern? |Band=1 |Verlag=Highten Science |Datum=2017 |ISSN=2573-6264 |Seiten=072-092 |Online=https://www.heighpubs.org/jnpr/jnpr-aid1010.php}}</ref><ref>{{Literatur |Autor=Roy Bowers |Hrsg=Elizabeth Condie, James Campbell, Juan Martina |Titel=Report of a Consensus Conference on the Orthotic Management of Stroke Patients, Non-Articulated Ankle-Foot Ortheses |Verlag=International Society for Prosthetics and Orthotics |Ort=Copenhagen |Datum=2004 |ISBN=87-89809-14-9 |Seiten=87-94 |Sprache=en |Online=https://pure.strath.ac.uk/ws/portalfiles/portal/35599006/Consensus_Conference_On_The_Orthotic_M}}</ref> Mit Hilfe einer Orthese soll physiologisches [[Stehen]] und [[Gehen]] wieder erlernt werden, zudem können Folgeerscheinungen durch ein falsches Gangbild verhindert werden.<ref>{{Literatur |Autor=Elizabeth Condie, Robert James Bowers |Hrsg=John D. Hsu, John W. Michael, John R. Fisk |Titel=Lower limb orthoses for persons who have had a stroke |Sammelwerk=AAOS Atlas of Orthoses and Assistive Devices |Auflage=4. |Verlag=Mosby Elsevier |Ort=Philadelphia |Datum=2008 |ISBN=978-0-323-03931-4 |Seiten=433-440}}</ref><ref>{{Literatur |Autor=Elaine Owen |Hrsg=International Society for Prosthetics and Orthotics |Titel=The Importance of Being Earnest about Shank and Thigh Kinematics especially when using Ankle-Foot Orthoses |Sammelwerk=Prosthetics and Orthotics International |Band=34(3) |Verlag=International Society for Prosthetics and Orthotics |Ort=Brüssel |Datum=2010-09 |ISSN=0309-3646 |Seiten=254-269}}</ref> Im Fall einer [[Hemiparese]] mit einer Bewegungsstörung, die auf einem reduzierten sensorischen Input beruht, kann eine Bewegungskorrektur durch Biofeedback unterstützt werden, das zusätzliche Informationen für die [[Propriozeption]] liefert.<ref>{{Literatur |Autor=K. Genthe, C. Schenck, S. Eicholtz, L. Zajac-Cox, S. Wolf, T. M. Kesar |Titel=Effects of real-time gait biofeedback on paretic propulsion and gait biomechanics in individuals post-stroke |Sammelwerk=Topics in Stroke Rehabilitation |Band=25 |Nummer=3 |Datum=2018-04 |Seiten=186–193 |DOI=10.1080/10749357.2018.1436384 |PMC=5901660 |PMID=29457532}}</ref><ref>{{Literatur |Autor=J. Spencer, S. L. Wolf, T. M. Kesar |Titel=Biofeedback for Post-stroke Gait Retraining: A Review of Current Evidence and Future Research Directions in the Context of Emerging Technologies |Sammelwerk=Frontiers in Neurology |Band=12 |Datum=2021 |Seiten=637199 |DOI=10.3389/fneur.2021.637199 |PMC=8042129 |PMID=33859607}}</ref><ref>{{Internetquelle |url=https://cordis.europa.eu/article/id/231215-a-wearable-device-that-helps-paralysed-patients-walk-again/de |titel=Tragbares Gerät unterstützt Gehversuche gelähmter Patienten |werk=cordis.europa.eu |datum=2017 |abruf=2022-05-26}}</ref><br />
<br />
[[Ergotherapie|Ergotherapeuten]] arbeiten gezielt mit den Patienten an der (teilweisen) Wiederherstellung der [[Sensomotorik|sensomotorischen]], kognitiven und emotionalen Fähigkeiten.<ref>{{Internetquelle |url=https://www.ergotherapie.ch/ergotherapie-de/bei-neurologischen-verletzungen-und-erkrankung-der-neurologie/ |titel=Ergotherapie – bei neurologischen Verletzungen und Erkrankung der Neurologie |abruf=2020-05-07}}</ref><br />
<br />
Die Bedeutung einer gezielten [[Logopädie]] bereits in der Frühphase und über einen langen Zeitraum wird häufig unterschätzt und nur laienhaft angegangen. Für bestimmte Therapiebereiche gibt es bisher kein ausreichendes Angebot im ambulanten Bereich, wie in der Sprachtherapie v.&nbsp;a. bei [[Aphasie]] und Dysarthrie. In der rehabilitativen Therapie ist ein hochfrequentes, repetitives Üben bestimmter Aufgaben sinnvoll, die [[Telerehabilitation]] oder die [[Teletherapie (Telemedizin)|Teletherapie]] ermöglicht eine supervidierte Versorgung von Patienten. Eine intensive Behandlung ist im niedergelassenen Setting nicht zu erbringen. Nur durch Nutzung computergestützter Verfahren kann die Intensität so erhöht werden, dass die sich aus den Vorgaben der Metastudie ergebenden Zielgrößen erreicht werden. Machbarkeitsstudien belegen, dass für etwa 50–60 % der aphasischen Patienten Teletherapie sinnvoll ist. Tatsächlich konnte durch die Teletherapiestudie erstmals gezeigt werden, dass die Therapiefrequenz durch supervidierte Teletherapie ohne Qualitätsverlust so angehoben wird, dass Patienten nachweislich davon profitieren.<br />
<br />
Moderne Ansätze der Neurorehabilitation versuchen krankhafte Hirnaktivität zu beeinflussen. So findet sich bei einigen Patienten eine enthemmte Aktivität der nicht-geschädigten Hemisphäre, welche die motorischen Funktionen der vom Schlaganfall betroffenen Hirnhälfte stört. Eine Reduktion der Überaktivität, zum Beispiel mit Hilfe der [[Transkranielle Magnetstimulation|transkraniellen Magnetstimulation]] (TMS), kann bei einem Teil der Patienten zu einer besseren Funktion der gelähmten Hand führen.<ref>D. A. Nowak, C. Grefkes, G. R. Fink: ''Modern neurophysiological strategies in the rehabilitation of impaired hand function following stroke.'' In: ''Fortschr Neurol Psychiatr.'' 76(6), Jun 2008, S. 354–360.</ref> Derzeit läuft an den [[National Institutes of Health]] (NIH) eine Multicenter-Studie zur Wirksamkeit der Magnetstimulationstherapie in Kombination mit einer pharmakologischen Stimulation mit dem [[Dopamin]]-Präparat „Levo-DOPA“. Durch Letzteres sollen die TMS-Effekte verstärkt werden. Auch andere Medikamente aus der Gruppe der monoaminergen Substanzen wie [[Paroxetin]] (serotonerg), [[Fluoxetin]] (serotonerg) oder [[Reboxetin]] (adrenerg) können Schlaganfall-Defizite [[Temporär|transient]] verbessern, wie in Placebo-kontrollierten Studien gezeigt werden konnte.<ref>J. Pariente, I. Loubinoux, C. Carel, J. F. Albucher, A. Leger, C. Manelfe, O. Rascol, F. Chollet: ''Fluoxetine modulates motor performance and cerebral activation of patients recovering from stroke.'' In: ''Ann Neurol.'' 50 (6), Dez 2001, S. 718–729.</ref> Ein neuer technischer Ansatz zur Verbesserung von Ausfällen besteht in der transkraniellen Gleichstrom-Behandlung (transcranial direct current stimulation, tDCS), was derzeit in mehreren Kliniken, unter anderem in Deutschland, überprüft wird.<ref>F. C. Hummel, B. Voller, P. Celnik, A. Floel, P. Giraux, C. Gerloff, L. G. Cohen: ''Effects of brain polarization on reaction times and pinch force in chronic stroke.'' In: ''BMC Neurosci.'' 7, 3. Nov 2006, S. 73.</ref><br />
<br />
== Langzeitfolgen ==<br />
Schlaganfälle erhöhen wahrscheinlich das Risiko, an einer [[Demenz]] zu erkranken.<ref>{{Internetquelle |url=https://www.pharmazeutische-zeitung.de/ausgabe-302008/schlaganfall-verdoppelt-demenzrisiko/ |titel=Schlaganfall verdoppelt Demenzrisiko |werk=[[Pharmazeutische Zeitung]] |datum=2008-07-22 |abruf=2019-04-03}}</ref><ref>{{Internetquelle |autor=Philip Grätzel von Grätz |url=https://www.aerztezeitung.de/medizin/krankheiten/demenz/article/802338/demenz-nach-apoplex-sekundaerpraevention.html |titel=Demenz nach Apoplex: Sekundärprävention |werk=[[Ärzte Zeitung]] |datum=2012-01-24 |abruf=2019-04-03}}</ref><ref>{{Internetquelle |url=https://www.dw.com/de/auf-schlaganfall-folgt-oft-demenz/a-45903150 |titel=Auf Schlaganfall folgt oft Demenz |werk=[[Deutsche Welle]] |datum=2018-10-16 |abruf=2019-04-03}}</ref><br />
<br />
== Gesundheitsökonomische Aspekte ==<br />
2017 sollen Schlaganfälle in Europa (32 untersuchte Länder) Kosten von etwa 60 Milliarden Euro verursacht haben. Die Studienautoren ermittelten, dass die reine medizinische Versorgung rund 27 Milliarden Euro (45 %) der Kosten ausmachte. Der Produktivitätsverlust habe sich auf 12 Milliarden Euro belaufen, hälftig verursacht durch vorzeitigen Tod und verpasste Arbeitstage. Familienangehörige leisteten rund 1,3 Milliarden Stunden Pflege für ihre erkrankten Verwandten, was etwa 16 Milliarden Euro gekostet haben soll.<br />
<br />
Deutschland habe rund neun Milliarden Euro – und damit 2,6 Prozent der gesamten Gesundheitskosten – für die medizinische Behandlung von Schlaganfallpatienten ausgegeben. Der Produktivitätsverlust lag bei rund 1,5 Milliarden Euro auf Seiten der Erkrankten und knapp 5&nbsp;Milliarden Euro bei den pflegenden Angehörigen.<br />
<br />
Im Rahmen einer bevölkerungsbasierten Gesamtkostenanalyse des Schlaganfalls in 32 europäischen Ländern im Jahr 2017, inklusive der damit verbundenen Einkommensverluste durch Behinderung oder frühen Tod, liegt Deutschland mit 113 Euro pro Einwohner an zweithöchster Stelle. Die Bandbreite der Kosten in den untersuchten Ländern geht von elf Euro in Bulgarien bis zu 140 Euro in Finnland. Mit einbezogen wurden Kosten im Gesundheitssystem, dem Sozialsystem und auch die verursachten Kosten außerhalb dieser Systeme, wie nicht-professionelle Pflege durch Freunde oder Angehörige.<ref name="DOI10.1177/2396987319883160">Ramon Luengo-Fernandez, Mara Violato, Paolo Candio, Shelby D. Reed: ''Economic burden of stroke across Europe: A population-based cost analysis.'' In: ''European stroke journal.'' 2020, Band 5, Nummer 1, S.&nbsp;17–25 [[doi:10.1177/2396987319883160]].</ref><br />
<br />
== Siehe auch ==<br />
Weitere Informationen zu den [[Symptom]]en, der [[Diagnose|Diagnostik]] und der [[Therapie]] finden sich unter:<br />
* [[Ischämischer Schlaganfall]]<br />
* [[Subarachnoidalblutung]]<br />
* [[Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe]]<br />
* [[Modifizierte Rankin-Skala]] als Maß der bleibenden Behinderung nach einem Schlaganfall<br />
* [[European Stroke Conference]]<br />
Weitere Informationen zu Aktionen und [[Veranstaltung]]en finden sich unter:<br />
<br />
* [[Tag gegen den Schlaganfall]]<br />
<br />
Die [[Special-Interest-Zeitschrift]] ''[[not (Magazin)|not]]'' berichtet seit 1992 über Themen aus den Bereichen [[Schädel-Hirn-Trauma]]ta und Schlaganfall-Behandlung.<ref name="media">[https://not-online.de/wp-content/uploads/2021/11/Mediadaten_not_2022_kl.pdf ''Mediadaten 2022''.] (PDF; 160&nbsp;kB), not, abgerufen am 25. Februar 2022.</ref><br />
<br />
== Literatur ==<br />
* K.-F. Gruber-Gerardy, W. Merz, H. Sonnenberg: ''Meilensteine aus der Geschichte des Schlaganfalls. Von Apoplexis, Blutegeln und moderner Sekundärprävention.'' [[Boehringer Ingelheim]], Ingelheim 2005, {{OCLC|891805882}}.<br />
* Jörg Braun, Roland Preuss, Klaus Dalhoff: ''Klinikleitfaden Intensivmedizin.'' 6. Auflage. [[Urban & Fischer]], München / Jena 2005, ISBN 3-437-23760-8 (medizinisches Lehrbuch).<br />
* Manio von Maravic: ''Neurologische Notfälle.'' In: Jörg Braun, Roland Preuss (Hrsg.): ''Klinikleitfaden Intensivmedizin.'' 9. Auflage. Elsevier, München 2016, ISBN 978-3-437-23763-8, S. 311–356, hier: S. 312–324 ''(Schlaganfall und Stroke Unit)''.<br />
* [[Klaus Poeck]], [[Werner Hacke]]: ''Neurologie''. Mit 85 Tabellen [neue Approbationsordnung], 12. Auflage, Springer, Heidelberg 2006, ISBN 3-540-29997-1 (medizinisches Lehrbuch).<br />
* Patricia M. Davies: ''Hemiplegie.'' Ein umfassendes Behandlungskonzept für Patienten nach Schlaganfall und anderen Hirnschädigungen. In: ''Rehabilitation und Prävention.'' 2., vollständig überarbeitete Auflage. Springer, Berlin u.&nbsp;a. 2002, ISBN 3-540-41794-X (Lehrbuch zur krankengymnastischen Rehabilitation nach Schlaganfall).<br />
<br />
== Weblinks ==<br />
{{Commonscat|Stroke|Schlaganfall}}<br />
{{Wiktionary|Gehirnschlag}}<br />
{{Wiktionary}}<br />
{{Wikibooks|Erste Hilfe/ Schlaganfall|Erste Hilfe bei Schlaganfall}}<br />
* [https://www.ars-neurochirurgica.com/tools/nihss-rechner NIHSS Score - Online Rechner]<br />
* {{DNB-Portal|4052588-0}}<br />
* S3-[[Medizinische Leitlinie|Leitlinie]]: ''Schlaganfall'', der [[Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften]] (AWMF), AWMF-Registernummer 053/011 ([https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/053-011.html Volltext.] Stand: 31. Oktober 2012, gültig bis 29. Februar 2016).<br />
<br />
== Einzelnachweise ==<br />
<references /><br />
<br />
{{Gesundheitshinweis}}<br />
{{Normdaten|TYP=s|GND=4052588-0|LCCN=sh85022095}}<br />
<br />
[[Kategorie:Zerebrovaskuläre Störung]]<br />
[[Kategorie:Krankheitsbild in der Neurochirurgie]]<br />
[[Kategorie:Schlaganfall| ]]<br />
[[Kategorie:Krankheitsbild in der Notfallmedizin]]</div>Scriptirhttps://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Brand&diff=242786133Brand2024-03-04T00:30:09Z<p>Scriptir: </p>
<hr />
<div>{{Dieser Artikel|behandelt Brand als Schadfeuer. Weitere Bedeutungen unter [[Brand (Begriffsklärung)]].}}<br />
{{Weiterleitungshinweis|Großfeuer|Zu Karl Valentins Theaterstück siehe [[Großfeuer (Karl Valentin)]].}}<br />
[[Datei:Fire inside an abandoned convent in Massueville, Quebec, Canada.jpg|mini|250px|Kanadische Feuerwehr bei der Brandbekämpfung]]<br />
[[Datei:St johannis fire goettingen.jpg|mini|Folgen einer [[Brandstiftung]]: Feuer im Nordturm der [[St. Johannis (Göttingen)|Göttinger St.-Johannis-Kirche]]]]<br />
Als '''Brand''' gilt ein mit einer [[Licht]]erscheinung ([[Feuer]], [[Flamme]], [[Glut (Verbrennung)|Glut]], [[Schwelen|Glimmen]], [[Funke (Verbrennung)|Funken]]) verbundener [[Verbrennung (Chemie)|Verbrennungsvorgang]], der meist ungewollt entstanden ist oder seinen bestimmungsgemäßen Ort verlassen hat, um sich aus eigener Kraft unkontrolliert auszubreiten. Er führt in der Regel zu Sach-, Personen- bzw. Umweltschäden und wird daher auch als '''Schadensfeuer''' oder '''Schadfeuer''' bezeichnet. [[Brandbekämpfung|Bekämpfen]] und Verhüten von Bränden, [[Brandschutz]] zu leisten ist vor allem Aufgabe der [[Feuerwehr]].<br />
<br />
== Etymologie ==<br />
Das [[Urgermanische Sprache|altgermanische]] Wort [[Mittelhochdeutsch|mhd.]], [[Althochdeutsch|ahd.]] ''brant'' ist eine Bildung zu dem im [[Neuhochdeutsch|Neuhochdeutschen]] untergegangenen [[Starkes Verb|starken Verb]] mhd. ''brinnen'', ahd. ''brinnan'' „brennen, leuchten“. Das Verb mhd. ''brennen'', ahd. ''brennan'' ist das [[Kausativ]] dazu und hat im Neuhochdeutschen die Bedeutung des starken Verbs mit übernommen.<ref>{{Literatur| Titel=Das Herkunftswörterbuch| Auflage=5. Auflage| Verlag=Dudenverlag| Ort=Berlin| Jahr=2014| Reihe=[[Duden#Duden in zwölf Bänden|Der Duden in zwölf Bänden]]| BandReihe=7| Online=[https://books.google.de/books?id=KqvWCgAAQBAJ&pg=PA184&dq=brand S. 184], [https://books.google.de/books?id=KqvWCgAAQBAJ&pg=PA186&dq=brennan 186]}} ''Siehe auch [[Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache|DWDS]]'' ([https://www.dwds.de/wb/Brand#et-1 „Brand“]) ''und'' {{Literatur| Autor=[[Friedrich Kluge]]| Titel=[[Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache]]| Auflage=7. Auflage| Verlag=Trübner| Ort=Straßburg| Jahr=1910| Online=[https://daten.digitale-sammlungen.de//~db/0007/bsb00070228/images/index.html?&seite=89 S. 67], [https://daten.digitale-sammlungen.de//~db/0007/bsb00070228/images/index.html?&seite=92 70]}}</ref><br />
<br />
== Brandursachen ==<br />
[[Datei:Flame in potbelly stove.png|mini|264x264px|Die Öfen haben manchmal versehentliche Brände verursacht]]<br />
[[Datei:Lignin structure.svg|350px|mini|Der hohe Sauerstoffgehalt mancher organischer Moleküle, hier des Holzbestandteils [[Lignin]], begünstigt sowohl die [[Kompostierung|Verrottung]] als auch die [[Selbstentzündung]] gelagerter [[Hackschnitzel]] und den Brand von [[Altholz|Alt-]] und [[Grünholz]] und eine rasche Brandausbreitung.]]<br />
<br />
Ein Brand entsteht, sobald [[Verbrennung (Chemie)|Voraussetzungen einer Verbrennung]] am Brandort erfüllt sind, und erlischt, sobald sie nicht mehr gegeben sind. Diese Voraussetzungen können auf verschiedene Weise erfüllt werden. Als Brandursache werden der Vorgang und die Umstände bezeichnet, die zur Erfüllung der Brandvoraussetzungen führen.<br />
<br />
Brandursachen können ''technische Brandursachen'', ''natürliche Brandursachen'' und ''sonstige Einwirkungen von Zündquellen auf brennbare Stoffe'' sein, wobei bei letzterem der Mensch die hauptsächliche Rolle spielt. Mit der Ermittlung von Brandursachen beschäftigt sich die [[Brandursachenermittlung]].<br />
<br />
Nicht nur unmittelbar von Menschen verursachte Brände können strafrechtlich relevant sein. Technisch oder natürlich verursachte Brände wie ein [[Kabelbrand]] oder ein Brand nach [[Blitzschlag]] können strafrechtlich relevant auf Grund von Pflichtverletzungen sein. Wird die technische oder natürliche Brandursache durch die Missachtung [[Anerkannte Regeln der Technik|allgemein anerkannter technischer Regeln]] gesetzt, kann auch der [[Strafrecht#Straftat|Straftat]]bestand einer Brandstiftung (meist fahrlässig) erfüllt sein.<br />
<br />
Meist ist ausreichend Sauerstoff in der Umgebung vorhanden. Der Brand entsteht, zum Beispiel aus Unachtsamkeit beim Hantieren mit brennenden Gegenständen, wie [[Zigarette]]n, [[Feuerwerkskörper]]n und [[Kerze]]n, indem eine Zündquelle mit brennbarem Material zusammengebracht wird, oder die [[Zündquelle]] entsteht aus technischen Gründen, beispielsweise durch Überhitzung von [[Lager (Maschinenelement)|Lagern]] oder elektrischen [[Kabel]]n. Auch der Kontrollverlust über Nutzfeuer, beispielsweise beim Abbrennen von [[Laub (Botanik)|Laub]] oder beim [[Schweißen]], kann zu einem Brand führen. Durch das Übergreifen von Flammen benachbarter Brandstellen, zum Beispiel auf benachbarte Gebäude, oder nach einer [[Explosion]] (Gas) treten Brände als Folgewirkung auf. [[Asche]] kann als Zündquelle wirken, solange sie noch Glut enthält oder noch nicht ausreichend abgekühlt ist, was bei der [[Torf#Brennstoff|Torfasche]] sehr lange dauert.<br />
<br />
Fehlt (wie vor einer [[Rauchgasexplosion]]) zunächst ein [[Oxidationsmittel]] (wie Sauerstoff), ist aber bereits eine Zündquelle (wie Glutnester) am brennbaren Material (wie unverbrannte Rauchgase), entzündet es sich, sobald Sauerstoff hinzutritt. Manche Stoffe können sich durch Sauerstoffzutritt schon bei normaler Raumtemperatur [[Selbstentzündung|von selbst entzünden]].<br />
<br />
Mutwillig oder vorsätzlich gelegte Brände werden in der Regel durch die Verwendung einfacher Zündmittel wie Streichhölzer, Feuerzeug oder Kerzen verursacht, aber oft (besonders bei [[Brandanschlag|Brandanschlägen]]) auch unter Zuhilfenahme von [[Brandbeschleuniger]]n oder [[Brandsatz|Brandsätzen]].<br />
<br />
== Verlauf eines Brandes ==<br />
[[Datei:Wohnungsbrand Muenchen.jpg|mini|300px|links|Dachwohnungsbrand in München]]<br />
[[Datei:Verbrennungsdreieck.svg|mini|200px|Verbrennungsdreieck]]<br />
<br />
Ausgangspunkt für einen Brand ist die Entzündung von brennbaren Stoffen durch eine Zündquelle.<br />
In dieser ersten Phase (bis zur ca. 4. Minute) entsteht ein so genannter „Initial- oder [[Schwelbrand]]“, dessen Dauer von der Sauerstoffkonzentration des Raumes abhängt.<br />
<br />
In der zweiten Phase (ca. 4. bis 9. Brandminute) entwickelt sich ein lokaler Brand, der die Luft im Raum immer mehr aufheizt. Durch die Hitze des Brandrauchs, insbesondere die von ihm ausgehende Wärmestrahlung, beginnen die brennbaren Materialien im Raum sich durch [[Pyrolyse]] zu zersetzen, wodurch weitere brennbare Gase freigesetzt werden, die den Brand weiter anfachen. Die Gaskonzentration erreicht ab der ca. 3. Minute Werte, die die Handlungsfähigkeit von Menschen beschränken – und ab der 5. Minute Werte, die für Menschen lebensbedrohlich sind.<br />
<br />
Überschreitet die Raumtemperatur die Zündtemperatur der im Raum befindlichen Gegenstände, kommt es zu einer schlagartigen Brandausbreitung, dem sogenannten „[[Flashover]]“ (ca. 9. bis 10. Minute). Hierbei stehen dann in der Regel alle brennbaren Gegenstände in Vollbrand.<br />
<br />
Die nun entstehenden Temperaturen können rasch 1000&nbsp;°C und mehr erreichen. Entsprechend der vorhandenen [[Brandlast]] und der Frischluftzufuhr erhält sich das Feuer auf diesem Temperaturniveau (Vollbrandphase), bis es langsam abklingt.<br />
<br />
Weitere mögliche Phasen bzw. Brandereignisse sind:<br />
* der [[Backdraft (Feuer)|Backdraft]]<br />
* der [[Kamineffekt]]<br />
* die [[Rauchdurchzündung]]<br />
<br />
== Gesundheitsgefahren ==<br />
{{Hauptartikel|Rauchvergiftung|Verbrennung (Medizin)}}<br />
<br />
[[Datei:Deponiebrand.jpg|mini|Großbrand auf einer Mülldeponie]]<br />
<br />
Die Hauptgefahr bei einem Brand stellt der [[gift]]ige [[Rauch]] dar. Die in ihm enthaltenen [[Atemgift]]e (z.&nbsp;B. [[Kohlenstoffmonoxid]], Cyangase ([[Dicyan]], [[Cyanwasserstoff|Blausäure]]) u.&nbsp;v.&nbsp;m.) führen bereits nach wenigen Atemzügen zur [[Bewusstlosigkeit]] und können toxische [[Lungenödem]]e verursachen. Der Tod tritt meist durch Ersticken ein.<br />
<br />
[[Verbrennung (Medizin)|Hautverbrennungen]] entstehen nicht nur bei direktem Kontakt mit Flammen, sondern auch durch heiße Gase (z.&nbsp;B. das Abgas des Feuers) oder Dämpfe. Sie sind sehr schmerzhaft und können auch zu einem [[Schock (Medizin)|Kreislaufschock]] führen.<br />
<br />
== Brandschaden ==<br />
[[Datei:Brandschaden.jpg|mini|Folgen eines Großbrandes: Blick auf die zerstörte Dachkonstruktion]]<br />
<br />
=== Personenschäden ===<br />
Durch Hitze, Druckstoß oder fliegende Partikel einer Explosion, Sauerstoffmangel, Brandgase, einstürzende Bauteile, Fluchtversuch durch Sprung aus einem Haus können Menschen unterschiedliche Verletzungen erleiden. Rasche und vollständige Erholung, bleibende körperliche oder auch psychische Schäden, rasch oder als Spätfolge eintretender Tod sind infolge eines Brandes möglich.<br />
<br />
=== Sachschäden ===<br />
[[Datei:Fire-damaged restaurant, Balingen (Zollernalbkreis).jpg|mini|Gesperrte Brandstätte nach Großbrand]]<br />
Primär besteht der Brandschaden aus dem durch das Feuer vernichteten Hab und Gut. Aber auch die Folgeschäden (Sekundärschaden) sind nicht zu übersehen. Hierunter fallen Rauchschäden, Löschwasserschäden, Umweltschäden und Ausfallschäden.<br />
<br />
Von Rauchschäden wird gesprochen, wenn durch die giftigen Rauchinhaltsstoffe Gegenstände, die nicht unmittelbar von der Hitze oder vom Feuer beeinträchtigt wurden, trotzdem unbrauchbar werden.<br />
<br />
