https://de.wikipedia.org/w/api.php?action=feedcontributions&feedformat=atom&user=178.155.64.26Wikipedia - Benutzerbeiträge [de]2025-05-07T03:16:34ZBenutzerbeiträgeMediaWiki 1.44.0-wmf.27https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Warschauer_Aufstand&diff=236066314Warschauer Aufstand2023-08-03T05:55:36Z<p>178.155.64.26: /* Filme */</p>
<hr />
<div>{{Begriffsklärungshinweis}}<br />
<br />
{{Dieser Artikel|beschäftigt sich mit dem Aufstand in Warschau 1944. Dieser ist nicht mit dem [[Aufstand im Warschauer Ghetto]] zu verwechseln, der im Jahre 1943 im Jüdischen Ghetto stattfand.}}<br />
<br />
{{Infobox Militärischer Konflikt<br />
<br />
|KONFLIKT= Warschauer Aufstand<br />
|TEILVON= [[Aktion Burza]], [[Zweiter Weltkrieg]]<br />
|BILD= Warsaw wwII.jpg<br />
|BILDBREITE= <br />
|BESCHREIBUNG= [[Denkmal des Warschauer Aufstandes|Denkmal des Aufstandes in Warschau]]<br />
|DATUM= 1. August<br />
|DATUMBIS= 2. Oktober 1944<br />
|ORT= [[Warschau]]<br />
|CASUS= <br />
|GEBIETE= <br />
|AUSGANG= Niederschlagung des Aufstandes<br />
|FOLGEN= <br />
|FRIEDENSSCHLUSS= <br />
|KONTRAHENT1= [[Datei:Flaga PPP.svg|22px]] [[Polen]] ([[Polnische Heimatarmee|Armia Krajowa]])<br />
|KONTRAHENT2= [[Datei:Flag of Germany 1933.svg|22px]] [[Deutsches Reich]]<br />
|BEFEHLSHABER1= [[Tadeusz Bór-Komorowski]], [[Antoni Chruściel]]<br />
|BEFEHLSHABER2= [[Erich von dem Bach-Zelewski]]<br />
|TRUPPENSTÄRKE1= 45.000<ref>Norman Davies: ''Rising '44.'' Pan Books, London 2004, S. 419.</ref><br />
|TRUPPENSTÄRKE2= 39.000<ref>[[Włodzimierz Borodziej]]: ''Der Warschauer Aufstand 1944.'' Fischer, 2001, ISBN 3-10-007806-3, S. 144 ff., Frankfurt am Main 2004, S. 190.</ref><br />
|VERLUSTE1= 15.000 Tote, 25.000 Verwundete,<ref name="Włodzimierz Borodziej 1944">Włodzimierz Borodziej: ''Der Warschauer Aufstand 1944.'' Fischer, 2001, ISBN 3-10-007806-3, S. 190.</ref><ref name="Martin139" /><br />
150.000–225.000 Opfer in der Zivilbevölkerung<ref>Norman Davies: ''God’s Playground – A History of Poland.'' Band 2, S. 477.</ref><ref name="Krannhals214" /><ref name="Martin251" /><br />
|VERLUSTE2 = 2.000–10.000 Tote, 0–7.000 Vermisste und 7.000–9.000 Verwundete<ref>Hans von Krannhals: ''Der Warschauer Aufstand 1944.'' Frankfurt am Main 1962, S. 120 f.</ref><br />
|NOTIZEN= <br />
}}<br />
Der '''Warschauer Aufstand''' war die militärische [[Aufstand|Erhebung]] der [[Polnische Heimatarmee|Polnischen Heimatarmee]] (''Armia Krajowa'', kurz ''AK'') gegen die [[Deutsche Besetzung Polens 1939–1945|deutsche Besatzungsmacht]] im [[Zweiter Weltkrieg|Zweiten Weltkrieg]] in [[Warschau]] vom 1.&nbsp;August bis zum 2.&nbsp;Oktober 1944. Von der [[Polnische Exilregierung|polnischen Exilregierung]] in [[London]] im Rahmen der landesweiten [[Aktion Burza]] befohlen, war er neben dem [[Slowakischer Nationalaufstand|Slowakischen Nationalaufstand]] eine der größten Erhebungen gegen das [[Nationalsozialismus|nationalsozialistische]] Herrschaftssystem. Die Widerständler kämpften 63 Tage gegen die Besatzungstruppen, bevor sie angesichts der aussichtslosen Situation [[Kapitulation|kapitulierten]]. Die deutschen Truppen begingen [[Massenmord]]e unter der Zivilbevölkerung, und die Stadt wurde nach dem Aufstand fast vollständig zerstört. Über die Frage, weshalb die auf der anderen Seite der Weichsel stehende [[Rote Armee]] – bis auf die [[Berling-Armee|1. Polnische Armee]] – nicht in die Kämpfe eingriff, wird unter Historikern kontrovers diskutiert.<br />
<br />
== Vorgeschichte ==<br />
=== Lage in Polen ===<br />
{{Hauptartikel|Deutsche Besetzung Polens 1939–1945}}<br />
Nachdem die [[Polnisches Heer vor dem Zweiten Weltkrieg|polnische Armee]] durch den [[Überfall auf Polen|deutschen Überfall]] im September 1939 zerschlagen worden war, besetzten [[Wehrmacht|deutsche]] und [[Rote Armee|sowjetische Truppen]] gemäß dem [[Deutsch-sowjetischer Nichtangriffspakt|Hitler-Stalin-Pakt]] das Land. Der westliche Teil fiel dabei an das Deutsche Reich, der [[Sowjetische Besetzung Ostpolens|östliche Teil]] an die Sowjetunion.<br />
<br />
Der deutsche Umgang mit den Besiegten stand von Beginn an im Zeichen der [[Nationalsozialismus|nationalsozialistischen]] Rassenpolitik. [[Westpreußen]], [[Ostoberschlesien]], das [[Wartheland]] und der [[Regierungsbezirk Zichenau]] wurden annektiert und als neue [[Reichsgau]]e dem Deutschen Reich angegliedert bzw. an bereits bestehende Reichsgaue angeschlossen.<ref>Norman Davies: ''Rising '44.'' Pan Books, London 2004, S. 649.</ref> Zu den annektierten Gebieten gehörten Teile Polens, die zuvor nie zu Deutschland gehört hatten und überwiegend polnisch bevölkert waren. Der restliche Teil Polens unter deutscher Besatzung unterstand als [[Generalgouvernement]] deutscher Verwaltung. Hauptziel war die wirtschaftliche Ausbeutung und die Unterdrückung der polnischen Bevölkerung. Zu Beginn trafen die deutschen Repressionen vorwiegend [[Intelligenzija|Intellektuelle]] und Polen jüdischer Abstammung. So wurden in der sogenannten [[AB-Aktion|Intelligenzaktion]] Massenerschießungen und Massenverhaftungen unter der gebildeten Elite des Landes organisiert. Die Juden wurden [[ghetto]]isiert und damit von der restlichen Bevölkerung abgetrennt. Das Erziehungs- und Pressewesen wurde auf ein Minimum zurückgestutzt, um die Unterdrückung der slawischen Bevölkerung zu zementieren. In einer Notiz des SS-Chefs [[Heinrich Himmler|Himmler]] heißt es dazu:<ref>Klaus J. Bade: ''Migration in Geschichte und Gegenwart.'' S. 378.</ref><br />
<br />
{{Zitat<br />
|Text=Eine grundsätzliche Frage bei der Lösung all dieser Probleme ist die Schulfrage, und damit die Sichtung und Siebung der Jugend. Für die nicht-deutsche Bevölkerung des Ostens darf es keine höhere Schule geben als die vierklassige Volksschule. Das Ziel dieser Volksschule hat lediglich zu sein: Einfaches Rechnen bis höchstens 500, Schreiben des Namens, eine Lehre, dass es ein göttliches Gebot ist, den Deutschen gehorsam zu sein, und ehrlich, fleißig und brav zu sein. Lesen halte ich nicht für erforderlich. Außer dieser Schule darf es im Osten überhaupt keine Schule geben […]. Die Bevölkerung des Generalgouvernements setzt sich dann zwangsläufig, nach einer konsequenten Durchführung dieser Maßnahmen, im Laufe der nächsten zehn Jahre aus einer verbleibenden minderwertigen Bevölkerung […] zusammen. Diese Bevölkerung wird als führerloses Arbeitsvolk zur Verfügung stehen und Deutschland jährlich Wanderarbeiter und Arbeiter für besondere Arbeitsvorkommen (Straßen, Steinbrüche, Bauten) stellen.}}<br />
<br />
Ebenso wurden die Industrie enteignet und rund 900.000 Polen als [[NS-Zwangsarbeit|Zwangsarbeiter]] ins Reich [[Deportation|deportiert]]. Durch die Einführung von [[Sondergericht#Zeit des Nationalsozialismus|Sondergerichten]] der Besatzungsmacht wurden die Polen in ihrem eigenen Land zu vollkommen rechtlosen Subjekten degradiert.<ref>Włodzimierz Borodziej: ''Der Warschauer Aufstand 1944.'' Fischer, Frankfurt am Main 2004, S. 23 ff.</ref> In seiner Reichstagsrede vom 6.&nbsp;Oktober 1939 hatte Hitler bereits angekündigt, dass größere Umsiedlungen erfolgen müssten, um in Osteuropa zersplitterte deutsche Volksgruppen ins Reich zurückzuführen. Auf Grund von [[Deutsch-Sowjetischer Grenz- und Freundschaftsvertrag|Staatsverträgen]] wurden [[volksdeutsche]] Bevölkerungsgruppen in zwei [[Heim ins Reich|Auswanderungswellen]] aus [[Wolhyniendeutsche|Wolhynien]], Ost[[Galiziendeutsche|galizien]], der [[Bukowinadeutsche|Bukowina]] und [[Bessarabiendeutsche|Bessarabien]] sowie hauptsächlich aus dem [[Baltendeutsche|Baltikum]] aus- und im Wartheland neu angesiedelt. Zu diesem Zweck wurde im Warthegau auf Anordnung der Behörden durch rücksichtslose Überführung von 1,2&nbsp;Millionen Polen und 300.000 Juden in das Generalgouvernement Platz geschaffen unter Formen, die später auf die deutschen Volksgruppen zurückwirken sollten.<br />
<br />
Im Laufe des Krieges wurde das Generalgouvernement auch ein Hauptschauplatz des [[Holocaust]]s. Insgesamt kamen 2,7&nbsp;Millionen polnische Staatsbürger jüdischer Abstammung im industrialisierten Massenmord zu Tode.<ref>Wolfgang Benz (Hrsg.): ''Dimension des Völkermords. Die Zahl der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus.'' dtv, München 1996.</ref> Der deutsche Generalgouverneur [[Hans Frank]] sagte bereits im Februar 1940 zu einem Journalisten:<ref>Włodzimierz Borodziej: ''Der Warschauer Aufstand 1944.'' Fischer, 2001, ISBN 3-10-007806-3, S. 27.</ref> {{"|In Prag waren z.&nbsp;B. große rote Plakate angeschlagen, auf denen zu lesen war, dass heute 7&nbsp;Tschechen erschossen worden sind. Da sagte ich mir; wenn ich für je 7&nbsp;erschossene Polen ein Plakat aushängen lassen wollte, dann würden die Wälder Polens nicht ausreichen das Papier herzustellen für solche Plakate.}}<br />
<br />
Die UdSSR initiierte im [[Sowjetische Besetzung Ostpolens|besetzten Ostpolen]] von 1939 bis 1941 eine Sowjetisierungspolitik. Herausstechendste Merkmale dieses Vorhabens waren Bodenreform, Zwangskollektivierung, Auflösung gesellschaftlicher Vereine und die Verstaatlichung der Industrie. Diese Umgestaltung nach dem Vorbild des [[Kommunismus|kommunistischen]] Staates ging mit Repressionen gegenüber der Bevölkerung einher. Erschießungen, Verhaftungen und Verurteilungen gingen über in massenhafte Deportationen in [[GULAG|Straflager]] auf sowjetischem Boden. Diese Repressionen folgten einem sozialen Raster. Besonders im Blick der sowjetischen Organe standen Grundbesitzer, ehemalige Staatsbedienstete, Unternehmer, Politiker der nicht-kommunistischen Parteien, Priester und Intellektuelle. Die Schätzungen über die Zahl der Verschleppten reichen von 700.000 bis 1,8 Millionen Menschen.<ref>Włodzimierz Borodziej: ''Der Warschauer Aufstand 1944.'' Fischer, 2001, ISBN 3-10-007806-3, S. 25, S. 43.</ref><ref>Norman Davies: ''Rising '44.'' Pan Books, London 2004, S. 32 f.</ref><ref>[[Antoni Kuczyński]]: [http://www.expolis.de/schlesien/texte/kuczynski.html ''Die Deportation von Polen durch die Sowjetmacht im Zweiten Weltkrieg.''] abgerufen am 4. Juni 2007.</ref><br />
<br />
=== Polnische Exilregierung ===<br />
[[Datei:W.Sikorski.jpg|mini|hochkant|Polnische Briefmarke zum ''100. Geburtstag von Władysław Sikorski'' von 1981]]<br />
{{Hauptartikel|Polnische Exilregierung}}<br />
Nachdem ihr Land militärisch besiegt und geteilt worden war, gelang es etwa 85.000 polnischen Soldaten und Offizieren sowie einer großen Zahl polnischer Politiker, nach [[Frankreich]] zu fliehen. Andere Teile des polnischen Militärs flohen zusammen mit dem polnischen Präsidenten [[Ignacy Mościcki]] und dem Oberbefehlshaber der Streitkräfte nach [[Rumänien]], wo beide Politiker interniert und die Soldaten entwaffnet wurden. Für den somit eingetretenen Fall, dass der Präsident sein Amt nicht mehr ausüben könne, sah die polnische Verfassung die Übergabe der Regierungsgewalt vor; aus diesem Grund ernannte Ignacy Mościcki den in Frankreich verweilenden [[Władysław Raczkiewicz]] zu seinem Nachfolger. Dieser bildete aus den Mitgliedern der größten politischen Parteien, die nach Frankreich geflohen waren, eine neue Regierung mit General [[Władysław Sikorski]] an der Spitze und General [[Kazimierz Sosnkowski]] als dessen Stellvertreter. Damit war am 30.&nbsp;September 1939 die [[polnische Exilregierung]] in Frankreich entstanden, die sofort von der Regierung Frankreichs und kurz darauf von den Regierungen Großbritanniens und der USA als einzige rechtmäßige polnische Regierung anerkannt wurde. Nach der Niederlage Frankreichs 1940 flüchteten diese Regierung und ein Teil des Militärs nach London.<br />
<br />
=== Widerstand und Untergrundstaat ===<br />
{{Hauptartikel|Polnischer Untergrundstaat}}<br />
In Folge der Unterdrückung durch die Deutschen bildete sich rasch ein polnischer Untergrundstaat, der an die lange Tradition des polnischen Widerstandes gegen fremde Besatzer im Rahmen der [[Teilungen Polens]] anschloss. Ein geheimes Presse- und Sozialfürsorgewesen wurde ebenso organisiert wie „illegale“ Hochschulen. Die Geldmittel hierfür stammten aus der Bevölkerung selbst oder aus Mitteln, die aus London eingeschleust worden waren.<ref>Włodzimierz Borodziej: ''Der Warschauer Aufstand 1944.'' Fischer, 2001, ISBN 3-10-007806-3, S. 33 f.</ref><ref>Norman Davies: ''Rising '44.'' Pan Books, London 2004, S. 184–188.</ref> Dieser zivile Arm des Widerstandes ging nahtlos in den Aufbau bewaffneter Verbände über. Die polnischen Militärs hatten bereits am 27. September 1939, also kurz vor der Kapitulation, und noch vor der Entstehung der Exilregierung, die Untergrundorganisation ''Służba Zwycięstwu Polsce'' (''Dienst für den Sieg Polens'', SZP) gegründet.<ref>Włodzimierz Borodziej: ''Der Warschauer Aufstand 1944.'' Fischer, 2001, ISBN 3-10-007806-3, S. 56.</ref> Des Weiteren bildeten sich bereits Wochen nach der Niederlage der regulären Armee spontan weitere Widerstandsgruppen. Sie speisten sich vorwiegend aus dem Reservoir ehemaliger Offiziere und Beamter sowie aus den Jugendorganisationen der Parteien. Insbesondere Pfadfinderorganisationen ''([[Szare Szeregi]])'' stellten später einen großen, und oftmals besonders motivierten Teil der Rekruten für den Widerstand.<br />
<br />
Der polnische Widerstand ordnete sich der Exilregierung unter, da er seinem Selbstverständnis nach von Beginn an eine Fortsetzung der [[Zweite Polnische Republik|Zweiten Republik]] war. Die Exilregierung bemühte sich, all diese Widerstandsgruppen zusammenzuschließen, sodass bis zum Jahreswechsel 1943/44 der ZWZ (poln.: ''Związek Walki Zbrojnej''; dt.: ''Verband für den Bewaffneten Kampf'') entstand, der den größten Teil des polnischen Widerstandes in sich vereinte. Der vereinigte Widerstand wurde im Weiteren als ''Armia Krajowa'' (dt.: ''Heimatarmee''; Abkürzung: ''AK'') bezeichnet. Sie umfasste 1944 insgesamt rund 300.000–350.000 Mitglieder. Diesem Bündnis blieben nur die Kräfte der extremen Rechten und der extremen Linken fern: Auf der einen Seite die rechtsnational-antikommunistische [[Narodowe Siły Zbrojne|NSZ]]-Miliz, welche in einigen Fällen sogar mit den deutschen Besatzern zusammenarbeitete, aber nur rund 35.000<ref>Norman Davies: ''Boże Igrzysko. Historia Polski.'' Wydawnictwo Znak, Kraków 2003, S. 925.</ref> Anhänger besaß, auf der anderen Seite die kommunistische [[Armia Ludowa]] (dt.: ''Volksarmee''; Abkürzung: ''AL''), die sich nach dem [[Unternehmen Barbarossa|Überfall auf die Sowjetunion]] als Gegenpol zur AK aufzubauen versuchte. Sie erreichte bis zu 100.000 Mitglieder.<ref>Norman Davies: ''Boże Igrzysko. Historia Polski.'' Wydawnictwo Znak, Kraków 2003, S. 926.</ref><ref>Włodzimierz Borodziej: ''Der Warschauer Aufstand 1944.'' Fischer, 2001, ISBN 3-10-007806-3, S. 30–37.</ref><br />
<br />
London und die AK-Führung in Polen waren sich einig, dass die Hauptaufgaben des Widerstandes darin bestehen sollten, Spionagearbeit für die Alliierten zu leisten, die deutsche Rüstung und das Transportwesen durch Sabotageakte zu schädigen, und besonders brutale Aktionen des Besatzers zu vergelten. Man wollte zunächst keine offenen kriegerischen Aktionen durchführen. Zum einen wegen der zu Beginn noch geringen militärischen Stärke des ZWZ, zum anderen, um seitens der deutschen Besatzer keine Repressionen gegenüber der Zivilbevölkerung zu provozieren. Der Befehlshaber des ZWZ im Untergrund, Oberst [[Stefan Rowecki]] schrieb im November 1939: ''Der Widerstand kann erst dann offen auftreten, wenn Deutschland zusammenbricht, oder zumindest ein Bein einknickt. Dann sollten wir fähig sein, im zweiten Bein Adern und Sehnen durchzuschneiden, damit der deutsche Koloss umfällt.''<ref>Włodzimierz Borodziej: ''Der Warschauer Aufstand 1944.'' Fischer, 2001, ISBN 3-10-007806-3, S. 57–59.</ref><br />
<br />
Der Widerstand radikalisierte sich erst, als man erkannte, dass sein „gemäßigtes“ Auftreten keinen Einfluss auf die radikale Unterdrückung und Vernichtung der Polen und Juden durch die deutschen Besatzer hatte. 1943 wurde die ''Kedyw'' als Organisation für [[Sabotage]] und Diversionsakte gegründet. Unter ihrer Ägide wurden Brandanschläge, Diversionsakte, Gefangenenbefreiungen und sogar Anschläge auf [[Schutzstaffel|SS]]-Führer geplant und durchgeführt. Der Widerstand stand über Kuriere in Verbindung mit der polnischen Exilregierung und wurde von ihr finanziell und – zu einem geringen Ausmaß – auch mit Waffen unterstützt.<ref>Norman Davies: ''Rising '44.'' Pan Books, London 2004, S. 196 ff.</ref> Ebenso betrieb der Widerstand groß angelegte Spionageoperationen im Dienste der Alliierten. So wurde im Juli 1944 eine zerlegte [[Aggregat 4|V2]]-Rakete, die von polnischen Widerstandskämpfern erbeutet worden war, von der [[Royal Air Force|RAF]] nach England ausgeflogen. Während des [[Aufstand im Warschauer Ghetto|Aufstandes im Warschauer Ghetto]] im Sommer 1943 versuchten Kämpfer der Heimatarmee, Hilfe zu organisieren.<ref>Norman Davies: ''Rising '44.'' Pan Books, London 2004, S. 102.</ref><br />
<br />
=== Diplomatie und Politik ===<br />
Die polnische Regierung befand sich innerhalb der Allianz in einem schweren Spannungsfeld. Ihr einziges Kapital nach der Niederlage waren die [[Polnische Streitkräfte im Westen|polnischen Truppen]], die an der Westfront kämpften. Schon vor dem Beginn des Krieges machte die britische Regierung den Polen klar, dass sich ihre Garantien als Bündnispartner nur gegen das Deutsche Reich erstreckten, nicht gegen die Sowjetunion. Mit diesem Schritt wollte [[Arthur Neville Chamberlain|Chamberlain]] sich Stalins Neutralität im Krieg sichern.<ref>Włodzimierz Borodziej: ''Der Warschauer Aufstand 1944.'' Fischer, 2001, ISBN 3-10-007806-3, S. 3 ff.</ref> Im Jahre 1941 erreichte der Einfluss Polens innerhalb der Allianz durch den deutschen Überfall auf die Sowjetunion und den [[Eintritt der Vereinigten Staaten in den Zweiten Weltkrieg|Kriegseintritt]] der [[Vereinigte Staaten|USA]] einen Tiefpunkt. Im [[Sikorski-Maiski-Abkommen|polnisch-sowjetischen Vertrag vom 30. Juli 1941]] erklärte die sowjetische Regierung den Hitler-Stalin-Pakt zwar für null und nichtig, eine Zusicherung der Rückgabe annektierter Gebiete gab sie allerdings nicht. Der britische Geheimdienst [[Special Operations Executive|SOE]] schloss auf Drängen der Regierung mit der sowjetischen Geheimpolizei [[NKWD]] ein Abkommen, das die Zahl der Waffenlieferungen an den polnischen Widerstand beschnitt. Die AK erhielt somit zwischen 1941 und 1944 etwa 600 Tonnen Material, während der griechische Widerstand etwa 6000 Tonnen und der französische Widerstand etwa 10.500 Tonnen erhielt.<ref>SOE-NKWD-Abkommen und Zahlen: Włodzimierz Borodziej: ''Der Warschauer Aufstand 1944.'' Fischer, 2001, ISBN 3-10-007806-3, S. 53.</ref><br />
