https://de.wikipedia.org/w/api.php?action=feedcontributions&feedformat=atom&user=Printmaking+Studio Wikipedia - Benutzerbeiträge [de] 2025-07-31T00:59:01Z Benutzerbeiträge MediaWiki 1.45.0-wmf.11 https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Grandville&diff=220663575 Grandville 2022-02-28T14:19:23Z <p>Printmaking Studio: /* Bedeutung */</p> <hr /> <div>{{Begriffsklärungshinweis}}<br /> [[Datei:Grandville, Selbstportrait, um 1833, K40.jpg|miniatur|250px|Selbstporträt, um 1833]]<br /> '''Grandville''' (* [[13. September]] [[1803]] in [[Nancy]]; † [[17. März]] [[1847]] in [[Vanves]] bei [[Paris]]; eigentlich ''Jean Ignace Isidore Gérard'') war ein französischer Lithograf, Maler und Zeichner, dessen beruflicher Werdegang eng verbunden war mit den unruhigen politischen Verhältnissen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Frankreich. Zur Zeit der ''[[Julimonarchie]]'' arbeitete er mit großem Erfolg als politischer Karikaturist für die oppositionellen Zeitschriften ''La Caricature'' und ''[[Le Charivari]]'' in Paris. Nach 1835 machte er sich einen Namen als Illustrator klassischer und zeitgenössischer Literatur. Sein formales Hauptmotiv war die [[Anthropomorphismus|anthropomorphe]] Tier- und Pflanzendarstellung: er zeichnete Mischwesen aus Teilen von Menschen, Tieren und Gewächsen, um bestimmte Eigenschaften der Dargestellten zu charakterisieren. Das Gesamtwerk Grandvilles besteht aus rund 3000 Zeichnungen. Sein Privatleben verlief unglücklich, dem frühen Tod in geistiger Verwirrung ging eine Reihe von Todesfällen in der engeren Familie voraus.<br /> <br /> == Historischer Überblick ==<br /> 1804 krönte sich [[Napoleon Bonaparte]] zum Kaiser Napoléon I. Nach dessen Abdankung kehrte Frankreich 1814 zur Herrschaft der [[Haus Bourbon|Bourbonen]] zurück, [[Ludwig XVIII.]] wurde als König eingesetzt. Der [[Wiener Kongress]] verhandelte die Neuordnung Europas im Sinne der [[Restauration (Frankreich)|Restauration]]. Seit etwa 1820 nahm die politische Unterdrückung in Frankreich zu, die [[Zensur (Informationskontrolle)|Zensur]] wurde wieder eingeführt. Im Juli 1830 erließ [[Karl X. (Frankreich)|Charles X.]], König seit 1825, Gesetze zur weiteren Einschränkung der bürgerlichen Freiheiten. Dies führte zum Ausbruch der [[Julirevolution von 1830|Julirevolution]]. Charles X. zog sich nach England zurück, neuer König wurde [[Louis-Philippe I.]] mit anfänglich liberalem Auftreten und einer Regierung, die das Großbürgertum begünstigte. Schon 1831 setzte eine verstärkt restaurative Entwicklung ein. Die beginnende Industrialisierung hatte eine Verelendung der Arbeiter zur Folge, einzelne Aufstände wurden blutig niedergeschlagen. Die repressiven „[[Septembergesetze]]“ von 1835 brachten das Ende der Pressefreiheit mit sich. Die folgende Zeit erzwungener relativer Ruhe mündete in die bürgerliche [[Februarrevolution 1848|Revolution von 1848]].<br /> <br /> == Privatleben ==<br /> === Jugend und Ausbildung ===<br /> [[Datei:Grandville, Selbstportrait, um 1820-22, K36.jpg|miniatur|hochkant|links|Selbstporträt, um 1820–1822]]<br /> Jean Ignace Isidore Gérard wurde als Sohn des [[Miniaturmalerei|Miniaturmalers]] Jean Baptiste Mathias Gérard Grandville (1766–1854) und dessen Frau Catherine Emilie Viot in Nancy im Nordosten Frankreichs geboren. Er hatte zwei Brüder und zwei Schwestern. Seine Großeltern hatten als Schauspieler den Künstlernamen „Grandville“ angenommen, sein Vater verwendete diesen Namen als Zusatz zu seinem Familiennamen, um sich von seinem älteren Bruder zu unterscheiden, der ebenfalls als Miniaturmaler tätig war.<br /> <br /> 1815 besuchte Grandville das [[Gymnasium]] in Nancy. Er blieb trotz Nachhilfestunden ein mäßiger Schüler. 1817 wurde er Lehrling bei seinem Vater. In der Miniaturmalerei war er nicht sehr erfolgreich, da er sich nicht dazu verstehen konnte, seinen Kunden zu schmeicheln. Er zeichnete jedoch sehr viel, mit erkennbarer Neigung zur Karikatur. Schon damals entstanden die ersten Tierfiguren mit menschlichen Zügen (''hommes-bêtes''), ein häufiges Motiv in seinen späteren Arbeiten. Als [[Autodidakt]] erlernte er die Technik der [[Lithografie]], die sich noch im Anfangsstadium ihrer Entwicklung befand (in späteren Jahren lieferte er nur noch die Vorzeichnungen zu seinen Arbeiten; professionelle Lithografen übertrugen sie auf den Stein und besorgten den Druck).<br /> <br /> === Ehe, Krankheit, Tod ===<br /> Am 22. Juli 1833 heiratete Grandville in Nancy seine Cousine Marguerite Henriette Fischer (1810–1842) und bezog mit ihr eine neue Wohnung in Paris. Ihr erster Sohn Ferdinand wurde 1834 geboren, er lebte nur vier Jahre. Die Geburt hatte Henriette nachhaltig geschwächt. Nach jeder weiteren Schwangerschaft verschlechterte sich ihr Gesundheitszustand weiter. Ein zweiter Sohn, Henri, kam im Herbst 1838 zur Welt, er starb 1841, als er in Gegenwart seiner Eltern an einem Stück Brot erstickte. Von der Geburt des dritten Sohnes, Georges, im Juli 1842 erholte sich Henriette nicht mehr, sie starb im selben Monat an einer [[Peritonitis|Bauchfellentzündung]]. Im Oktober 1843 heiratete Grandville erneut, wie es Henriette gewünscht hatte. Armand, das einzige Kind aus der Ehe mit Catherine Marceline („Celine“) Lhuillier (1819–1888), kam 1845 zur Welt. Im Januar 1847 starb nach kurzer Krankheit Georges, der dritte Sohn aus Grandvilles erster Ehe.<br /> <br /> Grandville hatte in zehn Jahren seine Frau und drei Kinder verloren und war körperlich wie seelisch gebrochen. Er erkrankte mehrfach in kurzen Abständen und kündigte entschieden seinen nahen Tod an, obwohl die Ärzte noch nicht ernstlich besorgt waren. Ein Freund berichtete, wie er nach einem [[Schlaganfall]] und wegen zunehmender Verwirrtheit in das Irrenhaus (''maison des santé'') von [[Vanves]] verbracht wurde, wo „der Unglückliche nach einer furchtbaren [[Agonie]], die drei Tage und drei Nächte dauerte, seinen letzten Atemzug aushauchte“&lt;ref name=&quot;auto&quot;&gt;''Eine Andere Welt von Plinius dem Jüngsten Illustriert von J. J. Grandville''. Nachwort. Diogenes Verlag, Zürich 1979, ISBN 3-257-26002-4.&lt;/ref&gt; Grandville starb am 17. März 1847. In [[Saint-Mandé]], dem Ferienort der Familie im Osten von Paris, wurde er neben seiner ersten Frau und den drei gemeinsamen Söhnen beerdigt. Seine Grabinschrift hatte er selbst formuliert: „Hier liegt J. J. Grandville. Er beseelte Alles und machte, nach Gott, Alles leben, sprechen oder gehen, er selbst aber verstand es nicht, den rechten Weg zu seinem Glück einzuschlagen“.&lt;ref name=&quot;auto&quot;/&gt;<br /> <br /> == Arbeitsleben ==<br /> === 1825 bis 1830 ===<br /> 1825 hatte Grandvilles Vater Besuch von einem Fachkollegen aus Paris, der von den Zeichnungen des Sohnes so beeindruckt war, dass er ihn einlud, in seinem Atelier in der Hauptstadt zu arbeiten. Familiären Anschluss fand Grandville dort bei seiner Cousine und deren Mann, Regisseur am Théâtre Royal de l’[[Opéra-Comique (Paris)|Opéra-Comique]]. Auch in Paris konnte er sich mit dem Beruf des Miniaturmalers nicht anfreunden. Vor der schnellen Rückkehr nach Nancy bewahrte ihn 1826 ein Auftrag der Opéra-Comique, für die er 22 kolorierte Lithografien von Opernkostümen anfertigte; das Honorar blieb man ihm schuldig. Erste Bekanntheit errang er 1827 mit ''Chaque âge a ses plaisirs'', einem Album von 12 Lithografien, in dem die „vier Jahreszeiten des menschlichen Lebens“ dargestellt sind.<br /> <br /> 1828 folgte der Auftrag für ein zweites Album mit 12 Farblithografien (''Les Dimanches d’un bourgeois de Paris ou Les Tribulations de la petite Propriété''). Die Einnahmen ermöglichten es dem Zeichner, sein dunkles Hotelzimmer aufzugeben und eine helle [[Mansarde]] in der Nähe der [[École nationale supérieure des beaux-arts de Paris|Ècole des Beaux-Arts]] anzumieten. Hier empfing er seine Freunde, unter ihnen der Karikaturist und Journalist [[Charles Philipon]] (1806–1862) und der Romancier [[Alexandre Dumas der Ältere]] (1802–1870). Dumas beschrieb ihn wie folgt: „Grandville lachte wenig, deklamierte wenig, rauchte wenig, und er trank wenig. Er saß an seinem Tisch, ein Blatt Papier vor sich, eine Feder oder einen Stift in der Hand, manchmal lächelte er, und er zeichnete unentwegt. Was brachte er zu Papier? Er selber wußte es nicht. Eine Laune, die an Wahnsinn grenzte, führte seinen Stift.“&lt;ref name=&quot;auto&quot;/&gt;<br /> <br /> 1829 erschienen sechs Lithografien unter dem Titel ''Galerie mythologique'', danach die Folge von 72 farbigen Lithografien ''Les Métamorphoses du jour'', die den endgültigen Durchbruch für Grandville bedeuteten. In dieser Arbeit setzte er frühere Versuche fort, er zeichnete Tiere mit menschlichen Merkmalen und Eigenschaften, um bestimmte Aspekte des Zusammenlebens zu verdeutlichen – eine Technik, die er in seinen politischen Karikaturen und Illustrationen immer wieder anwendete. Nach dem Erfolg der ''Métamorphoses'' war er stets ausreichend mit Aufträgen versorgt. Noch im selben Jahr begann er, für die satirische Zeitschrift ''La Silhouette'' zu arbeiten, die Vorläuferin von ''La Caricature'' und ''Le Charivari''.<br /> <br /> === 1830 bis 1835 ===<br /> [[Datei:Grandville, Auferstehung, 1832, K138.jpg|miniatur|''Wiederauferstehung der Zensur'', 1832]]<br /> [[Datei:Grandville, Kreuzzug 1, 1834, K91.jpg|miniatur|''Großer Kreuzzug gegen die Freiheit'', Blatt 1, 1834]]<br /> Um 1830 setzte eine Zeit der stürmischen Entwicklung für das Presse- und Verlagswesen in Frankreich ein. Politischer Hintergrund war die Verteidigung der bürgerlichen Freiheiten, einschließlich der [[Pressefreiheit]], die in der Julirevolution gerade errungen worden waren. Technisch brachte die kurz zuvor entwickelte Lithografie einen großen Fortschritt, die Zeitungen konnten nun mit großflächigen, auch farbigen Illustrationen erscheinen. Diese Bilder wurden oft als Einzelblätter in Pariser Kunsthandlungen ausgehängt und bekamen so Bedeutung selbst für die nicht lesekundige Bevölkerung, die in den Künstlern ihre Verbündeten sehen konnte.<br /> <br /> An den [[Barrikade]]nkämpfen der Julirevolution 1830 in Paris hatte auch Grandville teilgenommen. Im Herbst desselben Jahres gründete Charles Philipon, zuvor Karikaturist bei ''La Silhouette'', die Wochenzeitschrift ''La Caricature'', die bis August 1835 erschien. Sie druckte Karikaturen und Kommentare zur aktuellen politischen Situation, [[Chefredakteur]] war anfangs [[Honoré de Balzac]], zu den Mitarbeitern gehörte [[Honoré Daumier]]. Grandville war der produktivste Künstler der Zeitschrift, er lieferte 122 Lithografien von insgesamt 524 veröffentlichten Blättern. Als besondere Form entwickelte er Bildserien (''Processions politiques''), in denen er über mehrere Heftfolgen hinweg Personen des öffentlichen Lebens kritisch darstellte. Im November 1831 erhielt Philipon als Verantwortlicher wegen Beleidigung des Königs eine Gefängnisstrafe von sechs Monaten. Im Verlauf dieses Prozesses wurde die Karikatur Louis-Philippes als „Birne“ zum Symbol der Julimonarchie, ungeachtet aller Strafen.