Zu den Umweltschäden zählt zunächst die Entsorgung des Brandschuttes, die mitkalkuliert werden muss. Außerdem können giftige [[Löschwasser]]abflüsse in öffentlichen Gewässern große Schäden anrichten, wie beispielsweise das Löschwasser beim Brand der Firma [[Sandoz]] in [[Basel]] große Schäden im [[Rhein]] im Jahr [[1986]] verursachte (siehe [[Grossbrand von Schweizerhalle|Großbrand von Schweizerhalle]]). Diese Folgen, wenn auch in kleinerem Rahmen, können auch bei kleinen Hausbränden auftreten. Aus diesem Grund existieren [[Löschwasserrückhalterichtlinie|Regeln zur Löschwasserrückhaltung]].<br />
<br />
Ein Ausfallschaden entsteht, wenn beispielsweise bei einem Wohnungsbrand der Geschädigte sich bis zur Wiederinstandsetzung eine Wohngelegenheit suchen muss. Bei Produktionsbetrieben kann ein Totalausfall große Auftragsverluste nach sich ziehen, die bis zur endgültigen Betriebsschließung führen können. So besagen amerikanische Untersuchungen, dass bis zu 75 Prozent der Firmen, deren Produktionsstätten abgebrannt sind, nie wieder produzieren. Historische [[Kulturgut|Kulturgüter]] sind nach einem Brand oft unwiederbringlich verloren oder stark beschädigt, wie beim Brand in der [[Herzogin Anna Amalia Bibliothek]].<br />
<br />
Brandstätten werden nach einem Brand häufig behördlich gesperrt, weil von Brandstoffen und beschädigten Gebäuden Gefahren beim Atmen und Betreten ausgehen und für das Erheben von Brandursache und Brandschaden ungestörte Spuren nötig sind.<ref>[https://ooe.orf.at/v2/news/stories/2893053/ Zwei Verletzte bei Brand auf Schießplatz] orf.at, 1. Februar 2018, abgerufen am 1. Februar 2018. – Brand in einem Schießkanal, Desselbrunn, Oberösterreich. Sperre durch den Bürgermeister. Bild 24/24.</ref><br />
<br />
== Vorbeugender Brandschutz und Baurecht ==<br />
[[Datei:Heimrauchmelder.jpg|mini|Ein [[Brandmelder|Rauchwarnmelder]]]]<br />
Fast jede Stadt wurde im Laufe ihrer Geschichte von größeren Bränden heimgesucht. Diese negativen Erfahrungen führten im Laufe der Zeit zur Aufstellung von örtlichen und regionalen [[Brandschutzvorschriften]]<ref>{{Literatur |Autor=[[Franz-Josef Sehr]] |Titel= Das Feuerlöschwesen in Obertiefenbach aus früherer Zeit |Sammelwerk=Jahrbuch für den Kreis Limburg-Weilburg 1994 |Verlag=Der Kreisausschuss des Landkreises Limburg-Weilburg |Ort=Limburg |Datum=1993 |Seiten=151-153 }}</ref>.<br />
<br />
In der heutigen Zeit beschäftigt sich der [[Brandschutz]] mit der Verhinderung von Bränden (''vorbeugender Brandschutz'') und einer Begrenzung bereits entstandener Brände (''abwehrender Brandschutz''). Sinnvolle bauliche Maßnahmen sind beispielsweise die Installation von [[Brandmelder]]n und die Errichtung von [[Brandwand|Brandwänden]].<br />
<br />
Folgerichtig sind Brandschutzbestimmungen nach wie vor wesentliche Bestandteile der [[Bauordnungen (Deutschland)|Bauordnungen]]. Die Bauordnungen stellen dabei den baulichen Brandschutz (durch feuerwiderstandsfähige Bauteile) in den Vordergrund, während technische Brandschutzmaßnahmen (z.&nbsp;B. [[Brandmeldeanlage]]n, [[Sprinkleranlage]]n) nur bei [[Sonderbau]]ten eine Rolle spielen.<br />
<br />
Ergänzt werden die eher allgemein gehaltenen Bauordnungen (geeignet für Wohn- und Bürogebäude) durch Sondervorschriften für besondere Anlagen und Bauwerke ([[Sonderbau]]ten). In vielen Ländern gibt es für Gaststätten, Versammlungsstätten, Verkaufsstätten, Krankenhäuser, Schulen, Hochhäuser usw. eigene Regelwerke, in denen die besonderen Gefahren und betrieblichen Notwendigkeiten berücksichtigt werden.<br />
<br />
Bei Bauvorhaben und Nutzungsänderungen von Gebäuden der [[Gebäudeklasse]]n 4,5 und Sonderbauten gemäß Muster[[Bauordnungen (Deutschland)|bauordnung]] muss der Bauherr/Architekt ein [[Brandschutzkonzept]] / einen Brandschutznachweis vorlegen. Die Vereinbarkeit des Bauvorhabens mit den öffentlichen Bauvorschriften ist so nachzuweisen.<br />
<br />
== Einteilung ==<br />
=== Einteilung nach Größe ===<br />
Brände lassen sich nach ihrer Größe einteilen. In Deutschland geschieht dies nach [[DIN]] 14010<ref>DIN 14010-2005-10 (D): ''Angaben zur statistischen Erfassung von Bränden''</ref> in vier Kategorien (Kleinbrand a, Kleinbrand b, Mittelbrand, Großbrand). Diese Einordnung hilft, entsprechende Gegenmaßnahmen wie die [[Alarmierung]] von Einsatzkräften der [[Feuerwehr]] im Bereich des [[Brandschutz|Brand-]] und [[Katastrophenschutz]]es zu treffen. Mit der Brandausdehnung im Sinne des Taktikschemas ist der vorgefundene Brandumfang gemeint. Die Brandausdehnung ist u. a. abhängig von Brandgut, Bauweise, Brandabschnitten, Feuerbrücken, Windrichtung und Windstärke. Für statistische Zwecke wird der Brandumfang nach dem Löschgeräteeinsatz ermittelt.<ref>{{Internetquelle |autor= |url=https://www.feuerwehr-lernbar.bayern/lexikon/b/brandausdehnung/ |titel=Brandausdehnung |titelerg=Brandumfang, Ausdehnungsneigung des Feuer, Brandgut, Bauweise, Brandabschnitte, Feuerbrücken, Wind, Brand, Löschgeräte, Brandentwicklungsstufen |hrsg=Staatliche Feuerwehrschule Würzburg |werk=www.feuerwehr-lernbar.bayern |datum= |abruf=2023-12-24 |sprache= |format= }}</ref><br />
<br />
In Österreich erfolgt die Alarmierung der erforderlichen Einheiten entsprechend dem tatsächlichen Meldebild (z.&nbsp;B. Zimmerbrand, Fahrzeugbrand), da die Bewertung der tatsächlichen Ausdehnung bei der Notrufannahme äußerst schwierig ist. Daher wird diese Klassifizierung nur im Nachhinein verwendet, um die zukünftigen Risiken jeweils neu bewerten zu können.<ref>[http://www.afkdo-gaenserndorf.at/dadb/2015351097.pdf Klassifizierung von Brandeinsätzen im Einsatzbericht] auf der Seite des Gänserndorfer Bezirksfeuerwehrkommandos abgerufen am 5. April 2017</ref><br />
<br />
==== Entstehungsbrand ====<br />
Jeder Brand, sofern es sich um keine [[Brandstiftung]] handelt, beginnt mit einem Entstehungsbrand. Hierbei handelt es sich nicht selten um einen [[Schwelbrand]], ausgelöst durch Defekte in elektrischen Geräten, vergessene Herdplatten, unbeaufsichtigte [[Kerze]]n oder Ähnliches. Entstehungsbrände können meist ohne besonderes Löschgerät mit einem [[Löscheimer|Eimer Wasser]] gelöscht werden, sie reichen jedoch aus, um genügend [[Rauch]] zu produzieren, dass Personen dadurch ernsthaft gefährdet werden. Deshalb sollte auch schon bei einem Entstehungsbrand [[Atemschutz]] getragen werden.<br />
<br />
==== Kleinbrand ====<br />
[[Datei:BrandGarage.jpg|mini|Kleinbrand B oder Mittelbrand]]<br />
[[Datei:Containerbrand.JPG|mini|Kleinbrand B oder Mittelbrand]]<br />
<br />
Kleinbrände sind die häufigsten Brände, zu denen jedoch nicht immer die Feuerwehr ausrücken muss. Zum [[Brandbekämpfung|Löschen]] eignet sich insbesondere ein [[Feuerlöscher]] oder eine [[Kübelspritze]]. Die Feuerwehr unterscheidet dabei zwischen:<br />
* '''Kleinbrand a''' Einsatz von einem [[Kleinlöschgerät]].<br />
* '''Kleinbrand b''' Einsatz von nicht mehr als einem [[Mehrzweckstrahlrohr|C-Rohr]].<br />
<br />
Beispiele für Brände kleinerer Ausdehnung sind kleinere [[Fahrzeugbrand|Pkw-Brände]], Rasenbrände oder brennende [[Mülltonne]]n.<br />
<br />
==== Mittelbrand ====<br />
Die meisten Brände, zu denen die Feuerwehr ausrückt, sind Mittelbrände und können in der Regel von einem oder seltener zwei [[Löschzug|Löschzügen]] der [[Feuerwehr]] wirksam bekämpft werden. Gemäß offizieller deutscher Definition werden nicht mehr als 3 C-Rohre und keine Sonderrohre (wie [[Mehrzweckstrahlrohr|B-Rohre]], [[Monitor (Feuerwehr)|Monitore]] oder [[Schaumstrahlrohr]]) eingesetzt.<br />
<br />
Beispiele für Brände mittlerer Ausdehnung sind Wohnungsbrände, größere [[Fahrzeugbrand|Kfz-Brände]], Gebäudebrände, [[Schienenfahrzeug]]&shy;brände, kleinere [[Waldbrand|Waldbrände]] (ohne Wipfelfeuer).<br />
<br />
==== Großbrand ====<br />
[[Datei:Makasiinit tulessa.jpg|mini|hochkant|Brennende Lagerhäuser in Helsinki]]<br />
Großbrände stellen die Ausnahme dar. In Deutschland gilt ein Brand als Großbrand, wenn mehr als drei C-Rohre oder/und oben genannte Sonderrohre eingesetzt werden.<br />
<br />
Zu ihrer Bekämpfung können mehrere Züge oder gar [[Taktische Einheit#Taktischer Verband|Verbände]] der Feuerwehr über einen größeren Zeitraum benötigt werden. Diese können unter Umständen auch von [[Katastrophenschutz]]einheiten unterstützt werden. Der Löscherfolg am brennenden Objekt kann dabei äußerst gering bleiben. Teilweise müssen sich die Hilfskräfte darauf beschränken, die Ausbreitung des Feuers zu begrenzen und benachbarte Sachwerte (Nachbargebäude etc.) zu schützen. Hierfür werden auch [[Monitor (Feuerwehr)|Monitore]], [[Mehrzweckstrahlrohr|B-Rohre]], [[Wenderohr]]e, [[Hydroschild]]e und andere große [[Wasserführende Armaturen im Brandschutz|Wasserabgabe-Armaturen]] eingesetzt.<br />
Beispiele für Brände großer Ausdehnung sind Tankzugbrände, [[Tanklagerbrand|Tanklagerbrände]], Brände von Großobjekten, [[Industrie]]betrieben und [[landwirtschaft]]lichen Anwesen, aber besonders auch größere Flur- und Waldbrände und Brände auf [[Deponie]]n. Sind derartige Brände besonders großflächig, so spricht man von Flächenbränden. In der Geschichte gab es auch Brände, die sich zu regelrechten „[[Feuersturm|Feuerstürmen]]“ entwickelten, bei denen ganze Städte bzw. große Teile dieser niederbrannten.<br />
<br />
=== Einteilung nach Brandklasse und Art ===<br />
Zur erfolgreichen [[Brandbekämpfung]] muss ein Brand richtig erkannt und eingeteilt werden, um eine richtige Wahl der [[Löschmittel]] zu treffen.<br />
<br />
In Europa ist die Klassifizierung vereinheitlicht und erfolgt nach der [[Europäische Norm|Europäischen Norm]] ''EN2'', nach der die Brände in [[Brandklasse]]n eingeteilt werden. Die einzelnen Brandklassen werden mit den Buchstaben A, B, C, D und F bezeichnet.<br />
<br />
{| class="wikitable"<br />
|-<br />
!Brandklasse<br />
!Definition<br />
!Beispiele<br />
!Löschmittel<br />
|-<br />
|{{Anker|Brandklasse A}}[[Datei:Fire Class A.svg|100px]]<br />
|Brände fester Stoffe hauptsächlich [[Organische Chemie|organischer]] Natur, die normalerweise unter Glutbildung verbrennen<br />
|[[Holz]], [[Kohle]], [[Papier]], [[Textilien]], [[Autoreifen]], einige [[Kunststoff]]e, [[Stroh]] usw.<br />
|[[Wasser]], [[Wässrige Lösung]]en, [[Löschschaum|Schaum]], [[Kohlenstoffdioxid]], [[ABC-Pulver]]<br />
|-<br />
|{{Anker|Brandklasse B}}[[Datei:Fire Class B.svg|100px]]<br />
|Brände von flüssigen und flüssig werdenden Stoffen<br />
(Dazu zählen auch Stoffe, die durch eine Temperaturerhöhung flüssig werden)<br />
|[[Motorenbenzin|Benzin]], [[Ethanol]], [[Teer]], [[Wachs]], viele [[Kunststoff]]e, [[Ether]], [[Lack]]e, [[Harz (Material)|Harz]] usw.<br />
|[[Löschschaum|Schaum]], [[ABC-Pulver]], [[BC-Pulver]], [[Kohlenstoffdioxid]]<br />
|-<br />
|{{Anker|Brandklasse C}}[[Datei:Fire Class C.svg|100px]]<br />
|Brände von [[Gas]]en<br />
| [[Ethin]] (Acetylen), [[Wasserstoff]], [[Erdgas]], [[Propan]], [[Stadtgas]] usw.<br />
|[[ABC-Pulver]], [[BC-Pulver]], ([[Kohlenstoffdioxid]] nur in Ausnahmefällen: hierfür gibt es selten speziell konstruierte Sonderfeuerlöscher mit Gasstrahldüse), Gaszufuhr durch Abschieben der Leitung unterbinden<br />
|-<br />
|{{Anker|Brandklasse D}}[[Datei:Fire Class D.svg|100px]]<br />
|[[Metallbrand|Brände von Metallen]]<br />
|[[Aluminium]], [[Magnesium]], [[Natrium]], [[Kalium]], [[Lithium]] usw. sowie deren [[Legierung]]en<br />
| [[Löschpulver#D-Löschpulver|Metallbrandpulver]] (D-Pulver), trockener Sand, trockenes Streu- oder Viehsalz, trockener Zement, [[Gusseisen|Grauguss]]-Späne<br />
|-<br />
|{{Anker|Brandklasse F}}[[Datei:Fire Class F.svg|100px]]<br />
|Brände von Speisefetten und -ölen in Frittier- und Fettbackgeräten und anderen Kücheneinrichtungen und -geräten ([[Fettbrand]])<br />
|Speiseöle und Speisefette<br />
|Speziallöschmittel (Flüssiglöschmittel aus Brandklasse F-Handfeuerlöscher)<br />
|}<br />
<br />
Hintergrund für die Ausgliederung der Stoffe der Klasse F aus der Brandklasse B ist die Tatsache, dass die Standardlöschmittel für die Brandklassen A, B und C auf diese Stoffe nur sehr bedingt einsetzbar sind. Der Einsatz von ungeeigneten Löschmitteln kann unter Umständen wirkungslos oder gar mit Gefahren verbunden sein.<br />
----<br />
<br />
''In der [[Europäische Norm|Europäischen Norm]] '''EN2''' war anfangs auch eine [[Brandklasse]] '''E''' vorgesehen. Diese sollte für Brände in elektrischen Niederspannungsanlagen (bis 1.000 Volt) gelten. Sie wurde aber wieder verworfen, da alle [[Feuerlöscher]] in Niederspannungsanlagen eingesetzt werden können, sofern der auf dem Feuerlöscher aufgedruckte Sicherheitsabstand eingehalten wird.''<br />
<br />
== Brandort ==<br />
In der Natur treten [[Erdbrand]], zum Beispiel [[Kohlebrand]] oder [[Torfbrand]], sowie [[Vegetationsbrand|Vegetationsbrände]] wie [[Flurbrand]] und [[Waldbrand]] auf. Ein [[Grubenbrand]] entwickelt sich in einem Bergwerk. In Siedlungen und in Einrichtungen von Handel, Handwerk und Industrie kann unter anderem [[Stadtbrand]], [[Schornsteinbrand]] und [[Tanklagerbrand]] entstehen. Fahrzeuge brennen etwa beim [[Fahrzeugbrand]] und beim [[Maritime Brandbekämpfung|Schiffsbrand]]. Je nach örtlicher Nachbarschaft können die verschiedenen Brände gegenseitig als Zündquelle wirken: Zum Beispiel kann ein Kohlebrand einen Flurbrand auslösen und umgekehrt.<br />
<br />
== Brandkatastrophen ==<br />
[[Datei:Hamburger Brand Zollenbruecke.jpg|mini|[[Hamburger Brand]] im Jahr 1842]]<br />
<br />
In der Geschichte gab es eine Vielzahl von verheerenden Brand- und Explosions[[katastrophe]]n, eine Auswahl ist in der [[Liste von Brandkatastrophen]] enthalten.<br />
<br />
== Brandopfer im internationalen Vergleich ==<br />
Tote durch Brandeinwirkung pro 1 Mio. Einwohner pro Jahr (Stand 2019)<ref name="CTIF-WFS04">{{Internetquelle |autor=Nikolai Brushlinsky, Marty Ahrens, Sergei Sokolov, Peter Wagner |url=https://www.ctif.org/sites/default/files/2021-06/CTIF_Report26.pdf |titel=Welt-Feuer-Statistik Ausgabe Nr. 26-2021 |titelerg=Tabelle 1.2: Verdichtete Kennzahlen der Brandsituation in den Staaten für das Jahr 2019 |hrsg=Weltfeuerwehrverband [[CTIF]] |datum=2021 |sprache=ru,en,de |abruf=2023-04-08 |format=PDF}}</ref><ref name="dfv-statistik">{{Internetquelle |autor= |url=https://www.feuerwehrverband.de/presse/statistik/ |titel=Aktuellste statistische Daten |titelerg= |hrsg=[[Deutscher Feuerwehrverband]] |datum=|abruf=2023-04-08 |sprache=}}</ref><br />
{| class="wikitable sortable"<br />
!Land || Tote ([[Parts per million|ppm]])<br />
|-<br />
|Russland || 58<br />
|-<br />
|Belarus || 52<br />
|-<br />
|Ukraine || 45<br />
|-<br />
|Lettland || 40<br />
|-<br />
|Estland || 32<br />
|-<br />
|Litauen || 25<br />
|-<br />
|Bulgarien || 19<br />
|-<br />
|Polen || 13<br />
|-<br />
|Japan || 12<br />
|-<br />
|Ungarn || 12<br />
|-<br />
|Schweden || 12<br />
|-<br />
|Tschechien || 12<br />
|-<br />
|USA || 11<br />
|-<br />
|Slowenien || {{0}}6<br />
|-<br />
|Großbritannien || {{0}}5<br />
|-<br />
|Frankreich || {{0}}4<br />
|-<br />
|Deutschland || {{0}}4<br />
|-<br />
|Griechenland || {{0}}2<br />
|-<br />
|Niederlande || {{0}}1<br />
|-<br />
|}<br />
<br />
== Siehe auch ==<br />
* [[Liste von Brandkatastrophen]]<br />
* [[Abbranderscheinung]]<br />
* [[Brandrodung]]<br />
* [[Einsatzfotografie]]<br />
* [[Fackelbrand]]<br />
* [[Flammschutzmittel]]<br />
* [[Stangenbrand]]<br />
<br />
== Literatur ==<br />
* {{Literatur |Autor= Roy Bergdoll, Sebastian Breitenbach|Titel=Die Roten Hefte, Heft 1 – Verbrennen und Löschen |Auflage=18 |Verlag=Kohlhammer |Ort=Stuttgart |Datum=2019 |Seiten= |ISBN=978-3-17-026968-2}}<br />
* {{Literatur |Autor=Lothar Schott, Manfred Ritter |Titel=Feuerwehr Grundlehrgang FwDV 2 |Verlag=Wenzel-Verlag |Ort=Marburg |Auflage=21 |Datum=2022 |Seiten= |ISBN=978-3-88293-121-1}}<br />
<br />
== Weblinks ==<br />
{{Wiktionary|Brand}}<br />
{{Commonscat|Fire|Feuer}}<br />
{{Wikiquote|Brand (Feuer)}}<br />
* {{HLS|7787|Feuersbrünste|Autor=Anne-Marie Dubler}}<br />
* [https://www.feuerwehrverband.de/app/uploads/2020/05/DFV_vfdb_Fachempfehlung_Verhalten_Brandfall_2019b.pdf Fachempfehlung des Deutschen Feuerwehrverbandes „Verhalten im Brandfall“ vom November 2019]<br />
* [https://www.zeit.de/2003/31/N-Kohlefeuer Inferno in der Unterwelt] – Ute Eberle: ''Von Pennsylvania bis zur Mongolei brennen unterirdische Kohleflöze''. Die Feuer gefährden Mensch und Klima<br />
* [https://de.wikinews.org/wiki/Portal:Br%C3%A4nde Portal Brände auf Wikinews]<br />
* [https://www.lfu.bayern.de/analytik_stoffe/per_polyfluorierte_chemikalien/fachtagungen/doc/folgeschaeden_einsatz2.pdf Schadstoffe bei Brandereignissen] (UmweltWissen – Bayerisches Landesamt für Umwelt; PDF-Datei; 177&nbsp;kB)<br />
* [https://www.ffb.kit.edu/392.php/ Diverse Forschungsberichte zur Brandentwicklung von der Brandentstehung bis zum Vollbrand (Branddetektion, Brandbekämpfung, Einfluss der Ventilationsbedingungen, Verrauchung, Brandrauchanalyse) auf der Website der Forschungsstelle für Brandschutztechnik am KIT]<br />
<br />
== Einzelnachweise ==<br />
<references /><br />
<br />
{{Normdaten|TYP=s|GND=4133754-2}}<br />
<br />
[[Kategorie:Brandlehre|!Brand]]<br />
[[Kategorie:Brand| ]]</div>Scriptirhttps://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Brand&diff=242786075Brand2024-03-04T00:21:14Z<p>Scriptir: </p>
<hr />
<div>{{Dieser Artikel|behandelt Brand als Schadfeuer. Weitere Bedeutungen unter [[Brand (Begriffsklärung)]].}}<br />
{{Weiterleitungshinweis|Großfeuer|Zu Karl Valentins Theaterstück siehe [[Großfeuer (Karl Valentin)]].}}<br />
[[Datei:Fire inside an abandoned convent in Massueville, Quebec, Canada.jpg|mini|250px|Kanadische Feuerwehr bei der Brandbekämpfung]]<br />
Als '''Brand''' gilt ein mit einer [[Licht]]erscheinung ([[Feuer]], [[Flamme]], [[Glut (Verbrennung)|Glut]], [[Schwelen|Glimmen]], [[Funke (Verbrennung)|Funken]]) verbundener [[Verbrennung (Chemie)|Verbrennungsvorgang]], der meist ungewollt entstanden ist oder seinen bestimmungsgemäßen Ort verlassen hat, um sich aus eigener Kraft unkontrolliert auszubreiten. Er führt in der Regel zu Sach-, Personen- bzw. Umweltschäden und wird daher auch als '''Schadensfeuer''' oder '''Schadfeuer''' bezeichnet. [[Brandbekämpfung|Bekämpfen]] und Verhüten von Bränden, [[Brandschutz]] zu leisten ist vor allem Aufgabe der [[Feuerwehr]].<br />
<br />
== Etymologie ==<br />
[[Datei:St johannis fire goettingen.jpg|mini|Folgen einer [[Brandstiftung]]: Feuer im Nordturm der [[St. Johannis (Göttingen)|Göttinger St.-Johannis-Kirche]]]]<br />
Das [[Urgermanische Sprache|altgermanische]] Wort [[Mittelhochdeutsch|mhd.]], [[Althochdeutsch|ahd.]] ''brant'' ist eine Bildung zu dem im [[Neuhochdeutsch|Neuhochdeutschen]] untergegangenen [[Starkes Verb|starken Verb]] mhd. ''brinnen'', ahd. ''brinnan'' „brennen, leuchten“. Das Verb mhd. ''brennen'', ahd. ''brennan'' ist das [[Kausativ]] dazu und hat im Neuhochdeutschen die Bedeutung des starken Verbs mit übernommen.<ref>{{Literatur| Titel=Das Herkunftswörterbuch| Auflage=5. Auflage| Verlag=Dudenverlag| Ort=Berlin| Jahr=2014| Reihe=[[Duden#Duden in zwölf Bänden|Der Duden in zwölf Bänden]]| BandReihe=7| Online=[https://books.google.de/books?id=KqvWCgAAQBAJ&pg=PA184&dq=brand S. 184], [https://books.google.de/books?id=KqvWCgAAQBAJ&pg=PA186&dq=brennan 186]}} ''Siehe auch [[Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache|DWDS]]'' ([https://www.dwds.de/wb/Brand#et-1 „Brand“]) ''und'' {{Literatur| Autor=[[Friedrich Kluge]]| Titel=[[Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache]]| Auflage=7. Auflage| Verlag=Trübner| Ort=Straßburg| Jahr=1910| Online=[https://daten.digitale-sammlungen.de//~db/0007/bsb00070228/images/index.html?&seite=89 S. 67], [https://daten.digitale-sammlungen.de//~db/0007/bsb00070228/images/index.html?&seite=92 70]}}</ref><br />
<br />
== Brandursachen ==<br />
[[Datei:Flame in potbelly stove.png|mini|264x264px|Die Öfen haben manchmal versehentliche Brände verursacht]]<br />
[[Datei:Lignin structure.svg|350px|mini|Der hohe Sauerstoffgehalt mancher organischer Moleküle, hier des Holzbestandteils [[Lignin]], begünstigt sowohl die [[Kompostierung|Verrottung]] als auch die [[Selbstentzündung]] gelagerter [[Hackschnitzel]] und den Brand von [[Altholz|Alt-]] und [[Grünholz]] und eine rasche Brandausbreitung.]]<br />
<br />
Ein Brand entsteht, sobald [[Verbrennung (Chemie)|Voraussetzungen einer Verbrennung]] am Brandort erfüllt sind, und erlischt, sobald sie nicht mehr gegeben sind. Diese Voraussetzungen können auf verschiedene Weise erfüllt werden. Als Brandursache werden der Vorgang und die Umstände bezeichnet, die zur Erfüllung der Brandvoraussetzungen führen.<br />
<br />
Brandursachen können ''technische Brandursachen'', ''natürliche Brandursachen'' und ''sonstige Einwirkungen von Zündquellen auf brennbare Stoffe'' sein, wobei bei letzterem der Mensch die hauptsächliche Rolle spielt. Mit der Ermittlung von Brandursachen beschäftigt sich die [[Brandursachenermittlung]].<br />
<br />
Nicht nur unmittelbar von Menschen verursachte Brände können strafrechtlich relevant sein. Technisch oder natürlich verursachte Brände wie ein [[Kabelbrand]] oder ein Brand nach [[Blitzschlag]] können strafrechtlich relevant auf Grund von Pflichtverletzungen sein. Wird die technische oder natürliche Brandursache durch die Missachtung [[Anerkannte Regeln der Technik|allgemein anerkannter technischer Regeln]] gesetzt, kann auch der [[Strafrecht#Straftat|Straftat]]bestand einer Brandstiftung (meist fahrlässig) erfüllt sein.<br />
<br />
Meist ist ausreichend Sauerstoff in der Umgebung vorhanden. Der Brand entsteht, zum Beispiel aus Unachtsamkeit beim Hantieren mit brennenden Gegenständen, wie [[Zigarette]]n, [[Feuerwerkskörper]]n und [[Kerze]]n, indem eine Zündquelle mit brennbarem Material zusammengebracht wird, oder die [[Zündquelle]] entsteht aus technischen Gründen, beispielsweise durch Überhitzung von [[Lager (Maschinenelement)|Lagern]] oder elektrischen [[Kabel]]n. Auch der Kontrollverlust über Nutzfeuer, beispielsweise beim Abbrennen von [[Laub (Botanik)|Laub]] oder beim [[Schweißen]], kann zu einem Brand führen. Durch das Übergreifen von Flammen benachbarter Brandstellen, zum Beispiel auf benachbarte Gebäude, oder nach einer [[Explosion]] (Gas) treten Brände als Folgewirkung auf. [[Asche]] kann als Zündquelle wirken, solange sie noch Glut enthält oder noch nicht ausreichend abgekühlt ist, was bei der [[Torf#Brennstoff|Torfasche]] sehr lange dauert.<br />