<br />
Einziger wirklicher Lichtblick war der Aufbau einer polnischen Armee in Russland, aus den vormals deportierten polnischen Staatsangehörigen ([[Anders-Armee]]). Bereits im Oktober folgte allerdings ein Skandal, als der britische Botschafter in Moskau eine Denkschrift vorlegte, die der Sowjetunion die Hoheitsrechte über das Baltikum und den annektierten Teil Polens zusicherte.<ref>Włodzimierz Borodziej: ''Der Warschauer Aufstand 1944.'' Fischer, 2001, ISBN 3-10-007806-3, S. 42 ff.</ref> Das angespannte polnisch-sowjetische Verhältnis wurde durch Probleme bei der Aufstellung der Anders-Armee noch mehr belastet. Die Soldaten klagten über mangelnde Nahrungsversorgung und Bewaffnung. Des Weiteren wurden Rekruten aus dem ehemals sowjetisch besetzten Ostpolen nicht zugelassen, sofern sie Weißrussen, Ukrainer oder jüdischer Abstammung waren. 1942 wurde die Armee dann über [[Iran|Persien]] in britische Hoheitsgebiete überführt.<ref>Włodzimierz Borodziej: ''Der Warschauer Aufstand 1944.'' Fischer, 2001, ISBN 3-10-007806-3, S. 49 f.</ref><br />
<br />
Im Januar 1941 stellte die Sowjetunion mit dem [[Bund Polnischer Patrioten]] (poln. ''Związek Patriotów Polskich''; Abkürzung: ''ZPP'') eine kommunistische Gegenorganisation zur Exilregierung zusammen. Außerdem existierte seit 1942 die kommunistische [[Polska Partia Robotnicza|Polnische Arbeiterpartei]] mit ihrer AL-Miliz im polnischen Untergrund. Den endgültigen Bruch zwischen Stalin und Sikorski bewirkte die Bekanntmachung des [[Massaker von Katyn|Massakers von Katyn]] durch deutsche [[Nationalsozialistische Propaganda|Propagandastellen]] 1943. Im September 1939 waren 14.552 polnische [[Kriegsgefangene des Zweiten Weltkrieges|Kriegsgefangene]], v.&nbsp;a. Offiziere, Soldaten, Reservisten, Polizisten und Intellektuelle durch den sowjetischen NKWD verschleppt worden und galten seitdem als vermisst. Die polnische Regierung schenkte den deutschen Berichten Glauben und forderte das [[Internationale Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung|Rote Kreuz]] auf, Nachforschungen anzustellen. Es konnten von 4363 [[Exhumierung|exhumierten]] Leichen 2730 als polnische Soldaten identifiziert werden, die allesamt durch [[Genickschuss]] getötet worden waren.<ref>Zahlen zu den Exhumierungen: [[Christian Zentner]] (Hrsg.): ''Der Zweite Weltkrieg. Ein Lexikon.'' Wien, S. 288.</ref> Damit war das Schicksal eines Teils der Kriegsgefangenen geklärt. Nach diesem Vorfall brach der sowjetische Außenminister [[Wjatscheslaw Michailowitsch Molotow|Molotow]] die diplomatischen Beziehungen zur Exilregierung im April 1943 ab, nachdem Sikorski eine weitere Zusammenarbeit aufgrund der Vorkommnisse für unmöglich hielt. Des Weiteren verstärkte die sowjetische Führung ihre Bemühungen, die ''ZPP'' als Gegenregierung aufzubauen und hob unter General [[Zygmunt Berling]] die 1. Polnische Armee unter sowjetischem Kommando aus.<ref>Norman Davies: ''Rising '44.'' Pan Books, London 2004, S. 132, S. 152–154, S. 183.</ref><br />
<br />
Während dieser Krisenzeit kam der polnische Staatschef Sikorski unter ungeklärten Umständen bei einem [[Flugzeugabsturz bei Gibraltar (1943)|Flugunfall bei Gibraltar]] ums Leben – und der Exilregierung damit eine Integrations- und Führungsfigur abhanden. Die britische Regierung bezeichnete das Massaker an den verbündeten Offizieren wider besseres Wissen als deutsches Verbrechen.<ref>Włodzimierz Borodziej: ''Der Warschauer Aufstand 1944.'' Fischer, 2001, ISBN 3-10-007806-3, S. 49 ff.</ref><ref>Norman Davies: ''Rising '44.'' Pan Books, London 2004, S. 44 f.</ref><br />
<br />
=== Aufstandsplanungen ===<br />
[[Datei:Błyskawica and other insurgent weapons.jpg|mini|Im besetzten Polen von der AK hergestellte Schusswaffen im Museum des Warschauer Aufstandes (2007)]]<br />
[[Datei:Warsaw tank 6789345632.jpg|mini|Zwei [[Panzerkampfwagen V Panther]] wurden von der Polnischen Heimatarmee eingesetzt.]]<br />
Am 20. November 1943 formulierte die AK-Führung unter Bór-Komorowski einen ersten Plan, militärisch gegen die deutschen Besatzer vorzugehen. Der erste Entwurf der [[Aktion Burza]] ''(Gewittersturm)'' sah die Aktivierung größerer Partisanenverbände auf dem Lande vor, die nach dem Zurückdrängen der Deutschen eine unabhängige polnische Verwaltung bilden sollten. In [[Wolhynien]] sollte diese Methode als erstes umgesetzt werden. Allerdings schafften es die dortigen drei [[Division (Militär)|Divisionen]] der AK nicht, die Provinz von den Besatzern zu befreien. Sie wurden unter großen Verlusten nach [[Polesien]] und [[Lublin]] abgedrängt.<ref>Włodzimierz Borodziej: ''Der Warschauer Aufstand 1944.'' Fischer, 2001, ISBN 3-10-007806-3, S. 80 f.</ref> Daraufhin überdachte die AK-Führung ihre Vorgehensweise. Entlang des Vorstoßes der Roten Armee durch Polen sollten von nun an die umliegenden AK-Einheiten versuchen, die großen Städte gegen die zurückweichenden Deutschen zu erobern und somit diese vor den anrückenden sowjetischen Truppen in Besitz nehmen. Die Methode, die Städte mit einem Angriff aus den ländlichen Gebieten allein zu erobern, erwies sich allerdings als Fehlschlag. Die lokalen AK-Truppen waren auf eine Zusammenarbeit mit der Sowjetarmee angewiesen, um die Städte einzunehmen. Bei der Befreiung von [[Vilnius|Wilna]] am 13.&nbsp;Juli kämpften 6.000 Soldaten der AK Seite an Seite mit den sowjetischen Truppen der [[3. Weißrussische Front|3. Weißrussischen Front]]. Sie wurden allerdings bereits einen Tag später unter Zwang von den sowjetischen Truppen entwaffnet,<ref>Włodzimierz Borodziej: ''Der Warschauer Aufstand 1944.'' Fischer, 2001, ISBN 3-10-007806-3, S. 85 ff.</ref> die Offiziere verhaftet.<br />
<br />
Ein weiterer Prüfstein für die AK-Führung war die Zusammenarbeit mit der Sowjetarmee im Raum [[Lublin]]. Dort kämpften drei Divisionen der Heimatarmee in Zusammenarbeit mit der 2.&nbsp;Sowjetischen Panzerarmee gegen die Deutschen. Lublin lag westlich der [[Curzon-Linie]] und war im Gegensatz zu Wilna von der Sowjetunion 1939 nicht annektiert worden. Deshalb erhofften die AK-Kommandeure eine freundlichere Haltung der Roten Armee. Nach den zehntägigen Kämpfen und der Befreiung Lublins wurden allerdings wieder sämtliche AK-Truppen von den sowjetischen Truppen entwaffnet.<ref>Włodzimierz Borodziej: ''Der Warschauer Aufstand 1944.'' Fischer, 2001, ISBN 3-10-007806-3, S. 89 ff.</ref> Dasselbe wiederholte sich bei [[Lemberg]] und [[Ternopil]].<br />
<br />
Diese Erfahrungen gaben für die AK-Führung ein zwiespältiges Bild ab. Die Widerstandskämpfer konnten aus dem Land nur mit Hilfe der Roten Armee in die Städte eindringen. Ihre Hilfe wurde auch angenommen, sobald der Feind aber in einer Region besiegt war, wurden die AK-Truppen entwaffnet. Bemerkenswert hierbei war das Schweigen der Westmächte, die bei Stalin niemals Einspruch gegen die Entwaffnung der Soldaten ihres polnischen Verbündeten erhoben. Infolgedessen kam das AK-Kommando zum Entschluss, Warschau selbst zum Ort des Aufstandes zu machen. Hier operierten die [[Guerilla]]s selbst aus der Stadt heraus. Des Weiteren sollte der Aufstand als medienwirksame Demonstration der polnischen Unabhängigkeit gegenüber der Sowjetunion dienen.<ref>Włodzimierz Borodziej: ''Der Warschauer Aufstand 1944.'' Fischer, 2001, ISBN 3-10-007806-3, S. 97 f.</ref> Die sowjetische Seite erweckte trotz der Entwaffnungen den Eindruck, sie stünde einem Aufstand freundlich gegenüber. [[Stimme Russlands|Radio Moskau]] sendete am 29.&nbsp;Juli einen Aufruf an die Bürger der Stadt, sich dem Kampf gegen die Deutschen anzuschließen.<ref name="Radio Moskau">Włodzimierz Borodziej: ''Der Warschauer Aufstand 1944.'' Fischer, 2001, ISBN 3-10-007806-3, S. 107.</ref><br />
<br />
Personell war die Heimatarmee (AK) mit rund 45.000 Kämpfern in und um Warschau gut ausgestattet. Unter dem Kommando der kommunistischen Armia Ludowa (AL) standen in Warschau rund 1.300 Soldaten, die sich dem Aufstand anschlossen. Es fehlte allerdings an Waffen, Ausrüstung und Munition. Nur jeder vierte Kämpfer der AK verfügte zu Aufstandsbeginn über eine Schusswaffe.<ref>Norman Davies: ''Rising '44.'' Pan Books, London 2004, S. 183f, S. 256 f.</ref> Nach den Berechnungen des Chefs der Warschauer Kreises der AK [[Antoni Chruściel]] würden die Ressourcen nur für drei bis vier Tage offensives Gefecht oder zwei Wochen defensive Operationen genügen. In Ermangelung eigener Vorräte behalfen sich AK-Kämpfer während des Aufstandes oft mit erbeuteten deutschen Uniformen und Stahlhelmen. Die polnische Führung hoffte allerdings auf Luftunterstützung seitens der Westalliierten und den Einsatz der an der Westfront kämpfenden [[1. Polnische Fallschirmjägerbrigade|polnischen Fallschirmtruppen]].<ref>Norman Davies: ''Rising '44.'' Pan Books, London 2004, S. 419, S. 247.</ref><ref>Włodzimierz Borodziej: ''Der Warschauer Aufstand 1944.'' Fischer, 2001, ISBN 3-10-007806-3, S. 103, S. 115.</ref><br />
<br />
== Der Aufstand ==<br />
[[Datei:Warszawa Powstanie 1944-08-04.jpg|mini|hochkant=1.4|Von den Aufständischen kontrollierte Stadtgebiete (4. August 1944)]]<br />
<br />
=== Erhebung der Heimatarmee ===<br />
[[Datei:Warsaw Uprising - Cossack & Canon (1944).jpg|mini|Kosake des [[XV. SS Kosaken-Kavallerie-Korps]] an einer von den Deutschen als Beutewaffe verwendeten 45-mm-Panzerabwehrkanone sowjetischer Bauart (September 1944)]]<br />
Im Juli 1944 fanden mehrere geheime Sitzungen der AK-Führung in Warschau statt, in denen über verschiedene Varianten des Aufstandes debattiert wurde. Der Chef der [[Polnische Heimatarmee|AK]] in Polen, General [[Tadeusz Komorowski|Bór-Komorowski]], äußerte bereits in der dritten Juli-Woche – auch gegenüber der Exilregierung – die Überzeugung, dass ein bewaffneter Aufstand in kürzester Zeit stattfinden müsse. Man war jedoch vor allem aufgrund des Mangels an Munition und Waffen noch unentschlossen.<br />
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In den nächsten Tagen kam es zu einer Reihe von Ereignissen, die die AK-Führung und die Exilregierung immer mehr davon überzeugten, dass die Zeit für einen bewaffneten Aufstand gekommen sei. Zum einen wusste man vom [[Attentat vom 20. Juli 1944|Attentat am 20. Juli]] auf [[Adolf Hitler|Hitler]] und den gescheiterten Umsturzversuchen, zum anderen verbreiteten sich Meldungen über den [[Operation Cobra|erfolgreichen Ausbruch]] der [[Alliierte#Zweiter Weltkrieg|Alliierten]] aus den Brückenköpfen in der Normandie. Die teilweise Evakuierung deutscher Lagerräume und des administrativen Apparates der Deutschen aus [[Warschau]] ließ einen bevorstehenden Rückzug der [[Wehrmacht]] aus Warschau und einen kurz bevorstehenden allgemeinen Zusammenbruch Deutschlands vermuten.<br />
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Außerdem zeigte die Bildung des [[Lubliner Komitee]]s – einer polnischen kommunistischen Marionettenregierung – durch die Sowjetunion, dass die Sowjetunion ungeachtet aller Proteste ihre eigenen politischen Ziele durchsetzen wollte; am 29. Juli verbreitete die kommunistische AL die Falschmeldung, dass die AK-Einheiten Warschau verlassen hätten. Am gleichen Tag sendete [[Stimme Russlands|Radio Moskau]] einen Aufruf in polnischer Sprache, der die Bevölkerung zur bewaffneten Erhebung aufrief: „Für Warschau, das sich nie ergeben, sondern immer gekämpft hat, hat die Stunde des Kampfes geschlagen!“.<ref name="Radio Moskau" /> Am 31.&nbsp;Juli 1944 fand daraufhin eine weitere Versammlung der AK-Führung in Warschau statt, die zunächst ergebnislos endete; als jedoch am gleichen Tag um 17:30 Uhr der AK-Nachrichtendienst meldete, sowjetische Panzer hätten bereits den Stadtteil [[Praga (Warschau)|Praga]] östlich der [[Weichsel]] erreicht, gab der Chef der AK in Polen, General Bór-Komorowski, im Einvernehmen mit der Delegation der [[Polnische Exilregierung|Exilregierung]] aus London, den Befehl, den Aufstand in Warschau durchzuführen. Alle AK-Verbände sollten am 1.&nbsp;August um 17:00 Uhr zeitgleich gegen die deutschen Besatzer losschlagen.<ref>Włodzimierz Borodziej: ''Der Warschauer Aufstand 1944.'' Fischer, 2001, ISBN 3-10-007806-3, S. 110 f.</ref><ref>Norman Davies: ''Boże Igrzysko. Historia Polski.'' Wydawnictwo Znak, Kraków 2003, S. 932–934.</ref><br />
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Es kam allerdings bereits vor der festgesetzten Stunde zu vereinzelten Feuergefechten zwischen AK-Einheiten und deutschen Truppen, da manche der Zellen zufällig von den Deutschen entdeckt wurden. Damit war das Überraschungsmoment nur in wenigen Fällen gegeben. Des Weiteren erhielten manche Einheiten den Befehl zu spät oder konnten sich bis 17:00 Uhr nicht mehr vollständig sammeln. Die AK-Zellen im Stadtzentrum litten aufgrund der kürzeren Wege in ihren Distrikten weniger unter diesem Manko. Dafür waren sie aber im Gegensatz zu den Kräften im Umland und den Vororten der Stadt schlechter bewaffnet.<ref>Włodzimierz Borodziej: ''Der Warschauer Aufstand 1944.'' Fischer 2001, ISBN 3-10-007806-3, S. 113 ff.</ref><br />
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Trotz dieser Faktoren gelangen den Aufständischen einige Erfolge. So konnten sie im Laufe der ersten Kampftage das 68 Meter hohe [[Prudential-Hochhaus Warschau|Gebäude der Versicherungsgesellschaft ''Prudential'']] als weithin sichtbare Landmarke erobern. Des Weiteren brachten sie das zentrale Postgebäude der Stadt sowie das Elektrizitätswerk unter ihre Kontrolle. Einige wichtige Gebäude wie die Telefonzentrale wurden von ihnen belagert. Ebenso griffen die Widerstandskämpfer die noch bestehenden [[KZ Warschau|Durchgangslager]] planmäßig an und befreiten so zahlreiche KZ-Insassen. Im Großen und Ganzen konnten sie rund die Hälfte Warschaus links der Weichsel unter ihre Kontrolle bringen.<ref name="Borodziej116ff" /><ref>Norman Davies: ''Rising '44.'' Pan Books, London 2004, S. 245 f., 262 f.</ref> Der polnische Befehlshaber General Bór-Komorowski schilderte die Ereignisse wie folgt:<ref>Winston Churchill: ''Der Zweite Weltkrieg.'' S. 951.</ref><br />
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{{Zitat<br />
|Text=Punkt fünf Uhr Nachmittags blitzten, als sie aufgerissen wurden, Tausende von Fenstern. Von allen Seiten ging ein Kugelhagel auf die vorübergehenden Deutschen nieder, zerfetzte ihre marschierenden Kolonnen und prallte gegen die von ihnen besetzten Gebäude. Die Zivilisten verschwanden im Nu von den Straßen, während die sich zum Angriff sammelnden Männer aus den Häusern strömten. Binnen fünfzehn Minuten war die ganze Stadt mit ihrer Million Einwohner zum Kampfplatz geworden. Jeder Verkehr hörte auf. Der große Knotenpunkt Warschau unmittelbar hinter der deutschen Front mit seinen aus Nord, Süd, Ost und West zusammenlaufenden Straßen bestand nicht mehr. Der Kampf um die Stadt war entbrannt.}}<br />
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Viele strategisch wichtige Ziele blieben aber in der Hand der deutschen Besatzungstruppen. So gelang es den AK-Kämpfern nicht, die [[Weichsel]]brücken von deutschen Truppen freizukämpfen. Damit blieb die Ost-West-Verbindung durch die Stadt für deutsche Truppenbewegungen offen, auch wenn sie von den Soldaten der Heimatarmee ständig bedroht wurde. Ebenso konnten die Deutschen die Angriffe auf die beiden Flughäfen der Stadt, die Universitätsgebäude und das Polizeihauptquartier abschlagen.<ref>Włodzimierz Borodziej: ''Der Warschauer Aufstand 1944.'' Fischer 2001, ISBN 3-10-007806-3, S. 114 f.</ref><br />
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Beide Seiten hatten damit ihre Ziele verfehlt. Die Deutschen konnten den Aufstand nicht niederschlagen und die AK hatte die Schlüsselpositionen der Stadt nicht in ihrer Gewalt. Warschau glich nach den ersten Kampftagen einem „Puzzle“ aus deutsch oder polnisch kontrollierten Sektoren, Gruppen beider Seiten waren oftmals isoliert und eingekesselt. Die polnischen Widerstandskämpfer hatten allein am ersten Tag rund 2.500 Soldaten verloren,<ref>Norman Davies: ''Rising '44.'' Pan Books, London 2004, S. 245.</ref> die Deutschen hatten 500 Tote<ref>Włodzimierz Borodziej: ''Der Warschauer Aufstand 1944.'' Fischer, 2001, ISBN 3-10-007806-3, S. 118.</ref> zu beklagen. Am 3. August versuchten Panzereinheiten der [[Fallschirm-Panzer-Division 1 Hermann Göring|Division ''Hermann Göring'']], die Straßenverbindung Richtung Osten wieder für den Nachschub an die Ostfront durchgängig zu machen. Sie scheiterten aber am Feuer der Aufständischen. Ein zweiter Versuch durch ein Grenadier-Regiment der Wehrmacht schlug ebenso fehl. Bei diesen Einsätzen wurden planmäßig polnische Zivilisten von deutschen Truppen als so genannte ''menschliche Schutzschilde'' missbraucht.<ref name="Borodziej116ff" /> Doch auch polnische Einheiten sollen während der ersten Stunden der Kämpfe [[Kriegsverbrechen]] begangen haben. So sollen die Insassen des deutschen Hauptverbandsplatzes in Warschau von AK-Soldaten massakriert worden sein, ebenso gefangene aserbaidschanische Hilfstruppen.<ref>Günther Deschner: ''Warsaw Rising. History of World War II.'' Pan/Ballantine Books, London 1972, S. 34.</ref><br />
<br />
[[Datei:Warsaw Uprising - Captured SdKfz 251 (1944).jpg|mini|„[[Szary Wilk]]“: Von der Armia Krajowa erbeuteter [[Sd.Kfz. 251]] der [[5. SS-Panzer-Division „Wiking“]]]]<br />