<br /> <br /> Seit Dezember 1832 gab Philipon ''Le Charivari'' (Katzenmusik, Getöse) heraus, eine etwas billigere Tageszeitung in kleinerem Format. Sie sollte „in den Pausen zwischen den großen Schlachten der ''Caricature''&amp;nbsp;[…] den alltäglichen Krieg gegen die Lächerlichkeiten des Alltags “ führen.&lt;ref&gt;''J. J. Grandville. Karikatur und Zeichnung''. Ausstellungskatalog, S. 15. Hatje Cantz Verlag, 2000, ISBN 3-7757-0987-8 (Buchhandelsausgabe)&lt;/ref&gt; Hauptgegenstände der dort gedruckten, meist schwarz-weißen Lithografien waren Mode, Theateraufführungen und gesellschaftliche Ereignisse. Louis-Philippe, als „Birne“ karikiert, erschien jedoch auch in dieser Zeitung, was Philipon eine hohe Geldstrafe eintrug. Grandville arbeitete hier nur gelegentlich mit, lieferte aber doch insgesamt 60 Zeichnungen.<br /> <br /> Nach einer missglückten republikanischen Erhebung im Sommer 1832 war ''La Caricature'', wie auch andere [[Opposition (Politik)|opposition]]elle Zeitschriften, von neuen Repressionen betroffen. Grandville thematisierte die Kontroverse der freiheitlichen Presse mit der Obrigkeit in einer siebenteiligen Folge von Farblithografien mit dem Titel ''Großer [[Kreuzzug]] gegen die Freiheit'' (''Grande Croisade contre la Liberté'').&lt;ref&gt;''J. J. Grandville. Karikatur und Zeichnung''. Ausstellungskatalog. Hatje Cantz Verlag, 2000, ISBN 3-7757-0987-8, S. 91–97.&lt;/ref&gt;<br /> <br /> Auf Anregung Philipons modellierte Daumier im Jahre 1834 eine Gruppe von 36 [[Terrakotta]]büsten mit den satirisch deformierten [[Physiognomie]]n zeitgenössischer Politiker. Während Daumier und andere Mitarbeiter von ''Caricature'' und ''Charivari'' sich früher oft an den Arbeiten Grandvilles orientiert hatten, dienten jetzt diese Terrakotten als Vorlagen für Grandville und die übrigen Zeichner. Infolge der Septembergesetze von 1835 wurden 30 Zeitungen und Zeitschriften eingestellt, darunter auch ''La Caricature''. In ''Le Charivari'' behandelte man statt politischer Fragen nun nur noch allgemein gesellschaftliche Themen. Grandville zeichnete dafür die Bildfolgen ''Les Parisiens pittoresques'' (''Die pittoreske Pariser Bevölkerung'') (12 Lithografien) sowie ''Types modernes, observations critiques, le dedans de l’homme expliqué par le dehors'' (9 Lithografien).<br /> <br /> === 1836 bis 1847 ===<br /> [[Datei:Ch 1 Gulliver Grandville 08.jpg|miniatur|hochkant|Illustration aus ''Gullivers Reisen'', 1838]]<br /> [[Datei:Grandville Cent Proverbes page65.png|miniatur|hochkant|Illustration aus ''Hundert Sprichwörter'', 1844]]<br /> Das Jahr 1836 war ein Wendepunkt in Grandvilles beruflicher Orientierung. Seine speziellen Fähigkeiten als politischer Karikaturist konnte er wegen der restriktiven Pressegesetze nicht mehr anwenden. Bei ''Le Charivari'' fühlte er sich gegenüber Daumier zurückgesetzt. Neuer Schwerpunkt seiner Arbeit wurde die Illustration literarischer Texte. In rund zehn Jahren schuf er auf diesem Gebiet ein umfangreiches Werk, das ihm neben [[Gustave Doré]] einen Platz als Erneuerer der [[Buchillustration]] in Frankreich eintrug.&lt;ref&gt;''J. J. Grandville. Karikatur und Zeichnung.'' Ausstellungskatalog. Hatje Cantz Verlag, 2000, ISBN 3-7757-0987-8, S. 17.&lt;/ref&gt;<br /> <br /> Am Anfang dieser Arbeiten standen Grandvilles 100 (von insgesamt 120) Holzschnitten für die „Œuvres complètes“ des populären republikanischen Lyrikers und Liedtexters [[Pierre-Jean de Béranger]], der für seine regimekritischen Texte im Gefängnis gesessen hatte. Die dreibändige, illustrierte Ausgabe seiner Liedtexte wurde ein großer Publikumserfolg. Zwischen 1836 und 1838 entstand ein Kinderbuch (''Le Livre des enfants''), in dem Grandville und andere Zeichner bekannte Märchen wie ''[[Rotkäppchen]]'', ''[[Blaubart]]'' und ''[[Der gestiefelte Kater]]'' illustrierten. In Saint-Mandé begann Grandville 1837 mit der Arbeit an den [[Fabel]]n [[Jean de La Fontaine]]s (''Fables de la Fontaine''). In zehn Monaten zeichnete er dafür 300 Illustrationen und [[Vignette]]n und nahm dabei sein Motiv der Mensch-Tier-Verwandlungen wieder auf. 1838 folgten Zeichnungen für [[Jonathan Swift]]s ''[[Gullivers Reisen]]'' (''Voyages de Gulliver dans des convées lointaines''), 1839 für [[Daniel Defoe]]s ''[[Robinson Crusoe]]'' (''Aventures de Robinson Crusoe'') und die Werke des klassischen französischen Autors [[Nicolas Boileau]] (''Œvres de Boileau''). Von 1840 bis 1842 arbeitete Grandville vor allem an zwei Büchern, die er selbst zu seinen Hauptwerken zählte: ''Kleine Unglücksfälle des menschlichen Lebens'' (''Petites misères de la vie humaine'') und ''Bilder aus dem Staats- und Familienleben der Tiere'' (''Scènes de la vie privée et publique des animaux''), letzteres eine verschlüsselte Satire auf die herrschenden politischen Verhältnisse mit anonymen Beiträgen angesehener Schriftsteller wie Balzac, [[Alfred de Musset]] und [[George Sand]].<br /> <br /> 1844 arbeitete Grandville an den ''Hundert Sprichwörtern'' (''Cent proverbs'') und einem Text von [[Jean de La Bruyère]] (''Les Charactères ou les mœurs de siècle''). In Buchform erschien sein Spätwerk ''[[Eine Andere Welt – Un Autre Monde|Eine andere Welt]]'' (''Un autre monde''), das im Jahr zuvor in 36 wöchentlichen Folgen herausgegeben worden war. Für die skurrile Phantastik der rund 180 Illustrationen und des von [[Taxile Delord]] nachträglich dazu geschriebenen Textes gab es in der Kunst jener Zeit kein vergleichbares Beispiel. Im 20. Jahrhundert leitete dieses Werk die Wiederentdeckung Grandvilles ein, man betrachtete es nun als Vorwegnahme surrealistischer Bild-Erfindungen. Posthum erschienen 1848 die zwei von Grandville illustrierten Bände ''[[Don Quijote|Don Quichotte]] de la Manche'' von [[Miguel de Cervantes]].<br /> <br /> === Tiermenschen und Menschentiere ===<br /> [[Datei:Grandville, Naturhistorisches Kabinett, 1833, K85.jpg|miniatur|hochkant|links|''Naturhistorisches Kabinett'', 1833]]<br /> [[Datei:Grandville, Spitzmaus, um 1837, K219.jpg|miniatur|hochkant|links|Spitzmaus, Naturstudie, um 1837]]<br /> Grandville war berühmt für seine Darstellungen von Mischwesen, hauptsächlich von Menschen mit Tierköpfen und Tieren mit Menschenköpfen; er zeichnete aber auch Kombinationen von Menschen mit Pflanzen oder von Menschen mit Maschinen oder er verband Teile von völlig unterschiedlichen Tieren miteinander. Der Künstler kannte und schätzte die Arbeiten des Schweizer Schriftstellers und Philosophen [[Johann Caspar Lavater]] (1741–1801), der 1775 in seinem Werk ''Physiognomische Fragmente&amp;nbsp;…'' eine Anleitung geliefert hatte, aus Gesichtszügen und Körperformen bestimmte Charaktere zu erkennen.&lt;ref&gt;''J. J. Grandville. Karikatur und Zeichnung.'' Ausstellungskatalog. Hatje Cantz Verlag, 2000, ISBN 3-7757-0987-8, S. 166.&lt;/ref&gt; 1788 veröffentlichte der Schweizer Gelehrte seine Schrift ''Konstruierte Karikaturen und [[Metamorphose (Mythologie)|Metamorphosen]]'', Studien über die Vergleichbarkeit menschlicher Gesichter mit den Köpfen von Tieren. Diese Theorien wurden zu Grandvilles Zeit lebhaft diskutiert. Anders als Lavater, der auf eine allgemeine Typisierung abzielte, beschäftigte Grandville sich jedoch mit einzelnen, bestimmten Individuen, die er auch durch Kleidung und Utensilien in ein konkretes historisches Umfeld stellte.<br /> <br /> Seine Zeichnungen verbinden genauesten Realismus in den Details mit phantastischen Zusammenstellungen und satirischen Inhalten. Eine Voraussetzung für derartige Arbeiten war intensive Naturbeobachtung. Grandville betrieb seine Studien hauptsächlich im Pariser [[Jardin des Plantes]], aber auch in der eigenen Wohnung. Alexandre Dumas berichtet in seinen Memoiren von Besuchen bei Grandville, wo er Kanarienvögel, Goldfische und Eidechsen vorfand, Grandvilles Freund und Biograf Samuel Clogenson erwähnt Katzen in den verschiedenen Wohnungen des Zeichners und sah Frösche als Studienobjekte auf dem Tisch. Bei aller naturwissenschaftlicher Genauigkeit wird schon an manchen Studienblättern das Interesse Grandvilles erkennbar, Parallelen zum Menschlichen herzustellen. Beispielhaft dafür ist die Zeichnung einer sitzenden [[Spitzmaus]], deren Haltung diesem Tier eigentlich nicht möglich ist.<br /> <br /> Im Jardin des Plantes und auf dem Pariser Friedhof [[Père Lachaise]] entstanden intensive botanische Studien als Grundlage für jene Illustrationen, in denen Pflanzen zu menschlichen Formen und Verhaltensweisen mutierten. Ein wesentliches Beispiel dafür ist, neben ''Une autre monde'', das Buch ''Les Fleurs animées'' (''Die Seele der Blumen'') von 1846/47, wieder mit Texten von Taxile Delord. Darin erscheinen Blumen als elegante Damen, ihr Gestus entspricht den tatsächlichen oder symbolisch zugeschriebenen Eigenschaften der verschiedenen Blütenpflanzen. Etwa 1350 Naturstudien Grandvilles werden im [[Musée des Beaux-Arts de Nancy]] aufbewahrt.<br /> <br /> == Bedeutung ==<br /> [[Datei:Grandville Concert à la vapeur 1.jpg|miniatur|hochkant|''Das Dampfconcert'' aus ''Eine Andere Welt'', 1843/44]]<br /> [[Datei:1847 Sensitive Les Fleurs animées JJ Grandville.jpg|miniatur|hochkant|''Das Empfidlich'' aus ''Lebende Blumen'', 1846/47]]<br /> Obwohl Grandville ein bekannter und erfolgreicher Zeichner mit einem umfangreichen Gesamtwerk war, geriet er schon relativ bald nach seinem frühen Tod 1847 weitgehend in Vergessenheit und wurde erst rund hundert Jahre später als bedeutender Künstler des 19. Jahrhunderts anerkannt. Diese Entwicklung hatte drei wesentliche Gründe. Da er ausschließlich als Karikaturist und Illustrator arbeitete, konnte Grandville in der seinerzeit geltenden akademischen [[Hierarchie]] der Bildgattungen keinen hohen Rang einnehmen. Außerdem besteht sein Werk zu einem großen Teil aus politischen Karikaturen und gesellschaftskritischen Blättern und war durch diese Inhalte stark zeitgebunden. Hinzu kam, dass der Schriftsteller und posthum hochberühmte [[Lyrik]]er [[Charles Baudelaire]] ihn in seinem 1857 veröffentlichten Text über die französischen Karikaturisten (''Quelques caricaturistes français'') sehr kritisch beurteilt hatte, vor allem im Vergleich mit Grandvilles zeitweiligem Kollegen und Konkurrenten Honoré Daumier. Mit Daumier war Baudelaire befreundet, ihn nannte er ein „Genie“. Grandville war für ihn „ein auf krankhafte Weise literarischer Geist, der immer um unzulängliche Mittel bemüht war, mit denen sich seine Gedanken in den Bereich der Bildenden Kunst übertragen ließen; weshalb wir ihn denn auch des öfteren das alte Verfahren anwenden sahen, das darin besteht, seine Gestalten mit Spruchbändern auszustatten, die ihnen aus dem Mund hängen.