<br />
Fehlt (wie vor einer [[Rauchgasexplosion]]) zunächst ein [[Oxidationsmittel]] (wie Sauerstoff), ist aber bereits eine Zündquelle (wie Glutnester) am brennbaren Material (wie unverbrannte Rauchgase), entzündet es sich, sobald Sauerstoff hinzutritt. Manche Stoffe können sich durch Sauerstoffzutritt schon bei normaler Raumtemperatur [[Selbstentzündung|von selbst entzünden]].<br />
<br />
Mutwillig oder vorsätzlich gelegte Brände werden in der Regel durch die Verwendung einfacher Zündmittel wie Streichhölzer, Feuerzeug oder Kerzen verursacht, aber oft (besonders bei [[Brandanschlag|Brandanschlägen]]) auch unter Zuhilfenahme von [[Brandbeschleuniger]]n oder [[Brandsatz|Brandsätzen]].<br />
<br />
== Verlauf eines Brandes ==<br />
[[Datei:Wohnungsbrand Muenchen.jpg|mini|300px|links|Dachwohnungsbrand in München]]<br />
[[Datei:Verbrennungsdreieck.svg|mini|200px|Verbrennungsdreieck]]<br />
<br />
Ausgangspunkt für einen Brand ist die Entzündung von brennbaren Stoffen durch eine Zündquelle.<br />
In dieser ersten Phase (bis zur ca. 4. Minute) entsteht ein so genannter „Initial- oder [[Schwelbrand]]“, dessen Dauer von der Sauerstoffkonzentration des Raumes abhängt.<br />
<br />
In der zweiten Phase (ca. 4. bis 9. Brandminute) entwickelt sich ein lokaler Brand, der die Luft im Raum immer mehr aufheizt. Durch die Hitze des Brandrauchs, insbesondere die von ihm ausgehende Wärmestrahlung, beginnen die brennbaren Materialien im Raum sich durch [[Pyrolyse]] zu zersetzen, wodurch weitere brennbare Gase freigesetzt werden, die den Brand weiter anfachen. Die Gaskonzentration erreicht ab der ca. 3. Minute Werte, die die Handlungsfähigkeit von Menschen beschränken – und ab der 5. Minute Werte, die für Menschen lebensbedrohlich sind.<br />
<br />
Überschreitet die Raumtemperatur die Zündtemperatur der im Raum befindlichen Gegenstände, kommt es zu einer schlagartigen Brandausbreitung, dem sogenannten „[[Flashover]]“ (ca. 9. bis 10. Minute). Hierbei stehen dann in der Regel alle brennbaren Gegenstände in Vollbrand.<br />
<br />
Die nun entstehenden Temperaturen können rasch 1000&nbsp;°C und mehr erreichen. Entsprechend der vorhandenen [[Brandlast]] und der Frischluftzufuhr erhält sich das Feuer auf diesem Temperaturniveau (Vollbrandphase), bis es langsam abklingt.<br />
<br />
Weitere mögliche Phasen bzw. Brandereignisse sind:<br />
* der [[Backdraft (Feuer)|Backdraft]]<br />
* der [[Kamineffekt]]<br />
* die [[Rauchdurchzündung]]<br />
<br />
== Gesundheitsgefahren ==<br />
{{Hauptartikel|Rauchvergiftung|Verbrennung (Medizin)}}<br />
<br />
[[Datei:Deponiebrand.jpg|mini|Großbrand auf einer Mülldeponie]]<br />
<br />
Die Hauptgefahr bei einem Brand stellt der [[gift]]ige [[Rauch]] dar. Die in ihm enthaltenen [[Atemgift]]e (z.&nbsp;B. [[Kohlenstoffmonoxid]], Cyangase ([[Dicyan]], [[Cyanwasserstoff|Blausäure]]) u.&nbsp;v.&nbsp;m.) führen bereits nach wenigen Atemzügen zur [[Bewusstlosigkeit]] und können toxische [[Lungenödem]]e verursachen. Der Tod tritt meist durch Ersticken ein.<br />
<br />
[[Verbrennung (Medizin)|Hautverbrennungen]] entstehen nicht nur bei direktem Kontakt mit Flammen, sondern auch durch heiße Gase (z.&nbsp;B. das Abgas des Feuers) oder Dämpfe. Sie sind sehr schmerzhaft und können auch zu einem [[Schock (Medizin)|Kreislaufschock]] führen.<br />
<br />
== Brandschaden ==<br />
[[Datei:Brandschaden.jpg|mini|Folgen eines Großbrandes: Blick auf die zerstörte Dachkonstruktion]]<br />
<br />
=== Personenschäden ===<br />
Durch Hitze, Druckstoß oder fliegende Partikel einer Explosion, Sauerstoffmangel, Brandgase, einstürzende Bauteile, Fluchtversuch durch Sprung aus einem Haus können Menschen unterschiedliche Verletzungen erleiden. Rasche und vollständige Erholung, bleibende körperliche oder auch psychische Schäden, rasch oder als Spätfolge eintretender Tod sind infolge eines Brandes möglich.<br />
<br />
=== Sachschäden ===<br />
[[Datei:Fire-damaged restaurant, Balingen (Zollernalbkreis).jpg|mini|Gesperrte Brandstätte nach Großbrand]]<br />
Primär besteht der Brandschaden aus dem durch das Feuer vernichteten Hab und Gut. Aber auch die Folgeschäden (Sekundärschaden) sind nicht zu übersehen. Hierunter fallen Rauchschäden, Löschwasserschäden, Umweltschäden und Ausfallschäden.<br />
<br />
Von Rauchschäden wird gesprochen, wenn durch die giftigen Rauchinhaltsstoffe Gegenstände, die nicht unmittelbar von der Hitze oder vom Feuer beeinträchtigt wurden, trotzdem unbrauchbar werden.<br />
<br />
Zu den Umweltschäden zählt zunächst die Entsorgung des Brandschuttes, die mitkalkuliert werden muss. Außerdem können giftige [[Löschwasser]]abflüsse in öffentlichen Gewässern große Schäden anrichten, wie beispielsweise das Löschwasser beim Brand der Firma [[Sandoz]] in [[Basel]] große Schäden im [[Rhein]] im Jahr [[1986]] verursachte (siehe [[Grossbrand von Schweizerhalle|Großbrand von Schweizerhalle]]). Diese Folgen, wenn auch in kleinerem Rahmen, können auch bei kleinen Hausbränden auftreten. Aus diesem Grund existieren [[Löschwasserrückhalterichtlinie|Regeln zur Löschwasserrückhaltung]].<br />
<br />
Ein Ausfallschaden entsteht, wenn beispielsweise bei einem Wohnungsbrand der Geschädigte sich bis zur Wiederinstandsetzung eine Wohngelegenheit suchen muss. Bei Produktionsbetrieben kann ein Totalausfall große Auftragsverluste nach sich ziehen, die bis zur endgültigen Betriebsschließung führen können. So besagen amerikanische Untersuchungen, dass bis zu 75 Prozent der Firmen, deren Produktionsstätten abgebrannt sind, nie wieder produzieren. Historische [[Kulturgut|Kulturgüter]] sind nach einem Brand oft unwiederbringlich verloren oder stark beschädigt, wie beim Brand in der [[Herzogin Anna Amalia Bibliothek]].<br />
<br />
Brandstätten werden nach einem Brand häufig behördlich gesperrt, weil von Brandstoffen und beschädigten Gebäuden Gefahren beim Atmen und Betreten ausgehen und für das Erheben von Brandursache und Brandschaden ungestörte Spuren nötig sind.<ref>[https://ooe.orf.at/v2/news/stories/2893053/ Zwei Verletzte bei Brand auf Schießplatz] orf.at, 1. Februar 2018, abgerufen am 1. Februar 2018. – Brand in einem Schießkanal, Desselbrunn, Oberösterreich. Sperre durch den Bürgermeister. Bild 24/24.</ref><br />
<br />
== Vorbeugender Brandschutz und Baurecht ==<br />
[[Datei:Heimrauchmelder.jpg|mini|Ein [[Brandmelder|Rauchwarnmelder]]]]<br />
Fast jede Stadt wurde im Laufe ihrer Geschichte von größeren Bränden heimgesucht. Diese negativen Erfahrungen führten im Laufe der Zeit zur Aufstellung von örtlichen und regionalen [[Brandschutzvorschriften]]<ref>{{Literatur |Autor=[[Franz-Josef Sehr]] |Titel= Das Feuerlöschwesen in Obertiefenbach aus früherer Zeit |Sammelwerk=Jahrbuch für den Kreis Limburg-Weilburg 1994 |Verlag=Der Kreisausschuss des Landkreises Limburg-Weilburg |Ort=Limburg |Datum=1993 |Seiten=151-153 }}</ref>.<br />
<br />
In der heutigen Zeit beschäftigt sich der [[Brandschutz]] mit der Verhinderung von Bränden (''vorbeugender Brandschutz'') und einer Begrenzung bereits entstandener Brände (''abwehrender Brandschutz''). Sinnvolle bauliche Maßnahmen sind beispielsweise die Installation von [[Brandmelder]]n und die Errichtung von [[Brandwand|Brandwänden]].<br />
<br />
Folgerichtig sind Brandschutzbestimmungen nach wie vor wesentliche Bestandteile der [[Bauordnungen (Deutschland)|Bauordnungen]]. Die Bauordnungen stellen dabei den baulichen Brandschutz (durch feuerwiderstandsfähige Bauteile) in den Vordergrund, während technische Brandschutzmaßnahmen (z.&nbsp;B. [[Brandmeldeanlage]]n, [[Sprinkleranlage]]n) nur bei [[Sonderbau]]ten eine Rolle spielen.<br />
<br />
Ergänzt werden die eher allgemein gehaltenen Bauordnungen (geeignet für Wohn- und Bürogebäude) durch Sondervorschriften für besondere Anlagen und Bauwerke ([[Sonderbau]]ten). In vielen Ländern gibt es für Gaststätten, Versammlungsstätten, Verkaufsstätten, Krankenhäuser, Schulen, Hochhäuser usw. eigene Regelwerke, in denen die besonderen Gefahren und betrieblichen Notwendigkeiten berücksichtigt werden.<br />
<br />
Bei Bauvorhaben und Nutzungsänderungen von Gebäuden der [[Gebäudeklasse]]n 4,5 und Sonderbauten gemäß Muster[[Bauordnungen (Deutschland)|bauordnung]] muss der Bauherr/Architekt ein [[Brandschutzkonzept]] / einen Brandschutznachweis vorlegen. Die Vereinbarkeit des Bauvorhabens mit den öffentlichen Bauvorschriften ist so nachzuweisen.<br />
<br />
== Einteilung ==<br />
=== Einteilung nach Größe ===<br />
Brände lassen sich nach ihrer Größe einteilen. In Deutschland geschieht dies nach [[DIN]] 14010<ref>DIN 14010-2005-10 (D): ''Angaben zur statistischen Erfassung von Bränden''</ref> in vier Kategorien (Kleinbrand a, Kleinbrand b, Mittelbrand, Großbrand). Diese Einordnung hilft, entsprechende Gegenmaßnahmen wie die [[Alarmierung]] von Einsatzkräften der [[Feuerwehr]] im Bereich des [[Brandschutz|Brand-]] und [[Katastrophenschutz]]es zu treffen. Mit der Brandausdehnung im Sinne des Taktikschemas ist der vorgefundene Brandumfang gemeint. Die Brandausdehnung ist u. a. abhängig von Brandgut, Bauweise, Brandabschnitten, Feuerbrücken, Windrichtung und Windstärke. Für statistische Zwecke wird der Brandumfang nach dem Löschgeräteeinsatz ermittelt.<ref>{{Internetquelle |autor= |url=https://www.feuerwehr-lernbar.bayern/lexikon/b/brandausdehnung/ |titel=Brandausdehnung |titelerg=Brandumfang, Ausdehnungsneigung des Feuer, Brandgut, Bauweise, Brandabschnitte, Feuerbrücken, Wind, Brand, Löschgeräte, Brandentwicklungsstufen |hrsg=Staatliche Feuerwehrschule Würzburg |werk=www.feuerwehr-lernbar.bayern |datum= |abruf=2023-12-24 |sprache= |format= }}</ref><br />
<br />
In Österreich erfolgt die Alarmierung der erforderlichen Einheiten entsprechend dem tatsächlichen Meldebild (z.&nbsp;B. Zimmerbrand, Fahrzeugbrand), da die Bewertung der tatsächlichen Ausdehnung bei der Notrufannahme äußerst schwierig ist. Daher wird diese Klassifizierung nur im Nachhinein verwendet, um die zukünftigen Risiken jeweils neu bewerten zu können.<ref>[http://www.afkdo-gaenserndorf.at/dadb/2015351097.pdf Klassifizierung von Brandeinsätzen im Einsatzbericht] auf der Seite des Gänserndorfer Bezirksfeuerwehrkommandos abgerufen am 5. April 2017</ref><br />
<br />
==== Entstehungsbrand ====<br />
Jeder Brand, sofern es sich um keine [[Brandstiftung]] handelt, beginnt mit einem Entstehungsbrand. Hierbei handelt es sich nicht selten um einen [[Schwelbrand]], ausgelöst durch Defekte in elektrischen Geräten, vergessene Herdplatten, unbeaufsichtigte [[Kerze]]n oder Ähnliches. Entstehungsbrände können meist ohne besonderes Löschgerät mit einem [[Löscheimer|Eimer Wasser]] gelöscht werden, sie reichen jedoch aus, um genügend [[Rauch]] zu produzieren, dass Personen dadurch ernsthaft gefährdet werden. Deshalb sollte auch schon bei einem Entstehungsbrand [[Atemschutz]] getragen werden.<br />
<br />
==== Kleinbrand ====<br />
[[Datei:BrandGarage.jpg|mini|Kleinbrand B oder Mittelbrand]]<br />
[[Datei:Containerbrand.JPG|mini|Kleinbrand B oder Mittelbrand]]<br />
<br />
Kleinbrände sind die häufigsten Brände, zu denen jedoch nicht immer die Feuerwehr ausrücken muss. Zum [[Brandbekämpfung|Löschen]] eignet sich insbesondere ein [[Feuerlöscher]] oder eine [[Kübelspritze]]. Die Feuerwehr unterscheidet dabei zwischen:<br />
* '''Kleinbrand a''' Einsatz von einem [[Kleinlöschgerät]].<br />
* '''Kleinbrand b''' Einsatz von nicht mehr als einem [[Mehrzweckstrahlrohr|C-Rohr]].<br />
<br />
Beispiele für Brände kleinerer Ausdehnung sind kleinere [[Fahrzeugbrand|Pkw-Brände]], Rasenbrände oder brennende [[Mülltonne]]n.<br />
<br />
==== Mittelbrand ====<br />
Die meisten Brände, zu denen die Feuerwehr ausrückt, sind Mittelbrände und können in der Regel von einem oder seltener zwei [[Löschzug|Löschzügen]] der [[Feuerwehr]] wirksam bekämpft werden. Gemäß offizieller deutscher Definition werden nicht mehr als 3 C-Rohre und keine Sonderrohre (wie [[Mehrzweckstrahlrohr|B-Rohre]], [[Monitor (Feuerwehr)|Monitore]] oder [[Schaumstrahlrohr]]) eingesetzt.<br />
<br />
Beispiele für Brände mittlerer Ausdehnung sind Wohnungsbrände, größere [[Fahrzeugbrand|Kfz-Brände]], Gebäudebrände, [[Schienenfahrzeug]]&shy;brände, kleinere [[Waldbrand|Waldbrände]] (ohne Wipfelfeuer).<br />
<br />
==== Großbrand ====<br />
[[Datei:Makasiinit tulessa.jpg|mini|hochkant|Brennende Lagerhäuser in Helsinki]]<br />
Großbrände stellen die Ausnahme dar. In Deutschland gilt ein Brand als Großbrand, wenn mehr als drei C-Rohre oder/und oben genannte Sonderrohre eingesetzt werden.<br />
<br />
Zu ihrer Bekämpfung können mehrere Züge oder gar [[Taktische Einheit#Taktischer Verband|Verbände]] der Feuerwehr über einen größeren Zeitraum benötigt werden. Diese können unter Umständen auch von [[Katastrophenschutz]]einheiten unterstützt werden. Der Löscherfolg am brennenden Objekt kann dabei äußerst gering bleiben. Teilweise müssen sich die Hilfskräfte darauf beschränken, die Ausbreitung des Feuers zu begrenzen und benachbarte Sachwerte (Nachbargebäude etc.) zu schützen. Hierfür werden auch [[Monitor (Feuerwehr)|Monitore]], [[Mehrzweckstrahlrohr|B-Rohre]], [[Wenderohr]]e, [[Hydroschild]]e und andere große [[Wasserführende Armaturen im Brandschutz|Wasserabgabe-Armaturen]] eingesetzt.<br />
Beispiele für Brände großer Ausdehnung sind Tankzugbrände, [[Tanklagerbrand|Tanklagerbrände]], Brände von Großobjekten, [[Industrie]]betrieben und [[landwirtschaft]]lichen Anwesen, aber besonders auch größere Flur- und Waldbrände und Brände auf [[Deponie]]n. Sind derartige Brände besonders großflächig, so spricht man von Flächenbränden. In der Geschichte gab es auch Brände, die sich zu regelrechten „[[Feuersturm|Feuerstürmen]]“ entwickelten, bei denen ganze Städte bzw. große Teile dieser niederbrannten.<br />
<br />
=== Einteilung nach Brandklasse und Art ===<br />
Zur erfolgreichen [[Brandbekämpfung]] muss ein Brand richtig erkannt und eingeteilt werden, um eine richtige Wahl der [[Löschmittel]] zu treffen.<br />
<br />
In Europa ist die Klassifizierung vereinheitlicht und erfolgt nach der [[Europäische Norm|Europäischen Norm]] ''EN2'', nach der die Brände in [[Brandklasse]]n eingeteilt werden. Die einzelnen Brandklassen werden mit den Buchstaben A, B, C, D und F bezeichnet.<br />
<br />
{| class="wikitable"<br />
|-<br />
!Brandklasse<br />
!Definition<br />
!Beispiele<br />
!Löschmittel<br />
|-<br />
|{{Anker|Brandklasse A}}[[Datei:Fire Class A.svg|100px]]<br />
|Brände fester Stoffe hauptsächlich [[Organische Chemie|organischer]] Natur, die normalerweise unter Glutbildung verbrennen<br />
|[[Holz]], [[Kohle]], [[Papier]], [[Textilien]], [[Autoreifen]], einige [[Kunststoff]]e, [[Stroh]] usw.<br />
|[[Wasser]], [[Wässrige Lösung]]en, [[Löschschaum|Schaum]], [[Kohlenstoffdioxid]], [[ABC-Pulver]]<br />
|-<br />
|{{Anker|Brandklasse B}}[[Datei:Fire Class B.svg|100px]]<br />
|Brände von flüssigen und flüssig werdenden Stoffen<br />
(Dazu zählen auch Stoffe, die durch eine Temperaturerhöhung flüssig werden)<br />
|[[Motorenbenzin|Benzin]], [[Ethanol]], [[Teer]], [[Wachs]], viele [[Kunststoff]]e, [[Ether]], [[Lack]]e, [[Harz (Material)|Harz]] usw.<br />
|[[Löschschaum|Schaum]], [[ABC-Pulver]], [[BC-Pulver]], [[Kohlenstoffdioxid]]<br />
|-<br />
|{{Anker|Brandklasse C}}[[Datei:Fire Class C.svg|100px]]<br />
|Brände von [[Gas]]en<br />
| [[Ethin]] (Acetylen), [[Wasserstoff]], [[Erdgas]], [[Propan]], [[Stadtgas]] usw.<br />
|[[ABC-Pulver]], [[BC-Pulver]], ([[Kohlenstoffdioxid]] nur in Ausnahmefällen: hierfür gibt es selten speziell konstruierte Sonderfeuerlöscher mit Gasstrahldüse), Gaszufuhr durch Abschieben der Leitung unterbinden<br />
|-<br />
|{{Anker|Brandklasse D}}[[Datei:Fire Class D.svg|100px]]<br />
|[[Metallbrand|Brände von Metallen]]<br />
|[[Aluminium]], [[Magnesium]], [[Natrium]], [[Kalium]], [[Lithium]] usw. sowie deren [[Legierung]]en<br />
| [[Löschpulver#D-Löschpulver|Metallbrandpulver]] (D-Pulver), trockener Sand, trockenes Streu- oder Viehsalz, trockener Zement, [[Gusseisen|Grauguss]]-Späne<br />
|-<br />
|{{Anker|Brandklasse F}}[[Datei:Fire Class F.svg|100px]]<br />
|Brände von Speisefetten und -ölen in Frittier- und Fettbackgeräten und anderen Kücheneinrichtungen und -geräten ([[Fettbrand]])<br />
|Speiseöle und Speisefette<br />
|Speziallöschmittel (Flüssiglöschmittel aus Brandklasse F-Handfeuerlöscher)<br />
|}<br />
<br />
Hintergrund für die Ausgliederung der Stoffe der Klasse F aus der Brandklasse B ist die Tatsache, dass die Standardlöschmittel für die Brandklassen A, B und C auf diese Stoffe nur sehr bedingt einsetzbar sind. Der Einsatz von ungeeigneten Löschmitteln kann unter Umständen wirkungslos oder gar mit Gefahren verbunden sein.<br />
----<br />
<br />
''In der [[Europäische Norm|Europäischen Norm]] '''EN2''' war anfangs auch eine [[Brandklasse]] '''E''' vorgesehen. Diese sollte für Brände in elektrischen Niederspannungsanlagen (bis 1.000 Volt) gelten. Sie wurde aber wieder verworfen, da alle [[Feuerlöscher]] in Niederspannungsanlagen eingesetzt werden können, sofern der auf dem Feuerlöscher aufgedruckte Sicherheitsabstand eingehalten wird.''<br />
<br />
== Brandort ==<br />
In der Natur treten [[Erdbrand]], zum Beispiel [[Kohlebrand]] oder [[Torfbrand]], sowie [[Vegetationsbrand|Vegetationsbrände]] wie [[Flurbrand]] und [[Waldbrand]] auf. Ein [[Grubenbrand]] entwickelt sich in einem Bergwerk. In Siedlungen und in Einrichtungen von Handel, Handwerk und Industrie kann unter anderem [[Stadtbrand]], [[Schornsteinbrand]] und [[Tanklagerbrand]] entstehen. Fahrzeuge brennen etwa beim [[Fahrzeugbrand]] und beim [[Maritime Brandbekämpfung|Schiffsbrand]]. Je nach örtlicher Nachbarschaft können die verschiedenen Brände gegenseitig als Zündquelle wirken: Zum Beispiel kann ein Kohlebrand einen Flurbrand auslösen und umgekehrt.<br />
<br />
== Brandkatastrophen ==<br />
[[Datei:Hamburger Brand Zollenbruecke.jpg|mini|[[Hamburger Brand]] im Jahr 1842]]<br />
<br />
In der Geschichte gab es eine Vielzahl von verheerenden Brand- und Explosions[[katastrophe]]n, eine Auswahl ist in der [[Liste von Brandkatastrophen]] enthalten.<br />
<br />
== Brandopfer im internationalen Vergleich ==<br />
Tote durch Brandeinwirkung pro 1 Mio. Einwohner pro Jahr (Stand 2019)<ref name="CTIF-WFS04">{{Internetquelle |autor=Nikolai Brushlinsky, Marty Ahrens, Sergei Sokolov, Peter Wagner |url=https://www.ctif.org/sites/default/files/2021-06/CTIF_Report26.pdf |titel=Welt-Feuer-Statistik Ausgabe Nr. 26-2021 |titelerg=Tabelle 1.2: Verdichtete Kennzahlen der Brandsituation in den Staaten für das Jahr 2019 |hrsg=Weltfeuerwehrverband [[CTIF]] |datum=2021 |sprache=ru,en,de |abruf=2023-04-08 |format=PDF}}</ref><ref name="dfv-statistik">{{Internetquelle |autor= |url=https://www.feuerwehrverband.de/presse/statistik/ |titel=Aktuellste statistische Daten |titelerg= |hrsg=[[Deutscher Feuerwehrverband]] |datum=|abruf=2023-04-08 |sprache=}}</ref><br />
{| class="wikitable sortable"<br />
!Land || Tote ([[Parts per million|ppm]])<br />
|-<br />
|Russland || 58<br />
|-<br />
|Belarus || 52<br />
|-<br />
|Ukraine || 45<br />
|-<br />
|Lettland || 40<br />
|-<br />
|Estland || 32<br />
|-<br />
|Litauen || 25<br />
|-<br />
|Bulgarien || 19<br />
|-<br />
|Polen || 13<br />
|-<br />
|Japan || 12<br />
|-<br />
|Ungarn || 12<br />
|-<br />
|Schweden || 12<br />
|-<br />
|Tschechien || 12<br />
|-<br />
|USA || 11<br />
|-<br />
|Slowenien || {{0}}6<br />
|-<br />
|Großbritannien || {{0}}5<br />
|-<br />
|Frankreich || {{0}}4<br />
|-<br />
|Deutschland || {{0}}4<br />
|-<br />
|Griechenland || {{0}}2<br />
|-<br />
|Niederlande || {{0}}1<br />
|-<br />
|}<br />
<br />
== Siehe auch ==<br />
* [[Liste von Brandkatastrophen]]<br />
* [[Abbranderscheinung]]<br />
* [[Brandrodung]]<br />
* [[Einsatzfotografie]]<br />
* [[Fackelbrand]]<br />
* [[Flammschutzmittel]]<br />
* [[Stangenbrand]]<br />
<br />
== Literatur ==<br />
* {{Literatur |Autor= Roy Bergdoll, Sebastian Breitenbach|Titel=Die Roten Hefte, Heft 1 – Verbrennen und Löschen |Auflage=18 |Verlag=Kohlhammer |Ort=Stuttgart |Datum=2019 |Seiten= |ISBN=978-3-17-026968-2}}<br />
* {{Literatur |Autor=Lothar Schott, Manfred Ritter |Titel=Feuerwehr Grundlehrgang FwDV 2 |Verlag=Wenzel-Verlag |Ort=Marburg |Auflage=21 |Datum=2022 |Seiten= |ISBN=978-3-88293-121-1}}<br />
<br />
== Weblinks ==<br />
{{Wiktionary|Brand}}<br />
{{Commonscat|Fire|Feuer}}<br />
{{Wikiquote|Brand (Feuer)}}<br />
* {{HLS|7787|Feuersbrünste|Autor=Anne-Marie Dubler}}<br />
* [https://www.feuerwehrverband.de/app/uploads/2020/05/DFV_vfdb_Fachempfehlung_Verhalten_Brandfall_2019b.pdf Fachempfehlung des Deutschen Feuerwehrverbandes „Verhalten im Brandfall“ vom November 2019]<br />
* [https://www.zeit.de/2003/31/N-Kohlefeuer Inferno in der Unterwelt] – Ute Eberle: ''Von Pennsylvania bis zur Mongolei brennen unterirdische Kohleflöze''. Die Feuer gefährden Mensch und Klima<br />
* [https://de.wikinews.org/wiki/Portal:Br%C3%A4nde Portal Brände auf Wikinews]<br />
* [https://www.lfu.bayern.de/analytik_stoffe/per_polyfluorierte_chemikalien/fachtagungen/doc/folgeschaeden_einsatz2.pdf Schadstoffe bei Brandereignissen] (UmweltWissen – Bayerisches Landesamt für Umwelt; PDF-Datei; 177&nbsp;kB)<br />
* [https://www.ffb.kit.edu/392.php/ Diverse Forschungsberichte zur Brandentwicklung von der Brandentstehung bis zum Vollbrand (Branddetektion, Brandbekämpfung, Einfluss der Ventilationsbedingungen, Verrauchung, Brandrauchanalyse) auf der Website der Forschungsstelle für Brandschutztechnik am KIT]<br />
<br />
== Einzelnachweise ==<br />
<references /><br />
<br />
{{Normdaten|TYP=s|GND=4133754-2}}<br />
<br />
[[Kategorie:Brandlehre|!Brand]]<br />
[[Kategorie:Brand| ]]</div>Scriptirhttps://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Brand&diff=242786064Brand2024-03-04T00:19:41Z<p>Scriptir: Foto</p>
<hr />
<div>{{Dieser Artikel|behandelt Brand als Schadfeuer. Weitere Bedeutungen unter [[Brand (Begriffsklärung)]].}}<br />
{{Weiterleitungshinweis|Großfeuer|Zu Karl Valentins Theaterstück siehe [[Großfeuer (Karl Valentin)]].}}<br />