Währenddessen war dem deutschen Oberkommando klar geworden, dass die 20.000 Mann starke Warschauer Garnison, von denen lediglich 5.000 als gut ausgebildete und ausgerüstete Kampftruppen angesprochen werden konnten,<ref>Günther Deschner: ''Warsaw Rising. History of World War II.'' Pan/Ballantine Books, London 1972, S. 45.</ref> nicht in der Lage war, den Aufstand niederzuschlagen. Der Vorschlag des Chefs des deutschen Heeres-Generalstabs [[Heinz Guderian|Guderian]], Warschau in die Operationszone der Wehrmacht einzubeziehen und diese für die Niederschlagung des Aufstandes verantwortlich zu machen, wurde von Hitler zurückgewiesen. Ebenso zeigte sich das Oberkommando der [[9. Armee (Wehrmacht)|9. Armee]] aufgrund der Kämpfe an der Ostfront sehr widerwillig, sich auch noch den Kampf gegen die Aufständischen aufbürden zu lassen. Den Auftrag zur Niederschlagung erhielt der [[Reichsführer SS]] [[Heinrich Himmler]], der SS-Gruppenführer [[Heinz Reinefarth]] damit beauftragte, da der Stadtkommandant Warschaus [[Rainer Stahel]] in seinem Hauptquartier von Aufständischen umzingelt war.<ref>Włodzimierz Borodziej: ''Der Warschauer Aufstand 1944.'' Fischer, 2001, ISBN 3-10-007806-3, S. 142 f.</ref><ref>Norman Davies: ''Rising '44.'' Pan Books, London 2004, S. 252, S. 249.</ref> Diesem standen zunächst eine Kampfgruppe aus verschiedenen intakten und teilweise abgeschnittenen Teilen der Garnison, ein Regiment der [[29. Waffen-Grenadier-Division der SS „RONA“ (russische Nr. 1)|29. Waffen-Grenadier-Division der SS „RONA“]] unter [[Bronislaw Wladislawowitsch Kaminski|Bronislaw Kaminski]], die überwiegend aus Strafgefangenen und [[KZ-Häftling]]en bestehende [[SS-Sondereinheit Dirlewanger|SS-Sturmbrigade Dirlewanger]], der [[Sonderverband Bergmann]], SS-Polizeieinheiten aus Posen ''(Poznań)'' und ein 600 Mann starkes Sicherungsregiment – das aus nicht fronttauglichen, älteren Männern aus dem Stab der 9.&nbsp;Armee bestand – zur Verfügung. Außerdem bekam er Unterstützung durch die Panzerdivision Hermann Göring und das Panzergrenadierregiment 4.<ref>Włodzimierz Borodziej: ''Der Warschauer Aufstand 1944.'' Fischer, 2001, ISBN 3-10-007806-3, S. 118, 120.</ref><ref>Günther Deschner: ''Warsaw Rising. History of World War II.'' Pan/Ballantine Books, London 1972, S. 66.</ref><br />
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=== Massaker in Wola ===<br />
[[Datei:Bundesarchiv Bild 183-R97906 Warschauer Aufstand, Straßenkampf, SS.jpg|mini|Angehörige der [[Waffen-SS]], darunter Soldaten der [[SS-Sondereinheit Dirlewanger]] in Warschau; Aufnahme eines SS-[[Kriegsberichterstatter]]s (August 1944)]]<br />
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[[Datei:Warsaw Uprising 12345.jpg|mini|Straßenzug während des Aufstands im Kampfgebiet]]<br />
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{{Hauptartikel|Massaker von Wola}}<br />
Himmler hatte im Sinne Hitlers bereits Tage zuvor den Befehl gegeben, sämtliche nichtdeutschen Einwohner Warschaus ohne Ansehen von Alter, Geschlecht oder Beteiligung am Aufstand zu töten und die Stadt dem Erdboden gleichzumachen. Durch diese Anordnung wollte er den Widerstand des polnischen Volkes gegen die NS-Herrschaft ein für alle Mal brechen.<ref>Norman Davies: ''Rising '44.'' Pan Books, London 2004, S. 249.</ref> Infolgedessen endete der Angriff der „Kampfgruppe Reinefarth“ gegen den westlichen Stadtteil [[Wola (Warschau)|Wola]] mit einem Massaker an der Zivilbevölkerung. Schätzungen zufolge töteten die deutschen Einheiten zwischen 20.000 und 50.000 polnische Zivilisten.<ref>Norman Davies: ''Rising '44.'' Pan Books, London 2004, S. 253.</ref> Die Einheiten vermieden es sogar, den Kampf gegen die Heimatarmee aufzunehmen. Der Kommandeur der in Wola liegenden AK-Einheiten bezeichnete seine Verluste an Soldaten mit 20 Toten und 40 Verwundeten. Reinefarth beschwerte sich unterdessen bei seinen Vorgesetzten, dass die ihm zugeteilte Munition nicht ausreiche, um alle gefangenen Zivilisten zu erschießen.<ref>Hans von Krannhals: ''Der Warschauer Aufstand 1944.'' Frankfurt am Main 1962, S. 312.</ref> Die Wirkung des Massakers auf die Zivilbevölkerung ließ nicht auf sich warten. Wer konnte, versuchte sich in einen von Widerstandskämpfern kontrollierten Bereich der Stadt zu retten. Dadurch wurde der Kampfgeist der polnischen Soldaten gestärkt, aber es wurde damit auch der Grundstein für die Versorgungsprobleme und Überfüllung hinter den Stellungen des Widerstandes gelegt.<ref>Włodzimierz Borodziej: ''Der Warschauer Aufstand 1944.'' Fischer, 2001, ISBN 3-10-007806-3, S. 123.</ref><br />
<br />
Am 6. August beschränkte der neu eingetroffene Oberbefehlshaber [[Erich von dem Bach-Zelewski]] den Massenmord aus taktischen Gründen. Frauen, Alte und Kinder wurden vom Erschießungsbefehl ausgeschlossen und die Durchführung des Massenmords wurde von den eigentlichen Kampfeinheiten auf speziell gebildete [[Einsatzgruppen]] hinter der Front verlagert. Damit sollte der Fortgang der Morde auch vor der Zivilbevölkerung verschleiert werden.<ref>Norman Davies: ''Rising '44.'' Pan Books, London 2004, S. 252 f.</ref><br />
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=== Internationale Situation ===<br />
[[Datei:Poland Beskid Niski Krzywa Banica Monument Of Polish 2nd War Pilots.jpg|mini|Gedenkstein für eine polnische [[Handley Page Halifax|Halifax]]-Besatzung, die beim Rückflug von Warschau abgeschossen wurden]]<br />
Während der ersten Aufstandstage hatte sich auch die Lage der Roten Armee verändert. Im Rahmen ihrer [[Operation Bagration|Westoffensive]] wurde sie von der Wehrmacht schon am 1.&nbsp;August kurz vor Warschau zurückgeschlagen. Bei dem deutschen Gegenangriff wurde das führende sowjetische Panzerkorps zeitweise abgeschnitten und die Rote Armee der Initiative beraubt. Der Oberbefehlshaber der [[1. Weißrussische Front|1.&nbsp;Weißrussischen&nbsp;Front]] [[Konstantin Konstantinowitsch Rokossowski|Konstantin Rokossowski]] sah dies allerdings nur als einen kurzzeitigen Misserfolg. Er legte bereits wenige Tage später einen Operationsplan vor, bei dem er die Einnahme Warschaus zum 10. August anvisierte. Dieser Plan wurde allerdings von höheren Stellen abgelehnt und die Rote Armee vor Warschau angewiesen, in defensiver Position zu verweilen. Aufgrund mangelnder Quellenlage ist nicht klar, ob die Ablehnung aus der politischen oder militärischen Führung der Sowjetunion herrührte.<ref>Włodzimierz Borodziej: ''Der Warschauer Aufstand 1944.'' Fischer, 2001, ISBN 3-10-007806-3, S. 127 ff.</ref><ref>Bernd Martin, Stanisława Lewandowska (Hrsg.): ''Der Warschauer Aufstand 1944.'' Warschau 1999, S. 90.</ref><br />
<br />
Seit dem 30. Juli befand sich der Nachfolger Sikorskis als Premier, [[Stanisław Mikołajczyk]], in Moskau, um die diplomatischen Spannungen mit dem sowjetischen Verbündeten auszuräumen. Ab dem 3. August traf er mehrmals mit [[Josef Stalin]] zusammen. Dieser sagte allerdings keinerlei Unterstützung für den Aufstand zu. Er forderte die Anerkennung des kommunistischen Lubliner Komitees und äußerte sich in einigen Bemerkungen sehr abschätzig über die militärischen Fähigkeiten der Aufständischen.<ref>Włodzimierz Borodziej: ''Der Warschauer Aufstand 1944.'' Fischer, 2001, ISBN 3-10-007806-3, S. 126 f.</ref><br />
<br />
Unter dem Druck der fast täglich eintreffenden Hilfsanforderungen und von Lageberichten General Bórs aus Warschau traf sich Mikołajczyk außerdem mit Vertretern der kommunistischen Gegenregierung und machte diesen bezüglich der Verfassung und territorialer Fragen weitgehende Zugeständnisse. Außerdem war er bereit, dem Lubliner Ausschuss vierzehn Sitze in einer kombinierten Regierung einzuräumen.<ref>Winston Churchill: ''Der Zweite Weltkrieg.'' S. 953, 955.</ref> Wenige Tage später, am 9. August, sicherte Stalin ihm jegliche Unterstützung für die Heimatarmee in Warschau zu. Daraufhin verließ der polnische Premier Moskau Richtung London in dem Glauben, einen maßgeblichen außenpolitischen Erfolg erzielt zu haben.<ref>Włodzimierz Borodziej: ''Der Warschauer Aufstand 1944.'' Fischer, 2001, ISBN 3-10-007806-3, S. 130.</ref> Am 16. August erfolgte aber eine weitere Kehrtwende in der Politik der Sowjetunion. In einem Schreiben an Churchill lehnte Stalin jede Hilfeleistung an den polnischen Widerstand in Warschau ab.<ref>Włodzimierz Borodziej: ''Der Warschauer Aufstand 1944.'' Fischer, 2001, ISBN 3-10-007806-3, S. 133.</ref> Zudem lehnte er ein Gesuch Roosevelts ab, [[United States Army Air Forces|US-Flugzeuge]] auf sowjetischen Flugplätzen zwischenlanden zu lassen, um Warschau zu unterstützen. Dies war bereits mehrmals im Rahmen der [[Operation Frantic]] vorexerziert worden. Hierbei waren US-Bomber und Jäger in der Ukraine zwischengelandet und hatten jeweils auf dem Hin- und Rückflug militärische Ziele in [[Ungarn]], [[Rumänien]] und [[Polen]] bombardiert. Die Erfolgsaussichten dieser Missionen waren aufgrund der Jagdeskorte und der schieren Anzahl der US-Bomber weitaus erfolgversprechender als die bisherigen Flüge der [[Royal Air Force]] von Italien aus.<ref>Włodzimierz Borodziej: ''Der Warschauer Aufstand 1944.'' Fischer 2001, ISBN 3-10-007806-3, S. 137.</ref><ref>Norman Davies: ''Rising '44.'' Pan Books, London 2004, S. 311.</ref><br />
<br />
Am 4. August starteten die ersten Flüge der alliierten Luftwaffe in Richtung Warschau. Zwei Maschinen überflogen Warschau in der Nacht des 4.&nbsp;August, drei weitere erschienen dort vier Nächte später. Dabei warfen polnische, britische und [[Dominion]]-Besatzungen Waffen, Munition und Versorgungsgüter ab. Die Zahl der Flüge blieb jedoch gering und völlig unzureichend.<ref>W. Churchill: ''Der Zweite Weltkrieg.'' S. 952.</ref> Der einzige groß angelegte Hilfsflug mit über 100 Flugzeugen erfolgte erst am 18. September durch die Amerikaner, nachdem mehrere alliierte Anfragen bezüglich der Nutzung sowjetischer Flugplätze stets ablehnend beantwortet wurden. Dies war gleichzeitig die letzte ''Frantic''-Mission, da Stalin anschließend seine Zustimmung verweigerte.<br />
<br />
=== Kampf um die Altstadt ===<br />
[[Datei:Opaska powstancza.jpg|mini|Armbinde, mit der Abkürzung WP, die viele der Aufständischen trugen. Das Kürzel steht für ''Wojsko Polskie'' ([[Polnische Streitkräfte]]).]]<br />
Am 13. August 1944 begannen die Deutschen mit 39.000 Soldaten die Offensive gegen die Aufständischen in der [[Warschauer Altstadt|Altstadt]]. Von dem Bach-Zelewski hatte dieses Ziel gewählt, um die Eisenbahnbrücken und somit die Nachschubverbindung zur 9. Armee, die an der Ostfront kämpfte, wiederherzustellen. Ihnen gegenüber standen 6.000 Kämpfer des Widerstands, die sich in dem wenige Quadratkilometer großen Stadtviertel mit rund 100.000 Zivilisten befanden. Die deutschen Truppen gingen dabei im Schutz von Panzern und unterstützt durch [[Artillerie]] und Luftwaffe entlang der Straßen vor. Diese Vorgehensweise scheiterte an der [[Guerilla]]taktik der Aufständischen. Insbesondere der Einsatz polnischer [[Scharfschütze]]n wurde von deutschen Stellen als besonders wirksam beschrieben. Es dauerte mehrere Tage, bis die Deutschen grundlegende Taktiken der Aufständischen übernahmen und anstatt der Bewegung unter freiem Himmel Mauerdurchbrüche und Kellergänge sowie hauptsächlich die Kanalisation zur Fortbewegung nutzten. In diesem [[Häuserkampf (Militär)|Häuserkampf]] konnten sie aber ihre zahlenmäßige Überlegenheit an Menschen und schweren Waffen kaum mehr zum Tragen bringen. Der Kampf um die Altstadt wurde somit zu einer Schlacht um jeden Raum und jedes Gebäude.<ref>Włodzimierz Borodziej: ''Der Warschauer Aufstand 1944.'' Fischer, 2001, ISBN 3-10-007806-3, S. 144ff, Frankfurt am Main 2004, S. 144 ff.</ref><br />
<br />
Bis zum 21. August hatten die deutschen Truppen die AK auf ein Gebiet von einem Quadratkilometer zurückgedrängt. Sie hatten bis zu diesem Datum rund 2.000 Soldaten durch Tod oder Verwundung verloren. Die deutschen Verluste beliefen sich bis zum 26. August auf rund 4.000 Mann.<ref>Włodzimierz Borodziej: ''Der Warschauer Aufstand 1944.'' Fischer, 2001, ISBN 3-10-007806-3, S. 151.</ref> Am 31. August entschloss sich das AK-Kommando der Altstadt, die restlichen Kämpfer und Zivilisten zu evakuieren. Sie zogen sich unbemerkt von den Deutschen über die [[Kanalisation]] in das von der AK kontrollierte Stadtzentrum zurück. Da sich die deutschen Truppen auf die Altstadt konzentriert hatten, waren die restlichen Enklaven des Widerstandes noch relativ unberührt. Der Anblick der evakuierten Zivilpersonen aus der Altstadt erwies sich für die dortige Bevölkerung oftmals als Schock. Wasser war im umkämpften Viertel knapp gewesen, da die Deutschen die Wasserversorgung der ganzen Stadt unterbrochen hatten. Die Benutzung von Brunnen bedeutete unter Artilleriebeschuss und Bombardement Lebensgefahr. Die Bemühungen der Verwaltung der Aufständischen, die medizinische Versorgung aufrechtzuerhalten, scheiterten. Ab dem 20. August waren keine [[Anästhetikum|Anästhetika]] mehr verfügbar und Operationen wurden bei vollem Bewusstsein durchgeführt. Am 22. August wurden die letzten Brotrationen an AK-Kämpfer ausgegeben.<br />
Rund 25.000 bis 30.000 Zivilisten fanden in der Altstadt den Tod. Deutsche Stellen sprachen von rund 35.000 internierten Zivilisten nach der Eroberung des Viertels. Diese Menschen erwartete die Deportation zur Zwangsarbeit in das Deutsche Reich.<ref name="Borodziej154ff" /> Nach der vollständigen Eroberung der Altstadt am 1.&nbsp;September 1944 begannen deutsche Truppen verwundete Zivilisten und AK-Soldaten zu erschießen. Nur in einem Fall verhinderten befreite deutsche Kriegsgefangene, die von ihren polnischen Gegnern im selben Lazarett wie Widerstandskämpfer und Zivilpersonen versorgt worden waren, den Massenmord. Des Weiteren sind Erschießungen gefangener AK-Soldaten durch deutsche Einheiten auch während der Kämpfe belegt.<ref name="Borodziej154ff" /><br />
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Den Aufständischen der anderen Bezirke gelang es während des Kampfs um die Altstadt, einige lokale Erfolge zu erzielen. Sie eroberten einige Enklaven, in denen sich die Besatzungstruppen gehalten hatten, darunter das [[PAST-Gebäude Warschau|Gebäude der Telefongesellschaft PAST]]. Als höchstes Gebäude der Stadt bedeutete seine Erstürmung am 22. August 1944 einen großen moralischen Erfolg.<ref>Norman Davies: ''Rising '44.'' Pan Books, London 2004, S. 326.</ref><br />
Auch versuchten die Aufständischen, durch Angriffe auf strategisch wichtige Gebäude Verbindung untereinander herzustellen. Dort wo die Deutschen aber nicht selbst abgeschnitten waren, schlugen diese fehl, so dass die AK immer noch einen Flickenteppich isolierter Gebiete hielt, die untereinander nicht zusammenwirkten und auch kaum kommunizierten. Ebenso scheiterte der Versuch, größere Reserven über die umliegenden Waldgebiete in die Stadt einzuschleusen.<ref>Włodzimierz Borodziej: ''Der Warschauer Aufstand 1944.'' Fischer, 2001, ISBN 3-10-007806-3, S. 152 f.</ref><br />
<br />
=== Hoffnung und Agonie ===<br />
[[Datei:Bundesarchiv Bild 183-J27793, Warschauer Aufstand, Straßenkämpfe.jpg|mini|Deutsche Infanteristen in den Straßen von Warschau, Aufnahme eines deutschen Kriegs&shy;bericht&shy;erstatters der Waffen-SS]]<br />
Nach dem Fall der Altstadt verteidigte der Widerstand noch drei große Gebiete innerhalb der Stadt. Das Stadtzentrum war von deutschen Truppen in zwei Teile gespalten, doch umfasste es den stärksten Bezirk der AK. Hier befanden sich 23.000 Soldaten und die Verwaltung der Aufständischen war hier am weitesten fortgeschritten. Es gab Zeitungen, einen Postdienst, einen Radiosender sowie eine eigene Waffenproduktion, in der vor allem [[Handgranate]]n gefertigt wurden.<br />
<br />
Im Süden des Zentrums lag [[Mokotów]]. Seit den ersten Aufstandstagen, an denen es zu Kämpfen und Erschießungen durch deutsche Truppen gekommen war (siehe „[[Befriedung Mokotóws]]“), war es hier relativ ruhig geblieben. Ein Versuch, die Verbindung zum Zentrum freizukämpfen, scheiterte allerdings Ende August, so dass Mokotów isoliert blieb. Im Norden des Zentrums hielten die Aufständischen mit dem Bezirk [[Żoliborz]] eine kleinere Insel des Widerstands. Auch hier war die Lage bis zum August vergleichsweise ruhig geblieben.<ref>Włodzimierz Borodziej: ''Der Warschauer Aufstand 1944.'' Fischer, 2001, ISBN 3-10-007806-3, S. 157–161.</ref><br />
<br />
Das Zentrum wurde aus zwei Gründen zum nächsten Angriffsziel der deutschen Besatzer: In ihm verliefen die Straßenverbindungen Richtung Osten und es war aufgrund seiner Größe die Hauptstütze der AK. Von dem Bach-Zelewski begann den Angriff am 2. September 1944. Die Besatzer gingen dabei entlang des westlichen Weichselufers vor, um die Aufständischen von den eventuell anrückenden sowjetischen Truppen abzuschneiden. Wie in den Kämpfen um die Altstadt ergaben sich durch die zähe polnische Verteidigung hohe Verluste unter den deutschen Truppen, doch konnten die Stellungen gegen die materielle Übermacht nicht gehalten werden. Am 6.&nbsp;September besetzten deutsche Truppen das Elektrizitätswerk und zogen den Ring um die Aufständischen immer enger. Bór-Komorowski war von der Aussichtslosigkeit der Lage überzeugt und erbat am 8. September per Funk die Ermächtigung zur Kapitulation von der Exilregierung. Sie wurde ihm gewährt, doch änderte sich die Lage einen Tag später drastisch. Am 9.&nbsp;September griff zum ersten Mal die sowjetische Luftwaffe ein, bombardierte deutsche Stellungen und brach die deutsche Luftherrschaft binnen eines Tages. Tags darauf begann Rokossowskis Angriff auf den östlichen Stadtteil [[Praga (Warschau)|Praga]]. Daraufhin brach der polnische Oberbefehlshaber die Kapitulationsverhandlungen mit dem deutschen Befehlshaber ab. Am 14.&nbsp;September hatte die [[Rote Armee]] das östliche Weichselufer vollständig im Griff. Polen und Russen waren nun nur noch wenige hundert Meter voneinander getrennt.<ref>Włodzimierz Borodziej: ''Der Warschauer Aufstand 1944.'' Fischer, 2001, ISBN 3-10-007806-3, S. 167 ff.</ref><br />
<br />
Die Moral der AK wurde am 18. September nochmals gestärkt. Die Sowjetunion hatte nun doch einen Flug der US-Luftwaffe genehmigt. Insgesamt starteten 110 [[Boeing B-17|B-17 Flying Fortress]], um Versorgungsgüter über der Stadt abzuwerfen. 104 schwere Bomber erreichten ihr Ziel<ref>Winston Churchill: ''Der Zweite Weltkrieg.'' S. 957.</ref> und landeten dann auf dem sowjetischen Stützpunkt [[Poltawa]]. Aufgrund der unübersichtlichen Verhältnisse erreichten aber nur rund 20 % der Container den polnischen Widerstand. Die US-Luftwaffe beantragte die weitere Nutzung sowjetischer Flugplätze zur Durchführung der Hilfsflüge, erhielt aber bis zum Ende des Aufstandes keine Erlaubnis seitens der sowjetischen Führung. Dies blieb somit die einzige Unterstützung des amerikanischen Militärs für den Aufstand.<ref>Norman Davies: ''Rising '44.'' Pan Books, London 2004, S. 377, 381.</ref><br />