“&lt;ref&gt;{{cite web|url=http://www.meltonpriorinstitut.org/pages/textarchive.php5?view=text&amp;ID=74&amp;language=Deutsch|title=Melton Prior Institut|work=meltonpriorinstitut.org}}&lt;/ref&gt;<br /> <br /> Von einem speziellen Standpunkt aus beschäftigte sich der [[Philosoph]] und Übersetzer [[Walter Benjamin]] (1892–1940) mit Grandville – nicht als [[Kunsthistoriker]] (obwohl er neben anderem auch Kunstgeschichte studiert hatte), sondern als Geschichtsphilosoph. In einem Kapitel seines fragmentarischen ''Passagenwerkes'', entstanden in den 1930er Jahren im Pariser Exil, untersuchte er den französischen [[Frühkapitalismus]] und hier besonders die Entwicklung der Ware zum neuen [[Warenfetisch|Fetisch]] der menschlichen Gesellschaft. In Grandvilles Zeichnungen, vor allem in ''Eine andere Welt'', sah er eine Verherrlichung dieser Entwicklung: „Die [[Inthronisierung]] der Ware und der sie umgebende Glanz der Zerstreuung ist das geheime Thema von Grandvilles Kunst“. Über den Künstler schrieb er: „Wenn die Ware aber ein Fetisch ist, so ist Grandville ihr Zauberpriester“.&lt;ref&gt;Walter Benjamin: ''Das Passagenwerk.'' Gesammelte Schriften V, S. 249.&lt;/ref&gt;<br /> <br /> Die oft rätselhaften Bildschöpfungen Grandvilles erlauben jedoch weit auseinanderliegende Interpretationen. Gerade die Illustrationen zu ''Eine andere Welt'' wurden auch als [[Sarkasmus|sarkastische]], fast verzweifelte Warnung vor einer von Maschinen und Kapital dominierten Zukunft gedeutet. Baudelaire schrieb dazu: „Dieser Mensch hat mit übermenschlichem Mut sein Leben damit verbracht, die Schöpfung zu verbessern. Er nahm sie in seine Hände, drehte sie herum, rang mit ihr, legte sie aus, und die Natur verwandelte sich zur [[Apokalypse]]“&lt;ref name=&quot;auto&quot;/&gt; Der deutsche Kunsthistoriker [[Thomas W. Gaehtgens]] überschrieb seinen [[Essay]] von 2007: ''Absurde Bildwelt und Gesellschaftskritik in J. J. Grandvilles Un autre monde''.&lt;ref&gt;Essay von Thomas W. Gaehtgens: [http://www.museo-on.com/go/museoon/home/news/_page_id_855/_page_id_609/_page_id_15.xhtml ''Absurde Bildwelt und Gesellschaftskritik in J. J. Grandvilles „Un autre monde“'']&lt;/ref&gt; Der [[Marxismus|marxistische]] Philosoph [[Ernst Bloch]] (1885–1977) wiederum bezeichnete Grandville als einen „[[Schizophrenie|schizophrenen]] Kleinbürger“, dessen Spott nur „utopischen Unsinn“ hervorgebracht habe.&lt;ref&gt;''J. J. Grandville. Karikatur und Zeichnung.'' Ausstellungskatalog. Hatje Cantz Verlag, 2000, ISBN 3-7757-0987-8, S. 51.&lt;/ref&gt;<br /> <br /> == Ehrungen ==<br /> Die Stadt Nancy schrieb 1849 einen Wettbewerb zu einer ''[[Eloge]] de Grandville'' aus. 1855 wurden im Musée des Beaux Arts in Nancy 600 Zeichnungen von Grandville ausgestellt. Dessen überlebender Sohn aus zweiter Ehe überließ der Stadt 50 000 Francs für ein Denkmal seines Vaters, das 1893 fertiggestellt war. Gleichzeitig begann eine Ausstellung von 1400 Zeichnungen Grandvilles. Während der deutschen Besetzung im [[Zweiter Weltkrieg|Zweiten Weltkrieg]] wurden die Metallteile des Monuments eingeschmolzen. Heute steht vor der Rue Grandville in Nancy eine Kopie der ursprünglichen Bronzebüste, die Ernest Bussière geschaffen hatte.<br /> <br /> == Literatur ==<br /> * [[Staatliche Kunsthalle Karlsruhe]] (Hrsg.): ''J. J. Grandville. Karikatur und Zeichnung. Ein Visionär der französischen Romantik''. Ausstellungskatalog. Hatje Cantz Verlag Ostfildern, 2000, ISBN 3-7757-0987-8.<br /> * [[Charles Baudelaire]]: ''Quelques caricaturistes français, Œvres complètes.'' Paris 1968, {{OCLC|492040265}}.<br /> * Eva-Susanne Bayer-Klötzer: ''Die Tendenzen der französischen Karikatur 1830–1848.'' Dissertation Würzburg 1980, {{DNB|811026507}}.<br /> * [[Walter Benjamin]]: ''Grandville oder die Weltausstellungen.'' In: Walter Benjamin: ''Illuminationen.'' Ausgewählte Schriften, Frankfurt am Main 1969.<br /> * Stefanie Heraeus: ''Traumvorstellung und Bildidee. Surreale Strategien in der französischen Graphik des 19. Jahrhunderts''. Reimer, Berlin 1998, ISBN 3-496-01177-7.<br /> * Raimund Rütten u. a.: ''Die Karikatur zwischen Republik und Zensur. Bildsatire in Frankreich 1830 bis 1880 – eine Sprache des Widerstands?'' Jonas, Marburg 1991, ISBN 3-922561-97-7.<br /> * Hans Burkhard Schlichting: ''Die Phantasien des Grandville. Druckgraphik 1829–1847''. Melzer, Darmstadt 1976, ISBN 3-7874-0133-4.<br /> * [[Gottfried Sello]] (Einleitung): ''Grandville. Das gesamte Werk''. 2 Bde., Rogner u. Bernhard, München 1969, {{DNB|456794441}}.<br /> * ''Vie privée et publique des animaux.'' Vignettes par Grandville. Publ. sous la dir. de P. J. Stahl. Avec la collab. de Balzac. [[Pierre-Jules Hetzel|Hetzel]], Paris 1867. [http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:hbz:061:2-18230 Digitalisierte Ausgabe] der [[Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf]]<br /> <br /> == Weblinks ==<br /> {{Commonscat|Grandville (caricaturist)}}<br /> {{Wikisource|lang=fr}}<br /> * {{DNB-Portal|11854151X}}<br /> * [http://anti.blogsport.de/2009/06/03/gottesdienst-in-der-modernen-zeit-grandville-benjamin-und-das-passagenwerk Text über Walter Benjamins ''Passagenwerk'' und die Ware als Fetisch des 19. Jahrhunderts in Frankreich]<br /> * Essay von Thomas W. Gaehtgens: [http://www.museo-on.com/go/museoon/home/news/_page_id_855/_page_id_609/_page_id_15.xhtml ''Absurde Bildwelt und Gesellschaftskritik in J. J. Grandvilles „Un autre monde“]''<br /> * {{Zeno-Künstler|Kunstwerke/A/Grandville}}<br /> <br /> == Einzelnachweise ==<br /> &lt;references /&gt;<br /> <br /> {{Normdaten|TYP=p|GND=11854151X|LCCN=n/50/37075|VIAF=9846982}}<br /> <br /> [[Kategorie:Karikaturist (Frankreich)]]<br /> [[Kategorie:Illustrator (Frankreich)]]<br /> [[Kategorie:Franzose]]<br /> [[Kategorie:Geboren 1803]]<br /> [[Kategorie:Gestorben 1847]]<br /> [[Kategorie:Mann]]<br /> <br /> {{Personendaten<br /> |NAME=Grandville<br /> |ALTERNATIVNAMEN=Gérard, Jean Ignace Isidore<br /> |KURZBESCHREIBUNG=französischer Zeichner, Buchillustrator und Karikaturist<br /> |GEBURTSDATUM=13. September 1803<br /> |GEBURTSORT=[[Nancy]]<br /> |STERBEDATUM=17. März 1847<br /> |STERBEORT=[[Vanves]] bei Paris<br /> }}</div> Printmaking Studio https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Grandville&diff=220663551 Grandville 2022-02-28T14:18:33Z <p>Printmaking Studio: /* Bedeutung */</p> <hr /> <div>{{Begriffsklärungshinweis}}<br /> [[Datei:Grandville, Selbstportrait, um 1833, K40.jpg|miniatur|250px|Selbstporträt, um 1833]]<br /> '''Grandville''' (* [[13. September]] [[1803]] in [[Nancy]]; † [[17. März]] [[1847]] in [[Vanves]] bei [[Paris]]; eigentlich ''Jean Ignace Isidore Gérard'') war ein französischer Lithograf, Maler und Zeichner, dessen beruflicher Werdegang eng verbunden war mit den unruhigen politischen Verhältnissen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Frankreich. Zur Zeit der ''[[Julimonarchie]]'' arbeitete er mit großem Erfolg als politischer Karikaturist für die oppositionellen Zeitschriften ''La Caricature'' und ''[[Le Charivari]]'' in Paris. Nach 1835 machte er sich einen Namen als Illustrator klassischer und zeitgenössischer Literatur. Sein formales Hauptmotiv war die [[Anthropomorphismus|anthropomorphe]] Tier- und Pflanzendarstellung: er zeichnete Mischwesen aus Teilen von Menschen, Tieren und Gewächsen, um bestimmte Eigenschaften der Dargestellten zu charakterisieren. Das Gesamtwerk Grandvilles besteht aus rund 3000 Zeichnungen. Sein Privatleben verlief unglücklich, dem frühen Tod in geistiger Verwirrung ging eine Reihe von Todesfällen in der engeren Familie voraus.<br /> <br /> == Historischer Überblick ==<br /> 1804 krönte sich [[Napoleon Bonaparte]] zum Kaiser Napoléon I. Nach dessen Abdankung kehrte Frankreich 1814 zur Herrschaft der [[Haus Bourbon|Bourbonen]] zurück, [[Ludwig XVIII.]] wurde als König eingesetzt. Der [[Wiener Kongress]] verhandelte die Neuordnung Europas im Sinne der [[Restauration (Frankreich)|Restauration]]. Seit etwa 1820 nahm die politische Unterdrückung in Frankreich zu, die [[Zensur (Informationskontrolle)|Zensur]] wurde wieder eingeführt. Im Juli 1830 erließ [[Karl X. (Frankreich)|Charles X.]], König seit 1825, Gesetze zur weiteren Einschränkung der bürgerlichen Freiheiten. Dies führte zum Ausbruch der [[Julirevolution von 1830|Julirevolution]]. Charles X. zog sich nach England zurück, neuer König wurde [[Louis-Philippe I.]] mit anfänglich liberalem Auftreten und einer Regierung, die das Großbürgertum begünstigte. Schon 1831 setzte eine verstärkt restaurative Entwicklung ein. Die beginnende Industrialisierung hatte eine Verelendung der Arbeiter zur Folge, einzelne Aufstände wurden blutig niedergeschlagen. Die repressiven „[[Septembergesetze]]“ von 1835 brachten das Ende der Pressefreiheit mit sich. Die folgende Zeit erzwungener relativer Ruhe mündete in die bürgerliche [[Februarrevolution 1848|Revolution von 1848]].<br /> <br /> == Privatleben ==<br /> === Jugend und Ausbildung ===<br /> [[Datei:Grandville, Selbstportrait, um 1820-22, K36.jpg|miniatur|hochkant|links|Selbstporträt, um 1820–1822]]<br /> Jean Ignace Isidore Gérard wurde als Sohn des [[Miniaturmalerei|Miniaturmalers]] Jean Baptiste Mathias Gérard Grandville (1766–1854) und dessen Frau Catherine Emilie Viot in Nancy im Nordosten Frankreichs geboren. Er hatte zwei Brüder und zwei Schwestern. Seine Großeltern hatten als Schauspieler den Künstlernamen „Grandville“ angenommen, sein Vater verwendete diesen Namen als Zusatz zu seinem Familiennamen, um sich von seinem älteren Bruder zu unterscheiden, der ebenfalls als Miniaturmaler tätig war.<br /> <br /> 1815 besuchte Grandville das [[Gymnasium]] in Nancy. Er blieb trotz Nachhilfestunden ein mäßiger Schüler. 1817 wurde er Lehrling bei seinem Vater. In der Miniaturmalerei war er nicht sehr erfolgreich, da er sich nicht dazu verstehen konnte, seinen Kunden zu schmeicheln. Er zeichnete jedoch sehr viel, mit erkennbarer Neigung zur Karikatur. Schon damals entstanden die ersten Tierfiguren mit menschlichen Zügen (''hommes-bêtes''), ein häufiges Motiv in seinen späteren Arbeiten. Als [[Autodidakt]] erlernte er die Technik der [[Lithografie]], die sich noch im Anfangsstadium ihrer Entwicklung befand (in späteren Jahren lieferte er nur noch die Vorzeichnungen zu seinen Arbeiten; professionelle Lithografen übertrugen sie auf den Stein und besorgten den Druck).