[[Datei:Fire inside an abandoned convent in Massueville, Quebec, Canada.jpg|mini|250px|Kanadische Feuerwehr bei der Brandbekämpfung]]<br />
[[Datei:St johannis fire goettingen.jpg|mini|Folgen einer [[Brandstiftung]]: Feuer im Nordturm der [[St. Johannis (Göttingen)|Göttinger St.-Johannis-Kirche]]]]<br />
[[Datei:Flame in potbelly stove.png|mini|264x264px|Die Öfen haben manchmal versehentliche Brände verursacht]]<br />
Als '''Brand''' gilt ein mit einer [[Licht]]erscheinung ([[Feuer]], [[Flamme]], [[Glut (Verbrennung)|Glut]], [[Schwelen|Glimmen]], [[Funke (Verbrennung)|Funken]]) verbundener [[Verbrennung (Chemie)|Verbrennungsvorgang]], der meist ungewollt entstanden ist oder seinen bestimmungsgemäßen Ort verlassen hat, um sich aus eigener Kraft unkontrolliert auszubreiten. Er führt in der Regel zu Sach-, Personen- bzw. Umweltschäden und wird daher auch als '''Schadensfeuer''' oder '''Schadfeuer''' bezeichnet. [[Brandbekämpfung|Bekämpfen]] und Verhüten von Bränden, [[Brandschutz]] zu leisten ist vor allem Aufgabe der [[Feuerwehr]].<br />
<br />
== Etymologie ==<br />
Das [[Urgermanische Sprache|altgermanische]] Wort [[Mittelhochdeutsch|mhd.]], [[Althochdeutsch|ahd.]] ''brant'' ist eine Bildung zu dem im [[Neuhochdeutsch|Neuhochdeutschen]] untergegangenen [[Starkes Verb|starken Verb]] mhd. ''brinnen'', ahd. ''brinnan'' „brennen, leuchten“. Das Verb mhd. ''brennen'', ahd. ''brennan'' ist das [[Kausativ]] dazu und hat im Neuhochdeutschen die Bedeutung des starken Verbs mit übernommen.<ref>{{Literatur| Titel=Das Herkunftswörterbuch| Auflage=5. Auflage| Verlag=Dudenverlag| Ort=Berlin| Jahr=2014| Reihe=[[Duden#Duden in zwölf Bänden|Der Duden in zwölf Bänden]]| BandReihe=7| Online=[https://books.google.de/books?id=KqvWCgAAQBAJ&pg=PA184&dq=brand S. 184], [https://books.google.de/books?id=KqvWCgAAQBAJ&pg=PA186&dq=brennan 186]}} ''Siehe auch [[Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache|DWDS]]'' ([https://www.dwds.de/wb/Brand#et-1 „Brand“]) ''und'' {{Literatur| Autor=[[Friedrich Kluge]]| Titel=[[Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache]]| Auflage=7. Auflage| Verlag=Trübner| Ort=Straßburg| Jahr=1910| Online=[https://daten.digitale-sammlungen.de//~db/0007/bsb00070228/images/index.html?&seite=89 S. 67], [https://daten.digitale-sammlungen.de//~db/0007/bsb00070228/images/index.html?&seite=92 70]}}</ref><br />
<br />
== Brandursachen ==<br />
[[Datei:Lignin structure.svg|350px|mini|Der hohe Sauerstoffgehalt mancher organischer Moleküle, hier des Holzbestandteils [[Lignin]], begünstigt sowohl die [[Kompostierung|Verrottung]] als auch die [[Selbstentzündung]] gelagerter [[Hackschnitzel]] und den Brand von [[Altholz|Alt-]] und [[Grünholz]] und eine rasche Brandausbreitung.]]<br />
<br />
Ein Brand entsteht, sobald [[Verbrennung (Chemie)|Voraussetzungen einer Verbrennung]] am Brandort erfüllt sind, und erlischt, sobald sie nicht mehr gegeben sind. Diese Voraussetzungen können auf verschiedene Weise erfüllt werden. Als Brandursache werden der Vorgang und die Umstände bezeichnet, die zur Erfüllung der Brandvoraussetzungen führen.<br />
<br />
Brandursachen können ''technische Brandursachen'', ''natürliche Brandursachen'' und ''sonstige Einwirkungen von Zündquellen auf brennbare Stoffe'' sein, wobei bei letzterem der Mensch die hauptsächliche Rolle spielt. Mit der Ermittlung von Brandursachen beschäftigt sich die [[Brandursachenermittlung]].<br />
<br />
Nicht nur unmittelbar von Menschen verursachte Brände können strafrechtlich relevant sein. Technisch oder natürlich verursachte Brände wie ein [[Kabelbrand]] oder ein Brand nach [[Blitzschlag]] können strafrechtlich relevant auf Grund von Pflichtverletzungen sein. Wird die technische oder natürliche Brandursache durch die Missachtung [[Anerkannte Regeln der Technik|allgemein anerkannter technischer Regeln]] gesetzt, kann auch der [[Strafrecht#Straftat|Straftat]]bestand einer Brandstiftung (meist fahrlässig) erfüllt sein.<br />
<br />
Meist ist ausreichend Sauerstoff in der Umgebung vorhanden. Der Brand entsteht, zum Beispiel aus Unachtsamkeit beim Hantieren mit brennenden Gegenständen, wie [[Zigarette]]n, [[Feuerwerkskörper]]n und [[Kerze]]n, indem eine Zündquelle mit brennbarem Material zusammengebracht wird, oder die [[Zündquelle]] entsteht aus technischen Gründen, beispielsweise durch Überhitzung von [[Lager (Maschinenelement)|Lagern]] oder elektrischen [[Kabel]]n. Auch der Kontrollverlust über Nutzfeuer, beispielsweise beim Abbrennen von [[Laub (Botanik)|Laub]] oder beim [[Schweißen]], kann zu einem Brand führen. Durch das Übergreifen von Flammen benachbarter Brandstellen, zum Beispiel auf benachbarte Gebäude, oder nach einer [[Explosion]] (Gas) treten Brände als Folgewirkung auf. [[Asche]] kann als Zündquelle wirken, solange sie noch Glut enthält oder noch nicht ausreichend abgekühlt ist, was bei der [[Torf#Brennstoff|Torfasche]] sehr lange dauert.<br />
<br />
Fehlt (wie vor einer [[Rauchgasexplosion]]) zunächst ein [[Oxidationsmittel]] (wie Sauerstoff), ist aber bereits eine Zündquelle (wie Glutnester) am brennbaren Material (wie unverbrannte Rauchgase), entzündet es sich, sobald Sauerstoff hinzutritt. Manche Stoffe können sich durch Sauerstoffzutritt schon bei normaler Raumtemperatur [[Selbstentzündung|von selbst entzünden]].<br />
<br />
Mutwillig oder vorsätzlich gelegte Brände werden in der Regel durch die Verwendung einfacher Zündmittel wie Streichhölzer, Feuerzeug oder Kerzen verursacht, aber oft (besonders bei [[Brandanschlag|Brandanschlägen]]) auch unter Zuhilfenahme von [[Brandbeschleuniger]]n oder [[Brandsatz|Brandsätzen]].<br />
<br />
== Verlauf eines Brandes ==<br />
[[Datei:Wohnungsbrand Muenchen.jpg|mini|300px|links|Dachwohnungsbrand in München]]<br />
[[Datei:Verbrennungsdreieck.svg|mini|200px|Verbrennungsdreieck]]<br />
<br />
Ausgangspunkt für einen Brand ist die Entzündung von brennbaren Stoffen durch eine Zündquelle.<br />
In dieser ersten Phase (bis zur ca. 4. Minute) entsteht ein so genannter „Initial- oder [[Schwelbrand]]“, dessen Dauer von der Sauerstoffkonzentration des Raumes abhängt.<br />
<br />
In der zweiten Phase (ca. 4. bis 9. Brandminute) entwickelt sich ein lokaler Brand, der die Luft im Raum immer mehr aufheizt. Durch die Hitze des Brandrauchs, insbesondere die von ihm ausgehende Wärmestrahlung, beginnen die brennbaren Materialien im Raum sich durch [[Pyrolyse]] zu zersetzen, wodurch weitere brennbare Gase freigesetzt werden, die den Brand weiter anfachen. Die Gaskonzentration erreicht ab der ca. 3. Minute Werte, die die Handlungsfähigkeit von Menschen beschränken – und ab der 5. Minute Werte, die für Menschen lebensbedrohlich sind.<br />
<br />
Überschreitet die Raumtemperatur die Zündtemperatur der im Raum befindlichen Gegenstände, kommt es zu einer schlagartigen Brandausbreitung, dem sogenannten „[[Flashover]]“ (ca. 9. bis 10. Minute). Hierbei stehen dann in der Regel alle brennbaren Gegenstände in Vollbrand.<br />
<br />
Die nun entstehenden Temperaturen können rasch 1000&nbsp;°C und mehr erreichen. Entsprechend der vorhandenen [[Brandlast]] und der Frischluftzufuhr erhält sich das Feuer auf diesem Temperaturniveau (Vollbrandphase), bis es langsam abklingt.<br />
<br />
Weitere mögliche Phasen bzw. Brandereignisse sind:<br />
* der [[Backdraft (Feuer)|Backdraft]]<br />
* der [[Kamineffekt]]<br />
* die [[Rauchdurchzündung]]<br />
<br />
== Gesundheitsgefahren ==<br />
{{Hauptartikel|Rauchvergiftung|Verbrennung (Medizin)}}<br />
<br />
[[Datei:Deponiebrand.jpg|mini|Großbrand auf einer Mülldeponie]]<br />
<br />
Die Hauptgefahr bei einem Brand stellt der [[gift]]ige [[Rauch]] dar. Die in ihm enthaltenen [[Atemgift]]e (z.&nbsp;B. [[Kohlenstoffmonoxid]], Cyangase ([[Dicyan]], [[Cyanwasserstoff|Blausäure]]) u.&nbsp;v.&nbsp;m.) führen bereits nach wenigen Atemzügen zur [[Bewusstlosigkeit]] und können toxische [[Lungenödem]]e verursachen. Der Tod tritt meist durch Ersticken ein.<br />
<br />
[[Verbrennung (Medizin)|Hautverbrennungen]] entstehen nicht nur bei direktem Kontakt mit Flammen, sondern auch durch heiße Gase (z.&nbsp;B. das Abgas des Feuers) oder Dämpfe. Sie sind sehr schmerzhaft und können auch zu einem [[Schock (Medizin)|Kreislaufschock]] führen.<br />
<br />
== Brandschaden ==<br />
[[Datei:Brandschaden.jpg|mini|Folgen eines Großbrandes: Blick auf die zerstörte Dachkonstruktion]]<br />
<br />
=== Personenschäden ===<br />
Durch Hitze, Druckstoß oder fliegende Partikel einer Explosion, Sauerstoffmangel, Brandgase, einstürzende Bauteile, Fluchtversuch durch Sprung aus einem Haus können Menschen unterschiedliche Verletzungen erleiden. Rasche und vollständige Erholung, bleibende körperliche oder auch psychische Schäden, rasch oder als Spätfolge eintretender Tod sind infolge eines Brandes möglich.<br />
<br />
=== Sachschäden ===<br />
[[Datei:Fire-damaged restaurant, Balingen (Zollernalbkreis).jpg|mini|Gesperrte Brandstätte nach Großbrand]]<br />
Primär besteht der Brandschaden aus dem durch das Feuer vernichteten Hab und Gut. Aber auch die Folgeschäden (Sekundärschaden) sind nicht zu übersehen. Hierunter fallen Rauchschäden, Löschwasserschäden, Umweltschäden und Ausfallschäden.<br />
<br />
Von Rauchschäden wird gesprochen, wenn durch die giftigen Rauchinhaltsstoffe Gegenstände, die nicht unmittelbar von der Hitze oder vom Feuer beeinträchtigt wurden, trotzdem unbrauchbar werden.<br />
<br />
Zu den Umweltschäden zählt zunächst die Entsorgung des Brandschuttes, die mitkalkuliert werden muss. Außerdem können giftige [[Löschwasser]]abflüsse in öffentlichen Gewässern große Schäden anrichten, wie beispielsweise das Löschwasser beim Brand der Firma [[Sandoz]] in [[Basel]] große Schäden im [[Rhein]] im Jahr [[1986]] verursachte (siehe [[Grossbrand von Schweizerhalle|Großbrand von Schweizerhalle]]). Diese Folgen, wenn auch in kleinerem Rahmen, können auch bei kleinen Hausbränden auftreten. Aus diesem Grund existieren [[Löschwasserrückhalterichtlinie|Regeln zur Löschwasserrückhaltung]].<br />
<br />
Ein Ausfallschaden entsteht, wenn beispielsweise bei einem Wohnungsbrand der Geschädigte sich bis zur Wiederinstandsetzung eine Wohngelegenheit suchen muss. Bei Produktionsbetrieben kann ein Totalausfall große Auftragsverluste nach sich ziehen, die bis zur endgültigen Betriebsschließung führen können. So besagen amerikanische Untersuchungen, dass bis zu 75 Prozent der Firmen, deren Produktionsstätten abgebrannt sind, nie wieder produzieren. Historische [[Kulturgut|Kulturgüter]] sind nach einem Brand oft unwiederbringlich verloren oder stark beschädigt, wie beim Brand in der [[Herzogin Anna Amalia Bibliothek]].<br />
<br />
Brandstätten werden nach einem Brand häufig behördlich gesperrt, weil von Brandstoffen und beschädigten Gebäuden Gefahren beim Atmen und Betreten ausgehen und für das Erheben von Brandursache und Brandschaden ungestörte Spuren nötig sind.<ref>[https://ooe.orf.at/v2/news/stories/2893053/ Zwei Verletzte bei Brand auf Schießplatz] orf.at, 1. Februar 2018, abgerufen am 1. Februar 2018. – Brand in einem Schießkanal, Desselbrunn, Oberösterreich. Sperre durch den Bürgermeister. Bild 24/24.</ref><br />
<br />
== Vorbeugender Brandschutz und Baurecht ==<br />
[[Datei:Heimrauchmelder.jpg|mini|Ein [[Brandmelder|Rauchwarnmelder]]]]<br />
Fast jede Stadt wurde im Laufe ihrer Geschichte von größeren Bränden heimgesucht. Diese negativen Erfahrungen führten im Laufe der Zeit zur Aufstellung von örtlichen und regionalen [[Brandschutzvorschriften]]<ref>{{Literatur |Autor=[[Franz-Josef Sehr]] |Titel= Das Feuerlöschwesen in Obertiefenbach aus früherer Zeit |Sammelwerk=Jahrbuch für den Kreis Limburg-Weilburg 1994 |Verlag=Der Kreisausschuss des Landkreises Limburg-Weilburg |Ort=Limburg |Datum=1993 |Seiten=151-153 }}</ref>.<br />
<br />
In der heutigen Zeit beschäftigt sich der [[Brandschutz]] mit der Verhinderung von Bränden (''vorbeugender Brandschutz'') und einer Begrenzung bereits entstandener Brände (''abwehrender Brandschutz''). Sinnvolle bauliche Maßnahmen sind beispielsweise die Installation von [[Brandmelder]]n und die Errichtung von [[Brandwand|Brandwänden]].<br />
<br />
Folgerichtig sind Brandschutzbestimmungen nach wie vor wesentliche Bestandteile der [[Bauordnungen (Deutschland)|Bauordnungen]]. Die Bauordnungen stellen dabei den baulichen Brandschutz (durch feuerwiderstandsfähige Bauteile) in den Vordergrund, während technische Brandschutzmaßnahmen (z.&nbsp;B. [[Brandmeldeanlage]]n, [[Sprinkleranlage]]n) nur bei [[Sonderbau]]ten eine Rolle spielen.<br />
<br />
Ergänzt werden die eher allgemein gehaltenen Bauordnungen (geeignet für Wohn- und Bürogebäude) durch Sondervorschriften für besondere Anlagen und Bauwerke ([[Sonderbau]]ten). In vielen Ländern gibt es für Gaststätten, Versammlungsstätten, Verkaufsstätten, Krankenhäuser, Schulen, Hochhäuser usw. eigene Regelwerke, in denen die besonderen Gefahren und betrieblichen Notwendigkeiten berücksichtigt werden.<br />
<br />
Bei Bauvorhaben und Nutzungsänderungen von Gebäuden der [[Gebäudeklasse]]n 4,5 und Sonderbauten gemäß Muster[[Bauordnungen (Deutschland)|bauordnung]] muss der Bauherr/Architekt ein [[Brandschutzkonzept]] / einen Brandschutznachweis vorlegen. Die Vereinbarkeit des Bauvorhabens mit den öffentlichen Bauvorschriften ist so nachzuweisen.<br />
<br />
== Einteilung ==<br />
=== Einteilung nach Größe ===<br />
Brände lassen sich nach ihrer Größe einteilen. In Deutschland geschieht dies nach [[DIN]] 14010<ref>DIN 14010-2005-10 (D): ''Angaben zur statistischen Erfassung von Bränden''</ref> in vier Kategorien (Kleinbrand a, Kleinbrand b, Mittelbrand, Großbrand). Diese Einordnung hilft, entsprechende Gegenmaßnahmen wie die [[Alarmierung]] von Einsatzkräften der [[Feuerwehr]] im Bereich des [[Brandschutz|Brand-]] und [[Katastrophenschutz]]es zu treffen. Mit der Brandausdehnung im Sinne des Taktikschemas ist der vorgefundene Brandumfang gemeint. Die Brandausdehnung ist u. a. abhängig von Brandgut, Bauweise, Brandabschnitten, Feuerbrücken, Windrichtung und Windstärke. Für statistische Zwecke wird der Brandumfang nach dem Löschgeräteeinsatz ermittelt.<ref>{{Internetquelle |autor= |url=https://www.feuerwehr-lernbar.bayern/lexikon/b/brandausdehnung/ |titel=Brandausdehnung |titelerg=Brandumfang, Ausdehnungsneigung des Feuer, Brandgut, Bauweise, Brandabschnitte, Feuerbrücken, Wind, Brand, Löschgeräte, Brandentwicklungsstufen |hrsg=Staatliche Feuerwehrschule Würzburg |werk=www.feuerwehr-lernbar.bayern |datum= |abruf=2023-12-24 |sprache= |format= }}</ref><br />
<br />
In Österreich erfolgt die Alarmierung der erforderlichen Einheiten entsprechend dem tatsächlichen Meldebild (z.&nbsp;B. Zimmerbrand, Fahrzeugbrand), da die Bewertung der tatsächlichen Ausdehnung bei der Notrufannahme äußerst schwierig ist. Daher wird diese Klassifizierung nur im Nachhinein verwendet, um die zukünftigen Risiken jeweils neu bewerten zu können.<ref>[http://www.afkdo-gaenserndorf.at/dadb/2015351097.pdf Klassifizierung von Brandeinsätzen im Einsatzbericht] auf der Seite des Gänserndorfer Bezirksfeuerwehrkommandos abgerufen am 5. April 2017</ref><br />
<br />
==== Entstehungsbrand ====<br />
Jeder Brand, sofern es sich um keine [[Brandstiftung]] handelt, beginnt mit einem Entstehungsbrand. Hierbei handelt es sich nicht selten um einen [[Schwelbrand]], ausgelöst durch Defekte in elektrischen Geräten, vergessene Herdplatten, unbeaufsichtigte [[Kerze]]n oder Ähnliches. Entstehungsbrände können meist ohne besonderes Löschgerät mit einem [[Löscheimer|Eimer Wasser]] gelöscht werden, sie reichen jedoch aus, um genügend [[Rauch]] zu produzieren, dass Personen dadurch ernsthaft gefährdet werden. Deshalb sollte auch schon bei einem Entstehungsbrand [[Atemschutz]] getragen werden.<br />
<br />
==== Kleinbrand ====<br />
[[Datei:BrandGarage.jpg|mini|Kleinbrand B oder Mittelbrand]]<br />
[[Datei:Containerbrand.JPG|mini|Kleinbrand B oder Mittelbrand]]<br />
<br />
Kleinbrände sind die häufigsten Brände, zu denen jedoch nicht immer die Feuerwehr ausrücken muss. Zum [[Brandbekämpfung|Löschen]] eignet sich insbesondere ein [[Feuerlöscher]] oder eine [[Kübelspritze]]. Die Feuerwehr unterscheidet dabei zwischen:<br />
* '''Kleinbrand a''' Einsatz von einem [[Kleinlöschgerät]].<br />
* '''Kleinbrand b''' Einsatz von nicht mehr als einem [[Mehrzweckstrahlrohr|C-Rohr]].<br />
<br />
Beispiele für Brände kleinerer Ausdehnung sind kleinere [[Fahrzeugbrand|Pkw-Brände]], Rasenbrände oder brennende [[Mülltonne]]n.<br />
<br />
==== Mittelbrand ====<br />
Die meisten Brände, zu denen die Feuerwehr ausrückt, sind Mittelbrände und können in der Regel von einem oder seltener zwei [[Löschzug|Löschzügen]] der [[Feuerwehr]] wirksam bekämpft werden. Gemäß offizieller deutscher Definition werden nicht mehr als 3 C-Rohre und keine Sonderrohre (wie [[Mehrzweckstrahlrohr|B-Rohre]], [[Monitor (Feuerwehr)|Monitore]] oder [[Schaumstrahlrohr]]) eingesetzt.<br />
<br />
Beispiele für Brände mittlerer Ausdehnung sind Wohnungsbrände, größere [[Fahrzeugbrand|Kfz-Brände]], Gebäudebrände, [[Schienenfahrzeug]]&shy;brände, kleinere [[Waldbrand|Waldbrände]] (ohne Wipfelfeuer).<br />
<br />
==== Großbrand ====<br />
[[Datei:Makasiinit tulessa.jpg|mini|hochkant|Brennende Lagerhäuser in Helsinki]]<br />
Großbrände stellen die Ausnahme dar. In Deutschland gilt ein Brand als Großbrand, wenn mehr als drei C-Rohre oder/und oben genannte Sonderrohre eingesetzt werden.<br />
<br />
Zu ihrer Bekämpfung können mehrere Züge oder gar [[Taktische Einheit#Taktischer Verband|Verbände]] der Feuerwehr über einen größeren Zeitraum benötigt werden. Diese können unter Umständen auch von [[Katastrophenschutz]]einheiten unterstützt werden. Der Löscherfolg am brennenden Objekt kann dabei äußerst gering bleiben. Teilweise müssen sich die Hilfskräfte darauf beschränken, die Ausbreitung des Feuers zu begrenzen und benachbarte Sachwerte (Nachbargebäude etc.) zu schützen. Hierfür werden auch [[Monitor (Feuerwehr)|Monitore]], [[Mehrzweckstrahlrohr|B-Rohre]], [[Wenderohr]]e, [[Hydroschild]]e und andere große [[Wasserführende Armaturen im Brandschutz|Wasserabgabe-Armaturen]] eingesetzt.<br />
Beispiele für Brände großer Ausdehnung sind Tankzugbrände, [[Tanklagerbrand|Tanklagerbrände]], Brände von Großobjekten, [[Industrie]]betrieben und [[landwirtschaft]]lichen Anwesen, aber besonders auch größere Flur- und Waldbrände und Brände auf [[Deponie]]n. Sind derartige Brände besonders großflächig, so spricht man von Flächenbränden. In der Geschichte gab es auch Brände, die sich zu regelrechten „[[Feuersturm|Feuerstürmen]]“ entwickelten, bei denen ganze Städte bzw. große Teile dieser niederbrannten.<br />
<br />
=== Einteilung nach Brandklasse und Art ===<br />
Zur erfolgreichen [[Brandbekämpfung]] muss ein Brand richtig erkannt und eingeteilt werden, um eine richtige Wahl der [[Löschmittel]] zu treffen.<br />
<br />
In Europa ist die Klassifizierung vereinheitlicht und erfolgt nach der [[Europäische Norm|Europäischen Norm]] ''EN2'', nach der die Brände in [[Brandklasse]]n eingeteilt werden. Die einzelnen Brandklassen werden mit den Buchstaben A, B, C, D und F bezeichnet.<br />
<br />
{| class="wikitable"<br />
|-<br />
!Brandklasse<br />
!Definition<br />
!Beispiele<br />
!Löschmittel<br />
|-<br />
|{{Anker|Brandklasse A}}[[Datei:Fire Class A.svg|100px]]<br />
|Brände fester Stoffe hauptsächlich [[Organische Chemie|organischer]] Natur, die normalerweise unter Glutbildung verbrennen<br />
|[[Holz]], [[Kohle]], [[Papier]], [[Textilien]], [[Autoreifen]], einige [[Kunststoff]]e, [[Stroh]] usw.<br />
|[[Wasser]], [[Wässrige Lösung]]en, [[Löschschaum|Schaum]], [[Kohlenstoffdioxid]], [[ABC-Pulver]]<br />
|-<br />
|{{Anker|Brandklasse B}}[[Datei:Fire Class B.svg|100px]]<br />
|Brände von flüssigen und flüssig werdenden Stoffen<br />
(Dazu zählen auch Stoffe, die durch eine Temperaturerhöhung flüssig werden)<br />
|[[Motorenbenzin|Benzin]], [[Ethanol]], [[Teer]], [[Wachs]], viele [[Kunststoff]]e, [[Ether]], [[Lack]]e, [[Harz (Material)|Harz]] usw.<br />
|[[Löschschaum|Schaum]], [[ABC-Pulver]], [[BC-Pulver]], [[Kohlenstoffdioxid]]<br />
|-<br />
|{{Anker|Brandklasse C}}[[Datei:Fire Class C.svg|100px]]<br />
|Brände von [[Gas]]en<br />
| [[Ethin]] (Acetylen), [[Wasserstoff]], [[Erdgas]], [[Propan]], [[Stadtgas]] usw.<br />
|[[ABC-Pulver]], [[BC-Pulver]], ([[Kohlenstoffdioxid]] nur in Ausnahmefällen: hierfür gibt es selten speziell konstruierte Sonderfeuerlöscher mit Gasstrahldüse), Gaszufuhr durch Abschieben der Leitung unterbinden<br />
|-<br />
|{{Anker|Brandklasse D}}[[Datei:Fire Class D.svg|100px]]<br />
|[[Metallbrand|Brände von Metallen]]<br />
|[[Aluminium]], [[Magnesium]], [[Natrium]], [[Kalium]], [[Lithium]] usw. sowie deren [[Legierung]]en<br />
| [[Löschpulver#D-Löschpulver|Metallbrandpulver]] (D-Pulver), trockener Sand, trockenes Streu- oder Viehsalz, trockener Zement, [[Gusseisen|Grauguss]]-Späne<br />
|-<br />
|{{Anker|Brandklasse F}}[[Datei:Fire Class F.svg|100px]]<br />
|Brände von Speisefetten und -ölen in Frittier- und Fettbackgeräten und anderen Kücheneinrichtungen und -geräten ([[Fettbrand]])<br />
|Speiseöle und Speisefette<br />
|Speziallöschmittel (Flüssiglöschmittel aus Brandklasse F-Handfeuerlöscher)<br />
|}<br />
<br />
Hintergrund für die Ausgliederung der Stoffe der Klasse F aus der Brandklasse B ist die Tatsache, dass die Standardlöschmittel für die Brandklassen A, B und C auf diese Stoffe nur sehr bedingt einsetzbar sind. Der Einsatz von ungeeigneten Löschmitteln kann unter Umständen wirkungslos oder gar mit Gefahren verbunden sein.<br />
----<br />
<br />
''In der [[Europäische Norm|Europäischen Norm]] '''EN2''' war anfangs auch eine [[Brandklasse]] '''E''' vorgesehen. Diese sollte für Brände in elektrischen Niederspannungsanlagen (bis 1.000 Volt) gelten. Sie wurde aber wieder verworfen, da alle [[Feuerlöscher]] in Niederspannungsanlagen eingesetzt werden können, sofern der auf dem Feuerlöscher aufgedruckte Sicherheitsabstand eingehalten wird.''<br />
<br />
== Brandort ==<br />