<br />
Bereits mehrere Tage zuvor, am 15. September, starteten drei polnische Divisionen Berlings nördlich und südlich der Stadt den Versuch, die Weichsel zu überqueren. Sie wurden dabei von sowjetischer Artillerie und der Roten Luftwaffe unterstützt. Die Kampftruppen der Roten Armee blieben aber immer noch passiv und Berling selbst beschwerte sich über den Mangel an zur Verfügung gestellter Pionierausrüstung für den Übergang. So konnten nur wenige Soldaten und ein geringer Teil an schweren Waffen übergesetzt werden. Nach einer deutschen Gegenoffensive brach Berling den Angriff am 23. September ab und befahl den Rückzug von den Brückenköpfen westlich der Weichsel.<ref>Norman Davies: ''Rising '44.'' Pan Books, London 2004, S. 383.</ref><br />
<br />
Am gleichen Tag eroberten die deutschen Truppen Żoliborz. Nachdem die letzten dortigen AK-Einheiten kapituliert hatten, kam es zu einem Massaker an der Zivilbevölkerung. Vier Tage später kapitulierten die AK-Truppen in Mokotów. Bis zum Oktober hatten die Deutschen den Widerstand im Stadtzentrum nicht brechen können. Doch angesichts der aussichtslosen Lage des Militärs wie der Zivilbevölkerung entschied sich Bór-Komorowski zur Kapitulation. Am 1.&nbsp;Oktober wurde ein Waffenstillstand vereinbart, der am folgenden Tag in Kraft trat. Wenige Tage später erfolgte die Evakuierung der Soldaten und Zivilisten aus Warschau.<ref>Włodzimierz Borodziej: ''Der Warschauer Aufstand 1944.'' Fischer, 2001, ISBN 3-10-007806-3, S. 180 ff.</ref><br />
<br />
Einer der letzten Funksprüche der Armia Krajowa aus dem umkämpften Warschau Anfang Oktober 1944, der in London aufgefangen wurde, lautete:<ref>Winston Churchill: ''Der Zweite Weltkrieg.'' Scherz, 1948, S. 957. Neben 15.000 getöteten Widerstandskämpfern seitens der AK, gibt Churchill 10.000 Tote, 7.000 Vermisste und 9.000 Verwundete deutscherseits an, sowie rund 200.000 Opfer unter der Zivilbevölkerung Warschaus.</ref> <br />
{{Zitat<br />
|Text=Das ist die heilige Wahrheit. Wir sind schlimmer behandelt worden als Hitlers Satelliten, schlimmer als Italien, Rumänien, Finnland. Mag Gott der Gerechte sein Urteil über die furchtbare Ungerechtigkeit fällen, die dem polnischen Volk widerfahren ist, und möge Er alle Schuldigen strafen. Unsere Helden sind die Soldaten, deren einzige Waffe gegen Panzer, Flugzeuge und Geschütze ihre Revolver und Petroleumflaschen waren. Unsere Helden sind die Frauen, die die Verwundeten pflegten und unter Kugeln Meldedienste leisteten, die in zerbombten Kellern für Kinder und Erwachsene kochten, die den Sterbenden Linderung brachten und trösteten. Unsere Helden sind die Kinder, die in den rauchenden Ruinen unschuldsvoll spielten. Das sind die Menschen Warschaus. Ein Volk, in dem solche Tapferkeit lebt, ist unsterblich. Denn jene, die starben, haben gesiegt, und jene, die leben, werden weiterkämpfen, werden siegen und wiederum Zeugnis dafür ablegen, dass Polen lebt, solange Polen leben.}}<br />
<br />
== Folgen ==<br />
[[Datei:Polish civilians murdered by German-SS-troops in Warsaw Uprising Warsaw August 1944.jpg|mini|Von SS-Einheiten im August 1944 ermordete polnische Zivilisten]]<br />
[[Datei:Polish Soldier's Grave Warsaw 1945.jpg|mini|hochkant|Grab eines Aufständischen, Warschau 1945]]<br />
<br />
=== Kriegsfolgen ===<br />
Im militärischen und politischen Sinne konnte die Aufstandsführung ihre Ziele nicht durchsetzen. Der Versuch, die Besatzer aus der eigenen Hauptstadt zu vertreiben, scheiterte. Durch die Aussichtslosigkeit der militärischen Lage stärkte der Aufstand die Position der Exilregierung gegenüber der Sowjetunion nicht, sondern schwächte sie, da man auf die Hilfe der Roten Armee hoffen musste. Auf polnischer Seite starben rund 15.000 Soldaten, 25.000 wurden verwundet.<ref name="Włodzimierz Borodziej 1944" /><ref name="Martin139" /> Schätzungen für die Zivilbevölkerung bewegen sich zwischen 150.000 und 225.000 toten Zivilisten.<ref name="Krannhals214" /><ref name="Martin251" /><ref>zu den zivilen Toten: Norman Davies: ''God’s Playground – A History of Poland.'' Band 2, S. 477.</ref> Dieses massenhafte Leiden der Zivilbevölkerung machte die Exilregierung und die Aufstandsführung zum Ziel von Kritik aus dem eigenen Lager, wie von ihren kommunistischen Konkurrenten.<br />
<br />
Auch die deutsche Seite konnte ihre anfänglichen Ziele nicht durchsetzen, da eine schnelle Niederschlagung des Aufstandes fehlschlug und die Widerstandskämpfer 63 Tage lang gegen die Besatzungstruppen kämpften. Über die Verluste der deutschen Streitkräfte gibt es zwei widersprüchliche Aussagen. Von dem Bach-Zelewski als direkt Verantwortlicher für die Operation gegen den Aufstand sprach in seinem Bericht über den Aufstand von 10.000 Toten, 7.000 Vermissten und 9.000 Verwundeten. Die Akten des Stabes der 9.&nbsp;Armee verzeichneten 2.000 Tote und 7.000 Verwundete, allerdings erheben diese Zahlen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.<ref>zu den deutschen Verlustzahlen: Hans von Krannhals: ''Der Warschauer Aufstand 1944.'' Frankfurt am Main 1962, S. 120 f.</ref> Die Befürchtungen des Oberkommandos der 9.&nbsp;Armee, nämlich einer gleichzeitigen sowjetischen Offensive, bewahrheiteten sich aber nicht. Außerdem konnten nach dem Fall der Altstadt die Nachschublinien über Warschau an die Ostfront relativ schnell wiederhergestellt werden.<ref>Norman Davies: ''Rising '44.'' Pan Books, London 2004, S. 502, S. 626, S. 640.</ref><br />
<br />
Die AK-Führung unter Bór-Komorowski hatte weitgehend versucht, den Anforderungen des Kriegsvölkerrechts (offenes Tragen der Waffe; Armbinden als äußerliches Erkennungszeichen) zu entsprechen, und erhob deshalb während der Kapitulationsverhandlungen für ihre Soldaten Anspruch auf den Kombattantenstatus gemäß der [[Haager Landkriegsordnung]]. Das Gleiche wurde für die kleineren Gruppierungen inklusive der kommunistischen AL vereinbart. Am 30.&nbsp;August hatten zudem die Westmächte die Aufständischen zu Angehörigen der alliierten Streitkräfte erklärt und mit Repressalien gedroht, sollten diese nicht als solche behandelt werden. Die Wehrmacht erkannte deshalb allen etwa 17.000 Gefangenen seit Beginn des Aufstandes (auch den Angehörigen der kommunistischen ''Armia Ludowa'') den Kombattantenstatus zu. Außerdem sollten Transport und Bewachung von Kämpfern und Zivilisten nur durch reguläre Wehrmachteinheiten, nicht aber durch die SS durchgeführt werden. Ein Problem ergab sich durch die 2000 bis 3000 Frauen, die sich unter den Gefangenen befanden. Bisher war kämpfenden Frauen der Kombattantenstatus nicht zuerkannt worden, laut den Kapitulationsverhandlungen standen sie nun allerdings unter dem Schutz des Kriegsvölkerrechts. In den Verhandlungen war auf Wunsch der Widerständler ein Passus aufgenommen worden, der Frauen und Jugendlichen ermöglichte, sich freiwillig als Zivilisten zu bekennen. Die deutsche Kriegsgefangenenverwaltung begann deshalb bald damit, unter Berufung auf diese Bestimmung die Frauen zwangsweise in das Zivilistenverhältnis zu überführen. Erst durch die Proteste des [[Christlicher Verein Junger Menschen|CVJM]] und des [[Internationale Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung|IKRK]] erhielten die Frauen ab Dezember 1944 wieder den Kombattantenstatus.<ref>[[Rüdiger Overmans]]: ''Die Kriegsgefangenenpolitik des Deutschen Reiches 1939 bis 1945.'' In: ''[[Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg]].'' Band 9/2. München 2005, (Hrsg. vom [[Militärgeschichtliches Forschungsamt|Militärgeschichtlichen Forschungsamt]]), S. 753 f.</ref><ref>Norman Davies: ''Rising '44.'' Pan Books, London 2004, S. 426.</ref><br />
<br />
Ebenso hatten die Widerständler dem deutschen Befehlshaber von dem Bach-Zelewski die Zusage abgerungen, Repressalien gegen die Zivilbevölkerung zu unterlassen. Gegenüber den AK-Kämpfern wurden diese Versprechen weitgehend eingehalten, gegenüber den Zivilisten jedoch nur teilweise. Die Warschauer Bevölkerung wurde über das [[Durchgangslager 121 Pruszków]] aus der Stadt deportiert. Von hier aus gelangten 100.000 Warschauer nach dem Ende der Kämpfe als Zwangsarbeiter in das Deutsche Reich. Weitere 60.000 wurden in die Konzentrationslager [[KZ Auschwitz|Auschwitz]], [[KZ Mauthausen|Mauthausen]] und [[KZ Ravensbrück|Ravensbrück]] verbracht. Nach dem Sieg über die polnischen Kräfte verfügte Heinrich Himmler die völlige [[Zerstörung Warschaus|Zerstörung der polnischen Hauptstadt]]. Bis zur Eroberung durch die Rote Armee beschäftigten sich deutsche Truppen mit Sprengungen und Brandstiftungen in der Stadt. Sie konzentrierten sich hierbei vor allem auf kulturell bedeutsame Einrichtungen, wie Schlösser, Bibliotheken und Denkmäler. Durch die Kämpfe des Aufstandes waren rund ein Viertel der Vorkriegsbausubstanz der Stadt zerstört worden. Den deutschen Zerstörungsmaßnahmen nach der Kapitulation fiel ein weiteres Drittel zum Opfer. Warschau war zum Zeitpunkt der Eroberung durch die Rote Armee größtenteils unbewohnbar.<ref>Włodzimierz Borodziej: ''Der Warschauer Aufstand 1944.'' Fischer, 2001, ISBN 3-10-007806-3, S. 206.</ref><ref>Norman Davies: ''Rising '44.'' Pan Books, London 2004, S. 436–439.</ref><ref>Bernd Martin, Stanisława Lewandowska (Hrsg.): ''Der Warschauer Aufstand 1944.'' Warschau 1999, S. 252, S. 140.</ref><br />
<br />
=== Weitere Entwicklung in Polen ===<br />
Am 31. Dezember 1944 erkannte die UdSSR das [[Lubliner Komitee]] [[Unilateralität|einseitig]] als einzige rechtmäßige Regierung Polens an. Zuvor war der polnische Premier Mikołajczyk erfolgreich von den Westalliierten und der Sowjetunion zur Anerkennung der [[Westverschiebung Polens]] gedrängt worden. Die sowjetische Seite hatte dessen Zustimmung sowieso nicht abgewartet. Das NKWD hatte im Oktober 1944 mit der [[Zwangsumsiedlung von Polen aus den ehemaligen polnischen Ostgebieten 1944–1946]] begonnen.<ref>Norman Davies: ''Rising '44.'' Pan Books, London 2004, S. 443 ff.</ref> Als einer der ersten westlichen Beobachter sah [[George Orwell]] den Weg Polens in einen von der Sowjetunion abhängigen [[Satellitenstaat]].<ref>Orwells Artikel in der Tageszeitung „Time and Tide“ wird zitiert in Norman Davies' ''Rising '44'' auf S. 442.</ref><br />
<br />
{{Zitat<br />
|Text=No, the 'Lublin Regime' is no victory for socialism. It is the reduction of Poland to a vassal state … Woe to those who want to maintain their independent views and policies.<br />
|Sprache=en<br />
|Übersetzung=Nein, das ‚Regime von Lublin‘ ist kein Sieg des Sozialismus. Es ist die Herabsetzung Polens zu einem Vasallenstaat. … Not werden diejenigen leiden, die ihre unabhängigen Ziele und Politik behalten wollen.}}<br />
<br />
Dieses Bestreben, die nicht von Moskau abhängigen Kräfte zu unterdrücken, richtete sich auch stark gegen die ehemaligen Widerstandskämpfer. Als die Rote Armee am 17.&nbsp;Januar 1945 auch den westlichen Teil der Stadt im Rahmen der [[Weichsel-Oder-Operation]] eroberte, erging der Befehl an die nachrückenden NKWD-Truppen, noch eventuell vorhandene AK-Elemente einzusperren. Das Lubliner Komitee hatte schon während des Aufstandes in seinen Schriften die AK als Verräter und als von [[Volksdeutsche]]n unterwandert bezeichnet. Die Führung der Heimatarmee wurde der [[Kollaboration#Osteuropa|Kollaboration]] mit Deutschland bezichtigt.<ref>Norman Davies: ''Rising '44.'' Pan Books, London 2004, S. 440, S. 457.</ref><br />
<br />
Im Polen der Nachkriegszeit wurden diese Tendenzen auch schnell mit Hilfe der sowjetischen Sicherheitsdienste vorangetrieben. Im Juni 1945 wurde in Moskau ein Schauprozess gegen den letzten AK-Befehlshaber nach Bór-Komorowski [[Leopold Okulicki]] und mehrere Führer polnischer Parteien veranstaltet. Es wurden Freiheitsstrafen von vier Monaten bis zu zehn Jahren verhängt. Mehrere Verurteilte starben unter ungeklärten Umständen in den sowjetischen Straflagern.<ref>Norman Davies: ''Rising '44.'' Pan Books, London 2004, S. 462 f., 466 ff.</ref> Nach diesem Beispiel richtete sich auch die Behandlung der einfachen Soldaten in Polen selbst. Einige von ihnen wurden in die Sowjetunion deportiert oder in ihrem Heimatland ins Gefängnis geworfen. In Polen selbst folgten Schauprozesse gegen AK-Soldaten bis in die 50er-Jahre. Sie galten als [[Verstoßene Soldaten]]. Des Weiteren waren ehemalige Widerstandskämpfer vom Studium und einer beruflichen Karriere in der kommunistischen Planwirtschaft ausgeschlossen. Ebenso wurde versucht, die Erinnerung an den Aufstand durch die Politik des Einparteienstaates zu vereinnahmen. In den ersten Nachkriegsjahren, als der [[Stalinismus]] in Polen durchgesetzt wurde, wurde der Aufstand von staatlichen Stellen komplett übergangen.<br />
<br />
Im Zuge der [[Tauwetter-Periode]] nach dem Tod Stalins wurden diese Restriktionen gelockert. Am 1.&nbsp;August 1957 wurde das erste Mal im Nachkriegspolen von offizieller Seite des Aufstandes gedacht. Die Kriminalisierung der Aufstandsführung wurde aber in der Propaganda weiter aufrechterhalten. Allerdings versuchte die Regierung, durch die Würdigung der Leistung der Bevölkerung und der einfachen Soldaten den Aufstand für die Legitimation der eigenen Ideologie zu nutzen. In den 60er-Jahren wurden diese Tendenzen noch verstärkt, als man in begrenztem Ausmaß nationalistische Töne dem Andenken des Aufstandes beimischte. Die erste nicht staatlich kontrollierte Diskussion über den Aufstand fand erst im [[Samisdat]] in der Ära der [[Solidarność]]-Bewegung der 80er-Jahre statt.<br />
[[Datei:MPW Wall.JPG|mini|Wand der Erinnerung, 2004]]<br />
<br />
Die Führung der Sowjetunion behielt den Warschauer Aufstand jedoch im Gedächtnis. Während in der DDR 1953, in Ungarn 1956, in der Tschechoslowakei 1968 sowjetische Panzer die Moskauer Parteilinie brutal durchsetzten, blieb Polen in den Krisenjahren [[Posener Aufstand (1956)|1956]], [[Aufstand vom Dezember 1970 in Polen|1970]], 1976 und [[August-Streiks 1980 in Polen|1980]] eine Militärintervention der Sowjetunion erspart. Somit war es möglich, dass sich in Polen eine der liberalsten Gesellschaften Osteuropas entwickeln konnte.<ref>[[Stephen Zaloga]]: ''The Polish Army 1939–45.'' London 1996, S. 30.</ref><br />
<br />
=== Verfolgung der Kriegsverbrecher ===<br />
Die Verfolgung der deutschen [[Kriegsverbrecher]] von Warschau blieb gering. [[Bronislaw Kaminski]] wurde am 28.&nbsp;August 1944 von den Deutschen, angeblich wegen seines brutalen Vorgehens, erschossen. [[Oskar Dirlewanger]] starb unter ungeklärten Umständen in französischer Gefangenschaft.<ref>Oskar Dirlewanger in [http://www.deutsche-und-polen.de/personen/person_jsp/key=oskar_dirlewanger.html deutsche-und-polen.de]; Abgerufen am 31. Dezember 2012.</ref> [[Erich von dem Bach-Zelewski]], der den Kampf gegen die Aufständischen befehligt hatte, wurde in den 1960er-Jahren in der [[Deutschland|Bundesrepublik]] zu lebenslanger Haft verurteilt – allerdings für Morde, die er als SS-Führer vor Kriegsausbruch befohlen hatte.<ref>[http://www.deutsche-und-polen.de/_/personen/person_jsp/key=erich+von+dem_bach-zelewski.html Erich von dem Bach-Zelewski. Rundfunk Berlin-Brandenburg, abgerufen am 16. April 2007].</ref> Der SS-Offizier [[Heinz Reinefarth]] wurde nach dem Krieg Abgeordneter im Landtag von [[Schleswig-Holstein]] und Bürgermeister von [[Westerland]].<ref>Norman Davies: ''Rising '44.'' Pan Books, London 2004, S. 547, 548, 332.</ref><br />
<br />
== Kontroverse um die Rolle der Roten Armee ==<br />
[[Datei:BagrationMap2.jpg|mini|hochkant=1.5|Situation der Roten Armee (22. Juni bis 19. August 1944)]]<br />
<br />
Die sowjetische Regierung gab an, vor dem Aufstand nicht informiert worden zu sein. Am 16. August stellte sie gegenüber den Westmächten fest, ''„dass die Aktion in Warschau ein unüberlegtes, furchtbares Abenteuer darstellt, das die Bevölkerung große Opfer kostet. Das hätte vermieden werden können, wenn das sowjetische Oberkommando vor Beginn der Warschauer Aktion informiert worden wäre und die Polen mit ihm Verbindung unterhalten hätte. Angesichts der entstandenen Lage ist das sowjetische Oberkommando zu der Schlussfolgerung gelangt, dass es sich von dem Warschauer Abenteuer distanzieren muss.“''<ref>Zit. nach: ''Die Geschichte des Großen Vaterländischen Krieges der Sowjetunion.'' Band 4. [[Deutscher Militärverlag]], Berlin 1965, S. 274.</ref><br />
<br />
In der ersten Hälfte des August 1944 stieß die [[2. Panzerarmee (Rote Armee)|2. Panzerarmee]] der 1. Weißrussischen Front vor Praga in der [[Panzerschlacht vor Warschau]] auf den Widerstand des [[III. Armeekorps (Wehrmacht)|III. Panzerkorps]], welches zusammen mit dem [[IV. SS-Panzerkorps]] operierte.<ref>Norman Davies: ''Rising '44.'' Pan Books, London 2004, S. 661.</ref> Die sowjetischen Truppen verloren etwa 500 Panzer. Infolge des deutschen Gegenangriffs schmolz die Zahl der Panzer der Front bis Anfang August auf 236 zusammen. Auf ihrem linken Flügel bildete sie zusammen mit der [[1. Ukrainische Front|1. Ukrainischen Front]] mehrere Brückenköpfe über die Weichsel, die jedoch nicht erweitert werden konnten. Auf dem rechten Flügel erzielten die sowjetischen Verbände erst Ende August den Durchbruch zum [[Narew]], der für die Flankensicherung unumgänglich war. Ende August gingen die Verbände der Roten Armee deshalb in die Verteidigung über, nachdem die 1.&nbsp;Weißrussische Front allein im August und Anfang September 166.808 Mann verloren hatte. Zur Hilfe der Aufständischen wurde nur die 1. Polnische Armee (Berling-Armee) angesetzt, nachdem die 47.&nbsp;Armee der 1.&nbsp;Weißrussischen Front am 14.&nbsp;September endlich Praga eingenommen hatte. Die polnischen Divisionen überquerten ab dem 16.&nbsp;September die Weichsel und bildeten einige Brückenköpfe, die jedoch unter starkem deutschen Druck schon am 23.&nbsp;September wieder aufgegeben werden mussten. Die 1.&nbsp;Polnische Armee hatte allein in diesen Tagen etwa 3700 Soldaten verloren.<ref>Peter Gosztony: ''Stalins fremde Heere – Das Schicksal der nichtsowjetischen Truppen im Rahmen der Roten Armee 1941–1945.'' Bonn 1991, S. 145.</ref><ref>Bernd Martin, Stanisława Lewandowska (Hrsg.): ''Der Warschauer Aufstand 1944.'' Warschau 1999, S. 90 f.</ref> Gleichzeitig mit dem Vorstoß setzte auch die sowjetische Luftunterstützung durch die 9.&nbsp;Garde-Nachtbomberdivision und die 16.&nbsp;Luftarmee ein und sowjetische Flugzeuge überflogen nach über fünf Wochen wieder die Stadt. Nach sowjetischen Angaben flogen diese vom 14.&nbsp;September bis zum 1.&nbsp;Oktober 2.243 Einsätze und versorgten die ''Armia Krajowa'' dabei mit 156 Granatwerfern, 505 Panzerbüchsen, 2.667 Schusswaffen, 41.780 Granaten, drei Millionen Patronen, 113 Tonnen Lebensmitteln und 500&nbsp;kg Medikamenten.<ref>''Die Geschichte des Großen Vaterländischen Krieges der Sowjetunion.'' Band 4. Deutscher Militärverlag, Berlin 1965, S. 275–279.</ref> Doch viele Fallschirme öffneten sich nicht, so dass viele Behälter auf dem Boden zerschellten.<ref>Winston Churchill: ''Der Zweite Weltkrieg.'' S. 956 ff.</ref><br />