<br /> <br /> === Ehe, Krankheit, Tod ===<br /> Am 22. Juli 1833 heiratete Grandville in Nancy seine Cousine Marguerite Henriette Fischer (1810–1842) und bezog mit ihr eine neue Wohnung in Paris. Ihr erster Sohn Ferdinand wurde 1834 geboren, er lebte nur vier Jahre. Die Geburt hatte Henriette nachhaltig geschwächt. Nach jeder weiteren Schwangerschaft verschlechterte sich ihr Gesundheitszustand weiter. Ein zweiter Sohn, Henri, kam im Herbst 1838 zur Welt, er starb 1841, als er in Gegenwart seiner Eltern an einem Stück Brot erstickte. Von der Geburt des dritten Sohnes, Georges, im Juli 1842 erholte sich Henriette nicht mehr, sie starb im selben Monat an einer [[Peritonitis|Bauchfellentzündung]]. Im Oktober 1843 heiratete Grandville erneut, wie es Henriette gewünscht hatte. Armand, das einzige Kind aus der Ehe mit Catherine Marceline („Celine“) Lhuillier (1819–1888), kam 1845 zur Welt. Im Januar 1847 starb nach kurzer Krankheit Georges, der dritte Sohn aus Grandvilles erster Ehe.<br /> <br /> Grandville hatte in zehn Jahren seine Frau und drei Kinder verloren und war körperlich wie seelisch gebrochen. Er erkrankte mehrfach in kurzen Abständen und kündigte entschieden seinen nahen Tod an, obwohl die Ärzte noch nicht ernstlich besorgt waren. Ein Freund berichtete, wie er nach einem [[Schlaganfall]] und wegen zunehmender Verwirrtheit in das Irrenhaus (''maison des santé'') von [[Vanves]] verbracht wurde, wo „der Unglückliche nach einer furchtbaren [[Agonie]], die drei Tage und drei Nächte dauerte, seinen letzten Atemzug aushauchte“&lt;ref name=&quot;auto&quot;&gt;''Eine Andere Welt von Plinius dem Jüngsten Illustriert von J. J. Grandville''. Nachwort. Diogenes Verlag, Zürich 1979, ISBN 3-257-26002-4.&lt;/ref&gt; Grandville starb am 17. März 1847. In [[Saint-Mandé]], dem Ferienort der Familie im Osten von Paris, wurde er neben seiner ersten Frau und den drei gemeinsamen Söhnen beerdigt. Seine Grabinschrift hatte er selbst formuliert: „Hier liegt J. J. Grandville. Er beseelte Alles und machte, nach Gott, Alles leben, sprechen oder gehen, er selbst aber verstand es nicht, den rechten Weg zu seinem Glück einzuschlagen“.&lt;ref name=&quot;auto&quot;/&gt;<br /> <br /> == Arbeitsleben ==<br /> === 1825 bis 1830 ===<br /> 1825 hatte Grandvilles Vater Besuch von einem Fachkollegen aus Paris, der von den Zeichnungen des Sohnes so beeindruckt war, dass er ihn einlud, in seinem Atelier in der Hauptstadt zu arbeiten. Familiären Anschluss fand Grandville dort bei seiner Cousine und deren Mann, Regisseur am Théâtre Royal de l’[[Opéra-Comique (Paris)|Opéra-Comique]]. Auch in Paris konnte er sich mit dem Beruf des Miniaturmalers nicht anfreunden. Vor der schnellen Rückkehr nach Nancy bewahrte ihn 1826 ein Auftrag der Opéra-Comique, für die er 22 kolorierte Lithografien von Opernkostümen anfertigte; das Honorar blieb man ihm schuldig. Erste Bekanntheit errang er 1827 mit ''Chaque âge a ses plaisirs'', einem Album von 12 Lithografien, in dem die „vier Jahreszeiten des menschlichen Lebens“ dargestellt sind.<br /> <br /> 1828 folgte der Auftrag für ein zweites Album mit 12 Farblithografien (''Les Dimanches d’un bourgeois de Paris ou Les Tribulations de la petite Propriété''). Die Einnahmen ermöglichten es dem Zeichner, sein dunkles Hotelzimmer aufzugeben und eine helle [[Mansarde]] in der Nähe der [[École nationale supérieure des beaux-arts de Paris|Ècole des Beaux-Arts]] anzumieten. Hier empfing er seine Freunde, unter ihnen der Karikaturist und Journalist [[Charles Philipon]] (1806–1862) und der Romancier [[Alexandre Dumas der Ältere]] (1802–1870). Dumas beschrieb ihn wie folgt: „Grandville lachte wenig, deklamierte wenig, rauchte wenig, und er trank wenig. Er saß an seinem Tisch, ein Blatt Papier vor sich, eine Feder oder einen Stift in der Hand, manchmal lächelte er, und er zeichnete unentwegt. Was brachte er zu Papier? Er selber wußte es nicht. Eine Laune, die an Wahnsinn grenzte, führte seinen Stift.“&lt;ref name=&quot;auto&quot;/&gt;<br /> <br /> 1829 erschienen sechs Lithografien unter dem Titel ''Galerie mythologique'', danach die Folge von 72 farbigen Lithografien ''Les Métamorphoses du jour'', die den endgültigen Durchbruch für Grandville bedeuteten. In dieser Arbeit setzte er frühere Versuche fort, er zeichnete Tiere mit menschlichen Merkmalen und Eigenschaften, um bestimmte Aspekte des Zusammenlebens zu verdeutlichen – eine Technik, die er in seinen politischen Karikaturen und Illustrationen immer wieder anwendete. Nach dem Erfolg der ''Métamorphoses'' war er stets ausreichend mit Aufträgen versorgt. Noch im selben Jahr begann er, für die satirische Zeitschrift ''La Silhouette'' zu arbeiten, die Vorläuferin von ''La Caricature'' und ''Le Charivari''.<br /> <br /> === 1830 bis 1835 ===<br /> [[Datei:Grandville, Auferstehung, 1832, K138.jpg|miniatur|''Wiederauferstehung der Zensur'', 1832]]<br /> [[Datei:Grandville, Kreuzzug 1, 1834, K91.jpg|miniatur|''Großer Kreuzzug gegen die Freiheit'', Blatt 1, 1834]]<br /> Um 1830 setzte eine Zeit der stürmischen Entwicklung für das Presse- und Verlagswesen in Frankreich ein. Politischer Hintergrund war die Verteidigung der bürgerlichen Freiheiten, einschließlich der [[Pressefreiheit]], die in der Julirevolution gerade errungen worden waren. Technisch brachte die kurz zuvor entwickelte Lithografie einen großen Fortschritt, die Zeitungen konnten nun mit großflächigen, auch farbigen Illustrationen erscheinen. Diese Bilder wurden oft als Einzelblätter in Pariser Kunsthandlungen ausgehängt und bekamen so Bedeutung selbst für die nicht lesekundige Bevölkerung, die in den Künstlern ihre Verbündeten sehen konnte.<br /> <br /> An den [[Barrikade]]nkämpfen der Julirevolution 1830 in Paris hatte auch Grandville teilgenommen. Im Herbst desselben Jahres gründete Charles Philipon, zuvor Karikaturist bei ''La Silhouette'', die Wochenzeitschrift ''La Caricature'', die bis August 1835 erschien. Sie druckte Karikaturen und Kommentare zur aktuellen politischen Situation, [[Chefredakteur]] war anfangs [[Honoré de Balzac]], zu den Mitarbeitern gehörte [[Honoré Daumier]]. Grandville war der produktivste Künstler der Zeitschrift, er lieferte 122 Lithografien von insgesamt 524 veröffentlichten Blättern. Als besondere Form entwickelte er Bildserien (''Processions politiques''), in denen er über mehrere Heftfolgen hinweg Personen des öffentlichen Lebens kritisch darstellte. Im November 1831 erhielt Philipon als Verantwortlicher wegen Beleidigung des Königs eine Gefängnisstrafe von sechs Monaten. Im Verlauf dieses Prozesses wurde die Karikatur Louis-Philippes als „Birne“ zum Symbol der Julimonarchie, ungeachtet aller Strafen.<br /> <br /> Seit Dezember 1832 gab Philipon ''Le Charivari'' (Katzenmusik, Getöse) heraus, eine etwas billigere Tageszeitung in kleinerem Format. Sie sollte „in den Pausen zwischen den großen Schlachten der ''Caricature''&amp;nbsp;[…] den alltäglichen Krieg gegen die Lächerlichkeiten des Alltags “ führen.&lt;ref&gt;''J. J. Grandville. Karikatur und Zeichnung''. Ausstellungskatalog, S. 15. Hatje Cantz Verlag, 2000, ISBN 3-7757-0987-8 (Buchhandelsausgabe)&lt;/ref&gt; Hauptgegenstände der dort gedruckten, meist schwarz-weißen Lithografien waren Mode, Theateraufführungen und gesellschaftliche Ereignisse. Louis-Philippe, als „Birne“ karikiert, erschien jedoch auch in dieser Zeitung, was Philipon eine hohe Geldstrafe eintrug. Grandville arbeitete hier nur gelegentlich mit, lieferte aber doch insgesamt 60 Zeichnungen.<br /> <br /> Nach einer missglückten republikanischen Erhebung im Sommer 1832 war ''La Caricature'', wie auch andere [[Opposition (Politik)|opposition]]elle Zeitschriften, von neuen Repressionen betroffen. Grandville thematisierte die Kontroverse der freiheitlichen Presse mit der Obrigkeit in einer siebenteiligen Folge von Farblithografien mit dem Titel ''Großer [[Kreuzzug]] gegen die Freiheit'' (''Grande Croisade contre la Liberté'').&lt;ref&gt;''J. J. Grandville. Karikatur und Zeichnung''. Ausstellungskatalog. Hatje Cantz Verlag, 2000, ISBN 3-7757-0987-8, S. 91–97.&lt;/ref&gt;<br /> <br /> Auf Anregung Philipons modellierte Daumier im Jahre 1834 eine Gruppe von 36 [[Terrakotta]]büsten mit den satirisch deformierten [[Physiognomie]]n zeitgenössischer Politiker. Während Daumier und andere Mitarbeiter von ''Caricature'' und ''Charivari'' sich früher oft an den Arbeiten Grandvilles orientiert hatten, dienten jetzt diese Terrakotten als Vorlagen für Grandville und die übrigen Zeichner. Infolge der Septembergesetze von 1835 wurden 30 Zeitungen und Zeitschriften eingestellt, darunter auch ''La Caricature''. In ''Le Charivari'' behandelte man statt politischer Fragen nun nur noch allgemein gesellschaftliche Themen. Grandville zeichnete dafür die Bildfolgen ''Les Parisiens pittoresques'' (''Die pittoreske Pariser Bevölkerung'') (12 Lithografien) sowie ''Types modernes, observations critiques, le dedans de l’homme expliqué par le dehors'' (9 Lithografien).<br /> <br /> === 1836 bis 1847 ===<br /> [[Datei:Ch 1 Gulliver Grandville 08.jpg|miniatur|hochkant|Illustration aus ''Gullivers Reisen'', 1838]]<br /> [[Datei:Grandville Cent Proverbes page65.png|miniatur|hochkant|Illustration aus ''Hundert Sprichwörter'', 1844]]<br /> Das Jahr 1836 war ein Wendepunkt in Grandvilles beruflicher Orientierung. Seine speziellen Fähigkeiten als politischer Karikaturist konnte er wegen der restriktiven Pressegesetze nicht mehr anwenden. Bei ''Le Charivari'' fühlte er sich gegenüber Daumier zurückgesetzt. Neuer Schwerpunkt seiner Arbeit wurde die Illustration literarischer Texte. In rund zehn Jahren schuf er auf diesem Gebiet ein umfangreiches Werk, das ihm neben [[Gustave Doré]] einen Platz als Erneuerer der [[Buchillustration]] in Frankreich eintrug.&lt;ref&gt;''J. J. Grandville. Karikatur und Zeichnung.'' Ausstellungskatalog. Hatje Cantz Verlag, 2000, ISBN 3-7757-0987-8, S. 17.&lt;/ref&gt;<br /> <br /> Am Anfang dieser Arbeiten standen Grandvilles 100 (von insgesamt 120) Holzschnitten für die „Œuvres complètes“ des populären republikanischen Lyrikers und Liedtexters [[Pierre-Jean de Béranger]], der für seine regimekritischen Texte im Gefängnis gesessen hatte. Die dreibändige, illustrierte Ausgabe seiner Liedtexte wurde ein großer Publikumserfolg. Zwischen 1836 und 1838 entstand ein Kinderbuch (''Le Livre des enfants''), in dem Grandville und andere Zeichner bekannte Märchen wie ''[[Rotkäppchen]]'', ''[[Blaubart]]'' und ''[[Der gestiefelte Kater]]'' illustrierten. In Saint-Mandé begann Grandville 1837 mit der Arbeit an den [[Fabel]]n [[Jean de La Fontaine]]s (''Fables de la Fontaine''). In zehn Monaten zeichnete er dafür 300 Illustrationen und [[Vignette]]n und nahm dabei sein Motiv der Mensch-Tier-Verwandlungen wieder auf. 1838 folgten Zeichnungen für [[Jonathan Swift]]s ''[[Gullivers Reisen]]'' (''Voyages de Gulliver dans des convées lointaines''), 1839 für [[Daniel Defoe]]s ''[[Robinson Crusoe]]'' (''Aventures de Robinson Crusoe'') und die Werke des klassischen französischen Autors [[Nicolas Boileau]] (''Œvres de Boileau''). Von 1840 bis 1842 arbeitete Grandville vor allem an zwei Büchern, die er selbst zu seinen Hauptwerken zählte: ''Kleine Unglücksfälle des menschlichen Lebens'' (''Petites misères de la vie humaine'') und ''Bilder aus dem Staats- und Familienleben der Tiere'' (''Scènes de la vie privée et publique des animaux''), letzteres eine verschlüsselte Satire auf die herrschenden politischen Verhältnisse mit anonymen Beiträgen angesehener Schriftsteller wie Balzac, [[Alfred de Musset]] und [[George Sand]].