In der Natur treten [[Erdbrand]], zum Beispiel [[Kohlebrand]] oder [[Torfbrand]], sowie [[Vegetationsbrand|Vegetationsbrände]] wie [[Flurbrand]] und [[Waldbrand]] auf. Ein [[Grubenbrand]] entwickelt sich in einem Bergwerk. In Siedlungen und in Einrichtungen von Handel, Handwerk und Industrie kann unter anderem [[Stadtbrand]], [[Schornsteinbrand]] und [[Tanklagerbrand]] entstehen. Fahrzeuge brennen etwa beim [[Fahrzeugbrand]] und beim [[Maritime Brandbekämpfung|Schiffsbrand]]. Je nach örtlicher Nachbarschaft können die verschiedenen Brände gegenseitig als Zündquelle wirken: Zum Beispiel kann ein Kohlebrand einen Flurbrand auslösen und umgekehrt.<br />
<br />
== Brandkatastrophen ==<br />
[[Datei:Hamburger Brand Zollenbruecke.jpg|mini|[[Hamburger Brand]] im Jahr 1842]]<br />
<br />
In der Geschichte gab es eine Vielzahl von verheerenden Brand- und Explosions[[katastrophe]]n, eine Auswahl ist in der [[Liste von Brandkatastrophen]] enthalten.<br />
<br />
== Brandopfer im internationalen Vergleich ==<br />
Tote durch Brandeinwirkung pro 1 Mio. Einwohner pro Jahr (Stand 2019)<ref name="CTIF-WFS04">{{Internetquelle |autor=Nikolai Brushlinsky, Marty Ahrens, Sergei Sokolov, Peter Wagner |url=https://www.ctif.org/sites/default/files/2021-06/CTIF_Report26.pdf |titel=Welt-Feuer-Statistik Ausgabe Nr. 26-2021 |titelerg=Tabelle 1.2: Verdichtete Kennzahlen der Brandsituation in den Staaten für das Jahr 2019 |hrsg=Weltfeuerwehrverband [[CTIF]] |datum=2021 |sprache=ru,en,de |abruf=2023-04-08 |format=PDF}}</ref><ref name="dfv-statistik">{{Internetquelle |autor= |url=https://www.feuerwehrverband.de/presse/statistik/ |titel=Aktuellste statistische Daten |titelerg= |hrsg=[[Deutscher Feuerwehrverband]] |datum=|abruf=2023-04-08 |sprache=}}</ref><br />
{| class="wikitable sortable"<br />
!Land || Tote ([[Parts per million|ppm]])<br />
|-<br />
|Russland || 58<br />
|-<br />
|Belarus || 52<br />
|-<br />
|Ukraine || 45<br />
|-<br />
|Lettland || 40<br />
|-<br />
|Estland || 32<br />
|-<br />
|Litauen || 25<br />
|-<br />
|Bulgarien || 19<br />
|-<br />
|Polen || 13<br />
|-<br />
|Japan || 12<br />
|-<br />
|Ungarn || 12<br />
|-<br />
|Schweden || 12<br />
|-<br />
|Tschechien || 12<br />
|-<br />
|USA || 11<br />
|-<br />
|Slowenien || {{0}}6<br />
|-<br />
|Großbritannien || {{0}}5<br />
|-<br />
|Frankreich || {{0}}4<br />
|-<br />
|Deutschland || {{0}}4<br />
|-<br />
|Griechenland || {{0}}2<br />
|-<br />
|Niederlande || {{0}}1<br />
|-<br />
|}<br />
<br />
== Siehe auch ==<br />
* [[Liste von Brandkatastrophen]]<br />
* [[Abbranderscheinung]]<br />
* [[Brandrodung]]<br />
* [[Einsatzfotografie]]<br />
* [[Fackelbrand]]<br />
* [[Flammschutzmittel]]<br />
* [[Stangenbrand]]<br />
<br />
== Literatur ==<br />
* {{Literatur |Autor= Roy Bergdoll, Sebastian Breitenbach|Titel=Die Roten Hefte, Heft 1 – Verbrennen und Löschen |Auflage=18 |Verlag=Kohlhammer |Ort=Stuttgart |Datum=2019 |Seiten= |ISBN=978-3-17-026968-2}}<br />
* {{Literatur |Autor=Lothar Schott, Manfred Ritter |Titel=Feuerwehr Grundlehrgang FwDV 2 |Verlag=Wenzel-Verlag |Ort=Marburg |Auflage=21 |Datum=2022 |Seiten= |ISBN=978-3-88293-121-1}}<br />
<br />
== Weblinks ==<br />
{{Wiktionary|Brand}}<br />
{{Commonscat|Fire|Feuer}}<br />
{{Wikiquote|Brand (Feuer)}}<br />
* {{HLS|7787|Feuersbrünste|Autor=Anne-Marie Dubler}}<br />
* [https://www.feuerwehrverband.de/app/uploads/2020/05/DFV_vfdb_Fachempfehlung_Verhalten_Brandfall_2019b.pdf Fachempfehlung des Deutschen Feuerwehrverbandes „Verhalten im Brandfall“ vom November 2019]<br />
* [https://www.zeit.de/2003/31/N-Kohlefeuer Inferno in der Unterwelt] – Ute Eberle: ''Von Pennsylvania bis zur Mongolei brennen unterirdische Kohleflöze''. Die Feuer gefährden Mensch und Klima<br />
* [https://de.wikinews.org/wiki/Portal:Br%C3%A4nde Portal Brände auf Wikinews]<br />
* [https://www.lfu.bayern.de/analytik_stoffe/per_polyfluorierte_chemikalien/fachtagungen/doc/folgeschaeden_einsatz2.pdf Schadstoffe bei Brandereignissen] (UmweltWissen – Bayerisches Landesamt für Umwelt; PDF-Datei; 177&nbsp;kB)<br />
* [https://www.ffb.kit.edu/392.php/ Diverse Forschungsberichte zur Brandentwicklung von der Brandentstehung bis zum Vollbrand (Branddetektion, Brandbekämpfung, Einfluss der Ventilationsbedingungen, Verrauchung, Brandrauchanalyse) auf der Website der Forschungsstelle für Brandschutztechnik am KIT]<br />
<br />
== Einzelnachweise ==<br />
<references /><br />
<br />
{{Normdaten|TYP=s|GND=4133754-2}}<br />
<br />
[[Kategorie:Brandlehre|!Brand]]<br />
[[Kategorie:Brand| ]]</div>Scriptirhttps://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Heimlich-Man%C3%B6ver&diff=218461345Heimlich-Manöver2021-12-24T11:33:06Z<p>Scriptir: </p>
<hr />
<div>[[Datei:Abdominal thrusts3.jpg|mini|hochkant|Heimlich-Manöver]]<br />
<br />
Das '''Heimlich-Manöver''', auch '''Heimlich-Handgriff''' oder '''Oberbauchkompression (nach Heimlich)''' genannt, ist eine [[Erste Hilfe|lebensrettende Sofortmaßnahme]] bei drohender [[Erstickung]] oder drohendem [[Bolustod]] durch die Verlegung der [[Atemwege]] durch einen Fremdkörper (Bolusaspiration z. B. durch [[Verschlucken]]). Durch Kompression des [[Abdomen]]s (Bauchraums) wird versucht, den Fremdkörper durch den so entstehenden Überdruck aus der Luftröhre bzw. den oberen Atemwegen herauszubefördern. Als vorausgehende Maßnahme soll die Lösung des Fremdkörpers durch kräftige Schläge zwischen die Schulterblätter versucht werden. <br />
<br />
Insbesondere bei Babys,<ref>{{Literatur |Titel=Editorial Board |Sammelwerk=Circulation |Band=122 |Nummer= |Datum=2010-11-02 |DOI=10.1161/CIR.0b013e3181fdf7aa |Seiten=S639–S639 |Online=http://ahajournals.org/doi/10.1161/CIR.0b013e3181fdf7aa |Abruf=2021-12-24}}</ref> bei denen ein Heimlich-Manöver nicht eingesetzt werden sollte, wird als primäre Maßnahme die Mobilisation des Fremdkörpers durch Schulterschläge in Kopftieflage empfohlen.<ref> Leitlinien zur Reanimation 2015 des European Resuscitation Council. Kapitel 6: Lebensrettende Maßnahmen bei Kindern („paediatric life support“) [[doi:10.1007/s10049-015-0095-8]]</ref><br />
<br />
Beim Heimlich-Griff besteht die Gefahr der [[Ruptur]] des [[Zwerchfell]]s oder der Schädigung anderer Organe der [[Bauchhöhle]].<br />
<br />
Das Manöver wurde von seinem Erfinder, dem US-amerikanischen Arzt [[Henry Heimlich|Henry J. Heimlich]] (1920–2016), erstmals 1974 beschrieben.<ref>H. J. Heimlich, K. A. Hoffmann, F. R. Canestri: ''Food-choking and drowning deaths prevented by external subdiaphragmatic compression. Physiological basis.'' In: ''[[Ann Thorac Surg]].'' Band 20, Nr. 2, Aug 1975, S. 188–195. PMID 1164065</ref><br />
<br />
== Anwendung ==<br />
Der Helfer stellt sich hinter den Patienten und umfasst mit den Armen dessen [[Oberbauch]]. Mit der einen Hand bildet er eine Faust und legt sie unterhalb der Rippen und des [[Sternum|Brustbeins]] in die [[Epigastrium|Magengrube]]. Mit der anderen Hand greift er die Faust und zieht sie dann ruckartig kräftig gerade nach hinten zu seinem Körper. Ziel ist es, durch die plötzliche Druckerhöhung in der Lunge den Fremdkörper aus der [[Luftröhre]] zu befördern. Bei Bedarf soll das (notfalls auch beim liegenden Patienten von oben durchführbare) Manöver bis zu fünfmal durchgeführt werden. Nach jeder Durchführung sollte überprüft werden, ob der Fremdkörper sich schon gelöst hat. Der [[Brustkorb]] selbst soll dabei nicht zusammengedrückt werden.<ref name="Handley" /><br />
<br />
Bei Anwendung des Heimlich-Manövers besteht die Gefahr von inneren Verletzungen beim Patienten (Milzriss, Leberriss bei Kindern; Platzen von [[Aneurysma|Aneurysmen]] bei älteren Patienten, Rippenfrakturen, Magenverletzung). Die Risiken werden jedoch aufgrund der akuten Lebensgefahr durch Ersticken oder [[Reflex|reflektorischen]] Herzstillstand infolge eines [[Nervus vagus|Vagus]]-[[Reizung|Reizes]] in Kauf genommen. Nach der Anwendung des Heimlich-Handgriffs sollte der Patient in ein Krankenhaus gebracht werden, um eventuelle Verletzungen zu behandeln.<br />
<br />
== Gegenanzeigen ==<br />
* Bei einer [[Fischgräte]] z.&nbsp;B. funktioniert das Prinzip kaum, weil diese die [[Atemwege]] nicht komplett verschließt und daher der Überdruck an ihr vorbei entweicht, ohne sie zu befördern.<br />
* [[Ertrinken]]: Versuche, mit dem Heimlich-Manöver Wasser aus der [[Lunge]] zu entfernen, sollten unbedingt unterlassen werden.<ref name="ERC-Richtlinie 2010">ERC-Richtlinie 2010, Section 8, [[doi:10.1007/s10049-010-1374-z]]<br />
S. 10 des PDF</ref><br />
* Das Heimlich-Manöver wird bei bereits eingetretener [[Bewusstlosigkeit]] nicht durchgeführt. Hier wird sofort mit der [[Herz-Lungen-Wiederbelebung]] begonnen.<ref name="Handley">A. J. Handley, R. Koster, K. Monsieurs u. a.: ''European Resuscitation Council guidelines for resuscitation 2005. Section 2. Adult basic life support and use of automated external defibrillators.'' In: ''Resuscitation.'' 67 Suppl 1, 2005, S. S7–S23. PMID 16321717</ref><br />
* Das Heimlich-Manöver wird nicht bei Säuglingen (Alter < 1 Jahr) angewendet. Stattdessen sollte man den Säugling in Kopftieflage halten und mit zwei Fingern auf das Brustbein drücken – ähnlich wie bei der Herzdruckmassage, aber schärfer und mit geringerer Frequenz.<ref> Leitlinien zur Reanimation<br />
2015 des European Resuscitation Council. Kapitel 6: Lebensrettende Maßnahmen bei Kindern („paediatric life support“) [[doi:10.1007/s10049-015-0095-8]]</ref><br />
<br />
== Trivia ==<br />
Obwohl der Handgriff nach ihm benannt ist, hat Henry Heimlich ihn während seiner Arbeit als Mediziner kein einziges Mal in einem Notfall angewendet. Erst im Jahr 2000 wandte er das Manöver an, als Restaurantgäste den damals 80-Jährigen zur Hilfe riefen, statt seinen Handgriff selbst einzusetzen.<ref>{{Literatur |Titel=Heimlich: Still saving lives at 83 |Sammelwerk=BBC |Datum=2003-03-09 |Online=http://news.bbc.co.uk/2/hi/health/2825971.stm |Abruf=2017-01-01}}</ref> Als 96-Jähriger kam Henry Heimlich im Mai 2016 in einem Seniorenheim ein weiteres Mal in die Situation, einer 87-jährigen Mitbewohnerin, die sich an einem Hamburger verschluckt hatte und vom Ersticken bedroht war, mit dem Heimlich-Manöver zu helfen.<ref>''Luft! Ein 96-jähriger rettet ein Leben – mit einem weltbekannten Handgriff, den er selber erfand.'' In: ''Der Spiegel.'' Nr. 25, 2016, S. 61.</ref><ref>Joanna Walters: ''[https://www.theguardian.com/us-news/2016/may/27/dr-heimlich-performs-heimlich-manoeuvre-for-first-time-aged-96 Dr Henry Heimlich uses Heimlich manoeuvre to save a life at 96].'' In: ''The Guardian.'' 27. Mai 2016.</ref><br />
<br />
Der New Yorker Bürgermeister [[Ed Koch]] verschluckte sich 1981 bei einem Restaurantbesuch und wurde durch Anwendung des Heimlich-Handgriffs gerettet. Er setzte sich daraufhin für eine Gesetzesinitiative ein, mit der in allen New Yorker Restaurants ein Plakat mit Instruktionen angebracht sein muss. Ähnliche Regelungen existieren in weiteren US-Bundesstaaten.<ref>{{Literatur |Titel=Saving Lives in the Workplace |Sammelwerk=GovDocs |Datum=2013-11-11 |Online=https://www.govdocs.com/saving-lives-in-the-workplace/ |Abruf=2019-01-15}}</ref><ref>{{Literatur |Titel=Ronald Reagan nearly died before he became president. The Heimlich maneuver saved him. |Sammelwerk=Washington Post |Datum=2016-12-19 |Online=https://www.washingtonpost.com/news/to-your-health/wp/2016/12/19/ronald-reagan-nearly-died-before-he-became-president-the-heimlich-maneuver-saved-him/?noredirect=on |Abruf=2019-01-15}}</ref><br />
<br />
== Literatur ==<br />
* Walied Abdulla: ''Interdisziplinäre Intensivmedizin.'' Urban & Fischer, München u.&nbsp;a. 1999, ISBN 3-437-41410-0, S. 5.<br />
<br />
== Weblinks ==<br />
{{Commonscat|Abdominal thrusts}}<br />
* [http://link.springer.com/article/10.1007/s10049-010-1368-x ERC-Richtlinien 2010, Section 2], S. 12 des PDF<br />
* [http://www.erc.edu/index.php/guidelines_download_2005/en/ ERC-Richtlinien 2005], Section 2, und auf gleicher Seite die 2005 International Consensus on Cardiopulmonary Resuscitation and Emergency Cardiovascular Care Science with Treatment Recommendations (CoSTR), Part 2<br />
* [http://www.heimlichinstitute.org/ Website des Heimlich-Instituts]<br />
<br />
== Einzelnachweise ==<br />
<references /><br />
<br />
{{Gesundheitshinweis}}<br />
<br />
[[Kategorie:Erste Hilfe]]<br />
[[Kategorie:Notfallmedizin]]<br />
[[Kategorie:Therapeutisches Verfahren in der Notfallmedizin]]<br />
[[Kategorie:Atmung]]</div>Scriptirhttps://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Heimlich-Man%C3%B6ver&diff=218458355Heimlich-Manöver2021-12-24T09:41:20Z<p>Scriptir: </p>
<hr />
<div>[[Datei:Abdominal thrusts3.jpg|mini|hochkant|Heimlich-Manöver]]<br />
<br />
Das '''Heimlich-Manöver''', auch '''Heimlich-Handgriff''' oder '''Oberbauchkompression (nach Heimlich)''' genannt, ist eine [[Erste Hilfe|lebensrettende Sofortmaßnahme]] bei drohender [[Erstickung]] oder drohendem [[Bolustod]] durch die Verlegung der [[Atemwege]] durch einen Fremdkörper (Bolusaspiration z. B. durch [[Verschlucken]]). Durch Kompression des [[Abdomen]]s (Bauchraums) wird versucht, den Fremdkörper durch den so entstehenden Überdruck aus der Luftröhre bzw. den oberen Atemwegen herauszubefördern. Als vorausgehende Maßnahme soll die Lösung des Fremdkörpers durch kräftige Schläge zwischen die Schulterblätter versucht werden. <br />
<br />
Insbesondere bei Babys, bei denen ein Heimlich-Manöver nicht eingesetzt werden sollte, wird als primäre Maßnahme die Mobilisation des Fremdkörpers durch Schulterschläge in Kopftieflage empfohlen.<ref> Leitlinien zur Reanimation 2015 des European Resuscitation Council. Kapitel 6: Lebensrettende Maßnahmen bei Kindern („paediatric life support“) [[doi:10.1007/s10049-015-0095-8]]</ref><br />
<br />
Beim Heimlich-Griff besteht die Gefahr der [[Ruptur]] des [[Zwerchfell]]s oder der Schädigung anderer Organe der [[Bauchhöhle]].<br />
<br />
Das Manöver wurde von seinem Erfinder, dem US-amerikanischen Arzt [[Henry Heimlich|Henry J. Heimlich]] (1920–2016), erstmals 1974 beschrieben.<ref>H. J. Heimlich, K. A. Hoffmann, F. R. Canestri: ''Food-choking and drowning deaths prevented by external subdiaphragmatic compression. Physiological basis.'' In: ''[[Ann Thorac Surg]].'' Band 20, Nr. 2, Aug 1975, S. 188–195. PMID 1164065</ref><br />
<br />
== Anwendung ==<br />
Der Helfer stellt sich hinter den Patienten und umfasst mit den Armen dessen [[Oberbauch]]. Mit der einen Hand bildet er eine Faust und legt sie unterhalb der Rippen und des [[Sternum|Brustbeins]] in die [[Epigastrium|Magengrube]]. Mit der anderen Hand greift er die Faust und zieht sie dann ruckartig kräftig gerade nach hinten zu seinem Körper. Ziel ist es, durch die plötzliche Druckerhöhung in der Lunge den Fremdkörper aus der [[Luftröhre]] zu befördern. Bei Bedarf soll das (notfalls auch beim liegenden Patienten von oben durchführbare) Manöver bis zu fünfmal durchgeführt werden. Nach jeder Durchführung sollte überprüft werden, ob der Fremdkörper sich schon gelöst hat. Der [[Brustkorb]] selbst soll dabei nicht zusammengedrückt werden.<ref name="Handley" /><br />
<br />
Bei Anwendung des Heimlich-Manövers besteht die Gefahr von inneren Verletzungen beim Patienten (Milzriss, Leberriss bei Kindern; Platzen von [[Aneurysma|Aneurysmen]] bei älteren Patienten, Rippenfrakturen, Magenverletzung). Die Risiken werden jedoch aufgrund der akuten Lebensgefahr durch Ersticken oder [[Reflex|reflektorischen]] Herzstillstand infolge eines [[Nervus vagus|Vagus]]-[[Reizung|Reizes]] in Kauf genommen. Nach der Anwendung des Heimlich-Handgriffs sollte der Patient in ein Krankenhaus gebracht werden, um eventuelle Verletzungen zu behandeln.<br />
<br />
== Gegenanzeigen ==<br />
* Bei einer [[Fischgräte]] z.&nbsp;B. funktioniert das Prinzip kaum, weil diese die [[Atemwege]] nicht komplett verschließt und daher der Überdruck an ihr vorbei entweicht, ohne sie zu befördern.<br />
* [[Ertrinken]]: Versuche, mit dem Heimlich-Manöver Wasser aus der [[Lunge]] zu entfernen, sollten unbedingt unterlassen werden.<ref name="ERC-Richtlinie 2010">ERC-Richtlinie 2010, Section 8, [[doi:10.1007/s10049-010-1374-z]]<br />
S. 10 des PDF</ref><br />
* Das Heimlich-Manöver wird bei bereits eingetretener [[Bewusstlosigkeit]] nicht durchgeführt. Hier wird sofort mit der [[Herz-Lungen-Wiederbelebung]] begonnen.<ref name="Handley">A. J. Handley, R. Koster, K. Monsieurs u. a.: ''European Resuscitation Council guidelines for resuscitation 2005. Section 2. Adult basic life support and use of automated external defibrillators.'' In: ''Resuscitation.'' 67 Suppl 1, 2005, S. S7–S23. PMID 16321717</ref><br />
* Das Heimlich-Manöver wird nicht bei Säuglingen (Alter < 1 Jahr) angewendet. Stattdessen sollte man den Säugling in Kopftieflage halten und mit zwei Fingern auf das Brustbein drücken – ähnlich wie bei der Herzdruckmassage, aber schärfer und mit geringerer Frequenz.<ref> Leitlinien zur Reanimation<br />
2015 des European Resuscitation Council. Kapitel 6: Lebensrettende Maßnahmen bei Kindern („paediatric life support“) [[doi:10.1007/s10049-015-0095-8]]</ref><br />
<br />
== Trivia ==<br />
Obwohl der Handgriff nach ihm benannt ist, hat Henry Heimlich ihn während seiner Arbeit als Mediziner kein einziges Mal in einem Notfall angewendet. Erst im Jahr 2000 wandte er das Manöver an, als Restaurantgäste den damals 80-Jährigen zur Hilfe riefen, statt seinen Handgriff selbst einzusetzen.<ref>{{Literatur |Titel=Heimlich: Still saving lives at 83 |Sammelwerk=BBC |Datum=2003-03-09 |Online=http://news.bbc.co.uk/2/hi/health/2825971.stm |Abruf=2017-01-01}}</ref> Als 96-Jähriger kam Henry Heimlich im Mai 2016 in einem Seniorenheim ein weiteres Mal in die Situation, einer 87-jährigen Mitbewohnerin, die sich an einem Hamburger verschluckt hatte und vom Ersticken bedroht war, mit dem Heimlich-Manöver zu helfen.<ref>''Luft! Ein 96-jähriger rettet ein Leben – mit einem weltbekannten Handgriff, den er selber erfand.'' In: ''Der Spiegel.'' Nr. 25, 2016, S. 61.</ref><ref>Joanna Walters: ''[https://www.theguardian.com/us-news/2016/may/27/dr-heimlich-performs-heimlich-manoeuvre-for-first-time-aged-96 Dr Henry Heimlich uses Heimlich manoeuvre to save a life at 96].'' In: ''The Guardian.'' 27. Mai 2016.</ref><br />
<br />
Der New Yorker Bürgermeister [[Ed Koch]] verschluckte sich 1981 bei einem Restaurantbesuch und wurde durch Anwendung des Heimlich-Handgriffs gerettet. Er setzte sich daraufhin für eine Gesetzesinitiative ein, mit der in allen New Yorker Restaurants ein Plakat mit Instruktionen angebracht sein muss. Ähnliche Regelungen existieren in weiteren US-Bundesstaaten.<ref>{{Literatur |Titel=Saving Lives in the Workplace |Sammelwerk=GovDocs |Datum=2013-11-11 |Online=https://www.govdocs.com/saving-lives-in-the-workplace/ |Abruf=2019-01-15}}</ref><ref>{{Literatur |Titel=Ronald Reagan nearly died before he became president. The Heimlich maneuver saved him. |Sammelwerk=Washington Post |Datum=2016-12-19 |Online=https://www.washingtonpost.com/news/to-your-health/wp/2016/12/19/ronald-reagan-nearly-died-before-he-became-president-the-heimlich-maneuver-saved-him/?noredirect=on |Abruf=2019-01-15}}</ref><br />
<br />
== Literatur ==<br />
* Walied Abdulla: ''Interdisziplinäre Intensivmedizin.'' Urban & Fischer, München u.&nbsp;a. 1999, ISBN 3-437-41410-0, S. 5.<br />
<br />
== Weblinks ==<br />
{{Commonscat|Abdominal thrusts}}<br />
* [http://link.springer.com/article/10.1007/s10049-010-1368-x ERC-Richtlinien 2010, Section 2], S. 12 des PDF<br />
* [http://www.erc.edu/index.php/guidelines_download_2005/en/ ERC-Richtlinien 2005], Section 2, und auf gleicher Seite die 2005 International Consensus on Cardiopulmonary Resuscitation and Emergency Cardiovascular Care Science with Treatment Recommendations (CoSTR), Part 2<br />
* [http://www.heimlichinstitute.org/ Website des Heimlich-Instituts]<br />
<br />
== Einzelnachweise ==<br />
<references /><br />
<br />
{{Gesundheitshinweis}}<br />
<br />
[[Kategorie:Erste Hilfe]]<br />
[[Kategorie:Notfallmedizin]]<br />
[[Kategorie:Therapeutisches Verfahren in der Notfallmedizin]]<br />
[[Kategorie:Atmung]]</div>Scriptirhttps://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Erstickung&diff=217596604Erstickung2021-11-25T23:30:15Z<p>Scriptir: Erste Hilfe</p>
<hr />
<div>'''Erstickung''' (auch [[latein]]isch '''Suffocatio''' oder [[Deutsche Sprache|deutsch]] '''Suffokation''', von ''suffocare'' „die Kehle zuschnüren, ersticken, strangulieren“<ref>[[Alois Walde]], [[Johann Baptist Hofmann]]: ''Lateinisches etymologisches Wörterbuch.'' Heidelberg 1938, Band 1, S. 469 f., und Band II, S. 625 (''faux'').</ref>) ist die medizinische Bezeichnung für alle Vorgänge, die aufgrund eines unzureichenden [[Sauerstoff]]angebots ([[Asphyxie]]), aber auch einer beeinträchtigten Sauerstoffaufnahme oder -verarbeitung zum [[Tod]] durch [[Hypoxie (Medizin)|Sauerstoffmangel]] führen. In der Antike, im Mittelalter und selbst in der Neuzeit wurden manchmal [[Todesstrafe]]n auf diese Weise verhängt.<br />
<br />
== Formen ==<br />
Ursachen für Erstickung sind:<br />
* eine Beeinträchtigung der ''Atemtätigkeit'', siehe [[Atemlähmung]], [[Atemstillstand]], [[Verschüttung]]<br />
* eine unzureichende Konzentration von [[Sauerstoff]] in der ''Atemluft'' (z.&nbsp;B. in großen Höhen, abgedichteten Räumen)<br />
* als ''inneres Ersticken'' eine Blockade der ''Atmungskette'' oder der Sauerstoffaufnahme durch die [[Erythrozyt|roten Blutkörperchen]]<br />
* vagale Reflexe, der [[Bolustod]]<br />
<br />
Wie bei der Atmung selbst wird auch hier in äußere und innere Formen der Erstickung unterteilt:<br />
=== Äußere Erstickung ===<br />
Als äußere Erstickung gelten diejenige durch<br />
* eine erniedrigte Sauerstoffkonzentration der [[Atemluft]] von weniger als 130 mbar O<sub>2</sub>-[[Partialdruck]] in<br />