<br />
Schon damals, aber auch besonders in der Folge des Aufstandes, entbrannte eine Kontroverse um das Verhalten der Sowjetunion bezüglich des Aufstands. Bereits am Tag nach dem Beginn der Kämpfe äußerte sich der Befehlshaber der polnischen Truppen im Westen General [[Władysław Anders]] in einem privaten Brief wie folgt: ''„Nicht nur werden die Sowjets sich weigern, unserem geliebten, heldenhaften Warschau zu helfen, sondern sie werden mit der größten Freude zuschauen, wie das Blut unserer Nation bis zum letzten Tropfen versickern wird.“''<ref>Norman Davies: ''Rising '44.'' Pan Books, London 2004, S. 348; Originalzitat in englischer Sprache: ''“Not only that the Soviets will refuse to help our beloved, heroic Warsaw, but also that they will watch with the greatest pleasure as our nations blood will be drained to the last drop.”''</ref> Für diese Sicht der Dinge und die mangelnde Hilfsbereitschaft der Sowjetunion sprechen folgende Punkte:<br />
* Moskau genehmigte auf Drängen Großbritanniens und der USA nur einen Hilfsflug der Alliierten, obwohl die US-Luftwaffe zu weiteren bereit war.<br />
* Erst ab dem 9. September, also mehr als einem Monat nach Beginn des Aufstandes, erfolgten sowjetische Luftangriffe auf deutsche Stellungen in Warschau.<br />
* Stalin entschied, den Schwerpunkt der Offensive auf die ukrainischen Fronten in Richtung [[Slowakei]] zu verschieben, was vielfach als mangelnder Hilfswille gegenüber der AK interpretiert wurde.<br />
* An Berlings Entsatzversuch nahmen keine sowjetischen Kampftruppen teil.<br />
* Das NKWD ergriff sowohl vor als auch nach dem Aufstand äußerst repressive Maßnahmen gegen AK-Einheiten.<br />
* Die Propaganda des von den Sowjets gesteuerten Lubliner Komitees kriminalisierte die AK bereits, als der Aufstand noch im Gange war.<ref>Włodzimierz Borodziej: ''Der Warschauer Aufstand 1944.'' Fischer, 2001, ISBN 3-10-007806-3, S. 169, 175.</ref><ref>Norman Davies: ''Rising '44.'' Pan Books, London 2004, S. 348, 350f, 381, 457, 440 f.</ref><br />
<br />
Aufgrund des fehlenden Zugangs zu sowjetischen Archivakten ist es schwierig, einen eindeutigen Haltebefehl für Rokossowskis Truppen, wie er oft in populärwissenschaftlichen Arbeiten postuliert wird, nachzuweisen.<ref>Włodzimierz Borodziej: ''Der Warschauer Aufstand 1944.'' Fischer, 2001, ISBN 3-10-007806-3, S. 214.</ref><ref>Norman Davies: ''Rising '44.'' Pan Books, London 2004, S. 314 f.</ref> Außer Frage steht, dass die ''Armia Krajowa'' als bewaffneter Arm der polnischen Exilregierung einen potenziellen Konkurrenten zur von Moskau präferierten [[Polska Partia Robotnicza|Polnischen Arbeiterpartei (PPR)]] und dem gleichzeitig existierenden Lubliner Komitee darstellte. Die Niederlage der AK erleichterte es der sowjetischen Führung, die politischen Verhältnisse im Nachkriegspolen zu ordnen, ohne auf sie Rücksicht nehmen zu müssen. In der heutigen öffentlichen Meinung Polens hält sich deshalb die Ansicht, die Sowjetunion habe die polnischen Widerstandskämpfer absichtlich ausbluten lassen. Der US-amerikanische Historiker [[Gerhard Weinberg]] bezeichnete das Vorgehen der Wehrmacht und der Roten Armee während des Aufstands als „eine Art Neuauflage des Hitler-Stalin-Pakts von 1939 gegen Polen.“<ref>Gerhard L. Steinberg, ''Eine Welt in Waffen. Die globale Geschichte des Zweiten Weltkriegs'', Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1995, S. 749.</ref><br />
<br />
Im Forschungsband [[Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg]], das vom [[Militärgeschichtliches Forschungsamt|Militärgeschichtlichen Forschungsamt]] der [[Bundeswehr]] herausgegeben wird, bringt der Militärhistoriker [[Karl-Heinz Frieser]] hingegen Belege vor, die gegen ein Kalkül Stalins sprechen, die Warschauer Aufständischen von der Wehrmacht liquidieren zu lassen.<ref>Karl-Heinz Frieser, Klaus Schmider, Klaus Schönherr: ''Die Ostfront – Der Krieg im Osten und an den Nebenfronten.'' In: Militärgeschichtliches Forschungsamt (Hrsg.): ''Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg'' (Band 8). Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart und München 2007, ISBN 978-3-421-05507-1.</ref> So war die Rote Armee infolge ihres raschen Vormarschs und der damit verbundenen Nachschubprobleme sowie wegen des massiven deutschen Widerstands mehrere Wochen lang nicht zu Entlastungsangriffen in der Lage. Die aus polnischen Streitkräften bestehende [[Polnische Streitkräfte in der Sowjetunion#Berling-Armee (1943–1944)|Berling-Armee]], die auf Seiten der Roten Armee kämpfte, versuchte, am Westufer der Weichsel einen Brückenkopf zu errichten, musste sich jedoch zurückziehen, nachdem innerhalb weniger Tage beinahe 5.000 Mann gefallen waren.<ref>Norman Davies: ''Rising '44.'' Pan Books, London 2004, S. 322f, 421.</ref><br />
<br />
Auch die sowjetische Seite verwies auf die militärische Lage, die eine umfangreichere Unterstützung des Aufstandes nicht zugelassen habe. Hohe Militärs wie die Marschälle [[Konstantin Konstantinowitsch Rokossowski|Rokossowski]] und [[Georgi Konstantinowitsch Schukow|Schukow]] äußerten sich in dieser Hinsicht.<ref>Włodzimierz Borodziej: ''Der Warschauer Aufstand 1944.'' Fischer, 2001, ISBN 3-10-007806-3, S. 127.</ref><ref>Norman Davies: ''Rising '44.'' Pan Books, London 2004, S. 322f, 421.</ref> Zusätzlich verwies die offizielle sowjetische Historiographie später auf die angebliche Weigerung der ''Armia Krajowa'', mit der Roten Armee zu kooperieren. So hätten sich die Polen geweigert, in den Weichselbrückenköpfen zusammen mit den sowjetischen Verbänden zu kämpfen.<ref>''Die Geschichte des Großen Vaterländischen Krieges der Sowjetunion.'' Band 4. Deutscher Militärverlag, Berlin 1965, S. 275–278.</ref><br />
<br />
== Rezeption und Würdigung ==<br />
[[Datei:Sąd najwyższy s5.jpg|mini|Denkmal des Warschauer Aufstandes]]<br />
[[Datei:Warsaw Rising Museum.JPG|mini|Museum des Warschauer Aufstandes]]<br />
[[Datei:Monument to "Mały Powstaniec" ("Little partisan") in Warsaw.png|mini|hochkant|Gedenkfeier einer Pfadfinderorganisation am [[Denkmal des Kleinen Aufständischen]] in Warschau]]<br />
[[Datei:Warsaw Uprising poster 1944.jpg|mini|hochkant|Plakat von Marek Żuławski]]<br />
Nach der [[Wende (Polen)|Wende]] wurden die politischen Aspekte des Aufstandes in der polnischen Öffentlichkeit heiß debattiert. Generell wurde der Aufstand in der neuen Demokratie positiv bewertet. Laut einer Umfrage von 1994 sah eine Mehrheit der Polen den Aufstand als ein wichtiges [[historisches Ereignis]]. Im selben Jahr sorgte das Gedenken an den Aufstand für zwei außenpolitische Kontroversen. Die Absage der Teilnahme des russischen Präsidenten [[Boris Nikolajewitsch Jelzin|Boris Jelzin]] an den Gedenkfeiern sorgte für Unmut in Polen. Zudem sorgte der deutsche Bundespräsident [[Roman Herzog]] für Irritationen, als er in einer Rede vor den Feiern den Warschauer Aufstand mit dem [[Aufstand im Warschauer Ghetto]] verwechselte.<ref>Włodzimierz Borodziej: ''Der Warschauer Aufstand 1944.'' Fischer, 2001, ISBN 3-10-007806-3, S. 210 ff.</ref><ref>Norman Davies: ''Rising '44.'' Pan Books, London 2004, S. 521 ff.</ref> Der deutsche Historiker Martin Zückert hält fest, dass der Warschauer Aufstand zusammen mit dem [[Slowakischer Nationalaufstand|Slowakischen Nationalaufstand]] die ''„größte Erhebung gegen das nationalsozialistische Herrschaftssystem“'' in Ostmitteleuropa war.<ref>Martin Zückert: ''Slowakei: Widerstand gegen das Tiso-Regime und nationalsozialistische Vorherrschaft.'' In: Gerd R. Ueberschär (Hrsg.): ''Handbuch zum Widerstand gegen Nationalsozialismus und Faschismus in Europa 1933/39 bis 1945.'' Walter de Gruyter, Berlin/New York 2011, ISBN 978-3-598-11767-1, S. 243.</ref><br />
<br />
=== Denkmal des Warschauer Aufstandes ===<br />
{{Hauptartikel|Denkmal des Warschauer Aufstandes}}<br />
Am 1. August 1989 wurde auf dem [[Krasiński-Platz (Warschau)|Krasiński-Platz]] vor dem Gebäude des [[Oberstes Gericht (Polen)|Obersten Gerichts]] das Denkmal des Warschauer Aufstandes ''(Pomnik Powstania Warszawskiego)'' enthüllt.<br />
<br />
=== Museum des Warschauer Aufstandes ===<br />
{{Hauptartikel|Museum des Warschauer Aufstandes}}<br />
2004 wurde im Stadtbezirk [[Wola (Warschau)|Wola]], im ehemaligen Elektrizitätswerk der Straßenbahn an der Przyokopowa-, Ecke Grzybowska-Straße, das Museum des Warschauer Aufstandes ''(Muzeum Powstania Warszawskiego)'' eröffnet. Das ursprüngliche, nach dem Krieg vollkommen wieder erbaute Gebäude stammte von 1908. Das nach Plänen von [[Wojciech Obtułowicz]] umgestaltete Haus wurde als Museum 2004 eröffnet; das Ausstellungskonzept stammt von Mirosław Nizio, Jarosław Kłaput und Dariusz Kunowski mit modernsten Multimedia-Techniken. Ein 35-Meter-Turm stellt darin das Symbol des kämpfenden Polens dar. Im Hof eine lange ''Mauer der Erinnerung'' mit den Namen von über 6.000 Kämpferinnen und Kämpfern, die von Angehörigen z.&nbsp;T. immer noch ergänzt werden. 2005 wurde auch eine Museumskapelle von Józef Kardinal [[Józef Glemp|Glemp]] auf den Namen von [[Józef Stanek]] geweiht.<br />
<br />
=== Gedenktag des Warschauer Aufstands ===<br />
{{Hauptartikel|Gedenktag des Warschauer Aufstands}}<br />
Jährlich wird am [[Gedenktag des Warschauer Aufstands]] am 1. August landesweit des Befreiungsversuchs und seiner Opfer gedacht.<br />
<br />
== Filme ==<br />
* [[Paul Meyer (Filmproduzent)|Paul Meyer]]: ''Konspirantinnen.'' Dokumentarfilm. Deutschland, 2006, 88 Min. (Viele historische Aufnahmen. Interviews mit Frauen, die als Soldatinnen am Aufstand teilgenommen hatten und in den [[Emslandlager|Emsland-Lagern]] interniert worden waren. Am 12. April 1945 erreichten polnische Soldaten der Alliierten das Lager Oberlangen. Der Film zeigt auch, wie die Erfahrungen aus dem Widerstand das ganze weitere Leben dieser Frauen verändert und geprägt hatte. Paul Meyer, geboren 1945, wuchs im Emsland auf und war u.&nbsp;a. Dozent am Soziologischen Institut der Universität Freiburg; 1998 war er [[Adolf-Grimme-Preis 1998|Grimme-Preisträger]].)<br />
* Christophe Talczewski (Fernsehregie): ''Verraten und verloren. Die Helden des Aufstands von Warschau.'' Dokumentation historischer Aufnahmen, Polen, Frankreich; 2013, 52 Min.<br />
<br />
Bekannt sind heute vier dramatisierte Verfilmungen:<br />
<br />
* [[Andrzej Wajda]]: ''[[Der Kanal]]'' (1956. Der Film wirkt dokumentarisch, hat aber gar nicht diesen Anspruch und beschreibt, ausgehend von autobiografischen Aufzeichnungen eines Überlebenden ([[Jerzy Stefan Stawiński]]), das Schicksal einer Widerstandsgruppe, die sich in die Kanalisation unter Warschau zurückziehen muss.)<br />
* [[Roman Polański]]: ''[[Der Pianist]]'' (2002. Nach dem Drama von [[Władysław Szpilman]]. Der mit drei [[Oscar]]s ausgezeichnete Film behandelt auch den Aufstand im Warschauer Ghetto und den Warschauer Aufstand.)<br />
* [[Jan Komasa]]: ''[[Warschau ’44]]'' (Originaltitel: ''Miasto 44'' von 2014. Im Film werden die Auswirkungen des Zweiten Weltkriegs auf die polnische Bevölkerung aus Sicht der jüngsten Kriegsteilnehmer und Kriegsteilnehmerinnen im bewaffneten Untergrund porträtiert.)<br />
* Der zweite Film von [[Juri Ozerov]] Epos "Soldaten der Freiheit" von 1977 widmet sich hauptsächlich dem Aufstand in Warschau. Die Darstellung historischer Ereignisse erfolgt aus sowjetischer Sicht.<br />
<br />
== Musik ==<br />
* Die [[Schweden|schwedische]] Band [[Sabaton]] hat in ihrem Album ''Coat of Arms'' (2010) ein Lied namens ''Uprising'' veröffentlicht, das dieses Thema behandelt.<br />
<br />
== Siehe auch ==<br />
* [[Emslandlager Oberlangen]], Kriegsgefangenenlager für AK-Kämpferinnen<br />
* [[Kreuz des Warschauer Aufstands]]<br />
* [[Powązki-Friedhof]], Bestattungsplatz vieler Opfer des Aufstandes<br />
<br />
== Literatur (Auswahl) ==<br />
* [[Włodzimierz Borodziej]]: ''Der Warschauer Aufstand 1944.'' Fischer-Taschenbuch-Verlag, Frankfurt am Main 2004, ISBN 3-596-16186-X (''Fischer-Taschenbücher'' 16186 ''Die Zeit des Nationalsozialismus'').<br />
* Bernhard Chiari (Hrsg.): ''Die polnische Heimatarmee. Geschichte und Mythos der Armia Krajowa seit dem Zweiten Weltkrieg.'' Oldenbourg, München 2003, ISBN 3-486-56715-2 (''Beiträge zur Militärgeschichte'' 57).<br />
* [[Winston Churchill]]: ''Der Zweite Weltkrieg.'' Fischer-Taschenbuch-Verlag, Frankfurt am Main 2003, ISBN 3-596-16113-4.<br />
* Jan M. Ciechanowski: ''The Warsaw Rising of 1944.'' Cambridge University Press, Cambridge u. a. 1974, ISBN 0-521-20203-5 (''Soviet and East European Studies'' 15), (Zugleich: London, Univ., Diss., 1968: ''The political and ideological background of the Warsaw Rising, 1944.'').<br />
* [[Norman Davies]]: ''Aufstand der Verlorenen. Der Kampf um Warschau 1944.'' Droemer/Knaur, München 2004, ISBN 3-426-27243-1 ([http://www.perlentaucher.de/buch/18262.html Rezensionen in deutschsprachigen Zeitungen, zusammengefasst von perlentaucher.de], [http://www.sehepunkte.historicum.net/2005/04/pdf/6762.pdf Lars Jockheck, Rezension in sehepunkte]; PDF; 54&nbsp;kB).<br />
* Wolfgang Etschmann: ''Der Warschauer Aufstand 1944. Strategische und operative Aspekte.'' In: [[Heeresgeschichtliches Museum|Heeresgeschichtliches Museum Wien]] (Hrsg.): ''Von Söldnerheeren zu UN-Truppen.'' Heerwesen und Kriege in Österreich und Polen vom 17. bis zum 20. Jahrhundert. Wien 2011, ISBN 978-3-902551-22-1.<br />
* [[Zenon Kliszko]]: ''Der Warschauer Aufstand. Erinnerungen und Betrachtungen.'' Übers. von Diemut Lötzsch & Roland Lötzsch, Dietz Verlag, Berlin 1969.<br />
* [[Hanns von Krannhals]]: ''Der Warschauer Aufstand 1944.'' Bernard & Graefe, Frankfurt am Main 1962 (Reprint: ars una, Neuried 2000, ISBN 3-89391-931-7).<br />
* Bernd Martin, Stanisława Lewandowska (Hrsg.): ''Der Warschauer Aufstand 1944.'' Deutsch-Polnischer Verlag, Warschau 1999, ISBN 83-86653-09-4.<br />
* [[Janusz Piekałkiewicz]]: ''Kampf um Warschau. Stalins Verrat an der polnischen Heimatarmee 1944.'' 2. Auflage. Gedenkausgabe zum 60. Jahrestag des Warschauer Aufstandes von 1944. Herbig, München 2004, ISBN 3-7766-1699-7.<br />
<br />
== Weblinks ==<br />
{{Commons|Warsaw Uprising|Warschauer Aufstand}}<br />
* {{DNB-Portal|SWD4189143-0}}<br />
* [http://www.1944.pl/ Museum des Warschauer Aufstandes] (Muzeum Powstania Warszawskiego; engl.; auf dt. nur die Öffnungszeiten etc.)<br />
* [http://1944.wp.pl/index2.php# Wirtualne Muzeum Powstania Warszawskiego], Virtuelles Museum des Warschauer Aufstandes<br />
* [http://www.warsawuprising.com/ Warschauer Aufstand 1944] (englisch)<br />
* [http://miastoruin.pl/ Miasto Ruin – digitale Rekonstruktion der Stadt nach dem Aufstand]<br />
* Bryla.pl: [http://bryla.gazetadom.pl/bryla/51,85301,9896157.html?i=0&bo=1 Fotos von der Zerstörung der westlichen Stadtteile Warschaus] durch die deutschen Besatzungstruppen im Herbst 1944<br />
* [http://www.dpg-brandenburg.de/nr_8_9/ansprachen.htm Ansprachen zum 50. Jahrestag 1994] des damaligen polnischen Staatspräsidenten [[Lech Wałęsa]] und des damaligen Bundespräsidenten [[Roman Herzog]]<br />
* [http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=1554&count=347&recno=34&sort=datum&order=down&epoche=22 Wahrheit, Erinnerung, Verantwortung – Der Warschauer Aufstand im Kontext der deutsch-polnischen Nachkriegsgeschichte] – Themen der polnischen und deutschen Forschungssicht auf den Aufstand (Tagung 2007)<br />
* [http://www.cnn.com/2004/fyi/news/06/03/cnnpce.warsaw.rising/ Warsaw Rising: The Forgotten Soldiers of World War II. Educator Guide] (englisch)<br />
* [https://hds.hebis.de/herder/Search/Results?lookfor=warschauer+aufstand+1944&trackSearchEvent=Einfache+Suche&type=allfields&search=new&submit=Suchen Publikationen zum Warschauer Aufstand] im Bibliotheks- und Bibliographieportal / [[Herder-Institut (Marburg)]]<br />
<br />
== Einzelnachweise ==<br />
<references responsive><br />
<ref name="Borodziej116ff"><br />
Włodzimierz Borodziej: ''Der Warschauer Aufstand 1944.'' Fischer, 2001, ISBN 3-10-007806-3, S. 116 ff.<br />
</ref><br />
<ref name="Borodziej154ff"><br />
Włodzimierz Borodziej: ''Der Warschauer Aufstand 1944.'' Fischer, 2001, ISBN 3-10-007806-3, S. 154 ff.<br />
</ref><br />
<ref name="Krannhals214"><br />
Hans von Krannhals: ''Der Warschauer Aufstand 1944.'' Frankfurt am Main 1962, S. 214.<br />
</ref><br />
<ref name="Martin139"><br />
Bernd Martin, Stanisława Lewandowska (Hrsg.): ''Der Warschauer Aufstand 1944.'' Warschau 1999, S. 139.<br />
</ref><br />
<ref name="Martin251"><br />
Bernd Martin, Stanisława Lewandowska (Hrsg.): ''Der Warschauer Aufstand 1944.'' Warschau 1999, S. 251.<br />
</ref><br />
</references><br />
<br />
{{Normdaten|TYP=s|GND=4189143-0}}<br />
{{Exzellent|23. Mai 2007|32214722}}<br />
<br />
[[Kategorie:Warschauer Aufstand| ]]<br />
[[Kategorie:Militärische Operation des Deutsch-Sowjetischen Krieges]]<br />
[[Kategorie:Aktion des Widerstands im Zweiten Weltkrieg]]<br />
[[Kategorie:Aufstand in Polen]]<br />
[[Kategorie:NS-Kriegsverbrechen]]<br />