<br /> <br /> 1844 arbeitete Grandville an den ''Hundert Sprichwörtern'' (''Cent proverbs'') und einem Text von [[Jean de La Bruyère]] (''Les Charactères ou les mœurs de siècle''). In Buchform erschien sein Spätwerk ''[[Eine Andere Welt – Un Autre Monde|Eine andere Welt]]'' (''Un autre monde''), das im Jahr zuvor in 36 wöchentlichen Folgen herausgegeben worden war. Für die skurrile Phantastik der rund 180 Illustrationen und des von [[Taxile Delord]] nachträglich dazu geschriebenen Textes gab es in der Kunst jener Zeit kein vergleichbares Beispiel. Im 20. Jahrhundert leitete dieses Werk die Wiederentdeckung Grandvilles ein, man betrachtete es nun als Vorwegnahme surrealistischer Bild-Erfindungen. Posthum erschienen 1848 die zwei von Grandville illustrierten Bände ''[[Don Quijote|Don Quichotte]] de la Manche'' von [[Miguel de Cervantes]].<br /> <br /> === Tiermenschen und Menschentiere ===<br /> [[Datei:Grandville, Naturhistorisches Kabinett, 1833, K85.jpg|miniatur|hochkant|links|''Naturhistorisches Kabinett'', 1833]]<br /> [[Datei:Grandville, Spitzmaus, um 1837, K219.jpg|miniatur|hochkant|links|Spitzmaus, Naturstudie, um 1837]]<br /> Grandville war berühmt für seine Darstellungen von Mischwesen, hauptsächlich von Menschen mit Tierköpfen und Tieren mit Menschenköpfen; er zeichnete aber auch Kombinationen von Menschen mit Pflanzen oder von Menschen mit Maschinen oder er verband Teile von völlig unterschiedlichen Tieren miteinander. Der Künstler kannte und schätzte die Arbeiten des Schweizer Schriftstellers und Philosophen [[Johann Caspar Lavater]] (1741–1801), der 1775 in seinem Werk ''Physiognomische Fragmente&amp;nbsp;…'' eine Anleitung geliefert hatte, aus Gesichtszügen und Körperformen bestimmte Charaktere zu erkennen.&lt;ref&gt;''J. J. Grandville. Karikatur und Zeichnung.'' Ausstellungskatalog. Hatje Cantz Verlag, 2000, ISBN 3-7757-0987-8, S. 166.&lt;/ref&gt; 1788 veröffentlichte der Schweizer Gelehrte seine Schrift ''Konstruierte Karikaturen und [[Metamorphose (Mythologie)|Metamorphosen]]'', Studien über die Vergleichbarkeit menschlicher Gesichter mit den Köpfen von Tieren. Diese Theorien wurden zu Grandvilles Zeit lebhaft diskutiert. Anders als Lavater, der auf eine allgemeine Typisierung abzielte, beschäftigte Grandville sich jedoch mit einzelnen, bestimmten Individuen, die er auch durch Kleidung und Utensilien in ein konkretes historisches Umfeld stellte.<br /> <br /> Seine Zeichnungen verbinden genauesten Realismus in den Details mit phantastischen Zusammenstellungen und satirischen Inhalten. Eine Voraussetzung für derartige Arbeiten war intensive Naturbeobachtung. Grandville betrieb seine Studien hauptsächlich im Pariser [[Jardin des Plantes]], aber auch in der eigenen Wohnung. Alexandre Dumas berichtet in seinen Memoiren von Besuchen bei Grandville, wo er Kanarienvögel, Goldfische und Eidechsen vorfand, Grandvilles Freund und Biograf Samuel Clogenson erwähnt Katzen in den verschiedenen Wohnungen des Zeichners und sah Frösche als Studienobjekte auf dem Tisch. Bei aller naturwissenschaftlicher Genauigkeit wird schon an manchen Studienblättern das Interesse Grandvilles erkennbar, Parallelen zum Menschlichen herzustellen. Beispielhaft dafür ist die Zeichnung einer sitzenden [[Spitzmaus]], deren Haltung diesem Tier eigentlich nicht möglich ist.<br /> <br /> Im Jardin des Plantes und auf dem Pariser Friedhof [[Père Lachaise]] entstanden intensive botanische Studien als Grundlage für jene Illustrationen, in denen Pflanzen zu menschlichen Formen und Verhaltensweisen mutierten. Ein wesentliches Beispiel dafür ist, neben ''Une autre monde'', das Buch ''Les Fleurs animées'' (''Die Seele der Blumen'') von 1846/47, wieder mit Texten von Taxile Delord. Darin erscheinen Blumen als elegante Damen, ihr Gestus entspricht den tatsächlichen oder symbolisch zugeschriebenen Eigenschaften der verschiedenen Blütenpflanzen. Etwa 1350 Naturstudien Grandvilles werden im [[Musée des Beaux-Arts de Nancy]] aufbewahrt.<br /> <br /> == Bedeutung ==<br /> [[Datei:Grandville Concert à la vapeur 1.jpg|miniatur|hochkant|''Das Dampfconcert'' aus ''Eine Andere Welt'', 1843/44]]<br /> [[Datei:1847 Sensitive Les Fleurs animées JJ Grandville.jpg|miniatur|hochkant|''Das Empfidlich'' aus ''Les Fleurs animées'', 1846/47]]<br /> Obwohl Grandville ein bekannter und erfolgreicher Zeichner mit einem umfangreichen Gesamtwerk war, geriet er schon relativ bald nach seinem frühen Tod 1847 weitgehend in Vergessenheit und wurde erst rund hundert Jahre später als bedeutender Künstler des 19. Jahrhunderts anerkannt. Diese Entwicklung hatte drei wesentliche Gründe. Da er ausschließlich als Karikaturist und Illustrator arbeitete, konnte Grandville in der seinerzeit geltenden akademischen [[Hierarchie]] der Bildgattungen keinen hohen Rang einnehmen. Außerdem besteht sein Werk zu einem großen Teil aus politischen Karikaturen und gesellschaftskritischen Blättern und war durch diese Inhalte stark zeitgebunden. Hinzu kam, dass der Schriftsteller und posthum hochberühmte [[Lyrik]]er [[Charles Baudelaire]] ihn in seinem 1857 veröffentlichten Text über die französischen Karikaturisten (''Quelques caricaturistes français'') sehr kritisch beurteilt hatte, vor allem im Vergleich mit Grandvilles zeitweiligem Kollegen und Konkurrenten Honoré Daumier. Mit Daumier war Baudelaire befreundet, ihn nannte er ein „Genie“. Grandville war für ihn „ein auf krankhafte Weise literarischer Geist, der immer um unzulängliche Mittel bemüht war, mit denen sich seine Gedanken in den Bereich der Bildenden Kunst übertragen ließen; weshalb wir ihn denn auch des öfteren das alte Verfahren anwenden sahen, das darin besteht, seine Gestalten mit Spruchbändern auszustatten, die ihnen aus dem Mund hängen.“&lt;ref&gt;{{cite web|url=http://www.meltonpriorinstitut.org/pages/textarchive.php5?view=text&amp;ID=74&amp;language=Deutsch|title=Melton Prior Institut|work=meltonpriorinstitut.org}}&lt;/ref&gt;<br /> <br /> Von einem speziellen Standpunkt aus beschäftigte sich der [[Philosoph]] und Übersetzer [[Walter Benjamin]] (1892–1940) mit Grandville – nicht als [[Kunsthistoriker]] (obwohl er neben anderem auch Kunstgeschichte studiert hatte), sondern als Geschichtsphilosoph. In einem Kapitel seines fragmentarischen ''Passagenwerkes'', entstanden in den 1930er Jahren im Pariser Exil, untersuchte er den französischen [[Frühkapitalismus]] und hier besonders die Entwicklung der Ware zum neuen [[Warenfetisch|Fetisch]] der menschlichen Gesellschaft. In Grandvilles Zeichnungen, vor allem in ''Eine andere Welt'', sah er eine Verherrlichung dieser Entwicklung: „Die [[Inthronisierung]] der Ware und der sie umgebende Glanz der Zerstreuung ist das geheime Thema von Grandvilles Kunst“. Über den Künstler schrieb er: „Wenn die Ware aber ein Fetisch ist, so ist Grandville ihr Zauberpriester“.&lt;ref&gt;Walter Benjamin: ''Das Passagenwerk.'' Gesammelte Schriften V, S. 249.&lt;/ref&gt;<br /> <br /> Die oft rätselhaften Bildschöpfungen Grandvilles erlauben jedoch weit auseinanderliegende Interpretationen. Gerade die Illustrationen zu ''Eine andere Welt'' wurden auch als [[Sarkasmus|sarkastische]], fast verzweifelte Warnung vor einer von Maschinen und Kapital dominierten Zukunft gedeutet. Baudelaire schrieb dazu: „Dieser Mensch hat mit übermenschlichem Mut sein Leben damit verbracht, die Schöpfung zu verbessern. Er nahm sie in seine Hände, drehte sie herum, rang mit ihr, legte sie aus, und die Natur verwandelte sich zur [[Apokalypse]]“&lt;ref name=&quot;auto&quot;/&gt; Der deutsche Kunsthistoriker [[Thomas W. Gaehtgens]] überschrieb seinen [[Essay]] von 2007: ''Absurde Bildwelt und Gesellschaftskritik in J. J. Grandvilles Un autre monde''.&lt;ref&gt;Essay von Thomas W. Gaehtgens: [http://www.museo-on.com/go/museoon/home/news/_page_id_855/_page_id_609/_page_id_15.xhtml ''Absurde Bildwelt und Gesellschaftskritik in J. J. Grandvilles „Un autre monde“'']&lt;/ref&gt; Der [[Marxismus|marxistische]] Philosoph [[Ernst Bloch]] (1885–1977) wiederum bezeichnete Grandville als einen „[[Schizophrenie|schizophrenen]] Kleinbürger“, dessen Spott nur „utopischen Unsinn“ hervorgebracht habe.&lt;ref&gt;''J. J. Grandville. Karikatur und Zeichnung.'' Ausstellungskatalog. Hatje Cantz Verlag, 2000, ISBN 3-7757-0987-8, S. 51.&lt;/ref&gt;<br /> <br /> == Ehrungen ==<br /> Die Stadt Nancy schrieb 1849 einen Wettbewerb zu einer ''[[Eloge]] de Grandville'' aus. 1855 wurden im Musée des Beaux Arts in Nancy 600 Zeichnungen von Grandville ausgestellt. Dessen überlebender Sohn aus zweiter Ehe überließ der Stadt 50 000 Francs für ein Denkmal seines Vaters, das 1893 fertiggestellt war. Gleichzeitig begann eine Ausstellung von 1400 Zeichnungen Grandvilles. Während der deutschen Besetzung im [[Zweiter Weltkrieg|Zweiten Weltkrieg]] wurden die Metallteile des Monuments eingeschmolzen. Heute steht vor der Rue Grandville in Nancy eine Kopie der ursprünglichen Bronzebüste, die Ernest Bussière geschaffen hatte.<br /> <br /> == Literatur ==<br /> * [[Staatliche Kunsthalle Karlsruhe]] (Hrsg.): ''J. J. Grandville. Karikatur und Zeichnung. Ein Visionär der französischen Romantik''. Ausstellungskatalog. Hatje Cantz Verlag Ostfildern, 2000, ISBN 3-7757-0987-8.<br /> * [[Charles Baudelaire]]: ''Quelques caricaturistes français, Œvres complètes.'' Paris 1968, {{OCLC|492040265}}.<br /> * Eva-Susanne Bayer-Klötzer: ''Die Tendenzen der französischen Karikatur 1830–1848.'' Dissertation Würzburg 1980, {{DNB|811026507}}.<br /> * [[Walter Benjamin]]: ''Grandville oder die Weltausstellungen.'' In: Walter Benjamin: ''Illuminationen.'' Ausgewählte Schriften, Frankfurt am Main 1969.<br /> * Stefanie Heraeus: ''Traumvorstellung und Bildidee. Surreale Strategien in der französischen Graphik des 19. Jahrhunderts''. Reimer, Berlin 1998, ISBN 3-496-01177-7.<br /> * Raimund Rütten u. a.: ''Die Karikatur zwischen Republik und Zensur. Bildsatire in Frankreich 1830 bis 1880 – eine Sprache des Widerstands?'' Jonas, Marburg 1991, ISBN 3-922561-97-7.<br /> * Hans Burkhard Schlichting: ''Die Phantasien des Grandville. Druckgraphik 1829–1847''. Melzer, Darmstadt 1976, ISBN 3-7874-0133-4.<br /> * [[Gottfried Sello]] (Einleitung): ''Grandville. Das gesamte Werk''. 2 Bde., Rogner u. Bernhard, München 1969, {{DNB|456794441}}.