** großer Höhe (hypobare [[Hypoxie (Medizin)|Hypoxie]]): bei unterschiedlicher individueller Empfindlichkeit meist in Höhenlagen ab 4000&nbsp;m. Dies gilt nicht für einzelne, entsprechend gut vorbereitete Extremsportler. So bestiegen der Südtiroler [[Reinhold Messner]] und der Österreicher [[Peter Habeler]] 1978 als erste Bergsteiger den 8848 Meter hohen [[Mount Everest]] ohne [[Sauerstoffgerät]]. ''Siehe auch'': [[Höhenmedizin]]<br />
** abgedichteten Räumen: durch Verbrauch des Sauerstoffs in der Atemluft. [[Taphephobie]] als die [[Angst]] vor einem [[Scheintod]] mit Ersticken im [[Sarg]] ist eine der sog. [[spezifische Phobie|isolierten Phobien]].<br />
** Anwesenheit von [[Inertgas]]en, meist [[Stickstoff]], die den Sauerstoff verdrängen; in engen, unbelüfteten Räumen wie Tanks, Behältern und Schächten und Kellern; der deutsche Name für das chemische Element Stickstoff beruht auf ebendieser seiner Eigenschaft, Flammen und Lebewesen zu „ersticken“<br />
* Verlegung oder Einengung der Atemwege durch:<br />
** ein Zurücksinken der Zunge bei [[Bewusstseinsstörung|Bewusstlosigkeit]] ([[Glossoptose]])<br />
** [[Aspiration (Medizin)|Aspiration]], beispielsweise als Aspiration von Blut oder Mageninhalt oder als [[Fremdkörperaspiration]] mit [[Ertrinken]] als spezifischer Form<br />
** körpereigene [[Sekret]]e (Schleim) oder [[Gewebe (Biologie)|Gewebe]]:<br />
** Schleimhautschwellungen infolge von [[Entzündung|entzündlichen]] Veränderungen oder allergischen Reaktionen, zum Beispiel Stimmritzen-[[Ödem]] (Glottisödem)<br />
** [[Gewalt]] (etwa Strangulation durch Erwürgen, Erdrosseln oder Erhängen)<br />
* [[Atemlähmung]]en unterschiedlicher Ursache<br />
<br />
=== Innere Erstickung ===<br />
Bei der inneren Erstickung (das heißt bei normaler Sauerstoffkonzentration in der Atemluft und ungehinderter Atemtätigkeit) kann eine Einteilung anhand der spezifischen Angriffspunkte oder – wie hier – anhand der Auslöser erfolgen:<br />
* [[Erstickungsgas]]e, die nicht über eine bloße Verdrängung des Sauerstoffs aus der Atemluft wirken, sind<br />
** [[Kohlenmonoxid]] (CO): bindet 250-mal besser an [[Hämoglobin]] als Sauerstoff ([[Kompetitive Hemmung|kompetitiver Antagonismus]]), siehe [[Kohlenmonoxidvergiftung]]<br />
** [[Schwefelwasserstoff]] (H<sub>2</sub>S): ein Hemmer der [[Mitochondrium|mitochondrialen]] [[Atmungskette]], siehe [[Schwefelwasserstoffvergiftung]]<br />
** [[Cyanwasserstoff|Blausäure]] (Cyanwasserstoff, HCN): führt ebenso wie Schwefelwasserstoff zur Blockade der Atmungskette und wurde in den [[Gaskammer (Massenmord)|Gaskammern]] der [[Zeit des Nationalsozialismus|nationalsozialistischen]] [[Vernichtungslager]] (als sog. [[Zyklon B]]) eingesetzt. Auch heute noch wird sie zur Vollstreckung der [[Todesstrafe]] in den [[Gaskammer (Todesstrafe)|Gaskammern]] der US-Bundesstaaten Arizona, Kalifornien und Missouri verwendet.<br />
<br />
== Erstickung des Schlucken ==<br />
Über das Ersticken des Schlucken, tritt typischerweise ein Ersticken auf, wenn eine Person ein Stück Nahrung verschluckt, das in die Atemwege umgeleitet wird, was eine erstickende Obstruktion (Bolusobstruktion) verursacht.<br />
<br />
Es gibt Handtechniken was verwendet werden können um diese Erstickung zu behandeln (siehe unten).<br />
<br />
Derzeit gibt es auch mehrere Anti-Erstickungsvorrichtungen auf dem Markt (LifeVac und Dechoker).<br />
<br />
=== Allgemeine Erste Hilfe ===<br />
Zuallererst wird Husten empfohlen.<br />
<br />
Wenn das Opfer nicht in der Lage ist zu husten, die Erstickung wird durch Erste Hilfe gelöst und Anruf beim [[Notruf#Die Notrufnummern|medizinischen Notdienst]].<br />
<br />
Erste Hilfe<ref>{{Internetquelle |autor=American Red Cross |url=https://web.archive.org/web/20200210071651/https://redcross.org/content/dam/redcross/atg/PDF_s/ConsciousChokingPoster_EN.pdf |titel=Conscious Choking |abruf=2011}}</ref> kombiniert zwei manuelle Techniken: "Rückenklopfen" und "Abdominaleschüben" (Heimlich-Manöver). Jeder von ihnen geht dem anderen voraus, also wechseln sie sich ab.<br />
<br />
Die 'Rückenklopfen' sind eine Reihe von starken Klopfen auf den Rücken (ungefähr 5 Schläge). (Bild ansehen).<br />
<br />
Die 'Abdominaleschüben' sind eine Reihe von plötzlichen und starken Drücken (ungefähr 5 Schläge). (Bild ansehen). Manche Personen können den Druck auf ihren Bauch nicht aushalten (z. B. schwangere Frauen oder sehr fettleibige Personen), daher liegt dann der Druck auf der Brust (siehe unten).<br />
[[Datei:Back_blows_(back_slaps)_against_choking_for_adult_people.jpg|links|mini|220x220px|'Rückenklopfen': Der Retter muss den Körper des Opfers so weit wie möglich beugen, bevor er zuschlägt. Das Stützen der Brust des Opfers mit der anderen Hand kann die Wirksamkeit erhöhen.]]<br />
[[Datei:Abdominal_thrusts_against_choking.jpg|zentriert|mini|380x380px|'Abdominaleschüben' (Heimlich-Manöver): Tragen sie auf den Bereich zwischen Brust und Bauchnabel.]]<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
== Atemstillstand ==<br />
<br />
{{Hauptartikel|Atemstillstand}}Zwar ist jeder Endzustand einer Erstickung mit einem Atemstillstand verbunden, doch führt nicht jeder Atemstillstand zum Ersticken. So können beim [[Obstruktives Schlafapnoesyndrom|obstruktiven Schlafapnoesyndrom]] (OSAS) im [[Schlaflabor]] pro Nacht Atemstillstände von jeweils wenigen Sekunden bis hin zu mehreren Minuten mit entsprechendem Abfall der [[Sauerstoffsättigung]] im [[Gewebe (Biologie)|Gewebe]] registriert werden, meist ohne dass akute Schädigungen auftreten.<br />
<br />
== Rechtsmedizin ==<br />
[[Rechtsmedizin]]isch wird die äußere Erstickung allerdings nicht unter dem Gesichtspunkt [[Pathophysiologie|pathophysiologischer]] Grundsätze, sondern dem der äußeren Verursachung betrachtet, letztlich somit im Rahmen eines Untersuchungsauftrags bei Fragen nach [[Schuld (Strafrecht)|Schuld]] und [[Verpflichtetsein|Haftung]] untersucht. Unter dieser Sichtweise hat auch die innere Erstickung als Folge des Einsatzes von Cyanwasserstoff eine äußere Ursache.<br />
<br />
== ICD-10 ==<br />
<br />
{{Infobox ICD<br />
| BREITE = <br />
| 01-CODE = T17<br />
| 01-BEZEICHNUNG = Fremdkörper in den Atemwegen<br />
| 02-CODE = T17.5<br />
| 02-BEZEICHNUNG = Fremdkörper im Bronchus<br />
| 03-CODE = T17.8<br />
| 03-BEZEICHNUNG = Fremdkörper an sonstigen und mehreren Lokalisationen der Atemwege<br />
| 04-CODE = T17.9<br />
| 04-BEZEICHNUNG = Fremdkörper in den Atemwegen, Teil nicht näher bezeichnet<br />
| 05-CODE = T58<br />
| 05-BEZEICHNUNG = Toxische Wirkung von Kohlenmonoxid<br />
| 06-CODE = T59<br />
| 06-BEZEICHNUNG = Toxische Wirkung sonstiger Gase, Dämpfe oder sonstigen Rauches<br />
| 07-CODE = T70.2<br />
| 07-BEZEICHNUNG = Sonstige und nicht näher bezeichnete Schäden durch große Höhe<br />
| 08-CODE = T71<br />
| 08-BEZEICHNUNG = Erstickung<br />
}}<br />
<br />
Nach [[ICD-10]] werden nur das Ersticken durch [[Erhängen|Strangulation]] sowie ein systemischer Sauerstoffmangel durch mechanische Behinderung der Atmung oder niedrigen Sauerstoffgehalt der Umgebungsluft als „T71“ unter Erstickung zusammengefasst.<br />
<br />
* Der Sauerstoffmangel in großer Höhe wird unter „Sonstige und nicht näher bezeichnete Schäden durch äußere Ursachen“ als „Sonstige und nicht näher bezeichnete Schäden durch große Höhe“ (T70.2) erwähnt.<br />
* Die [[Aspiration (Medizin)|Aspiration]] von Fremdkörpern ist eine der „Folgen des Eindringens eines Fremdkörpers durch eine natürliche Körperöffnung“, genauer ein „Fremdkörper in den Atemwegen“ (T17.-) mit weiterer Einteilung nach anatomischer Lokalisation (so „Fremdkörper in der [[Luftröhre|Trachea]]“, T17.5; „Fremdkörper an sonstigen und mehreren Lokalisationen der Atemwegen“, T17.8; „Fremdkörper in den Atemwegen, Teil nicht näher bezeichnet“, T 17.9)[http://www.lumrix.de/icd/t17.html]<br />
* Die Kohlenmonoxidvergiftung jeder Herkunft wird unter „Toxische Wirkungen von vorwiegend nicht medizinisch verwendeten Substanzen“ als „Toxische Wirkung von Kohlenmonoxid“ eingeordnet und erhält das Kürzel T58<br />
* Die Wirkung von Schwefelwasserstoff wird unter „Asphyxie durch sonstige Gase, Dämpfe oder sonstiger Rauch“ mit T59.- eingeordnet.<br />
<br />
== Siehe auch ==<br />
* [[Erdrosseln]], [[Erwürgen]]<br />
* [[Heimlich-Handgriff]]<br />
<br />
== Literatur ==<br />
* Wolfgang Schwerd: ''Erstickung (Sauerstoffmangel).'' In: Wolfgang Schwerd (Hrsg.): ''Kurzgefaßtes Lehrbuch der Rechtsmedizin für Mediziner und Juristen.'' Deutscher Ärzte-Verlag, Köln-Lövenich, 3., überarbeitete und ergänzte Auflage 1979, ISBN 3-7691-0050-6, 71–84.<br />
<br />
== Weblinks ==<br />
* [http://www.irm.unizh.ch/modules.php?name=News&file=article&sid=29 Vorlesungsbegleitung Rechtsmedizin I des Instituts für Rechtsmedizin der Universität Zürich]<br />
<br />
== Einzelnachweise ==<br />
<references /><br />
<br />
[[Kategorie:Krankheitsbild in der Notfallmedizin]]<br />
[[Kategorie:Rechtsmedizin]]<br />
<br />
{{Gesundheitshinweis}}</div>Scriptirhttps://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Erstickung&diff=217430556Erstickung2021-11-20T08:38:10Z<p>Scriptir: /* Allgemeine Erste Hilfe: */</p>
<hr />
<div>'''Erstickung''' (auch [[latein]]isch '''Suffocatio''' oder [[Deutsche Sprache|deutsch]] '''Suffokation''', von ''suffocare'' „die Kehle zuschnüren, ersticken, strangulieren“<ref>[[Alois Walde]], [[Johann Baptist Hofmann]]: ''Lateinisches etymologisches Wörterbuch.'' Heidelberg 1938, Band 1, S. 469 f., und Band II, S. 625 (''faux'').</ref>) ist die medizinische Bezeichnung für alle Vorgänge, die aufgrund eines unzureichenden [[Sauerstoff]]angebots ([[Asphyxie]]), aber auch einer beeinträchtigten Sauerstoffaufnahme oder -verarbeitung zum [[Tod]] durch [[Hypoxie (Medizin)|Sauerstoffmangel]] führen. In der Antike, im Mittelalter und selbst in der Neuzeit wurden manchmal [[Todesstrafe]]n auf diese Weise verhängt.<br />
<br />
== Formen ==<br />
Ursachen für Erstickung sind:<br />
* eine Beeinträchtigung der ''Atemtätigkeit'', siehe [[Atemlähmung]], [[Atemstillstand]], [[Verschüttung]]<br />
* eine unzureichende Konzentration von [[Sauerstoff]] in der ''Atemluft'' (z.&nbsp;B. in großen Höhen, abgedichteten Räumen)<br />
* als ''inneres Ersticken'' eine Blockade der ''Atmungskette'' oder der Sauerstoffaufnahme durch die [[Erythrozyt|roten Blutkörperchen]]<br />
* vagale Reflexe, der [[Bolustod]]<br />
<br />
Wie bei der Atmung selbst wird auch hier in äußere und innere Formen der Erstickung unterteilt:<br />
=== Äußere Erstickung ===<br />
Als äußere Erstickung gelten diejenige durch<br />
* eine erniedrigte Sauerstoffkonzentration der [[Atemluft]] von weniger als 130 mbar O<sub>2</sub>-[[Partialdruck]] in<br />
** großer Höhe (hypobare [[Hypoxie (Medizin)|Hypoxie]]): bei unterschiedlicher individueller Empfindlichkeit meist in Höhenlagen ab 4000&nbsp;m. Dies gilt nicht für einzelne, entsprechend gut vorbereitete Extremsportler. So bestiegen der Südtiroler [[Reinhold Messner]] und der Österreicher [[Peter Habeler]] 1978 als erste Bergsteiger den 8848 Meter hohen [[Mount Everest]] ohne [[Sauerstoffgerät]]. ''Siehe auch'': [[Höhenmedizin]]<br />
** abgedichteten Räumen: durch Verbrauch des Sauerstoffs in der Atemluft. [[Taphephobie]] als die [[Angst]] vor einem [[Scheintod]] mit Ersticken im [[Sarg]] ist eine der sog. [[spezifische Phobie|isolierten Phobien]].<br />
** Anwesenheit von [[Inertgas]]en, meist [[Stickstoff]], die den Sauerstoff verdrängen; in engen, unbelüfteten Räumen wie Tanks, Behältern und Schächten und Kellern; der deutsche Name für das chemische Element Stickstoff beruht auf ebendieser seiner Eigenschaft, Flammen und Lebewesen zu „ersticken“<br />
* Verlegung oder Einengung der Atemwege durch:<br />
** ein Zurücksinken der Zunge bei [[Bewusstseinsstörung|Bewusstlosigkeit]] ([[Glossoptose]])<br />
** [[Aspiration (Medizin)|Aspiration]], beispielsweise als Aspiration von Blut oder Mageninhalt oder als [[Fremdkörperaspiration]] mit [[Ertrinken]] als spezifischer Form<br />
** körpereigene [[Sekret]]e (Schleim) oder [[Gewebe (Biologie)|Gewebe]]:<br />
** Schleimhautschwellungen infolge von [[Entzündung|entzündlichen]] Veränderungen oder allergischen Reaktionen, zum Beispiel Stimmritzen-[[Ödem]] (Glottisödem)<br />
** [[Gewalt]] (etwa Strangulation durch Erwürgen, Erdrosseln oder Erhängen)<br />
* [[Atemlähmung]]en unterschiedlicher Ursache<br />
<br />
=== Innere Erstickung ===<br />
Bei der inneren Erstickung (das heißt bei normaler Sauerstoffkonzentration in der Atemluft und ungehinderter Atemtätigkeit) kann eine Einteilung anhand der spezifischen Angriffspunkte oder – wie hier – anhand der Auslöser erfolgen:<br />
* [[Erstickungsgas]]e, die nicht über eine bloße Verdrängung des Sauerstoffs aus der Atemluft wirken, sind<br />
** [[Kohlenmonoxid]] (CO): bindet 250-mal besser an [[Hämoglobin]] als Sauerstoff ([[Kompetitive Hemmung|kompetitiver Antagonismus]]), siehe [[Kohlenmonoxidvergiftung]]<br />
** [[Schwefelwasserstoff]] (H<sub>2</sub>S): ein Hemmer der [[Mitochondrium|mitochondrialen]] [[Atmungskette]], siehe [[Schwefelwasserstoffvergiftung]]<br />
** [[Cyanwasserstoff|Blausäure]] (Cyanwasserstoff, HCN): führt ebenso wie Schwefelwasserstoff zur Blockade der Atmungskette und wurde in den [[Gaskammer (Massenmord)|Gaskammern]] der [[Zeit des Nationalsozialismus|nationalsozialistischen]] [[Vernichtungslager]] (als sog. [[Zyklon B]]) eingesetzt. Auch heute noch wird sie zur Vollstreckung der [[Todesstrafe]] in den [[Gaskammer (Todesstrafe)|Gaskammern]] der US-Bundesstaaten Arizona, Kalifornien und Missouri verwendet.<br />
<br />
== Erstickung Schlucken und Erste Hilfe ==<br />
Beim Schlucken, tritt typischerweise ein Ersticken auf, wenn eine Person ein Stück Nahrung verschluckt, das in die Atemwege umgeleitet wird, was eine erstickende Obstruktion verursacht (Bolusobstruktion).<br />
<br />
=== Allgemeine Erste Hilfe ===<br />
Zuallererst wird Husten empfohlen.<br />
<br />
Wenn das Opfer nicht husten kann, gibt die Erste Hilfe eine Serie von 5 Klopfen auf den Rücken (mit nach unten gebeugtem Rücken) und eine Serie von 5 starken plötzlichen Beulen auf den Bauch. Es wird fortgesetzt, indem man beide abwechselt. (Wie in den Bildern gezeigt).<ref>{{Internetquelle |autor=American Red Cross |url=https://web.archive.org/web/20200210071651/https://redcross.org/content/dam/redcross/atg/PDF_s/ConsciousChokingPoster_EN.pdf |titel=Conscious Choking |abruf=2011}}</ref><br />
<br />
Wenn ein Opfer Magenprobleme hat (z. B. Schwangerschaft oder Übergröße), befinden sich die Beulen nicht am Bauch, sondern an der Brust (siehe unten).<br />
[[Datei:Back blows (back slaps) against choking for adult people.jpg|links|mini|220x220px|'Klopfen auf den Rücken' Technik: Der Retter sollte den Körper des Opfers so weit wie möglich beugen vor den Schlägen.]]<br />
[[Datei:Abdominal thrusts against choking.jpg|zentriert|mini|380x380px|'Abdominalbeulen' Handgriff Technik (das Heimlich-Manöver): Tragen sie auf den Bereich zwischen Brust und Bauchnabel.]]<br />
<br />
=== Bei schwangeren oder zu dicken Opfern ===<br />
Zuerst wird Husten versucht.<br />
<br />
Danach ist die Erste Hilfe fast die gleiche: mehrere Serien von 5 Schlägen auf den Rücken im Wechsel mit anderen Serien von 5 starken plötzlichen Beulen auf die Brust (wie in den Bildern gezeigt).<ref>{{Internetquelle |autor=Oklahoma State University |url=https://web.archive.org/web/20200130145512/https://ehs.okstate.edu/site-files/docs/cpr-and-choking-5-min-safety-talk.pdf/ |titel=Choking and CPR safety talk |abruf=2014}}</ref><br />
[[Datei:Back blows (back slaps) against choking for adult people.jpg|links|mini|220x220px|'Klopfen auf den Rücken' Technik: Der Retter sollte den Körper des Opfers so weit wie möglich beugen vor den Schlägen.]]<br />
[[Datei:Chest thrusts against choking.jpg|zentriert|mini|380x380px|'Brustbeulen' Handgriff Technik: Wenn das Opfer keine Beulen am Bauch erhalten kann, verwenden Sie stattdessen ''''Brustbe'''; Tragen sie<nowiki/> auf die untere Hälfte des Brustbeins auf, aber nicht auf den Endpunkt.]]<br />
<br />
=== Bei Babys (unter 1 Jahr) ===<br />
Bei Säuglingen (unter 1 Jahr)<ref>{{Literatur |Titel=Editorial Board |Sammelwerk=Circulation |Band=122 |Nummer=18_suppl_3 |Datum=2010-11-02 |DOI=10.1161/CIR.0b013e3181fdf7aa |Seiten=S639–S639 |Online=https://www.ahajournals.org/doi/10.1161/CIR.0b013e3181fdf7aa |Abruf=2021-11-20}}</ref> sollte der Ersthelfer die gleichen zwei allgemeinen Techniken anwenden, jedoch angepasst (wie auf dem Bild).[[Datei:Heimlich Infant.png|zentriert|mini|375x375px|-Links: 'Klopfen auf den Rücken' für Babys, mit leicht auf den Kopf gestelltem Baby.<br />
<br />
-Rechts: 'Brustbeulen' für Babys, mit zwei Fingern auf der unteren Hälfte der Brustmitte.<br />
<br />
]]<br />
<br />
== Atemstillstand ==<br />
<br />
{{Hauptartikel|Atemstillstand}}Zwar ist jeder Endzustand einer Erstickung mit einem Atemstillstand verbunden, doch führt nicht jeder Atemstillstand zum Ersticken. So können beim [[Obstruktives Schlafapnoesyndrom|obstruktiven Schlafapnoesyndrom]] (OSAS) im [[Schlaflabor]] pro Nacht Atemstillstände von jeweils wenigen Sekunden bis hin zu mehreren Minuten mit entsprechendem Abfall der [[Sauerstoffsättigung]] im [[Gewebe (Biologie)|Gewebe]] registriert werden, meist ohne dass akute Schädigungen auftreten.<br />
<br />
== Rechtsmedizin ==<br />
[[Rechtsmedizin]]isch wird die äußere Erstickung allerdings nicht unter dem Gesichtspunkt [[Pathophysiologie|pathophysiologischer]] Grundsätze, sondern dem der äußeren Verursachung betrachtet, letztlich somit im Rahmen eines Untersuchungsauftrags bei Fragen nach [[Schuld (Strafrecht)|Schuld]] und [[Verpflichtetsein|Haftung]] untersucht. Unter dieser Sichtweise hat auch die innere Erstickung als Folge des Einsatzes von Cyanwasserstoff eine äußere Ursache.<br />
<br />
== ICD-10 ==<br />
<br />
{{Infobox ICD<br />
| BREITE = <br />
| 01-CODE = T17<br />
| 01-BEZEICHNUNG = Fremdkörper in den Atemwegen<br />
| 02-CODE = T17.5<br />
| 02-BEZEICHNUNG = Fremdkörper im Bronchus<br />
| 03-CODE = T17.8<br />
| 03-BEZEICHNUNG = Fremdkörper an sonstigen und mehreren Lokalisationen der Atemwege<br />
| 04-CODE = T17.9<br />
| 04-BEZEICHNUNG = Fremdkörper in den Atemwegen, Teil nicht näher bezeichnet<br />
| 05-CODE = T58<br />
| 05-BEZEICHNUNG = Toxische Wirkung von Kohlenmonoxid<br />
| 06-CODE = T59<br />
| 06-BEZEICHNUNG = Toxische Wirkung sonstiger Gase, Dämpfe oder sonstigen Rauches<br />
| 07-CODE = T70.2<br />
| 07-BEZEICHNUNG = Sonstige und nicht näher bezeichnete Schäden durch große Höhe<br />
| 08-CODE = T71<br />
| 08-BEZEICHNUNG = Erstickung<br />
}}<br />
<br />
Nach [[ICD-10]] werden nur das Ersticken durch [[Erhängen|Strangulation]] sowie ein systemischer Sauerstoffmangel durch mechanische Behinderung der Atmung oder niedrigen Sauerstoffgehalt der Umgebungsluft als „T71“ unter Erstickung zusammengefasst.<br />
<br />
* Der Sauerstoffmangel in großer Höhe wird unter „Sonstige und nicht näher bezeichnete Schäden durch äußere Ursachen“ als „Sonstige und nicht näher bezeichnete Schäden durch große Höhe“ (T70.2) erwähnt.<br />
* Die [[Aspiration (Medizin)|Aspiration]] von Fremdkörpern ist eine der „Folgen des Eindringens eines Fremdkörpers durch eine natürliche Körperöffnung“, genauer ein „Fremdkörper in den Atemwegen“ (T17.-) mit weiterer Einteilung nach anatomischer Lokalisation (so „Fremdkörper in der [[Luftröhre|Trachea]]“, T17.5; „Fremdkörper an sonstigen und mehreren Lokalisationen der Atemwegen“, T17.8; „Fremdkörper in den Atemwegen, Teil nicht näher bezeichnet“, T 17.9)[http://www.lumrix.de/icd/t17.html]<br />
* Die Kohlenmonoxidvergiftung jeder Herkunft wird unter „Toxische Wirkungen von vorwiegend nicht medizinisch verwendeten Substanzen“ als „Toxische Wirkung von Kohlenmonoxid“ eingeordnet und erhält das Kürzel T58<br />
* Die Wirkung von Schwefelwasserstoff wird unter „Asphyxie durch sonstige Gase, Dämpfe oder sonstiger Rauch“ mit T59.- eingeordnet.<br />
<br />
== Siehe auch ==<br />
* [[Erdrosseln]], [[Erwürgen]]<br />
* [[Heimlich-Handgriff]]<br />
<br />
== Literatur ==<br />
* Wolfgang Schwerd: ''Erstickung (Sauerstoffmangel).'' In: Wolfgang Schwerd (Hrsg.): ''Kurzgefaßtes Lehrbuch der Rechtsmedizin für Mediziner und Juristen.'' Deutscher Ärzte-Verlag, Köln-Lövenich, 3., überarbeitete und ergänzte Auflage 1979, ISBN 3-7691-0050-6, 71–84.<br />
<br />
== Weblinks ==<br />
* [http://www.irm.unizh.ch/modules.php?name=News&file=article&sid=29 Vorlesungsbegleitung Rechtsmedizin I des Instituts für Rechtsmedizin der Universität Zürich]<br />
<br />
== Einzelnachweise ==<br />
<references /><br />
<br />
[[Kategorie:Krankheitsbild in der Notfallmedizin]]<br />
[[Kategorie:Rechtsmedizin]]<br />
<br />
{{Gesundheitshinweis}}</div>Scriptirhttps://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Erstickung&diff=217430535Erstickung2021-11-20T08:36:50Z<p>Scriptir: OK</p>
<hr />
<div>'''Erstickung''' (auch [[latein]]isch '''Suffocatio''' oder [[Deutsche Sprache|deutsch]] '''Suffokation''', von ''suffocare'' „die Kehle zuschnüren, ersticken, strangulieren“<ref>[[Alois Walde]], [[Johann Baptist Hofmann]]: ''Lateinisches etymologisches Wörterbuch.'' Heidelberg 1938, Band 1, S. 469 f., und Band II, S. 625 (''faux'').</ref>) ist die medizinische Bezeichnung für alle Vorgänge, die aufgrund eines unzureichenden [[Sauerstoff]]angebots ([[Asphyxie]]), aber auch einer beeinträchtigten Sauerstoffaufnahme oder -verarbeitung zum [[Tod]] durch [[Hypoxie (Medizin)|Sauerstoffmangel]] führen. In der Antike, im Mittelalter und selbst in der Neuzeit wurden manchmal [[Todesstrafe]]n auf diese Weise verhängt.<br />
<br />
== Formen ==<br />
Ursachen für Erstickung sind:<br />
* eine Beeinträchtigung der ''Atemtätigkeit'', siehe [[Atemlähmung]], [[Atemstillstand]], [[Verschüttung]]<br />
* eine unzureichende Konzentration von [[Sauerstoff]] in der ''Atemluft'' (z.&nbsp;B. in großen Höhen, abgedichteten Räumen)<br />
* als ''inneres Ersticken'' eine Blockade der ''Atmungskette'' oder der Sauerstoffaufnahme durch die [[Erythrozyt|roten Blutkörperchen]]<br />
* vagale Reflexe, der [[Bolustod]]<br />
<br />
Wie bei der Atmung selbst wird auch hier in äußere und innere Formen der Erstickung unterteilt:<br />
=== Äußere Erstickung ===<br />
Als äußere Erstickung gelten diejenige durch<br />
* eine erniedrigte Sauerstoffkonzentration der [[Atemluft]] von weniger als 130 mbar O<sub>2</sub>-[[Partialdruck]] in<br />