[[Kategorie:Konflikt 1944]]</div>178.155.64.26https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Napoleon_III.&diff=212065162Napoleon III.2021-05-17T09:32:06Z<p>178.155.64.26: /* Deutsch-Französischer Krieg */ Es geht um die historische Persönlichkeit, nicht um das Privatleben des Menschen</p>
<hr />
<div>[[Datei:Alexandre Cabanel 002.jpg|mini|Napoleon III., Gemälde von [[Alexandre Cabanel]], um 1865. Es war das Lieblingsporträt Kaiserin Eugénies, weil es seine Person am getreusten darstellte. [[Datei:Signatur Napoleon III..PNG|rahmenlos|centre]]]]<br />
'''Napoleon III.''' ([[Französische Sprache|französisch]] ''Napoléon III;'' * [[20. April]] [[1808]] in [[Paris]]; † [[9. Januar]] [[1873]] in [[Chislehurst]] bei [[London]]) war unter seinem Geburtsnamen '''Charles-Louis-Napoléon Bonaparte''' (auch '''Louis-Napoléon Bonaparte''') während der [[Zweite Französische Republik|Zweiten Republik]] von 1848 bis 1852 [[Staatspräsident (Frankreich)|französischer Staatspräsident]] und von 1852 bis 1870 als Napoleon&nbsp;III. [[Kaiser der Franzosen]]. Mit dem [[Staatsstreich vom 2. Dezember 1851]] hatte der aus einer Volkswahl hervorgegangene Präsident eine [[Diktatur]] errichtet. Ein Jahr darauf (1852) proklamierte er sich zum Kaiser und sein Land zum [[Zweites Kaiserreich|Zweiten Kaiserreich]]. Das Parlament wurde weitgehend entmachtet und erhielt erst ganz am Ende seiner Herrschaft wieder etwas mehr Kompetenzen. <br />
<br />
Bedingt durch den [[plebiszit]]ären Charakter seiner Herrschaft war der Kaiser praktisch gezwungen, immer neue Erfolge vorzuweisen, um sich die Gunst der Massen zu erhalten. Dies führte zu einer relativ expansiven Außenpolitik, die auch das Ziel der territorialen Vergrößerung Frankreichs auf Kosten seiner Nachbarstaaten verfolgte. Damit war der Kaiser im [[Sardinischer Krieg|italienischen Einigungskrieg]] 1859/60 zunächst erfolgreich. Die [[Luxemburgkrise|geplante Annexion Luxemburgs im Jahr 1867]] scheiterte dagegen. Die aggressive Außenpolitik Napoleons führte dazu, dass die Frage der [[Spanische Thronfolge 1868–1870|Spanischen Thronfolge]] in den [[Deutsch-Französischer Krieg|Deutsch-Französischen Krieg]] mündete. Nachdem Napoleon am 2. September 1870 gefangen genommen worden war, bildete sich eine neue nationale Regierung in Paris, die ihn für abgesetzt erklärte und die [[Dritte Französische Republik|Republik]] proklamierte. Seine letzten beiden Lebensjahre verbrachte er im englischen Exil.<br />
<br />
== Biografie ==<br />
=== Abstammung und Jugend ===<br />
{{Stammbaum/Start |style=margin:1em auto;}}<br />
{{Stammbaum|Franç|y|Marie| |JGTLP|y|Rose | |Carlo|y|Laeti|JGTLP=Joseph-Gaspard de Tascher de La Pagerie<br /><small>(Marineoffizier)</small> |Rose=Rose Claire des Vergers de Sannois |Franç=François de Beauharnais<br /><small>(Gouverneur von Martinique)</small> |Marie=Marie Anne Henriette Francoise Pyvart de Chastullé |Carlo=[[Carlo Buonaparte]] |Laeti=[[Laetitia Ramolino]]}}<br />
{{Stammbaum| | | |`|-|-|-|-|.| | |`|-|.|||,|-|-|(|| | | }}<br />
{{Stammbaum|MaxB|y|AugW| |AlexB|y|JosdB|~|Napol|!||| | | |AlexB=[[Alexandre de Beauharnais]]<br /><small>(Armeeoffizier)</small> |JosdB=[[Joséphine de Beauharnais]] |Napol=[[Napoleon Bonaparte|Napoleon]]<br /><small>(Kaiser der Franzosen)</small> |AugW = [[Auguste Wilhelmine von Hessen-Darmstadt|Auguste Wilhelmine ]]<br /><small>(Königin von Bayern)</small> |MaxB = [[Maximilian I. Joseph (Bayern)|Maximilian I.]]<br /><small>(König von Bayern)</small> }}<br />
{{Stammbaum| | | |!| | | |,|-|-|v|'| | | |,|-|-|-|'| | | }}<br />
{{Stammbaum| | |AugvB|y|EugdB| |HortB|y|Louis| | | | | | |AugvB=[[Auguste von Bayern]]<br /><small>(Vizekönigin von Italien)</small> |EugdB=[[Eugène de Beauharnais]]<br /><small>(Adoptivsohn Napoleons, Vizekönig von Italien)</small> |HortB=[[Hortense de Beauharnais]]<br /><small>(Königin von Holland)</small> |Louis=[[Louis Bonaparte]]<br /><small>(König von Holland)</small>}}<br />
{{Stammbaum| | |,|-|v|^|-|-|v|-|-|-|.|`|-|-|-|v|-|-|v|-|-|-|v| }}<br />
{{Stammbaum|JosvL||Eug||Aug2||AmeL| |NapLP| |Nap3 | |Nap4| | | | |JosvL=[[Josephine von Leuchtenberg]]<br /><small>(Königin von Schweden)</small> |NapLP=[[Napoléon Louis Bonaparte (1804–1831)|Napoléon Louis Bonaparte]] <br /><small> Großherzog von Kleve und Berg</small> |Nap3='''[[Napoleon III.]]'''<br /><small>(Kaiser der Franzosen)</small>| Nap4 = [[Napoléon Charles Bonaparte]]| Eug = [[Eugénie de Beauharnais|Eugénie]]<br /><small> Fürstin von Hohenzollern-Hechingen</small>|Aug2 = [[Auguste de Beauharnais]]<br /><small>Prinzgemahl von Portugal</small>| AmeL = [[Amélie von Leuchtenberg]]<br /><small> Kaiserin von Brasilien</small> }}<br />
{{Stammbaum/Ende}}<br />
<br />
[[Datei:The Four Napoleons.jpg|mini|Die vier Napoleons (Propagandabild, um 1858)]]<br />
<br />
Charles Louis Napoléon Bonaparte wurde in der Nacht des 20. Aprils 1808 unweit der späteren [[Opéra Garnier|Opera Garnier]] in Paris geboren.<ref name=":2">{{Literatur |Autor=Johannes Willms |Titel=Napoleon III.: Frankreichs letzter Kaiser |Verlag=C.H. Beck |Seiten=15}}</ref> Er war der Sohn von [[Louis Bonaparte]] und [[Hortense de Beauharnais]]; sein Vater war der Bruder [[Napoleon Bonaparte|Napoleons&nbsp;I.]] und von 1806 bis 1810 [[Königreich Holland|König von Holland]], seine Mutter war die Tochter von [[Alexandre de Beauharnais|Alexandre Vicomte de Beauharnais]] und [[Joséphine de Beauharnais|Joséphine Tascher de La Pagerie]] und wurde später zur Stieftochter Napoleons&nbsp;I. Sie trug maßgeblich zu der Entstehung kaiserlicher Ambitionen ihres Sohnes bei. Die Chancen auf eine Thronfolge waren zu dieser Zeit aber noch minimal. Kaiser Napoleon sah seinen aus der Ehe mit [[Marie-Louise von Österreich|Marie-Louise]] stammenden Sohn [[Napoleon Franz Bonaparte|Napoleon Franz Joseph Karl Bonaparte]], den König von Rom, als seinen legitimen Nachfolger an.<ref name=":0">{{Literatur |Autor=Johannes Willms |Hrsg=C.H. Beck |Titel=Napoleon III.: Frankreichs letzter Kaiser |Seiten=16}}</ref> Dieser wurde nach dem Tod Napoleons I. von den [[Bonapartismus|Bonapartisten]] als ''Napoleon&nbsp;II.'' betrachtet. Hinzu kamen Zweifel der Zeitgenossen an der Legitimität von Charles Louis Napoléon Bonaparte: Er wurde von Gegnern nicht als Sohn von Louis Bonaparte anerkannt.<ref name=":0" /> Die Vaterschaft wurde [[Carel Hendrik Verhuell|Carel Hendrik Graf Verhuell]] zugeschrieben. Belegt ist, dass Graf Verhuell und Hortense de Beauharnais eine Freundschaft verband, aber ebenso belegt ist dessen Verbleib in Holland, während Hortense und Louis in Paris weilten. Louis Bonaparte selbst stellte aber die Vaterschaft nie offiziell in Frage.<br />
<br />
Der endgültige Sturz Napoleons I. im Jahr 1815 machte die Ambitionen der [[Bonapartismus|Bonapartisten]] zunächst zunichte. Für [[Hortense de Beauharnais]] und ihren Sohn begann damit eine monatelange Flucht durch Frankreich und die Schweiz.<ref name=":1">{{Literatur |Autor=Johannes Willms |Hrsg=C.H. Beck |Titel=Napoleon III.: Der letzte Kaiser Frankreichs |Seiten=17}}</ref> Schließlich gestanden die Alliierten der Familie ein Exil in der Ostschweiz zu. Louis Napoléon verbrachte den größten Teil seiner Jugend abwechselnd in bzw. bei [[Konstanz]] am [[Bodensee]] und in [[Augsburg]], weshalb er die deutsche Sprache perfekt beherrschte. Seine Mutter erwarb 1816 ein Anwesen in Konstanz, 1817 ein zweites (den Vorgängerbau der heutigen [[Schloss Seeheim|Villa Seeheim]]). Für die Niederlassung ihrer Familie im [[Großherzogtum Baden]] sprach aus der Sicht von Hortense de Beauharnais ein wichtiges Argument: Die Familie Napoleons III. war durch eine Heirat zwischen [[Stéphanie de Beauharnais|Stephanie de Beauharnais]] und dem Erbprinzen [[Karl Ludwig Friedrich (Baden)|Karl Ludwig Friedrich von Baden]] dynastisch mit dem Haus Baden verbunden.<ref name=":1" /> Allerdings konnte der Großherzog von Baden Napoleons Familie kein Exil zugestehen, weil er bereits eine von den Siegermächten befürwortete Trennung von [[Stéphanie de Beauharnais|Stephanie de Beauharnais]] verweigert hatte. Nochmals wagte er es nicht, die europäischen Großmächte zu verprellen. So musste Hortense mit ihren Kindern Baden verlassen und lebte von 1818 bis zu ihrem Tod im Schloss [[Arenenberg]] auf der Schweizer Seite des Bodensees, nur circa 8&nbsp;km von Konstanz entfernt.<ref>''Napoleonmuseum – Schloss Arenenberg, das schönste Schloss am Bodensee.'' Labhard, Konstanz 2005, ISBN 3-926937-85-8. Bodensee-Magazin Spezial.</ref><ref>Christina Egli: ''Der französische Kaiser Napoleon&nbsp;III. – ein „Lausbub“ vom Bodensee.'' In: ''Schriften des Vereins für Geschichte des Bodensees und seiner Umgebung.'' 127. Jg. 2009, S. 113–138 [http://www.bodenseebibliotheken.eu/page?vgeb-j2009-t-A113 (Digitalisat)]</ref> Seine Schulzeit verbrachte Louis Napoleon in Augsburg, zunächst bei Privatlehrern und dann von 1821 bis 1823 am [[Gymnasium bei St. Anna (Augsburg)|Gymnasium bei St. Anna]]. 1829 ging er an die [[Artillerie]]schule von [[Thun]], diente später als Artillerieoffizier in der [[Schweizer Armee]] und erhielt 1832 die [[Schweizer Bürgerrecht|Schweizer Staatsbürgerschaft]] als Ehrenbürger des Kantons Thurgau.<ref>{{Internetquelle |autor=Peter Forster |url=https://www.e-periodica.ch/digbib/view?pid=tjb-002:1987:62#20 |titel=Prinz Louis Napoleon und die Thurgauer Schützen |werk= |hrsg=Thurgauer Jahrbuch |datum= |abruf=2020-04-05 |sprache=}}</ref> Dies erlaubte ihm, gleichzeitig die [[französische Staatsbürgerschaft]] zu behalten.<br />
<br />
=== Kämpfe in Italien, Putschversuche und Exil ===<br />
[[Datei:Napoleon-3.jpg|mini|Präsident Louis Napoléon Bonaparte]]<br />
<br />
1829 plante Louis Napoléon, am [[Russisch-Türkischer Krieg (1828–1829)|Russisch-Türkischen Krieg]] teilzunehmen. Dies wurde ihm von seinem Vater untersagt. Stattdessen schloss er sich mit seinem Bruder [[Napoléon Louis Bonaparte (1804–1831)|Napoléon Louis]] den italienischen [[Carbonari]] an. Dort führte er die Belagerung der Festung [[Civita Castellana]] an. Nach der Niederschlagung des Aufstandes und dem Tod seines Bruders floh Louis Napoléon mit seiner Mutter nach Frankreich, das zu dieser Zeit von [[Louis-Philippe I.|Ludwig Philipp&nbsp;I.]] regiert wurde.<ref>Rieder: ''Napoleon&nbsp;III. Abenteurer und Imperator.'' 2006, S. 44 ff.</ref><br />
<br />
In [[Straßburg]] konnte Louis Napoléon einige Offiziere dafür gewinnen, ihm bei einem Putschversuch zu folgen. Am Morgen des 29. Oktober 1836 erklärte er den Männern des 4. Artillerieregimentes, in dem bereits sein Onkel gedient hatte, dass er ''Frankreichs Größe und Ehre wiederherstellen'' wolle. Da der Regimentskommandeur, Oberst Vaudrey, auf seiner Seite stand, folgten ihm die Artilleristen. Allerdings wurde der Putsch von den gleichfalls in Straßburg stationierten Soldaten des 46. Infanterieregimentes abgelehnt und niedergeschlagen. Louis Napoléon wurde gefangen genommen und am 9. November nach Paris gebracht. Von König Ludwig Philipp wurde er unter der Bedingung begnadigt, ins Exil in die USA zu gehen. An Bord der [[Fregatte]] ''Andromeda'' reiste er am 21. November 1836 über [[Rio de Janeiro]] nach [[New York City|New York]].<ref>Rieder: ''Napoleon&nbsp;III. Abenteurer und Imperator.'' 2006, S. 62 ff.</ref><br />
<br />
Als seine Mutter 1837 im Sterben lag, kehrte er nach Arenenberg zurück. Frankreich verlangte daraufhin von der Schweiz die sofortige Ausweisung Napoleons. Da er jedoch als Offizier in der [[Schweizer Armee]] gedient hatte und seit 1832 Ortsbürger von Salenstein und Ehrenbürger des Kantons Thurgau war, weigerte sich die Eidgenossenschaft (sog. [[Napoleonhandel]]). Frankreich mobilisierte sein Heer, aber Napoleon kam einer kriegerischen Auseinandersetzung durch seine Ausreise nach England zuvor. Im Londoner Exil verfasste er sein Werk ''Idées Napoléoniennes''.<br />
<br />
Von England aus begann Louis-Napoléon seinen zweiten Putschversuch. Dieser fand am 6. August 1840 in [[Boulogne-sur-Mer]] statt und scheiterte ebenfalls. Er wurde nun zu lebenslanger Festungshaft in der nordfranzösischen Festung [[Ham (Somme)|Ham]] verurteilt. Hier verfasste er sein Werk ''Vertilgung des Pauperismus'' (Beseitigung der Armut). Seiner Beziehung zu Eleonore Vergeot in dieser Zeit entstammten zwei Kinder, die er später zu Grafen erhob. Am 25. Mai 1846 konnte er durch eine abenteuerliche Flucht in das [[Vereinigtes Königreich|Vereinigte Königreich]] entkommen. Dort unterhielt er eine Beziehung zu [[Harriet Howard]], einer bekannten Mätresse, welche ihn und seine Rückkehrpläne nach Frankreich auch mit ihrem Vermögen unterstützte.<br />
<br />
=== Präsidentschaft, Staatsstreich und Kaiserkrönung ===<br />
[[Datei:Franz Xaver Winterhalter Napoleon III.jpg|mini|Napoleon III., 1855, Gemälde von [[Franz Xaver Winterhalter]]]]<br />
[[Datei:Jean-Leon Gerome 001.JPG|mini|Empfang der siamesischen Botschaft im Schloss Fontainebleau am 27. Juni 1861]]<br />
Louis-Napoléon kehrte nach der [[Februarrevolution 1848]] nach Frankreich zurück und versuchte nun, auf demokratischem Wege die Macht zu gewinnen. Im Dezember gewann er bei der Präsidentschaftswahl gegen den damaligen Ministerpräsidenten [[Louis-Eugène Cavaignac]] mit 5.430.000 von 7.317.344 abgegebenen Stimmen. Grundlage dafür war sein Programm einer gefestigten Regierung, sozialer Konsolidierung und nationaler Größe. Zudem wollten viele Kleinbürger und Proletarier Cavaignac wegen seines harten Vorgehens gegen den [[Juniaufstand 1848|Juniaufstand]] nicht als Präsidenten. Am 20. Dezember 1848 übernahm er von Cavaignac die Amtsgeschäfte.<br />
<br />
Bereits im April 1849 entsandte Louis-Napoléon Truppen nach Italien, um die im Februar des Jahres ausgerufene [[Römische Republik (1849)|Römische Republik]] niederzuschlagen und die Herrschaft des Papstes im [[Kirchenstaat]] wiederherzustellen. Diese konnten nach einer anfänglichen Niederlage am 30. April schließlich am 2. Juli in [[Rom]] eindringen.<br />
<br />
Durch häufigen Wechsel der [[Regierung]]en gelang es ihm, seine Position zu stärken und die Ministerien mit Männern zu besetzen, die ihm gegenüber loyal waren. So bekleideten zum Beispiel seit seinem Amtsantritt bis 1851 [[Joseph Marcelin Rulhières]], [[Alphonse Henri, comte d'Hautpoul]], [[Jean-Paul, comte de Schramm]], [[Auguste Regnaud de Saint-Jean d’Angely]], [[Jacques-Louis Randon]] und [[Armand-Jacques-Achille Leroy de Saint-Arnaud]] das Amt des Kriegsministers. Gerade das letzte Kabinett wurde hauptsächlich eingesetzt, um mit der Ernennung Saint-Arnauds die Einsetzung eines ergebenen Helfers zu kaschieren.<ref>Rieder: ''Napoleon&nbsp;III. Abenteurer und Imperator.'' 2006, S. 158.</ref><br />
<br />
Kurz vor dem Ende seiner Amtszeit führte Louis-Napoléon am 2. Dezember – an dem Tag, an dem sich Napoleon&nbsp;I. 1804 zum Kaiser gekrönt hatte&nbsp;– 1851 einen [[Staatsstreich vom 2. Dezember 1851|Staatsstreich]] nach dem Vorbild des [[Staatsstreich des 18. Brumaire VIII|18.&nbsp;Brumaire&nbsp;VIII]] durch. [[Karl Marx]] verarbeitete diese Geschehnisse in der Schrift ''[[Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte]]'': „Hegel bemerkt irgendwo, daß alle großen weltgeschichtlichen Thatsachen und Personen sich so zu sagen zweimal ereignen. Er hat vergessen hinzuzufügen: das eine Mal als große Tragödie, das andre Mal als lumpige Farce.“<ref>[http://www.mlwerke.de/me/me08/me08_115.htm ''Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte.'' 1. Kapitel]</ref> Infolge des Staatsstreiches kam es zu blutigen Kämpfen in ganz Frankreich, die Napoleon am 5. Dezember schließlich für sich entscheiden konnte. Am 21. Dezember ließ er eine Volksabstimmung über eine neue Verfassung, die ihm diktatorische Vollmachten gewährte, durchführen. Dabei stimmten 7,5 Millionen Franzosen für, 640.000 gegen ihn.<br />
<br />
Am 21. November 1852 wurde ein [[Plebiszit]] zur ''Wiederherstellung des Kaisertums'' durchgeführt. Dabei stimmten 7.824.000 Franzosen mit Ja, 253.000 mit Nein.<ref>Rieder: ''Napoleon&nbsp;III. Abenteurer und Imperator.'' 2006, S. 188.</ref> Louis-Napoléon ließ sich daraufhin&nbsp;– wiederum am 2. Dezember&nbsp;– 1852 zum Kaiser der Franzosen ausrufen. Die Titelumschriften der Münzen mit seinem Porträt wurden daraufhin von LOUIS NAPOLEON BONAPARTE auf NAPOLEON III EMPEREUR geändert.<br />
<br />
Der Hauptgrund für den Erfolg Napoleons liegt in seinem [[Populismus]]. So reiste er oft quer durch Frankreich und hielt vor dem Volk Reden, in denen im Falle einer Wiedereinführung des Kaiserreichs große Erfolge und Fortschritte für die Zukunft versprochen wurden. Die auf Prestige abzielende imperialistische Außenpolitik trug ebenfalls zur Mobilisierung der Massen bei. Die überwiegend konservativ gesinnten Bewohner der ländlichen Gegenden, die einen sehr großen Bevölkerungsteil darstellten, waren eine starke Stütze der Macht des Kaisertums. Allerdings erhielt er auch von der kapitalistischen [[Bourgeoisie]] Unterstützung, deren Grund hauptsächlich eine durch Arbeiteraufstände in Paris ausgelöste Revolutionsangst war.<ref>[https://www.uni-muenster.de/Geschichte/SWG-Online/sozialstaat/glossar_bonapartismus.htm ''Bonapartismus.''] Einführungen in die Wirtschafts- und Sozialgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, [[Westfälische Wilhelms-Universität Münster]].</ref> Marx schrieb darüber: „Die fixe Idee des Neffen verwirklichte sich, weil sie mit der fixen Idee der zahlreichsten Klasse der Franzosen zusammenfiel.“<ref>[http://www.mlwerke.de/me/me08/me08_194.htm ''Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte (S.199).'']</ref><br />
<br />
=== Das autoritäre Empire ===<br />
Charles Louis Napoléon Bonaparte nahm den Herrschernamen Napoleon&nbsp;III. an, um eine Kontinuität zu [[Napoleon Bonaparte]] zu suggerieren. Dessen Sohn [[Napoleon Franz Bonaparte]], der ''Herzog von Reichstadt'', hatte zwar faktisch nie regiert, war aber von Napoleon&nbsp;I. bei dessen Abdankung als Nachfolger benannt worden. Er ging somit bei der Wahl des Herrschernamens ähnlich wie [[Ludwig&nbsp;XVIII.]] vor. Das [[Zweites Kaiserreich|Zweite Kaiserreich]] begann als autoritäres Empire. Zunächst regierte Napoleon mit absoluter Macht. Das [[Parlament]] ''(Corps législatif)'' besaß keine Gesetzesinitiative, sondern konnte lediglich vom Kaiser eingebrachte Gesetze billigen. Es bestand das [[Mehrheitswahl]]recht. Das damalige Wahlsystem beruhte auf Zetteln, deren Farbe den Kandidaten festlegte. Es gab Wahlempfehlungen der Regierung. Die Verwaltung setzte bei Wahlen regelmäßig die Opposition unter Druck, ließ Zettel bestimmter Farben für die Wahldauer nicht verkaufen, Wahlplakate durch Staatsbeamte abreißen etc. [[Freie Wahl]]en im heutigen Sinne fanden also nicht statt. Die Minister des Kaisers waren seine ergebensten Anhänger. Säulen des Systems waren Armee und Kirche.<br />