<br /> * ''Vie privée et publique des animaux.'' Vignettes par Grandville. Publ. sous la dir. de P. J. Stahl. Avec la collab. de Balzac. [[Pierre-Jules Hetzel|Hetzel]], Paris 1867. [http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:hbz:061:2-18230 Digitalisierte Ausgabe] der [[Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf]]<br /> <br /> == Weblinks ==<br /> {{Commonscat|Grandville (caricaturist)}}<br /> {{Wikisource|lang=fr}}<br /> * {{DNB-Portal|11854151X}}<br /> * [http://anti.blogsport.de/2009/06/03/gottesdienst-in-der-modernen-zeit-grandville-benjamin-und-das-passagenwerk Text über Walter Benjamins ''Passagenwerk'' und die Ware als Fetisch des 19. Jahrhunderts in Frankreich]<br /> * Essay von Thomas W. Gaehtgens: [http://www.museo-on.com/go/museoon/home/news/_page_id_855/_page_id_609/_page_id_15.xhtml ''Absurde Bildwelt und Gesellschaftskritik in J. J. Grandvilles „Un autre monde“]''<br /> * {{Zeno-Künstler|Kunstwerke/A/Grandville}}<br /> <br /> == Einzelnachweise ==<br /> &lt;references /&gt;<br /> <br /> {{Normdaten|TYP=p|GND=11854151X|LCCN=n/50/37075|VIAF=9846982}}<br /> <br /> [[Kategorie:Karikaturist (Frankreich)]]<br /> [[Kategorie:Illustrator (Frankreich)]]<br /> [[Kategorie:Franzose]]<br /> [[Kategorie:Geboren 1803]]<br /> [[Kategorie:Gestorben 1847]]<br /> [[Kategorie:Mann]]<br /> <br /> {{Personendaten<br /> |NAME=Grandville<br /> |ALTERNATIVNAMEN=Gérard, Jean Ignace Isidore<br /> |KURZBESCHREIBUNG=französischer Zeichner, Buchillustrator und Karikaturist<br /> |GEBURTSDATUM=13. September 1803<br /> |GEBURTSORT=[[Nancy]]<br /> |STERBEDATUM=17. März 1847<br /> |STERBEORT=[[Vanves]] bei Paris<br /> }}</div> Printmaking Studio https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Ludolf_von_Sachsen&diff=220553286 Ludolf von Sachsen 2022-02-24T23:20:08Z <p>Printmaking Studio: </p> <hr /> <div>[[Datei:Ludolf von Sachsen, Vita Christi Vol. 1, folio 1r.jpg|mini|Abbildung des Autors in einer späteren Handschrift Ludolf von Sachsens ''Vita Christi''.]]<br /> <br /> '''Ludolf von Sachsen''' (* um 1300 in Norddeutschland; † [[10. April]] [[1377]] oder [[1378]] in [[Straßburg]], auch ''Ludolf der Kartäuser'') war ein [[Mönch]] und spätmittelalterlicher Erbauungsschriftsteller.<br /> <br /> == Leben ==<br /> Ludolf von Sachsen trat etwa 1315/20 als junger Mann in den [[Dominikanerorden]] ein, in dem er den Grad eines Magisters der Theologie erlangte. 1340 verließ er die Dominikaner und wechselte in die [[Kartause]] von Straßburg. 1343–1348 war er Prior der [[Koblenz-Karthause|Koblenzer]] Kartause, legte dieses Amt jedoch freiwillig nieder und wechselte als einfacher Mönch nach [[Kartäuserkloster Mainz|Mainz]]. Später ging er nach Straßburg zurück, wo er wahrscheinlich 1378 verstarb.<br /> <br /> == Werk ==<br /> [[Datei:1487 Haarlem Woodcutter De Vita Christi.jpeg|mini|''Vita Christi''. 1487. [[Holzschnitt]], [[aquarell]]]]<br /> <br /> Über den Entstehungszusammenhang und die Reihenfolge seiner Werke ist nichts bekannt, da nach damaligem Verständnis der Autor vollständig hinter seinem Werk zurücktreten sollte. Neben einigen kürzeren Schriften sind zwei Hauptwerke von Ludolf überliefert. Zum einen schrieb er, wahrscheinlich in seiner ersten Straßburger Zeit (1340–43), die ''Ennaratio in Psalmos'', einen Psalmenkommentar. Er ist in mehreren Handschriften erhalten und wurde 1491 erstmals gedruckt.<br /> <br /> Wesentlich wirkungsmächtiger ist jedoch die [[Evangelienharmonie]] ''Vita Jesu Christi e quatuor Evangeliis et scriptoribus orthodoxis concinnata'' (dt.: Das Jeben Jesu Christi, zusammengetragen aus den vier Evangelien und den rechtgläubigen Schreibern), kurz ''Vita Christi''. Hierbei handelt es sich um eines der meistgelesenen [[Erbauungsliteratur|Erbauungsbücher]] des Spätmittelalters. Es besteht aus zwei Teilen mit zusammen 181 Kapiteln. In dieser [[Meditation|Betrachtung]] über das Leben [[Jesus Christus|Jesu Christi]] verbindet Ludolf die die vier neutestamentlichen [[Evangelium (Buch)|Evangelien]] und die [[Apostelgeschichte]] miteinander, bezieht aber auch Sentenzen bedeutender Kirchenlehrer wie [[Origenes]], [[Ambrosius von Mailand]], [[Augustinus]], Papst [[Gregor der Große]], [[Hrabanus Maurus]] oder [[Bernhard von Clairvaux]] ein. Er schmückt die Geschichte, vor allem die Passion, um einige Szenen aus, die in den biblischen und apokryphen Quellen nicht vorkommen.<br /> <br /> Die einzelnen Kapitel bestehen aus einer Darlegung eines bestimmten Abschnitts der christlichen Heilsgeschichte, einer Interpretation bzw. Anwendung, in der auch kirchliche Zustände des 14. Jahrhunderts kritisiert werden, und einem abschließenden Gebet. So wird das Symbolisch-bildhafte mit dem Konkret-realistischen verbunden. Der Leser soll das Wirken Christi quasi &quot;miterleben&quot;, als geschehe es in seiner Gegenwart. Durch eine solche Nachfolge Christi soll der Gläubige zur Gemeinschaft mit ihm und so zum Heil gelangen.<br /> <br /> Die Vita Christi entstand wohl zwischen 1348 und 1368 in Mainz; das [[Autograph]] ist 1870 verbrannt. Schon zu Ludolfs Lebzeiten war die Vita Christi über den Orden hinaus bekannt. Schon im frühen 15. Jahrhundert war sie in den meisten Klosterbibliotheken vorhanden. Das Werk ist in sehr vielen Handschriften und Drucken erhalten, oft aber nur einer der beiden Teile oder als Exzerpt. Neben den Erstdrucken von 1472 (Paris und Köln) gibt es 28 weitere [[Inkunabel]]n und bis 1870 insgesamt über 60 Drucke.<br /> <br /> Seit dem 15. Jahrhundert entstanden Übersetzungen in französischer, niederländischer, katalanischer, kastilischer, portugiesischer und italienischer Sprache. Die portugiesische Übersetzung wurde bereits in den 1440er Jahren von Zisterziensermönchen geschaffen und war 1495 das erste gedruckte Buch in portugiesischer Sprache überhaupt. Eine komplette deutsche oder englische Übersetzung gibt es nicht, allerdings mehrere Teilübersetzungen. Eine der frühesten ist eine Übersetzung der Kapitel über die Passion in alemannischer Mundart. Die Übersetzungen waren eher an Laien gerichtet und die lateinischen Drucke für die Klöster. Daher sind jene oft reich illuminiert, was bei diesen kaum der Fall ist.<br /> <br /> Insgesamt lässt sich feststellen, dass die Wirkung der Schrift bis in die frühe Neuzeit in ganz Westeuropa immens war. Innerkirchliche Reformbestrebungen wie die [[Melker Reform]] des [[Benediktiner]]ordens lassen sich auch auf die Vita Christi zurückführen. Im spanischen Sprachraum haben vor allem [[Theresa von Avila]] und [[Ignatius von Loyola]] die Gedanken der Vita Christi weitergetragen. Ignatius las wahrscheinlich 1521 die kastilische Übersetzung, während er von einer Kriegsverwundung genas, was zu seiner Bekehrung beitrug. Vor allem seine [[Exerzitien]] sind, sowohl in den theologischen Positionen als auch z. B. in der Bildsprache, stark von der Vita Christi beeinflusst.<br /> <br /> Um 1400 entstand in den Niederlanden die sogenannte ''Bonaventura-Ludolphiaanse Leven van Jezus''. Hierbei handelt es sich um eine Kompilation aus der Vita Christi und den ''Meditationes vitae Christi'', einer [[Pseudo-Bonaventura]]-Schrift. Sie ist für Laien geschrieben und der Fokus liegt noch stärker als bei der Vita Christi auf der meditativen Vergegenwärtigung des Lebens Jesu. Diese Schrift erreichte im niederländischen sowie im nieder- und mitteldeutschen Raum eine weite Verbreitung und hatte großen Einfluss auf die [[devotio moderna]]. Das wichtigste Werk dieser religiösen Bewegung, [[Thomas von Kempen]]s ''[[Nachfolge Christi]]'', wurde früher für ein Werk Ludolfs gehalten.<br /> <br /> Auch manche Werke der bildenden Kunst beziehen sich auf die Vita Christi. So werden bestimmte Szenen der Passion erst in Bildern, Skulpturen etc. dargestellt, nachdem sie durch die große Verbreitung der Vita Christi, besonders im nordalpinen Raum, bekannt wurden.<br /> <br /> == Ausgaben ==<br /> *''MS-C-15 - Vita Jesu Christi''<br /> **Pars 2, cap. 58 - 89. Um 1475 - 1480 ({{ULBDD|urn:nbn:de:hbz:061:1-511742}})<br /> *''Vita Christi : P.1.2.'' Anton Koberger, Nürnberg 1478 ([http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:hbz:061:1-72557 Digitalisat])<br /> *''Vita Christi'', Ludwig von Renchen, Köln, 1487 ({{ULBDD|urn:nbn:de:hbz:061:1-348279}})<br /> *''Expositio in Psalterium'', mit Vorwort von Jakob Wimpfeling. Speyer, 1491 ({{ULBDD|urn:nbn:de:hbz:061:1-331283}})<br /> *''Das Leben Jesu Christi'', übersetzt von S. Greiner (= Christliche Meister; 47). Einsiedeln und Freiburg 1994<br /> * [http://badigit.comune.bologna.it/books/ludolfo/scorri.asp?Id=1 Vita Christi, Ludolphus de Saxonia (Handschrift der Archiginnasio-Bibliothek Bologna)]<br /> <br /> == Literatur ==<br /> <br /> * Walter Baier: ''Untersuchungen zu den Passionsbetrachtungen in der Vita Christi des Ludolf von Sachsen. Ein quellenkritischer Beitrag zu Leben und Werk Ludolfs und zur Geschichte der Passionstheologie'' (=Analecta Carthusiana; 44). Salzburg 1977<br /> * Walter Baier: ''Ludolf von Sachsen''. In: K. Ruh u.&amp;nbsp;a. (Hrsg.): ''Die deutsche Literatur des Mittelalters. [[Verfasserlexikon]]''. 2. Auflage. Band 5. De Gruyter, Berlin 1985, ISBN 3-11-009909-8, Sp. 967–977.<br /> * {{NDB|15|300|301|Ludolf von Sachsen|Walter Baier|118817736}}<br /> * M. Buhlmann: ''Die mittelalterlichen Handschriften des Villinger Klosters St. Georgen'' (= Vertex Alemanniae; Heft 27). St. Georgen 2007, S. 45f.<br /> * {{LexMA|5|2167||Ludolf von Sachsen|Manfred Gerwing}}<br /> * {{ADB|19|388|388|Ludolf von Sachsen|[[Franz Stanonik]]|ADB:Ludolf von Sachsen}}<br /> <br /> == Weblinks ==<br /> * {{DDB|Person|118817736}}<br /> * [http://gesamtkatalogderwiegendrucke.de/docs/LUDOSAX.htm GW]<br /> <br /> {{Normdaten|TYP=p|GND=118817736|LCCN=n/84/175313|VIAF=4949605}}<br /> <br /> {{SORTIERUNG:Ludolf #Sachsen}}<br /> [[Kategorie:Autor]]<br /> [[Kategorie:Literatur (14. Jahrhundert)]]<br /> [[Kategorie:Dominikanerbruder]]<br /> [[Kategorie:Prior (Kartäuserorden)]]<br /> [[Kategorie:Geboren im 13. oder 14. Jahrhundert]]<br /> [[Kategorie:Gestorben im 14. Jahrhundert]]<br /> [[Kategorie:Mann]]<br /> <br /> {{Personendaten<br /> |NAME=Ludolf von Sachsen<br /> |ALTERNATIVNAMEN=Ludolf der Kartäuser<br /> |KURZBESCHREIBUNG=Mönch und Erbauungsschriftsteller<br /> |GEBURTSDATUM=um 1300<br /> |GEBURTSORT=<br /> |STERBEDATUM=10. April 1377 oder 1378<br /> |STERBEORT=[[Straßburg]]<br /> }}</div> Printmaking Studio https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Henry_Monnier&diff=220444969 Henry Monnier 2022-02-21T15:08:26Z <p>Printmaking Studio: /* Leben */</p> <hr /> <div>[[Datei:Monnier playing the part of Prudhomme by Carjat 2.jpg|mini|Henry Monnier als ''Monsieur Prudhomme'' (um 1875), Fotografie von [[Étienne Carjat]].]]<br /> <br /> '''Henry Bonaventure Monnier''' (* [[7. Juni]] [[1799]] in [[Paris]]; † [[3. Januar]] [[1877]] ebenda) war ein französischer [[Autor]], Theaterschriftsteller, [[Theaterschauspieler]], Zeichner, Illustrator und Karikaturist.