** großer Höhe (hypobare [[Hypoxie (Medizin)|Hypoxie]]): bei unterschiedlicher individueller Empfindlichkeit meist in Höhenlagen ab 4000&nbsp;m. Dies gilt nicht für einzelne, entsprechend gut vorbereitete Extremsportler. So bestiegen der Südtiroler [[Reinhold Messner]] und der Österreicher [[Peter Habeler]] 1978 als erste Bergsteiger den 8848 Meter hohen [[Mount Everest]] ohne [[Sauerstoffgerät]]. ''Siehe auch'': [[Höhenmedizin]]<br />
** abgedichteten Räumen: durch Verbrauch des Sauerstoffs in der Atemluft. [[Taphephobie]] als die [[Angst]] vor einem [[Scheintod]] mit Ersticken im [[Sarg]] ist eine der sog. [[spezifische Phobie|isolierten Phobien]].<br />
** Anwesenheit von [[Inertgas]]en, meist [[Stickstoff]], die den Sauerstoff verdrängen; in engen, unbelüfteten Räumen wie Tanks, Behältern und Schächten und Kellern; der deutsche Name für das chemische Element Stickstoff beruht auf ebendieser seiner Eigenschaft, Flammen und Lebewesen zu „ersticken“<br />
* Verlegung oder Einengung der Atemwege durch:<br />
** ein Zurücksinken der Zunge bei [[Bewusstseinsstörung|Bewusstlosigkeit]] ([[Glossoptose]])<br />
** [[Aspiration (Medizin)|Aspiration]], beispielsweise als Aspiration von Blut oder Mageninhalt oder als [[Fremdkörperaspiration]] mit [[Ertrinken]] als spezifischer Form<br />
** körpereigene [[Sekret]]e (Schleim) oder [[Gewebe (Biologie)|Gewebe]]:<br />
** Schleimhautschwellungen infolge von [[Entzündung|entzündlichen]] Veränderungen oder allergischen Reaktionen, zum Beispiel Stimmritzen-[[Ödem]] (Glottisödem)<br />
** [[Gewalt]] (etwa Strangulation durch Erwürgen, Erdrosseln oder Erhängen)<br />
* [[Atemlähmung]]en unterschiedlicher Ursache<br />
<br />
=== Innere Erstickung ===<br />
Bei der inneren Erstickung (das heißt bei normaler Sauerstoffkonzentration in der Atemluft und ungehinderter Atemtätigkeit) kann eine Einteilung anhand der spezifischen Angriffspunkte oder – wie hier – anhand der Auslöser erfolgen:<br />
* [[Erstickungsgas]]e, die nicht über eine bloße Verdrängung des Sauerstoffs aus der Atemluft wirken, sind<br />
** [[Kohlenmonoxid]] (CO): bindet 250-mal besser an [[Hämoglobin]] als Sauerstoff ([[Kompetitive Hemmung|kompetitiver Antagonismus]]), siehe [[Kohlenmonoxidvergiftung]]<br />
** [[Schwefelwasserstoff]] (H<sub>2</sub>S): ein Hemmer der [[Mitochondrium|mitochondrialen]] [[Atmungskette]], siehe [[Schwefelwasserstoffvergiftung]]<br />
** [[Cyanwasserstoff|Blausäure]] (Cyanwasserstoff, HCN): führt ebenso wie Schwefelwasserstoff zur Blockade der Atmungskette und wurde in den [[Gaskammer (Massenmord)|Gaskammern]] der [[Zeit des Nationalsozialismus|nationalsozialistischen]] [[Vernichtungslager]] (als sog. [[Zyklon B]]) eingesetzt. Auch heute noch wird sie zur Vollstreckung der [[Todesstrafe]] in den [[Gaskammer (Todesstrafe)|Gaskammern]] der US-Bundesstaaten Arizona, Kalifornien und Missouri verwendet.<br />
<br />
== Erstickung Schlucken und Erste Hilfe ==<br />
Beim Schlucken, tritt typischerweise ein Ersticken auf, wenn eine Person ein Stück Nahrung verschluckt, das in die Atemwege umgeleitet wird, was eine erstickende Obstruktion verursacht (Bolusobstruktion).<br />
<br />
=== Allgemeine Erste Hilfe: ===<br />
Zuallererst wird Husten empfohlen.<br />
<br />
Wenn das Opfer nicht husten kann, gibt die Erste Hilfe eine Serie von 5 Klopfen auf den Rücken (mit nach unten gebeugtem Rücken) und eine Serie von 5 starken plötzlichen Beulen auf den Bauch. Es wird fortgesetzt, indem man beide abwechselt. (Wie in den Bildern gezeigt).<ref>{{Internetquelle |autor=American Red Cross |url=https://web.archive.org/web/20200210071651/https://redcross.org/content/dam/redcross/atg/PDF_s/ConsciousChokingPoster_EN.pdf |titel=Conscious Choking |abruf=2011}}</ref><br />
<br />
Wenn ein Opfer Magenprobleme hat (z. B. Schwangerschaft oder Übergröße), befinden sich die Beulen nicht am Bauch, sondern an der Brust (siehe unten).<br />
[[Datei:Back blows (back slaps) against choking for adult people.jpg|links|mini|220x220px|'Klopfen auf den Rücken' Technik: Der Retter sollte den Körper des Opfers so weit wie möglich beugen vor den Schlägen.]]<br />
[[Datei:Abdominal thrusts against choking.jpg|zentriert|mini|380x380px|'Abdominalbeulen' Handgriff Technik (das Heimlich-Manöver): Tragen sie auf den Bereich zwischen Brust und Bauchnabel.]]<br />
<br />
<br />
=== Bei schwangeren oder zu dicken Opfern: ===<br />
Zuerst wird Husten versucht.<br />
<br />
Danach ist die Erste Hilfe fast die gleiche: mehrere Serien von 5 Schlägen auf den Rücken im Wechsel mit anderen Serien von 5 starken plötzlichen Beulen auf die Brust (wie in den Bildern gezeigt).<ref>{{Internetquelle |autor=Oklahoma State University |url=https://web.archive.org/web/20200130145512/https://ehs.okstate.edu/site-files/docs/cpr-and-choking-5-min-safety-talk.pdf/ |titel=Choking and CPR safety talk |abruf=2014}}</ref><br />
[[Datei:Back blows (back slaps) against choking for adult people.jpg|links|mini|220x220px|'Klopfen auf den Rücken' Technik: Der Retter sollte den Körper des Opfers so weit wie möglich beugen vor den Schlägen.]]<br />
[[Datei:Chest thrusts against choking.jpg|zentriert|mini|380x380px|'Brustbeulen' Handgriff Technik: Wenn das Opfer keine Beulen am Bauch erhalten kann, verwenden Sie stattdessen ''''Brustbe'''; Tragen sie<nowiki/> auf die untere Hälfte des Brustbeins auf, aber nicht auf den Endpunkt.]]<br />
<br />
=== Bei Babys (unter 1 Jahr): ===<br />
Bei Säuglingen (unter 1 Jahr)<ref>{{Literatur |Titel=Editorial Board |Sammelwerk=Circulation |Band=122 |Nummer=18_suppl_3 |Datum=2010-11-02 |DOI=10.1161/CIR.0b013e3181fdf7aa |Seiten=S639–S639 |Online=https://www.ahajournals.org/doi/10.1161/CIR.0b013e3181fdf7aa |Abruf=2021-11-20}}</ref> sollte der Ersthelfer die gleichen zwei allgemeinen Techniken anwenden, jedoch angepasst (wie auf dem Bild).[[Datei:Heimlich Infant.png|zentriert|mini|375x375px|-Links: 'Klopfen auf den Rücken' für Babys, mit leicht auf den Kopf gestelltem Baby.<br />
<br />
-Rechts: 'Brustbeulen' für Babys, mit zwei Fingern auf der unteren Hälfte der Brustmitte.<br />
<br />
]]<br />
<br />
== Atemstillstand ==<br />
<br />
{{Hauptartikel|Atemstillstand}}Zwar ist jeder Endzustand einer Erstickung mit einem Atemstillstand verbunden, doch führt nicht jeder Atemstillstand zum Ersticken. So können beim [[Obstruktives Schlafapnoesyndrom|obstruktiven Schlafapnoesyndrom]] (OSAS) im [[Schlaflabor]] pro Nacht Atemstillstände von jeweils wenigen Sekunden bis hin zu mehreren Minuten mit entsprechendem Abfall der [[Sauerstoffsättigung]] im [[Gewebe (Biologie)|Gewebe]] registriert werden, meist ohne dass akute Schädigungen auftreten.<br />
<br />
== Rechtsmedizin ==<br />
[[Rechtsmedizin]]isch wird die äußere Erstickung allerdings nicht unter dem Gesichtspunkt [[Pathophysiologie|pathophysiologischer]] Grundsätze, sondern dem der äußeren Verursachung betrachtet, letztlich somit im Rahmen eines Untersuchungsauftrags bei Fragen nach [[Schuld (Strafrecht)|Schuld]] und [[Verpflichtetsein|Haftung]] untersucht. Unter dieser Sichtweise hat auch die innere Erstickung als Folge des Einsatzes von Cyanwasserstoff eine äußere Ursache.<br />
<br />
== ICD-10 ==<br />
<br />
{{Infobox ICD<br />
| BREITE = <br />
| 01-CODE = T17<br />
| 01-BEZEICHNUNG = Fremdkörper in den Atemwegen<br />
| 02-CODE = T17.5<br />
| 02-BEZEICHNUNG = Fremdkörper im Bronchus<br />
| 03-CODE = T17.8<br />
| 03-BEZEICHNUNG = Fremdkörper an sonstigen und mehreren Lokalisationen der Atemwege<br />
| 04-CODE = T17.9<br />
| 04-BEZEICHNUNG = Fremdkörper in den Atemwegen, Teil nicht näher bezeichnet<br />
| 05-CODE = T58<br />
| 05-BEZEICHNUNG = Toxische Wirkung von Kohlenmonoxid<br />
| 06-CODE = T59<br />
| 06-BEZEICHNUNG = Toxische Wirkung sonstiger Gase, Dämpfe oder sonstigen Rauches<br />
| 07-CODE = T70.2<br />
| 07-BEZEICHNUNG = Sonstige und nicht näher bezeichnete Schäden durch große Höhe<br />
| 08-CODE = T71<br />
| 08-BEZEICHNUNG = Erstickung<br />
}}<br />
<br />
Nach [[ICD-10]] werden nur das Ersticken durch [[Erhängen|Strangulation]] sowie ein systemischer Sauerstoffmangel durch mechanische Behinderung der Atmung oder niedrigen Sauerstoffgehalt der Umgebungsluft als „T71“ unter Erstickung zusammengefasst.<br />
<br />
* Der Sauerstoffmangel in großer Höhe wird unter „Sonstige und nicht näher bezeichnete Schäden durch äußere Ursachen“ als „Sonstige und nicht näher bezeichnete Schäden durch große Höhe“ (T70.2) erwähnt.<br />
* Die [[Aspiration (Medizin)|Aspiration]] von Fremdkörpern ist eine der „Folgen des Eindringens eines Fremdkörpers durch eine natürliche Körperöffnung“, genauer ein „Fremdkörper in den Atemwegen“ (T17.-) mit weiterer Einteilung nach anatomischer Lokalisation (so „Fremdkörper in der [[Luftröhre|Trachea]]“, T17.5; „Fremdkörper an sonstigen und mehreren Lokalisationen der Atemwegen“, T17.8; „Fremdkörper in den Atemwegen, Teil nicht näher bezeichnet“, T 17.9)[http://www.lumrix.de/icd/t17.html]<br />
* Die Kohlenmonoxidvergiftung jeder Herkunft wird unter „Toxische Wirkungen von vorwiegend nicht medizinisch verwendeten Substanzen“ als „Toxische Wirkung von Kohlenmonoxid“ eingeordnet und erhält das Kürzel T58<br />
* Die Wirkung von Schwefelwasserstoff wird unter „Asphyxie durch sonstige Gase, Dämpfe oder sonstiger Rauch“ mit T59.- eingeordnet.<br />
<br />
== Siehe auch ==<br />
* [[Erdrosseln]], [[Erwürgen]]<br />
* [[Heimlich-Handgriff]]<br />
<br />
== Literatur ==<br />
* Wolfgang Schwerd: ''Erstickung (Sauerstoffmangel).'' In: Wolfgang Schwerd (Hrsg.): ''Kurzgefaßtes Lehrbuch der Rechtsmedizin für Mediziner und Juristen.'' Deutscher Ärzte-Verlag, Köln-Lövenich, 3., überarbeitete und ergänzte Auflage 1979, ISBN 3-7691-0050-6, 71–84.<br />
<br />
== Weblinks ==<br />
* [http://www.irm.unizh.ch/modules.php?name=News&file=article&sid=29 Vorlesungsbegleitung Rechtsmedizin I des Instituts für Rechtsmedizin der Universität Zürich]<br />
<br />
== Einzelnachweise ==<br />
<references /><br />
<br />
[[Kategorie:Krankheitsbild in der Notfallmedizin]]<br />
[[Kategorie:Rechtsmedizin]]<br />
<br />
{{Gesundheitshinweis}}</div>Scriptirhttps://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Erstickung&diff=217430065Erstickung2021-11-20T08:24:04Z<p>Scriptir: </p>
<hr />
<div>'''Erstickung''' (auch [[latein]]isch '''Suffocatio''' oder [[Deutsche Sprache|deutsch]] '''Suffokation''', von ''suffocare'' „die Kehle zuschnüren, ersticken, strangulieren“<ref>[[Alois Walde]], [[Johann Baptist Hofmann]]: ''Lateinisches etymologisches Wörterbuch.'' Heidelberg 1938, Band 1, S. 469 f., und Band II, S. 625 (''faux'').</ref>) ist die medizinische Bezeichnung für alle Vorgänge, die aufgrund eines unzureichenden [[Sauerstoff]]angebots ([[Asphyxie]]), aber auch einer beeinträchtigten Sauerstoffaufnahme oder -verarbeitung zum [[Tod]] durch [[Hypoxie (Medizin)|Sauerstoffmangel]] führen. In der Antike, im Mittelalter und selbst in der Neuzeit wurden manchmal [[Todesstrafe]]n auf diese Weise verhängt.<br />
<br />
== Technische Klassifizierung ==<br />
Ursachen für Erstickung sind:<br />
* eine Beeinträchtigung der ''Atemtätigkeit'', siehe [[Atemlähmung]], [[Atemstillstand]], [[Verschüttung]]<br />
* eine unzureichende Konzentration von [[Sauerstoff]] in der ''Atemluft'' (z.&nbsp;B. in großen Höhen, abgedichteten Räumen)<br />
* als ''inneres Ersticken'' eine Blockade der ''Atmungskette'' oder der Sauerstoffaufnahme durch die [[Erythrozyt|roten Blutkörperchen]]<br />
* vagale Reflexe, der [[Bolustod]]<br />
<br />
Wie bei der Atmung selbst wird auch hier in äußere und innere Formen der Erstickung unterteilt:<br />
=== Äußere Erstickung ===<br />
Als äußere Erstickung gelten diejenige durch<br />
* eine erniedrigte Sauerstoffkonzentration der [[Atemluft]] von weniger als 130 mbar O<sub>2</sub>-[[Partialdruck]] in<br />
** großer Höhe (hypobare [[Hypoxie (Medizin)|Hypoxie]]): bei unterschiedlicher individueller Empfindlichkeit meist in Höhenlagen ab 4000&nbsp;m. Dies gilt nicht für einzelne, entsprechend gut vorbereitete Extremsportler. So bestiegen der Südtiroler [[Reinhold Messner]] und der Österreicher [[Peter Habeler]] 1978 als erste Bergsteiger den 8848 Meter hohen [[Mount Everest]] ohne [[Sauerstoffgerät]]. ''Siehe auch'': [[Höhenmedizin]]<br />
** abgedichteten Räumen: durch Verbrauch des Sauerstoffs in der Atemluft. [[Taphephobie]] als die [[Angst]] vor einem [[Scheintod]] mit Ersticken im [[Sarg]] ist eine der sog. [[spezifische Phobie|isolierten Phobien]].<br />
** Anwesenheit von [[Inertgas]]en, meist [[Stickstoff]], die den Sauerstoff verdrängen; in engen, unbelüfteten Räumen wie Tanks, Behältern und Schächten und Kellern; der deutsche Name für das chemische Element Stickstoff beruht auf ebendieser seiner Eigenschaft, Flammen und Lebewesen zu „ersticken“<br />
* Verlegung oder Einengung der Atemwege durch:<br />
** ein Zurücksinken der Zunge bei [[Bewusstseinsstörung|Bewusstlosigkeit]] ([[Glossoptose]])<br />
** [[Aspiration (Medizin)|Aspiration]], beispielsweise als Aspiration von Blut oder Mageninhalt oder als [[Fremdkörperaspiration]] mit [[Ertrinken]] als spezifischer Form<br />
** körpereigene [[Sekret]]e (Schleim) oder [[Gewebe (Biologie)|Gewebe]]:<br />
** Schleimhautschwellungen infolge von [[Entzündung|entzündlichen]] Veränderungen oder allergischen Reaktionen, zum Beispiel Stimmritzen-[[Ödem]] (Glottisödem)<br />
** [[Gewalt]] (etwa Strangulation durch Erwürgen, Erdrosseln oder Erhängen)<br />
* [[Atemlähmung]]en unterschiedlicher Ursache<br />
<br />
=== Innere Erstickung ===<br />
Bei der inneren Erstickung (das heißt bei normaler Sauerstoffkonzentration in der Atemluft und ungehinderter Atemtätigkeit) kann eine Einteilung anhand der spezifischen Angriffspunkte oder – wie hier – anhand der Auslöser erfolgen:<br />
* [[Erstickungsgas]]e, die nicht über eine bloße Verdrängung des Sauerstoffs aus der Atemluft wirken, sind<br />
** [[Kohlenmonoxid]] (CO): bindet 250-mal besser an [[Hämoglobin]] als Sauerstoff ([[Kompetitive Hemmung|kompetitiver Antagonismus]]), siehe [[Kohlenmonoxidvergiftung]]<br />
** [[Schwefelwasserstoff]] (H<sub>2</sub>S): ein Hemmer der [[Mitochondrium|mitochondrialen]] [[Atmungskette]], siehe [[Schwefelwasserstoffvergiftung]]<br />
** [[Cyanwasserstoff|Blausäure]] (Cyanwasserstoff, HCN): führt ebenso wie Schwefelwasserstoff zur Blockade der Atmungskette und wurde in den [[Gaskammer (Massenmord)|Gaskammern]] der [[Zeit des Nationalsozialismus|nationalsozialistischen]] [[Vernichtungslager]] (als sog. [[Zyklon B]]) eingesetzt. Auch heute noch wird sie zur Vollstreckung der [[Todesstrafe]] in den [[Gaskammer (Todesstrafe)|Gaskammern]] der US-Bundesstaaten Arizona, Kalifornien und Missouri verwendet.<br />
<br />
== Erstickung Schlucken und Erste Hilfe ==<br />
Beim Schlucken, tritt typischerweise ein Ersticken auf, wenn eine Person ein Stück Nahrung verschluckt, das in die Atemwege umgeleitet wird, was eine erstickende Obstruktion verursacht (Bolusobstruktion).<br />
<br />
=== Allgemeine Erste Hilfe: ===<br />
Zuallererst wird Husten empfohlen.<br />
<br />
Wenn das Opfer nicht husten kann, gibt die Erste Hilfe eine Serie von 5 Klopfen auf den Rücken (mit nach unten gebeugtem Rücken) und eine Serie von 5 starken plötzlichen Beulen auf den Bauch. Es wird fortgesetzt, indem man beide abwechselt. (Wie in den Bildern gezeigt).<ref>{{Internetquelle |autor=American Red Cross |url=https://web.archive.org/web/20200210071651/https://redcross.org/content/dam/redcross/atg/PDF_s/ConsciousChokingPoster_EN.pdf |titel=Conscious Choking |abruf=2011}}</ref><br />
<br />
Wenn ein Opfer Magenprobleme hat (z. B. Schwangerschaft oder Übergröße), befinden sich die Beulen nicht am Bauch, sondern an der Brust (siehe unten).<br />
[[Datei:Back blows (back slaps) against choking for adult people.jpg|links|mini|220x220px|'Klopfen auf den Rücken' Anti-Erstickungs Technik: Der Retter sollte den Körper des Opfers so weit wie möglich beugen vor den Schlägen.]]<br />
[[Datei:Abdominal thrusts against choking.jpg|zentriert|mini|380x380px|'Abdominalbeulen' Handgriff Anti-Erstickungs Technik (das Heimlich-Manöver): Tragen sie auf den Bereich zwischen Brust und Bauchnabel.]]<br />
<br />
<br />
=== Bei schwangeren oder zu dicken Opfern: ===<br />
Zuerst wird Husten versucht.<br />
<br />
Danach ist die Erste Hilfe fast die gleiche: mehrere Serien von 5 Schlägen auf den Rücken im Wechsel mit anderen Serien von 5 starken plötzlichen Beulen auf die Brust (wie in den Bildern gezeigt).<ref>{{Internetquelle |autor=Oklahoma State University |url=https://web.archive.org/web/20200130145512/https://ehs.okstate.edu/site-files/docs/cpr-and-choking-5-min-safety-talk.pdf/ |titel=Choking and CPR safety talk |abruf=2014}}</ref><br />
[[Datei:Back blows (back slaps) against choking for adult people.jpg|links|mini|220x220px|'Klopfen auf den Rücken' Anti-Erstickungs Technik: Der Retter sollte den Körper des Opfers so weit wie möglich beugen vor den Schlägen.]]<br />
[[Datei:Chest thrusts against choking.jpg|zentriert|mini|380x380px|'Brustbeulen' Handgriff Anti-Erstickungs Technik: Wenn das Opfer keine Beulen am Bauch erhalten kann, verwenden Sie stattdessen ''''Brustbe'''<nowiki/>'''ulen''''; Tragen sie auf die untere Hälfte des Brustbeins auf, aber nicht auf den Endpunkt.]]<br />
<br />
=== Bei Babys (unter 1 Jahr): ===<br />
Bei Säuglingen (unter 1 Jahr)<ref>{{Literatur |Titel=Editorial Board |Sammelwerk=Circulation |Band=122 |Nummer=18_suppl_3 |Datum=2010-11-02 |DOI=10.1161/CIR.0b013e3181fdf7aa |Seiten=S639–S639 |Online=https://www.ahajournals.org/doi/10.1161/CIR.0b013e3181fdf7aa |Abruf=2021-11-20}}</ref> sollte der Ersthelfer die gleichen zwei allgemeinen Techniken anwenden, jedoch angepasst (wie auf dem Bild).<br />
<br />
[[Datei:Heimlich Infant.png|zentriert|mini|375x375px|Anti-Erstickungs techniken bei Babys.-Links: 'Klopfen auf den Rücken' für Babys, mit leicht auf den Kopf gestelltem Baby.<br />
<br />
-Rechts: 'Brustbeulen' für Babys, mit zwei Fingern auf der unteren Hälfte der Brustmitte.]]<br />
<br />
== Atemstillstand ==<br />
<br />
{{Hauptartikel|Atemstillstand}}Zwar ist jeder Endzustand einer Erstickung mit einem Atemstillstand verbunden, doch führt nicht jeder Atemstillstand zum Ersticken. So können beim [[Obstruktives Schlafapnoesyndrom|obstruktiven Schlafapnoesyndrom]] (OSAS) im [[Schlaflabor]] pro Nacht Atemstillstände von jeweils wenigen Sekunden bis hin zu mehreren Minuten mit entsprechendem Abfall der [[Sauerstoffsättigung]] im [[Gewebe (Biologie)|Gewebe]] registriert werden, meist ohne dass akute Schädigungen auftreten.<br />
<br />
== Rechtsmedizin ==<br />
[[Rechtsmedizin]]isch wird die äußere Erstickung allerdings nicht unter dem Gesichtspunkt [[Pathophysiologie|pathophysiologischer]] Grundsätze, sondern dem der äußeren Verursachung betrachtet, letztlich somit im Rahmen eines Untersuchungsauftrags bei Fragen nach [[Schuld (Strafrecht)|Schuld]] und [[Verpflichtetsein|Haftung]] untersucht. Unter dieser Sichtweise hat auch die innere Erstickung als Folge des Einsatzes von Cyanwasserstoff eine äußere Ursache.<br />
<br />
== ICD-10 ==<br />
<br />
{{Infobox ICD<br />
| BREITE = <br />
| 01-CODE = T17<br />
| 01-BEZEICHNUNG = Fremdkörper in den Atemwegen<br />
| 02-CODE = T17.5<br />
| 02-BEZEICHNUNG = Fremdkörper im Bronchus<br />
| 03-CODE = T17.8<br />
| 03-BEZEICHNUNG = Fremdkörper an sonstigen und mehreren Lokalisationen der Atemwege<br />
| 04-CODE = T17.9<br />
| 04-BEZEICHNUNG = Fremdkörper in den Atemwegen, Teil nicht näher bezeichnet<br />
| 05-CODE = T58<br />
| 05-BEZEICHNUNG = Toxische Wirkung von Kohlenmonoxid<br />
| 06-CODE = T59<br />
| 06-BEZEICHNUNG = Toxische Wirkung sonstiger Gase, Dämpfe oder sonstigen Rauches<br />
| 07-CODE = T70.2<br />
| 07-BEZEICHNUNG = Sonstige und nicht näher bezeichnete Schäden durch große Höhe<br />
| 08-CODE = T71<br />
| 08-BEZEICHNUNG = Erstickung<br />
}}<br />
<br />
Nach [[ICD-10]] werden nur das Ersticken durch [[Erhängen|Strangulation]] sowie ein systemischer Sauerstoffmangel durch mechanische Behinderung der Atmung oder niedrigen Sauerstoffgehalt der Umgebungsluft als „T71“ unter Erstickung zusammengefasst.<br />
<br />
* Der Sauerstoffmangel in großer Höhe wird unter „Sonstige und nicht näher bezeichnete Schäden durch äußere Ursachen“ als „Sonstige und nicht näher bezeichnete Schäden durch große Höhe“ (T70.2) erwähnt.<br />
* Die [[Aspiration (Medizin)|Aspiration]] von Fremdkörpern ist eine der „Folgen des Eindringens eines Fremdkörpers durch eine natürliche Körperöffnung“, genauer ein „Fremdkörper in den Atemwegen“ (T17.-) mit weiterer Einteilung nach anatomischer Lokalisation (so „Fremdkörper in der [[Luftröhre|Trachea]]“, T17.5; „Fremdkörper an sonstigen und mehreren Lokalisationen der Atemwegen“, T17.8; „Fremdkörper in den Atemwegen, Teil nicht näher bezeichnet“, T 17.9)[http://www.lumrix.de/icd/t17.html]<br />
* Die Kohlenmonoxidvergiftung jeder Herkunft wird unter „Toxische Wirkungen von vorwiegend nicht medizinisch verwendeten Substanzen“ als „Toxische Wirkung von Kohlenmonoxid“ eingeordnet und erhält das Kürzel T58<br />
* Die Wirkung von Schwefelwasserstoff wird unter „Asphyxie durch sonstige Gase, Dämpfe oder sonstiger Rauch“ mit T59.- eingeordnet.<br />
<br />
== Siehe auch ==<br />
* [[Erdrosseln]], [[Erwürgen]]<br />
* [[Heimlich-Handgriff]]<br />
<br />
== Literatur ==<br />
* Wolfgang Schwerd: ''Erstickung (Sauerstoffmangel).'' In: Wolfgang Schwerd (Hrsg.): ''Kurzgefaßtes Lehrbuch der Rechtsmedizin für Mediziner und Juristen.'' Deutscher Ärzte-Verlag, Köln-Lövenich, 3., überarbeitete und ergänzte Auflage 1979, ISBN 3-7691-0050-6, 71–84.<br />
<br />
== Weblinks ==<br />
* [http://www.irm.unizh.ch/modules.php?name=News&file=article&sid=29 Vorlesungsbegleitung Rechtsmedizin I des Instituts für Rechtsmedizin der Universität Zürich]<br />
<br />
== Einzelnachweise ==<br />
<references /><br />
<br />
[[Kategorie:Krankheitsbild in der Notfallmedizin]]<br />
[[Kategorie:Rechtsmedizin]]<br />
<br />
{{Gesundheitshinweis}}</div>Scriptirhttps://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Erstickung&diff=217429708Erstickung2021-11-20T07:56:48Z<p>Scriptir: /* Bei schwangeren oder zu dicken Opfern: */</p>
<hr />