<br />
Einen der letzten Verteidiger des [[Parlamentarismus]], [[Alexis de Tocqueville]], ließ er beim Staatsstreich verhaften. Gegner wie Louis-Eugène Cavaignac, [[Victor Hugo]], [[Adolphe Thiers]], [[Louis Juchault de Lamoricière]] und [[Marie-Alphonse Bedeau]] wurden genötigt, das Land zu verlassen. Im Jahr darauf begann er, politische Gefangene und Kriminelle in Strafkolonien wie die [[Teufelsinsel (Französisch-Guayana)|Teufelsinsel]] (Île du Diable) oder, in weniger schlimmen Fällen, nach [[Neukaledonien]] [[Deportation|deportieren]] zu lassen.<br />
<br />
Das seit dem [[Wiener Kongress]] unter europäischer Kontrolle stehende Frankreich war zu Beginn des Kaiserreiches immer noch ein Staatswesen, das für alle europäischen Mächte als revolutionärer Unruheherd galt. Erstes Ziel der napoleonischen Politik war es, diese außenpolitische Isolation zu überwinden.<br />
<br />
=== Der Krimkrieg ===<br />
[[Datei:Adolphe Yvon - Portrait of Napoleon III - Walters 3795.jpg|mini|Napoleon&nbsp;III. ([[Adolphe Yvon]], 1868)]]<br />
<br />
Napoleon III. tendierte in der [[Orientalische Frage|orientalischen Frage]] dazu, das [[Osmanisches Reich|Osmanische Reich]] zu erhalten. Er wollte verhindern, dass [[Russisches Kaiserreich|Russland]] Zugriff auf geographische Schlüsselpositionen wie den [[Bosporus]] bekam. Im religiösen Konflikt um die Nutzung der ''[[Grabeskirche|Kirche zum Heiligen Grab]]'' in [[Jerusalem]], dem Auslöser des [[Krimkrieg]]es, versuchten die [[Römisch-katholische Kirche|Katholiken]] mit Unterstützung Napoleons&nbsp;III. ihre Situation zu verbessern. Der russische Zar [[Nikolaus I. (Russland)|Nikolaus&nbsp;I.]] verlangte daraufhin zum Schutz der orthodoxen Christen im Osmanischen Reich das [[Protektorat]] über sie im ''[[Heiliges Land|Heiligen Land]]''. Der [[Abdülmecid I.|osmanische Sultan]] und Napoleon&nbsp;III. wollten sich mit einer russischen Vorherrschaft über die Christen in Palästina aber nicht einverstanden erklären. Napoleons Infragestellung [[Geschichte Russlands#Eine Weltmacht auf dem Prüfstand und Expansion im Kaukasus und Zentralasien|russischer]] Ansprüche gegen das Osmanische Reich führte Ende März 1854 zur Kriegserklärung an Russland.<br />
<br />
Der Versuch Russlands, sein Gebiet auf Kosten des geschwächten Osmanischen Reiches zu vergrößern, sollte durch den Einsatz einer alliierten Streitmacht unter französischer Führung verhindert werden. Im Mai 1854 landeten die alliierten französisch-britischen Truppen bei [[Warna]] und im September 1854 auf der [[Krim]]. Nach mehreren Schlachten und fast einjähriger Belagerung konnte im September 1855 [[Sewastopol]] eingenommen werden. Nach der Eroberung der Festung plante Napoleon&nbsp;III., ins Landesinnere vorzurücken, um durch einen spektakulären Erfolg aus dem Schatten seines Onkels Napoleon&nbsp;I. zu treten. Seine Generäle rieten aber von einem solchen Abenteuer ab. Auch die Stimmung in Frankreich war durch die Dauer des Feldzuges und die hohen, vor allem krankheitsbedingten Verluste der Truppen gedämpft. Sein Cousin [[Napoléon Joseph Charles Paul Bonaparte]] hatte darüber hinaus die Truppe verlassen und gab der französischen Öffentlichkeit zu allerlei Diskussionen darüber Raum. Dies alles führte dazu, dass Napoleon&nbsp;III. schließlich zu Friedensverhandlungen bereit war.<ref>Rieder: ''Napoleon&nbsp;III. Abenteurer und Imperator.'' 2006, S. 215.</ref><br />
<br />
Im Jahr 1855 wurden zwei Attentate auf den Kaiser verübt: am 28. April durch den Italiener [[Giovanni Pianori]] und am 8. September durch [[Edouard Bellemare]]. Beiden Anschlägen entging der Herrscher.<ref>{{Brockhaus-1895|Napoleon III|Bd=12|S=177|retrobID=131757}}</ref><br />
<br />
Napoleon bewies sein diplomatisches Geschick, als er auf dem [[Pariser Frieden (1856)|Pariser Friedenskongress]] als Schiedsrichter auftrat. Während der Verhandlungen zum Pariser Frieden wurde der Sohn Napoleons&nbsp;III., [[Napoléon Eugène Louis Bonaparte]], geboren. Die Geburt war sehr schwierig, da sich das Kind im Leib der Mutter nicht gedreht hatte. Nach dem Erfolg der [[Zangengeburt]] [[Defilee|defilierten]] die Vertreter sämtlicher Großmächte, die an den Friedensverhandlungen teilnahmen. Mit der Geburt des Prinzen schien die dauerhafte Herrschaft der [[Bonaparte|Dynastie Bonaparte]] in Frankreich gesichert zu sein.<ref>Rieder: ''Napoleon&nbsp;III. Abenteurer und Imperator.'' 2006, S. 217.</ref><br />
<br />
[[Datei:Château de Pierrefonds exterior Oise.jpg|mini|[[Schloss Pierrefonds]]]]<br />
<br />
Der Pariser Frieden führte zu einer neuen europäischen Mächtekonstellation. Napoleon erreichte die Anerkennung des Kaiserreiches in Europa. An die Stelle der alten Kontinentalmacht Russland trat nun Frankreich. Die [[Heilige Allianz]] zerbrach, und die Beziehungen zwischen Russland und [[Kaisertum Österreich|Österreich]] blieben nachhaltig gestört. Russland wandte sich nun Frankreich und Preußen zu. Österreich blieb isoliert. Nach dem Sieg im Krimkrieg, den erfolgreichen Verhandlungen im Pariser Frieden und dem folgenden wirtschaftlichen Aufschwung in Frankreich stieg die Popularität des Kaisers im Land an.<br />
<br />
1857 beauftragte Napoleon [[Eugène Viollet-le-Duc]] mit dem Wiederaufbau des mittelalterlichen [[Schloss Pierrefonds|Schlosses Pierrefonds]]. 1861 erweiterte er den Auftrag: Pierrefonds sollte zu einer privaten Residenz umgebaut werden. Die Arbeiten dauerten auch nach dem Tod des Kaisers noch an. Das Projekt wurde 1885 endgültig abgebrochen.<br />
<br />
Napoleon III. billigte 1858 eine Marineexpedition nach [[Geschichte Vietnams#Französische Kolonialherrschaft|Vietnam]] und drängte die dortige Regierung, die französische Anwesenheit in diesem Land anzuerkennen (siehe [[Vietnam unter französischer Kolonialherrschaft]]).<br />
<br />
=== Der Sardinische Krieg ===<br />
[[Datei:Solferino Napoleon.jpg|mini|Napoleon&nbsp;III. in der Schlacht von Solferino]]<br />
<br />
Am 14. Januar 1858 überlebte Napoleon ein Attentat des italienischen Revolutionärs [[Felice Orsini]]. Orsini gehörte zu den Carbonari, denen sich Napoleon 1830 angeschlossen hatte. Dieser war von Orsinis Auftritt bei der folgenden Gerichtsverhandlung so beeindruckt, dass er sich am 20. Juli 1858 in [[Plombières-les-Bains]] mit dem [[Ministerpräsident]]en des [[Königreich Sardinien|Königreichs Sardinien-Piemont]] [[Camillo Benso von Cavour]] traf. Napoleon bot Cavour in dem geheimen Treffen an, ihn bei der Einigung Italiens zu unterstützen. Ohne seine Minister zu konsultieren, schloss er mit Cavour einen [[Geheimvertrag]]. Dieser sah für den Fall eines [[Kaisertum Österreich|österreichischen]] Angriffs die Unterstützung Frankreichs vor. Cavour beanspruchte Oberitalien für Sardinien-Piemont und ging auf Napoleons Idee einer Konföderation Italiens unter Berücksichtigung des [[Kirchenstaat]]es ein. Im Gegenzug sollte das Königreich Sardinien-Piemont auf sein Stammland [[Savoyen]] und auf die [[Grafschaft Nizza]] zugunsten Frankreichs verzichten. Zusätzlich wurde die Allianz durch die Vermählung der Tochter des späteren italienischen Königs [[Viktor Emanuel II.|Viktor Emanuel]] mit dem [[Napoléon Joseph Charles Paul Bonaparte|Prinzen Napoléon]] besiegelt.<br />
<br />
Durch seine Neujahrsrede am 1. Januar 1859 vor dem diplomatischen Korps und seine Worte an den österreichischen Gesandten provozierte Napoleon&nbsp;III. Österreich.<ref>Rieder: ''Napoleon&nbsp;III. Abenteurer und Imperator.'' 2006, S. 231.</ref> Nach einer ähnlichen Rede König Victor Emanuels begann von Seiten Österreichs die militärische Aufrüstung. Diese konnte Frankreich den passenden Vorwand abgeben, um das bedrohte Sardinien gegen die Angriffspläne Österreichs zu schützen. Ein darauf folgendes Ultimatum der Österreicher vom 19. April 1859 führte schließlich zum [[Sardinischer Krieg|Sardinischen Krieg]] von Mai bis Juli 1859.<br />
<br />
Napoleon III. übernahm selbst den Oberbefehl über die 130.000 Mann starke französische Armee. Allerdings hatte er wenig Anteil an den militärischen Operationen, die von seinen Generälen geführt wurden. Durch die siegreichen Schlachten von [[Schlacht bei Magenta|Magenta]] und [[Schlacht von Solferino|Solferino]] konnte Österreich besiegt werden und der Weg war frei für ein vereintes Italien. Fortan galt Napoleon&nbsp;III. als Förderer des [[Panlatinismus]].<br />
<br />
=== Modernisierung der Infrastruktur ===<br />
==== Umgestaltung von Paris ====<br />
[[Datei:Charles Marville, Rue de Rome, près la rue de Madrid, ca. 1853–70.jpg|mini|Die von [[Georges-Eugène Baron Haussmann|Haussmann]] neu bebauten [[Grands Boulevards]], hier Rue de Rome, ca. 1853–70]]<br />
Ein wichtiger Schritt während seiner Regierungszeit war die Neugestaltung von Paris. Große Teile der Stadt wurden dem Erdboden gleichgemacht und viele der alten, gebogenen Straßen wurden durch breite Alleen ersetzt. Den Stadtumbau leitete [[Georges-Eugène Baron Haussmann]], Präfekt des [[Département Seine]].<br />
<br />
==== Ausbau des Eisenbahnnetzes ====<br />
Haussmann leitete auch den Ausbau des französischen Eisenbahnnetzes, wobei vor allem auf Paris zentrierte Hauptstrecken entstanden. So mussten zum Beispiel Reisende vom südfranzösischen [[Marseille]] nach [[Bordeaux]] lange Zeit den Umweg über die Hauptstadt in Kauf nehmen. Dies erwies sich auch als strategischer Nachteil, da durch die schwach ausgebauten Querverbindungen Truppenbewegungen über dieses Schienennetz viel langsamer zu organisieren waren.<br />
<br />
=== Interesse an Geschichte, Archäologie und Kunst ===<br />
Wie Napoleon I. zeigte auch sein Neffe großes Interesse am Leben bedeutender historischer Persönlichkeiten und an der [[Archäologie]]. 1862 veröffentlichte Napoleon&nbsp;III. eine zweibändige französische ''Histoire de [[Gaius Iulius Caesar|Jules César]]'' plus Atlasband, die bis 1865 auch ins Deutsche und acht weitere europäische Sprachen übersetzt worden ist. Im Zuge dieser Arbeiten beauftragte er einen Oberst mit der Lokalisierung der cäsarischen Lager in [[Gergovia]] und [[Alesia]]. Moderne Nachgrabungen in den letzten Jahren bestätigten die Ergebnisse dieser frühen archäologischen Sondierungen. Er förderte auch unter anderem die Ausgrabungen im [[Kelten|keltischen]] [[Oppidum (Kelten)|Oppidum]] von [[Bibracte]] (Mont Beuvray).<br />
<br />
1857 erwarb Napoleon III. das im [[Salon de Paris|Pariser Salon]] ausgestellte Gemälde von [[Jacques Alfred van Muyden]] ''Refektorium der Kapuziner von Albano''. Er schenkte das Gemälde später [[Guillaume Henri Dufour]].<ref>''[[Sikart]]''. ''Kauf des Gemäldes Refektorium der Kapuziner von Albano.''</ref><br />
<br />
Kunstgeschichtlich bedeutsam ist Napoleons 1863 gefällte Entscheidung, dass neben dem offiziellen [[Pariser Salon]] auch ein [[Salon des Refusés]] stattfinden sollte. Damit gab er den Malern, die später den [[Impressionismus]] begründeten, die Gelegenheit, ihre Arbeiten erstmals einer breiten Öffentlichkeit vorzustellen. Die Gründe, die zu dieser Entscheidung führten, sind umstritten. Von einigen Kunsthistorikern wird darin der Versuch des kaiserlichen Hofs gesehen, die Autorität des in die Kritik geratenen Pariser Salons wiederherzustellen. Andere, wie etwa [[Édouard Manet]]s [[Biograf|Biograph]] Gottlieb Jedlicka, sehen darin einen Schachzug in einem reichen und ununterbrochenen Spiel von Intrigen zwischen Hof und Opposition, bei dem die vom kaiserlichen Hof unabhängige [[École nationale supérieure des beaux-arts de Paris|École des Beaux-Arts]] geschwächt werden sollte.<br />
<br />
=== Außenpolitische Abenteuer des „liberalen Empire“ ===<br />
[[Datei:Napoleon III, Vanity Fair, 1869-09-04.jpg|mini|Der kränkelnde Napoleon&nbsp;III. muss sich auf die Dame Parlamentarismus stützen. Karikatur in ''Vanity Fair'', September 1869.]]<br />
<br />
Ab 1860/61 änderte Napoleon III. seinen Regierungsstil. Das Parlament erhielt mehr Rechte, die Pressefreiheit wurde erweitert und Gewerkschaften zugelassen. Die wirtschaftliche Entwicklung, die von Beginn des Kaiserreiches an positiv verlaufen war, geriet ab Mitte der 1860er-Jahre in eine Krise. Dies führte neben den folgenden außenpolitischen Rückschlägen und der vermeintlichen innenpolitischen Schwäche zur Destabilisierung des imperialen Systems.<br />
<br />
Nachdem das mexikanische Parlament im Juli 1861 beschlossen hatte, die Rückzahlung der Auslandsschulden ab sofort einzustellen, unterzeichnete Napoleon&nbsp;III. am 31. Oktober mit Großbritannien und Spanien den Londoner Vertrag. Dieser legte fest, dass die unterzeichnenden Nationen gemeinsam von Mexiko die ausstehenden Schulden mit allen notwendigen Mitteln eintreiben würden. Da die [[Vereinigte Staaten|Vereinigten Staaten]] im [[Sezessionskrieg]] gebunden waren, war ihnen ein Eingreifen gemäß der [[Monroe-Doktrin]] zugunsten Mexikos unmöglich. Im Dezember 1861 und im Januar 1862 trafen spanische, französische und britische Truppen in Mexiko ein. Als die britische und die spanische Regierung erkannten, dass das Ziel Napoleons&nbsp;III. nicht in einer bloßen Rückzahlung der Kredite, sondern vielmehr in einer Eroberung Mexikos bestand, zogen sie ihre Truppen zurück. Die [[französische Intervention in Mexiko]] von Januar 1862 bis März 1867 endete mit einer Niederlage und der Hinrichtung des von den Franzosen von 1864 bis 1867 als „[[Kaiserreich Mexiko (1864–1867)|Kaiser von Mexiko]]“ eingesetzten [[Maximilian I. (Mexiko)|Maximilian&nbsp;I.]] Diese Niederlage wirkte nochmals destabilisierend auf das Regime Napoleons. Außerdem sahen die Franzosen ihren Einfluss durch die vernichtende Niederlage Österreichs gegen [[Preußen]] im [[Deutscher Krieg|preußisch-österreichischen Krieg]] (1866) gefährdet.<br />
<br />
Im weiteren Verlauf der 1860er-Jahre wurden die französisch-preußischen Spannungen weiter verschärft, insbesondere durch Bündnisverhandlungen Frankreichs mit Österreich und Italien. Am 12. Juni 1866 schloss Österreich mit dem französischen Kaiser Napoleon&nbsp;III. [[Österreichisch-Französischer Geheimvertrag|einen Geheimvertrag]]. Darin sagte der Kaiser die Neutralität Frankreichs zu, ließ sich aber für den Fall eines österreichischen Sieges bei einem kriegerischen Konflikt mit Preußen [[Venetien]] als Honorierung des Stillhaltens zusagen.<ref>[[Lothar Gall]]: ''Europa auf dem Weg in die Moderne 1850–1890.'' ISBN 3-486-49774-X, [http://books.google.de/books?id=0yZUJyL4mzgC&pg=PA54&lpg=PA54&dq=Geheimvertrag+1866&source=bl&ots=rCxO4pxhPD&sig=4WGzE3zLAALQMB-lgdx4BTZT_50&hl=de&ei=i3wSTL6AKdKlOPDFsOUH&sa=X&oi=book_result&ct=result&resnum=4&ved=0CCAQ6AEwAzgK#v=onepage&q=Geheimvertrag%201866&f=falsea S. 55.]</ref> Außerdem stellte Österreich Napoleon mündlich in Aussicht, dass im bislang preußischen Rheinland ein neuer Staat errichtet werden könnte, der von Frankreich dominiert werden würde.<br />
<br />
Preußen hatte zuvor am 8. April einen [[Preußisch-Italienischer Allianzvertrag|Geheimvertrag mit Italien]] geschlossen. Darin sollte Italien das österreichisch regierte Venetien erhalten, wenn es in einem Krieg gegen Österreich auf preußischer Seite eintrat. Dazu kam es schließlich nach dem [[Deutscher Krieg|Deutschen Krieg]] im Sommer 1866. Frankreich war von einem Sieg Österreichs ausgegangen, so dass es für seine Neutralität keine Gegenleistung von Preußen ausgehandelt hatte. Die Enttäuschung darüber wurde im geflügelten Wort „[[Rache für Sadowa]]“ ausgedrückt.<br />
<br />
[[Datei:Httpdigi.ub.uni-heidelberg.dediglitklabismarck18900048.jpg|mini|Karikatur im ''Kladderadatsch'', 1867. Während Bismarck die deutsche Einheit anstrebt, schielt Napoleon nach Luxemburg.]]<br />
1867 kam es zur [[Luxemburgkrise]]. Vor dem Krieg 1866 hatte Napoleon&nbsp;III. mit Preußen über Gebietserwerbungen als Kompensation für seine Neutralität verhandelt. Dabei war auch Luxemburg erwähnt worden. [[Otto von Bismarck]] hatte keine Einwände offengelegt, aber angedeutet, dass Frankreich selbst aktiv werden müsse. 1867 wollte Frankreich Luxemburg erwerben. Als dies ruchbar wurde, kam es in den deutschen Fürstentümern zu heftigen Protesten, unter anderem zu einer von Bismarck bestellten Anfrage im Reichstag des Norddeutschen Bundes. Napoleon musste seine Pläne fallen lassen, und Luxemburg wurde im ''Zweiten Londoner Vertrag'' von 1867 für neutral erklärt. Für Napoleon&nbsp;III. war dies eine Niederlage, die sein ohnehin schon angekratztes politisches Ansehen weiter minderte. Innenpolitisch musste er sich gegen republikanische Bestrebungen wehren, ruhmreiche Schlachten in der Tradition seines Vorfahren hätten in dieser Situation hilfreich sein können.<br />
<br />
=== Deutsch-Französischer Krieg ===<br />
Um die Hoffnungen seiner Anhängerschaft und seiner Gattin auf imperialen militärischen Ruhm zu erfüllen (und auch durch den preußischen Ministerpräsidenten Bismarck mit der [[Emser Depesche]] herausgefordert), begann Napoleon&nbsp;III. im Juli 1870 den [[Deutsch-Französischer Krieg|Deutsch-Französischen Krieg]]. Napoleon und seine Regierung waren von vollkommen falschen Grundannahmen über die Außenpolitik ausgegangen: Die mit Preußen verbündeten süddeutschen Staaten blieben nicht neutral, und es traten keine Staaten auf Frankreichs Seite in den Krieg ein. Es hatte zwar Bemühungen zu einem [[Dreibundplan 1868–1870|französisch-österreichisch-italienischen Bündnis]] gegeben, sie hatten aber zu keinem verbindlichen Abkommen geführt.<br />
<br />
[[Datei:BismarckundNapoleonIII.jpg|mini|Napoleon&nbsp;III. und Bismarck nach der Schlacht bei Sedan]]<br />
<br />