<br /> <br /> == Leben ==<br /> Monnier stammte aus kleinbürgerlichem Milieu. Von 1816 bis 1821 war er Angestellter im Justizministerium (sein Freund [[Honoré de Balzac|Balzac]] verkörperte ihn in seinem Roman ''Les employés'' in der Figur Jean-Jacques Bixiou), aber auch Zeichner und Karikaturist. Nach einem Aufenthalt in England wandte er sich 1830 neben der rastlosen Anfertigung von [[Lithografien]] dem Theater zu, sowohl als Autor wie als Schauspieler seiner eigenen Figuren.<br /> <br /> ;Die Figur des Joseph Prudhomme<br /> [[Datei:Henry Monnier Games Lithography 1830.jpg|mini|links|Henry Monnier. ''Spiele'', 1830, [[Lithografie]]]]<br /> <br /> Die meisten von Monniers Texten sind heute vergessen (Monnier kommt in Literaturgeschichten so gut wie nicht vor), eine Figur jedoch hat überlebt, Joseph Prudhomme, die unsterbliche Verkörperung des französischen Spießbürgers. Mit ihr steht Monnier am Anfang einer Reihe, die über [[Flaubert]] (Figur des Monsieur Homais in ''Madame Bovary'', ferner ''Bouvard und Pécuchet'' und das ''Wörterbuch der Gemeinplätze'') zur Mittelmeervariante bei [[Alphonse Daudet]] (Figur des ''Tartarin von Tarascon'') und schließlich zu [[Léon Bloy]] führt (''Auslegung der Gemeinplätze'').<br /> <br /> Viele der Prudhomme in den Mund gelegten Sprüche sind nach wie vor im französischen Sprachschatz lebendig. Hier einige Beispiele:<br /> <br /> *Monsieur Prudhomme sieht zum ersten Mal das Meer. Seine Reaktion: „Eine so große Menge Wasser grenzt ans Lächerliche“ (''Une telle quantité d'eau frise le ridicule''.)<br /> *Monsieur Prudhomme ist ein Meister der [[Katachrese]]: ''Le char de l’État navigue sur un volcan'' (nicht übersetzbar, vergleichbar mit: „Der Zahn der Zeit wird auch über diese Wunde Gras wachsen lassen.“)<br /> *Monsieur Prudhomme erhält den Säbel der Nationalgarde. Seine Reaktion: „Dieser Säbel ist der schönste Tag meines Lebens. Mit ihm, so schwöre ich, werde ich unser Staatswesen unterstützen, verteidigen und notfalls bekämpfen.“ (''Ce sabre est le plus beau jour de ma vie: avec lui, je jure de soutenir, de défendre nos institutions et au besoin de les combattre''.)<br /> *„Das ist meine Meinung und ich teile sie“. (''C'est mon avis et je le partage''.)<br /> *„Es ist der Ehrgeiz, der den Menschen zum Verhängnis wird. Wäre Napoleon Artillerieoffizier geblieben, säße er heute noch auf dem Thron“. (''C’est l’ambition qui perd les hommes. Si Napoléon était resté officier d’artillerie, il serait encore sur le trône''.)<br /> *„Wer den Menschen aus der Gesellschaft entfernt, der isoliert ihn“. (''Otez l’homme de la société, vous l'isolez''.)<br /> *Im Département Aveyron wird der Staatsanwalt Fualdès von Unbekannten ermordet. Deutung von Monsieur Prudhomme: „Der Griff des Messers war in Rom, die Spitze im Aveyron“. (''Le couteau de Fualdès avec son manche à Rome et sa pointe dans l’Aveyron''.)<br /> <br /> Neuere Forschung unterstreicht, dass diese Sprüche (wie auch bei Monsieur Homais) ja nicht einfach dumm sind, sondern gleichzeitig auch Elemente von Originalität, Tiefsinn oder rhetorischem Raffinement zeigen. Als sarkastischer, aber präziser Beobachter menschlicher Schwächen zur Zeit des [[Biedermeier]] (ähnlich wie in Deutschland der Maler [[Carl Spitzweg]]) wurde Monnier deshalb in neuester Zeit zunehmend gewürdigt, neu aufgelegt und 1982 von [[Eugen Helmlé]] auch ins Deutsche übersetzt.<br /> <br /> == Werke ==<br /> ;mit der Figur Joseph Prudhomme<br /> *''Scènes populaires'', 1831 (Prosa, großer Erfolg)<br /> **''Scènes populaires. Les bas-fonds de la société'', hrsg. von Anne-Marie Meininger, Paris, Gallimard, 1984 (Folio 1596)<br /> *''La Famille improvisée'', 1831 (Theaterstück, Monnier spielt selbst mehrere Rollen, Triumph)<br /> *''Grandeur et décadence de M. Joseph Prudhomme'', 1852 (Theaterstück, Monnier spielt selbst Prudhomme, großer Erfolg)<br /> **''Aufstieg und Fall des Joseph Prudhomme'', übersetzt und hrsg. von [[Eugen Helmlé]], Frankfurt am Main, Verlag der Autoren, 1982.<br /> *''Mémoires de Monsieur Joseph Prudhomme'', 1857.<br /> ** hrsg. von Gilbert Sigaux, Paris, Club Francais du Livre, 1964.<br /> *''Monsieur Prudhomme chef de brigands'', 1860 (Theaterstück, Misserfolg)<br /> <br /> ;Weitere Schriften (Auswahl)<br /> *''La physiologie du bourgeois'', Paris, Aubert, 1841.<br /> **''Die Geschichte des Spießbürgers'', Berlin, Juncker, 1919 (deutsch von Hans Pfeifer).<br /> *''La Religion des imbéciles. Nouvelles scènes populaires'', Paris 1861.<br /> <br /> == Literatur ==<br /> *Aristide Marie (1862–1938), ''Henry Monnier'', Paris, Floury, 1931; Genf, Slatkine, 1984.<br /> *Livia Székely, ''Henri Monnier et le personnage de Joseph Prudhomme 1799-1877. Contribution à l'étude du &quot;biedermeier&quot; en France'', Kolozsvár 1944 (Etudes françaises. Publiées par l'Institut Français de l'Université de Szeged. 26).<br /> *Edith Melcher, ''The life and times of Henry Monnier'', Cambridge, Mass., Harvard University Press, 1950.<br /> *Jessie Grace Marash, ''Henry Monnier. Chronicler of the bourgeoisie'', London, Harrap, 1951.<br /> *« Monnier, Henri Bonaventure 1799-1877 », in: ''Dictionnaire de la Littérature française du XIXe siècle'', Paris, Encyclopaedia Universalis, Albin Michel, 1998, 2014 (Les Dictionnaires d'Universalis).<br /> *Nathalie Preiss, « Henry Monnier », in: ''Dictionnaire des écrivains de langue française'', hrsg. von Jean-Pierre Beaumarchais, Daniel Couty und Alain Rey, Paris, Larousse, 2001, S. 1234–1236.<br /> *Alan Raitt, ''Gustavus Flaubertus bourgeoisophobus = Flaubert and the Bourgeois mentality'', Oxford, Lang, 2005 (Kap. 2: Flaubert, Henry Monnier and Joseph Prudhomme).<br /> * [[Ursula E. Koch]], [[Pierre-Paul Sagave]]: ''Le Charivari. Die Geschichte einer Pariser Tageszeitung im Kampf um die Republik (1832–1882)''. Verlag Leske, Köln 1984, ISBN 3-921490-29-4, S. 405.<br /> <br /> == Weblinks ==<br /> {{Wikisource|Auteur:Henry_Monnier|Henry Monnier|lang=fr}}<br /> * {{SUDOC|027034879}}<br /> * http://www.culture.gouv.fr/culture/actualites/celebrations/monnier.htm (Kurze Würdigung zum 100. Geburtstag, französisch)<br /> <br /> {{Normdaten|TYP=p|GND=118583514 |LCCN=n/83/800172 |NDL=|VIAF=66471264}}<br /> <br /> {{SORTIERUNG:Monnier, Henry}}<br /> [[Kategorie:Autor]]<br /> [[Kategorie:Illustrator (Frankreich)]]<br /> [[Kategorie:Karikaturist (Frankreich)]]<br /> [[Kategorie:Theaterschauspieler]]<br /> [[Kategorie:Grafiker (Paris)]]<br /> [[Kategorie:Franzose]]<br /> [[Kategorie:Geboren 1799]]<br /> [[Kategorie:Gestorben 1877]]<br /> [[Kategorie:Mann]]<br /> <br /> {{Personendaten<br /> |NAME=Monnier, Henry<br /> |ALTERNATIVNAMEN=Monnier, Henri Bonaventure<br /> |KURZBESCHREIBUNG=französischer Autor, Theaterschriftsteller, Schauspieler, Zeichner, Illustrator und Karikaturist<br /> |GEBURTSDATUM=7. Juni 1799<br /> |GEBURTSORT=[[Paris]]<br /> |STERBEDATUM=3. Januar 1877<br /> |STERBEORT=[[Paris]]}}</div> Printmaking Studio https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Europa_(Tochter_des_Agenor)&diff=220374854 Europa (Tochter des Agenor) 2022-02-19T16:13:01Z <p>Printmaking Studio: /* Darstellung */</p> <hr /> <div>[[Datei:Terracotta Europa bull Staatliche Antikensammlungen.jpg|mini|Europa und der Stier&lt;br /&gt;([[Terrakotta]]-Gruppe aus Athen, um 470&amp;nbsp;v.&amp;nbsp;Chr., [[Staatliche Antikensammlungen]] in München)]]<br /> <br /> '''Europa''' ({{grcS|Εὐρώπη|Eurṓpē}}; Näheres zum Namen siehe unter [[Europa#Name|Europa]]), eine Gestalt der [[Griechische Mythologie|griechischen Mythologie]], ist die Tochter des [[Phönizier|phönizischen]] Königs [[Agenor (Phönizien)|Agenor]] und der [[Telephassa]]. [[Zeus]] verliebte sich in sie und darauf verwandelte er sich wegen seiner argwöhnischen Gattin [[Hera]] in einen Stier. Sein Bote [[Hermes]] trieb eine Stierherde in die Nähe der am Strand von [[Sidon]] spielenden Europa, die der Zeus-Stier auf seinem Rücken entführte. Er schwamm mit ihr nach [[Matala]] auf der Insel [[Kreta]], wo er sich zurückverwandelte. Der Verbindung mit dem Gott entsprangen drei Kinder: [[Minos]], [[Rhadamanthys]] und [[Sarpedon (Ilias)|Sarpedon]]. Auf Grund einer Verheißung der [[Aphrodite]] wurde der [[Europa|fremde Erdteil]] nach Europa benannt.<br /> <br /> == Erzählungen ==<br /> [[Datei:Wall painting - Europa and the bull - Pompeii (IX 5 18-21) - Napoli MAN 111475 - 02.jpg|mini|links|Europa und der Stier, [[Fresko]] aus [[Pompeji]], 1. Jahrhundert etwa zur Zeit Ovids]]<br /> [[Datei:Tizian 085.jpg|mini|''Raub der Europa''&lt;br /&gt;([[Tizian]], um 1560, [[Isabella Stewart Gardner Museum]] in Boston)]]<br /> [[Datei:5 DM Serie2 Vorderseite.jpg|mini|[[Max Bittrof]]: ''Entführung der Europa'', 1948, Deutsche [[Bargeld der Deutschen Mark#Zweite Serie Bank deutscher Länder (1948)|5-DM-Banknote]] ]]<br /> <br /> Die älteste literarische Referenz auf Europa ist in der [[Ilias]] von [[Homer]] zu finden, wo Europa die Tochter des [[Phoinix (Sohn des Agenor)|Phoinix]] ist.&lt;ref&gt;[[Homer]], [[Ilias]] 14,321-322&lt;/ref&gt; Antike Erzählungen des Europa-Mythos finden sich in der „Europa“ des [[Moschos]] und in den „[[Metamorphosen (Ovid)|Metamorphosen]]“ des [[Ovid]]. Es gibt viele verschiedene Sagen von der Entführung Europas.<br /> <br /> Nach Ovid verwandelt sich [[Jupiter (Mythologie)|Jupiter]] (röm. für Zeus) in einen Stier, ein besonders kräftiges, aber sehr friedlich aussehendes Exemplar mit reinem, schneeweißen Fell und kleinen Hörnern, die aussehen, als habe sie ein Künstler angefertigt. Jupiter mischt sich unter eine Herde königlicher Stiere, die [[Mercurius]] (röm. für Hermes) zuvor zum Strand getrieben hat, und nähert sich so Europa, die mit ihren Gefährtinnen am Strand ist. Europas Furcht ist bald überwunden, sie spielt mit dem Stier, füttert ihn, streichelt ihn und umwindet seine Hörner mit Blumen. Schließlich traut sie sich, auf seinen Rücken zu steigen – da geht der Stier ins Wasser und schwimmt aufs offene Meer hinaus. Er bringt sie nach [[Kreta]], wo er seine Stiergestalt ablegt und sich offenbart.&lt;ref&gt;[[Ovid]], [[Metamorphosen (Ovid)|Metamorphosen]] 2,833-3,2&lt;/ref&gt;<br /> <br /> Agenor schickte seine Söhne aus, ihre Schwester Europa zu suchen, doch die Nachforschungen bleiben erfolglos. Schließlich befragt [[Kadmos]] das [[Orakel von Delphi]] und wird von diesem angewiesen, die Suche nach seiner Schwester aufzugeben und stattdessen die böotische Stadt [[Theben (Böotien)|Theben]] zu gründen.<br /> <br /> Nach anderen Quellen soll Europa nach der Affäre mit Zeus drei Söhne geboren haben. Anschließend wurde sie von [[Asterios]], dem König von Kreta, geheiratet und wurde so zur Königin von Kreta. Asterios, der selbst keine Kinder hatte, adoptierte auch ihre drei Söhne.