<div>'''Erstickung''' (auch [[latein]]isch '''Suffocatio''' oder [[Deutsche Sprache|deutsch]] '''Suffokation''', von ''suffocare'' „die Kehle zuschnüren, ersticken, strangulieren“<ref>[[Alois Walde]], [[Johann Baptist Hofmann]]: ''Lateinisches etymologisches Wörterbuch.'' Heidelberg 1938, Band 1, S. 469 f., und Band II, S. 625 (''faux'').</ref>) ist die medizinische Bezeichnung für alle Vorgänge, die aufgrund eines unzureichenden [[Sauerstoff]]angebots ([[Asphyxie]]), aber auch einer beeinträchtigten Sauerstoffaufnahme oder -verarbeitung zum [[Tod]] durch [[Hypoxie (Medizin)|Sauerstoffmangel]] führen. In der Antike, im Mittelalter und selbst in der Neuzeit wurden manchmal [[Todesstrafe]]n auf diese Weise verhängt.<br />
<br />
== Technische Klassifizierung ==<br />
Ursachen für Erstickung sind:<br />
* eine Beeinträchtigung der ''Atemtätigkeit'', siehe [[Atemlähmung]], [[Atemstillstand]], [[Verschüttung]]<br />
* eine unzureichende Konzentration von [[Sauerstoff]] in der ''Atemluft'' (z.&nbsp;B. in großen Höhen, abgedichteten Räumen)<br />
* als ''inneres Ersticken'' eine Blockade der ''Atmungskette'' oder der Sauerstoffaufnahme durch die [[Erythrozyt|roten Blutkörperchen]]<br />
* vagale Reflexe, der [[Bolustod]]<br />
<br />
Wie bei der Atmung selbst wird auch hier in äußere und innere Formen der Erstickung unterteilt:<br />
=== Äußere Erstickung ===<br />
Als äußere Erstickung gelten diejenige durch<br />
* eine erniedrigte Sauerstoffkonzentration der [[Atemluft]] von weniger als 130 mbar O<sub>2</sub>-[[Partialdruck]] in<br />
** großer Höhe (hypobare [[Hypoxie (Medizin)|Hypoxie]]): bei unterschiedlicher individueller Empfindlichkeit meist in Höhenlagen ab 4000&nbsp;m. Dies gilt nicht für einzelne, entsprechend gut vorbereitete Extremsportler. So bestiegen der Südtiroler [[Reinhold Messner]] und der Österreicher [[Peter Habeler]] 1978 als erste Bergsteiger den 8848 Meter hohen [[Mount Everest]] ohne [[Sauerstoffgerät]]. ''Siehe auch'': [[Höhenmedizin]]<br />
** abgedichteten Räumen: durch Verbrauch des Sauerstoffs in der Atemluft. [[Taphephobie]] als die [[Angst]] vor einem [[Scheintod]] mit Ersticken im [[Sarg]] ist eine der sog. [[spezifische Phobie|isolierten Phobien]].<br />
** Anwesenheit von [[Inertgas]]en, meist [[Stickstoff]], die den Sauerstoff verdrängen; in engen, unbelüfteten Räumen wie Tanks, Behältern und Schächten und Kellern; der deutsche Name für das chemische Element Stickstoff beruht auf ebendieser seiner Eigenschaft, Flammen und Lebewesen zu „ersticken“<br />
* Verlegung oder Einengung der Atemwege durch:<br />
** ein Zurücksinken der Zunge bei [[Bewusstseinsstörung|Bewusstlosigkeit]] ([[Glossoptose]])<br />
** [[Aspiration (Medizin)|Aspiration]], beispielsweise als Aspiration von Blut oder Mageninhalt oder als [[Fremdkörperaspiration]] mit [[Ertrinken]] als spezifischer Form<br />
** körpereigene [[Sekret]]e (Schleim) oder [[Gewebe (Biologie)|Gewebe]]:<br />
** Schleimhautschwellungen infolge von [[Entzündung|entzündlichen]] Veränderungen oder allergischen Reaktionen, zum Beispiel Stimmritzen-[[Ödem]] (Glottisödem)<br />
** [[Gewalt]] (etwa Strangulation durch Erwürgen, Erdrosseln oder Erhängen)<br />
* [[Atemlähmung]]en unterschiedlicher Ursache<br />
<br />
=== Innere Erstickung ===<br />
Bei der inneren Erstickung (das heißt bei normaler Sauerstoffkonzentration in der Atemluft und ungehinderter Atemtätigkeit) kann eine Einteilung anhand der spezifischen Angriffspunkte oder – wie hier – anhand der Auslöser erfolgen:<br />
* [[Erstickungsgas]]e, die nicht über eine bloße Verdrängung des Sauerstoffs aus der Atemluft wirken, sind<br />
** [[Kohlenmonoxid]] (CO): bindet 250-mal besser an [[Hämoglobin]] als Sauerstoff ([[Kompetitive Hemmung|kompetitiver Antagonismus]]), siehe [[Kohlenmonoxidvergiftung]]<br />
** [[Schwefelwasserstoff]] (H<sub>2</sub>S): ein Hemmer der [[Mitochondrium|mitochondrialen]] [[Atmungskette]], siehe [[Schwefelwasserstoffvergiftung]]<br />
** [[Cyanwasserstoff|Blausäure]] (Cyanwasserstoff, HCN): führt ebenso wie Schwefelwasserstoff zur Blockade der Atmungskette und wurde in den [[Gaskammer (Massenmord)|Gaskammern]] der [[Zeit des Nationalsozialismus|nationalsozialistischen]] [[Vernichtungslager]] (als sog. [[Zyklon B]]) eingesetzt. Auch heute noch wird sie zur Vollstreckung der [[Todesstrafe]] in den [[Gaskammer (Todesstrafe)|Gaskammern]] der US-Bundesstaaten Arizona, Kalifornien und Missouri verwendet.<br />
<br />
== Erstickung Schlucken und Erste Hilfe ==<br />
Beim Schlucken, tritt typischerweise ein Ersticken auf, wenn eine Person ein Stück Nahrung verschluckt, das in die Atemwege umgeleitet wird, was eine erstickende Obstruktion verursacht (Bolusobstruktion).<br />
<br />
=== Allgemeine Erste Hilfe: ===<br />
Zuallererst wird Husten empfohlen.<br />
<br />
Wenn das Opfer nicht husten kann, gibt die Erste Hilfe eine Serie von 5 Klopfen auf den Rücken (mit nach unten gebeugtem Rücken) und eine Serie von 5 starken plötzlichen Beulen auf den Bauch. Es wird fortgesetzt, indem man beide abwechselt. (Wie in den Bildern gezeigt).<ref>{{Internetquelle |autor=American Red Cross |url=https://web.archive.org/web/20200210071651/https://redcross.org/content/dam/redcross/atg/PDF_s/ConsciousChokingPoster_EN.pdf |titel=Conscious Choking |abruf=2011}}</ref><br />
<br />
Wenn ein Opfer Magenprobleme hat (z. B. Schwangerschaft oder Übergröße), befinden sich die Beulen nicht am Bauch, sondern an der Brust (siehe unten).<br />
[[Datei:Back blows (back slaps) against choking for adult people.jpg|links|mini|220x220px|'Klopfen auf den Rücken' Anti-Erstickungs Technik: Der Retter sollte den Körper des Opfers so weit wie möglich beugen vor den Schlägen.]]<br />
[[Datei:Abdominal thrusts against choking.jpg|zentriert|mini|380x380px|'Abdominalbeulen' Handgriff Anti-Erstickungs Technik (das Heimlich-Manöver): Tragen sie auf den Bereich zwischen Brust und Bauchnabel.]]<br />
<br />
<br />
=== Bei schwangeren oder zu dicken Opfern: ===<br />
Zuerst wird Husten versucht.<br />
<br />
Danach ist die Erste Hilfe fast die gleiche: mehrere Serien von 5 Schlägen auf den Rücken im Wechsel mit anderen Serien von 5 starken plötzlichen Beulen auf die Brust (wie in den Bildern gezeigt).<ref>{{Internetquelle |autor=Oklahoma State University |url=https://web.archive.org/web/20200130145512/https://ehs.okstate.edu/site-files/docs/cpr-and-choking-5-min-safety-talk.pdf/ |titel=Choking and CPR safety talk |abruf=2014}}</ref><br />
[[Datei:Back blows (back slaps) against choking for adult people.jpg|links|mini|220x220px|'Klopfen auf den Rücken' Anti-Erstickungs Technik: Der Retter sollte den Körper des Opfers so weit wie möglich beugen vor den Schlägen.]]<br />
[[Datei:Chest thrusts against choking.jpg|zentriert|mini|380x380px|'Brustbeulen' Handgriff Anti-Choking-Technik: Wenn das Opfer keine Beulen am Bauch erhalten kann, verwenden Sie stattdessen ''''Brustbeulen'''<nowiki/>'; Tragen sie auf die untere Hälfte des Brustbeins auf, aber nicht auf den Endpunkt.]]<br />
<br />
== Atemstillstand ==<br />
<br />
{{Hauptartikel|Atemstillstand}}Zwar ist jeder Endzustand einer Erstickung mit einem Atemstillstand verbunden, doch führt nicht jeder Atemstillstand zum Ersticken. So können beim [[Obstruktives Schlafapnoesyndrom|obstruktiven Schlafapnoesyndrom]] (OSAS) im [[Schlaflabor]] pro Nacht Atemstillstände von jeweils wenigen Sekunden bis hin zu mehreren Minuten mit entsprechendem Abfall der [[Sauerstoffsättigung]] im [[Gewebe (Biologie)|Gewebe]] registriert werden, meist ohne dass akute Schädigungen auftreten.<br />
<br />
== Rechtsmedizin ==<br />
[[Rechtsmedizin]]isch wird die äußere Erstickung allerdings nicht unter dem Gesichtspunkt [[Pathophysiologie|pathophysiologischer]] Grundsätze, sondern dem der äußeren Verursachung betrachtet, letztlich somit im Rahmen eines Untersuchungsauftrags bei Fragen nach [[Schuld (Strafrecht)|Schuld]] und [[Verpflichtetsein|Haftung]] untersucht. Unter dieser Sichtweise hat auch die innere Erstickung als Folge des Einsatzes von Cyanwasserstoff eine äußere Ursache.<br />
<br />
== ICD-10 ==<br />
<br />
{{Infobox ICD<br />
| BREITE = <br />
| 01-CODE = T17<br />
| 01-BEZEICHNUNG = Fremdkörper in den Atemwegen<br />
| 02-CODE = T17.5<br />
| 02-BEZEICHNUNG = Fremdkörper im Bronchus<br />
| 03-CODE = T17.8<br />
| 03-BEZEICHNUNG = Fremdkörper an sonstigen und mehreren Lokalisationen der Atemwege<br />
| 04-CODE = T17.9<br />
| 04-BEZEICHNUNG = Fremdkörper in den Atemwegen, Teil nicht näher bezeichnet<br />
| 05-CODE = T58<br />
| 05-BEZEICHNUNG = Toxische Wirkung von Kohlenmonoxid<br />
| 06-CODE = T59<br />
| 06-BEZEICHNUNG = Toxische Wirkung sonstiger Gase, Dämpfe oder sonstigen Rauches<br />
| 07-CODE = T70.2<br />
| 07-BEZEICHNUNG = Sonstige und nicht näher bezeichnete Schäden durch große Höhe<br />
| 08-CODE = T71<br />
| 08-BEZEICHNUNG = Erstickung<br />
}}<br />
<br />
Nach [[ICD-10]] werden nur das Ersticken durch [[Erhängen|Strangulation]] sowie ein systemischer Sauerstoffmangel durch mechanische Behinderung der Atmung oder niedrigen Sauerstoffgehalt der Umgebungsluft als „T71“ unter Erstickung zusammengefasst.<br />
<br />
* Der Sauerstoffmangel in großer Höhe wird unter „Sonstige und nicht näher bezeichnete Schäden durch äußere Ursachen“ als „Sonstige und nicht näher bezeichnete Schäden durch große Höhe“ (T70.2) erwähnt.<br />
* Die [[Aspiration (Medizin)|Aspiration]] von Fremdkörpern ist eine der „Folgen des Eindringens eines Fremdkörpers durch eine natürliche Körperöffnung“, genauer ein „Fremdkörper in den Atemwegen“ (T17.-) mit weiterer Einteilung nach anatomischer Lokalisation (so „Fremdkörper in der [[Luftröhre|Trachea]]“, T17.5; „Fremdkörper an sonstigen und mehreren Lokalisationen der Atemwegen“, T17.8; „Fremdkörper in den Atemwegen, Teil nicht näher bezeichnet“, T 17.9)[http://www.lumrix.de/icd/t17.html]<br />
* Die Kohlenmonoxidvergiftung jeder Herkunft wird unter „Toxische Wirkungen von vorwiegend nicht medizinisch verwendeten Substanzen“ als „Toxische Wirkung von Kohlenmonoxid“ eingeordnet und erhält das Kürzel T58<br />
* Die Wirkung von Schwefelwasserstoff wird unter „Asphyxie durch sonstige Gase, Dämpfe oder sonstiger Rauch“ mit T59.- eingeordnet.<br />
<br />
== Siehe auch ==<br />
* [[Erdrosseln]], [[Erwürgen]]<br />
* [[Heimlich-Handgriff]]<br />
<br />
== Literatur ==<br />
* Wolfgang Schwerd: ''Erstickung (Sauerstoffmangel).'' In: Wolfgang Schwerd (Hrsg.): ''Kurzgefaßtes Lehrbuch der Rechtsmedizin für Mediziner und Juristen.'' Deutscher Ärzte-Verlag, Köln-Lövenich, 3., überarbeitete und ergänzte Auflage 1979, ISBN 3-7691-0050-6, 71–84.<br />
<br />
== Weblinks ==<br />
* [http://www.irm.unizh.ch/modules.php?name=News&file=article&sid=29 Vorlesungsbegleitung Rechtsmedizin I des Instituts für Rechtsmedizin der Universität Zürich]<br />
<br />
== Einzelnachweise ==<br />
<references /><br />
<br />
[[Kategorie:Krankheitsbild in der Notfallmedizin]]<br />
[[Kategorie:Rechtsmedizin]]<br />
<br />
{{Gesundheitshinweis}}</div>Scriptirhttps://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Erstickung&diff=217429673Erstickung2021-11-20T07:55:10Z<p>Scriptir: Erstickung Schlucken und Erste Hilfe</p>
<hr />
<div>'''Erstickung''' (auch [[latein]]isch '''Suffocatio''' oder [[Deutsche Sprache|deutsch]] '''Suffokation''', von ''suffocare'' „die Kehle zuschnüren, ersticken, strangulieren“<ref>[[Alois Walde]], [[Johann Baptist Hofmann]]: ''Lateinisches etymologisches Wörterbuch.'' Heidelberg 1938, Band 1, S. 469 f., und Band II, S. 625 (''faux'').</ref>) ist die medizinische Bezeichnung für alle Vorgänge, die aufgrund eines unzureichenden [[Sauerstoff]]angebots ([[Asphyxie]]), aber auch einer beeinträchtigten Sauerstoffaufnahme oder -verarbeitung zum [[Tod]] durch [[Hypoxie (Medizin)|Sauerstoffmangel]] führen. In der Antike, im Mittelalter und selbst in der Neuzeit wurden manchmal [[Todesstrafe]]n auf diese Weise verhängt.<br />
<br />
== Technische Klassifizierung ==<br />
Ursachen für Erstickung sind:<br />
* eine Beeinträchtigung der ''Atemtätigkeit'', siehe [[Atemlähmung]], [[Atemstillstand]], [[Verschüttung]]<br />
* eine unzureichende Konzentration von [[Sauerstoff]] in der ''Atemluft'' (z.&nbsp;B. in großen Höhen, abgedichteten Räumen)<br />
* als ''inneres Ersticken'' eine Blockade der ''Atmungskette'' oder der Sauerstoffaufnahme durch die [[Erythrozyt|roten Blutkörperchen]]<br />
* vagale Reflexe, der [[Bolustod]]<br />
<br />
Wie bei der Atmung selbst wird auch hier in äußere und innere Formen der Erstickung unterteilt:<br />
=== Äußere Erstickung ===<br />
Als äußere Erstickung gelten diejenige durch<br />
* eine erniedrigte Sauerstoffkonzentration der [[Atemluft]] von weniger als 130 mbar O<sub>2</sub>-[[Partialdruck]] in<br />
** großer Höhe (hypobare [[Hypoxie (Medizin)|Hypoxie]]): bei unterschiedlicher individueller Empfindlichkeit meist in Höhenlagen ab 4000&nbsp;m. Dies gilt nicht für einzelne, entsprechend gut vorbereitete Extremsportler. So bestiegen der Südtiroler [[Reinhold Messner]] und der Österreicher [[Peter Habeler]] 1978 als erste Bergsteiger den 8848 Meter hohen [[Mount Everest]] ohne [[Sauerstoffgerät]]. ''Siehe auch'': [[Höhenmedizin]]<br />
** abgedichteten Räumen: durch Verbrauch des Sauerstoffs in der Atemluft. [[Taphephobie]] als die [[Angst]] vor einem [[Scheintod]] mit Ersticken im [[Sarg]] ist eine der sog. [[spezifische Phobie|isolierten Phobien]].<br />
** Anwesenheit von [[Inertgas]]en, meist [[Stickstoff]], die den Sauerstoff verdrängen; in engen, unbelüfteten Räumen wie Tanks, Behältern und Schächten und Kellern; der deutsche Name für das chemische Element Stickstoff beruht auf ebendieser seiner Eigenschaft, Flammen und Lebewesen zu „ersticken“<br />
* Verlegung oder Einengung der Atemwege durch:<br />
** ein Zurücksinken der Zunge bei [[Bewusstseinsstörung|Bewusstlosigkeit]] ([[Glossoptose]])<br />
** [[Aspiration (Medizin)|Aspiration]], beispielsweise als Aspiration von Blut oder Mageninhalt oder als [[Fremdkörperaspiration]] mit [[Ertrinken]] als spezifischer Form<br />
** körpereigene [[Sekret]]e (Schleim) oder [[Gewebe (Biologie)|Gewebe]]:<br />
** Schleimhautschwellungen infolge von [[Entzündung|entzündlichen]] Veränderungen oder allergischen Reaktionen, zum Beispiel Stimmritzen-[[Ödem]] (Glottisödem)<br />
** [[Gewalt]] (etwa Strangulation durch Erwürgen, Erdrosseln oder Erhängen)<br />
* [[Atemlähmung]]en unterschiedlicher Ursache<br />
<br />
=== Innere Erstickung ===<br />
Bei der inneren Erstickung (das heißt bei normaler Sauerstoffkonzentration in der Atemluft und ungehinderter Atemtätigkeit) kann eine Einteilung anhand der spezifischen Angriffspunkte oder – wie hier – anhand der Auslöser erfolgen:<br />
* [[Erstickungsgas]]e, die nicht über eine bloße Verdrängung des Sauerstoffs aus der Atemluft wirken, sind<br />
** [[Kohlenmonoxid]] (CO): bindet 250-mal besser an [[Hämoglobin]] als Sauerstoff ([[Kompetitive Hemmung|kompetitiver Antagonismus]]), siehe [[Kohlenmonoxidvergiftung]]<br />
** [[Schwefelwasserstoff]] (H<sub>2</sub>S): ein Hemmer der [[Mitochondrium|mitochondrialen]] [[Atmungskette]], siehe [[Schwefelwasserstoffvergiftung]]<br />
** [[Cyanwasserstoff|Blausäure]] (Cyanwasserstoff, HCN): führt ebenso wie Schwefelwasserstoff zur Blockade der Atmungskette und wurde in den [[Gaskammer (Massenmord)|Gaskammern]] der [[Zeit des Nationalsozialismus|nationalsozialistischen]] [[Vernichtungslager]] (als sog. [[Zyklon B]]) eingesetzt. Auch heute noch wird sie zur Vollstreckung der [[Todesstrafe]] in den [[Gaskammer (Todesstrafe)|Gaskammern]] der US-Bundesstaaten Arizona, Kalifornien und Missouri verwendet.<br />
<br />
== Erstickung Schlucken und Erste Hilfe ==<br />
Beim Schlucken, tritt typischerweise ein Ersticken auf, wenn eine Person ein Stück Nahrung verschluckt, das in die Atemwege umgeleitet wird, was eine erstickende Obstruktion verursacht (Bolusobstruktion).<br />
<br />
=== Allgemeine Erste Hilfe: ===<br />
Zuallererst wird Husten empfohlen.<br />
<br />
Wenn das Opfer nicht husten kann, gibt die Erste Hilfe eine Serie von 5 Klopfen auf den Rücken (mit nach unten gebeugtem Rücken) und eine Serie von 5 starken plötzlichen Beulen auf den Bauch. Es wird fortgesetzt, indem man beide abwechselt. (Wie in den Bildern gezeigt).<ref>{{Internetquelle |autor=American Red Cross |url=https://web.archive.org/web/20200210071651/https://redcross.org/content/dam/redcross/atg/PDF_s/ConsciousChokingPoster_EN.pdf |titel=Conscious Choking |abruf=2011}}</ref><br />
<br />
Wenn ein Opfer Magenprobleme hat (z. B. Schwangerschaft oder Übergröße), befinden sich die Beulen nicht am Bauch, sondern an der Brust (siehe unten).<br />
[[Datei:Back blows (back slaps) against choking for adult people.jpg|links|mini|220x220px|'Klopfen auf den Rücken' Anti-Erstickungs Technik: Der Retter sollte den Körper des Opfers so weit wie möglich beugen vor den Schlägen.]]<br />
[[Datei:Abdominal thrusts against choking.jpg|zentriert|mini|380x380px|'Abdominalbeulen' Handgriff Anti-Erstickungs Technik (das Heimlich-Manöver): Tragen sie auf den Bereich zwischen Brust und Bauchnabel.]]<br />
<br />
=== Bei schwangeren oder zu dicken Opfern: ===<br />
Zuerst wird Husten versucht.<br />
<br />
Danach ist die Erste Hilfe fast die gleiche: mehrere Serien von 5 Schlägen auf den Rücken im Wechsel mit anderen Serien von 5 starken plötzlichen Beulen auf die Brust (wie in den Bildern gezeigt).<ref>{{Internetquelle |autor=Oklahoma State University |url=https://web.archive.org/web/20200130145512/https://ehs.okstate.edu/site-files/docs/cpr-and-choking-5-min-safety-talk.pdf/ |titel=Choking and CPR safety talk |abruf=2014}}</ref><br />
[[Datei:Back blows (back slaps) against choking for adult people.jpg|links|mini|220x220px|'Klopfen auf den Rücken' Anti-Erstickungs Technik: Der Retter sollte den Körper des Opfers so weit wie möglich beugen vor den Schlägen.]]<br />
[[Datei:Chest thrusts against choking.jpg|zentriert|mini|380x380px|'Brustbeulen' Handgriff Anti-Choking-Technik: Wenn das Opfer keine Beulen am Bauch erhalten kann, verwenden Sie stattdessen ''''Brustbeulen'''<nowiki/>'; Tragen sie auf die untere Hälfte des Brustbeins auf, aber nicht auf den Endpunkt.]]<br />
<br />
== Atemstillstand ==<br />
<br />
{{Hauptartikel|Atemstillstand}}Zwar ist jeder Endzustand einer Erstickung mit einem Atemstillstand verbunden, doch führt nicht jeder Atemstillstand zum Ersticken. So können beim [[Obstruktives Schlafapnoesyndrom|obstruktiven Schlafapnoesyndrom]] (OSAS) im [[Schlaflabor]] pro Nacht Atemstillstände von jeweils wenigen Sekunden bis hin zu mehreren Minuten mit entsprechendem Abfall der [[Sauerstoffsättigung]] im [[Gewebe (Biologie)|Gewebe]] registriert werden, meist ohne dass akute Schädigungen auftreten.<br />
<br />
== Rechtsmedizin ==<br />
[[Rechtsmedizin]]isch wird die äußere Erstickung allerdings nicht unter dem Gesichtspunkt [[Pathophysiologie|pathophysiologischer]] Grundsätze, sondern dem der äußeren Verursachung betrachtet, letztlich somit im Rahmen eines Untersuchungsauftrags bei Fragen nach [[Schuld (Strafrecht)|Schuld]] und [[Verpflichtetsein|Haftung]] untersucht. Unter dieser Sichtweise hat auch die innere Erstickung als Folge des Einsatzes von Cyanwasserstoff eine äußere Ursache.<br />
<br />
== ICD-10 ==<br />
<br />
{{Infobox ICD<br />
| BREITE = <br />
| 01-CODE = T17<br />
| 01-BEZEICHNUNG = Fremdkörper in den Atemwegen<br />
| 02-CODE = T17.5<br />
| 02-BEZEICHNUNG = Fremdkörper im Bronchus<br />
| 03-CODE = T17.8<br />
| 03-BEZEICHNUNG = Fremdkörper an sonstigen und mehreren Lokalisationen der Atemwege<br />
| 04-CODE = T17.9<br />
| 04-BEZEICHNUNG = Fremdkörper in den Atemwegen, Teil nicht näher bezeichnet<br />
| 05-CODE = T58<br />
| 05-BEZEICHNUNG = Toxische Wirkung von Kohlenmonoxid<br />
| 06-CODE = T59<br />
| 06-BEZEICHNUNG = Toxische Wirkung sonstiger Gase, Dämpfe oder sonstigen Rauches<br />
| 07-CODE = T70.2<br />
| 07-BEZEICHNUNG = Sonstige und nicht näher bezeichnete Schäden durch große Höhe<br />
| 08-CODE = T71<br />
| 08-BEZEICHNUNG = Erstickung<br />
}}<br />
<br />
Nach [[ICD-10]] werden nur das Ersticken durch [[Erhängen|Strangulation]] sowie ein systemischer Sauerstoffmangel durch mechanische Behinderung der Atmung oder niedrigen Sauerstoffgehalt der Umgebungsluft als „T71“ unter Erstickung zusammengefasst.<br />
<br />
* Der Sauerstoffmangel in großer Höhe wird unter „Sonstige und nicht näher bezeichnete Schäden durch äußere Ursachen“ als „Sonstige und nicht näher bezeichnete Schäden durch große Höhe“ (T70.2) erwähnt.<br />
* Die [[Aspiration (Medizin)|Aspiration]] von Fremdkörpern ist eine der „Folgen des Eindringens eines Fremdkörpers durch eine natürliche Körperöffnung“, genauer ein „Fremdkörper in den Atemwegen“ (T17.-) mit weiterer Einteilung nach anatomischer Lokalisation (so „Fremdkörper in der [[Luftröhre|Trachea]]“, T17.5; „Fremdkörper an sonstigen und mehreren Lokalisationen der Atemwegen“, T17.8; „Fremdkörper in den Atemwegen, Teil nicht näher bezeichnet“, T 17.9)[http://www.lumrix.de/icd/t17.html]<br />
* Die Kohlenmonoxidvergiftung jeder Herkunft wird unter „Toxische Wirkungen von vorwiegend nicht medizinisch verwendeten Substanzen“ als „Toxische Wirkung von Kohlenmonoxid“ eingeordnet und erhält das Kürzel T58<br />
* Die Wirkung von Schwefelwasserstoff wird unter „Asphyxie durch sonstige Gase, Dämpfe oder sonstiger Rauch“ mit T59.- eingeordnet.<br />
<br />
== Siehe auch ==<br />
* [[Erdrosseln]], [[Erwürgen]]<br />
* [[Heimlich-Handgriff]]<br />
<br />
== Literatur ==<br />
* Wolfgang Schwerd: ''Erstickung (Sauerstoffmangel).'' In: Wolfgang Schwerd (Hrsg.): ''Kurzgefaßtes Lehrbuch der Rechtsmedizin für Mediziner und Juristen.'' Deutscher Ärzte-Verlag, Köln-Lövenich, 3., überarbeitete und ergänzte Auflage 1979, ISBN 3-7691-0050-6, 71–84.<br />
<br />
== Weblinks ==<br />
* [http://www.irm.unizh.ch/modules.php?name=News&file=article&sid=29 Vorlesungsbegleitung Rechtsmedizin I des Instituts für Rechtsmedizin der Universität Zürich]<br />
<br />
== Einzelnachweise ==<br />
<references /><br />
<br />
[[Kategorie:Krankheitsbild in der Notfallmedizin]]<br />
[[Kategorie:Rechtsmedizin]]<br />
<br />
{{Gesundheitshinweis}}</div>Scriptir