Der Krieg zeigte die ganze Schwäche des Regimes von Napoleon III. Obwohl Frankreich Preußen den Krieg erklärt hat, war die französische Armee nicht in der Lage, eine Offensive zu starten und die Invasion der preußischen Armee und ihrer Verbündeten in Frankreich zu verhindern, und begann, eine Niederlage nach der anderen zu erleiden.<br />
<br />
Napoleon, der selbst den Oberbefehl übernommen hatte, reiste zur [[Festung Metz]]. Aufgrund starker Blasenschmerzen war er jedoch kaum in der Lage, das Kommando zu führen. Nachdem er am 2.&nbsp;August mit seinem Sohn bei [[Saarbrücken]] preußischen Boden betreten hatte, übergab er am 12.&nbsp;August den Oberbefehl an Marschall [[François-Achille Bazaine]] und begab sich über [[Gravelotte]] und [[Verdun]] in das Lager von [[Châlons-en-Champagne|Châlons-sur-Marne]], wo er am Nachmittag des 16.&nbsp;August eintraf.<ref>[[Wilhelm Oncken]]: ''Das Zeitalter des Kaisers Wilhelm.'' (Einzelausgabe: '' ISBN 978-3-8460-3638-9).'' In: W. Oncken (Hrsg.): ''[[Allgemeine Geschichte in Einzeldarstellungen]].'' Vierte Hauptabteilung, Sechster Teil, 2.&nbsp;Band, Grote, Berlin 1890 und öfter, S.&nbsp;114.</ref> Da die Kaiserin seiner für den 18.&nbsp;August vorgesehenen Rückkehr nach Paris widersprach, schloss er sich – ohne militärische Funktion, quasi als Privatmann – der in Châlons neu aufgestellten Armee Marschall [[Patrice de Mac-Mahon|Mac-Mahons]] an, der am 19.&nbsp;August von dort mit 120.000 Mann in Richtung Reims abmarschierte, um sich mit Marschall Bazaines Armee zu vereinigen. Nach der [[Schlacht bei Beaumont]] war der Weg nach [[Metz]] aber durch preußische Truppen blockiert. Die [[Schlacht bei Sedan]] fand am 1.&nbsp;September 1870 statt; am Abend ergab sich der Kaiser den Preußen, nachdem er auf der Zitadelle von Sedan eine weiße Fahne hatte hissen lassen.<ref>[[Wilhelm Oncken]]: ''Das Zeitalter des Kaisers Wilhelm.'' (Einzelausgabe: '' ISBN 978-3-8460-3638-9).'' In: W. Oncken (Hrsg.): ''Allgemeine Geschichte in Einzeldarstellungen.'' Vierte Hauptabteilung, Sechster Teil, 2.&nbsp;Band, Grote, Berlin 1890 und öfter, S.&nbsp;151f. unter Verweis auf Napoleon III: ''oeuvres posthumes et autographes inédits de Napoléon III en exil.'' E. Lachaud, Paris 1873, S. 121–123 (Neuausgabe: ISBN 978-1-4212-4394-8).</ref> Am 2.&nbsp;September kapitulierte die französische Armee.<br />
<br />
Mit der Ausrufung der [[Dritte Französische Republik|Dritten Republik]] in Paris wurde Napoleon am 4.&nbsp;September abgesetzt. Napoleon wurde von preußischen Truppen nach [[Kassel]] gebracht („[[Ab nach Kassel]]“). Am 5.&nbsp;September 1870 traf er in [[Schloss Wilhelmshöhe]] ein (der ehemaligen Residenz seines Onkels [[Jérôme Bonaparte|Jérôme]]), wo er bis zum 19.&nbsp;März 1871 unter Arrest gestellt wurde. Am 30.&nbsp;Oktober 1870 besuchte [[Eugénie de Montijo|Kaiserin Eugénie]] ihn dort. Vor allem bis zum Friedensschluss mit der provisorischen Regierung hatte es Versuche gegeben, [[Napoleonische Restaurationsversuche 1870/1871|Napoleons Regime wiederherzustellen]].<br />
<!--- Wimpffen forderte bei den abendlichen Verhandlungen gegenüber Moltke und Bismarck, seine Armee auf Ehrenwort in die Heimat oder nach Algier zu entlassen. Moltke lehnte dies ab. -----><br />
<br />
=== Lebensende ===<br />
[[Datei:Napoleon III after Death - Illustrated London News Jan 25 1873-2.PNG|mini|Napoleon&nbsp;III. nach seinem Tod, Illustration aus der ''Illustrated London News'' vom 25. Januar 1873]]<br />
Napoleon&nbsp;III. ging nach dem Ende des Krieges ins Exil nach Großbritannien. Am 19. März 1871 verließ er Schloss Wilhelmshöhe und erreichte am 21. März Chislehurst, heute Teil des Stadtbezirkes [[London Borough of Bromley]]. Von dort aus plante er&nbsp;– nach dem Vorbild der [[Herrschaft der Hundert Tage]] seines Onkels&nbsp;– erneut in Frankreich zu landen. Jedoch verstarb er noch vor der Umsetzung seiner Vorhaben. Am 3. und 6. Januar 1873 hatte Napoleon sich Operationen zur Entfernung seiner Blasensteine unterzogen. Am 9. Januar sollte er erneut operiert werden. Das im Zuge der durch Englands ersten Urologen [[Henry Thompson]] durchgeführten<ref>Barbara I. Tshisuaka: ''Thompson, Sir Henry.'' In: [[Werner E. Gerabek]], Bernhard D. Haage, [[Gundolf Keil]], Wolfgang Wegner (Hrsg.): ''Enzyklopädie Medizingeschichte.'' De Gruyter, Berlin/ New York 2005, ISBN 3-11-015714-4, S. 1396 f.</ref> Operationen verabreichte [[Chloroform]], dessen Nebenwirkungen damals noch nicht bekannt waren, führte aber in Verbindung mit der Schwächung Napoleons durch die fortgeschrittene Krankheit zum Herzversagen. Seine [[Letzte Worte|letzten Worte]] sollen „Étiez-vous à Sedan?“ („Waren Sie in Sedan?“) gelautet haben, nach einer anderen Quelle sagte er „Henri, du warst bei Sedan?“ zu seinem Arzt Henri Conneau.<br />
<br />
Napoleon III. ist in der kaiserlichen Krypta der [[Saint Michael’s Abbey|Sankt-Michaels-Abtei]] in [[Farnborough (Hampshire)|Farnborough]], [[Hampshire]], England, begraben. Ebenfalls dort bestattet wurden sein einziger Sohn, der 1879 im [[Zulukrieg]] gefallene [[Napoléon Eugène Louis Bonaparte]], und seine Frau [[Eugénie de Montijo]], die 1920 im Alter von 94 Jahren starb.<br />
<br />
== Ahnentabelle ==<br />
{| class="wikitable sortable"<br />
! rowspan="4"|[[Napoléon Eugène Louis Bonaparte]] (1856–1879)<br />
Prinz von Frankreich<br />
! rowspan="2"|[[Eugénie de Montijo|Eugenie de Montijo]] (1826–1920)<br />
Kaiserin der Franzosen<br />
!María Manuela Kirkpatrick (1794–1879)<br />
Herzogin von Peñaranda<br />
!Vater: Guillermo Kirkpatrick de Closeburn<br />
<br />
Mutter: María Francisca de Grevigné<br />
|-<br />
!Cipriano de Palafox y Portocarrero (1784–1839) Herzog von Peñaranda<br />
!Vater: Felipe Antonio de Palafox y Croy<br />
<br />
Mutter: María Francisca de Sales Portocarrero, VI condesa de Montijo<br />
|-<br />
! rowspan="2"|''<u><big>Napoleon III.</big></u>'' (1808–1873)<br />
[[Zweites Kaiserreich|Kaiser der Franzosen]]<ref name=":2" /><br />
![[Hortense de Beauharnais]] (1783–1837)<br />
Königin von Holland<ref name=":2" /><br />
!Vater: [[Alexandre de Beauharnais]]<br />
(1760–1794)<br />
<br />
Präsident der französischen Nationalversammlung<br />
<br />
Mutter: [[Joséphine de Beauharnais|Josephine de Beauharnais]] (1763–1814)<br />
<br />
erste Frau Napoleons I.<br />
|-<br />
![[Louis Bonaparte]] (1778–1845)<br />
[[Königreich Holland|König von Holland]]<ref name=":2" /><br />
! rowspan="2"|Vater: [[Carlo Buonaparte]] (1746–1785)<br />
<br />
Mutter: [[Laetitia Ramolino]] (1750–1836)<br />
|-<br />
! rowspan="2"|ohne Nachkommen<br />
! rowspan="2"|[[Napoleon Franz Bonaparte|Napoleon II.]] (1811–1832)<br />
![[Napoleon Bonaparte|Napoleon I.]] (1769–1821)<br />
[[Erstes Kaiserreich|Kaiser der Franzosen]]<ref>{{Literatur |Autor=Johannes Willms |Titel=Napoleon. Eine Biographie |Verlag=Pantheon |Seiten=12}}</ref><br />
|-<br />
![[Marie-Louise von Österreich|Marie Louise von Österreich]] (1791–1847)<br />
zweite Frau Napoleons I.<br />
!Vater: [[Franz II. (HRR)|Franz II.]] (1768–1835)<br />
[[Kaisertum Österreich|Kaiser von Österreich]]<br />
<br />
Mutter: [[Maria Theresia von Neapel-Sizilien (1772–1807)|Maria Theresia von Neapel-Sizilien]]<br />
<br />
Kaiserin von Österreich<br />
|}<br />
[[Datei:Empress Eugénie in Court Dress (Guillemet after Winterhalter, Musée d'Orsay).jpg|mini|Kaiserin Eugénie]]<br />
<br />
== Ehe und Nachkommen ==<br />
Am 29./30. Januar 1853 heiratete Napoleon&nbsp;III. die spanische Gräfin [[Eugénie de Montijo]]. Die Hochzeit war eine getreue Kopie der Feierlichkeiten Napoleons&nbsp;I. Eine vorhergehende Brautwerbung um Prinzessin [[Adelheid zu Hohenlohe-Langenburg]], die spätere Herzogin zu [[Schleswig-Holstein-Sonderburg-Augustenburg]], war am Widerstand von [[Victoria (Vereinigtes Königreich)|Königin Victoria]] gescheitert, deren Nichte die Prinzessin war, sowie wohl auch deshalb, weil der Brautvater, Fürst [[Ernst&nbsp;I. zu Hohenlohe-Langenburg]], den Bräutigam, der zwar mächtig, aber nicht von altem Adel war, für nicht ebenbürtig hielt.<ref>[[Heinz Gollwitzer]]: ''Die Standesherren.'' 2. Auflage. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1964, S. 267&nbsp;f.</ref><br />
<br />
Die Ehe zwischen Napoleon und Eugénie verlief nicht glücklich. Eugénie litt unter den Affären ihres Gatten, der sich auch keine Mühe gab, seine Seitensprünge zu verbergen. Seine frühe Leidenschaft für die schöne Spanierin war schnell erloschen. Zudem erschöpfte ihre [[Geburt|Niederkunft]] im Jahre 1856&nbsp;– zuvor hatte sie bereits eine Fehlgeburt erlitten&nbsp;– die Kaiserin so sehr, dass sie nicht nur keine weiteren Kinder mehr bekommen konnte, sondern auch den ehelichen Verkehr mit ihrem Mann stark einschränken und schließlich ganz einstellen musste.<br />
<br />
Dagegen engagierte sich Eugénie vor allem seit den 1860er-Jahren durchaus mit Duldung ihres Mannes immer mehr im politischen Geschäft. Im Unterschied zu ihm war ihr Standpunkt entschieden konservativ, klerikal und autoritär: So befürwortete sie eine Allianz mit [[Kaisertum Österreich|Österreich]] und trat energisch für die Erhaltung des [[Kirchenstaat]]es unter französischer Protektion ein. Napoleon, obgleich in vielem uneins mit ihr, setzte sie dennoch sowohl 1859 als auch 1870 als Regentin in Paris ein. Ihrem Wunsch nach einer Aufrechterhaltung der [[Neoabsolutismus|neoabsolutistischen]] Regierungsform konnte er zusehends weniger entsprechen. 1870 zählte Eugénie zu den erklärten Befürwortern eines [[Feldzug|Waffenganges]] gegen Preußen und wirkte entsprechend auf ihren entscheidungsschwachen Mann ein.<ref>[[Octave Aubry]]: ''L’impératrice Eugénie.'' Fayard, Paris 1931.</ref><br />
<br />
Napoleon und Eugénie hatten einen Sohn, [[Napoléon Eugène Louis Bonaparte]] (1856–1879), Prince impérial.<br />
<br />
== Sonstiges ==<br />
Zu festlichen Anlässen pflegten der Kaiser, die Kaiserin und bestimmte Ehrengäste von Aluminiumgeschirr zu speisen.<br />
Da Aluminium erst in den 1880ern günstig erzeugt werden konnte, war es damals wertvoller als Gold.<br />
<br />
Napoleon III. war der Adressat zweier Sendschreiben des persischen Religionsstifters [[Baha'ullah]], der zu dieser Zeit ein Gefangener der osmanischen Regierung war. In dem ersten Schreiben, das vermutlich im Jahre 1868 verfasst wurde, weist dieser den französischen Kaiser auf die von ihm und seinen Anhängern erduldeten Leiden hin und mahnt ihn, sich gegen Unterdrückung im Allgemeinen und gegen die ungerechtfertigte Gefangenschaft seiner Person und seiner Anhänger im Speziellen einzusetzen. Laut einem Bericht, dessen Authentizität ungesichert ist, soll Napoleon III. das Schreiben mit den Worten „Wenn dieser Mann Gott ist, dann bin ich zwei Götter“ verächtlich zu Boden geworfen haben. Vermutlich im Jahr darauf schrieb Baha'ullah den Kaiser ein zweites Mal an. In diesem zweiten Schreiben beschuldigt er Napoleon III. der Unaufrichtigkeit, tadelt ihn dafür, sein erstes Schreiben beiseite geworfen zu haben und kündigt ihm an: "Für das, was du getan hast, wird dein Reich in Verwirrung gestürzt werden, und das Kaiserreich wird deinen Händen entgleiten als Strafe für dein Tun."<ref>{{Literatur |Autor=[[Shoghi Effendi]] |Titel=[[Der verheißene Tag ist gekommen]] |Verlag=Bahá'í-Verlag GmbH |Ort=Frankfurt am Main |Datum=1967 |Seiten=85}}</ref> [[Bahaitum|Bahai]] sehen in dieser Ankündigung eine Prophezeiung, die sich schon im Jahr darauf mit der Niederlage Napoleons in der Schlacht bei Sedan, seiner Absetzung und dem darauf folgenden französischen Bürgerkrieg erfüllte.<br />
<br />
Johann Strauss widmete ihm 1854 den [[Napoleon-Marsch]].<br />
<br />
== Schriften ==<br />
[[File:The Sarcophagus of Emperor Napoleon III of France (geograph 3835255).jpg|thumb|hochkant|Sarg Kaiser Napoleons III. in der Krypta der [[Saint Michael’s Abbey|Sankt-Michaels-Abtei]] in [[Farnborough (Hampshire)|Farnborough]]]]<br />
* [https://books.google.ch/books?id=c6Y6AAAAcAAJ&hl=de ''Manuel d’artillerie à l’usage des officiers d’artillerie de la République Helvétique.'' Orell Füssli, Zürich 1836]<br />
* [https://books.google.de/books?id=ansEAAAAQAAJ ''Des idées napoléoniennes.'' Colburn, London 1839]<br />
* [https://books.google.de/books?id=-M4lXvZ7ONgC ''Histoire de Jules César.'' Imprimerie impériale, Paris 1865] (1862 erstveröffentlicht)<br />
* ''Werke.'' Band I–IV, Leipzig 1857.<br />
<br />
== Einzelnachweise ==<br />
<references /><br />
<br />
== Literatur ==<br />
* Thomas Anthony Buchassan Corley: ''Napoleon III. Ein demokratischer Despot.'' (Originaltitel: ''Democratic Despot.'' 1957, übersetzt von Liselotte Mickel). Kohlhammer, Stuttgart 1970 {{DNB|456294228}}; 2, Auflage: 1982, ISBN 3-17-094111-9.<br />
* Klaus Deinet: ''Napoleon III. Frankreichs Weg in die Moderne.'' Kohlhammer, Stuttgart 2019, ISBN 978-3-17-031852-6<br />
* [[Shoghi Effendi]]: ''[[Der verheißene Tag ist gekommen]].'' Bahá'í-Verlag, Frankfurt am Main 1967.<br />
* [[Michael Erbe]]: ''Napoleon&nbsp;III. (1848/52–1870).'' In: Peter Cl. Hartmann (Hrsg.): ''Französische Könige und Kaiser der Neuzeit. Von Ludwig&nbsp;XII. bis Napoleon&nbsp;III. 1498–1870.'' C.H. Beck, München 1994, ISBN 3-406-38506-0, S. 422–452.<br />
* Heinrich Euler: ''Napoleon&nbsp;III. in seiner Zeit.'' Teil I: ''Der Aufstieg.'' Teil II: ''Das Verhängnis.'' Kovač, Hamburg 2008, ISBN 978-3-8300-3804-7 und ISBN 978-3-8300-3805-4 (unveränderter Nachdruck der Erstauflage: Ploetz, Würzburg 1961).<br />
* [[Konstantin Frantz]], Franz Kemper (Hrsg.): ''Masse oder Volk. Louis Napoleon.'' Protte, Potsdam 1933.<br />
* [[Franz Herre]]: ''Napoleon&nbsp;III. Glanz und Elend des zweiten Kaiserreiches.'' Bertelsmann, München 1990, ISBN 3-570-07570-2.<br />
* {{BBKL|archiveurl=https://web.archive.org/web/20070609095005/http://www.bautz.de/bbkl/n/napoleon_iii.shtml |band=22|spalten=869-886|autor=Regina-Bianca Kubitscheck|artikel=Napoleon III}}<br />
* Heinz Rieder: ''Napoleon&nbsp;III. Abenteurer und Imperator.'' Katz, Gernsbach 2006, ISBN 3-938047-16-X.<br />
* Alan Strauss-Schom: ''The Shadow Emperor. A Biography of Napoléon III.'' St. Martin’s Press, Stroud 2018.<br />
* [[Johannes Willms]]: ''Napoleon&nbsp;III. Frankreichs letzter Kaiser.'' C.H. Beck, München 2008, ISBN 978-3-406-57151-0.<br />
* [[Heiner Wittmann]]: ''Napoleon&nbsp;III. Macht und Kunst.'' (= Dialoghi/dialogues. Literatur und Kultur Italiens und Frankreichs. Band 17). Verlag Peter Lang, Frankfurt/ Berlin/ Bern u.&nbsp;a. 2013, ISBN 978-3-631-64209-2.<br />
* Manfred Wüstemeyer: ''Demokratische Diktatur: zum politischen System des Bonapartismus im Zweiten Empire.'' Böhlau, Köln/ Wien 1986, ISBN 3-412-08385-2 (= ''Dissertationen zur neueren Geschichte.'' Band 18, zugleich [[Dissertation]] an der [[Universität Köln]] 1971),.<br />
<br />
== Weblinks ==<br />
{{Wikiquote|Napoléon III.|Napoleon III.}}<br />
{{Commonscat|Napoleon III of France|Napoleon III.}}<br />
* {{DNB-Portal|118586416}}<br />
* {{DDB|Person|118586416}}<br />
* {{SUDOC|027274896}}<br />
* [http://heidicon.ub.uni-heidelberg.de/ubhdsearch/Napoleon%20III Karikaturen zu Napoleon&nbsp;III.] in HeidICON („Gast-Zugang“ nutzen)<br />
* [https://napoleonmuseum.tg.ch/ Napoleonmuseum Thurgau] Schloss und Park Arenenberg<br />
* [http://www.verfassungen.eu/f/fverf52-i.htm Verfassung der französischen Republik (1852)]<br />
* {{DHM-HdG|Bio=napoleon-iii|Titel=Napoleon III}}<br />
* {{HLS|23316|Autor=Dominic Pedrazzini/AL}}<br />
* Sven Felix Kellerhoff: [https://www.welt.de/geschichte/article219465458/Napoleon-III-Vom-gewaehlten-Praesidenten-zum-Alleinherrscher.html ''So schwang sich der gewählte Präsident zum Kaiser auf''.] Welt Online<br />
<br />
{{Personenleiste<br />
|VORGÄNGER=[[Louis-Philippe I.|Ludwig Philipp]]<br />(König der Franzosen)<br />
|AMT=[[Datei:Coat of Arms Second French Empire (1852–1870).svg|35px]]<br />[[Liste der Staatsoberhäupter Frankreichs|französischer Staatspräsident]]<br />ab 1852 [[Liste der Staatsoberhäupter Frankreichs|Kaiser der Franzosen]]<br />
|NACHFOLGER=([[Dritte Französische Republik]])<br />[[Adolphe Thiers]]<br />
|ZEIT=1848–1870}}<br />
<br />
{{Normdaten|TYP=p|GND=118586416|LCCN=n79071059|NDL=00551092|VIAF=88934487}}<br />
<br />
{{SORTIERUNG:Napoleon 03}}<br />
[[Kategorie:Staatspräsident (Frankreich)]]<br />
[[Kategorie:Kaiser (Frankreich)]]<br />
[[Kategorie:Familienmitglied des Hauses Bonaparte]]<br />
[[Kategorie:Person im Krimkrieg (Frankreich)]]<br />
[[Kategorie:Person im Sardinischen Krieg]]<br />
[[Kategorie:Person im Deutsch-Französischen Krieg (Frankreich)]]<br />
[[Kategorie:Person (Zweite Französische Republik)]]<br />
[[Kategorie:Person (Zweites Kaiserreich)]]<br />
[[Kategorie:Napoleon III.| ]]<br />
[[Kategorie:Ehrenbürger im Kanton Thurgau]]<br />
[[Kategorie:Ritter des Hosenbandordens]]<br />
[[Kategorie:Mitglied der Ehrenlegion (Großkreuz)]]<br />
[[Kategorie:Ritter des Ordens vom Goldenen Vlies (Spanien)]]<br />
[[Kategorie:Träger des Ordens des heiligen Karl (Großkreuz)]]<br />
[[Kategorie:Großkreuz des Großherzoglich Hessischen Ludwigsordens]]<br />
[[Kategorie:Träger des Nationalen Ordens vom Kreuz des Südens (Großkreuz)]]<br />
[[Kategorie:Träger des Leopoldsordens (Großkreuz)]]<br />
[[Kategorie:Träger des k.u. Sankt Stephans-Ordens (Großkreuz)]]<br />
[[Kategorie:Träger des Elefanten-Ordens]]<br />
[[Kategorie:Träger des Militär-Wilhelms-Ordens]]<br />
[[Kategorie:Träger des Seraphinenordens]]<br />
[[Kategorie:Träger des Ordens vom Zähringer Löwen (Großkreuz)]]<br />
[[Kategorie:Träger des Ordens der Württembergischen Krone (Großkreuz)]]<br />
[[Kategorie:Träger des Roten Adlerordens 1. Klasse]]<br />
[[Kategorie:Ritter des Schwarzen Adlerordens]]<br />
[[Kategorie:Träger des Ordens vom Aztekischen Adler (Großkreuz)]]<br />
[[Kategorie:Träger des Ordens des heiligen Jakob vom Schwert (Großkreuz)]]<br />
[[Kategorie:Träger des Mecidiye-Ordens]]<br />
[[Kategorie:Franzose]]<br />
[[Kategorie:Geboren 1808]]<br />
[[Kategorie:Gestorben 1873]]<br />
[[Kategorie:Mann]]<br />
<br />
{{Personendaten<br />
|NAME=Napoleon III.<br />
|ALTERNATIVNAMEN=Bonaparte, Charles Louis Napoléon<br />
|KURZBESCHREIBUNG=französischer Staatspräsident, Kaiser der Franzosen<br />
|GEBURTSDATUM=20. April 1808<br />
|GEBURTSORT=[[Paris]]<br />
|STERBEDATUM=9. Januar 1873<br />
|STERBEORT=[[Chislehurst]] bei London<br />
}}</div>178.155.64.26