&lt;ref&gt;''[[Bibliotheke des Apollodor]]'' 3,1,2&lt;/ref&gt;&lt;ref&gt;Scholion zu Homer, ''Ilias'' 12,292&lt;/ref&gt;<br /> <br /> Gerold Dommermuth-Gudrich weist darauf hin, dass die römische Fassung dieser Sage im Kern eine orientalische sei: Europa sei „nichts anderes als die Verkörperung der [[Ischtar]] oder [[Astarte]], der babylonisch-syrischen Liebesgöttin, die die Griechen mit [[Aphrodite]] gleichsetzen. Noch zur Zeit des klassischen Griechentums wurde Europa als Europa-Astarte von den Phöniziern in Sidon verehrt“.&lt;ref&gt;Gerold Dommermuth-Gudrich: ''Mythen. Die bekanntesten Mythen der griechischen Antike, 50 Klassiker.'' Hildesheim 2000, S. 110.&lt;/ref&gt;<br /> <br /> == Interpretation ==<br /> Die Historikerin [[Annette Kuhn]] hält dem durch die Ovid-Überlieferung [[Patriarchat (Soziologie)|patriarchal]] geprägten Mythos eine alternative Lesart entgegen, die das frühe [[Matriarchat]] einbezieht. So sieht sie das Matriarchat am Wirken, als die Mutter Europas, Telephassa, über Zeus eine Strafe für sein liebestolles Verhalten gegenüber Europa verhängt, und zwar die Verweigerung der Liebe Europas und das Sterben der Natur. Sie interpretiert den Mythos dahingehend, dass Zeus überhaupt erst in der „Verkleidung“ als Stier, welcher als ein Symbol für matriarchalische Ordnung fungierte – hervorgegangen aus dem damals noch weit verbreiteten mythologischen Symbol der „kosmischen Kuh“ –, sich Europa annähern konnte. „Liebe, so lautet die einfache Botschaft, kann nicht erzwungen werden.“&lt;ref&gt;Anette Kuhn: ''Warum sitzt Europa auf dem Stier? Matriarchale Grundlagen von Europa.'' In: Ministerium für Generationen, Familie, Frauen und Integration des Landes NRW: ''Frauen verändern EUROPA verändert Frauen.'' 2009 ({{Webarchiv|url=http://www.hdfg.de/pdf/Europa-Handbuch-08_Kuhn.pdf |wayback=20150108160650 |text=Archivierte Kopie |archiv-bot=2019-09-03 23:25:48 InternetArchiveBot}}).&lt;/ref&gt;<br /> <br /> Dabei verweist Kuhn u.&amp;nbsp;a. auf den Mythenforscher [[Robert von Ranke-Graves]], der „in seiner quellenkritischen Nacherzählung der Europageschichte [schon] auf [eine] matriarchale Tradition hingewiesen“ habe.&lt;ref&gt;Anette Kuhn: ''Warum sitzt Europa auf dem Stier? Matriarchale Grundlagen von Europa.'' In: Ministerium für Generationen, Familie, Frauen und Integration des Landes NRW: ''Frauen verändern EUROPA verändert Frauen.'' 2009 ({{Webarchiv|url=http://www.hdfg.de/pdf/Europa-Handbuch-08_Kuhn.pdf |wayback=20150108160650 |text=Archivierte Kopie |archiv-bot=2019-09-03 23:25:48 InternetArchiveBot}}) Mit Verweis auf: Robert von Ranke-Graves: ''Die Götter Griechenlands. Die klassischen Mythen und Sagen.'' Reinbek b. Hamburg 1983, S. 58.&lt;/ref&gt;<br /> <br /> == Darstellung ==<br /> [[Datei:Bassenheim, Adenauer-Schuman-Gedenkzeichen - Europa (2015-06-07 Sp).jpg|mini|Harald Stieding: ''Europa'', 2012, Detail des [[Adenauer-Schuman-Gedenkzeichen]]s in [[Bassenheim]]]]<br /> [[Datei:Europa copy.jpg|mini|''Die Entführung der Europa'', rotfiguriges Vasenbild, 5.&amp;nbsp;Jh. v.&amp;nbsp;Chr., Museo Nazionale Etrusco, Tarquinia]]<br /> [[Datei:Chauveau, François Métamorphoses d'Europe Eau-forte.jpg|mini|[[François Chauveau]] ''Die Entführung der Europa'', 1650, Radierung]]<br /> <br /> Die ältesten entdeckten Vasenmalereien, welche eindeutig Europa abbilden, stammen bereits aus dem 7. Jahrhundert vor Christus.&lt;ref&gt;[[Winfried Bühler]]: ''Europa: eine Sammlung der Zeugnisse des Mythos in der antiken Literatur und Kunst.''&lt;/ref&gt; Spätere bildliche Darstellungen zeigen Europa meist, Ovids Beschreibung folgend, wie sie vom Zeus-Stier entführt wird. Sie ist meist nur leicht bekleidet oder ganz nackt, sitzt rittlings (in älteren Darstellungen), seitwärts oder halb-liegend (in jüngeren Darstellungen) auf dem Rücken des weißen Stieres, hält sich an ihm fest und zeigt dabei keine Zeichen von Furcht.<br /> <br /> == Verwendung auf Eurobanknoten ==<br /> Nachdem Europa schon 1948 auf dem [[Bargeld der Deutschen Mark#Zweite Serie Bank deutscher Länder (1948)|5-DM-Schein]] zu sehen war, ist seit dem 2. Mai 2013 der Kopf der Sagengestalt auf dem [[Eurobanknoten#Zweite Serie (2013) „Europa-Serie“|5-€-Schein]] im Wasserzeichen und im Hologramm abgebildet, dieser ist der kleinste Schein der zweiten „Europa-Serie“ der Eurobanknoten.&lt;ref&gt; {{Webarchiv|text=Der neue 5-Euro-Schein im Vergleich |url=http://www.neue-euro-banknoten.eu/Euro-Banknoten/Die-Euro-Banknoten-7-2/DIE-ERSTE-SERIE-5-%E2%82%AC-Banknote |wayback=20140704043426 |archiv-bot=2018-04-09 00:36:54 InternetArchiveBot }}, Europäische Zentralbank&lt;/ref&gt; Die neue 10-€-Banknote, ebenfalls mit der Abbildung der Europa, befindet sich seit dem 23. September 2014 im Umlauf. Das abgebildete Porträt stammt von einer über 2000 Jahre alten Vase aus Süditalien, die im Pariser Louvre besichtigt werden kann.&lt;ref&gt;{{Internetquelle|url=http://www.ecb.europa.eu/euro/pdf/material/discover10/WEB_ECB_Public_BRO_10Euro.de.pdf?bbab7bfa12cf3fc511120ef7e6bc2dcd|hrsg=|titel=Das neue Gesicht des Euro|werk=europa.eu|format=PDF|offline=|zugriff=2015-06-25}}&lt;/ref&gt;<br /> <br /> == Siehe auch ==<br /> * Jupitermond [[Europa (Mond)|Europa]]<br /> * [[L’Europa riconosciuta]], Oper von [[Antonio Salieri]]<br /> <br /> == Literatur ==<br /> * {{Roscher|1,1|1410|1418|Europa 10|[[Johannes Hugo Helbig]]|}}<br /> * [[Kunstgewerbemuseum Berlin|Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz Kunstgewerbemuseum]]: ''Die Verführung der Europa.'' Propyläen Verlag, Berlin 1988, ISBN 3-549-05872-1.<br /> * ''D’Europe à l’Europe, I. Le mythe d’Europe dans l’art et la culture de l’antiquité au XVIIIe s.'' (colloque de Paris, ENS – Ulm, 24. – 26. April 1997), Hrsg.: R. Poignault und O. Wattel-de Croizant, coll. Caesarodunum, n° XXXI bis, 1998.<br /> ** ''II. Mythe et identité du XIXe s. à nos jours'' (colloque de Caen, 30. September – 2. Oktober 1999), hrsg. von R. Poignault, F. Lecocq und O. Wattel–de Croizant, coll. Caesarodunum, n° XXXIII bis, 2000.<br /> ** ''III. La dimension politique et religieuse du mythe d’Europe de l’Antiquité à nos jours'' (colloque de Paris, ENS-Ulm, 29. – 30. November 2001), éd. O. Wattel – De Croizant, coll. Caesarodunum, n° hors-série, 2002.<br /> ** ''IV. Entre Orient et Occident, du mythe à la géopolitique'' (colloque de Paris, ENS-Ulm, 18.–20. Mai 2006), dir. O. Wattel – de Croizant &amp; G. de Montifroy, Ed. de l’Age d’Homme, Lausanne 2007.<br /> ** ''V. État des connaissances'' (colloque de Bruxelles, 21.–22. Oktober 2010), dir. O. Wattel-de Croizant &amp; A. Roba, Brüssel, éd. Métamorphoses d’Europe asbl, 2011.<br /> * [[Günter Dietz]]: ''Europa und der [[Stier (Mythologie)|Stier]]. Ein antiker Mythos für Europa?'' Kulturgeschichtliche Reihe, 4. Sonnenberg, Annweiler 2003 ISBN 3-933264-29-4.<br /> * Almut-Barbara Renger (Hrsg.): ''Mythos Europa. Texte von Ovid bis [[Heiner Müller]].'' Reclam, Leipzig 2003, ISBN 3-379-20077-8.<br /> * {{DNP|Suppl. 5|276|285|Europa|Almut-Barbara Renger}}<br /> * Almut-Barbara Renger, Roland Alexander Ißler (Hrsg.): ''Gründungsmythen Europas in Literatur, Musik und Kunst, 1: Europa – Stier und Sternenkranz. Von der Union mit Zeus zum Staatenverbund.'' V&amp;R unipress, Göttingen 2009, ISBN 978-3-89971-566-8.<br /> * Eva C. Huller: ''„da wurde es selbst Zeus ganz klar, wie uneinig Europa war“. Europa in der deutschsprachigen Literatur seit 1957.'' In: Christian Lohse, Joseph Mittlmeier (Hrsg.): ''Europas Ursprung. Mythologie und Moderne.'' Festschrift der Universität Regensburg zum 50-jährigen Jubiläum der Römischen Verträge. Regensburg 2007, ISBN 3-9808020-9-4, S. 119–130.<br /> * [[Winfried Bühler]]: ''Europa.'' W. Fink, München 1968.<br /> <br /> == Weblinks ==<br /> {{Commonscat|Europa (mythology)|Europa (Mythologie)}}<br /> * {{Webarchiv | url=http://www.uni-regensburg.de/Fakultaeten/phil_Fak_IV/Klass_Phil/Europaprotokoll.htm | wayback=20070930060614 | text=Europa-Mythos in antiker Literatur und moderner Rezeption}}<br /> * ca. 250 Photos von Darstellungen des Herakles in der Kunst, in der [http://warburg.sas.ac.uk/vpc/VPC_search/subcats.php?cat_1=5&amp;cat_2=216 ''Warburg Institute Iconographic Database'']<br /> <br /> == Einzelnachweise ==<br /> &lt;references responsive /&gt;<br /> <br /> {{Normdaten|TYP=p|GND=118531409|LCCN=sh/85/45629|VIAF=22932833}}<br /> <br /> [[Kategorie:Person der griechischen Mythologie]]<br /> [[Kategorie:Kultur (Europa)]]<br /> [[Kategorie:Europäische Geschichte]]<br /> [[Kategorie:Phönizier]]<br /> [[Kategorie:Nationale Personifikation]]<br /> [[Kategorie:Gestalt der griechischen Mythologie als Namensgeber für einen Asteroiden]]</div> Printmaking Studio https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Diskussion:Boris_Alexandrowitsch_Jeflow&diff=220258092 Diskussion:Boris Alexandrowitsch Jeflow 2022-02-16T13:16:40Z <p>Printmaking Studio: </p> <hr /> <div>== Rename ==<br /> <br /> I think the page should be renamed into &quot;Boris Jeflow&quot;, taking the second name away. Because all the other articles in wikipedia about Boris Jeflow in other languages use only name and surname, and it makes searching and reading the results in the internet easier.<br /> :According to the &quot;naming conventions&quot; for persons of Russian nationality, the entry should comprise all three parts of the Russian name, cf. [[wp:Namenskonventionen/Kyrillisch#Personennamen]], unfortunately in German only. I hope this helps --[[Benutzer:Onkelkoeln|dä onkäl us kölle]] ([[Benutzer Diskussion:Onkelkoeln|Diskussion]]) 13:33, 14. Okt. 2020 (CEST)<br /> <br /> == Belege (references) ==<br /> <br /> Hi [[Benutzer:Wikinger08]], [[Benutzer:Stereolove3589]] has asked me, if the references [https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Boris_Alexandrowitsch_Jeflow&amp;type=revision&amp;diff=206161947&amp;oldid=206154458] now are enough to remove the tag &quot;references are missing&quot;? --[[Benutzer:Lord Castlepool|Lord Castlepool]] ([[Benutzer Diskussion:Lord Castlepool|Diskussion]]) 09:09, 10. Dez. 2020 (CET)<br /> : There are still several paragraphs without any reference. --[[Benutzer:Wikinger08|Wikinger08]] ([[Benutzer Diskussion:Wikinger08|Diskussion]]) 15:52, 10. Dez. 2020 (CET)<br /> <br /> Viel Künstlergeschwurbel und irrelevante Infos. --[[Benutzer:Printmaking Studio|Printmaking Studio]] ([[Benutzer Diskussion:Printmaking Studio|Diskussion]]) 14:16, 16. Feb. 2022 (CET)</div> Printmaking Studio https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Benutzer:Printmaking_Studio&diff=220257919 Benutzer:Printmaking Studio 2022-02-16T13:10:19Z <p>Printmaking Studio: AZ: Die Seite wurde neu angelegt: Druckgrafik...!</p> <hr /> <div>Druckgrafik...!</div> Printmaking Studio